Diese Geschichte erreichte einen 3. Platz und wurde von Rabenfeder geschrieben.
Im Kielwasser der Truppen, die den Bunker sicherten, kamen die Sanitäter. Erst im letzten Augenblick war die Stellung dem Feind entrissen worden und erste, wenn auch widersprüchliche Meldungen sprachen von hunderten Toten und Verwundeten. Ryaln Finley, ein Mann von kleiner Statur, dessen kurze, dunkle Haare sich als breiter Streifen vom Hinterkopf zur Stirn streckten, schien es eine grobe Absurdität, dass für diesen groben Kasten aus Beton so viele Männer und Frauen in den Tod gegangen waren. Er grüßte den Soldaten der Entsatztruppen, der zitternd im einsetzenden Schnee am Bunkereingang Wache hielt, und tauchte in das Dämmerlicht des Gebäudes ein. Noch ehe er etwas erkennen konnte, drang der erbärmliche Gestank auf ihn ein: süßlich roch es nach verbranntem Fleisch und Blut – ein Geruch, der ihn hätte würgen lassen, wäre er ihm nicht schon dutzendfach begegnet – dazu mischte sich kalter Rauch und, fein nur, Exkremente. Er schmeckte Asche auf der Zunge.
Erst dann sah er.
Ryaln, 29 Winter alt, hatte bereits einiges gesehen. In einem scheinbar endlos zurückliegenden Leben war er erst Medizinstudent gewesen, hatte dann aber abgebrochen, um in einem Antiquariat für altimperiale Schriften zu arbeiten. Der Rauch ließ seine Augen jucken, auf denen Kontaktlinsen schwommen – er war, gelinde gesagt, lesefreudig und hatte allerlei Dinge verschlungen, wenn ihm in letzter Zeit auch besonders die frühen Texte Laarsits zusprachen: sie enthielten teils revolutionäre Abschnitte, die den Wert des Einzelnen priesen. Ein in seiner Klarheit irgendwie frischer, wenn auch ungewohnter Gedanke.
Irgendjemand hatte sich jedoch anscheinend an sein Studium erinnert, weshalb er nun bereits seit zahllosen Wochen die Schrecken zu lindern versuchte, die der Krieg hinterließ. Nicht, dass es ihn damit besonders schlecht erwischt hatte: er war um einiges besser dran als die armen Hunde wie die, die erschöpft und abgekämpft in lockerer Runde im Innenraum saßen, standen oder lagen.
Es waren die traurigen Überreste des hier stationierten Zuges, irgendeinem Truppenteil irgendwelcher 102. Schützen. Keiner war unversehrt, weder an Körper, noch an Geist. Alle starrten sie leer und dumpf an Boden und an Wände, krampfhaft bemüht, nicht zu denen zu blicken, die es noch schlimmer erwischt hatte – tatsächlich waren von den ehemals fünfzig Soldaten noch kaum fünfzehn am Leben. Die anderen lagen mit verdrehten Gliedern überall in dem Raum zwischen vereinzelten Soldaten des Erzfeindes, die es bis hierher geschafft hatten. Sie alle zeigten verschiedene Stufen der Verwesung und unterschiedliche Verletzungen: manche waren durch Gewehrschüsse umgekommen, bei anderen sah Ryaln Wunden von Trümmern, von Stichen, er sah verbranntes Fleisch und kauterisierte Einschusslöcher.
Die Wände des Bunkers selbst waren von Feuer rußgeschwärzt. Zwischen den Leichen lagen umgestürzt ein Tisch und einige Stühle, zerschmettert waren an den Wänden einige Feldbetten zu erkennen, dazu Lasergewehre, ein verbogenes Funkgerät. Tanzende Asche vermischte sich mit den Schneeflocken, die durch die Türöffnung hineinwehten. Wenn es einen letzten Tag, eine alles verschlingende Apokalypse gab, dann kam dieser Anblick dem ausgesprochen nah.
Über all dem lag bis auf das entfernte Grollen der Artillerie, sein ganz persönlicher ständiger Begleiter, eine gespenstische Stille, als Ryaln und die anderen vier entsandten Männer – sowie eine Frau, Claire – der Sanitätskompanie XCIII mit stummen Entsetzen auf die Szenerie starrten. Auch den Entsatztruppen schmeckte ob dieses Anblicks der Triumph plötzlich schal. Stärker als zuvor spürte Ryaln die Kälte auf seiner Haut.
In dieser Stille war plötzlich ein leises Husten, dann ein Röcheln zu vernehmen.
„Scheiße, da lebt noch wer“, fluchte er und setzte sich in die Richtung des Geräusches in Bewegung, während der den anderen Anweisungen gab. „Haltet keine Maulaffen feil, kümmert ihr euch verdammt noch mal um die anderen.“
Die Sanitäter setzten sich augenblicklich in Bewegung.
Wieder erklang ein matter Schmerzenslaut, der mehr nach einem waidwunden Tier als nach einem Menschen klang. Ryalns Blick fiel erst auf eine Soldatin, die über der Leiche eines anderen lag. Dann jedoch bemerkte er, dass ein Schnitt die Kehle der Frau zur Gänze durchtrennt hatte. Kurz verweilte er bei einem Mann, doch dessen Glieder waren durch Leichenstarre und Kälte schon längst steif geworden.
Erst nach einem weiteren leisen Keuchen bemerkte er im Schatten eines umgestürzten Waffenschrankes die hagere junge Frau, die wie eine zerbrochene Puppe halb an die Wand gelehnt dalag. Sie war vielleicht Mitte zwanzig. Die braunen Haare, die ihr wohl sonst auf die Schulter fielen, hingen nun wirr herunter, wie der Rest von Körper und Kleidung von Blut und Dreck verkrustet, und verdeckten fast die grünen Augen. Um das linke Bein war bereits ein notdürftiger Verband gewickelt, dazu war ihre Schulter von einem Laserschuss glatt durchbohrt worden. Keine dieser Wunden würde jedoch dafür sorgen, dass sie in näherer Zeit sterben würde. Als Ryaln sich neben ihr niederkniete, galt seine Sorge viel mehr der Bauchwunde, auf die sie ihre mit Lappen umwickelten Hände presste. Sie war nicht bereits kauterisiert, stammte also wohl kaum von einer Laserwaffe. Dem Blut zufolge, dass die zerschlissene Uniformjacke durchnässte und sich bereits in einer kleinen Lache um die Soldatin ausgebreitet hatte, lag sie schon länger so hier – wusste der Warp, warum keiner der anderen sie bemerkt hatte.
„Nath… bin Nath…“, gurgelte die Frau heiser und kaum verständlich, als sie ihn schließlich bemerkte. Blut benetzte ihre Lippen.
„Sssch“, machte Ryaln beinahe automatisch, der bereits seine Sanitätsausrüstung neben sich abgelegt hatte und nach der Hundemarke griff, die an einem Lederband um den Hals der Frau hing. Natharia Kieran hieß sie demnach, Blutgruppe B Positiv. Sie würde einiges an Blutkonserven brauchen, vorausgesetzt, er würde die verdammte Wunde zum Versiegen bringen können.
Hastig schnitt er die Uniformjacke auf, während er gleichzeitig eine Spritze mit Schmerzmittel aufzog. Der Stoff klebte am Körper, und die Haut darunter war glitschig von Blut. Hastig jagte er die Spritze ins Bein der Frau, dann wischte er den Bauch um die Wunde mit einem Tuch sauber. Sie war nur wenige Zoll breit, aber mehrere tief – vermutlich von einem Bajonett oder einfachem Messer verursacht. Er hoffte, dass die Waffe keines der Organe ernsthaft verletzt hatte, auch wenn das Blut auf ihren Lippen Schlimmeres befürchten ließ. Dazu schien dem Blutstrom nach mindestens eine Ader getroffen worden zu sein.
Ryaln begann zu arbeiten.
„Welches Leben hast du wohl geführt, hm?“, murmelte er vor sich hin. Die anderen zogen ihn für die Angewohnheit, mit den Verwundeten zu reden, auch wenn sie ihn nicht hören konnten, oft auf – für ihn war es jedoch schlicht eine Möglichkeit, ein wenig von dem ständigen Druck loszuwerden. Und dazu war er einfach einer der besten Sanitäter, die man in ihrem Abschnitt finden konnte. Oder gleich auf dem verfluchten Drecksplaneten? Sie zogen ihn manchmal auch wegen seiner Bescheidenheit auf.
„Wer hat das bloß mit dir angestellt… nun, ich nehme an, die Antwort ist offensichtlich.“
Sie wollte antworten, doch er schüttelte nur den Kopf, machte wieder „Ssssch.“
Seine Finger flogen, doch unablässig sickerte ihm das Leben durch die Finger. Der Körper unter ihm zitterte sacht, Tränen standen in den Augen der Soldatin – ob aus Angst vor dem Tod oder vor Schmerz, vermochte er nicht zu sagen.
„Was du wohl früher für ein Leben geführt hast?“, brummte Ryaln vor sich hin. „Ich nehme an, diese Frage ist nicht von Bedeutung. Die Imperiale Armee und dann der Tod löschen eh alle Unterschiede. Arme Seele, dass du gerade hier gelandet bist.“
Einen Augenblick nur schien der Strom an Blut zu versiegen, nur um sich wenig später wieder zu verstärken. Ryaln fluchte bildhaft. Kam es ihm nur so vor, oder verlosch das Augenlicht der Frau langsam? Das Leben schwand mit dem Blut, das Gesicht war bereits bleich und kalt. Fieberhaft arbeitete er weiter, klemmte Adern ab, schnitt, nähte, verbrauchte einen Teil seines immer kleiner werdenden Vorrats an Narcotica und anderen Mitteln.
„Du hast sicher früher häufig gelacht“, murmelte der Sanitäter mit einem Hauch von Wut in der Stimme. „Jetzt gibt es dazu natürlich nicht allzu viel Grund. Hast sicher eine gewisse Schönheit in dir getragen, hm?“
Nun war ihr Gesicht jedoch vor Schmerz verzerrt. Trotz der Felddecke, die Ryaln inzwischen auf ihren Beinen gebettet hatte, schien Natharia Kieran zu frieren.
„Du wirst mir nicht sterben, nicht hier, nicht heute. Es sind schon viel zu viele…“, presste er hervor. Langsam schlich sich leise Verzweiflung in den Tonfall des Sanitäters. Egal, was er auch versuchte, nichts schien die Blutung stoppen zu können. Noch immer plagte sich das Herz der Soldatin, pumpte mehr und mehr Blut aus ihrem Körper. Ihr Atem wurde langsam flacher, immer unregelmäßiger, japsend. Ryaln hatte das bereits häufig erlebt: die junge Frau drohte, den Kampf zu verlieren, ihre Lebensgeister erloschen.
„He, bist du noch bei mir?“ Sacht schlug er ihr auf die Wange. Natharias Lieder öffneten sich flatternd, doch die Augen waren bereits trübe. Sie schien ihn nicht mehr zu verstehen, der Blick zeigte nur noch Erstaunen.
„Nein, nein, nein…“, murmelte der Sanitäter und schlug ihr erneut auf die Wange. Die Atmung setzte für einen Moment aus und setzte wieder ein, nur um dann wieder schwächer zu werden. Unvermindert quoll Blut aus der Wunde.
„Atme, verdammt! Atme!“, schrie Ryaln die Verwundete an. Einige der anderen Truppmitglieder blickten teilnahmslos herüber.
Die einzige Antwort der jungen Frau bestand darin, dass sich ihre Hände in der Uniformjacke des Sanitäters verkrallten, etwas Gurgelndes über die Lippen bringend.
Eine fremde Hand schloss sich um die verkrampften Finger der Soldatin.
„Willst du den Imperator im Stich lassen, Tochter?“, fragte eine sanfte Stimme. Ryaln blickte zur Seite. Neben ihm hatte sich ein hochgewachsener, sehniger Mann niedergelassen, nicht jünger als fünfundzwanzig, nicht älter als vielleicht vierzig – sein Alter war schwer zu schätzen. Sein Kopf war kahlrasiert, auch an seinem Kinn spross kein einziges Haar. Nur die blaue Robe und der Rosarius in Form des doppelköpfigen Adlers verrieten, dass er ein Prediger der Ekklesiarchie war.
Beruhigend fuhr er der Frau durchs Haar.
„Willst du dich und Ihn einfach aufgeben?“
Ein verloren geglaubter Lebensfunke erglomm in Natharias Augen. Schwach schüttelte sie den Kopf, eine einzelne Träne rann ihr die Wange herunter. Ihrem Mund entrang sich ein tonloses Krächzen.
Nach einem kurzen Moment der Überraschung setzte Ryaln fieberhaft seine Arbeit fort.
„Nein“, antwortete der Prediger derweil für die Soldatin. „Du willst kämpfen. Du bist eine wahrhaftige Kriegerin des Imperators. Spürst du nicht Seine heilige Gegenwart? Er gibt auf jeden Seiner Soldaten Acht. Auch auf dich, mein Kind.“
Mehr und mehr Köpfe in dem Raum wandten sich ihnen zu, als ihre Nebenmänner sie auf den Neuankömmling aufmerksam machten. Der Sanitäter spürte, dass sich der Körper der Frau langsam entkrampfte, erneut schien die Blutung schwächer zu werden. Sanft strich der Prediger der Verwundeten die schweißdurchnässten Haare aus dem Gesicht.
„Für dich ist die Zeit noch nicht gekommen, an Seiner Tafel zu speisen.“
Tief in ihm beunruhigte es Ryaln, dass der Blutstrom plötzlich gänzlich versiegte. Rasch legte er einen provisorischen Verband an – im Lazarett würde man noch einmal darauf schauen müssen.
„Tretet wieder in die Reihen Seiner Krieger, Tochter“, sagte der Prediger ruhig. Der Sanitäter wollte protestierend den Mund öffnen, doch die Soldatin erhob sich – zitternd und langsam zwar – und machte zwei unsichere Schritte. Ryaln beeilte sich, ebenfalls aufzustehen und sie zu stützten.
Einen Moment lang herrschte Stille.
„Ein Wunder“, krächzte schließlich einer der Soldaten des 102. heiser und ließ sich vor dem Prediger auf die Knie sinken. Einer nach dem anderen taten es die restlichen Anwesenden gleich, bis nur noch Ryaln, Natharia und der Prediger aufrecht standen. Dieser blickte einen Moment auf sie.
„Erhebt euch, Soldaten des Imperators!“, wies er sie anschließend mit klarer Stimme an, die den gesamten Bunker zu erfüllen schien. Nur zögerlich leisteten sie dem Folge.
„Ihr wurdet heute einem Zeichen von Ihm gewahr: Er, der das Schutzschild der Menschheit ist, hat euch nicht vergessen, Er hat noch seine Pläne mit euch. Ihr seid heute verschont worden, weil der geheiligte Imperator noch Pläne mit euch hat – ihr müsst und ihr werdet diese Linie in Seinem Namen halten. Auch in der dunkelsten Stunde dieses Planeten wacht er noch über Seine Krieger, über die, die starken Glaubens sind“, sprach er weiter.
„Aber“, klang es leise, erstickt fast von einem der Soldaten aus dem Trupp. Als der Blick des Predigers, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, auf ihn fiel, schaute er betreten auf seine Füße. „Was ist mit den anderen? Finna? Ike? Jeziah?“ Seine Stimme brach.
„Der Imperator vermag es nicht, jedes Unheil abzuwenden. Er macht nicht unbesiegbar“, antwortete der Prediger ernst. „Nur manchmal kann ein Lichtstrahl zu uns durchbrechen. Doch ich weiß, dass sie jetzt an der Tafel des Imperators speisen, denn jeder dieser Männer und Frauen hat sein oder ihr Leben gegeben, um für Ihn zu kämpfen.“
Der Soldat schluckte und nickte dann. Der Mann in der blauen Robe hob die Stimme.
„Doch wir wolle nicht zulassen, dass ihre Opfer vergebens waren. In ebendieser Stunde sammelt der Erzfeind seine Truppen, um diese Linien erneut anzugreifen. Er denkt, dass er nur noch auf wenige demoralisierte Verteidiger treffen wird, die er einfach hinfortspülen kann. Ist dem so?“
Einige schüttelten den Kopf, vereinzelt war ein „nein“ oder „niemals“ zu hören. Erneut wurde die Stimme etwas lauter.
„Er glaubt, der Kampfgeist unserer Armee sei mit dem letzten Angriff gebrochen. Er glaubt, mit den Verteidigern dieser Welt, er glaubt, mit euch leichtes Spiel zu haben. Ich frage euch: ist dem so?“
Dieses Mal war der Protest laut vernehmlich, und ein vielkehliges „Nein!“ antwortete ihm. Ryaln bemerkte, dass er ebenfalls eingestimmt hatte, genauso wie die Frau, die er stützte. Sie zitterte schwach und sollte umgehend in ein Lazarett eingeliefert werden, doch er schaute in ihr Gesicht, das der anderen Männer und Frauen, der Sanitäter, in seine eigene Seele, und er wusste: sie alle würden hier ausharren und dem Erzfeind trotzen, koste es, was es wolle.
„Man soll sagen können: die Männer und Frauen des 102. und auch ihr“ – der Prediger wies auf die Entsatztruppen – „haben den Erzfeind an diesem Tage aufgehalten! Sie haben auch in dieser Stunde der Dunkelheit standgehalten, haben den Vormarsch gestoppt. Die Linie hat gewankt, aber sie fiel nie! Es ist Zeit, dem Erzfeind zu zeigen, was Seine Truppen vermögen – möge das Licht des Imperators auf unseren Sieg scheinen!“
Ohrenbetäubendes Gebrüll erfüllte den Bunker.
Im Kielwasser der Truppen, die den Bunker sicherten, kamen die Sanitäter. Erst im letzten Augenblick war die Stellung dem Feind entrissen worden und erste, wenn auch widersprüchliche Meldungen sprachen von hunderten Toten und Verwundeten. Ryaln Finley, ein Mann von kleiner Statur, dessen kurze, dunkle Haare sich als breiter Streifen vom Hinterkopf zur Stirn streckten, schien es eine grobe Absurdität, dass für diesen groben Kasten aus Beton so viele Männer und Frauen in den Tod gegangen waren. Er grüßte den Soldaten der Entsatztruppen, der zitternd im einsetzenden Schnee am Bunkereingang Wache hielt, und tauchte in das Dämmerlicht des Gebäudes ein. Noch ehe er etwas erkennen konnte, drang der erbärmliche Gestank auf ihn ein: süßlich roch es nach verbranntem Fleisch und Blut – ein Geruch, der ihn hätte würgen lassen, wäre er ihm nicht schon dutzendfach begegnet – dazu mischte sich kalter Rauch und, fein nur, Exkremente. Er schmeckte Asche auf der Zunge.
Erst dann sah er.
Ryaln, 29 Winter alt, hatte bereits einiges gesehen. In einem scheinbar endlos zurückliegenden Leben war er erst Medizinstudent gewesen, hatte dann aber abgebrochen, um in einem Antiquariat für altimperiale Schriften zu arbeiten. Der Rauch ließ seine Augen jucken, auf denen Kontaktlinsen schwommen – er war, gelinde gesagt, lesefreudig und hatte allerlei Dinge verschlungen, wenn ihm in letzter Zeit auch besonders die frühen Texte Laarsits zusprachen: sie enthielten teils revolutionäre Abschnitte, die den Wert des Einzelnen priesen. Ein in seiner Klarheit irgendwie frischer, wenn auch ungewohnter Gedanke.
Irgendjemand hatte sich jedoch anscheinend an sein Studium erinnert, weshalb er nun bereits seit zahllosen Wochen die Schrecken zu lindern versuchte, die der Krieg hinterließ. Nicht, dass es ihn damit besonders schlecht erwischt hatte: er war um einiges besser dran als die armen Hunde wie die, die erschöpft und abgekämpft in lockerer Runde im Innenraum saßen, standen oder lagen.
Es waren die traurigen Überreste des hier stationierten Zuges, irgendeinem Truppenteil irgendwelcher 102. Schützen. Keiner war unversehrt, weder an Körper, noch an Geist. Alle starrten sie leer und dumpf an Boden und an Wände, krampfhaft bemüht, nicht zu denen zu blicken, die es noch schlimmer erwischt hatte – tatsächlich waren von den ehemals fünfzig Soldaten noch kaum fünfzehn am Leben. Die anderen lagen mit verdrehten Gliedern überall in dem Raum zwischen vereinzelten Soldaten des Erzfeindes, die es bis hierher geschafft hatten. Sie alle zeigten verschiedene Stufen der Verwesung und unterschiedliche Verletzungen: manche waren durch Gewehrschüsse umgekommen, bei anderen sah Ryaln Wunden von Trümmern, von Stichen, er sah verbranntes Fleisch und kauterisierte Einschusslöcher.
Die Wände des Bunkers selbst waren von Feuer rußgeschwärzt. Zwischen den Leichen lagen umgestürzt ein Tisch und einige Stühle, zerschmettert waren an den Wänden einige Feldbetten zu erkennen, dazu Lasergewehre, ein verbogenes Funkgerät. Tanzende Asche vermischte sich mit den Schneeflocken, die durch die Türöffnung hineinwehten. Wenn es einen letzten Tag, eine alles verschlingende Apokalypse gab, dann kam dieser Anblick dem ausgesprochen nah.
Über all dem lag bis auf das entfernte Grollen der Artillerie, sein ganz persönlicher ständiger Begleiter, eine gespenstische Stille, als Ryaln und die anderen vier entsandten Männer – sowie eine Frau, Claire – der Sanitätskompanie XCIII mit stummen Entsetzen auf die Szenerie starrten. Auch den Entsatztruppen schmeckte ob dieses Anblicks der Triumph plötzlich schal. Stärker als zuvor spürte Ryaln die Kälte auf seiner Haut.
In dieser Stille war plötzlich ein leises Husten, dann ein Röcheln zu vernehmen.
„Scheiße, da lebt noch wer“, fluchte er und setzte sich in die Richtung des Geräusches in Bewegung, während der den anderen Anweisungen gab. „Haltet keine Maulaffen feil, kümmert ihr euch verdammt noch mal um die anderen.“
Die Sanitäter setzten sich augenblicklich in Bewegung.
Wieder erklang ein matter Schmerzenslaut, der mehr nach einem waidwunden Tier als nach einem Menschen klang. Ryalns Blick fiel erst auf eine Soldatin, die über der Leiche eines anderen lag. Dann jedoch bemerkte er, dass ein Schnitt die Kehle der Frau zur Gänze durchtrennt hatte. Kurz verweilte er bei einem Mann, doch dessen Glieder waren durch Leichenstarre und Kälte schon längst steif geworden.
Erst nach einem weiteren leisen Keuchen bemerkte er im Schatten eines umgestürzten Waffenschrankes die hagere junge Frau, die wie eine zerbrochene Puppe halb an die Wand gelehnt dalag. Sie war vielleicht Mitte zwanzig. Die braunen Haare, die ihr wohl sonst auf die Schulter fielen, hingen nun wirr herunter, wie der Rest von Körper und Kleidung von Blut und Dreck verkrustet, und verdeckten fast die grünen Augen. Um das linke Bein war bereits ein notdürftiger Verband gewickelt, dazu war ihre Schulter von einem Laserschuss glatt durchbohrt worden. Keine dieser Wunden würde jedoch dafür sorgen, dass sie in näherer Zeit sterben würde. Als Ryaln sich neben ihr niederkniete, galt seine Sorge viel mehr der Bauchwunde, auf die sie ihre mit Lappen umwickelten Hände presste. Sie war nicht bereits kauterisiert, stammte also wohl kaum von einer Laserwaffe. Dem Blut zufolge, dass die zerschlissene Uniformjacke durchnässte und sich bereits in einer kleinen Lache um die Soldatin ausgebreitet hatte, lag sie schon länger so hier – wusste der Warp, warum keiner der anderen sie bemerkt hatte.
„Nath… bin Nath…“, gurgelte die Frau heiser und kaum verständlich, als sie ihn schließlich bemerkte. Blut benetzte ihre Lippen.
„Sssch“, machte Ryaln beinahe automatisch, der bereits seine Sanitätsausrüstung neben sich abgelegt hatte und nach der Hundemarke griff, die an einem Lederband um den Hals der Frau hing. Natharia Kieran hieß sie demnach, Blutgruppe B Positiv. Sie würde einiges an Blutkonserven brauchen, vorausgesetzt, er würde die verdammte Wunde zum Versiegen bringen können.
Hastig schnitt er die Uniformjacke auf, während er gleichzeitig eine Spritze mit Schmerzmittel aufzog. Der Stoff klebte am Körper, und die Haut darunter war glitschig von Blut. Hastig jagte er die Spritze ins Bein der Frau, dann wischte er den Bauch um die Wunde mit einem Tuch sauber. Sie war nur wenige Zoll breit, aber mehrere tief – vermutlich von einem Bajonett oder einfachem Messer verursacht. Er hoffte, dass die Waffe keines der Organe ernsthaft verletzt hatte, auch wenn das Blut auf ihren Lippen Schlimmeres befürchten ließ. Dazu schien dem Blutstrom nach mindestens eine Ader getroffen worden zu sein.
Ryaln begann zu arbeiten.
„Welches Leben hast du wohl geführt, hm?“, murmelte er vor sich hin. Die anderen zogen ihn für die Angewohnheit, mit den Verwundeten zu reden, auch wenn sie ihn nicht hören konnten, oft auf – für ihn war es jedoch schlicht eine Möglichkeit, ein wenig von dem ständigen Druck loszuwerden. Und dazu war er einfach einer der besten Sanitäter, die man in ihrem Abschnitt finden konnte. Oder gleich auf dem verfluchten Drecksplaneten? Sie zogen ihn manchmal auch wegen seiner Bescheidenheit auf.
„Wer hat das bloß mit dir angestellt… nun, ich nehme an, die Antwort ist offensichtlich.“
Sie wollte antworten, doch er schüttelte nur den Kopf, machte wieder „Ssssch.“
Seine Finger flogen, doch unablässig sickerte ihm das Leben durch die Finger. Der Körper unter ihm zitterte sacht, Tränen standen in den Augen der Soldatin – ob aus Angst vor dem Tod oder vor Schmerz, vermochte er nicht zu sagen.
„Was du wohl früher für ein Leben geführt hast?“, brummte Ryaln vor sich hin. „Ich nehme an, diese Frage ist nicht von Bedeutung. Die Imperiale Armee und dann der Tod löschen eh alle Unterschiede. Arme Seele, dass du gerade hier gelandet bist.“
Einen Augenblick nur schien der Strom an Blut zu versiegen, nur um sich wenig später wieder zu verstärken. Ryaln fluchte bildhaft. Kam es ihm nur so vor, oder verlosch das Augenlicht der Frau langsam? Das Leben schwand mit dem Blut, das Gesicht war bereits bleich und kalt. Fieberhaft arbeitete er weiter, klemmte Adern ab, schnitt, nähte, verbrauchte einen Teil seines immer kleiner werdenden Vorrats an Narcotica und anderen Mitteln.
„Du hast sicher früher häufig gelacht“, murmelte der Sanitäter mit einem Hauch von Wut in der Stimme. „Jetzt gibt es dazu natürlich nicht allzu viel Grund. Hast sicher eine gewisse Schönheit in dir getragen, hm?“
Nun war ihr Gesicht jedoch vor Schmerz verzerrt. Trotz der Felddecke, die Ryaln inzwischen auf ihren Beinen gebettet hatte, schien Natharia Kieran zu frieren.
„Du wirst mir nicht sterben, nicht hier, nicht heute. Es sind schon viel zu viele…“, presste er hervor. Langsam schlich sich leise Verzweiflung in den Tonfall des Sanitäters. Egal, was er auch versuchte, nichts schien die Blutung stoppen zu können. Noch immer plagte sich das Herz der Soldatin, pumpte mehr und mehr Blut aus ihrem Körper. Ihr Atem wurde langsam flacher, immer unregelmäßiger, japsend. Ryaln hatte das bereits häufig erlebt: die junge Frau drohte, den Kampf zu verlieren, ihre Lebensgeister erloschen.
„He, bist du noch bei mir?“ Sacht schlug er ihr auf die Wange. Natharias Lieder öffneten sich flatternd, doch die Augen waren bereits trübe. Sie schien ihn nicht mehr zu verstehen, der Blick zeigte nur noch Erstaunen.
„Nein, nein, nein…“, murmelte der Sanitäter und schlug ihr erneut auf die Wange. Die Atmung setzte für einen Moment aus und setzte wieder ein, nur um dann wieder schwächer zu werden. Unvermindert quoll Blut aus der Wunde.
„Atme, verdammt! Atme!“, schrie Ryaln die Verwundete an. Einige der anderen Truppmitglieder blickten teilnahmslos herüber.
Die einzige Antwort der jungen Frau bestand darin, dass sich ihre Hände in der Uniformjacke des Sanitäters verkrallten, etwas Gurgelndes über die Lippen bringend.
Eine fremde Hand schloss sich um die verkrampften Finger der Soldatin.
„Willst du den Imperator im Stich lassen, Tochter?“, fragte eine sanfte Stimme. Ryaln blickte zur Seite. Neben ihm hatte sich ein hochgewachsener, sehniger Mann niedergelassen, nicht jünger als fünfundzwanzig, nicht älter als vielleicht vierzig – sein Alter war schwer zu schätzen. Sein Kopf war kahlrasiert, auch an seinem Kinn spross kein einziges Haar. Nur die blaue Robe und der Rosarius in Form des doppelköpfigen Adlers verrieten, dass er ein Prediger der Ekklesiarchie war.
Beruhigend fuhr er der Frau durchs Haar.
„Willst du dich und Ihn einfach aufgeben?“
Ein verloren geglaubter Lebensfunke erglomm in Natharias Augen. Schwach schüttelte sie den Kopf, eine einzelne Träne rann ihr die Wange herunter. Ihrem Mund entrang sich ein tonloses Krächzen.
Nach einem kurzen Moment der Überraschung setzte Ryaln fieberhaft seine Arbeit fort.
„Nein“, antwortete der Prediger derweil für die Soldatin. „Du willst kämpfen. Du bist eine wahrhaftige Kriegerin des Imperators. Spürst du nicht Seine heilige Gegenwart? Er gibt auf jeden Seiner Soldaten Acht. Auch auf dich, mein Kind.“
Mehr und mehr Köpfe in dem Raum wandten sich ihnen zu, als ihre Nebenmänner sie auf den Neuankömmling aufmerksam machten. Der Sanitäter spürte, dass sich der Körper der Frau langsam entkrampfte, erneut schien die Blutung schwächer zu werden. Sanft strich der Prediger der Verwundeten die schweißdurchnässten Haare aus dem Gesicht.
„Für dich ist die Zeit noch nicht gekommen, an Seiner Tafel zu speisen.“
Tief in ihm beunruhigte es Ryaln, dass der Blutstrom plötzlich gänzlich versiegte. Rasch legte er einen provisorischen Verband an – im Lazarett würde man noch einmal darauf schauen müssen.
„Tretet wieder in die Reihen Seiner Krieger, Tochter“, sagte der Prediger ruhig. Der Sanitäter wollte protestierend den Mund öffnen, doch die Soldatin erhob sich – zitternd und langsam zwar – und machte zwei unsichere Schritte. Ryaln beeilte sich, ebenfalls aufzustehen und sie zu stützten.
Einen Moment lang herrschte Stille.
„Ein Wunder“, krächzte schließlich einer der Soldaten des 102. heiser und ließ sich vor dem Prediger auf die Knie sinken. Einer nach dem anderen taten es die restlichen Anwesenden gleich, bis nur noch Ryaln, Natharia und der Prediger aufrecht standen. Dieser blickte einen Moment auf sie.
„Erhebt euch, Soldaten des Imperators!“, wies er sie anschließend mit klarer Stimme an, die den gesamten Bunker zu erfüllen schien. Nur zögerlich leisteten sie dem Folge.
„Ihr wurdet heute einem Zeichen von Ihm gewahr: Er, der das Schutzschild der Menschheit ist, hat euch nicht vergessen, Er hat noch seine Pläne mit euch. Ihr seid heute verschont worden, weil der geheiligte Imperator noch Pläne mit euch hat – ihr müsst und ihr werdet diese Linie in Seinem Namen halten. Auch in der dunkelsten Stunde dieses Planeten wacht er noch über Seine Krieger, über die, die starken Glaubens sind“, sprach er weiter.
„Aber“, klang es leise, erstickt fast von einem der Soldaten aus dem Trupp. Als der Blick des Predigers, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, auf ihn fiel, schaute er betreten auf seine Füße. „Was ist mit den anderen? Finna? Ike? Jeziah?“ Seine Stimme brach.
„Der Imperator vermag es nicht, jedes Unheil abzuwenden. Er macht nicht unbesiegbar“, antwortete der Prediger ernst. „Nur manchmal kann ein Lichtstrahl zu uns durchbrechen. Doch ich weiß, dass sie jetzt an der Tafel des Imperators speisen, denn jeder dieser Männer und Frauen hat sein oder ihr Leben gegeben, um für Ihn zu kämpfen.“
Der Soldat schluckte und nickte dann. Der Mann in der blauen Robe hob die Stimme.
„Doch wir wolle nicht zulassen, dass ihre Opfer vergebens waren. In ebendieser Stunde sammelt der Erzfeind seine Truppen, um diese Linien erneut anzugreifen. Er denkt, dass er nur noch auf wenige demoralisierte Verteidiger treffen wird, die er einfach hinfortspülen kann. Ist dem so?“
Einige schüttelten den Kopf, vereinzelt war ein „nein“ oder „niemals“ zu hören. Erneut wurde die Stimme etwas lauter.
„Er glaubt, der Kampfgeist unserer Armee sei mit dem letzten Angriff gebrochen. Er glaubt, mit den Verteidigern dieser Welt, er glaubt, mit euch leichtes Spiel zu haben. Ich frage euch: ist dem so?“
Dieses Mal war der Protest laut vernehmlich, und ein vielkehliges „Nein!“ antwortete ihm. Ryaln bemerkte, dass er ebenfalls eingestimmt hatte, genauso wie die Frau, die er stützte. Sie zitterte schwach und sollte umgehend in ein Lazarett eingeliefert werden, doch er schaute in ihr Gesicht, das der anderen Männer und Frauen, der Sanitäter, in seine eigene Seele, und er wusste: sie alle würden hier ausharren und dem Erzfeind trotzen, koste es, was es wolle.
„Man soll sagen können: die Männer und Frauen des 102. und auch ihr“ – der Prediger wies auf die Entsatztruppen – „haben den Erzfeind an diesem Tage aufgehalten! Sie haben auch in dieser Stunde der Dunkelheit standgehalten, haben den Vormarsch gestoppt. Die Linie hat gewankt, aber sie fiel nie! Es ist Zeit, dem Erzfeind zu zeigen, was Seine Truppen vermögen – möge das Licht des Imperators auf unseren Sieg scheinen!“
Ohrenbetäubendes Gebrüll erfüllte den Bunker.
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