[Archiv] [Storywettbewerb Herbst 10] [W40K] "Kriegsheimkehrer"

SHOKer

Mentor der flinken Federn
03. Februar 2006
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Ein sanftes Klimpern, hell und klar, dieses vertraute Klickern und Klackern. Er hörte, wie die alte Spieluhr spielte. Ihre alte verspielte Melodie, die er schon seit Kindestagen kannte. An manchen Stellen klang sie ein wenig schräg oder ein Ton fehlte plötzlich, wo eine der Tonsprossen im Inneren der Spieluhr abgebrochen war. Aber das störte ihn gar nicht, er kannte diese Melodie nur so, hatte sie in seinem Leben als Kind nie anders gehört und trotz der fehlenden Töne waren die Tänzerin in dem blauen Kleid und der Schneemann unentwegt ihren kreisenden Bewegungen nachgegangen auf dem Deckel der alten vergilbten Kunststoffspieluhr. Dort fehlte er wieder. Der dritte Klimperton war es, direkt zu Anfang der Dauerschleife dieser Melodie. Der siebte und neunte. Dort noch ein und noch einer.

Seine Mutter lächelte ihn an, da sie wusste, dass er den fehlenden Ton sofort bemerkte. Sie streichelte seine Wange ganz zärtlich und er roch ihr Parfüm. Sie hatte dieses Parfüm immer getragen. Ihre warmen Finger glitten sanft seine Wange empor und streichelten durch sein Haar. Er ließ dabei leicht den Kopf zurückfallen und blickte in den strahlenden blauen Himmel. Schneeflocken wirbelten über seinem Kopf umher und die Finger seiner Mutter erkalteten. Bis er sie nicht mehr spürte. Nur das leise Klackern der Spieluhr war noch da, als er wieder zu Bewusstsein kam.

Seine Mutter war nicht bei ihm. Sie war wahrscheinlich seit vielen Jahren tot, vielleicht auch nicht. Er wusste es nicht. Er hatte sie daheim gelassen, als er gegangen war, als er seinen Weg in die heiligen Heere des Gottimperators fand. Seine arme, einsame Mutter. Er träumte oft nachts von ihrem herzlichen, runden Gesicht und ihren grauen Haaren. Ihren feuchten Küsse und liebenden Umarmungen, ihren Sorgen oder vielmehr den Versuchen, ihre Sorgen zu verbergen, zu der Zeit, als es noch Briefe an die Front schafften. Das war schon einige Zeit her. Er hatte trotzdem noch jeden Tag Briefe geschrieben. Nur kamen sie nicht mehr aus dem Ring heraus. Genauso wie seine Mutter wahrscheinlich jeden Tag Briefe schrieb, die nicht mehr in den Ring hereinkamen. Er fragte sich, was sie ihm erzählen wollte. In der Nacht sprach sie nie mit ihm, sie kam nur und streichelte sein Haar und drückte ihn fest an sich, wie sie das immer getan hat, selbst als er schon groß war. Er hatte nie etwas dagegen gehabt, es hatte ihm Kraft gegeben und er hatte sich nie dafür geschämt, dass er seine Mutter lieb gehabt hat.

Er hatte gestern keinen Brief geschrieben und heute auch noch nicht. Es tat ihm irgendwie weh. Selbst wenn er wusste, dass sie die Briefe nicht lesen konnte, so war es doch für ihn zu einer Art täglichem Ritual geworden, bei dem er sich den Frust von der Seele schreiben konnte. Über ihre unerträgliche Situation. Eingekesselt von den Feinden in einem alten Bollwerksring irgendwo im Nirgendwo. Seit Wochen, Monaten, Jahren – gefühlten Ewigkeiten. Über den schlechten Kaffeein. Über seine beiden Schulfreunde, die er zu Grabe getragen hat. Seinen Zugführer, der Selbstmord beging im achten Jahr der Belagerung. Auch wenn er jeden Morgen das Geschriebene vom Vorabend löschen musste, da seine Datentafel nicht mehr Platz bot und echtes Papier in diesem Kessel schon lange ausgegangen war und wenn dann nur für die Offiziere zugängig war, stellte er sich manchmal vor, wie seine geschriebenen Gedanken heimwärts flogen, um seiner Mutter zu erzählen das es ihm gut ging. Er träumte dann, wie sie sich über den Schnee erhoben und in die Ferne flogen, wie sie die Gestalt von Schwalben annahmen, die daheim seiner Mutter den Frühling brachten und wie seine Mutter weinte und hoffte, er möge lang genug überleben um noch einmal heimzukehren. Aber er wusste, dass das nicht mehr geschehen würde und nun weinte er, weil er seiner Mutter nicht sagen konnte, dass er nicht heimkommen würde und ihm das Schicksal die Güte der letzten Abschiedsworte verwehrte.

Die Tränen kullerten seine Wangen hinunter und gefroren, als sie auf den Hosenbeinen ankamen. Eines der Hosenbeine beschrieb eine unnatürliche Biegung, wo das umherfliegende Stück der Panzerkette es eingedellt hatte. Er konnte nicht mehr schreiben, keine Briefe, keine Hilferufe, nichts. Geschmolzene Stahlsplitter hatten seinen rechten Arm zersplittert und ließen ihn steif hinab baumeln.

Wie lange er nun schon auf den Tod hier wartete, wusste er nicht mehr genau. Er schlief oft ein und dachte, dass es nun zu Ende sein musste, nur um später wieder zu erwachen. Es begann immer gleich, das leise Klackern der Spieluhr kam und seine Augen wurden trübe und schwer. Das kalte Stahlblau des Himmels wandelte sich in das Kleiderblau der Tänzerin und für einen kurzen Augenblick entschwand er der Welt und war wieder bei sich daheim. Im Wohnzimmer seines Geburtshauses. Die Schmerzen ließen ihn los und er fühlte nur innere Wärme und Glück. Seine Mutter lächelte ihn an. Ton drei fehlte und die anderen auch. Es war so warm, so herrlich warm und weich, wie ihre Hand die seine Wange hinauffuhr. Und dann erkaltete es....
Klicker klacker-klicker klacker.
Er war wieder wach. Es war nun Nachmittag mutmaßte er, da sich eine erste langsame Dunkelheit abzeichnete. Dieses Bild beruhigte ihn. Die nahende Dunkelheit verbarg die halb zugeschneiten Leichen der Kameraden in der Nähe. Er hatte sich mit letzter Kraft an den Baum gezerrt und versucht, sich so hinzurichten, dass er nicht allzu viele der Toten und der Trümmer sehen musste.
Er blickte nun auf den kleinen Wald, welcher sich zu einem schwarzen Umriss auf weißem Hintergrund reduziert hatte. Die Bäume tanzten im Wind und schüttelten ihr blau-weißes Schneekleid hinunter. Er leckte sich mit der trockenen Zunge über die Lippen und merkte, wie spröde und rissig sie waren. Das freute ihn, denn es war einer der letzten Dinge, die er in seinem stark unterkühlten Körper noch wahr nahm.

Er blickte in die Ferne und fragte sich, wer in dieser Welt wohl noch gerade so einsam sterben mochte wie er und dann fragte er sich ob seine Mutter so einsam starb, wie sie lebte. Alleine nur mit ihrem geliebten Sohn und danach völlig allein. Dabei wusste er gar nicht, ob sie schon tot war. Die letzten Briefe die er bekam, endeten immer mit „ Komm Heim mein Junge“.
Und er antwortete jedes Mal, dass der Krieg bald gewonnen sei und er dann heimkommen werde und dabei ahnte er, dass es nicht so sein würde. Aber er wollte ihr nicht weh tun. Sein Kommissar sagte ihm beständig, dass er sich glücklich schätzen dürfe, auf dieser Welt zu sterben wie ein Held und nicht wie ein Feigling daheim.
Er hatte der Kriegspropaganda schon lange nicht mehr geglaubt. Er hatte irgendwann an nichts mehr geglaubt, nur noch gehofft und an den Gottimperator gebetet, er möge dies alles überstehen.
Seine heile linke Hand klammerte sich stumpf und taub um seine rechte und er begann, in mühevoller Arbeit seine Finger zu verzahnen. Er begann, mit leiser, brüchiger Stimme zu beten und langsam merkte er, wie seine Finger *klicker klacker* wärmer wurden. Er schloss die Augen und sprach sein Gebet leise vor sich hin. Er weinte es heraus, mit jeder Faser seines Herzens und begann es im Takt der Melodie zu summen. Er sang es leise mit, während die blaue Tänzerin über ihm ihr Kleid auswarf. Er lächelte, weinte und sang leise im Takt, zum ersten Ton, zum zweiten Ton und dort war der dritte Ton, den er nie gehört hatte. Der vierte und der fünfte, der sechste und dort war auch der siebte Ton. Er summte und sang ihn mit, als wenn er ihm so vertraut war und das, obwohl er ihn noch nie gehört hatte. Beim neunten Ton spürte er die warme Hand seiner Mutter auf seiner Wange.
Er weinte nun stärker und sein betender Singsang wurde leise und brüchig, bis er verstummte.
Seine Mutter nahm ihn in den Arm und küsste seine Stirn und seine tränennasse Wange. „ Du bist jetzt endlich daheim mein Junge – du bist daheim.“
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun. Wieder ein "Krieg ist ja so schlecht" Text, die mir eigentlich zum Halse heraus hängen. Aber ich finde es dennoch gut geschrieben. Zu Beginn und auch noch im Mittelteil war es nicht sofort ersichtlich, dass er schon verwundet irgendwo auf sein Ableben wartet, aber das ist auch nicht schlimm.
Die Idee der Geschichte ist so alt wie der Krieg selbst und so hat man schon oft von solchen Soldaten gelesen, die in ihren letzten Augenblicken die Mutter, den Vater, die Geliebte, Gott oder sonstwen sehen. Deshalb gibts für die Kreativität von mir keine Punkte.

Idee von gestern, ok umgesetzt aber nicht besonders begeisternd oder berührend. Mittelfeld.
 
Stimmt, an die Geschichte kann ich mich glaube ich auch erinnern und es finden sich tatsächlich viele Parallelen, nur dass in betreffender Geschichte glaub ich die Inkarnation des Gottimperators selbst erscheint.
Die Geschichte finde ich eigentlich schon recht gut geschrieben, die Wortwahl ist passend, die Sprache insgesamt sehr homogen. Etwas stört mich allerdings doch und zwar, dass einfach fast nichts passiert in der Geschichte. Das macht sie etwas eintönig.

Fazit: Gut geschrieben, leider etwas zu monoton und wenig kreativ, 3-4 Punkte.
 
Idee, nicht neu. Aber super umgesetzt. Geschichte mag echt zugefallen. Mir fehlt auch kein bemängelter Spannungsbogen. Wir dürfen doch schreiben, worüber wir wollen. Also ist auch theoretisch eine Imperiale Propagandaschrift möglich. Die nur Fakten und somit die Zeit wieder spiegelt.


Fazit. Man brauch bei einer solch schönen Geschichte nicht nach negativen Aspekten suchen. Die Geschichte wird von mir 5Punkte erhalten. Hat mir super gefallen und ist bis her mein Favourit. (Habe aber auch nur die bisher von mir Kommentierten Geschichten durch gelesen. Daher kann sich dies auch noch ändern.)
 
Fazit. Man brauch bei einer solch schönen Geschichte nicht nach negativen Aspekten suchen. Die Geschichte wird von mir 5Punkte erhalten.

was mich zu der Frage bringt, wieso du nur 5 Punkte gibst, wenn es doch deiner Meinung nach nichts Negatives gibt? Was fehlt denn zur vollen Punktzahl?
Ich frag nur aus Neugierde 😉
 
was mich zu der Frage bringt, wieso du nur 5 Punkte gibst, wenn es doch deiner Meinung nach nichts Negatives gibt? Was fehlt denn zur vollen Punktzahl?
Ich frag nur aus Neugierde
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Ganz einfach, dieser Zusatz:
(Habe aber auch nur die bisher von mir Kommentierten Geschichten durch gelesen. Daher kann sich dies auch noch ändern.)

Bezieht sich zwar eigentlich auf den Favouritenstatus, aber sollte sich auch auf die Punkte mit beziehen. Keiner beschwert sich, wenn jemand doch evtl. 6Punkte statt 5Punkten vergibt. Also, ist möglich das ich evtl. doch 6Punkte vergebe. Aber die 5Punkte sind mindestens sicher. ^^ Die 6Punkte muss ich von den restlichen Geschichten abhängig machen.
Und ja ich gebe zu, war nicht ganz richtig und deutlich genug von mir formuliert. ^^ Sorry, dafür.

Also Ergänzung: 5Punkte sind sicher, aber vielleicht werden es auch 6Punkte. ^^
 
Offenbar ist die Geschichte ja Geschmacksache, ich muss jedoch sagen, dass sie mir leider gar nicht gefallen hat.

Zunächst einmal fehlt ihr einfach eine Story. Es gibt keinen Handlungsstrang an sich, man folgt nur einfach den letzten Momenten eines sterbenden Soldaten. So etwas hat man leider einfach schon zu oft gelesen, da braucht es schon eine nahezu poetische Ausdrucksweise, um mich noch vom Hocker zu reißen. Diese fehlt jedoch leider, im Gegenteil es stecken sehr viele Wortdopplungen wie "Mutter", "Wange" etc. drin die sich häufig wiederholen.

Daher gibt´s von mir nur 2 Punkte