hier der 2te Platz 😉
WEGE
Vor dem Sturm
Markes saß am Waldrand auf einer Baumwurzel und ließ seinen Blick über die grasbedeckten Hügel im Südwesten schweifen. Doch weder das saftige Grün der Wiesen noch das strahlende Blau des klaren Frühlingshimmels erreichten sein Bewusstsein, denn seine Gedanken waren auf etwas anderes gerichtet als auf das, was seine Augen sahen. Zum ersten Mal in seinem langen Leben war er von einem Gefühl erfüllt, das er so nie gekannt hatte. Er hatte es sich bis heute nicht eingestehen wollen, aber das, was er fühlte, war … Furcht.
Oh, er fürchtete nicht um sich selbst, es war nicht diese Art von Furcht. Es war mehr eine Art sehr großer Sorge, eine Hoffnungslosigkeit im Angesicht einer düsteren Zukunft. Angst um die, die ihm lieb waren. Markes schämte sich für seine Angst. Er sollte seinem Volk ein Vorbild sein und ihnen Mut für den heraufziehenden Sturm einflößen – doch er konnte es nicht. Wie sollte er ihnen Mut machen, wenn er selbst keine Hoffnung sah? Er wusste, dass die Zukunft noch nicht geschrieben war, schließlich war ihm dies von klein auf von den Magiern so gelehrt worden. Doch angesichts des nahenden Krieges kamen Markes Zweifel daran, und er fragte sich, ob ihr aller Schicksal nicht doch schon längst feststand.
Der alte Schwertmeister war so in seine trüben Gedanken vertieft, dass er die sich ihm nähernde Gestalt erst spät bemerkte. Anhand der leichten Schritte hinter sich konnte er die Gestalt sofort identifizieren. Das Geräusch der leisen Tritte beschwor unwillkürlich das Bild der kleinen Kaira hervor, wie sie sich zwischen den Bäumen hindurch an ihn heranschlich und dabei angestrengt versuchte, nicht so auszusehen, als ob sie schlich – für den Fall, dass er sie doch bemerkte.
Früher war ich wachsamer, schalt er sich bevor er ohne sich umzudrehen laut sagte: „Du solltest nicht hier sein, Kaira.“
Falls Kaira durch seine Worte überrascht wurde, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Du aber auch nicht, Vater.“ Sie grinste und stellte sich vor ihn. „Du solltest bei den Truppen sein. Ich habe Dich gesucht.“
Er blickte sie an. Schlagartig wurde das Bild des kleinen Mädchens verdrängt und ihm wurde wieder bewusst, dass aus ihr längst eine junge Frau geworden war: eine Bogenschützin, stark und lebendig, selbstbewusst und so voller Hoffnung…
„Hmm,“ brummte er, „Lord Zirdaín schickt Dich?“
Sie lachte. „Ja. Wieso weißt Du immer alles?“
Er antwortete nicht auf ihre Frage, sondern blickte wieder an ihr vorbei auf den Horizont hinter den Hügeln. „Warum sollte ich bei den Männern sein? Sie ziehen heute abend los und ich werde nicht mit ihnen gehen. Ich habe sie jahrelang ausgebildet und für weiteres Training fehlt jetzt die Zeit. Sie werden mit dem, was sie können, zurecht kommen müssen.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
„Aber Du solltest dort sein! Alle machen sich bereit, packen ihre Taschen, verabschieden sich von ihren Liebsten! Du musst dort sein, Du bist schließlich Markes! Markes, der Bezwinger von Kourdros! Der Held von Asabion! Du bist die Geistklinge! Dein Anblick wird ihre Herzen stärken!“
Markes schüttelte den Kopf und erhob sich. „Ich kenne diese Ehrennamen. Aber diesmal ist es anders. Ich war von Anfang an dagegen in diesen Krieg zu ziehen und damit unseren traditionellen Weg zu verlassen. Ich habe Lord Zirdaín angefleht auf mich zu hören, aber er war zu starrsinnig! Dieser Krieg wird unser Untergang sein…“ Er wandte sich ab und ging in Richtung der Wiesen. Aus der Ferne erklang das Geklirr von aufeinander prallenden Schwertern und leise Rufe. Kaira folgte ihm.
„Ich weiß, dass Du es so siehst. Aber trotzdem, Du hast alle unsere Krieger im Schwertkampf ausgebildet und Du bist ihr größtes Vorbild. Wenn Du nicht an sie glaubst, wer dann? Du solltest mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben. Ohne Hoffnung werden sie nicht bestehen können.“
„Dann soll Zirdaín ihnen diese Hoffnung geben! Unsere Wälder zu verlassen und sich dem CHAOS entgegen zu stürzen ist Wahnsinn! Die letzten Jahrhunderte konnten wir nur bestehen, indem wir unserem Weg treu blieben! Wir brauchen die Wälder genauso, wie sie uns brauchen. Ohne ihren Schutz werden wir vom CHAOS hinweggespült werden….“
Erschrocken schwieg Kaira. Vielleicht hat sie den Ernst der Lage nun endlich begriffen, dachte Markes grimmig. Es tat ihm weh, seiner Tochter den Mut zu nehmen, aber er konnte nicht anders. Für ihn war der Kriegszug Selbstmord. Die einzige kleine Chance für sein Volk den Sturm des CHAOS zu überstehen, die er sehen konnte, war hier in ihren Wäldern, wie sie es seit alters her in Kriegszeiten getan hatten.
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her, beide in ihre eigenen Gedanken vertieft. Die Kampfgeräusche wurden lauter, und als sie beide auf einem Hügel standen und in eine Senke hinunter blickten, sahen sie die Kriegstänzer bei ihren Schwertübungen. Die jungen Elfen lachten und scherzten und verspotteten sich gegenseitig, während sie spielerisch mit den scharfen Klingen umher wirbelten. Geschmeidig tanzten sie in den aus Stöcken gelegten Schwertkreisen, so schnell, dass selbst Markes Mühe hatte, ihren Bewegungen mit den Augen zu folgen. Sie alle trugen stolz rituelle Tätowierungen zur Schau und ihre mit bunten Bändern zu Zöpfen geflochtenen Haare klebten an den schweißnassen Körpern. Markes konnte ihre Prahlereien bis auf den Hügel hinauf hören und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Da ist Jared!“ Kaira war mit einem Schlag wieder die alte. Sie gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. „Weißt Du, vielleicht erfordert es der große Sturm, die alten Wege zu verlassen um zu überleben. Wer weiß?“ Sie zwinkerte ihm zu und lief den Hügel hinunter zu den Kampftänzern. Markes lächelte. Wie hatte er glauben können ihr den Lebensmut geraubt zu haben? Er hatte ihn allenfalls für eine Weile gedämpft.
Als die jungen Männer Kaira auf sich zu kommen sahen, hielten sie in ihrem Waffenspiel für einen Moment inne. Markes musste gegen seinen Willen schmunzeln. Kaira war eine wunderschöne und sehr temperamentvolle junge Elfe und bot einen reizenden Anblick wie sie dort die Wiese hinunterlief. Fast jeder junge Krieger träumte von ihr, aber ihr Herz gehörte alleine Jared. Unten angekommen fiel sie ihm um den Hals und winkte dann zu Markes hinauf.
Der junge Prinz Jared war der jüngere von Lord Zirdaín beiden Söhnen und ein echter Heißsporn. Er war der Anführer der Kampftänzer und Markes’ bester Schüler. Aber er war auch leichtsinnig und ging im Kampf oft unnötige Risiken ein, da er sich selbst für unverwundbar hielt. Seine Überheblichkeit war sein einziger Fehler, und er war sehr beliebt bei seinen Männern.
Prinz Rhoegaen löste sich von der Gruppe und hielt den Hügel hinauf auf Markes zu. Rhoegaen war der ältere von Zirdaín Söhnen und somit Erbe der Königswürde. Er war ein erfahrener General und Krieger und würde die Streitmacht anführen.
„Friede sei mit Dir, Markes Geistklinge.“ grüßte er den Schwertmeister.
„Und Friede sei auch mit Dir, Prinz Rhoegaen.“ antwortete Markes, obwohl er es besser wusste.
„Du bist also sicher, dass Du uns nicht begleiten willst?“ fragte Rhoegan. Markes konnte die versteckte Hoffnung aus Rhoegans Worten heraushören, obwohl dieser sich Mühe gab, ein unbewegtes Gesicht zu machen. Es wäre dem General sicher wohler, wenn ihm die Geistklinge in den Krieg folgen würde, dachte er bei sich.
„Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen.“
„Ich habe befürchtet, dass es dabei bleibt, aber Du verstehst sicher, dass ich trotzdem fragen musste. Nun gut, dann werden wir uns eben ohne Dich behaupten müssen.“
Markes nickte. Dann legte er Rhoegaen den Arm auf die Schulter und nahm ihn ein Stück mit sich, den Weg zurück zum Wald. „Ich mache mir Sorgen um Euren Bruder, Prinz.“
Nur ein Hauch seiner Überraschung blitzte in seinen Augen auf, ansonsten blieb Rhoegaens Miene unbewegt. „Wieso? Er ist ein guter Schwertkämpfer, der beste Kriegstänzer den wir haben.“
„Ja, das weiß ich. Ich habe ihn schließlich ausgebildet. Aber ihm fehlt jede Furcht vor dem Feind Jegliche Art von Respekt vor dem Tod oder auch nur vor der Möglichkeit, verletzt zu werden ist ihm fremd! Er ist einfach zu waghalsig, und das darf ein Anführer nicht sein, und ein Prinz schon gar nicht. Wenn er fallen sollte, dann fällt nicht nur er, sondern der Kampfgeist Deiner ganzen Armee!“
Rhoegaen sah ihm ernst in die grünen Augen. „Rede nicht von dieser Möglichkeit. Seine Stärke kommt aus seinem offensiven Kampfstil. Er ist gut, und Du weißt das. Wenn er tatsächlich fallen sollte, sind wir ohnehin dem Untergang geweiht. Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemanden in den Reihen des CHAOS gibt, der es mit ihm aufnehmen kann.“
Markes lachte laut auf. „Ha! Gerade von Dir hätte ich andere Worte erwartet! Du kennst die Kreaturen des CHAOS, wir haben Seite an Seite gegen sie gekämpft! Und diesmal wird es schlimmer sein als je zuvor. Bist Du denn tatsächlich so verblendet von seinen Fähigkeiten? Vielleicht gibt es niemanden, der es mit ihm aufnehmen kann, aber etwas gibt es ganz sicher! Jared mag tödlich sein im Kampf Mann gegen Mann, aber im Krieg gibt es keine Regeln, keinen Schwertkreis, keine Fairness, besonders nicht gegen das CHAOS! Und ihm fehlt die Erfahrung mit echten Schlachten. Bislang hat er gegen nichts wilderes als einen Ork und nichts größeres als einen Troll gekämpft! Er ist auf die Armeen des CHAOS nicht vorbereitet.“
Rhoegaen antwortete mit ruhiger Stimme. „Warst Du denn darauf vorbereitet, als Du zum ersten Mal gegen einen Dämon gekämpft hast? Gegen einen Drachen? Darauf kann man einen Mann nicht vorbereiten, Markes. Man kann ihm nur alles beibringen, was man weiß und hoffen, dass aus ihm ein wahrer Krieger wird.
Es ist ohnehin entschieden. Bleibe Du mit Deinen Kriegern hier und beschütze die Königin. Wir werden in den Krieg ziehen, wir werden das Feuer zum CHAOS tragen. Dir mag das nicht gefallen, aber mein Vater hat so entschieden. Und ich bin seiner Meinung. Du hast es selbst gesagt: dieser Sturm wird schlimmer werden als je ein Krieg zuvor. Daher müssen wir das CHAOS aufhalten, bevor es den Wald erreichen kann. Selbst wenn wir den Sturm hier überstünden, so wäre es doch das Ende vom Wald wie wir ihn jetzt kennen, er wäre verwüstet und öd. Nein, das CHAOS darf niemals bis hierher gelangen und deshalb müssen wir gehen!“
Immer noch zweifelnd umarmte der Schwertmeister seinen einstigen Schüler. „Ich wünsche Dir den Segen des Waldes, mein Prinz. Möge das Kriegsglück auf Deiner Seite weilen.“ Sie drückten sich fest und ließen dann voneinander ab. „Und passe mir gut auf Kaira auf.“
Hätte Rhoegaen den alten Schwertmeister nicht besser gekannt, er hätte in der letzten Bemerkung eine versteckte Drohung gehört. „Ich werde nicht ohne sie zurückkehren.“ versprach er. Ein letztes Mal blickten sie sich in die Augen, nickten sich gegenseitig zu und drehten sich dann um.
Ohne ein weiteres Wort trennten sich die beiden Krieger. Einer ging zurück in Richtung des Waldes, während der andere hinaus auf das hügelige Grasland lief.
Die Zukunft war noch offen und das Kriegsglück würde entscheiden, welcher Weg der richtige war.
WEGE
Vor dem Sturm
Markes saß am Waldrand auf einer Baumwurzel und ließ seinen Blick über die grasbedeckten Hügel im Südwesten schweifen. Doch weder das saftige Grün der Wiesen noch das strahlende Blau des klaren Frühlingshimmels erreichten sein Bewusstsein, denn seine Gedanken waren auf etwas anderes gerichtet als auf das, was seine Augen sahen. Zum ersten Mal in seinem langen Leben war er von einem Gefühl erfüllt, das er so nie gekannt hatte. Er hatte es sich bis heute nicht eingestehen wollen, aber das, was er fühlte, war … Furcht.
Oh, er fürchtete nicht um sich selbst, es war nicht diese Art von Furcht. Es war mehr eine Art sehr großer Sorge, eine Hoffnungslosigkeit im Angesicht einer düsteren Zukunft. Angst um die, die ihm lieb waren. Markes schämte sich für seine Angst. Er sollte seinem Volk ein Vorbild sein und ihnen Mut für den heraufziehenden Sturm einflößen – doch er konnte es nicht. Wie sollte er ihnen Mut machen, wenn er selbst keine Hoffnung sah? Er wusste, dass die Zukunft noch nicht geschrieben war, schließlich war ihm dies von klein auf von den Magiern so gelehrt worden. Doch angesichts des nahenden Krieges kamen Markes Zweifel daran, und er fragte sich, ob ihr aller Schicksal nicht doch schon längst feststand.
Der alte Schwertmeister war so in seine trüben Gedanken vertieft, dass er die sich ihm nähernde Gestalt erst spät bemerkte. Anhand der leichten Schritte hinter sich konnte er die Gestalt sofort identifizieren. Das Geräusch der leisen Tritte beschwor unwillkürlich das Bild der kleinen Kaira hervor, wie sie sich zwischen den Bäumen hindurch an ihn heranschlich und dabei angestrengt versuchte, nicht so auszusehen, als ob sie schlich – für den Fall, dass er sie doch bemerkte.
Früher war ich wachsamer, schalt er sich bevor er ohne sich umzudrehen laut sagte: „Du solltest nicht hier sein, Kaira.“
Falls Kaira durch seine Worte überrascht wurde, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
„Du aber auch nicht, Vater.“ Sie grinste und stellte sich vor ihn. „Du solltest bei den Truppen sein. Ich habe Dich gesucht.“
Er blickte sie an. Schlagartig wurde das Bild des kleinen Mädchens verdrängt und ihm wurde wieder bewusst, dass aus ihr längst eine junge Frau geworden war: eine Bogenschützin, stark und lebendig, selbstbewusst und so voller Hoffnung…
„Hmm,“ brummte er, „Lord Zirdaín schickt Dich?“
Sie lachte. „Ja. Wieso weißt Du immer alles?“
Er antwortete nicht auf ihre Frage, sondern blickte wieder an ihr vorbei auf den Horizont hinter den Hügeln. „Warum sollte ich bei den Männern sein? Sie ziehen heute abend los und ich werde nicht mit ihnen gehen. Ich habe sie jahrelang ausgebildet und für weiteres Training fehlt jetzt die Zeit. Sie werden mit dem, was sie können, zurecht kommen müssen.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
„Aber Du solltest dort sein! Alle machen sich bereit, packen ihre Taschen, verabschieden sich von ihren Liebsten! Du musst dort sein, Du bist schließlich Markes! Markes, der Bezwinger von Kourdros! Der Held von Asabion! Du bist die Geistklinge! Dein Anblick wird ihre Herzen stärken!“
Markes schüttelte den Kopf und erhob sich. „Ich kenne diese Ehrennamen. Aber diesmal ist es anders. Ich war von Anfang an dagegen in diesen Krieg zu ziehen und damit unseren traditionellen Weg zu verlassen. Ich habe Lord Zirdaín angefleht auf mich zu hören, aber er war zu starrsinnig! Dieser Krieg wird unser Untergang sein…“ Er wandte sich ab und ging in Richtung der Wiesen. Aus der Ferne erklang das Geklirr von aufeinander prallenden Schwertern und leise Rufe. Kaira folgte ihm.
„Ich weiß, dass Du es so siehst. Aber trotzdem, Du hast alle unsere Krieger im Schwertkampf ausgebildet und Du bist ihr größtes Vorbild. Wenn Du nicht an sie glaubst, wer dann? Du solltest mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben. Ohne Hoffnung werden sie nicht bestehen können.“
„Dann soll Zirdaín ihnen diese Hoffnung geben! Unsere Wälder zu verlassen und sich dem CHAOS entgegen zu stürzen ist Wahnsinn! Die letzten Jahrhunderte konnten wir nur bestehen, indem wir unserem Weg treu blieben! Wir brauchen die Wälder genauso, wie sie uns brauchen. Ohne ihren Schutz werden wir vom CHAOS hinweggespült werden….“
Erschrocken schwieg Kaira. Vielleicht hat sie den Ernst der Lage nun endlich begriffen, dachte Markes grimmig. Es tat ihm weh, seiner Tochter den Mut zu nehmen, aber er konnte nicht anders. Für ihn war der Kriegszug Selbstmord. Die einzige kleine Chance für sein Volk den Sturm des CHAOS zu überstehen, die er sehen konnte, war hier in ihren Wäldern, wie sie es seit alters her in Kriegszeiten getan hatten.
Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her, beide in ihre eigenen Gedanken vertieft. Die Kampfgeräusche wurden lauter, und als sie beide auf einem Hügel standen und in eine Senke hinunter blickten, sahen sie die Kriegstänzer bei ihren Schwertübungen. Die jungen Elfen lachten und scherzten und verspotteten sich gegenseitig, während sie spielerisch mit den scharfen Klingen umher wirbelten. Geschmeidig tanzten sie in den aus Stöcken gelegten Schwertkreisen, so schnell, dass selbst Markes Mühe hatte, ihren Bewegungen mit den Augen zu folgen. Sie alle trugen stolz rituelle Tätowierungen zur Schau und ihre mit bunten Bändern zu Zöpfen geflochtenen Haare klebten an den schweißnassen Körpern. Markes konnte ihre Prahlereien bis auf den Hügel hinauf hören und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Da ist Jared!“ Kaira war mit einem Schlag wieder die alte. Sie gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. „Weißt Du, vielleicht erfordert es der große Sturm, die alten Wege zu verlassen um zu überleben. Wer weiß?“ Sie zwinkerte ihm zu und lief den Hügel hinunter zu den Kampftänzern. Markes lächelte. Wie hatte er glauben können ihr den Lebensmut geraubt zu haben? Er hatte ihn allenfalls für eine Weile gedämpft.
Als die jungen Männer Kaira auf sich zu kommen sahen, hielten sie in ihrem Waffenspiel für einen Moment inne. Markes musste gegen seinen Willen schmunzeln. Kaira war eine wunderschöne und sehr temperamentvolle junge Elfe und bot einen reizenden Anblick wie sie dort die Wiese hinunterlief. Fast jeder junge Krieger träumte von ihr, aber ihr Herz gehörte alleine Jared. Unten angekommen fiel sie ihm um den Hals und winkte dann zu Markes hinauf.
Der junge Prinz Jared war der jüngere von Lord Zirdaín beiden Söhnen und ein echter Heißsporn. Er war der Anführer der Kampftänzer und Markes’ bester Schüler. Aber er war auch leichtsinnig und ging im Kampf oft unnötige Risiken ein, da er sich selbst für unverwundbar hielt. Seine Überheblichkeit war sein einziger Fehler, und er war sehr beliebt bei seinen Männern.
Prinz Rhoegaen löste sich von der Gruppe und hielt den Hügel hinauf auf Markes zu. Rhoegaen war der ältere von Zirdaín Söhnen und somit Erbe der Königswürde. Er war ein erfahrener General und Krieger und würde die Streitmacht anführen.
„Friede sei mit Dir, Markes Geistklinge.“ grüßte er den Schwertmeister.
„Und Friede sei auch mit Dir, Prinz Rhoegaen.“ antwortete Markes, obwohl er es besser wusste.
„Du bist also sicher, dass Du uns nicht begleiten willst?“ fragte Rhoegan. Markes konnte die versteckte Hoffnung aus Rhoegans Worten heraushören, obwohl dieser sich Mühe gab, ein unbewegtes Gesicht zu machen. Es wäre dem General sicher wohler, wenn ihm die Geistklinge in den Krieg folgen würde, dachte er bei sich.
„Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen.“
„Ich habe befürchtet, dass es dabei bleibt, aber Du verstehst sicher, dass ich trotzdem fragen musste. Nun gut, dann werden wir uns eben ohne Dich behaupten müssen.“
Markes nickte. Dann legte er Rhoegaen den Arm auf die Schulter und nahm ihn ein Stück mit sich, den Weg zurück zum Wald. „Ich mache mir Sorgen um Euren Bruder, Prinz.“
Nur ein Hauch seiner Überraschung blitzte in seinen Augen auf, ansonsten blieb Rhoegaens Miene unbewegt. „Wieso? Er ist ein guter Schwertkämpfer, der beste Kriegstänzer den wir haben.“
„Ja, das weiß ich. Ich habe ihn schließlich ausgebildet. Aber ihm fehlt jede Furcht vor dem Feind Jegliche Art von Respekt vor dem Tod oder auch nur vor der Möglichkeit, verletzt zu werden ist ihm fremd! Er ist einfach zu waghalsig, und das darf ein Anführer nicht sein, und ein Prinz schon gar nicht. Wenn er fallen sollte, dann fällt nicht nur er, sondern der Kampfgeist Deiner ganzen Armee!“
Rhoegaen sah ihm ernst in die grünen Augen. „Rede nicht von dieser Möglichkeit. Seine Stärke kommt aus seinem offensiven Kampfstil. Er ist gut, und Du weißt das. Wenn er tatsächlich fallen sollte, sind wir ohnehin dem Untergang geweiht. Aber ich glaube nicht, dass es irgendjemanden in den Reihen des CHAOS gibt, der es mit ihm aufnehmen kann.“
Markes lachte laut auf. „Ha! Gerade von Dir hätte ich andere Worte erwartet! Du kennst die Kreaturen des CHAOS, wir haben Seite an Seite gegen sie gekämpft! Und diesmal wird es schlimmer sein als je zuvor. Bist Du denn tatsächlich so verblendet von seinen Fähigkeiten? Vielleicht gibt es niemanden, der es mit ihm aufnehmen kann, aber etwas gibt es ganz sicher! Jared mag tödlich sein im Kampf Mann gegen Mann, aber im Krieg gibt es keine Regeln, keinen Schwertkreis, keine Fairness, besonders nicht gegen das CHAOS! Und ihm fehlt die Erfahrung mit echten Schlachten. Bislang hat er gegen nichts wilderes als einen Ork und nichts größeres als einen Troll gekämpft! Er ist auf die Armeen des CHAOS nicht vorbereitet.“
Rhoegaen antwortete mit ruhiger Stimme. „Warst Du denn darauf vorbereitet, als Du zum ersten Mal gegen einen Dämon gekämpft hast? Gegen einen Drachen? Darauf kann man einen Mann nicht vorbereiten, Markes. Man kann ihm nur alles beibringen, was man weiß und hoffen, dass aus ihm ein wahrer Krieger wird.
Es ist ohnehin entschieden. Bleibe Du mit Deinen Kriegern hier und beschütze die Königin. Wir werden in den Krieg ziehen, wir werden das Feuer zum CHAOS tragen. Dir mag das nicht gefallen, aber mein Vater hat so entschieden. Und ich bin seiner Meinung. Du hast es selbst gesagt: dieser Sturm wird schlimmer werden als je ein Krieg zuvor. Daher müssen wir das CHAOS aufhalten, bevor es den Wald erreichen kann. Selbst wenn wir den Sturm hier überstünden, so wäre es doch das Ende vom Wald wie wir ihn jetzt kennen, er wäre verwüstet und öd. Nein, das CHAOS darf niemals bis hierher gelangen und deshalb müssen wir gehen!“
Immer noch zweifelnd umarmte der Schwertmeister seinen einstigen Schüler. „Ich wünsche Dir den Segen des Waldes, mein Prinz. Möge das Kriegsglück auf Deiner Seite weilen.“ Sie drückten sich fest und ließen dann voneinander ab. „Und passe mir gut auf Kaira auf.“
Hätte Rhoegaen den alten Schwertmeister nicht besser gekannt, er hätte in der letzten Bemerkung eine versteckte Drohung gehört. „Ich werde nicht ohne sie zurückkehren.“ versprach er. Ein letztes Mal blickten sie sich in die Augen, nickten sich gegenseitig zu und drehten sich dann um.
Ohne ein weiteres Wort trennten sich die beiden Krieger. Einer ging zurück in Richtung des Waldes, während der andere hinaus auf das hügelige Grasland lief.
Die Zukunft war noch offen und das Kriegsglück würde entscheiden, welcher Weg der richtige war.