[Archiv] [Storywettbewerb Herbst 08] [WH40K] "Die Schläfer"

SHOKer

Mentor der flinken Federn
03. Februar 2006
4.790
4
33.391
33
Mein Atem geht langsam, aber stetig. Meine Schritte gehen unter in dem Konzert tausender Sohlen, die dem Platz der Tausend Sonnen immer und immer wieder ihr Siegel in unklaren matschigen Abdrücken aufpressten. Der verwitterte Marmorboden war ein passender Teppich für das Bauwerk, welches sich vor mir erhob. Der Senat der Generalvertretung. Der Regierungssitz der größten Supermacht von Avarn, der Vierten Republik. Für uns war er das Symbol für die Sünde und die Häresie, die unsere Welt befleckten. Seine Präsenz war gleich der eines stinkenden Totems, eine einzige Lästerung gegen Ihn. Im Geiste sprach ich ein kurzes Gebet, als Schutz vor der Pestilenz der Gottlosigkeit, die von den Leuten um mich herum ausging. Seine gerechte Strafe würde über sie kommen und Sein Gericht über sie Urteil halten. Und ich würde als Martyrer Seine Herrlichkeit erblicken.
Meine Geschichte beginnt, als meine Mutter, ein Opfer der Niedertracht dieses Planeten, mit mir schwanger wird. Sie wurde von der reichen, sündigen Oberschicht in die Prostitution gezwungen. Mein Leben wäre bei meiner Zeugung verwirkt gewesen, wenn ER nicht über mich gewacht hätte. Seine Herrlichkeit erwählte mich für ein höheres Ziel, und schenkte mir, einem Unwürdigen, in seiner vollkommenen Gnade, das Leben.

Als Kind wurde ich durch die Ungerechtigkeit meiner Umwelt in den selben Abgrund gerissen, aus dem sich schon meine Mutter nicht befreien konnte. Sie starb, nachdem einer ihrer vermögenden Kunden sie schwer misshandelt hatte. Ich schwor Rache, doch nur an einer speziellen Person. Erst später verstand ich, dass das System meine Mutter getötet hatte. Mit acht Jahren war ich ebenso Opfer dieses Systems geworden. Das dämonische Lachen der Männer brannte sich in meinen Kopf ein. Es plagte mich in Albträumen, bis zu dem Tag, als ich seine Gnade erfuhr und mein Geist befreit wurde.
Der Mann der mich befreite, hieß Pater Moriam, und für mich war er mehr als nur ein Lehrer. Er wurde mein Vater. Er behandelte mich wie einen Menschen, nicht wie ein hässliches Insekt, schrie mich nicht an und gab mir einen echten Namen. Er nannte mich Gideon, nach dem großen Heiligen und Propheten, welcher auch einer Welt seinen Namen schenkte. Pater Moriam lehrte mich alles über Seine Herrlichkeit. Er predigte vor allem uns, die wir als Schmutz der Gesellschaft galten. Er ekelte sich nicht vor den Wunden der Kranken, fastete oft, um uns zu nähren, und half jedem, der in Not war. Durch ihn wurden meine Augen geöffnet. Ich sah auf einmal die Ungerechtigkeit, welche auf Avarn herrschte. Ich sah, warum ich soviel leiden musste, und warum es anderen soviel besser ging. Ich sah die Heucheleien der Ungläubigen und durchschaute ihre Lügen. Doch viel wichtiger als das war für mich seine Erzählung von einer besseren Zukunft. Er erzählte mir vom Imperium.

Nur ein Mensch, der wie ich aufwuchs, in der ständigen Angst um sein Leben, in ständigem Hunger, wer im Unterbewusstsein die Ungleichheit der Menschen spürte und der die Erniedrigung durch die reichen Fürsten erfahren musste, kann verstehen, was Pater Moriams Bericht in mir auslöste. Im Imperium waren alle Menschen gleich. Es gibt keine Armut und keinen Geiz, keine machthungrigen Schakale, welche ihre Untertanen versklavten. Es gibt nicht die Farce der Parlamente um das Volk in einen Schlummertraum zu versetzen. Das Reich seiner Herrlichkeit erstreckte sich über die gesamte Galaxie und seinen Bewohner waren erfüllt von Seiner Gloria. Ihre Kraft hatte die größten und schönsten Bauten aller Zeiten hervorgebracht und ihr eiserner Wille war ein Bollwerk gegen alle Feinde von außen und innen. Im Imperium herrschten Menschen wie ich, um allen Einwohnern der Planeten das beste Leben zu ermöglichen. Alle waren vereint in seiner Verehrung und sowohl Gerechtigkeit als auch Frieden machten das Zusammenleben aus. Ich kann mir keinen besseren Ort zum Leben vorstellen, keine bessere Existenz als unter der Herrschaft Seiner Gnaden. Und ich werde kämpfen, damit auch meine Welt unter seiner Herrschaft blühen kann. Damit nicht mehr ein korrupter Markt über das Schicksal von Leben entscheidet, damit mein Planet nicht mehr aufgeteilt ist in rivalisierende Staaten, von denen einer verabscheuenswürdiger ist als der andere, damit nicht mehr ein Kind ohne eine Taufe in Seinem Namen das Licht der Welt erblickt.

Pater Moriam wurde von den häretischen Häschern der Vierten Republik gefangen. Sie schleppten ihn vor ein Gericht, demütigten ihn durch ihre blasphemischen und lasterhaften Worte und verurteilten ihn anschließend wegen Volksverhetzung und Terrorismus zu lebenslanger Haft. Er, der er uns von unserem Joch befreit hatte, sollte nun in den dunklen Kerkern schmachten. Ich konnte nur zusehen, erfüllt von Angst und Zweifel. Der Pater verteidigte sich selbst und seine Ankläger wurden durch die Klarheit und Sprachgewalt seiner Rede demaskiert. Sie wollten ihn erst zum Schweigen bringen, doch als seine Stimme klar und engelsgleich weiter den Gerichtssaal füllte und ihnen ihre Blasphemie vorhielt, versuchte einer der Sklaventreiber, ihn mit seiner Waffe zu bedrohen. Mein Mentor war von solcher erhabenen Kraft beseelt, dass er keine Angst verspürte vor den Unterdrückern. Ein Schuss löste sich. Der Tod meines Vaters war für mich jedoch kein niederschmetterndes Ereignis. Sein Märtyrertod erfüllte mich mit dem Willen und Stärke, gegen die feigen Ungläubigen zu kämpfen. In dem Moment, als er starb, verstand ich endlich. Ich sah den tieferen Sinn meines Lebens. Ich sah Seinen Auftrag klar und deutlich.

Meine Atem wird ruhiger. Meine Schritte langsamer. Ich blicke auf, mein Geist ist nun klarer als je zuvor und dieses unbeschreibliche Gefühl der Freiheit erfüllt mich. Für einen Moment scheine ich zu schweben, fast wie ein Engel. Dann richten sich meine Augen auf mein Ziel aus. Der Wachposten vor dem Senat blickt gen Boden. Sein Blick ist leer, ein Zeugnis seiner verkümmerten Seele. Ich bin nun nur noch fünf Schritte von ihm entfernt. Meine Hand fährt in meinen Ärmel, umfasst das kurze, aus kaltem Stahl geschmiedete Stilett. Der Wachmann blickt mir direkt in die Augen. Ohne Sünde sind jene, die reinen Herzens sterben. Ich bete für dich. Ich verspreche es. Und für einen Herzschlag entsteht zwischen uns eine Verbindung, ein innerer Frieden und ein Verständnis. Dann stoße ich zu. Vergeben seien deine Sünden im Tode.

Ich beschleunige meine Schritte. Hinter mir bricht der Mann zusammen. Andere Wachleute sehen mich die Treppen hinauf laufen. Sie rufen. Sie schreien. Sie heben Waffen. Ich bin beim Eingang. In großen, goldenen Lettern über dem Eingang steht: Alle Macht dem Volke. Ich greife in meinen Mantel. Der Auslöser. Meine Aufgabe.

Licht
Dunkelheit
Schatten
Vergessen
Dank
Ich glaube
Er
Sein Reich komme
Jetzt und
in
Ewigkeit


Bericht des Junior-Hegemoniarchen Asar-I Jiito,​
Geheimdienst der Tetriarchen von Avarn​
12 Sonnenwendekreis, Jahr des Sämanns​

Bericht: Zerstörung des Regierungssitzes der Vierten Republik

Hoch das Tetriachat!​

Mit Erstaunen kann ich mitteilen, dass der Regierungssitz der Vierten Republik, unseres verhassten Rivalen, durch eine Explosion irreparabel beschädigt wurde, und später durch die Schäden bedingt eingestürzt ist. Unbestätigten Berichten zufolge kam dabei auch Hochkanzler Rhegean zu Tode. Meine Mitarbeiter untersuchen das.
Uns lagen im Vorfeld keine Informationen über einen militärischen Angriffsplan unserer Alliierten gegen die Vierte Republik vor, so dass die Ergebnisse meiner Untersuchungen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit entsprechen.
Die Explosion scheint durch einen Selbstmordattentäter verübt worden sein. Vermutungen besagen, er habe einen selbstgebauten V-Integralsprengsatz an seinem Körper ausgelöst, nachdem er sich mit Waffengewalt dem Gebäude genähert hat.
Dies sind die Berichte der Polizei der VR bezüglich des Tathergangs, ausgewertet durch unsere Agenten.
Im Gegensatz dazu scheint der Tathintergrund von den zuständigen Behörden des Feindes schnell ermittelt worden zu sein. Es scheint sich bei dem Attentäter um ein Mitglied der radikal-fundamentalistischen Sekte „Kult des Gott-Imperators“ zu handeln. Diese hatte im Vorfeld ähnliche Angriffe auch Einrichtungen aller Art verübt, von Polizei- über Militär- und Zivileinrichtungen. Selbst Anschläge auf Krankenhäuser und Schulen sind bekannt. Diese religiöse Terrororganisation hat in den letzten zwei Jahren das Machtgefüge der VR völlig auseinander gebracht. Ihre Überzeugungen sind meist von infantiler Einfachheit und einer völlig irrationalen Zukunftsvorstellung geprägt. Dennoch handelt es sich nicht um eine kleine Gruppe von gesellschaftlichen Außenseiten. Mit Besorgnis muss ich feststellen, dass ihre Zahl sich in den letzten Monaten auch in unseren Herrschaftsgebieten völlig unkontrollierbar vervielfacht hat. Ihre radikalen Vorstellungen einer neuen Herrschaft über Avarn sind eine Gefahr für unser gesegnetes Tetriarchat. Die Gefahr bildet sich vor allem aus den einfachen Schichten. Dort scheint ihre Lehre sich am schnellsten zu verbreiten, auch wenn schon Berichte von Verhaftungen prominenter Bürger unserer Nachbarn bekannt sind. Wie lange wird uns die Isolation durch die Minenblockade auf Dauer noch vor der eigentlichen Gefahr schützen? Wie lange bis sich Bürger in wildem Hass gegen ihre rechtmäßigen Vertreter wenden? Wir müssen jede Agitation diesbezüglich sofort unterbinden. Verbreitung von Schriftgut bezüglich des „Kult des Gott-Imperators“ muss mit dem Tode durch das Rad bestraft werden. Avarn darf nicht durch religiöse Fanatiker in den Untergang gerissen werden.

Lang lebe das Tetriarchat!​
Asar-I Jiito,​
Junior-Hegemoniarch des Geheimdienstes,​
Abteilung Äußeres​
Fußnote: Es gibt laut unseren Wissenschaftlern keinen Grund zur Annahme, dass irgendwo anderes Leben in den Sternen existieren sollte. Jeder Bericht über sog. „Missionare der Sterne“ ist nichts als Geschwätz und enthält genau so wenig plausible Beweise wie die Vermeintliche Existenz eines Gottes.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Positive: Die Thematik, mal den imperialen Glauben von außen zu sehen, war sehr interessant und auch überzeugend dargelegt. Die Wut des Protagonisten ist durch die Rückblicke in seine Vergangenheit nachvollziehbar und gut belegt. Auch die eigentlich abgeschlossene Handlung weiß zugefallen, zumal kaum Fragen offen bleiben. Die Tatsache, dass sein Opfer eigentlich vergebens war, wie am Ende erkennbar wird, hebt die Stimmung der Geschichte deutlich.

Das Negative: Irgendwie geht alles zu einfach und zu schnell. Da fehlen noch Details und Emotionen, gerade was seine Pläne angeht, was er sich davon erhofft usw. Liegt vielleicht daran, dass er sich genau dann plötzlich umbringt, als man ihn gerade kennen gelernt hat. Man müsste langsam darauf hinweisen, was er vorhat.

[FONT=&quot]Fazit: Eine gute Geschichte mit stimmiger Atmosphäre und interessanter Thematik, der aber noch Tiefe und Details fehlen, um Punkte zu bekommen.[/FONT]
 
Meiner Meinung nach ein sehr schwieriger Text, weil hier ein sehr deutlicher Wirklichkeitsbezug aufgebaut wurde. Dieser Ansatz ist interessant, aber insofern problematisch, dass die Warhammerwelt eben (wie schon erwähnt) BÖSE, MARTIALISCH und GARSTIG SCHLECHT ist.
Dass dann mit den Elementen der Volksdemokratie, der Angst vor Terror, Gesellschaftskritik oder beginnenden Überwachungsstaaten zu verknüpfen, halte ich für sehr gewagt.
Ein Text, der gut zu interpretieren wäre und von dem ich nicht so recht weiß, was ich von ihm halten soll.
 
Dass dann mit den Elementen der Volksdemokratie, der Angst vor Terror, Gesellschaftskritik oder beginnenden Überwachungsstaaten zu verknüpfen, halte ich für sehr gewagt.

Für so gewagt halte ich den Text gar nicht. Schließlich ist das eine gute Idee, die noch keiner hatte und bei mir jedenfalls findet sie anklang. Warum solltenb wir in Warhammergeschichten nicht auch einmal aktuelle Themen aufnehmen?
 
Trotz dessen, dass ich bei Geschichten eine gewisse Tiefe voraussetze, möchte ich hier nicht zuviel hineininterpretieren, obwohl oder gerade weil der Autor viel Potential dazu geschaffen hat.

Die sprachliche Gestaltung ist ausbaufähig, der interessante Blickwinkel auf das Imperium lässt aber darüber hinwegsehen.

Punktekandidat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meiner Meinung nach ein sehr schwieriger Text, weil hier ein sehr deutlicher Wirklichkeitsbezug aufgebaut wurde. Dieser Ansatz ist interessant, aber insofern problematisch, dass die Warhammerwelt eben (wie schon erwähnt) BÖSE, MARTIALISCH und GARSTIG SCHLECHT ist.
Dass dann mit den Elementen der Volksdemokratie, der Angst vor Terror, Gesellschaftskritik oder beginnenden Überwachungsstaaten zu verknüpfen, halte ich für sehr gewagt.
Ein Text, der gut zu interpretieren wäre und von dem ich nicht so recht weiß, was ich von ihm halten soll.
Tja, was soll ich sagen...
Natürlich war die Geschichte provozierend, bzw ich war mir iher Wirkung einigermaßen bewusst. Da ich aber ein so felsenfest überzeugter Demokrat und Liberaler bin, hab ich ehrlich gesagt auch keine Furcht vor der Veröffentlichung gehabt. Ich bin auf die Idee gekommen, als mein Kunstlehrer sagte, Kunst sei, den Mut zu haben Neues zu tun. Und da Literatur für mich auch unter die Sparte Kunst fällt, ergab es sich von selbst, dass ich mich mit der zweifelhaften Thematik des imperialen Glaubens auseinandersetzte.

Im imperialen Dogma geht es ja viel um den Wert des Menschen, seine Gleichheit, und um radikale Auslegung einer religiös-kommunistischen Lehre, nach der die Masse herrscht, was, wie im Realen Sozialismus ja ironischerweise eben nicht der Fall ist. Ich hab mir deswegen überlegt, wie ein solcher Gedanke auf Menschen wirkt, die das reale Grauen im Imperium nicht kennen.

Als nächster Grund wäre meine Absicht aufzuzeigen, wie sich Sympathien durch den Standpunkt verlagern können. Da der Leser zweifelsohne mit dem Protagonisten gefühlt hat, muss er sich die Frage stellen, wie der Text, übertragen in die Realität auf ihn wirken würde, wenn der Protagonist ein islamistischer Terrorist wäre. Im Grunde geht es mir auch um Verständnis für die Lage anderer Menschen und ihre Beweggründe. Warhammer 40.000 ist für mich ein Medium, mit dessen Hilfe ich aktuelle Probleme anzeichnen kann, also nichts anderes als abstrakte Kunst.

Das dabei ein provozierendes Gesamtergebnis rauskommt, war durchaus gewollt. Was ich mir jedoch nicht unterstellen lasse, ist die Gesellschaftskritik. Dafür sind andere zuständig. Ich zeigte eine Gesellschaft, aber ich wollte sie nicht kritisieren.

@Rabenfeder: Ist dir der Text nicht dunkel genug?^^