[Archiv] [Storywettbewerb Frühjahr 11] [WHFantasy] "Im Namen der Rache" — PLATZ 2
Diese Geschichte erreichte den 2. Platz und wurde von Auxo geschrieben.
Mühsam ächzte der Korsar in der unruhigen, graubleichen See. Es waren nicht die Furten der sanft dahin strömenden Brienne, die einen rubingrün und mädchenhaft lispelnd erwarteten; hier pulsierte das kraftvolle Herz des großen Ozeans, vollzog sein ewiges Manöver, dem Seemann zum Trotz. Möwen kreisten kreischend, doch Suchàrd konnte sie nicht erkennen. Er stand auf dem Achterdeck, lauschte angestrengt in die Morgenluft, spähte, doch der zähe Nebel schluckte jedes ferne Geräusch, raubte jede Sicht. Wie verwischte Graphitschraffuren, tausendfach hintereinandergereiht und blassradiert, umhüllte eine Wand aus trübem Nass das Schiff. Grimmig stemmte sich Suchàrd mit beiden gepanzerten Fäusten auf die Brüstung, leckte sich die Lippen und schmeckte das allgegenwärtige Salz auf der Zunge. Der Bug senkte sich und brach knarzend durch eine der unzähligen Wellen. Vögel waren das untrügliche Zeichen, dass sie nahe der Küste kreuzten. Die Gemeinen wuselten über Deck – ein hölzerner Eimer kullerte polternd zwischen ihren Füßen hin und her – luden die Geschütze, kletterten in die Hauptwanten. Korporale brüllten Befehle über die Planken, trieben das dreckige Bauernpack zur Arbeit. Ihre zerfetzten Hemden und ihre hündischen Körper machten sie zu einem Gegenstand der Verachtung in den Augen eines jeden bretonischen Edlen. Auch Suchàrd konnte nicht umhin, diese zwar nützliche, doch in eben jenem Maße elende, ja räudige, Läuse verpestete, nach Fusel und Scheiße stinkende Masse verkrüppelter Gestalten aus tiefstem Herzen zu verabscheuen. Die Herrin hatte dem Ritter die Bauern geschenkt, auf dass sie seine Felder bestellten, sein Holz schlugen und eben auch als Matrosen anheuerten oder zur Verteidigung der Ländereien ihres Lehnsherrn in die Schlacht zogen. Sie waren Dreck, doch – zugegeben – nützlicher Dreck und als Geschenk der Herrin musste man sie vor Gefahren schützen, ihre blanke Existenz bewahren, sie vor noch größerem Abschaum erretten. Abwesend, mit starrem Blick pfiff Suchàrd säuselnd durch die Zähne, dann griff er nach einem Oktanten, fingerte daran herum, dann legte er ihn – nutzlos wie er in jenem Moment eben war – wieder beiseite. Seekarten und Sternbilder halfen nichts, Navigation im handwerklichen Sinne unmöglich und nur der inbrünstige Glaube an die Herrin konnte Suchàrd den rechten Weg weisen.
Sie tappten im Dunkeln. Der Nebel schirmte sie vor unliebsamen Blicken ab, doch machte er sie auch blind gegen die Tücken des Ozeans. Es war eine zweischneidige Klinge, derer er sich bediente, und wäre er sich des Segens der Herrin nicht sicher gewesen, er hätte diese Waffe nicht gebraucht, die ganze Odyssee wohl nie auf sich genommen. Doch sie war ihm hold gewesen, hatte sich voll Gunst und Zuneigung über ihn gebeugt, ihm den gütigen Kuss ihrer Huld auf die Lippen gedrückt. Wie Honig waren ihre Worte in seine Ohren geflossen, hatten die Kammern seines Herzens mit siedender Glut entzündet und die hohen Hallen seiner Brust im Sturm genommen. Nie hätte er auf die Gelegenheit zu hoffen gewagt, einmal zurückkehren zu dürfen in diesen Hort der Unzucht, diese Bastion des Frevels. Gedemütigt war er damals und geschunden, ganz auf sich allein gestellt, verstoßen worden.
Bei einem jener gefürchteten Raubüberfälle an der bretonischen Küste hatte man ihn als kleinen Knaben entführt, zur Belustigung jahrelang wie einen elenden Köter an Bord des Schiffes gehalten, bis man ihn schließlich bei einem Schankwirt gegen Rum eingetauscht hatte. Dort war das Laster in unsäglichem Wucher begriffen. Prostituierte, Totschläger, Säufer, Ratten … Pfla, Suchàrd spuckte aus. Und dann hatte man ihn hinausgeprügelt, als man den Silbergroschen unter seinem Strohsack fand – ein Geschenk des Einäugigen Hauke. Einziger Lichtblick unter den Scharen der Sünde und des Verfalls. Diebstahl hatte man ihm vorgeworfen, diese Kanaillen, allesamt Räuber und Totschläger hatten ihn des Verbrechens bezichtigt und davongejagt. Nach Diebesehre und Gaunergesetzen hatte man ihn schuldig gesprochen, ausgepeitscht, bespuckt und geächtet.
Lange war er umhergeirrt und nicht nur einmal hatte der Tod seine knochigen Finger nach ihm ausgestreckt. Doch Suchàrd hatte Glück. Die Herrin nahm ihn erneut unter ihre Fittiche, denn sie wollte den verlorenen Sohn um jeden Preis zurückgewinnen, und so gefiel es ihr, ihn in die Hände des handelnden Volks zu geben, welche ihn bis nach Bretonia geleiteten.
Viele Sommer waren seither ins Land gezogen, doch er hatte sie nicht vergessen. Fleiß, Mut, Kraft, Klugheit, er war ein Ritter wie ihn sich die Herrin nur wünschen konnte, voll Demut und dem ritterlichen Kodex treu ergeben. Nie war er müßig gewesen und immer hielt er Maß – nur in einem war er grenzenlos; in seinem Groll, in seinem Hass, in seiner Rachsucht und seinem unbedingten Drang nach Vergeltung. Dunkle Dornen umrankten sein Herz und rissen brennende Wunden in das pochende Fleisch, aus denen Rinnsale kochenden Blutes sprudelten, seine Brust erhitzten, sein Gemüt anstachelten. Er musste die Schande tilgen, ihre dreckigen, räudigen Körper ausmerzen, das ganze Nest samt Ratten, Kötern und Filzläusen niederbrennen, sie rädern und federn, ihre dreckigen Huren, Hexen und Kupplerinnen pfählen, verbrennen und dann sie, sie ...mit Haut und Haar und Kopf und Fuß ... Suchàrd drosch mit der Faust auf die Reling. Vernichten! Ah! Ein Schmerz durchzuckte blitzartig seine Rechte. Verärgert biss er die Zähne zusammen und wandte sich ab.
Zwischen den dichten Schwaden erkannte er Bug und Hauptmast der Fleur de Lys, Stolz der bretonischen Flotte. Die massive, zweideckige Fregatte war mit 80 Kanonen bestückt, ihre Feuerkraft reichte aus, um jedem verdammten Schiff der alten Welt den Gar aus zu machen. Vorsichtshalber hatte sich Suchàrd aber nicht allein auf diese gewaltige Herrscherin der Weltmeere verlassen, sondern auf seinem Kreuzzug gegen dieses Stück Dreck am letzten Zipfel des Kontinents auch noch die Madame de Montfort, die Baron Gui de Saint Geste sowie die Korsaren Illy und Saint'o'lourd mitgenommen, schließlich die La Dame du lac, eine majestätische Fregatte, die Suchàrd als Flaggschiff gewählt hatte. Ihre im Nebelfeucht matt schimmernden Silberbeschläge, ihre erhaben geschwungene Bugform und ihr voll innerem Licht glimmendes Heckbanner mit dem Antlitz der Feenzauberin machten Suchàrd schwärmen, die La Dame du Lac verkörperte geradezu den göttlichen Glanz des Guten, die Allmacht des Reinen, den Ausdruck der Kraft des Makellosen, kurz: sie war wie geschaffen, um Licht in die Peripherie der alten Welt zu bringen. Die Insel der Frechen, Dreisten und Niederträchtigen zu züchtigen und alles an ihr schien zu sagen: „Pfuhl aus Dreck und Letten, hier bin ich – gekommen um dich zu vernichten, zu knechten, Abschaum, und hinabzustoßen in den Schlund des Todes!“ Und so sprach auch Suchàrd, denn die Herrin hatte es ihm bedeutet, und mit vor Freude zitternden Händen nahm er eine Phiole vom Gürtel und zog den Pfropfen. Ein Sog entstand. Zuerst stockend, dann immer schneller wanden sich die Nebelschwaden in das zierliche Gefäß, welches das kühle Nass wie ein Vielfraß hinabschlang, in einen Grund mit nur scheinbar nahem Boden, bis sie restlos verschwunden waren und schließlich lag sie vor ihnen, brüchig, schäbig, fettig im fahlen Abglanz der Sonne, unter Stöhnen und lautem Geschrei, Königin allen Abschaums, Tyrann der Weltmeere. Der Nebel war wie fort gewischt und gleichsam mit einem Schlag schutzlos und entblößt kauerte sie am Küstenfels – Sartosa!
[Auf einer Anhöhe, vor einer in den Felsen gehauenen Schenke sitzen zwei uralte Piraten und schauen hinab auf das Hafenviertel von Sartosa. Ihre Bärte reichen bis unter den Tisch, aus ästhetischen Gründen tragen sie Augenklappen und trinken ihren Darjeeling mit Schuss aus Rumbotteln. Stimmengewirr dringt aus der Schankstube, ein Hund lungert am Türrahmen, es stinkt penetrant nach Schweiß und Hundepisse.]
Pirat: „Wann hat' man 'n hier schon mal so n Wätta jesehn?“
Noch ein Pirat: „Sowas hab ich hier noch nie nich' jesehn! Noch jahrnich!“
Pirat: „Über zwanzich' Sommar bin ich nu' zua See jefahrn und hab da Landrattns da Bauch aufjeschlitzt, mit da Haken, in 'n Wanst, hehe, bei da Weinnasen da ollen Froschschänkels' und überall hab'ch Angst und Schräkn' jemacht. Da alla jemeinste von all'n war äch und nu, als äch da ma war bei so nä Kapafaht, da hab'ch 'm Kurzbeinjen … da ...“
[Er überlegt scharf und kratzt sich die haarige Gesichtstracht.]
Noch ein Pirat: „Da Zwerchn!“
Pirat: „Jenau, da Zwerchns, den hab'ch ma in Zweikampf da Borschtn abjesäbelt! Da hat a jeguckt, wie drei Tage rechn, das sach ich dir!“
[Sie lachen, dann husten sie, auch Blut, weil ihre offenen, uralten Rachen das all zu heftige Lachen nicht mehr mitmachen wollen.]
Pirat: „Da Borschtns, hab se heut noch ... drei Jahre bin ich da schon hier, auf'm Stein, nech, hier auf'n Kiel jeholt, aber sowas hab ich hier noch nie nich jesehn, dass da Wolkn bis an Boden … [Er macht eine abfällige Geste, wirft den Kopf in den Nacken.] , nie nich! Nech?“
Noch ein Pirat: „Nich ma n Hafn seh'ch in da Nebl!“
Pirat: „D'rauf drink ich e'nen! Salute! Da dräckje Jesindel von da' Docks mach'ich eh nich leid'n.“
[Schritte, Dielenknarzen, die Dirne kommt heraus. Sie stinkt auch nach Schweiß, nur süßer, nach Hure, aber nicht nach Hundepisse.]
Pirat: „Na komm'ma zu da alte Jochen her, haha!“ Klatsch!
Dirne: „Fingers wech, alta Bock!“
Pirat: „Was'n Schink'n sä hat, nech? Da juckt's da alte Jochn auf'n Dreispitz.“
Dirne: „Suffköppe!“
Pirat: „Exküßo nu, Madammmmeee, pur vu inkommodeee, hehe.“
[Auf wunderbare Weise verschwindet der Nebel innerhalb weniger Sekunden. Mirakulös-skandalös! Wer ahnt schon das gerissene Werk einer süßen Rachegöttin, hier im Hort der Dreisten? In der Hafeneinfahrt zwischen den Türmen des Steinwalls sind Schiffe zu sehen, wenn man so will, mit gezückter Klinge und Mordlust in den flackernden Augen.]
Noch ein Pirat: „Nanu, Schiffe in da Bucht?“
Pirat: „Sin' ma aber keinä Piratenschiffä.“
Noch ein Pirat: „Strohmfäls steh uns bei, das sind da Froschänkelfrässers!“
Pirat: „Da …? Wie sin'n die hier herjekommen und schon an da Türme!“
Krumkrubumbum!
[Die Fleur de Lys beginnt mit der Kanonade, die anderen Schiffe eröffnen ebenfalls das Feuer. Flammen zucken über die spiegelnde Wasseroberfläche, dicke Schwarzpulverwolken schmiegen sich Sekunden später um die Schiffsrümpfe. Sicher stinkt es nach Schwefel.]
Pirat: „Heil'cher, da Türme!“
Noch ein Pirat: „Und da Vöchel, da Froschänkelfrässers hab'n da Vöchels mitjenommen!“
Pirat: „Ei verbibscht! Da Pferdävöchels!“
Noch ein Pirat: „Mo … mo da Sechl streich'n, Käpt'n. Da lass ma mo bessa da Jemüse ran.“
Pirat: „No, da Jemüse soll's ma richt'n!“
[Ängstlich-kumpanisch nicken sie sich zu, dann packen sie ihre Krücken und humpeln so schnell sie können in die nächste Felsenhöhle, nicht ohne ihre Rumbotteln hastig in ihren abgetragenen Ledermänteln zu verstauen.]
Schwer dröhnte das Kreischen der schweren Artillerie in Suchàrds Ohren, als die Fleur de Lys die erste Breitseite gegen die Hafenbefestigung schmetterte. Schwefelwolken stoben meterhoch in die Luft und schon barst der erste Steinturm in Stücke und stürzte in die tosende Brandung, dass die Gischt bis an die Brustwehr spritzte. Gerade wollte die verdutzten Wachmannschaften von Sartosa zu den Geschützen eilen, da brachen dutzende Pegasusritter vom Himmel herab, um Tod und Verderben zu verbreiten, bohrten ihre Lanzen tief in die vom Rum aufgedunsenen Leiber. Schreie drangen an Suchàrds Ohr, hilflose Schreie, Schreie der Ohnmacht, sie quiekten wie kleine Ratten, wie winzig kleine Ratten mit ihren nackten Schnauzen so putzig und gleichsam packte er sie genüsslich, um sie zu ersäufen, sie unter das Wasser zu drücken, ihre hühnerbrüstigen Körper zucken zu spüren, bis sie erschlafften. Lustvoll lauschte er ihrer Todesqual, wie sie in Agonie kreischten. Panisch rannten sie über Stege und Docks, doch der dunkle Henker war gekommen, die reiche Ernte einzufahren und schon drehten die Fregatten bei, um ihre verheerenden Salven in die Menge zu donnern. Schiffe, Scheunen, Kräne gerieten in Brand, Sklaven und Piraten tränkten das tobende Meer mit ihrem Blut, zerfetzt, erschlagen, zerrissen von eisernen Kugeln, die unerbittlich in die weiche Masse aus Holz, Stein und Fleisch rasten, sie aufrissen, wie Zähne eindrangen und ganze Fetzen heraus rissen. Der Geruch von verbranntem Haar, verkohltem Holz und Metall biss sich in seiner Nase fest. Es krachte unentwegt, die Fleur de Lys und ihre tapferen Geschwister richteten mit geheiligtem Feuer. Nur noch wenige leisteten Widerstand, bemannten Geschütze oder errichteten eilig Barrikaden in den Hafengassen.
Da gab Suchàrd das Zeichen zum Landen. Taue wurden ausgeworfen, die Boote an den Kais festgemacht. Unter lautstarkem Gerassel fielen die Landungsbrücken und krachten scheppernd auf Stein. Alle Ritter hatten sich auf Deck gesammelt, ihre Rösser scharrten unruhig mit den Hufen und stießen ihre Köpfe voll Ungeduld hin und her. Suchàrd stand in der ersten Reihe, schloss das Visier, stieß die Klinge in die Luft und schrie: „Für die Herrin!“ Dann gab er seinem Pferd die Sporen und mit ihm ritten die Edlen Bretonias, zu vernichten die Schlechtigkeit, für Ruhm und Ehre, für die Herrin, für Bretonia!
Diese Geschichte erreichte den 2. Platz und wurde von Auxo geschrieben.
Mühsam ächzte der Korsar in der unruhigen, graubleichen See. Es waren nicht die Furten der sanft dahin strömenden Brienne, die einen rubingrün und mädchenhaft lispelnd erwarteten; hier pulsierte das kraftvolle Herz des großen Ozeans, vollzog sein ewiges Manöver, dem Seemann zum Trotz. Möwen kreisten kreischend, doch Suchàrd konnte sie nicht erkennen. Er stand auf dem Achterdeck, lauschte angestrengt in die Morgenluft, spähte, doch der zähe Nebel schluckte jedes ferne Geräusch, raubte jede Sicht. Wie verwischte Graphitschraffuren, tausendfach hintereinandergereiht und blassradiert, umhüllte eine Wand aus trübem Nass das Schiff. Grimmig stemmte sich Suchàrd mit beiden gepanzerten Fäusten auf die Brüstung, leckte sich die Lippen und schmeckte das allgegenwärtige Salz auf der Zunge. Der Bug senkte sich und brach knarzend durch eine der unzähligen Wellen. Vögel waren das untrügliche Zeichen, dass sie nahe der Küste kreuzten. Die Gemeinen wuselten über Deck – ein hölzerner Eimer kullerte polternd zwischen ihren Füßen hin und her – luden die Geschütze, kletterten in die Hauptwanten. Korporale brüllten Befehle über die Planken, trieben das dreckige Bauernpack zur Arbeit. Ihre zerfetzten Hemden und ihre hündischen Körper machten sie zu einem Gegenstand der Verachtung in den Augen eines jeden bretonischen Edlen. Auch Suchàrd konnte nicht umhin, diese zwar nützliche, doch in eben jenem Maße elende, ja räudige, Läuse verpestete, nach Fusel und Scheiße stinkende Masse verkrüppelter Gestalten aus tiefstem Herzen zu verabscheuen. Die Herrin hatte dem Ritter die Bauern geschenkt, auf dass sie seine Felder bestellten, sein Holz schlugen und eben auch als Matrosen anheuerten oder zur Verteidigung der Ländereien ihres Lehnsherrn in die Schlacht zogen. Sie waren Dreck, doch – zugegeben – nützlicher Dreck und als Geschenk der Herrin musste man sie vor Gefahren schützen, ihre blanke Existenz bewahren, sie vor noch größerem Abschaum erretten. Abwesend, mit starrem Blick pfiff Suchàrd säuselnd durch die Zähne, dann griff er nach einem Oktanten, fingerte daran herum, dann legte er ihn – nutzlos wie er in jenem Moment eben war – wieder beiseite. Seekarten und Sternbilder halfen nichts, Navigation im handwerklichen Sinne unmöglich und nur der inbrünstige Glaube an die Herrin konnte Suchàrd den rechten Weg weisen.
Sie tappten im Dunkeln. Der Nebel schirmte sie vor unliebsamen Blicken ab, doch machte er sie auch blind gegen die Tücken des Ozeans. Es war eine zweischneidige Klinge, derer er sich bediente, und wäre er sich des Segens der Herrin nicht sicher gewesen, er hätte diese Waffe nicht gebraucht, die ganze Odyssee wohl nie auf sich genommen. Doch sie war ihm hold gewesen, hatte sich voll Gunst und Zuneigung über ihn gebeugt, ihm den gütigen Kuss ihrer Huld auf die Lippen gedrückt. Wie Honig waren ihre Worte in seine Ohren geflossen, hatten die Kammern seines Herzens mit siedender Glut entzündet und die hohen Hallen seiner Brust im Sturm genommen. Nie hätte er auf die Gelegenheit zu hoffen gewagt, einmal zurückkehren zu dürfen in diesen Hort der Unzucht, diese Bastion des Frevels. Gedemütigt war er damals und geschunden, ganz auf sich allein gestellt, verstoßen worden.
Bei einem jener gefürchteten Raubüberfälle an der bretonischen Küste hatte man ihn als kleinen Knaben entführt, zur Belustigung jahrelang wie einen elenden Köter an Bord des Schiffes gehalten, bis man ihn schließlich bei einem Schankwirt gegen Rum eingetauscht hatte. Dort war das Laster in unsäglichem Wucher begriffen. Prostituierte, Totschläger, Säufer, Ratten … Pfla, Suchàrd spuckte aus. Und dann hatte man ihn hinausgeprügelt, als man den Silbergroschen unter seinem Strohsack fand – ein Geschenk des Einäugigen Hauke. Einziger Lichtblick unter den Scharen der Sünde und des Verfalls. Diebstahl hatte man ihm vorgeworfen, diese Kanaillen, allesamt Räuber und Totschläger hatten ihn des Verbrechens bezichtigt und davongejagt. Nach Diebesehre und Gaunergesetzen hatte man ihn schuldig gesprochen, ausgepeitscht, bespuckt und geächtet.
Lange war er umhergeirrt und nicht nur einmal hatte der Tod seine knochigen Finger nach ihm ausgestreckt. Doch Suchàrd hatte Glück. Die Herrin nahm ihn erneut unter ihre Fittiche, denn sie wollte den verlorenen Sohn um jeden Preis zurückgewinnen, und so gefiel es ihr, ihn in die Hände des handelnden Volks zu geben, welche ihn bis nach Bretonia geleiteten.
Viele Sommer waren seither ins Land gezogen, doch er hatte sie nicht vergessen. Fleiß, Mut, Kraft, Klugheit, er war ein Ritter wie ihn sich die Herrin nur wünschen konnte, voll Demut und dem ritterlichen Kodex treu ergeben. Nie war er müßig gewesen und immer hielt er Maß – nur in einem war er grenzenlos; in seinem Groll, in seinem Hass, in seiner Rachsucht und seinem unbedingten Drang nach Vergeltung. Dunkle Dornen umrankten sein Herz und rissen brennende Wunden in das pochende Fleisch, aus denen Rinnsale kochenden Blutes sprudelten, seine Brust erhitzten, sein Gemüt anstachelten. Er musste die Schande tilgen, ihre dreckigen, räudigen Körper ausmerzen, das ganze Nest samt Ratten, Kötern und Filzläusen niederbrennen, sie rädern und federn, ihre dreckigen Huren, Hexen und Kupplerinnen pfählen, verbrennen und dann sie, sie ...mit Haut und Haar und Kopf und Fuß ... Suchàrd drosch mit der Faust auf die Reling. Vernichten! Ah! Ein Schmerz durchzuckte blitzartig seine Rechte. Verärgert biss er die Zähne zusammen und wandte sich ab.
Zwischen den dichten Schwaden erkannte er Bug und Hauptmast der Fleur de Lys, Stolz der bretonischen Flotte. Die massive, zweideckige Fregatte war mit 80 Kanonen bestückt, ihre Feuerkraft reichte aus, um jedem verdammten Schiff der alten Welt den Gar aus zu machen. Vorsichtshalber hatte sich Suchàrd aber nicht allein auf diese gewaltige Herrscherin der Weltmeere verlassen, sondern auf seinem Kreuzzug gegen dieses Stück Dreck am letzten Zipfel des Kontinents auch noch die Madame de Montfort, die Baron Gui de Saint Geste sowie die Korsaren Illy und Saint'o'lourd mitgenommen, schließlich die La Dame du lac, eine majestätische Fregatte, die Suchàrd als Flaggschiff gewählt hatte. Ihre im Nebelfeucht matt schimmernden Silberbeschläge, ihre erhaben geschwungene Bugform und ihr voll innerem Licht glimmendes Heckbanner mit dem Antlitz der Feenzauberin machten Suchàrd schwärmen, die La Dame du Lac verkörperte geradezu den göttlichen Glanz des Guten, die Allmacht des Reinen, den Ausdruck der Kraft des Makellosen, kurz: sie war wie geschaffen, um Licht in die Peripherie der alten Welt zu bringen. Die Insel der Frechen, Dreisten und Niederträchtigen zu züchtigen und alles an ihr schien zu sagen: „Pfuhl aus Dreck und Letten, hier bin ich – gekommen um dich zu vernichten, zu knechten, Abschaum, und hinabzustoßen in den Schlund des Todes!“ Und so sprach auch Suchàrd, denn die Herrin hatte es ihm bedeutet, und mit vor Freude zitternden Händen nahm er eine Phiole vom Gürtel und zog den Pfropfen. Ein Sog entstand. Zuerst stockend, dann immer schneller wanden sich die Nebelschwaden in das zierliche Gefäß, welches das kühle Nass wie ein Vielfraß hinabschlang, in einen Grund mit nur scheinbar nahem Boden, bis sie restlos verschwunden waren und schließlich lag sie vor ihnen, brüchig, schäbig, fettig im fahlen Abglanz der Sonne, unter Stöhnen und lautem Geschrei, Königin allen Abschaums, Tyrann der Weltmeere. Der Nebel war wie fort gewischt und gleichsam mit einem Schlag schutzlos und entblößt kauerte sie am Küstenfels – Sartosa!
[Auf einer Anhöhe, vor einer in den Felsen gehauenen Schenke sitzen zwei uralte Piraten und schauen hinab auf das Hafenviertel von Sartosa. Ihre Bärte reichen bis unter den Tisch, aus ästhetischen Gründen tragen sie Augenklappen und trinken ihren Darjeeling mit Schuss aus Rumbotteln. Stimmengewirr dringt aus der Schankstube, ein Hund lungert am Türrahmen, es stinkt penetrant nach Schweiß und Hundepisse.]
Pirat: „Wann hat' man 'n hier schon mal so n Wätta jesehn?“
Noch ein Pirat: „Sowas hab ich hier noch nie nich' jesehn! Noch jahrnich!“
Pirat: „Über zwanzich' Sommar bin ich nu' zua See jefahrn und hab da Landrattns da Bauch aufjeschlitzt, mit da Haken, in 'n Wanst, hehe, bei da Weinnasen da ollen Froschschänkels' und überall hab'ch Angst und Schräkn' jemacht. Da alla jemeinste von all'n war äch und nu, als äch da ma war bei so nä Kapafaht, da hab'ch 'm Kurzbeinjen … da ...“
[Er überlegt scharf und kratzt sich die haarige Gesichtstracht.]
Noch ein Pirat: „Da Zwerchn!“
Pirat: „Jenau, da Zwerchns, den hab'ch ma in Zweikampf da Borschtn abjesäbelt! Da hat a jeguckt, wie drei Tage rechn, das sach ich dir!“
[Sie lachen, dann husten sie, auch Blut, weil ihre offenen, uralten Rachen das all zu heftige Lachen nicht mehr mitmachen wollen.]
Pirat: „Da Borschtns, hab se heut noch ... drei Jahre bin ich da schon hier, auf'm Stein, nech, hier auf'n Kiel jeholt, aber sowas hab ich hier noch nie nich jesehn, dass da Wolkn bis an Boden … [Er macht eine abfällige Geste, wirft den Kopf in den Nacken.] , nie nich! Nech?“
Noch ein Pirat: „Nich ma n Hafn seh'ch in da Nebl!“
Pirat: „D'rauf drink ich e'nen! Salute! Da dräckje Jesindel von da' Docks mach'ich eh nich leid'n.“
[Schritte, Dielenknarzen, die Dirne kommt heraus. Sie stinkt auch nach Schweiß, nur süßer, nach Hure, aber nicht nach Hundepisse.]
Pirat: „Na komm'ma zu da alte Jochen her, haha!“ Klatsch!
Dirne: „Fingers wech, alta Bock!“
Pirat: „Was'n Schink'n sä hat, nech? Da juckt's da alte Jochn auf'n Dreispitz.“
Dirne: „Suffköppe!“
Pirat: „Exküßo nu, Madammmmeee, pur vu inkommodeee, hehe.“
[Auf wunderbare Weise verschwindet der Nebel innerhalb weniger Sekunden. Mirakulös-skandalös! Wer ahnt schon das gerissene Werk einer süßen Rachegöttin, hier im Hort der Dreisten? In der Hafeneinfahrt zwischen den Türmen des Steinwalls sind Schiffe zu sehen, wenn man so will, mit gezückter Klinge und Mordlust in den flackernden Augen.]
Noch ein Pirat: „Nanu, Schiffe in da Bucht?“
Pirat: „Sin' ma aber keinä Piratenschiffä.“
Noch ein Pirat: „Strohmfäls steh uns bei, das sind da Froschänkelfrässers!“
Pirat: „Da …? Wie sin'n die hier herjekommen und schon an da Türme!“
Krumkrubumbum!
[Die Fleur de Lys beginnt mit der Kanonade, die anderen Schiffe eröffnen ebenfalls das Feuer. Flammen zucken über die spiegelnde Wasseroberfläche, dicke Schwarzpulverwolken schmiegen sich Sekunden später um die Schiffsrümpfe. Sicher stinkt es nach Schwefel.]
Pirat: „Heil'cher, da Türme!“
Noch ein Pirat: „Und da Vöchel, da Froschänkelfrässers hab'n da Vöchels mitjenommen!“
Pirat: „Ei verbibscht! Da Pferdävöchels!“
Noch ein Pirat: „Mo … mo da Sechl streich'n, Käpt'n. Da lass ma mo bessa da Jemüse ran.“
Pirat: „No, da Jemüse soll's ma richt'n!“
[Ängstlich-kumpanisch nicken sie sich zu, dann packen sie ihre Krücken und humpeln so schnell sie können in die nächste Felsenhöhle, nicht ohne ihre Rumbotteln hastig in ihren abgetragenen Ledermänteln zu verstauen.]
Schwer dröhnte das Kreischen der schweren Artillerie in Suchàrds Ohren, als die Fleur de Lys die erste Breitseite gegen die Hafenbefestigung schmetterte. Schwefelwolken stoben meterhoch in die Luft und schon barst der erste Steinturm in Stücke und stürzte in die tosende Brandung, dass die Gischt bis an die Brustwehr spritzte. Gerade wollte die verdutzten Wachmannschaften von Sartosa zu den Geschützen eilen, da brachen dutzende Pegasusritter vom Himmel herab, um Tod und Verderben zu verbreiten, bohrten ihre Lanzen tief in die vom Rum aufgedunsenen Leiber. Schreie drangen an Suchàrds Ohr, hilflose Schreie, Schreie der Ohnmacht, sie quiekten wie kleine Ratten, wie winzig kleine Ratten mit ihren nackten Schnauzen so putzig und gleichsam packte er sie genüsslich, um sie zu ersäufen, sie unter das Wasser zu drücken, ihre hühnerbrüstigen Körper zucken zu spüren, bis sie erschlafften. Lustvoll lauschte er ihrer Todesqual, wie sie in Agonie kreischten. Panisch rannten sie über Stege und Docks, doch der dunkle Henker war gekommen, die reiche Ernte einzufahren und schon drehten die Fregatten bei, um ihre verheerenden Salven in die Menge zu donnern. Schiffe, Scheunen, Kräne gerieten in Brand, Sklaven und Piraten tränkten das tobende Meer mit ihrem Blut, zerfetzt, erschlagen, zerrissen von eisernen Kugeln, die unerbittlich in die weiche Masse aus Holz, Stein und Fleisch rasten, sie aufrissen, wie Zähne eindrangen und ganze Fetzen heraus rissen. Der Geruch von verbranntem Haar, verkohltem Holz und Metall biss sich in seiner Nase fest. Es krachte unentwegt, die Fleur de Lys und ihre tapferen Geschwister richteten mit geheiligtem Feuer. Nur noch wenige leisteten Widerstand, bemannten Geschütze oder errichteten eilig Barrikaden in den Hafengassen.
Da gab Suchàrd das Zeichen zum Landen. Taue wurden ausgeworfen, die Boote an den Kais festgemacht. Unter lautstarkem Gerassel fielen die Landungsbrücken und krachten scheppernd auf Stein. Alle Ritter hatten sich auf Deck gesammelt, ihre Rösser scharrten unruhig mit den Hufen und stießen ihre Köpfe voll Ungeduld hin und her. Suchàrd stand in der ersten Reihe, schloss das Visier, stieß die Klinge in die Luft und schrie: „Für die Herrin!“ Dann gab er seinem Pferd die Sporen und mit ihm ritten die Edlen Bretonias, zu vernichten die Schlechtigkeit, für Ruhm und Ehre, für die Herrin, für Bretonia!
Zuletzt bearbeitet: