Amarhul saß hoch in den Wipfeln eines Baumes und blickte auf die beiden Grüntöne, die sein Gesichtsfeld bis hin zum Horizont dominierten. Die Ursache des Ersten war dem Waldelfen wohlbekannt: das tiefe Dunkelgrün des Waldes von Athel Loren, seiner Heimat. Hier war Amarhul geboren, hier würde er eines Tages sterben und bis zu diesem Tage würde er seine Heimat verteidigen. Seit Urzeiten ragten die gewaltigen Bäume, eingebettet in eine üppige Vegetation, dem Himmel entgegen. Nirgends sonst in der Warhammerwelt war ein so dichter Bewuchs der Oberfläche zu finden. Anderorts konkurrierten die verschiedenen Pflanzenarten miteinander um Licht, Nährstoffe und andere lebenswichtige Ressourcen und beschränkten so gegenseitig ihr Wachstum. In diesem besonderen Wald aber herrschten andere Gesetze. Hier arbeiteten die Pflanzen miteinander, bildeten ein riesiges,Netzwerk, das gemeinsam das Maximale aus den verfügbaren Ressourcen herausholte. Dieses wohlgeordnete System war erfüllt von Harmonie und Ordnung, deren Anblick den Elf, der ebenfalls ein Teil des großen Ganzen war, mit Stolz erfüllte.
Doch der zweite Grünton, weit entfernt am Horizont, ließ Sorgenfalten auf Amarhuls ebenem Gesicht erscheinen. Er war von einer deutlich helleren Färbung geprägt und hier und da durchbrach ein metallenes Funkeln die geschlossene grüne Masse. Obwohl es unmöglich schien, wirkte diese ähnlich dicht gepackt wie das Grün seines Heimatwaldes. Der Waldelf wusste, dass dies nur eins bedeuten konnte. Vor ihm lag ein gewaltiger Kriegszug der Orks, chaotisch und unorganisiert, zerstörerisch und gefährlich, das genaue Gegenstück zu seiner geliebten Heimat. Heerscharen der verabscheuungswürdigen Kreaturen walzten über alles, was sich ihnen entgegenstellte, und hinterließen öde, verwüstete Landstriche. Der Elf ließ seinen Blick zum Himmel schweifen, an dem die Sonne von der riesigen aufgewirbelten Staubwolke der Orks erstickt zu werden drohte. Dann sprang er auf den Ast eines der benachbarten Baumriesen hinüber. Kletternd, schwingend und springend bewegte sich Amarhul auf den Waldrand zu, immer der Staubwolke des Waaghs entgegen.
Am Waldrand angekommen, ließ sich der Elf in den Sattel seines wartenden Elfenrosses fallen und preschte hinaus in die hügelige Umgebung. Einige Zeit später erreichte er ein kleines Gehölz in der Nähe des feindlichen Lagers. Noch war die Sonne nicht untergegangen und der Waldelf beschloss, Kurgar auszusenden, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Ein kurzes telepathisches Signal und ein hohes Kreischen erscholl über ihm. Hoch in den Wolken änderte ein schwarzgefiederter Dämmerlichtfalke seine Flugrichtung, legte die Flügel an den schlanken Körper an und stürzte dem Erdboden entgegen. Kurz vor dem Aufprall bremste das Tier seinen Sturzflug ab und landete sanft auf dem ausgestreckten Arm des Elfen. Dieser ließ seinen Geist seine körperlichen Einschränkungen verlassen und tastete nach dem Geist des Falken. Braungrüne Strahlen begannen aus dem Arm Amarhuls hervorzuschießen und verbanden Elf und Tier miteinander. Nachdem er Kurgan seine Wünsche übermittelt hatte, zog sich Amarhul wieder in seine eigene körperliche Existenz zurück und schickte den Falken mit einer aufmunternden Geste seines Armes auf die Reise.
Scheinbar mühelos erhob sich das stolze Tier mit kräftigem Flügelschlag in die Lüfte, um dann in Richtung Orklager abzudrehen. In der Ferne begann die Sonne hinter dem Horizont zu versinken und tauchte die dichte Wolkendecke in ein helles Rot. Die aufgeheizte Abendluft schien zu flimmern und Amarhul kniff die Augen zusammen, um mehr zu erkennen. Unruhe breitete sich in ihm aus, als sich hinter dem zu einem kleinen Punkt am Himmel geschrumpften Falken eine grüne Wolke zu manifestieren begann. Schnell nahm die diffuse Ansammlung an Konturen zu und ein riesiger Kopf, umspielt von glitzerndem Staub manifestierte sich.
„Der Orkschamane zeigt seinen Kameraden zu einem sehr unpassenden Zeitpunkt eine Demonstration seiner Macht“, ging es dem Waldelfen durch den Kopf. Weiter und weiter zog sich die grüne Wolke am Himmel zusammen, verdichtete sich und nahm immer mehr die Gestalt eines großen, geflügelten Wurmes an. Kurgan hatte von der Bedrohung noch nichts mitbekommen, erst auf ein telepathisches Signal von Amarhul hin wandte er den Kopf und reagierte auf die Bedrohung. Mit einer schnellen Körperdrehung glitt er nach rechts weg, um aus der Angriffsreichweite seines Gegners zu kommen. Keinen Moment zu früh, wie Amarhul feststellen musste, denn der gewaltige Kiefer der Kreatur schnappte bereits nach dem kleinen Vogel. Der Elf stand wie angewurzelt, entsetzt von dem schaurigen Schauspiel, das sich ihm am Himmel bot. Die fliegende Gestalt hatte einen beeindruckenden Detailgrad, selbst auf diese Entfernung meinte der Elf, einzelne schimmernde Schuppen von ihr wahrzunehmen. Doch all ihre magische Schönheit konnte nicht über ihre Natur hinwegtäuschen! Sie war eine Kampfmaschine, gekommen, um seinen Freund zu vernichten! Mit angehaltenem Atem sah Amarhul, wie Kurgan mit einem abrupten Haken nach links einer weiteren Attacke des Monsters auswich.
„Flieg höher“, sandte er seinem Gefährten eine Nachricht. Er wusste, der Schamane würde diese Manifestation der unberechenbaren Kräfte, die er für seine Magie nutzte, nicht über eine große Reichweite aufrecht erhalten können. Wenn Kurgan sich nur weit genug entfernte, so würde ihm die Kreatur nicht weiter folgen können. Er war sich nicht sicher, ob er seinen Gefährten in einem Kampf gegen dieses magische Etwas mit seinem Bogen unterstützen konnte. Der gewaltige Körper von Kurgans Gegner krümmte sich, um sich im nächsten Moment zu einer neuen Attacke vollends zu strecken und den kleinen Vogel zwischen seinen Zähnen zu zermalmen. Ein weiteres Mal schaffte Kurgan es, der Attacke auszuweichen, aber es war äußerst knapp gewesen. Der Dämmerlichtfalke hatte Federn lassen müssen und zwei ausgerissene Exemplare wogten im Wind hin und her. Gebannt starrte Amarhul in den Himmel, wo das grüne Wesen nun eine neue Attacke startete und den rechten Flügel des Falken erwischte. Die kräftigen Zähne packten zu, erwischten aber nur den äußeren Rand der Schwungfedern. Doch dies reichte bereits aus. Mit einer schnellen Kopfbewegung wirbelte es herum und schleuderte den Falken in tiefere Luftschichten. Drohend positionierte sich die Kreatur über ihm.
Instinktiv riss der Elf seinen Bogen von der Schulter und legte in einer fließenden Bewegung einen Pfeil auf die Sehne. Er spannte den Bogen, zielte und schoss. Über ihm trudelte der Falke benommen hin und her, noch nicht wieder fähig, sich zu orientieren. Darüber krümmte sich die magische Kreatur, bereit für die letzte, alles entscheidende Attacke! Bevor sie jedoch zuschlagen konnte, fuhr der Pfeil direkt in ihren Bauch. Zu Amarhuls Freude konnte er der Kreatur schaden. Beginnend vom Bauch aus, begann sie sich aufzulösen, Stück für Stück von ihr verpuffte in kleinen Wolken grüner Energie. Kurgan, der sich mittlerweile gefangen hatte, schoss davon, um aus der Reichweite seines getroffenen Gegners zu gelangen. Angeschlagen folgte die Kreatur und dem Elf am Boden bot sich ein bizarres Schauspiel. Beginnend von der Wunde im Bauch, die der Pfeil verursacht hatte, löste sich die Kreatur zu beiden Enden hin auf. Verwirrt registrierte der Waldelf, dass ein Kopf und ein Schwanz, ohne Verbindung zueinander und von unsichtbaren Schwingen angetrieben, seinen Gefährten verfolgten. Der leere Zwischenraum zwischen den beiden Enden vergrößerte sich in der gleichen Geschwindigkeit wie sich die Kreatur langsam auflöste. Amarhul fiel ein Stein vom Herzen, die Kreatur würde Kurgar nicht mehr erreichen, er war gerettet!
Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, da bäumte sich das Wesen noch ein letztes Mal auf und spie in einer trotzigen Aktion eine Wolke grünlichen, giftigen Nebels aus, die den kleinen Falken umhüllte. Scheinbar durch diese Aktion sämtlicher verbliebenen Kraft beraubt, verpufften die letzten manifestierten Bereiche des magischen Wesens gemeinsam mit dessen Atemattacke. Kurgan jedoch stürzte, mit verätzten Lungen und nicht mehr in der Lage zu atmen, dem Boden entgegen. Ohne einen Gedanken an die Gefahr für ihn selbst zu verschwenden tastete Amarhul nach dem Geist seines Freundes. Trotz der großen Entfernung fand er ihn und ging die Verbindung ein. Ein heftiger Schmerz drohte den Elfen zu überwältigen, doch die Zähne zusammenbeißend überwand er die Todespein und nahm den Schmerz an. Kurgan, dadurch etwas von der Last der Schmerzen befreit, sammelte seine Kräfte, bremste den Sturz und schaffte es schließlich, in der Nähe von Amarhul zu landen. Ein letzter Gruß, dann löste Kurgan unmissverständlich die Verbindung. Wieder zurück in seinem Körper rappelte sich der Waldelf verwirrt auf und rannte nach einem kurzen Moment der Orientierung die wenigen Schritte zu seinem gefallenen Kameraden hinüber. Neben ihm zu Boden sinkend stiegen ihm Tränen in die Augen. Ein letztes Mal spürte er den klugen Blick des Tieres auf sich gerichtet, dann erlosch das Lebenslicht aus dessen Augen.
Der Aufgang der Sonne war noch einige Stunden entfernt, als Amarhul von seinem Lager aufstand und sich auf den Weg machte. Der Wald hatte gelitten unter den Äxten der Orks, doch schließlich hatten die Elfen gemeinsam mit ihren geisterhaften Bundesgenossen die Eindringlinge vertreiben können. Doch der sonst so vor Leben pulsierende Wald wirkte in dieser Nacht selbst für den Elfen bedrohlich!
Durch ein kleines Wolkenloch lugte der Mond hervor und tauchte die Landschaft in ein geisterhaftes Licht. Dichte Nebelschwaden bedeckten den Waldboden, daraus hervorbrechende, graue Fäden schienen, Geisterfingern gleich, nach den Beinen des Elfen zu greifen. Eine tödliche Stille hatte sich wie der Nebel über den Wald gelegt, und schien nahezu jedes Geräusch zu ersticken. Trotzdem fanden die Füße Amarhuls sicher und ohne zu zögern bei jedem Tritt Halt und führten ihn weiter seinem Ziel entgegen.
Der Elf spürte den leicht feuchten Waldboden unter seinen Fußsohlen, der diese nur ungern loszulassen schien. Ein leises, schmatzendes Geräusch ertönte, wenn er seinen Fuß erneut aus der Umarmung des Bodens zog. Geschickt schwang sich der Elf durch das immer dichter werdende Dickicht, sorgsam darauf bedacht, keiner der Pflanzen bei seinen Bewegungen übermäßigen Schaden zuzufügen. Er war diese Strecke in letzter Zeit oft gegangen. Jedes Mal auf einem etwas anderen Weg, um die Belastung für die umgebenden Lebewesen möglichst gering zu halten.
Plötzlich wich der Wald auf beiden Seiten zurück und Amarhul erreichte sein Ziel. Eine kleine Lichtung, gerade so groß, dass die scharfen Augen des Elfen noch ihr Ende im dichten Nebel ausmachen konnten. Direkt neben ihm thronte ein Menhir, über den sich eine grünlich schimmernde Flüssigkeit ergoss und in den Boden sickerte. Noch bevor sie verschwunden war, erschien eine neue Welle an der Spitze des Menhirs und schwappte nach unten. Wenige Schritte neben dem Stein kniete Amarhul im Gras nieder. Er schloss seine Augen und spürte die Energie des Waldes unter sich. Eine pulsierende Energie, in ständigem Fluss begriffen, die jegliches Lebewesen hier durchdrang und sie untereinander zu einem großen Ganzen verband. Hier gab es keine Gegenwart, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Es befand sich alles in einem beständigen Vorgang des Werdens und Vergehens inbegriffen, beide Prozesse ewiglich angetrieben durch die sie durchfließende Energie.
Vorsichtig legte Amarhul seine Handflächen auf die Oberfläche des Waldbodens und gab sich der Verbindung hin. Nach kurzer Zeit begannen sich braungrüne Stränge aus dem Boden empor zu schlängeln und nach dem Elfen zu greifen. In seinen Handflächen spürte Amarhul ein erstes leichtes Kribbeln, wehrte sich jedoch nicht. Es fühlte sich an, als ob in seine Händen winzige Löcher gebohrt wurden und winzige Ausstülpungen der pulsierenden Energie über diese in den Elfen vordrangen. Mit der Zeit bildeten sich überall auf seinen Handflächen solche Verbindungen zwischen dem Elf und dem Wald. Jedes seiner Körperteile, das Kontakt mit dem Boden hatte, stimmte in dieses Gefühl ein. Die winzigen Kontaktpunkte verbreiterten sich aufgrund der durch sie eindringenden Energie, nahmen an Größe zu und wuchsen immer weiter. Schließlich verbanden sich die einzelnen Löcher und bildeten immer größer werdende Verbindungen zwischen dem Wald und dem Elfen. Ein warmes Kribbeln erfüllte ihn und drang immer weiter in seinen Körper vor. Verzückt warf der Elf den Kopf in den Nacken und ein leises Stöhnen entrann seiner Kehle. Langsam aber sicher begann das, was der Elf für sein eigenes Ich, seine individuellen Erkenntnisse, Erlebnisse, Eindrücke und Taten hielt, ja alles was ihn direkt definierte, aus ihm hinaus zu fließen und sich in der großen Einheit zu verlieren. Ein Schwall an Eindrücken drang auf den elfischen Verstand ein, drohte ihn zu überkommen und auszulöschen. Süß war die Verlockung, sich der Einheit völlig hinzugeben und ganz in ihr aufzugehen. Doch noch wehrte Amarhul sich. Er klammerte sich an sein Ich, versuchte, seinen Geist und seine Sinne beisammen zu halten, und floss als schwach abgegrenztes Wesen in dem ewigen Fluss dahin. Dieser trug ihn zur Mitte der kleinen Lichtung hin und mit einer letzten Willensanstrengung nahm sein Geist den ihn umgebenden Bereich war. Er suchte nach Unregelmäßigkeiten, Stellen, an denen der Fluss gestört war, die nicht durch ihn durchflutet wurden. Doch da war nichts, alles befand sich im Gleichgewicht zwischen Werden und Vergehen. Hätte der Geist Amarhuls noch eine körperliche Form gehabt, sie hätte wohl sanft gelächelt, als ein letzter Gedanke durch seinen Geist schoss. Dann gab sich Amarhul der Verbindung hin und löste sich völlig in ihr auf.
Als sich Amarhuls Geist wieder aus der Einheit löste und zurück in seinen Körper strömte, wurde es bereits hell. Wie immer, wenn er sich verbunden hatte, fühlte er sich erfrischt, obwohl er keinerlei Erinnerungen an die Zeit in der Einheit hatte. Die Energie des Waldes strömte noch immer pulsierend durch ihn hindurch und erfüllte ihn mit neuer Kraft. Die Sonne ging gerade über dem Horizont auf, vertrieb die Schatten der Nacht und schickte sich an, die letzten Nebelschwaden aufzulösen. Wiederum schloss Amarhul die Augen, doch diesmal suchte er nicht die Verbindung mit dem Wald. Er war in Gedanken bei Kurgan, seinem Gefährten, den er hier vor einigen Wochen begraben hatte. Er, der nun endgültig wieder in die Einheit zurückgekehrt war. Er hatte es gespürt, der Fluss war nicht mehr wie all die Tage zuvor unterbrochen gewesen, dort, wo Amarhul dessen sterbliche Überreste der Erde zurückgegeben hatte. Die Natur hatte sich genommen, was sie einst gegeben hatte und den Körper des Falkens tief in ihren Schoß gebettet.
Obwohl Amarhul schon viele Gefährten vor Kurgan gehabt hatte, war dieser etwas Besonderes gewesen. Andererseits war sich Amarhul nicht sicher, ob er dies, während die Schmerzen des Verlustes noch frisch waren, nicht über jeden seiner Gefährten gesagt hatte. Sie waren alle wundervolle Tiere gewesen, doch es schien, als ob ihn mit dem Falken ein besonderes inniges Vertrauensverhältnis verbunden hatte. Mit jeder eingegangenen Verbindung hatte sich das gegenseitige Vertrauen zwischen ihm und Kurgan gesteigert. Sie hatten die Probleme und Wünsche des Anderen gekannt und sich geholfen, wo es ihnen möglich gewesen war. Viele schöne Erinnerungen durchfluteten seinen Geist, aber auch einige bittere. So kurz nach dem Tod seines Gefährten dominierte allerdings die tiefgreifende Erfahrung, die er kurz vor dem Tode Kurgans erlebt und die ihn tief erschüttert hatte. Er hatte dem Tod direkt ins Auge gesehen, hatte gespürt, wie er an Kurgan und damit aufgrund der Verbindung auch an ihm zerrte, ihn mit in das Verderben ziehen wollte. Doch sie hatten ein letztes Mal gemeinsam standgehalten und so war es Kurgan möglich gewesen, Amarhul anzusteuern, sodass dieser schlussendlich seine sterbliche Hülle der geweihten Erde übergeben, und sein unsterblicher Teil, die Seele, erneut in der Einheit aufgehen konnte. Eines Tages würde er in einem neuen Leben wiederkehren. Amarhul selbst konnte nun aber mit Kurgar abschließen, konnte ihn gehenlassen und sich wieder seiner selbst zuwenden. Der letzte Dienst für Kurgan war erfüllt. „Du bist zu Hause, mein Freund!“, flüsterte er leise, und brachte so den letzten Gedanke, den er vor der endgültigen Vereinigung mit der Einheit hatte, in Worte. Mit einem Lächeln auf den Lippen stand er auf und verschwand im Wald, der von den Geräuschen erfüllenden Lebens erfüllt war.
Doch der zweite Grünton, weit entfernt am Horizont, ließ Sorgenfalten auf Amarhuls ebenem Gesicht erscheinen. Er war von einer deutlich helleren Färbung geprägt und hier und da durchbrach ein metallenes Funkeln die geschlossene grüne Masse. Obwohl es unmöglich schien, wirkte diese ähnlich dicht gepackt wie das Grün seines Heimatwaldes. Der Waldelf wusste, dass dies nur eins bedeuten konnte. Vor ihm lag ein gewaltiger Kriegszug der Orks, chaotisch und unorganisiert, zerstörerisch und gefährlich, das genaue Gegenstück zu seiner geliebten Heimat. Heerscharen der verabscheuungswürdigen Kreaturen walzten über alles, was sich ihnen entgegenstellte, und hinterließen öde, verwüstete Landstriche. Der Elf ließ seinen Blick zum Himmel schweifen, an dem die Sonne von der riesigen aufgewirbelten Staubwolke der Orks erstickt zu werden drohte. Dann sprang er auf den Ast eines der benachbarten Baumriesen hinüber. Kletternd, schwingend und springend bewegte sich Amarhul auf den Waldrand zu, immer der Staubwolke des Waaghs entgegen.
Am Waldrand angekommen, ließ sich der Elf in den Sattel seines wartenden Elfenrosses fallen und preschte hinaus in die hügelige Umgebung. Einige Zeit später erreichte er ein kleines Gehölz in der Nähe des feindlichen Lagers. Noch war die Sonne nicht untergegangen und der Waldelf beschloss, Kurgar auszusenden, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Ein kurzes telepathisches Signal und ein hohes Kreischen erscholl über ihm. Hoch in den Wolken änderte ein schwarzgefiederter Dämmerlichtfalke seine Flugrichtung, legte die Flügel an den schlanken Körper an und stürzte dem Erdboden entgegen. Kurz vor dem Aufprall bremste das Tier seinen Sturzflug ab und landete sanft auf dem ausgestreckten Arm des Elfen. Dieser ließ seinen Geist seine körperlichen Einschränkungen verlassen und tastete nach dem Geist des Falken. Braungrüne Strahlen begannen aus dem Arm Amarhuls hervorzuschießen und verbanden Elf und Tier miteinander. Nachdem er Kurgan seine Wünsche übermittelt hatte, zog sich Amarhul wieder in seine eigene körperliche Existenz zurück und schickte den Falken mit einer aufmunternden Geste seines Armes auf die Reise.
Scheinbar mühelos erhob sich das stolze Tier mit kräftigem Flügelschlag in die Lüfte, um dann in Richtung Orklager abzudrehen. In der Ferne begann die Sonne hinter dem Horizont zu versinken und tauchte die dichte Wolkendecke in ein helles Rot. Die aufgeheizte Abendluft schien zu flimmern und Amarhul kniff die Augen zusammen, um mehr zu erkennen. Unruhe breitete sich in ihm aus, als sich hinter dem zu einem kleinen Punkt am Himmel geschrumpften Falken eine grüne Wolke zu manifestieren begann. Schnell nahm die diffuse Ansammlung an Konturen zu und ein riesiger Kopf, umspielt von glitzerndem Staub manifestierte sich.
„Der Orkschamane zeigt seinen Kameraden zu einem sehr unpassenden Zeitpunkt eine Demonstration seiner Macht“, ging es dem Waldelfen durch den Kopf. Weiter und weiter zog sich die grüne Wolke am Himmel zusammen, verdichtete sich und nahm immer mehr die Gestalt eines großen, geflügelten Wurmes an. Kurgan hatte von der Bedrohung noch nichts mitbekommen, erst auf ein telepathisches Signal von Amarhul hin wandte er den Kopf und reagierte auf die Bedrohung. Mit einer schnellen Körperdrehung glitt er nach rechts weg, um aus der Angriffsreichweite seines Gegners zu kommen. Keinen Moment zu früh, wie Amarhul feststellen musste, denn der gewaltige Kiefer der Kreatur schnappte bereits nach dem kleinen Vogel. Der Elf stand wie angewurzelt, entsetzt von dem schaurigen Schauspiel, das sich ihm am Himmel bot. Die fliegende Gestalt hatte einen beeindruckenden Detailgrad, selbst auf diese Entfernung meinte der Elf, einzelne schimmernde Schuppen von ihr wahrzunehmen. Doch all ihre magische Schönheit konnte nicht über ihre Natur hinwegtäuschen! Sie war eine Kampfmaschine, gekommen, um seinen Freund zu vernichten! Mit angehaltenem Atem sah Amarhul, wie Kurgan mit einem abrupten Haken nach links einer weiteren Attacke des Monsters auswich.
„Flieg höher“, sandte er seinem Gefährten eine Nachricht. Er wusste, der Schamane würde diese Manifestation der unberechenbaren Kräfte, die er für seine Magie nutzte, nicht über eine große Reichweite aufrecht erhalten können. Wenn Kurgan sich nur weit genug entfernte, so würde ihm die Kreatur nicht weiter folgen können. Er war sich nicht sicher, ob er seinen Gefährten in einem Kampf gegen dieses magische Etwas mit seinem Bogen unterstützen konnte. Der gewaltige Körper von Kurgans Gegner krümmte sich, um sich im nächsten Moment zu einer neuen Attacke vollends zu strecken und den kleinen Vogel zwischen seinen Zähnen zu zermalmen. Ein weiteres Mal schaffte Kurgan es, der Attacke auszuweichen, aber es war äußerst knapp gewesen. Der Dämmerlichtfalke hatte Federn lassen müssen und zwei ausgerissene Exemplare wogten im Wind hin und her. Gebannt starrte Amarhul in den Himmel, wo das grüne Wesen nun eine neue Attacke startete und den rechten Flügel des Falken erwischte. Die kräftigen Zähne packten zu, erwischten aber nur den äußeren Rand der Schwungfedern. Doch dies reichte bereits aus. Mit einer schnellen Kopfbewegung wirbelte es herum und schleuderte den Falken in tiefere Luftschichten. Drohend positionierte sich die Kreatur über ihm.
Instinktiv riss der Elf seinen Bogen von der Schulter und legte in einer fließenden Bewegung einen Pfeil auf die Sehne. Er spannte den Bogen, zielte und schoss. Über ihm trudelte der Falke benommen hin und her, noch nicht wieder fähig, sich zu orientieren. Darüber krümmte sich die magische Kreatur, bereit für die letzte, alles entscheidende Attacke! Bevor sie jedoch zuschlagen konnte, fuhr der Pfeil direkt in ihren Bauch. Zu Amarhuls Freude konnte er der Kreatur schaden. Beginnend vom Bauch aus, begann sie sich aufzulösen, Stück für Stück von ihr verpuffte in kleinen Wolken grüner Energie. Kurgan, der sich mittlerweile gefangen hatte, schoss davon, um aus der Reichweite seines getroffenen Gegners zu gelangen. Angeschlagen folgte die Kreatur und dem Elf am Boden bot sich ein bizarres Schauspiel. Beginnend von der Wunde im Bauch, die der Pfeil verursacht hatte, löste sich die Kreatur zu beiden Enden hin auf. Verwirrt registrierte der Waldelf, dass ein Kopf und ein Schwanz, ohne Verbindung zueinander und von unsichtbaren Schwingen angetrieben, seinen Gefährten verfolgten. Der leere Zwischenraum zwischen den beiden Enden vergrößerte sich in der gleichen Geschwindigkeit wie sich die Kreatur langsam auflöste. Amarhul fiel ein Stein vom Herzen, die Kreatur würde Kurgar nicht mehr erreichen, er war gerettet!
Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, da bäumte sich das Wesen noch ein letztes Mal auf und spie in einer trotzigen Aktion eine Wolke grünlichen, giftigen Nebels aus, die den kleinen Falken umhüllte. Scheinbar durch diese Aktion sämtlicher verbliebenen Kraft beraubt, verpufften die letzten manifestierten Bereiche des magischen Wesens gemeinsam mit dessen Atemattacke. Kurgan jedoch stürzte, mit verätzten Lungen und nicht mehr in der Lage zu atmen, dem Boden entgegen. Ohne einen Gedanken an die Gefahr für ihn selbst zu verschwenden tastete Amarhul nach dem Geist seines Freundes. Trotz der großen Entfernung fand er ihn und ging die Verbindung ein. Ein heftiger Schmerz drohte den Elfen zu überwältigen, doch die Zähne zusammenbeißend überwand er die Todespein und nahm den Schmerz an. Kurgan, dadurch etwas von der Last der Schmerzen befreit, sammelte seine Kräfte, bremste den Sturz und schaffte es schließlich, in der Nähe von Amarhul zu landen. Ein letzter Gruß, dann löste Kurgan unmissverständlich die Verbindung. Wieder zurück in seinem Körper rappelte sich der Waldelf verwirrt auf und rannte nach einem kurzen Moment der Orientierung die wenigen Schritte zu seinem gefallenen Kameraden hinüber. Neben ihm zu Boden sinkend stiegen ihm Tränen in die Augen. Ein letztes Mal spürte er den klugen Blick des Tieres auf sich gerichtet, dann erlosch das Lebenslicht aus dessen Augen.
Der Aufgang der Sonne war noch einige Stunden entfernt, als Amarhul von seinem Lager aufstand und sich auf den Weg machte. Der Wald hatte gelitten unter den Äxten der Orks, doch schließlich hatten die Elfen gemeinsam mit ihren geisterhaften Bundesgenossen die Eindringlinge vertreiben können. Doch der sonst so vor Leben pulsierende Wald wirkte in dieser Nacht selbst für den Elfen bedrohlich!
Durch ein kleines Wolkenloch lugte der Mond hervor und tauchte die Landschaft in ein geisterhaftes Licht. Dichte Nebelschwaden bedeckten den Waldboden, daraus hervorbrechende, graue Fäden schienen, Geisterfingern gleich, nach den Beinen des Elfen zu greifen. Eine tödliche Stille hatte sich wie der Nebel über den Wald gelegt, und schien nahezu jedes Geräusch zu ersticken. Trotzdem fanden die Füße Amarhuls sicher und ohne zu zögern bei jedem Tritt Halt und führten ihn weiter seinem Ziel entgegen.
Der Elf spürte den leicht feuchten Waldboden unter seinen Fußsohlen, der diese nur ungern loszulassen schien. Ein leises, schmatzendes Geräusch ertönte, wenn er seinen Fuß erneut aus der Umarmung des Bodens zog. Geschickt schwang sich der Elf durch das immer dichter werdende Dickicht, sorgsam darauf bedacht, keiner der Pflanzen bei seinen Bewegungen übermäßigen Schaden zuzufügen. Er war diese Strecke in letzter Zeit oft gegangen. Jedes Mal auf einem etwas anderen Weg, um die Belastung für die umgebenden Lebewesen möglichst gering zu halten.
Plötzlich wich der Wald auf beiden Seiten zurück und Amarhul erreichte sein Ziel. Eine kleine Lichtung, gerade so groß, dass die scharfen Augen des Elfen noch ihr Ende im dichten Nebel ausmachen konnten. Direkt neben ihm thronte ein Menhir, über den sich eine grünlich schimmernde Flüssigkeit ergoss und in den Boden sickerte. Noch bevor sie verschwunden war, erschien eine neue Welle an der Spitze des Menhirs und schwappte nach unten. Wenige Schritte neben dem Stein kniete Amarhul im Gras nieder. Er schloss seine Augen und spürte die Energie des Waldes unter sich. Eine pulsierende Energie, in ständigem Fluss begriffen, die jegliches Lebewesen hier durchdrang und sie untereinander zu einem großen Ganzen verband. Hier gab es keine Gegenwart, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Es befand sich alles in einem beständigen Vorgang des Werdens und Vergehens inbegriffen, beide Prozesse ewiglich angetrieben durch die sie durchfließende Energie.
Vorsichtig legte Amarhul seine Handflächen auf die Oberfläche des Waldbodens und gab sich der Verbindung hin. Nach kurzer Zeit begannen sich braungrüne Stränge aus dem Boden empor zu schlängeln und nach dem Elfen zu greifen. In seinen Handflächen spürte Amarhul ein erstes leichtes Kribbeln, wehrte sich jedoch nicht. Es fühlte sich an, als ob in seine Händen winzige Löcher gebohrt wurden und winzige Ausstülpungen der pulsierenden Energie über diese in den Elfen vordrangen. Mit der Zeit bildeten sich überall auf seinen Handflächen solche Verbindungen zwischen dem Elf und dem Wald. Jedes seiner Körperteile, das Kontakt mit dem Boden hatte, stimmte in dieses Gefühl ein. Die winzigen Kontaktpunkte verbreiterten sich aufgrund der durch sie eindringenden Energie, nahmen an Größe zu und wuchsen immer weiter. Schließlich verbanden sich die einzelnen Löcher und bildeten immer größer werdende Verbindungen zwischen dem Wald und dem Elfen. Ein warmes Kribbeln erfüllte ihn und drang immer weiter in seinen Körper vor. Verzückt warf der Elf den Kopf in den Nacken und ein leises Stöhnen entrann seiner Kehle. Langsam aber sicher begann das, was der Elf für sein eigenes Ich, seine individuellen Erkenntnisse, Erlebnisse, Eindrücke und Taten hielt, ja alles was ihn direkt definierte, aus ihm hinaus zu fließen und sich in der großen Einheit zu verlieren. Ein Schwall an Eindrücken drang auf den elfischen Verstand ein, drohte ihn zu überkommen und auszulöschen. Süß war die Verlockung, sich der Einheit völlig hinzugeben und ganz in ihr aufzugehen. Doch noch wehrte Amarhul sich. Er klammerte sich an sein Ich, versuchte, seinen Geist und seine Sinne beisammen zu halten, und floss als schwach abgegrenztes Wesen in dem ewigen Fluss dahin. Dieser trug ihn zur Mitte der kleinen Lichtung hin und mit einer letzten Willensanstrengung nahm sein Geist den ihn umgebenden Bereich war. Er suchte nach Unregelmäßigkeiten, Stellen, an denen der Fluss gestört war, die nicht durch ihn durchflutet wurden. Doch da war nichts, alles befand sich im Gleichgewicht zwischen Werden und Vergehen. Hätte der Geist Amarhuls noch eine körperliche Form gehabt, sie hätte wohl sanft gelächelt, als ein letzter Gedanke durch seinen Geist schoss. Dann gab sich Amarhul der Verbindung hin und löste sich völlig in ihr auf.
Als sich Amarhuls Geist wieder aus der Einheit löste und zurück in seinen Körper strömte, wurde es bereits hell. Wie immer, wenn er sich verbunden hatte, fühlte er sich erfrischt, obwohl er keinerlei Erinnerungen an die Zeit in der Einheit hatte. Die Energie des Waldes strömte noch immer pulsierend durch ihn hindurch und erfüllte ihn mit neuer Kraft. Die Sonne ging gerade über dem Horizont auf, vertrieb die Schatten der Nacht und schickte sich an, die letzten Nebelschwaden aufzulösen. Wiederum schloss Amarhul die Augen, doch diesmal suchte er nicht die Verbindung mit dem Wald. Er war in Gedanken bei Kurgan, seinem Gefährten, den er hier vor einigen Wochen begraben hatte. Er, der nun endgültig wieder in die Einheit zurückgekehrt war. Er hatte es gespürt, der Fluss war nicht mehr wie all die Tage zuvor unterbrochen gewesen, dort, wo Amarhul dessen sterbliche Überreste der Erde zurückgegeben hatte. Die Natur hatte sich genommen, was sie einst gegeben hatte und den Körper des Falkens tief in ihren Schoß gebettet.
Obwohl Amarhul schon viele Gefährten vor Kurgan gehabt hatte, war dieser etwas Besonderes gewesen. Andererseits war sich Amarhul nicht sicher, ob er dies, während die Schmerzen des Verlustes noch frisch waren, nicht über jeden seiner Gefährten gesagt hatte. Sie waren alle wundervolle Tiere gewesen, doch es schien, als ob ihn mit dem Falken ein besonderes inniges Vertrauensverhältnis verbunden hatte. Mit jeder eingegangenen Verbindung hatte sich das gegenseitige Vertrauen zwischen ihm und Kurgan gesteigert. Sie hatten die Probleme und Wünsche des Anderen gekannt und sich geholfen, wo es ihnen möglich gewesen war. Viele schöne Erinnerungen durchfluteten seinen Geist, aber auch einige bittere. So kurz nach dem Tod seines Gefährten dominierte allerdings die tiefgreifende Erfahrung, die er kurz vor dem Tode Kurgans erlebt und die ihn tief erschüttert hatte. Er hatte dem Tod direkt ins Auge gesehen, hatte gespürt, wie er an Kurgan und damit aufgrund der Verbindung auch an ihm zerrte, ihn mit in das Verderben ziehen wollte. Doch sie hatten ein letztes Mal gemeinsam standgehalten und so war es Kurgan möglich gewesen, Amarhul anzusteuern, sodass dieser schlussendlich seine sterbliche Hülle der geweihten Erde übergeben, und sein unsterblicher Teil, die Seele, erneut in der Einheit aufgehen konnte. Eines Tages würde er in einem neuen Leben wiederkehren. Amarhul selbst konnte nun aber mit Kurgar abschließen, konnte ihn gehenlassen und sich wieder seiner selbst zuwenden. Der letzte Dienst für Kurgan war erfüllt. „Du bist zu Hause, mein Freund!“, flüsterte er leise, und brachte so den letzten Gedanke, den er vor der endgültigen Vereinigung mit der Einheit hatte, in Worte. Mit einem Lächeln auf den Lippen stand er auf und verschwand im Wald, der von den Geräuschen erfüllenden Lebens erfüllt war.
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