[Archiv] [Storywettbewerb Herbst 08] [WHFantasy] "Der Herrscher des Wandels"
Der Herrscher des Wandels … (Manuskript-Auszug)
Die Kerle waren mit Feuereifer bei der Sache. Sie stellten sich lange nicht so ungeschickt an, wie es in den einzelnen Abteilungen zuvor gewirkt hatte. Es waren die dreißig Milizionäre, die Leif und Wolf auf ihrer Liste vorgemerkt hatte. Wolf fragte sich insgeheim, warum ihm das nicht schon früher eingefallen war. „Piken bereit – Achtung – Einstemmen!“ Ein Wall von zwanzig Holzstangen in unterschiedlicher Höhe baute sich vor ihm auf. Es musste nur noch wenig an den Höhen korrigiert werden. Wolf war sich sicher, dass sie in sehr kurzer zeit mit ihrer Demonstration anfangen konnten. Er hatte insgesamt zehn Reiter zusammen, einschließlich ihm selbst. Leif sollte die Pikenabteilung kommandieren. „Angriff von Süd – Formationswechsel – Piken bereit – Achtung – Einstemmen!“ Der Pikenwall schwenkte in kurzer Zeit um 90 Grad. Es war beeindruckend. Die Reiter würden sich eine Menge blauer Flecken und Prellungen holen. Aber es diente einer guten Sache und es war nichts, was sich nicht hinterher bei einem guten Schluck Bier beheben ließ. Das Bier war übrigens deutlich besser geworden, seit es in Salzenmünd einen Zwergenbraumeister gab. Wolf grinste zufrieden. „Achtung – Formationswechsel – Abmarsch!“
Die Bürger von Salzenmünd wunderten sich über die zunehmenden Aktivitäten in ihrer Stadt. An die täglichen Übungen ihrer Miliz, die sich jetzt Regiment nannte, hatten sie sich inzwischen ja gewöhnt. Aber die Ankunft der Zwerge löste einen Massenandrang aus. Jeder wollte diese Wesen sehen, die die meisten von ihnen nur aus alten Sagen und Erzählungen kannten. Und noch lange, nachdem der Trupp hinter den Mauern des Schlosses verschwunden war, sprachen die Leute erregt und verwundert über dieses Ereignis. Gerüchte machten die Runde, dass des Nachts auch Elfen mit schimmernden Silberüstungen, hohen Helmen auf weißen Pferden in das Schloss eingeritten wären. Und Holzfäller berichteten immer öfter, dass ihnen die Bewohner des Loredan offen entgegen treten würden und ihnen die Gebiete zuwiesen, in denen sie Bäume schlagen durften. Die Stimmung brodelte, es roch nach Aufbruch, und viele wurden von einer bislang unbekannten Erregung erfasst. Nach Jahrzehnten der Behäbigkeit, der Enge und der Furcht begann man sich zu strecken und freier zu atmen. Etwas lag in der Luft.
In diese Phase fiel die Ankündigung eines Festes im Schloss, zu dem der Baron und seine Familie geladen hatten. Es sollte ein großes Ereignis werden, mit Schauexerzieren des Regiments in neuen Uniformen, feierliche Standartenübergabe, einem Jahrmarkt und einem großen Feuerwerk. Der Baron selbst wollte zu ihnen sprechen.
Ganz Salzenmünd befand sich in freudiger Erwartung der kommenden Festtage. Die Stadt war geschmückt. Hunderte von Besuchern drängten sich in den engen Gassen der Stadt. Vor den weitgehend fertig gestellten Mauern und Palisaden der Stadt vollendeten Handwerker und Soldaten die letzten Vorbereitungen für die Vorstellung der neuen Truppen. Schankwirte, Huren, Händler und Handwerker zeigten zufriedene Gesichter angesichts der zu erwartenden Geschäfte in den nächsten Tagen.
Die Übungen der neuen Truppen schritten gut voran. Zwar gab es noch etliche Feinheiten zu verbessern, aber ein Anfang war gemacht. Wolf und Leif hatten ganze Arbeit geleistet, auch wenn beide – besonders Wolf – mit Prellungen, blauen Flecken und Abschürfungen übersät waren. Die kleine Truppe des neu entstandenen Ritterordens hatte genauso hart trainiert wie das neue Regiment Pikenträger und durch die immer währende Zusammenarbeit hatten es die beiden geschafft, Reiterei und Fußvolk zu einer eingespielten Einheit werden zu lassen. Ihre Begeisterung und ihre Bereitschaft, große Mühen auf sich zu nehmen, spornten ihre Männer an, ebenfalls weit über sich hinaus zu gehen. Morgen sollten sie der Familie des Barons, der Bevölkerung von Salzenmünd und deren Gästen einen Eindruck ihrer Schlagkraft vermitteln.
Am Nachmittag ereignete sich ein Schauspiel, das die Bürger lange nicht vergessen würden. Von der Straße nach Middenheim her ertönten Rufe, dann schob sich ein längerer Zug Reiter und Gefährte aus dem Wald hervor – ein Artilleriezug. Die Menschen strömten am Tor und den Strassen zum Schloss zusammen. Drei neue Geschütze wurden unter dem Schutz der Ordensritter vom Grünen Baum in die Stadt eskortiert. Es handelte sich um ein Geschenk aus Nuln, das der Schwiegervater des Barons auf den Weg gebracht hatte. Planen verhüllten die Geschütze, um sie vor der Witterung zu schützen. Trotzdem ließ der Umriss eines der Geschütze als Langkanone, ein anderes als Mörser erkennen. Nur bei dem dritten Geschütz waren sogar altgediente Veteranen ratlos. Eine solche Form hatten sie noch nie gesehen. Der Artilleriezug verschwand im Schloss.
Suganow stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Seit einer Woche bereitete er den Angriff vor. Seine Ritter übten immer wieder den Angriff auf ungeübte Bauernmilizen und das anschließende Massaker an der Familie des Barons. Dutzende Anhänger des Tzeentch, die von ihm zu Übungszwecken in die Tiefen der Wälder geschickt worden waren, fanden bei diesen Manövern den Tod. Trotzdem riss der Strom der Freiwilligen nicht ab. Hier zeigte sich wieder einmal die ganze Macht des Gottes. Suganow erschauderte vor dieser Erkenntnis.
Wieder und wieder hatten seine Ritter sich durch eine hysterisch kreischende Menschenmenge ihren Weg zur Familie des Barons gebahnt, die auf der Tribüne sitzen und den Feierlichkeiten folgen würde. Er selbst hatte sich mit einer handverlesenen Schar der Kutsche des Barons genähert und diesen, nach erbittertem Kampf, schwer verletzt, aber lebendig in seine Gewalt gebracht. Alles klappte wie geplant. Suganow war mit den Vorbereitungen zufrieden. Heute Nacht würden achtzig Reiter und zwei Regimenter schwer gepanzerte Fußtruppen in die Wälder um Salzenmünd verlegt. Wenn die Festlichkeiten vor den Mauern der Stadt in vollem Gang wären, würden sie wie eine Meute Wölfe unter die überraschten Festteilnehmer fahren, möglichst viele von ihnen töten und die Familie des Barons niedermachen. Den Baron selbst und Leif, den abtrünnigen Sohn des Grafen Ortleib, sollten sie lebendig an ihren Herrn ausliefern. Er war bereit, seine Leute waren bereit. Morgen sollte der Tag ihres Triumphes sein.
Als die Sonne am nächsten Morgen ihre roten Strahlen über die Wipfel der Bäume schickte, war die Stadt bereits auf den Beinen. Endlich zog unter Trommelschlag und Pfeifenklang die Garnison Salzenmünds aus dem Tor. Das Regiment Pikenträger in den neuen blau-gelben Uniformen wurde von einer Abteilung Musketenschützen und einer Abteilung Miliz begleitet. Dann folgte der Artilleriezug, dessen Besatzung ebenfalls die neuen Uniformen trug. Die Ordensritter vom Grünen Baum zogen hinter der Kutsche des Barons her und bildeten den Abschluss. Leif kommandierte das Regiment, während Wolf an der Spitze des Ordens ritt. Auf dem Feld vor der Stadt nahmen die Truppen Aufstellung, um ihrem Herrn, Baron Werner Nikse, zu begrüßen.
Die Ritter des Tzeentch brachen aus ihrem Versteck hervor. Eine breite Front schimmernden Metalls schob sich aus dem Waldsaum auf die Freifläche. Die Wachen auf der Stadtmauer gaben unmittelbar Alarm. In Panik flohen die Zuschauer auf die Stadttore zu, um sich in Sicherheit zu bringen. Alles lief wie in der Vorbereitung. Suganow zog sein Schwert. Die Reiter im Zentrum der Aufstellung trabten an. Das Fußregiment auf ihrer rechten Flanke setzte sich mit einem leichten Laufschritt in Bewegung. Beide Einheiten schwenkten auf die Tribüne zu. Das andere Fußregiment auf der linken Seite der Reiterei rannte mit voller Kraft hinter den Fliehenden her, um die Panik zu vergrößern. Ihr blutrünstiges Kriegsgeschrei hallte über die Fläche.
Baron Nikse war auf sein Pferd gesprungen. Hastig winkte er Leif und Wolf zu sich.
„Das Regiment stellt sich vor der Tribüne auf. Schützt meine Familie und bringt sie sicher ins Schloss. Die Reiter folgen mir. Wir greifen die Fußtruppen an, die auf unser Volk zulaufen. Wenn wir diese niedergeworfen haben, fallen wir die anderen beiden Abteilungen in die Flanke.“ Er blickte Leif an. „Haltet die Stellung, bis wir kommen - dann haben wir eine Chance.“ Leif nickte und galoppierte los, um das Regiment entsprechend auszurichten. Die Angreifer waren seinen Truppen etwa um das Doppelte überlegen. Aber er besaß einen Trumpf. Er winkte dem Artilleriezug zu, der bereits die Geschütze feuerbereit gemacht hatte. Eine Salvenkanone stand neben seinen Pikenträgern im Zentrum der Schlachtreihe. Das würde eine unangenehme Überraschung für seine Gegner bedeuten – falls das Geschütz nicht versagte.
Werner Nikse wandte sich seinem Sohn zu.
„Bring du unsere Familie in Sicherheit. Ich darf nicht fliehen, sonst würden unsere Truppen demoralisiert. Du musst überleben, wie alle anderen von euch auch. Der Plan muss weiter in die Tat umgesetzt werden, ob mit mir oder ohne mich. Kann ich mich auf dich verlassen?“ In Wolfs Augen war ein schwerer Kampf abzulesen. Er wollte seinen Vater und seinen Orden nicht im Stich lassen am Tag der Bewährung. Aber er verstand, was ihm sein Vater sagte und nickte. Werner umarmte seinen Sohn:
„Ich bin stolz auf dich, du hast Großes mit dem Aufbau unserer Armee geleistet. Es ist dein Verdienst, dass wir heute nicht schutzlos dastehen. Ich hoffe, dass alles gut geht und bin sicher, dass du – egal wie der heutige Tag ausgeht – alle zukünftigen Aufgaben genauso gut bewältigen wirst. Halte die Familie zusammen“
Der Baron wandte sich den dreißig Ordensrittern zu. Den meisten von ihnen stand heute ihre erste Bluttaufe bevor. Trotz und Kampfeslust stand in vielen Gesichtern, aber auch Angst. „Ich weiß, dass dies für viele von euch heute die erste Schlacht ist. Ihr habt Angst – und das ist richtig so. Ihr seid ausgewählt worden, weil ihr die tapfersten Söhne unseres Landes seid, mutig, besonnen und gut. Der Feind ist uns überlegen, und vielleicht viel erfahrener als wir. Aber wir kämpfen für unsere Heimat und unsere Familien. Ich werde mit euch kämpfen und mein Leben und Blut für euch geben. Wenn wir schnell sind und entschlossen, können wir viel ausrichten. Wir werfen zuerst die feige Bande dort rechts nieder. Haltet euch nicht lange damit auf, eure Kameraden erwarten unsere Hilfe. Nordland sieht euch zu und vertraut auf euch.“
Er zögerte kurz, dann erteilte er den Befehl: „ Angriff!“
Werner Nikse donnerte an der Spitze seines Trupps in die Chaoskrieger, die gerade die ersten Flüchtenden erreicht hatten. Das Regiment zerstreute sich unter den Hufen und Lanzen der Ordensritter. Mit solch einem Feind schienen sie nicht gerechnet zu haben. Die Ritter des Grünen Baumes hielten blutige Ernte. In breiter Front kamen sie über den Gegner. Die ersten Reihen flogen wie Strohpuppen beiseite. Werner Nikse hieb mit seinem Runenschwert um sich und riss große Breschen in die Ränge. Sobald die Reiter in die geordneteren hinteren Reihen des Fußregiments vorgedrungen waren, zogen sie sich zusammen. Hinter dem Baron formierten sich die Ordensritter zu einem Keil und trennten den Rest des Regiments in zwei Teile. Dann schwenkten sie zu beiden Seiten aus und fielen den verbliebenen Truppen in den Rücken. Die überlebenden Soldaten wandten sich zu Flucht und verstreuten sich in alle Richtungen. Die fliehenden Bürger hatten sich gesammelt und hieben nun mit entfachter Wut auf die verbliebenen Chaos-Soldaten ein. Ein Gemetzel begann.
Werner Nikse sammelte seine Ritter und formierte sie neu. Dann ritt er auf die feindliche Reiterei zu, die sich im Nahkampf mit dem Pikenregiment unter Leifs Führung befand.
Die Salvenkanone hatte eine verheerende Wirkung auf die anstürmenden Chaosritter gehabt. Dutzende Reiter und Pferde wurden zerfetzt, welche die dahinter reitenden Formationen in starke Unordnung versetzten. Die verbliebenen vorderen Reihen prallten auf einen Wall aus Piken. Vor dieser Wand aus Holz und Stahl türmte sich in kürzester Zeit ein Wall aus Pferde- und Menschenleibern auf. Musketen und Kanonen feuerten auf das Fußregiment, so dass die Übermacht der Angreifer stark zusammenschmolz. Jetzt befanden sich beide Schlachtreihen im Nahkampf. Die Angreifer hatten sich von ihrem Schock erholt und nun begann sich ihre größere Erfahrung auszuwirken. Die Reihen der Nordländer gerieten ins Wanken. Da schmetterten die Ordensritter in den Rücken der Angreifer.
Die rechte Flanke der Tzeentch -Truppen umging die Piken und versuchte, diese Einheit von der Seite her aufzubrechen. Die Mörsereinschläge hatten bereits Verluste verursacht, aber die heranstürmenden Chaostruppen waren der Flankenabteilung noch immer zahlenmäßig überlegen. Die Milizabteilungen hielten dem Anprall stand. Hier zeigte sich der Erfolg ihres harten, unermüdlichen Exerzierens. Aus einer Bande von Wegelagerern und Strauchdieben war eine harte, unnachgiebige Militärformation geworden. Die Angreifer waren sichtlich beeindruckt. Sie hatten eine panische Bauernbande erwartet. Die Pistolen hielten blutige Ernte in den vorderen Reihen. Aus dem zweiten Glied der Milizen ragten Hellebarden und Speere hervor. Der Angriff geriet ins Stocken.
Suganow fluchte, als er das Desaster bemerkte, in das er seine Truppen geführt hatte. Wieder schien er den Baron unterschätzt zu haben, wie bereits beim Sturm auf Nordland unter dem Oberbefehl Archaons. Der Abgesandte würde sein zweites Versagen nicht so einfach hinnehmen. Es gab nur noch eines, das er zu erledigen hatte, nachdem er den Sieg nicht mehr erringen konnte.
Leif stand im Zentrum seines Regiments. Suganow konnte ihn gut erkennen. Er brüllte seinen Nebenleuten einige Befehle zu. Rasch stießen sie vorwärts, auf den Kommandanten des Pikenregiments zu. Als sie ihn erreichten, hüllte eine grell blendende Wolke die Männer ein – dann waren sie mit Leif verschwunden. Die restlichen Chaosritter und das im Nahkampf festgehaltene Flankenregiment des Tzeentch wurden massakriert. Nur wenige konnten den rettenden Wald erreichen. Der Sieg war vollkommen.
Die Nordländer jubelten ihrem Baron zu, der sich nach Leif umblickte, um ihm zu gratulieren. Aber er konnte ihn nirgends finden. Angst stieg in ihm hoch. „Wo ist euer Kommandant?“, schrie er den Standartenträger im Zentrum des Regiments an. Der Mann blickte zu Boden. „Keine Ahnung. Der Anführer der Chaosritter drang auf ihn ein – ein greller Blitz, und beide waren verschwunden. Mehr weiß ich nicht.“
Der Baron wendete sein Pferd. Er starrte auf den Waldrand und wusste, dass dort sein Schicksal auf ihn wartete. Der Tag war gewonnen – aber um welchen Preis?
Der Herrscher des Wandels … (Manuskript-Auszug)
Die Kerle waren mit Feuereifer bei der Sache. Sie stellten sich lange nicht so ungeschickt an, wie es in den einzelnen Abteilungen zuvor gewirkt hatte. Es waren die dreißig Milizionäre, die Leif und Wolf auf ihrer Liste vorgemerkt hatte. Wolf fragte sich insgeheim, warum ihm das nicht schon früher eingefallen war. „Piken bereit – Achtung – Einstemmen!“ Ein Wall von zwanzig Holzstangen in unterschiedlicher Höhe baute sich vor ihm auf. Es musste nur noch wenig an den Höhen korrigiert werden. Wolf war sich sicher, dass sie in sehr kurzer zeit mit ihrer Demonstration anfangen konnten. Er hatte insgesamt zehn Reiter zusammen, einschließlich ihm selbst. Leif sollte die Pikenabteilung kommandieren. „Angriff von Süd – Formationswechsel – Piken bereit – Achtung – Einstemmen!“ Der Pikenwall schwenkte in kurzer Zeit um 90 Grad. Es war beeindruckend. Die Reiter würden sich eine Menge blauer Flecken und Prellungen holen. Aber es diente einer guten Sache und es war nichts, was sich nicht hinterher bei einem guten Schluck Bier beheben ließ. Das Bier war übrigens deutlich besser geworden, seit es in Salzenmünd einen Zwergenbraumeister gab. Wolf grinste zufrieden. „Achtung – Formationswechsel – Abmarsch!“
Die Bürger von Salzenmünd wunderten sich über die zunehmenden Aktivitäten in ihrer Stadt. An die täglichen Übungen ihrer Miliz, die sich jetzt Regiment nannte, hatten sie sich inzwischen ja gewöhnt. Aber die Ankunft der Zwerge löste einen Massenandrang aus. Jeder wollte diese Wesen sehen, die die meisten von ihnen nur aus alten Sagen und Erzählungen kannten. Und noch lange, nachdem der Trupp hinter den Mauern des Schlosses verschwunden war, sprachen die Leute erregt und verwundert über dieses Ereignis. Gerüchte machten die Runde, dass des Nachts auch Elfen mit schimmernden Silberüstungen, hohen Helmen auf weißen Pferden in das Schloss eingeritten wären. Und Holzfäller berichteten immer öfter, dass ihnen die Bewohner des Loredan offen entgegen treten würden und ihnen die Gebiete zuwiesen, in denen sie Bäume schlagen durften. Die Stimmung brodelte, es roch nach Aufbruch, und viele wurden von einer bislang unbekannten Erregung erfasst. Nach Jahrzehnten der Behäbigkeit, der Enge und der Furcht begann man sich zu strecken und freier zu atmen. Etwas lag in der Luft.
In diese Phase fiel die Ankündigung eines Festes im Schloss, zu dem der Baron und seine Familie geladen hatten. Es sollte ein großes Ereignis werden, mit Schauexerzieren des Regiments in neuen Uniformen, feierliche Standartenübergabe, einem Jahrmarkt und einem großen Feuerwerk. Der Baron selbst wollte zu ihnen sprechen.
Ganz Salzenmünd befand sich in freudiger Erwartung der kommenden Festtage. Die Stadt war geschmückt. Hunderte von Besuchern drängten sich in den engen Gassen der Stadt. Vor den weitgehend fertig gestellten Mauern und Palisaden der Stadt vollendeten Handwerker und Soldaten die letzten Vorbereitungen für die Vorstellung der neuen Truppen. Schankwirte, Huren, Händler und Handwerker zeigten zufriedene Gesichter angesichts der zu erwartenden Geschäfte in den nächsten Tagen.
Die Übungen der neuen Truppen schritten gut voran. Zwar gab es noch etliche Feinheiten zu verbessern, aber ein Anfang war gemacht. Wolf und Leif hatten ganze Arbeit geleistet, auch wenn beide – besonders Wolf – mit Prellungen, blauen Flecken und Abschürfungen übersät waren. Die kleine Truppe des neu entstandenen Ritterordens hatte genauso hart trainiert wie das neue Regiment Pikenträger und durch die immer währende Zusammenarbeit hatten es die beiden geschafft, Reiterei und Fußvolk zu einer eingespielten Einheit werden zu lassen. Ihre Begeisterung und ihre Bereitschaft, große Mühen auf sich zu nehmen, spornten ihre Männer an, ebenfalls weit über sich hinaus zu gehen. Morgen sollten sie der Familie des Barons, der Bevölkerung von Salzenmünd und deren Gästen einen Eindruck ihrer Schlagkraft vermitteln.
Am Nachmittag ereignete sich ein Schauspiel, das die Bürger lange nicht vergessen würden. Von der Straße nach Middenheim her ertönten Rufe, dann schob sich ein längerer Zug Reiter und Gefährte aus dem Wald hervor – ein Artilleriezug. Die Menschen strömten am Tor und den Strassen zum Schloss zusammen. Drei neue Geschütze wurden unter dem Schutz der Ordensritter vom Grünen Baum in die Stadt eskortiert. Es handelte sich um ein Geschenk aus Nuln, das der Schwiegervater des Barons auf den Weg gebracht hatte. Planen verhüllten die Geschütze, um sie vor der Witterung zu schützen. Trotzdem ließ der Umriss eines der Geschütze als Langkanone, ein anderes als Mörser erkennen. Nur bei dem dritten Geschütz waren sogar altgediente Veteranen ratlos. Eine solche Form hatten sie noch nie gesehen. Der Artilleriezug verschwand im Schloss.
Suganow stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Seit einer Woche bereitete er den Angriff vor. Seine Ritter übten immer wieder den Angriff auf ungeübte Bauernmilizen und das anschließende Massaker an der Familie des Barons. Dutzende Anhänger des Tzeentch, die von ihm zu Übungszwecken in die Tiefen der Wälder geschickt worden waren, fanden bei diesen Manövern den Tod. Trotzdem riss der Strom der Freiwilligen nicht ab. Hier zeigte sich wieder einmal die ganze Macht des Gottes. Suganow erschauderte vor dieser Erkenntnis.
Wieder und wieder hatten seine Ritter sich durch eine hysterisch kreischende Menschenmenge ihren Weg zur Familie des Barons gebahnt, die auf der Tribüne sitzen und den Feierlichkeiten folgen würde. Er selbst hatte sich mit einer handverlesenen Schar der Kutsche des Barons genähert und diesen, nach erbittertem Kampf, schwer verletzt, aber lebendig in seine Gewalt gebracht. Alles klappte wie geplant. Suganow war mit den Vorbereitungen zufrieden. Heute Nacht würden achtzig Reiter und zwei Regimenter schwer gepanzerte Fußtruppen in die Wälder um Salzenmünd verlegt. Wenn die Festlichkeiten vor den Mauern der Stadt in vollem Gang wären, würden sie wie eine Meute Wölfe unter die überraschten Festteilnehmer fahren, möglichst viele von ihnen töten und die Familie des Barons niedermachen. Den Baron selbst und Leif, den abtrünnigen Sohn des Grafen Ortleib, sollten sie lebendig an ihren Herrn ausliefern. Er war bereit, seine Leute waren bereit. Morgen sollte der Tag ihres Triumphes sein.
Als die Sonne am nächsten Morgen ihre roten Strahlen über die Wipfel der Bäume schickte, war die Stadt bereits auf den Beinen. Endlich zog unter Trommelschlag und Pfeifenklang die Garnison Salzenmünds aus dem Tor. Das Regiment Pikenträger in den neuen blau-gelben Uniformen wurde von einer Abteilung Musketenschützen und einer Abteilung Miliz begleitet. Dann folgte der Artilleriezug, dessen Besatzung ebenfalls die neuen Uniformen trug. Die Ordensritter vom Grünen Baum zogen hinter der Kutsche des Barons her und bildeten den Abschluss. Leif kommandierte das Regiment, während Wolf an der Spitze des Ordens ritt. Auf dem Feld vor der Stadt nahmen die Truppen Aufstellung, um ihrem Herrn, Baron Werner Nikse, zu begrüßen.
Die Ritter des Tzeentch brachen aus ihrem Versteck hervor. Eine breite Front schimmernden Metalls schob sich aus dem Waldsaum auf die Freifläche. Die Wachen auf der Stadtmauer gaben unmittelbar Alarm. In Panik flohen die Zuschauer auf die Stadttore zu, um sich in Sicherheit zu bringen. Alles lief wie in der Vorbereitung. Suganow zog sein Schwert. Die Reiter im Zentrum der Aufstellung trabten an. Das Fußregiment auf ihrer rechten Flanke setzte sich mit einem leichten Laufschritt in Bewegung. Beide Einheiten schwenkten auf die Tribüne zu. Das andere Fußregiment auf der linken Seite der Reiterei rannte mit voller Kraft hinter den Fliehenden her, um die Panik zu vergrößern. Ihr blutrünstiges Kriegsgeschrei hallte über die Fläche.
Baron Nikse war auf sein Pferd gesprungen. Hastig winkte er Leif und Wolf zu sich.
„Das Regiment stellt sich vor der Tribüne auf. Schützt meine Familie und bringt sie sicher ins Schloss. Die Reiter folgen mir. Wir greifen die Fußtruppen an, die auf unser Volk zulaufen. Wenn wir diese niedergeworfen haben, fallen wir die anderen beiden Abteilungen in die Flanke.“ Er blickte Leif an. „Haltet die Stellung, bis wir kommen - dann haben wir eine Chance.“ Leif nickte und galoppierte los, um das Regiment entsprechend auszurichten. Die Angreifer waren seinen Truppen etwa um das Doppelte überlegen. Aber er besaß einen Trumpf. Er winkte dem Artilleriezug zu, der bereits die Geschütze feuerbereit gemacht hatte. Eine Salvenkanone stand neben seinen Pikenträgern im Zentrum der Schlachtreihe. Das würde eine unangenehme Überraschung für seine Gegner bedeuten – falls das Geschütz nicht versagte.
Werner Nikse wandte sich seinem Sohn zu.
„Bring du unsere Familie in Sicherheit. Ich darf nicht fliehen, sonst würden unsere Truppen demoralisiert. Du musst überleben, wie alle anderen von euch auch. Der Plan muss weiter in die Tat umgesetzt werden, ob mit mir oder ohne mich. Kann ich mich auf dich verlassen?“ In Wolfs Augen war ein schwerer Kampf abzulesen. Er wollte seinen Vater und seinen Orden nicht im Stich lassen am Tag der Bewährung. Aber er verstand, was ihm sein Vater sagte und nickte. Werner umarmte seinen Sohn:
„Ich bin stolz auf dich, du hast Großes mit dem Aufbau unserer Armee geleistet. Es ist dein Verdienst, dass wir heute nicht schutzlos dastehen. Ich hoffe, dass alles gut geht und bin sicher, dass du – egal wie der heutige Tag ausgeht – alle zukünftigen Aufgaben genauso gut bewältigen wirst. Halte die Familie zusammen“
Der Baron wandte sich den dreißig Ordensrittern zu. Den meisten von ihnen stand heute ihre erste Bluttaufe bevor. Trotz und Kampfeslust stand in vielen Gesichtern, aber auch Angst. „Ich weiß, dass dies für viele von euch heute die erste Schlacht ist. Ihr habt Angst – und das ist richtig so. Ihr seid ausgewählt worden, weil ihr die tapfersten Söhne unseres Landes seid, mutig, besonnen und gut. Der Feind ist uns überlegen, und vielleicht viel erfahrener als wir. Aber wir kämpfen für unsere Heimat und unsere Familien. Ich werde mit euch kämpfen und mein Leben und Blut für euch geben. Wenn wir schnell sind und entschlossen, können wir viel ausrichten. Wir werfen zuerst die feige Bande dort rechts nieder. Haltet euch nicht lange damit auf, eure Kameraden erwarten unsere Hilfe. Nordland sieht euch zu und vertraut auf euch.“
Er zögerte kurz, dann erteilte er den Befehl: „ Angriff!“
Werner Nikse donnerte an der Spitze seines Trupps in die Chaoskrieger, die gerade die ersten Flüchtenden erreicht hatten. Das Regiment zerstreute sich unter den Hufen und Lanzen der Ordensritter. Mit solch einem Feind schienen sie nicht gerechnet zu haben. Die Ritter des Grünen Baumes hielten blutige Ernte. In breiter Front kamen sie über den Gegner. Die ersten Reihen flogen wie Strohpuppen beiseite. Werner Nikse hieb mit seinem Runenschwert um sich und riss große Breschen in die Ränge. Sobald die Reiter in die geordneteren hinteren Reihen des Fußregiments vorgedrungen waren, zogen sie sich zusammen. Hinter dem Baron formierten sich die Ordensritter zu einem Keil und trennten den Rest des Regiments in zwei Teile. Dann schwenkten sie zu beiden Seiten aus und fielen den verbliebenen Truppen in den Rücken. Die überlebenden Soldaten wandten sich zu Flucht und verstreuten sich in alle Richtungen. Die fliehenden Bürger hatten sich gesammelt und hieben nun mit entfachter Wut auf die verbliebenen Chaos-Soldaten ein. Ein Gemetzel begann.
Werner Nikse sammelte seine Ritter und formierte sie neu. Dann ritt er auf die feindliche Reiterei zu, die sich im Nahkampf mit dem Pikenregiment unter Leifs Führung befand.
Die Salvenkanone hatte eine verheerende Wirkung auf die anstürmenden Chaosritter gehabt. Dutzende Reiter und Pferde wurden zerfetzt, welche die dahinter reitenden Formationen in starke Unordnung versetzten. Die verbliebenen vorderen Reihen prallten auf einen Wall aus Piken. Vor dieser Wand aus Holz und Stahl türmte sich in kürzester Zeit ein Wall aus Pferde- und Menschenleibern auf. Musketen und Kanonen feuerten auf das Fußregiment, so dass die Übermacht der Angreifer stark zusammenschmolz. Jetzt befanden sich beide Schlachtreihen im Nahkampf. Die Angreifer hatten sich von ihrem Schock erholt und nun begann sich ihre größere Erfahrung auszuwirken. Die Reihen der Nordländer gerieten ins Wanken. Da schmetterten die Ordensritter in den Rücken der Angreifer.
Die rechte Flanke der Tzeentch -Truppen umging die Piken und versuchte, diese Einheit von der Seite her aufzubrechen. Die Mörsereinschläge hatten bereits Verluste verursacht, aber die heranstürmenden Chaostruppen waren der Flankenabteilung noch immer zahlenmäßig überlegen. Die Milizabteilungen hielten dem Anprall stand. Hier zeigte sich der Erfolg ihres harten, unermüdlichen Exerzierens. Aus einer Bande von Wegelagerern und Strauchdieben war eine harte, unnachgiebige Militärformation geworden. Die Angreifer waren sichtlich beeindruckt. Sie hatten eine panische Bauernbande erwartet. Die Pistolen hielten blutige Ernte in den vorderen Reihen. Aus dem zweiten Glied der Milizen ragten Hellebarden und Speere hervor. Der Angriff geriet ins Stocken.
Suganow fluchte, als er das Desaster bemerkte, in das er seine Truppen geführt hatte. Wieder schien er den Baron unterschätzt zu haben, wie bereits beim Sturm auf Nordland unter dem Oberbefehl Archaons. Der Abgesandte würde sein zweites Versagen nicht so einfach hinnehmen. Es gab nur noch eines, das er zu erledigen hatte, nachdem er den Sieg nicht mehr erringen konnte.
Leif stand im Zentrum seines Regiments. Suganow konnte ihn gut erkennen. Er brüllte seinen Nebenleuten einige Befehle zu. Rasch stießen sie vorwärts, auf den Kommandanten des Pikenregiments zu. Als sie ihn erreichten, hüllte eine grell blendende Wolke die Männer ein – dann waren sie mit Leif verschwunden. Die restlichen Chaosritter und das im Nahkampf festgehaltene Flankenregiment des Tzeentch wurden massakriert. Nur wenige konnten den rettenden Wald erreichen. Der Sieg war vollkommen.
Die Nordländer jubelten ihrem Baron zu, der sich nach Leif umblickte, um ihm zu gratulieren. Aber er konnte ihn nirgends finden. Angst stieg in ihm hoch. „Wo ist euer Kommandant?“, schrie er den Standartenträger im Zentrum des Regiments an. Der Mann blickte zu Boden. „Keine Ahnung. Der Anführer der Chaosritter drang auf ihn ein – ein greller Blitz, und beide waren verschwunden. Mehr weiß ich nicht.“
Der Baron wendete sein Pferd. Er starrte auf den Waldrand und wusste, dass dort sein Schicksal auf ihn wartete. Der Tag war gewonnen – aber um welchen Preis?
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