Es war so verdammt dunkel. Graham konnte sich an viele einsame, dunkle Nächte erinnern, doch diese Dunkelheit war so verdammt beklemmend. Es schien, als würde das flackernde Licht seiner Fackel, welches keinen halben Schritt weit reichte, von der Dunkelheit praktisch aufgesogen.
Er hatte Angst. Und er fror erbärmlich. Doch jetzt war er schon so weit gekommen, dass er nicht wieder umkehren würde.
Dunkelheit umgab IHN, als er die Augen aufschlug. Doch ER brauchte nicht sehen. ER konnte fühlen. Fühlen, wie der Stein, aus dem der Sarkophag um IHN herum bestand, beschaffen war. Fühlen, dass nicht weit von IHM entfernt seine Untertanen auf seine Befehle warteten. Fühlen, dass jemand in SEIN Heiligtum eingedrungen war.
Fühlen, wie unbändige Wut in seinem uralten Körper aufstieg.
Schritt für Schritt tastete Graham sich an einer Wand entlang. Er spürte die Schriftzeichen, die vor Jahrtausenden in sie gemeißelt worden waren. Er konnte ahnen, was sie erzählten, obwohl er sie nicht übersetzen konnte. Denn er kannte jede Geschichte über diesen Ort, seitdem er ihn als Kind entdeckt hatte. Seine Finger glitten über brüchige Steine, ertasteten die Abbildungen von Schwertern und Bögen, Pferden und Streitwagen. Damals war ihm streng verboten worden, die Ruinen zu betreten, unter denen er sich nun befand. Doch jetzt hatte er keine Wahl. Wenn die Geschichten über diesen Ort nicht stimmten, war alle Hoffnung verloren.
Ein kratzendes Geräusch ertönte, als sich der Deckel des Sarkophages zur Seite schob. Mit einem lauten Scheppern krachte er auf den Boden, doch er war so massiv, dass er keinen großen Schaden durch den Sturz davontrug. Knirschend richtete ER sich in seinem Sarkophag auf, blickte durch leere Augenhöhlen um sich. Jedes mal, wenn SEIN Blick einen seiner Grabwächter schweifte, löste sich dieser aus seiner Erstarrung und schritt auf IHN zu. Bald war ER von zwanzig Kriegern umgeben, die einst die Elite seiner Armee gewesen waren. ER stand langsam auf, stieg aus seinem Sarkophag heraus und ohne, dass ER einen Befehl geben musste, formierte sich seine Leibwache um IHN, wie sie es schon zu seinen Lebzeiten getan hatte.
Graham hörte ein Zischen in der Ferne und blieb stehen, um zu lauschen. Das Zischen schien irgendwo rechts von ihm seinen Ursprung zu haben und wenn ihn seine Ohren nicht betrogen, kam es immer näher. Als er sich der Quelle des Geräusches zuwenden wollte, sah er ein Licht. Das Licht war schwach und noch sehr weit entfernt, doch es schien sich genauso wie das zischende Geräusch auf ihn zuzubewegen. Mit klopfendem Herzen ging er darauf zu, nur um zu bemerken, wie das Licht an Geschwindigkeit zunahm. Bald war es so nah, das er den Ursprung der Geräusch- und Lichtquelle herausfand. Mit zunehmender Geschwindigkeit entzündeten sich die uralten Fackeln an den Wänden selbst. Obwohl er das Geschehen von weit her gesehen hatte, erschrak er, als die Fackeln neben ihm mit einem lauten Zischen entflammten. Innerlich aufgewühlt, doch mit neuem Mut erfüll, ging er weiter.
Die Geschichten waren also wahr.
Durch magische Fackeln erleuchtet, schritt ER mit seiner Leibwache voran. Mit einem Wink SEINER Hand schoben sich tonnenschwere Steinwände beiseite und gaben den Weg in eine große Kammer frei. Sie war gesäumt von Ushabti, steinernen Götterstatuen, die, als ER die Kammer betrat, zum Leben erwachten und von ihren Sockeln stiegen, um vor IHM niederzuknien. In der Mitte der Kammer stand eine vermummte Gestalt, die einen uralten, verstaubten Mantel trug und scheinbar auf IHN gewartet hatte. Ihr Gesicht war unter einer Kapuze verborgen, doch ER brauchte nicht das mumifizierte Gesicht zu sehen, um seinen Hohepriester zu erkennen. Mit einer fließenden Bewegung, die ihrer knochigen Gestalt nicht zuzutrauen war, verbeugte sich der Priester vor ihm.
„Ich habe Euer Erscheinen erwartet, mein König. Eure treuen Armeen stehen bereit, um an Eurer Seite in die Schlacht zu ziehen.“
„Ich spüre nur die Anwesenheit einer einzigen Kreatur, warum sollte ich meine gesamte Armee in die Schlacht schicken?“
Sein Blick war emotionslos, da sein mumifiziertes Gesicht keinerlei Mimik zuließ, doch die Missbilligung seinem Hohepriester gegenüber war spürbar. Schweigend erhob sich der Priester, während der König sich umwandte und auf den Ausgang der Kammer zuschritt. Hinter ihm schlossen sich die Ushabti seiner Leibwache an und gingen mit ihrem Herrscher in Richtung des Eindringlings.
Er hatte sich verlaufen. Jeder Gang sah gleich aus und so tief unter der Erde hatte er keinen Bezugspunkt, an dem er sich hätte orientieren können. Zwar war es jetzt hell, so hell, dass er seine Fackel weggeworfen hatte, doch es war nicht wärmer geworden, darum zitterte Graham unkontrolliert. Doch das lag nicht allein an der Kälte. Dieses Gemäuer war so voller Magie, dass er auch aus Ehrfurcht vor den Erbauern zitterte. Sollten sie ihm nicht gewogen sein, würde er hier den Tod finden. Die schiere Macht, die von Wänden und Boden abstrahlte, die unglaublichen Schlachten, die an den Wänden dargestellt wurden, ließen ihn tief in seinem Inneren vor Angst schreien. Doch das schreckte ihn nicht ab, immer tiefer vorzudringen. Denn ob er hier drinnen durch übernatürliche Wesen sein Ende fand, ob er in eine Falle lief oder einfach verhungerte, weil er sich verlaufen hatte. Besser er starb hier drinnen, als da draußen. Vielleicht würde ihm hier drinnen ein schneller Tod gewährt werden.
Als er nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt war, schickte der König einige Krieger und Ushabti in Seitengänge, um dem Grabräuber den Fluchtweg abzuschneiden. Egal wer es wagte, seine Ruhe zu stören, er würde ihn nicht entkommen lassen.
Graham war so in Gedanken versunken, dass er das Geräusch fast überhört hätte. Doch da seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren, registrierte sein Unterbewusstsein das kratzende Geräusch. Sofort blieb er stehen, um zu horchen.
Einige Sekunden vernahm er nichts, doch gerade, als er weitergehen wollte, hörte er es erneut. Das Geräusch wurde durch die Umgebung verzerrt, doch er erkannte es. Es waren Schritte, die über sandigen Boden hallten. Die Schritte vieler Füße.
Doch nach einem Moment wurde ihm klar, das kein Mensch auf der Welt mit seinen Schritten die Erde erbeben lassen konnte.
Der Grabräuber saß in der Falle. Er hatte sich seit einigen Momenten nicht mehr bewegt, das hieß, dass er sein Verhängnis kommen hörte. Doch selbst, wenn er jetzt versuchen würde, zu fliehen, es wäre vergebens. Der König spürte, wie seine Krieger ihre Beute eingekreist hatten. Noch wenige Momente und der Frevler würde seine gerechte Strafe erhalten.
Graham dachte nur einen kurzen Moment daran, wegzurennen. Zum einen war es sinnlos, er hatte sich verlaufen und würde bestimmt nicht den Ausgang erreichen, bevor man ihn fand. Zum anderen war er hierher gekommen, um Hilfe zu holen. Zwar wusste niemand von seiner wahnsinnigen Idee, doch auch ohne, dass man es wusste, war es die einzig mögliche Rettung.
Dort war er, ein kleiner zitternder Mensch in fremdartiger Kleidung. Wie lange hatte er geschlafen, dass die Menschen solch unförmige Kleidung trugen? Wie viele Jahrhunderte mochten vergangen sein?
Egal, bald würde er sich wieder schlafen legen können.
Mir vor Angst geweiteten Augen sah er den leibhaftigen Tod auf ihn zugehen. Er hatte immer nur Geschichten über Untote gehört. Er hatte erwartet, dass sie wankend und unkoordiniert auf ihn zuschlurfen würden, doch die skelettierten Krieger, die auf ihn zukamen, marschierten wie lebende Soldaten im Gleichschritt. Zwischen ihnen gingen riesige Statuen, die Körper aus Stein und die Gesichter alten Gottheiten nachempfunden, die er auf Schrifttafeln gesehen hatte. Von drei Seiten kamen sie auf ihn zu, unaufhaltbar wie der Tod höchstpersönlich. Eine der Gruppen teilte sich und gab den Blick auf einen vollständig mumifizierten Körper frei. In eine goldene Rüstung gekleidet, ein goldenes Schild in der einen Hand und einen blau leuchtendes Krummschwert in der anderen flösste der bloße Anblick Graham solche Angst ein, dass seine Gliedmaßen sich weigerten, sich zu bewegen. Er hatte recht gehabt. Doch ob er diesen persönlichen Triumph auch überleben würde, war fragwürdig. Obwohl seine Glieder sich mit aller Macht wehrten, sich zu bewegen, zwang er sich auf ein Knie herunter und beugte seinen Kopf vor dem letzten der Gruftkönige des Silberflusses. Obwohl er hören konnte, wie die Untoten näher kamen, nahm er all seinen Mut zusammen und sprach den Herrscher der Flusspyramiden an. Er hoffte mit jeder Faser seines Körpers, dass man ihn verstehen würde.
Mit gezogener Klinge ging er auf den Grabschänder zu, bereit ihn seiner Strafe zuzuführen. Doch Unerwartetherweise kniete dieser vor ihm nieder und begann zu sprechen. Obwohl ihm die Sprache nicht bekannt war, verstand der König jedes Wort, das an ihn gerichtet wurde, denn die Magie der Priester ließ ihn die Gedanken des Sprechenden direkt aus seinem Kopf hören. Der Eindringling erzählte von einer großen Armee von Kriegern des Chaos, die auf das Land zukamen, begleitet von Tiermenschen und Dämonen. Er sprach davon, dass sein Dorf genauso wie viele andere unter der Gewalt der außerweltlichen Krieger nicht bestehen konnte, dass Hunderte Unschuldiger sterben würden. Er bat um seinen Beistand, denn ohne ihn wären sie verloren.
Der König hielt inne, als der Eindringling sprach. Obwohl ihm das Schicksal der Lebenden egal war, erkannte er den Mut des Menschen an, der in seine Grabstätte eingedrungen war. Mit einem Gedanken rief er seinen Hohepriester und ließ ihn den Wahrheitsgehalt der Worte des Menschen überprüfen.
Als er angefangen hatte zu reden, verharrten die Untoten an Ort und Stelle. Graham schöpfte neuen Mut. Vielleicht würde er den Tag doch überleben.
Von seinem Altar aus, intonierte der Hohepriester des Gruftkönigs eine uralte Formel, mehr ein Singsang denn eine Beschwörung und in einer Kammer nahe der Spitze der Gruft, erwachten die Todesgeier ein weiteres Mal zum Leben. Sie erhoben sich auf rissigen Flügeln gen Himmel und flogen in die Richtung, aus der das Chaosheer laut der Aussage des Menschen kommen sollte. Der Priester sah durch die eingefallenen Augen der Geier den Silberfluss, der sich wie eine Ader durch die Wüste zog. Am Horizont erkannte er eine Staubwolke und als er näher an die Staubwolke herankam, die Armee des Chaos, wie sie in das Land Nehekharas eindrang. Er sandte die Bilder an seinen König, damit dieser eine Entscheidung fällen konnte.
Die Minuten vergingen, sie fühlten sich an wie Stunden. Vor Angst schwitzend und doch frierend kniete Graham mit gesenktem Kopf vor dem Gruftkönig und wartete, dass etwas passierte.
Mit einem Mal kam Bewegung in die Untoten. Im perfekten Einklang wandte sich ein Teil von ihnen um und schritt davon. Graham wagte nicht, den Kopf zu heben. Er schrak jedoch hoch, als er eine Stimme in seinem Kopf wahrnahm.
„Dieses Land ist mein Land. Niemals werde ich erlauben, dass jemand anders als ich über es Herrscht. Niemals werde ich erlauben, dass jemand es schändet. Nicht jetzt und nicht in tausend Jahren.“
Voller Freude sprang Graham auf.
„Ihr werdet uns also retten?“
Der Blick der Kreatur war hart wie Marmor und bohrte sich direkt in seine Seele.
„Ihr werdet kämpfen, wie es sich für meine Untertanen gehört. Ihr werdet an der Seite meiner Legionen marschieren, oder sterben.“
Betroffen sah Graham zu Boden.
„Es gibt niemanden mehr, der an Eurer Seite in die Schlacht ziehen könnte. Alle Krieger unserer Dörfer wurden auf dem Schlachtfeld getötet.“
„Dann werdet auch ihr sterben.“
Ungläubig sah Graham zu Boden. Es konnte einfach nicht sein, durfte nicht sein! Eine letzte Idee keimte in ihm auf. Er fasste sich und sah dem untoten König direkt in die Augen.
„Ich werde für euch kämpfen. Mehr kann ich nicht anbieten.“
Als er keine Antwort erhielt, dachte Graham, dass es nicht reichen würde. Dass der König nicht auf sein Angebot eingehen würde. Doch dann spürte er wieder die Stimme des Königs in seinem Kopf:
„Dein Mut ist außerordentlich. Und deine Opferbereitschaft soll nicht unbelohnt bleiben. Es soll geschehen. Folge mir in die Schlacht, mein Untertan. Solltest du fallen, werde ich dich in meine Armee aufnehmen, damit du mir bis in alle Ewigkeit dienen kannst.“
Als Graham dem König folgte, dachte er an all die Menschen in seinem Dorf. An seinen Vater, der in der Schlacht gefallen war, an seine Schwester und seine Mutter. Auch wenn er sterben würde, so würde sein Opfer doch dafür sorgen, dass seine Liebsten überleben würden. Seine Schritte wurden selbstsicher, als er die erleuchteten Gänge entlangging. Er folgte dem König unzählige Minuten durch verwinkelte Gänge und merkte nur, dass sie sich nach oben bewegten. Irgendwann standen sie vor einer Wand, die sich plötzlich zur Seite bewegte und die Sicht nach draußen freigab. Er folgte dem König auf ein Podest und sah staunend nach unten.
Soweit sein Blick reichte, formierten sich die Legionen des Todes. Tausende von Skelettsoldaten, Reitern und Streitwagen, hunderte von Knochenkonstrukten und lebenden Statuen, dutzende Katapulte füllten sein Blickfeld aus. Staunend sah er, wie sich eine Armee versammelte, die dem Chaosheer zahlenmäßig weit überlegen war. Am Rande seines Bewusstseins nahm er die Stimme des Königs war.
„Dieses Land ist mein Land. Niemals werde ich erlauben, dass jemand anders als ich über es Herrscht. Niemals werde ich erlauben, dass jemand es schändet. Nicht jetzt und nicht in tausend Jahren.“
Er hatte Angst. Und er fror erbärmlich. Doch jetzt war er schon so weit gekommen, dass er nicht wieder umkehren würde.
Dunkelheit umgab IHN, als er die Augen aufschlug. Doch ER brauchte nicht sehen. ER konnte fühlen. Fühlen, wie der Stein, aus dem der Sarkophag um IHN herum bestand, beschaffen war. Fühlen, dass nicht weit von IHM entfernt seine Untertanen auf seine Befehle warteten. Fühlen, dass jemand in SEIN Heiligtum eingedrungen war.
Fühlen, wie unbändige Wut in seinem uralten Körper aufstieg.
Schritt für Schritt tastete Graham sich an einer Wand entlang. Er spürte die Schriftzeichen, die vor Jahrtausenden in sie gemeißelt worden waren. Er konnte ahnen, was sie erzählten, obwohl er sie nicht übersetzen konnte. Denn er kannte jede Geschichte über diesen Ort, seitdem er ihn als Kind entdeckt hatte. Seine Finger glitten über brüchige Steine, ertasteten die Abbildungen von Schwertern und Bögen, Pferden und Streitwagen. Damals war ihm streng verboten worden, die Ruinen zu betreten, unter denen er sich nun befand. Doch jetzt hatte er keine Wahl. Wenn die Geschichten über diesen Ort nicht stimmten, war alle Hoffnung verloren.
Ein kratzendes Geräusch ertönte, als sich der Deckel des Sarkophages zur Seite schob. Mit einem lauten Scheppern krachte er auf den Boden, doch er war so massiv, dass er keinen großen Schaden durch den Sturz davontrug. Knirschend richtete ER sich in seinem Sarkophag auf, blickte durch leere Augenhöhlen um sich. Jedes mal, wenn SEIN Blick einen seiner Grabwächter schweifte, löste sich dieser aus seiner Erstarrung und schritt auf IHN zu. Bald war ER von zwanzig Kriegern umgeben, die einst die Elite seiner Armee gewesen waren. ER stand langsam auf, stieg aus seinem Sarkophag heraus und ohne, dass ER einen Befehl geben musste, formierte sich seine Leibwache um IHN, wie sie es schon zu seinen Lebzeiten getan hatte.
Graham hörte ein Zischen in der Ferne und blieb stehen, um zu lauschen. Das Zischen schien irgendwo rechts von ihm seinen Ursprung zu haben und wenn ihn seine Ohren nicht betrogen, kam es immer näher. Als er sich der Quelle des Geräusches zuwenden wollte, sah er ein Licht. Das Licht war schwach und noch sehr weit entfernt, doch es schien sich genauso wie das zischende Geräusch auf ihn zuzubewegen. Mit klopfendem Herzen ging er darauf zu, nur um zu bemerken, wie das Licht an Geschwindigkeit zunahm. Bald war es so nah, das er den Ursprung der Geräusch- und Lichtquelle herausfand. Mit zunehmender Geschwindigkeit entzündeten sich die uralten Fackeln an den Wänden selbst. Obwohl er das Geschehen von weit her gesehen hatte, erschrak er, als die Fackeln neben ihm mit einem lauten Zischen entflammten. Innerlich aufgewühlt, doch mit neuem Mut erfüll, ging er weiter.
Die Geschichten waren also wahr.
Durch magische Fackeln erleuchtet, schritt ER mit seiner Leibwache voran. Mit einem Wink SEINER Hand schoben sich tonnenschwere Steinwände beiseite und gaben den Weg in eine große Kammer frei. Sie war gesäumt von Ushabti, steinernen Götterstatuen, die, als ER die Kammer betrat, zum Leben erwachten und von ihren Sockeln stiegen, um vor IHM niederzuknien. In der Mitte der Kammer stand eine vermummte Gestalt, die einen uralten, verstaubten Mantel trug und scheinbar auf IHN gewartet hatte. Ihr Gesicht war unter einer Kapuze verborgen, doch ER brauchte nicht das mumifizierte Gesicht zu sehen, um seinen Hohepriester zu erkennen. Mit einer fließenden Bewegung, die ihrer knochigen Gestalt nicht zuzutrauen war, verbeugte sich der Priester vor ihm.
„Ich habe Euer Erscheinen erwartet, mein König. Eure treuen Armeen stehen bereit, um an Eurer Seite in die Schlacht zu ziehen.“
„Ich spüre nur die Anwesenheit einer einzigen Kreatur, warum sollte ich meine gesamte Armee in die Schlacht schicken?“
Sein Blick war emotionslos, da sein mumifiziertes Gesicht keinerlei Mimik zuließ, doch die Missbilligung seinem Hohepriester gegenüber war spürbar. Schweigend erhob sich der Priester, während der König sich umwandte und auf den Ausgang der Kammer zuschritt. Hinter ihm schlossen sich die Ushabti seiner Leibwache an und gingen mit ihrem Herrscher in Richtung des Eindringlings.
Er hatte sich verlaufen. Jeder Gang sah gleich aus und so tief unter der Erde hatte er keinen Bezugspunkt, an dem er sich hätte orientieren können. Zwar war es jetzt hell, so hell, dass er seine Fackel weggeworfen hatte, doch es war nicht wärmer geworden, darum zitterte Graham unkontrolliert. Doch das lag nicht allein an der Kälte. Dieses Gemäuer war so voller Magie, dass er auch aus Ehrfurcht vor den Erbauern zitterte. Sollten sie ihm nicht gewogen sein, würde er hier den Tod finden. Die schiere Macht, die von Wänden und Boden abstrahlte, die unglaublichen Schlachten, die an den Wänden dargestellt wurden, ließen ihn tief in seinem Inneren vor Angst schreien. Doch das schreckte ihn nicht ab, immer tiefer vorzudringen. Denn ob er hier drinnen durch übernatürliche Wesen sein Ende fand, ob er in eine Falle lief oder einfach verhungerte, weil er sich verlaufen hatte. Besser er starb hier drinnen, als da draußen. Vielleicht würde ihm hier drinnen ein schneller Tod gewährt werden.
Als er nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt war, schickte der König einige Krieger und Ushabti in Seitengänge, um dem Grabräuber den Fluchtweg abzuschneiden. Egal wer es wagte, seine Ruhe zu stören, er würde ihn nicht entkommen lassen.
Graham war so in Gedanken versunken, dass er das Geräusch fast überhört hätte. Doch da seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren, registrierte sein Unterbewusstsein das kratzende Geräusch. Sofort blieb er stehen, um zu horchen.
Einige Sekunden vernahm er nichts, doch gerade, als er weitergehen wollte, hörte er es erneut. Das Geräusch wurde durch die Umgebung verzerrt, doch er erkannte es. Es waren Schritte, die über sandigen Boden hallten. Die Schritte vieler Füße.
Doch nach einem Moment wurde ihm klar, das kein Mensch auf der Welt mit seinen Schritten die Erde erbeben lassen konnte.
Der Grabräuber saß in der Falle. Er hatte sich seit einigen Momenten nicht mehr bewegt, das hieß, dass er sein Verhängnis kommen hörte. Doch selbst, wenn er jetzt versuchen würde, zu fliehen, es wäre vergebens. Der König spürte, wie seine Krieger ihre Beute eingekreist hatten. Noch wenige Momente und der Frevler würde seine gerechte Strafe erhalten.
Graham dachte nur einen kurzen Moment daran, wegzurennen. Zum einen war es sinnlos, er hatte sich verlaufen und würde bestimmt nicht den Ausgang erreichen, bevor man ihn fand. Zum anderen war er hierher gekommen, um Hilfe zu holen. Zwar wusste niemand von seiner wahnsinnigen Idee, doch auch ohne, dass man es wusste, war es die einzig mögliche Rettung.
Dort war er, ein kleiner zitternder Mensch in fremdartiger Kleidung. Wie lange hatte er geschlafen, dass die Menschen solch unförmige Kleidung trugen? Wie viele Jahrhunderte mochten vergangen sein?
Egal, bald würde er sich wieder schlafen legen können.
Mir vor Angst geweiteten Augen sah er den leibhaftigen Tod auf ihn zugehen. Er hatte immer nur Geschichten über Untote gehört. Er hatte erwartet, dass sie wankend und unkoordiniert auf ihn zuschlurfen würden, doch die skelettierten Krieger, die auf ihn zukamen, marschierten wie lebende Soldaten im Gleichschritt. Zwischen ihnen gingen riesige Statuen, die Körper aus Stein und die Gesichter alten Gottheiten nachempfunden, die er auf Schrifttafeln gesehen hatte. Von drei Seiten kamen sie auf ihn zu, unaufhaltbar wie der Tod höchstpersönlich. Eine der Gruppen teilte sich und gab den Blick auf einen vollständig mumifizierten Körper frei. In eine goldene Rüstung gekleidet, ein goldenes Schild in der einen Hand und einen blau leuchtendes Krummschwert in der anderen flösste der bloße Anblick Graham solche Angst ein, dass seine Gliedmaßen sich weigerten, sich zu bewegen. Er hatte recht gehabt. Doch ob er diesen persönlichen Triumph auch überleben würde, war fragwürdig. Obwohl seine Glieder sich mit aller Macht wehrten, sich zu bewegen, zwang er sich auf ein Knie herunter und beugte seinen Kopf vor dem letzten der Gruftkönige des Silberflusses. Obwohl er hören konnte, wie die Untoten näher kamen, nahm er all seinen Mut zusammen und sprach den Herrscher der Flusspyramiden an. Er hoffte mit jeder Faser seines Körpers, dass man ihn verstehen würde.
Mit gezogener Klinge ging er auf den Grabschänder zu, bereit ihn seiner Strafe zuzuführen. Doch Unerwartetherweise kniete dieser vor ihm nieder und begann zu sprechen. Obwohl ihm die Sprache nicht bekannt war, verstand der König jedes Wort, das an ihn gerichtet wurde, denn die Magie der Priester ließ ihn die Gedanken des Sprechenden direkt aus seinem Kopf hören. Der Eindringling erzählte von einer großen Armee von Kriegern des Chaos, die auf das Land zukamen, begleitet von Tiermenschen und Dämonen. Er sprach davon, dass sein Dorf genauso wie viele andere unter der Gewalt der außerweltlichen Krieger nicht bestehen konnte, dass Hunderte Unschuldiger sterben würden. Er bat um seinen Beistand, denn ohne ihn wären sie verloren.
Der König hielt inne, als der Eindringling sprach. Obwohl ihm das Schicksal der Lebenden egal war, erkannte er den Mut des Menschen an, der in seine Grabstätte eingedrungen war. Mit einem Gedanken rief er seinen Hohepriester und ließ ihn den Wahrheitsgehalt der Worte des Menschen überprüfen.
Als er angefangen hatte zu reden, verharrten die Untoten an Ort und Stelle. Graham schöpfte neuen Mut. Vielleicht würde er den Tag doch überleben.
Von seinem Altar aus, intonierte der Hohepriester des Gruftkönigs eine uralte Formel, mehr ein Singsang denn eine Beschwörung und in einer Kammer nahe der Spitze der Gruft, erwachten die Todesgeier ein weiteres Mal zum Leben. Sie erhoben sich auf rissigen Flügeln gen Himmel und flogen in die Richtung, aus der das Chaosheer laut der Aussage des Menschen kommen sollte. Der Priester sah durch die eingefallenen Augen der Geier den Silberfluss, der sich wie eine Ader durch die Wüste zog. Am Horizont erkannte er eine Staubwolke und als er näher an die Staubwolke herankam, die Armee des Chaos, wie sie in das Land Nehekharas eindrang. Er sandte die Bilder an seinen König, damit dieser eine Entscheidung fällen konnte.
Die Minuten vergingen, sie fühlten sich an wie Stunden. Vor Angst schwitzend und doch frierend kniete Graham mit gesenktem Kopf vor dem Gruftkönig und wartete, dass etwas passierte.
Mit einem Mal kam Bewegung in die Untoten. Im perfekten Einklang wandte sich ein Teil von ihnen um und schritt davon. Graham wagte nicht, den Kopf zu heben. Er schrak jedoch hoch, als er eine Stimme in seinem Kopf wahrnahm.
„Dieses Land ist mein Land. Niemals werde ich erlauben, dass jemand anders als ich über es Herrscht. Niemals werde ich erlauben, dass jemand es schändet. Nicht jetzt und nicht in tausend Jahren.“
Voller Freude sprang Graham auf.
„Ihr werdet uns also retten?“
Der Blick der Kreatur war hart wie Marmor und bohrte sich direkt in seine Seele.
„Ihr werdet kämpfen, wie es sich für meine Untertanen gehört. Ihr werdet an der Seite meiner Legionen marschieren, oder sterben.“
Betroffen sah Graham zu Boden.
„Es gibt niemanden mehr, der an Eurer Seite in die Schlacht ziehen könnte. Alle Krieger unserer Dörfer wurden auf dem Schlachtfeld getötet.“
„Dann werdet auch ihr sterben.“
Ungläubig sah Graham zu Boden. Es konnte einfach nicht sein, durfte nicht sein! Eine letzte Idee keimte in ihm auf. Er fasste sich und sah dem untoten König direkt in die Augen.
„Ich werde für euch kämpfen. Mehr kann ich nicht anbieten.“
Als er keine Antwort erhielt, dachte Graham, dass es nicht reichen würde. Dass der König nicht auf sein Angebot eingehen würde. Doch dann spürte er wieder die Stimme des Königs in seinem Kopf:
„Dein Mut ist außerordentlich. Und deine Opferbereitschaft soll nicht unbelohnt bleiben. Es soll geschehen. Folge mir in die Schlacht, mein Untertan. Solltest du fallen, werde ich dich in meine Armee aufnehmen, damit du mir bis in alle Ewigkeit dienen kannst.“
Als Graham dem König folgte, dachte er an all die Menschen in seinem Dorf. An seinen Vater, der in der Schlacht gefallen war, an seine Schwester und seine Mutter. Auch wenn er sterben würde, so würde sein Opfer doch dafür sorgen, dass seine Liebsten überleben würden. Seine Schritte wurden selbstsicher, als er die erleuchteten Gänge entlangging. Er folgte dem König unzählige Minuten durch verwinkelte Gänge und merkte nur, dass sie sich nach oben bewegten. Irgendwann standen sie vor einer Wand, die sich plötzlich zur Seite bewegte und die Sicht nach draußen freigab. Er folgte dem König auf ein Podest und sah staunend nach unten.
Soweit sein Blick reichte, formierten sich die Legionen des Todes. Tausende von Skelettsoldaten, Reitern und Streitwagen, hunderte von Knochenkonstrukten und lebenden Statuen, dutzende Katapulte füllten sein Blickfeld aus. Staunend sah er, wie sich eine Armee versammelte, die dem Chaosheer zahlenmäßig weit überlegen war. Am Rande seines Bewusstseins nahm er die Stimme des Königs war.
„Dieses Land ist mein Land. Niemals werde ich erlauben, dass jemand anders als ich über es Herrscht. Niemals werde ich erlauben, dass jemand es schändet. Nicht jetzt und nicht in tausend Jahren.“
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