Diese Geschichte wurde von Auxo verfasst.
1. Im Jahre des Verbrechens
[Der Rabe Rin am Waldesrand. Re kommt angeflattert. In der Ferne ein Ritter in vollem Galopp.]
Rin: Wer reitet so spät durch Nacht und Sturm?
Re: Es ist ein räudig‘ Menschenwurm.
Rin: Was trägt er verhüllt vor sich auf dem Ross?
Re: Es ist ein zitternd‘ Menschenspross.
Rin: Was ist dem Ritter so angst und bang‘?
Re: Die Zeit wird knapp, der Weg ist lang.
[Einige Zeit später. Die Raben in der Luft, unter ihnen der Ritter.]
Rin: Was stürmt er hinan in Hast und Not,
da in seinen Armen das Kind liegt tot?
Re: Ein ewig‘ Rätsel bleibt mir der Menschen Tun,
nicht mal die Toten lassen sie ruhn‘.
Aus der Tiefe:
[Irgendwo in den Hallen der Ewigkeit. Trauernde Seele.]
Seele: Sein Gesicht getränkt mit Blut, die kleinen Knie zertrümmert,
ist der Menschen höchstes Gut, an bebend‘ Brust verkümmert.
[Erschüttert tritt ein Verblichener auf.]
Geist: Was hat die Uhr geschlagen, dass Menschen sich so plagen,
die Anderen zu richten, sich selber zu vernichten?
Der verzweifelte Ritter:
[An einem einsamen Hügel. Ritter verscharrt das tote Kind. Raben über ihm im Geäst.]
Ritter: Sigmariten im Hass geeint, schimpften sich gläubig, gar rechtschaffen,
zogen wider den innern‘ Feind, griffen zu Harnischen und Waffen,
sie läuterten Weiber und schlugen das Kind,
verstreuten die Leiber im rauschenden Wind,
schleiften das Dorf, ignorierten Gesetze
und alles nur - wegen EINER Hexe.
Re und Rin im Chor: Was für ein Abend, was eine Nacht,
da der Ritter das tot‘ Kind hat gebracht.
[Ritter geht ab. Re und Rin krähen wie irrsinnig.]
2. Die Leiden des Hauptmanns Kurt
Hinter dem mittig postierten, altmodischen Schreibtisch kauerte ein grauhaariger Mann, welcher die faltigen Lider angestrengt zusammenkniff.
Speckig fiel ihm strähniges Haupthaar in das ausgemergelte Gesicht. Ein zerschlissener, vom Zahn der Zeit abgenagter Morgenmantel umschlang seinen schmächtigen, seltsam krumm vornüber gebeugten Körper.
Seine müden Augen versuchte er mit leidlichem Erfolg seinem Willen zu unterwerfen. Immer wieder verschwammen die kunstvoll geschwungenen Lettern vor seiner Nase, verbanden sich zu schwarz-beigen Ornamenten nichtssagenden Inhalts.
Schließlich seufzte der alte Hauptmann, gab sich diesem erdrückend übermächtigen Feind geschlagen und richtete sich auf. Was wollte man auch gegen das Alter kämpfen und sich ernsthaft einbilden, dies mit den Meriten, wie sie einem erfolgreichen Strategen im Formate des Hauptmanns durchaus gebührten, krönen zu können.
‚Es ist absurd, du alter Narr, ‘ schallt Kurt seine Einfalt. ‚Das Leben ist nun mal keine Rotte marodierender Orks. ‘
Trotz seines hohen Alters neigte er nicht selten zu ausufernder Impulsivität. Schon seit fast einem Dutzend Jahren hatte er seinen Dienst quittiert und fristete nun ein elendes Dasein, da er es versäumt hatte, sich in all den Sonnenumläufen im Kielwasser des Krieges nach einer geeigneten Lebensgefährtin umzusehen. Bücher und antike Schriften bildeten seine einzige, ganz und gar klägliche Leidenschaft - wenn man von einer virulenten Schwäche für Alkohol einmal absah.
Manch einer aus den niederen Gesellschaftsschichten, welchen er sich sehr verbunden fühlte, nannte ihn einen
Gelehrten, doch ließen jene dem wahren Wesen des greisen Hauptmanns schwerlich Gerechtigkeit widerfahren. Nicht Philistertum schmückte seine ausschweifenden Tiraden, sondern ein geschliffener Geist, welcher sich in den reißenden Fluten des Lebens immer wieder zu behaupten wusste.
Die abgewetzten Bretter knarrten unter seinen schlurfenden Schritten.
Rotgolden funkelte feinster Altdorfer Roggenbranntwein in dem kleinen Kristallglas am Fenster.
Kurt umklammerte es mit seinen knöchernen Fingern, sog das rauchige Aroma durch die Nase ein, ließ es in seinem Körper wirken, seinen Geist beleben.
Sonnenstrahlen tasteten nach seinem Kopf, hüllten sein Antlitz in milde Wärme.
Mit einem kräftigen Schluck leerte er das Glas. Ein köstlich-kräftiger Getreideextrakt benetzte seine Zunge, ehe der Alkohol wie eine Glutwelle die Speiseröhre hinab strömte und ein bestialisches Brennen hinterließ.
Kurt schüttelte sich. „Himmel und Hölle des totgeweihten Mannes.“
Er schenkte sich nach und leerte auch das zweite Glas in einem Zug. Abwesend starrte er auf das glänzende Gefäß, welches das einfallende Licht prismatisch brach.
Er ließ seinen Gedanken freien Lauf, entglitt in einen Ozean voll Erinnerung und Emotion. Ein Meer ohne Ufer, ein Meer ohne Horizont, ein Meer, das nur in ihm existierte, ganz tief drin und verborgen.
Einst war er ein kühner Mann gewesen. Ordensritter und nach einer beeindruckenden militärischen Karriere hatte er es bis zum Hauptmann der Reiterei zu Altdorf gebracht. Wie in Trance durchschritt sein Bewusstsein einen unsichtbaren Schleier.
Waffengeklirr drang an sein inneres Ohr, das nervöse Schnauben von Pferden.
Plötzlich fand er sich wieder, als junger Reiter inmitten von lodernden Häusern. Der Geruch von verbranntem Fleisch biss in seiner Nase. Blut und Fett der Geschändeten mäanderte knöchelhoch zwischen den Scheiterhaufen, welche von rußqualmenden Feuersäulen zerfressen wurden. Zertrümmerte Glasscherben glitzerten wie Kristalle mitten in all diesem Elend, als wollten sie dieser Ansammlung apokalyptischer Macht mit Zynismus und dekadentem Prunk eine buntscheckige Narrenkappe überstülpen.
Verkohlte Gliedmaßen fütterten die gierigen Flammen, aus welchen hie und da grotesk verzerrte Fratzen stierten.
Hastig griff Kurt nach der Schnapsflasche und spülte seine dunkle Vergangenheit hinab.
‚Süßer Äther sei mein Gast, auf dass du mich vergessen machst. ‘
Er hasste die Demagogen, die Hetzer, welche durch die Straßen zogen, Andersgesinnte verschleppten, vergewaltigten, mordeten, und doch hatte er ihnen einst als Werkzeug gedient. Er hatte sich benutzen lassen, sich dem Unrecht gefügig dargeboten.
„Mari, “ brüllte er mit kratziger Stimme. „Mari.“
Schüchtern schlüpfte die blutjunge Dirne durch den Türspalt.
„Euer Gnaden, “ lispelte sie mit gesenktem Blick.
„Bring mir ‘nen Klaren, “ grummelte er.
„Jawohl mein Herr.“
Lautlos wie auf Samtpfoten entschwand sie.
Der alte Hauptmann erblickte seinen Hirschfänger, den er zur Dekoration über das Fenster gehängt hatte.
Ehrfürchtig griff er nach dem Kurzschwert, welches ihm in seiner Jugend solch formidable Dienste erwiesen hatte.
Kaum spürte er den kalten Stahl zwischen seinen Fingern, als sie ihn schon anstarrten mit ihren eisgrauen Augen. Stumm klagten sie ihn an. Unschuldige Seelen, zu unrecht gerichtet von frommen Teufeln, welche
von ihrer Gerechtigkeit besessen waren.
Er hielt ihn wieder in Händen, den kleinen Jungen, der blutüberströmt an seiner toten Mutter Brust wimmerte. Er hielt ihn wieder unter seinem Arm. Er ritt wieder auf seinem kräftigen Rappen und abermals spürte er,
wie dieses kleine zuckende Bündel seinen Lebensodem aushauchte. Von Neuem erscholl das krächzende, demütigende Hohngelächter über seinem Haupt.
Zorn glomm in seinem Herzen. Abgrundtiefer Zorn, unendlicher Zorn. Ein Hass, welcher seit Jahren unter einer brüchigen Oberfläche gebrodelt hatte.
Kurt wollte einen weiteren Schluck nehmen, doch die Karaffe war leer.
Wutentbrannt schleuderte er sein Glas in die Ecke, dass es barst. Schwer und rasselnd ging sein Atem, fast japste er nach Luft. Wie wahnwitzig raste sein altersschwaches Herz, drosch gegen sein knöchernes Verließ.
Mit seinen ausgelatschten Filzpantoffeln schlurfte Kurt so schnell es eben ging die schmale Treppe hinab ins Parterre.
„Mari, “ grölte er.
Seine Nase leuchtete rubinrot. Kleine Äderchen durchbrachen die dünne, ledrige Haut.
Besorgt kam das Mädchen mit einem Tablett aus der Speisekammer.
Fast flehte sie ihn an: „Mein Herr, Bruder Reimund sagte doch…“
„Was der vermaledeite Bruder sagt, ist mir wurscht, “ schrie Kurt. Spucke troff aus seinem breiten Mund und rann ihm in den ungepflegten Bart. Bebend hob und senkte sich seine Brust.
Ein kräftiger Zug Branntwein heizte sein Gemüt weiter an.
Lüstern packte er Mari am Arm, um sie an sich zu ziehen, doch die Magd konnte sich unter Tränen losreißen, ließ das Tablett fallen und versteckte sich in der Küche. Glucksend ergoss sich Kirschwasser aus der zu Boden gefallenen Flasche über den braunen Läufer.
Es war nicht das erste Mal, dass Kurt seinen Frust ertränkte, doch an diesem Tag war es anders.
Vielleicht waren es die pochenden Trommelschläge, vielleicht die dröhnenden Tempelglocken,
welche ihn so tief in seine Vergangenheit vorstoßen ließen, die Dinge in ihm zum Leben erweckten,
denen er jegliches Vorhandensein bereits abgesprochen hatte.
Weder Frau noch Kinder konnte er sein Eigen nennen und sein Ableben war nurmehr eine Frage der Zeit. Plötzlich schien es ihm, als habe seine dahinsiechende Existenz nur noch einen Sinn.
Mit zittriger Hand legte er seinen rotblauen, ausgeblichenen Offiziersmantel an, schlüpfte in seine schweren Lederstiefel, nahm die rostige Jenny, steckte sie unter seinen Mantel und machte sich auf den Weg.
Verschwommen nahm er die engen, verwinkelten Gassen wahr. Er schwankte mal hierhin, mal dorthin, doch überall verfolgten ihn anprangernde, schmerzverzerrte Grimassen.
Das Schicksal heftete sich wie ein zweiter Schatten an seine Fersen.
Endlich hatte er die kühlen Steingemäuer erreicht. Mit Müh und Not schob er sich durch das Große Portal, wankte durch die Menschenmassen, welche gerade den göttlichen Hochgesängen lauschten,
dann fiel er auf die Knie und streichelte verstört den roten Teppich zu seinen Füßen. Weich und flauschig, flauschig und weich. Der Muff von abertausend Jahren durchbrach die Poren seiner Finger, fraß sich in sein tumoreskes Fleisch.
Er hustete Blut, der Schweiß rann ihm in Strömen über das totenblasse Gesicht.
Irritiert blickte der Lektor von seiner heiligen Schrift auf.
„Für die Bürger von Roßdorf…, “ keuchte Kurt, das zahnlose Gebiss bleckend und in einem ohrenbetäubenden Inferno aus Rauch und Flamme verging der Lektor, die Brust von einer Bleikugel zerfetzt.
Kaum war der Schuss verhallt, ließ Kurt die Pistole fallen, brach zusammen und starb.
Die Verbrechen waren gesühnt und des Hauptmanns Seele glitt hinüber in Morrs ewiges Schattenreich.
3.Altdorfer SchreierMittwoch 9.7
Irrer schießt in Tempel um sich
Am gestrigen Mittwoch wurden überrumpelte Gläubige Zeuge eines bizarren
wie schrecklichen Ereignisses. Zur Mittagsmesse
stürmte ein sturzbetrunkener Fanatiker den Tempel des Sigmar und schoss den
ersten Lektor der Gemeinde, den 81. Jährigen Gabriel Franz nieder, bevor
der Attentäter selbst den Folgen seines übermäßigen Alkoholkonsums erlag.
Augenzeugen berichteten, wie sich der Täter auf den Ort Roßdorf berief
und als Motiv seiner Tat Rache nannte.
Tatsächlich war Franz vor Jahrzehnten an einer Hexenjagd als leitender Inquisitor beteiligt.
Die Zentralverwaltung prüft nun, ob es im Rahmen jener Handlungen, an welchen
womöglich auch der Attentäter beteiligt war,
(seines Zeichens pensionierter Hauptmann; Anm. der Redaktion)
zu exzessiven Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen ist.
Verdächtigungen seitens der Inquisition, nach welchen der Mann Rädelsführer
eines Chaoskultes im Armenviertel gewesen sein könnte, was zu umfangreichen Säuberungsaktionen geführt hätte, ließen sich bedauerlicher Weise nicht erhärten.
wie schrecklichen Ereignisses. Zur Mittagsmesse
stürmte ein sturzbetrunkener Fanatiker den Tempel des Sigmar und schoss den
ersten Lektor der Gemeinde, den 81. Jährigen Gabriel Franz nieder, bevor
der Attentäter selbst den Folgen seines übermäßigen Alkoholkonsums erlag.
Augenzeugen berichteten, wie sich der Täter auf den Ort Roßdorf berief
und als Motiv seiner Tat Rache nannte.
Tatsächlich war Franz vor Jahrzehnten an einer Hexenjagd als leitender Inquisitor beteiligt.
Die Zentralverwaltung prüft nun, ob es im Rahmen jener Handlungen, an welchen
womöglich auch der Attentäter beteiligt war,
(seines Zeichens pensionierter Hauptmann; Anm. der Redaktion)
zu exzessiven Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen ist.
Verdächtigungen seitens der Inquisition, nach welchen der Mann Rädelsführer
eines Chaoskultes im Armenviertel gewesen sein könnte, was zu umfangreichen Säuberungsaktionen geführt hätte, ließen sich bedauerlicher Weise nicht erhärten.
Keine Belege für Bluttat
des Sigmars neue Erkenntnisse. Tatsächlich wurde Roßdorf vor Jahrzenten im Rahmen einer
Hexensäuberung unter dem Befehl Gabriel Franz‘ durchkämmt.
Zeugen, die einen Gewaltexzess belegen hätten können, wurden unglücklicherweise keine
gefunden, da das Dorf an seiner ursprünglichen Stelle nicht mehr auffindbar war.
Ein weiteres Beispiel für die seit Jahren anhaltende Landflucht, so der Sprecher
der Kirche. Der Fall werde somit aufgrund unzureichender Beweislage
zu den Akten gelegt.
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