WHFB 3. Platz: Wehrpflicht

Elrond de Gravenesse

König von Bretonia
02. August 2001
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38
der dritte Platz 🙂

WEHRPFLICHT
Waaaghboss Loppo

Es begann bereits zu dunkeln, als Bernard das marode Tor aus wurmstichigem Kiefernholz durchschritt. Der Weg zwischen dem elterlichen Hof und dem nächsten Dorf war weit und mühsam. Er war nun drei Stunden unterwegs gewesen; zum zweiten Mal an diesem Tag. Er war müde, verschwitzt und seine Füße schmerzten. So war es stets, wenn er nach Rispare zum Markt ging. Heute hatte es allerdings einen Wolkenbruch gegeben: Bernard war nass bis auf die Haut. Normalerweise ging er nur bei gutem Wetter ins Dorf, aber diesmal war ein Aufschub unmöglich gewesen: Die kleine Joseline, deren Geburt Bernards ältere Schwester erst vor drei Wochen das Leben gekostet hatte, war krank und benötigte Medizin.
Bernard hatte ein Ferkel verkauft, das einzige das die Bauersleute in diesem ausnehmend kalten Frühling am Leben erhalten hatten. Sie hatten gehofft, das Tier behalten zu können, denn die alte Sau würde wahrscheinlich im nächsten Jahr nicht noch einmal werfen. Dem Kleinen hatten sie die letzten Wintervorräte gegeben, damit es möglichst schnell groß und robust wurde und später gesunde Ferkel zur Welt bringen könnte. Bernard selbst hatte sich manchen Bissen vom Munde abgespart um ihn heimlich in den Stall zu tragen, denn das Schweinchen war der wertvollste Besitz der Familie und sollte einst acht Menschen ernähren. Nun war das Tier fort, die Zukunft so unsicher wie nie.
Und doch war es unvermeidbar gewesen. Die Kräuterfrau, die in den Wäldern lebte und stets zum Markttag allerlei Arzneien feilbot, kannte keine Gnade, kein Mitgefühl. Wer ihre Pulver, Säfte und Salben haben wollte, musste in hartem Kupfer bezahlen. Die Leute der Gegend waren oft erzürnt darüber, denn viele konnten sich die lebensnotwendigen Medikamente nicht leisten. Aber insgeheim wussten Alle, dass sie es nicht anders machen würden: Die Alte war auch nicht reich genug um etwas zu verschenken.
Einen Kreuzer hatte sie für Joselines Medizin verlangt. Ein Kreuzer, das war eine große Menge Geld. Aber das Schweinchen hatte genug eingebracht um außerdem ein Huhn und einen Korb schrumpliger Winteräpfel mit nach Hause zu bringen.

Knarrend öffnete sich die Tür zum einzigen Raum des kleinen Hauses. Bernard schloss sie sofort wieder, damit der kalte Wind nicht in die Stube drang. Seine Lieben erwarteten ihn sehnsüchtig: Seine Eltern, die drei jüngeren Schwestern und Madelaine, die blinde Tante.
»Hast du die Arznei, mein Sohn?« Furcht bebte in der Stimme des Vaters. Von Bernards Erfolg hing es ab, ob der wimmernde Säugling, den eine der Schwestern in den Armen hielt, die Nacht überleben würde. Bernard zog das kleine Bündel unter dem Umhang hervor.
»Hier ist es. Mit der Salbe muss viermal am Tag Joselines Brust eingerieben werden, das lindert den Husten. Und mit einem Absud dieses Krautes wird das Fieber gesenkt. Wir sollen außerdem darauf achten dass es stets warm und trocken ist.«
»Dort im Ofen brennen die letzten Holzscheite. Morgen früh musst du in den Wald gehen, einige Äste sammeln. Bis diese trocken sind, wird uns sicherlich ein Nachbar aushelfen. Du machst dich gleich nach Sonnenaufgang auf den Weg.«
»Nein, Vater.« Mehr sagte Bernard nicht. Für einen Moment herrschte Stille. Dann fragte der Bauer streng:
»Nein? Warum nicht, Sohn? Sag mir, warum du kein Holz sammeln willst!«
»Aber Junge« meinte die Mutter beschwichtigend, »was ist denn los mit dir? Du hast etwas auf dem Herzen, das sehe ich dir an!«
»Ach, Frau Mutter... Das Herz wird mir schwer, wenn ich daran denke. Morgen in der Frühe muss ich euch alle verlassen, ob ich will oder nicht! Im Dorf habe ich es erfahren: Der Herzog ruft zu den Waffen, denn die garstigen Grünlinge bedrohen wieder sein Land. Alle wehrfähigen Jünglinge müssen sich morgen auf der Burg einfinden!«
Wieder schwiegen alle. Nur das Kindlein wimmerte leise, als es die scharfen Dämpfe der Salbe atmete. Der Husten schien bereits nachzulassen.
»Das sind schlimme Neuigkeiten« sagte der Vater schließlich, langsam und ruhig. »Wenn der Hohe Herr dich zu sich befiehlt, darfst du dich nicht verweigern. Und doch wird es eine harte Zeit für uns. Du bist unser einziger Sohn. Mutter und ich, wir sind nicht mehr jung, beide über vierzig; und deine Schwestern haben noch keinen Bräutigam. Ich weiß noch nicht, wie wir die Felder bestellen sollen, denn es wird keine Tagelöhner geben solange der Krieg dauert.«
Der Vater hatte Recht. Die Familie war zwar nicht die ärmste in der Gegend, denn wenigstens waren sie keine Leibeigenen. Doch seit Bernards Brüder und sein Schwager an der Pest gestorben waren, fehlte es an kräftigen Armen. Bernard fürchtete um das Wohl seiner Verwandten, die ihm so viel bedeuteten, und nicht zuletzt auch um sich selbst, denn es war ungewiss ob er jemals wiederkehren würde.
Aber trotz aller Bedenken war ein Funke tief in seinem Innern erwacht: Nun bot sich ihm die Möglichkeit, die Heimat zu verlassen und etwas mehr von Bretonia zu sehen als den Hof und das Dörfchen Rispare. Bei aller Scheu, die er verspürte: Das Unbekannte und die Aussicht auf Ruhm und Sieg lockten ihn. Was konnte schon passieren, wenn er für den Herzog und seine edlen Ritter in den Kampf zog? Die Herren auf ihren Rossen, in blinkender Rüstung, bewaffnet mit Lanze und Schwert würden ihre Untertanen schon zu schützen wissen.
An diesem Abend wurde nicht mehr viel gesprochen. Alle dachten über die Zukunft nach, die sie erwartete. Und Alle hatten Angst. Nur Annabelle, die jüngste Schwester, ein wildes Mädchen, das selbst des Vaters Schläge kaum bändigen konnten, beneidete Bernard um all die Abenteuer, die er in Zukunft bestreiten würde.
Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, machte sich der Jüngling auf den Weg zur herzöglichen Burg. Lange winkten seine Lieben ihm nach. Mutter hatte ihm warme Kleidung gegeben und einen halben Laib gutes Brot sowie etwas Käse eingepackt. Am Gürtel neben dem Wasserschauch steckten zwei lange Messer. Diese, zusammen mit dem alten Langbogen und dem beschlagenen Lederwams des Großvaters, gaben Bernard ein Gefühl der Sicherheit. Er freute sich darauf, mit dem Herzog und seinen mutigen Streitern zu ziehen. Selten hatte er sich so frei gefühlt, so bereit zu allen verwegenen Taten, die das Schicksal ihm zugedacht hatte. Wer wusste schon, ob er zum Korporal ernannt würde, vielleicht sogar zum Knappen? Schließlich hatte es Bauern gegeben, die der König sogar mit dem Ritterschlag für ihren Heldenmut belohnt hatte, wenngleich dies nur selten vorkam. Eines Tages würde er, beladen mit Ruhm und reichem Lohn, nach Hause zurückkehren und die Seinen glücklich machen.

Bernard wusste nicht, dass das Glück nicht im Haus seiner Eltern einkehren würde. Die kleine Joseline sollte schon eine Woche später dem gefährlichen Graufieber erliegen. Die alte Tante würde kurz darauf sterben, nachdem sie sich bei der Kleinen angesteckt hatte. Dann würden Räuber kommen, Deserteure aus Bernards Truppe. Sie würden das Vieh wegtreiben und auch die junge Annabelle rauben, damit sich die stinkenden, ungehobelten Kerle mit dem Mädchen einen vergnüglichen Abend machten bevor sie ihren geschundenen Leib einfach im Wald liegen ließen. Schließlich sollte die Pest wieder ausbrechen und die gesamte Familie befallen: Nur der Vater würde mit dem Leben davonkommen, doch würde er sich nie wieder völlig erholen und von nun an als Bettler sein Dasein fristen, stets auf die Rückkehr des Sohnes hoffend. Sein Leichnam würde zwischen den verbrannten Trümmern Rispares liegen, neben Dutzenden anderen, sein kahler Kopf gespalten vom Beil eines Orks. All dies konnte Bernard nicht ahnen. Er wusste auch nicht, dass gerade sein gebleichter Schädel die Bannerspitze dieses Grünlings schmücken würde.

Gegen Mittag sah Bernard in der Ferne die Burg des Herzogs stehen. Trotzig erhoben sich die grauen Mauern und Türme über die Wipfel der Bäume, Wimpel in Blau und Gold flatterten auf den Dächern. Im Tal hatte sich bereits eine ansehnliche Streitmacht versammelt: Vier Dutzend Ritter und fast dreitausend Hellebardiere und Bogenschützen. So eine gewaltige Menschenmenge, etwas so Beeindruckendes wie den Glanz der Sonnenstrahlen, reflektiert von all den Waffen und Rüstungen, hatte er noch nie erblickt. Nun fielen auch die letzten Zweifel von seinem Herzen. Keine Macht der Welt würde eine solche Armee schlagen können!
»Außerdem bin ich alt genug, um auf mich aufzupassen« sagte Bernard zu sich selbst. »Ich bin schließlich schon dreizehn.«
 
Wow! Das ist ja wohl die beste und traurigste geschichte, die ich gelsen habe!
Mal ehrlich, ich verstehe nicht, warum du nicht den erstne platz hast, ich hätte ihn dir gegönnt!

Mich wundert es aber, dass drei von fünf storys in bretonia spielen. Und alle haben keinhappy end! Muss echt ein trauriger landstrich sein <_< :huh: 😀
 
Holla.......... 🙂

Ich bin zwar nicht so der Fan von Bretonia und dem ganzen Gralszeugs...aber die Geschichte hat Stil. Ist zwar schwermütig, aber sehr interessant zu lesen. Ich finde, dass Du dem Leser einen guten Einblick in das Leben eines "Einfachen" von Bretonia vermittelt hast. Es ist eine Story, die das Leben einer Bauernfamilie beschreibt, hart und ungerecht, aber realistisch.

Bravo!!! Weiter so...+++++++

Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung (sofern geplant) :wub:
 
Ich find die Geschichte echt mal genial!

Einfach nur klasse geschrieben, in sich geschlossen und schoen abgerundet. Man kann es sich wahrlich gut vorstellen, was in dem Jungen vorgeht und wie das alles passiert.
Die Darstellung des Kontrasts: Bernards Optimismus und der Realitaet, klasse!

Auch den Blick in die Zukunft.. dann liesst man zu Ende und erfaehrt, dass er erst 13 ist!
Ich find die einfach nur klasse!!!

Ich find sie sogar besser als die erste! Muss ich gestehen :rotanlauf:

Gruss
Mira