Diese Geschichte wurde von Gwordin geschrieben und erreichte den 2. Platz
Es rumorte im Weltenschiff. Ein unbändiges Beben rüttelte und zerrte an allen Strukturen, an allen Eldar selbst. Die Kammer des Avatars erwachte. Zwar war er zig Ebenen von dieser Kammer entfernt, doch die Aktivierung war durch den Phantomkristall des Weltenschiffs eindeutig zu spüren.
Damit war auch seine Zeit gekommen. Urielan war bereits in seine Runenrüstung gekleidet und warf sich nun seinen Umhang um. Er fühlte mit jeder Faser des Körpers die aufkommende Unruhe des Krieges. Wie die Raserei aufzuflammen begann, doch er musste sich noch ein wenig beherrschen. Er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen.
Es war stets ein erhabener Anblick, diese Kathedrale aus Phantomkristall zu betreten. Das Herz des Schiffes, das ruhige Herz – im Gegensatz zur Kammer des Avatars, welche mehr einem flammenden, glühendes Metall spuckenden Tumor glich.
Urielan liebte die Ruhe an diesem Ort. Er verstand das Wispern der Seelen richtig zu deuten, darum war er zum Phantomseher ausgebildet worden. Und bekleidete nun den Meisterrang dieser Zunft auf seinem Weltenschiff. Dekaden hatte er selbst und hatten die Lehrer seinen Geist geschmiedet. Immer, wenn er diesen Ort betrat, musste er sich vergewissern, wie weit die Kristallisierung seines alten Meisters und Mentors bereits voran geschritten war – auch heute, trotz seiner wichtigen Aufgabe.
Das Gesicht von Prophet Hentenarion war noch zu erkennen. Sein restlicher Leib war aber schon von Kristallstrukturen überwuchert und einzelne Verästelungen griffen schon auf sein Gesicht über. Bald, dachte Urielan, bald wäre sein alter Meister gänzlich von der Unendlichkeitsmatrix aufgesogen, eins mit dem Schiff. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis auch er sich hier niederlassen würde?
Er wandte sich ab. Es gab eine Aufgabe zu erfüllen! Urielan schritt auf eine pultartige Erhebung innerhalb des Kristalldoms zu. Mit Hilfe seiner psionischen Fähigkeiten formte er durch Handauflegen eine Mulde, in die er den Seelenstein legte. Während er durch den Dom geschritten war, hatte er sich allein auf das Gefühl in seiner Hand und seinen prüfenden Geist verlassen, den richtigen Stein ausgewählt zu haben. Die Erfahrung von Äonen lag in seinen Handlungen.
Der Stein passte perfekt in die Mulde. Nun zog er mit aller Ruhe einen rituellen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel. Die geschwungene Klinge war leicht, gut ausbalanciert. Prüfend, wie jedes Mal, sah Urielan die dunkle Klinge an. Gemächlich setze er die scharfe Schneide an seine Handfläche an und zog einen diagonalen Strich darüber. Ein feiner Schnitt gab sein Blut preis. Er ballte leicht die Hand zur Faust und verteilte ein wenig Blut auf der Handinnenseite. Die rote Rechte legte er so dann auf den Seelenstein und konzentrierte sich. Fasziniert war er schon immer davon, wie unbewusst der Übergang in die Matrix geschah. Kaum versah er sich, da trieb er auch schon im Herzen des Schiffes, lies seine Seele in den Blutkreislauf der Arche sinken.
Urielan sprach nicht wirklich mit den Seelen. Er ließ viel mehr seinen Geist in die Matrix wandern und trieb mit den Seelen in der Unendlichkeit. Doch er konnte sich dem Strom nicht vollends ergeben. Eine Seele war zu finden, eine kräftige, eine mächtige. Die Seele eines Eldar, die fähig war, das gigantische Konstrukt eines Phantomlords zu steuern.
Die Unruhe, die durch das Weltenschiff pulsierte und darauf hindeutete, dass das Opfer für den Avatar kurz bevor stand, spürte Urielan auch in den Tiefen dieser scheinbaren Unendlichkeit. Und auch die Seelen der Matrix waren in Aufruhr.
Sein Geist griff in alle Richtungen aus. In der Matrix existierte kein wirkliches Oben und Unten, Links, Rechts, Vorne oder Hinten. Sowie er eine Seele berührte, durchdrangen ihn wiederum andere. Die gesamte Kommunikation geschah auf emotionaler, intuitiver Ebene. Urielan traf auf alte Kristallsänger, Gardisten, gefallene Aspektkrieger, aber keine der Seelen, die er berührte, genügte seinen Ansprüchen. Er trieb eine ganze Zeit lange durch die Unendlichkeit, verlor das Gefühl für Zeit und Raum, ohne wirklich das zu finden, wonach er suchte.
Da!
Etwas tastete nach ihm, ergriff seinen Geist und Urielan spürte eine machtvolle, kraftvolle Präsenz in seinem inneren Selbst. Die Seele war alt, sehr alt und hatte den Pfad des Kriegers in mehrfacher Form absolviert, das fühlte Urielan. Der Name Duregror erfüllte seinen Geist. Er hatte die Weltenschifftruppen als Autarch in der Kampagne gegen die Chem-pan-sey geführt, die vor Äonen in den östlichen Gefilden geführt wurde, zur Protektion der dortigen Exoditenwelten. Urielan kannte diese weit zurückliegende Schlachtenfolge als Zug über die hundert Planeten. Zu der Zeit war er noch ein Jüngling gewesen, inzwischen hatte auch er mehrere Ewigkeiten an Lebensaltern auf seine Schultern geladen.
Duregrors Präsenz in Urielans Geist beschwor Bilder von ungezählten Schlachten. Mal durchbrach er das Unterholz als Skorpionkrieger, um in einem Kommandostand der Menschen wild metzelnd um sich zu schlagen. Mal spürte er die Hitze von Fusionsstrahlern auf seiner Haut, als er als Feuerdrache eines dieser stählernen Ungetüme der Primitivlinge zu Schlacke zerschmolz. Ein anderes Mal antwortete er auf den Kugelhagel einer Schusslinie mit sirrendem Shurikenfeuer oder er vernahm das rauschende Starten und krachende Einschlagen von Sprengköpfen, die er mit den gefürchteten Raketenwerfern der Schwarzen Khaindar abgefeuerte. Diverse Gerüche, unterschiedliche Lichtfarben, ja gar das Gefühl, mal auf Gras, im Sand oder Morast zu stehen, übertrugen sich alle in Urielans Geist. Doch ganz besonders blieb ihm ein Einblick in Duregrors Geist in Erinnerung: die von einer verschleierten Sicht, dem dumpfen Stampfen und der unnatürlichen Kälte innerhalb eines Phantomkonstruktes.
Urielan hatte gefunden, wo nach er suchte! Eine Seele, die bereits schon mal einen Phantomlord mit Unleben erfüllt hatte. Und die auch die Bereitschaft signalisierte, über den Tod hinaus für sein Weltenschiff in den Krieg zu ziehen! Urielan durchfuhr ein Gefühl der Dankbarkeit, welches durch die Präsenz von Duregrors mit einer Welle spürbarer Glorie beantwortet wurde – anders konnte Urielans es nicht beschreiben.
Der Phantomseher löste seinen Geist von der Unendlichkeitsmatrix. Er blickte wieder durch seine Augen, spürte die Kühle des Kristalldoms auf seiner Haut und roch die wohlduftende Essenz verbrannter Espeisasblüten. Sie stammten von einer der Exoditenwelten, die Duregrors einst verteidigt hatte. Es war ein lieblich-süßer Geruch, nicht zu aufdringlich, nicht zu schwach. Das genaue Mittelmaß. Urielan sog den Duft ein, er beruhigte seinen aufgewühlten und auch etwas ausgezehrten Geist. Den Seelenstein, den er zuvor mit seinem Blut gespeist hatte und der nun vom Geist Duregrors erfüllt war, nahm er aus der Vertiefung des Phantomkristalls. Er machte kehrt, um in die tieferen Ebenen des Weltenschiffs zu gelangen, dort, wo die Geisterkrieger auf die Aktivierung durch einen Seelenstein harrten. Den Stein in seiner Faust umfasst er noch einmal fest und der Stein flammte auf. Mit einem Impuls sandte die Kriegerseele eine kristallklare Wahrheit in Urielans Geist: Krieg bleibt immer Krieg.
Ein grimmiges Lächeln umspielte die Züge des Meisterphantomsehers.
Das Portal öffnete sich knisternd und der Trupp trat von der Dunkelheit des Netzes in die Dämmerung des Waldmondes. Das Siegel auf dem Zugang zu dieser Route im Netz der Tausend Tore war alt gewesen, sehr alt. Doch Tayanua konnte sich noch daran erinnern, wie es einst aufgelegt worden war. Damals, als junge Runenleserin. Die Prophetin hatte gefunden, wo nach sie so lange gesucht hatte.
Sie und ihr Geleittrupp betraten eine scheinbar unberührte Welt. Der Wald, in dem sie nun standen, war alt und die einstige Lichtung um den Austrittspunkt des Wegenetzes war umsäumt von hohen, gewaltigen Baumriesen. Diese waren über und über mit Moos bewachsen. Das fahle Licht der Sterne tauchte dank des Bewuchses alles in einen grünlichen Schimmer.
Die gleiche Farbe wie die Feinde, die hier einst gestellt und geschlagen wurden. An dieser Stelle hatte der große Urielan die Orks zum Kampf herausgefordert, bevor sie die nahen Exoditenwelten gefährden konnten. Ein ausgeklügelter Schlachtplan, eine einzige Schlacht, um zu verhindern, dass die Orkpopulation die kritische Masse erreichte, für einen alles in den näheren Quadranten mit sich reißenden Kriegszug. Tayanua fand dieses Vorgehen bis heute äußerst schlau – auch wenn die Geschehnisse dieser Schlacht auf diesem entlegenen Waldmond teils durch den Schleier der Zeit in Vergessenheit geraten waren.
„Aufsitzen!“, befahl die Runenprophetin. Der Trupp bemannte die mitgeführten Jetbikes und setzte sich in Bewegung.
Schon nach kurzer Zeit hatte Tayanua ein ungefähres Bild der Schicksalsfäden, die hier verlaufen waren. Die zig vorhandenen Tiere überwuselten die alten Geschehnisse, doch ihre Erfahrung und ihr Wissen ließen sie auf die richtige Spur setzen.
In all der vor Leben pulsierenden Umwelt fand sie, was sie suchte. Der Hauch Resonanz, den sie benötigte. Unwillkürlich, unbestimmt. Und doch klar unterschiedlich zu den restlichen Fäden vor ihrem geistigen Auge und ihren seherischen Kräften. Die Runen hatten dieses Mal also nicht die falsche Fährte offenbart. Tayanua folgte ihr nun intuitiv.
Der Wald begann sich zu lichten und mit einem Schlag hatten sie die Baumgrenze erreicht. Die Verdichtung der Schicksalsfäden wurde immer enger, wie ein dichtes Knäuel in einander verworren. Tayanua hatte Mühe, der Verästelung zu folgen, die sie für die richtige hielt. Sie ließ stoppen. Aus dem ledernden Beutel, der am Gürtel ihrer Rüstung hing, beförderte sie einige Runen und warf sie vor sich in die Luft. Die aus Phantomkristall bestehenden Objekte zirkulierten in knappem Abstand vor ihr. Kraft ihrer Gedanken wurden sie in der Luft gehalten.
Die Runenprophetin konzentrierte sich. Ihr Geleitschutz wartete geduldig ab. Eine Weile rotierten die Runen vor ihr wie wild in der Luft, kamen nur allmählich in eine geordnete Konstellation. Die Geschwindigkeit der Umdrehungen nahm ab. Die Stille wurde durch das Gebrumme der überall anwesenden Gonrax unterbrochen – riesigen Flugmäulern mit ledernden Spannhäuten zwischen ihren sechs Gliedmaßen. Alles vertilgende Aasfresser.
Die Runen bildeten nun einen klaren Kreis, der in sich ruhte. Tayanua blickte auf die Botschaft und verstand. Der Tross nahm wieder Fahrt auf und zog über die deutlich weniger bewachsene und zerfurchte Landschaft hinweg. Sie erreichten einen Kraterrand. Hier liefen alle Fäden zusammen. „Gewaltig…“, murmelte einer ihrer Runenleser über das Kom.
Ja, der Krater war gewaltig, der gegenüberliegende Randbereich nur schwerlich zu erkennen. Und das Innere war gefüllt mit waberndem Nebel. Es sah fast so aus, wie der blubbernde Kessel in einer irrsinnigen Hexenküche.
„Absitzen, wir gehen den Rest!“, befahl Tayanua. Ihre Begleitung folgte gehorsam.
Am Grund des Kraters angekommen, gab der Nebel nur widerwillig seinen Schatz preis. Oder eher seine Opfergaben? Überall waren metallene Schrapnelle verstreut. Bleiche Gebeine ragten hier und dort als komplette oder verstreute Skelette aus dem Boden. Tayanua machte ausnahmslos Orks aus. Gewaltige Exemplare waren verstreut unter Massen von kleineren Gefolgsleuten. Selbst im Tod konnte man das, was die Orks als Sozialstruktur inne hatten, noch deutlich erkennen.
Der Grund des Kraters war morastig. Spärliche Vegetation war nur vorhanden, so als sollte hier nichts wachsen. Der Nebel musste seine Feuchtigkeit aus dem Kratergrund beziehen und diese auch wieder an ihn abgeben. Ein moderiger Kreislauf, der vermutlich den allgegenwärtigen Rost auf den Metallteilen der Orkrüstungsreste erklärte.
Ein kreischender Laut war durch den Nebel zu vernehmen, ihr Geleitschutz zog die Waffen. Wohl ein weiterer Gonrax. Prophetin Tayanua selbst nahm unbeeindruckt eine kristallene kleine Kugel aus einem ihrer umgehängten Lederbeutel und ließ einen kleinen Stoß psionischer Energie in das Gefäß hinein. Der Schauplatz wurde nun in ein kühles, bläuliches Licht gehüllt, das aber nur wenige Meter weit reichte. Der Nebel schluckte fast gierig das kleine Maß an Helligkeit.
Die Runen hatten ihr den Weg gewiesen, also schritt Tayanua entschlossen voran. Über die Überreste einer längst vergangenen Schlacht.
Nach kurzer Zeit näherten sie sich dem Zentrum des Kraters und der Boden hob sich an. Ein Hügel war hier auszumachen. Und dann trafen sie auf die ersten reellen Zeichen: deaktivierte Hüllen von Phantomdroiden, die ausgestreckt auf dem Boden lagen! Vereinzelt und schließlich, je höher es den Hügel ging, desto mehr Phantomdroiden fanden sie.
„Prüft die Seelensteinfassungen!“
Ihr Geleit schwärmte aus. Sie schritt weiter auf die Hügelspitze zu.
Und dort schälte sich etwas Gewaltiges aus dem Nebel! Auch hier warteten Phantomdroiden auf die Prophetin, jedoch aufrecht stehend, mit den Waffen in Habachtstellung. Aber viel imposanter war der Anblick des großen Phantomlords, der sich in einer hockenden Position befand – ein Schienbein auf dem Boden, der andere Fuß fest aufsetzend, den Oberkörper gebeugt und die Arme vor der Brust verschränkt. Die Phantomklinge war vor ihm in den Boden gerammt. Tayanua spürte auf den Fäden des Schicksals, dass sie hier im Zentrum war, hier lief alles zusammen. Und hatte eruptiv je sein Ende gefunden. Hier musste eine machtvolle, psionische Kraft gewirkt worden sein, was die ganzen Orkleichen erklären durfte.
Die Anordnung der Droiden, wie Mahnwachen, der kniende Phantomlord, wie ein schützender Hüter und das Schwert, als sei es ein Grabstein. Sie nahm den Helm ab und sog die muffige Luft ein. Tayanua kam sich vor, als würde sie eine Grabkammer betreten, mit einem Gewölbedach aus Nebel.
Über Kom erhielt sie Meldung: „Keine Seelensteine in den Fassungen, Meisterin.“
Sie hatte es geahnt, aber schritt mit erwartungsvoller Nervosität auf den Phantomlord zu. Es knirschte unter ihren Schritten und als Tayanua nach unten blickte, erkannte sie kristalline Fasern, die über dem Boden verliefen. Ihr Puls ging schneller und mit wenigen Schritten stand sie direkt vor dem Phantomlord, diesem riesigen Konstrukt aus Phantomkristall und erkannte, was er schützend vor seiner Brust und hinter seiner Armpanzerung verbarg: den Corpus einer Runenrüstung! Von ihm aus gingen die feinen Stränge der kristallinen Struktur, die einen großen Teil des Phantomlord und den Boden, auf dem dieser stand, bereits überzogen hatten. Der Helm lag unweit zu ihren Füßen, auch durch Phantomkristall mit dem Rest verbunden und sie konnte in das Gesicht des Rüstungsträgers blicken. Sie erkannte es, selbst nach all der Zeit: Urielan.
„Schafft sofort die Kristallsänger her! Wir haben hier ein Monument der ruhmreichen Toten. Wir werden es bergen, um die Lebenden zu inspirieren.“
Tayanua malte sich schon aus, wie der Phantomlord samt dem in Armen gehaltenen Phantomseher als Skulptur des siegreichen Todes auf dem großen Platz vor dem Kristalldom stünde. Doch erst musste sie sicher gehen.
Auf der Brust prangte neben dem Seelenstein des meisterhaften Phantomsehers auch eine Unzahl von weiteren rötlich, grünlich oder bläulich schwach schimmernden Steinen – er hatte fast alle Seelen bewahrt, die er in den Krieg gerufen hatte.
Tot. Aber nicht verloren.
Tayanua berührte die Hülle des Phantomlords und sie durchströmten die Seelen der faktisch zwei Mal Gefallenen – einschließlich der von Urielan! Es war sicher. Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen ihre Wangen hinab. Gefunden, dachte sie nur. Gefunden nach all den Jahren.
Ich bringe Euch Heim, Meister, sandte sie gedanklich in den Kristall.
Eine Woge der Dankbarkeit erfasste Tayanuas Geist und Seele. Sie hatte ihre wohl wichtigste Ernte seit langem eingefahren.
Es rumorte im Weltenschiff. Ein unbändiges Beben rüttelte und zerrte an allen Strukturen, an allen Eldar selbst. Die Kammer des Avatars erwachte. Zwar war er zig Ebenen von dieser Kammer entfernt, doch die Aktivierung war durch den Phantomkristall des Weltenschiffs eindeutig zu spüren.
Damit war auch seine Zeit gekommen. Urielan war bereits in seine Runenrüstung gekleidet und warf sich nun seinen Umhang um. Er fühlte mit jeder Faser des Körpers die aufkommende Unruhe des Krieges. Wie die Raserei aufzuflammen begann, doch er musste sich noch ein wenig beherrschen. Er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen.
Es war stets ein erhabener Anblick, diese Kathedrale aus Phantomkristall zu betreten. Das Herz des Schiffes, das ruhige Herz – im Gegensatz zur Kammer des Avatars, welche mehr einem flammenden, glühendes Metall spuckenden Tumor glich.
Urielan liebte die Ruhe an diesem Ort. Er verstand das Wispern der Seelen richtig zu deuten, darum war er zum Phantomseher ausgebildet worden. Und bekleidete nun den Meisterrang dieser Zunft auf seinem Weltenschiff. Dekaden hatte er selbst und hatten die Lehrer seinen Geist geschmiedet. Immer, wenn er diesen Ort betrat, musste er sich vergewissern, wie weit die Kristallisierung seines alten Meisters und Mentors bereits voran geschritten war – auch heute, trotz seiner wichtigen Aufgabe.
Das Gesicht von Prophet Hentenarion war noch zu erkennen. Sein restlicher Leib war aber schon von Kristallstrukturen überwuchert und einzelne Verästelungen griffen schon auf sein Gesicht über. Bald, dachte Urielan, bald wäre sein alter Meister gänzlich von der Unendlichkeitsmatrix aufgesogen, eins mit dem Schiff. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis auch er sich hier niederlassen würde?
Er wandte sich ab. Es gab eine Aufgabe zu erfüllen! Urielan schritt auf eine pultartige Erhebung innerhalb des Kristalldoms zu. Mit Hilfe seiner psionischen Fähigkeiten formte er durch Handauflegen eine Mulde, in die er den Seelenstein legte. Während er durch den Dom geschritten war, hatte er sich allein auf das Gefühl in seiner Hand und seinen prüfenden Geist verlassen, den richtigen Stein ausgewählt zu haben. Die Erfahrung von Äonen lag in seinen Handlungen.
Der Stein passte perfekt in die Mulde. Nun zog er mit aller Ruhe einen rituellen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel. Die geschwungene Klinge war leicht, gut ausbalanciert. Prüfend, wie jedes Mal, sah Urielan die dunkle Klinge an. Gemächlich setze er die scharfe Schneide an seine Handfläche an und zog einen diagonalen Strich darüber. Ein feiner Schnitt gab sein Blut preis. Er ballte leicht die Hand zur Faust und verteilte ein wenig Blut auf der Handinnenseite. Die rote Rechte legte er so dann auf den Seelenstein und konzentrierte sich. Fasziniert war er schon immer davon, wie unbewusst der Übergang in die Matrix geschah. Kaum versah er sich, da trieb er auch schon im Herzen des Schiffes, lies seine Seele in den Blutkreislauf der Arche sinken.
Urielan sprach nicht wirklich mit den Seelen. Er ließ viel mehr seinen Geist in die Matrix wandern und trieb mit den Seelen in der Unendlichkeit. Doch er konnte sich dem Strom nicht vollends ergeben. Eine Seele war zu finden, eine kräftige, eine mächtige. Die Seele eines Eldar, die fähig war, das gigantische Konstrukt eines Phantomlords zu steuern.
Die Unruhe, die durch das Weltenschiff pulsierte und darauf hindeutete, dass das Opfer für den Avatar kurz bevor stand, spürte Urielan auch in den Tiefen dieser scheinbaren Unendlichkeit. Und auch die Seelen der Matrix waren in Aufruhr.
Sein Geist griff in alle Richtungen aus. In der Matrix existierte kein wirkliches Oben und Unten, Links, Rechts, Vorne oder Hinten. Sowie er eine Seele berührte, durchdrangen ihn wiederum andere. Die gesamte Kommunikation geschah auf emotionaler, intuitiver Ebene. Urielan traf auf alte Kristallsänger, Gardisten, gefallene Aspektkrieger, aber keine der Seelen, die er berührte, genügte seinen Ansprüchen. Er trieb eine ganze Zeit lange durch die Unendlichkeit, verlor das Gefühl für Zeit und Raum, ohne wirklich das zu finden, wonach er suchte.
Da!
Etwas tastete nach ihm, ergriff seinen Geist und Urielan spürte eine machtvolle, kraftvolle Präsenz in seinem inneren Selbst. Die Seele war alt, sehr alt und hatte den Pfad des Kriegers in mehrfacher Form absolviert, das fühlte Urielan. Der Name Duregror erfüllte seinen Geist. Er hatte die Weltenschifftruppen als Autarch in der Kampagne gegen die Chem-pan-sey geführt, die vor Äonen in den östlichen Gefilden geführt wurde, zur Protektion der dortigen Exoditenwelten. Urielan kannte diese weit zurückliegende Schlachtenfolge als Zug über die hundert Planeten. Zu der Zeit war er noch ein Jüngling gewesen, inzwischen hatte auch er mehrere Ewigkeiten an Lebensaltern auf seine Schultern geladen.
Duregrors Präsenz in Urielans Geist beschwor Bilder von ungezählten Schlachten. Mal durchbrach er das Unterholz als Skorpionkrieger, um in einem Kommandostand der Menschen wild metzelnd um sich zu schlagen. Mal spürte er die Hitze von Fusionsstrahlern auf seiner Haut, als er als Feuerdrache eines dieser stählernen Ungetüme der Primitivlinge zu Schlacke zerschmolz. Ein anderes Mal antwortete er auf den Kugelhagel einer Schusslinie mit sirrendem Shurikenfeuer oder er vernahm das rauschende Starten und krachende Einschlagen von Sprengköpfen, die er mit den gefürchteten Raketenwerfern der Schwarzen Khaindar abgefeuerte. Diverse Gerüche, unterschiedliche Lichtfarben, ja gar das Gefühl, mal auf Gras, im Sand oder Morast zu stehen, übertrugen sich alle in Urielans Geist. Doch ganz besonders blieb ihm ein Einblick in Duregrors Geist in Erinnerung: die von einer verschleierten Sicht, dem dumpfen Stampfen und der unnatürlichen Kälte innerhalb eines Phantomkonstruktes.
Urielan hatte gefunden, wo nach er suchte! Eine Seele, die bereits schon mal einen Phantomlord mit Unleben erfüllt hatte. Und die auch die Bereitschaft signalisierte, über den Tod hinaus für sein Weltenschiff in den Krieg zu ziehen! Urielan durchfuhr ein Gefühl der Dankbarkeit, welches durch die Präsenz von Duregrors mit einer Welle spürbarer Glorie beantwortet wurde – anders konnte Urielans es nicht beschreiben.
Der Phantomseher löste seinen Geist von der Unendlichkeitsmatrix. Er blickte wieder durch seine Augen, spürte die Kühle des Kristalldoms auf seiner Haut und roch die wohlduftende Essenz verbrannter Espeisasblüten. Sie stammten von einer der Exoditenwelten, die Duregrors einst verteidigt hatte. Es war ein lieblich-süßer Geruch, nicht zu aufdringlich, nicht zu schwach. Das genaue Mittelmaß. Urielan sog den Duft ein, er beruhigte seinen aufgewühlten und auch etwas ausgezehrten Geist. Den Seelenstein, den er zuvor mit seinem Blut gespeist hatte und der nun vom Geist Duregrors erfüllt war, nahm er aus der Vertiefung des Phantomkristalls. Er machte kehrt, um in die tieferen Ebenen des Weltenschiffs zu gelangen, dort, wo die Geisterkrieger auf die Aktivierung durch einen Seelenstein harrten. Den Stein in seiner Faust umfasst er noch einmal fest und der Stein flammte auf. Mit einem Impuls sandte die Kriegerseele eine kristallklare Wahrheit in Urielans Geist: Krieg bleibt immer Krieg.
Ein grimmiges Lächeln umspielte die Züge des Meisterphantomsehers.
***
Sie und ihr Geleittrupp betraten eine scheinbar unberührte Welt. Der Wald, in dem sie nun standen, war alt und die einstige Lichtung um den Austrittspunkt des Wegenetzes war umsäumt von hohen, gewaltigen Baumriesen. Diese waren über und über mit Moos bewachsen. Das fahle Licht der Sterne tauchte dank des Bewuchses alles in einen grünlichen Schimmer.
Die gleiche Farbe wie die Feinde, die hier einst gestellt und geschlagen wurden. An dieser Stelle hatte der große Urielan die Orks zum Kampf herausgefordert, bevor sie die nahen Exoditenwelten gefährden konnten. Ein ausgeklügelter Schlachtplan, eine einzige Schlacht, um zu verhindern, dass die Orkpopulation die kritische Masse erreichte, für einen alles in den näheren Quadranten mit sich reißenden Kriegszug. Tayanua fand dieses Vorgehen bis heute äußerst schlau – auch wenn die Geschehnisse dieser Schlacht auf diesem entlegenen Waldmond teils durch den Schleier der Zeit in Vergessenheit geraten waren.
„Aufsitzen!“, befahl die Runenprophetin. Der Trupp bemannte die mitgeführten Jetbikes und setzte sich in Bewegung.
Schon nach kurzer Zeit hatte Tayanua ein ungefähres Bild der Schicksalsfäden, die hier verlaufen waren. Die zig vorhandenen Tiere überwuselten die alten Geschehnisse, doch ihre Erfahrung und ihr Wissen ließen sie auf die richtige Spur setzen.
In all der vor Leben pulsierenden Umwelt fand sie, was sie suchte. Der Hauch Resonanz, den sie benötigte. Unwillkürlich, unbestimmt. Und doch klar unterschiedlich zu den restlichen Fäden vor ihrem geistigen Auge und ihren seherischen Kräften. Die Runen hatten dieses Mal also nicht die falsche Fährte offenbart. Tayanua folgte ihr nun intuitiv.
Der Wald begann sich zu lichten und mit einem Schlag hatten sie die Baumgrenze erreicht. Die Verdichtung der Schicksalsfäden wurde immer enger, wie ein dichtes Knäuel in einander verworren. Tayanua hatte Mühe, der Verästelung zu folgen, die sie für die richtige hielt. Sie ließ stoppen. Aus dem ledernden Beutel, der am Gürtel ihrer Rüstung hing, beförderte sie einige Runen und warf sie vor sich in die Luft. Die aus Phantomkristall bestehenden Objekte zirkulierten in knappem Abstand vor ihr. Kraft ihrer Gedanken wurden sie in der Luft gehalten.
Die Runenprophetin konzentrierte sich. Ihr Geleitschutz wartete geduldig ab. Eine Weile rotierten die Runen vor ihr wie wild in der Luft, kamen nur allmählich in eine geordnete Konstellation. Die Geschwindigkeit der Umdrehungen nahm ab. Die Stille wurde durch das Gebrumme der überall anwesenden Gonrax unterbrochen – riesigen Flugmäulern mit ledernden Spannhäuten zwischen ihren sechs Gliedmaßen. Alles vertilgende Aasfresser.
Die Runen bildeten nun einen klaren Kreis, der in sich ruhte. Tayanua blickte auf die Botschaft und verstand. Der Tross nahm wieder Fahrt auf und zog über die deutlich weniger bewachsene und zerfurchte Landschaft hinweg. Sie erreichten einen Kraterrand. Hier liefen alle Fäden zusammen. „Gewaltig…“, murmelte einer ihrer Runenleser über das Kom.
Ja, der Krater war gewaltig, der gegenüberliegende Randbereich nur schwerlich zu erkennen. Und das Innere war gefüllt mit waberndem Nebel. Es sah fast so aus, wie der blubbernde Kessel in einer irrsinnigen Hexenküche.
„Absitzen, wir gehen den Rest!“, befahl Tayanua. Ihre Begleitung folgte gehorsam.
Am Grund des Kraters angekommen, gab der Nebel nur widerwillig seinen Schatz preis. Oder eher seine Opfergaben? Überall waren metallene Schrapnelle verstreut. Bleiche Gebeine ragten hier und dort als komplette oder verstreute Skelette aus dem Boden. Tayanua machte ausnahmslos Orks aus. Gewaltige Exemplare waren verstreut unter Massen von kleineren Gefolgsleuten. Selbst im Tod konnte man das, was die Orks als Sozialstruktur inne hatten, noch deutlich erkennen.
Der Grund des Kraters war morastig. Spärliche Vegetation war nur vorhanden, so als sollte hier nichts wachsen. Der Nebel musste seine Feuchtigkeit aus dem Kratergrund beziehen und diese auch wieder an ihn abgeben. Ein moderiger Kreislauf, der vermutlich den allgegenwärtigen Rost auf den Metallteilen der Orkrüstungsreste erklärte.
Ein kreischender Laut war durch den Nebel zu vernehmen, ihr Geleitschutz zog die Waffen. Wohl ein weiterer Gonrax. Prophetin Tayanua selbst nahm unbeeindruckt eine kristallene kleine Kugel aus einem ihrer umgehängten Lederbeutel und ließ einen kleinen Stoß psionischer Energie in das Gefäß hinein. Der Schauplatz wurde nun in ein kühles, bläuliches Licht gehüllt, das aber nur wenige Meter weit reichte. Der Nebel schluckte fast gierig das kleine Maß an Helligkeit.
Die Runen hatten ihr den Weg gewiesen, also schritt Tayanua entschlossen voran. Über die Überreste einer längst vergangenen Schlacht.
Nach kurzer Zeit näherten sie sich dem Zentrum des Kraters und der Boden hob sich an. Ein Hügel war hier auszumachen. Und dann trafen sie auf die ersten reellen Zeichen: deaktivierte Hüllen von Phantomdroiden, die ausgestreckt auf dem Boden lagen! Vereinzelt und schließlich, je höher es den Hügel ging, desto mehr Phantomdroiden fanden sie.
„Prüft die Seelensteinfassungen!“
Ihr Geleit schwärmte aus. Sie schritt weiter auf die Hügelspitze zu.
Und dort schälte sich etwas Gewaltiges aus dem Nebel! Auch hier warteten Phantomdroiden auf die Prophetin, jedoch aufrecht stehend, mit den Waffen in Habachtstellung. Aber viel imposanter war der Anblick des großen Phantomlords, der sich in einer hockenden Position befand – ein Schienbein auf dem Boden, der andere Fuß fest aufsetzend, den Oberkörper gebeugt und die Arme vor der Brust verschränkt. Die Phantomklinge war vor ihm in den Boden gerammt. Tayanua spürte auf den Fäden des Schicksals, dass sie hier im Zentrum war, hier lief alles zusammen. Und hatte eruptiv je sein Ende gefunden. Hier musste eine machtvolle, psionische Kraft gewirkt worden sein, was die ganzen Orkleichen erklären durfte.
Die Anordnung der Droiden, wie Mahnwachen, der kniende Phantomlord, wie ein schützender Hüter und das Schwert, als sei es ein Grabstein. Sie nahm den Helm ab und sog die muffige Luft ein. Tayanua kam sich vor, als würde sie eine Grabkammer betreten, mit einem Gewölbedach aus Nebel.
Über Kom erhielt sie Meldung: „Keine Seelensteine in den Fassungen, Meisterin.“
Sie hatte es geahnt, aber schritt mit erwartungsvoller Nervosität auf den Phantomlord zu. Es knirschte unter ihren Schritten und als Tayanua nach unten blickte, erkannte sie kristalline Fasern, die über dem Boden verliefen. Ihr Puls ging schneller und mit wenigen Schritten stand sie direkt vor dem Phantomlord, diesem riesigen Konstrukt aus Phantomkristall und erkannte, was er schützend vor seiner Brust und hinter seiner Armpanzerung verbarg: den Corpus einer Runenrüstung! Von ihm aus gingen die feinen Stränge der kristallinen Struktur, die einen großen Teil des Phantomlord und den Boden, auf dem dieser stand, bereits überzogen hatten. Der Helm lag unweit zu ihren Füßen, auch durch Phantomkristall mit dem Rest verbunden und sie konnte in das Gesicht des Rüstungsträgers blicken. Sie erkannte es, selbst nach all der Zeit: Urielan.
„Schafft sofort die Kristallsänger her! Wir haben hier ein Monument der ruhmreichen Toten. Wir werden es bergen, um die Lebenden zu inspirieren.“
Tayanua malte sich schon aus, wie der Phantomlord samt dem in Armen gehaltenen Phantomseher als Skulptur des siegreichen Todes auf dem großen Platz vor dem Kristalldom stünde. Doch erst musste sie sicher gehen.
Auf der Brust prangte neben dem Seelenstein des meisterhaften Phantomsehers auch eine Unzahl von weiteren rötlich, grünlich oder bläulich schwach schimmernden Steinen – er hatte fast alle Seelen bewahrt, die er in den Krieg gerufen hatte.
Tot. Aber nicht verloren.
Tayanua berührte die Hülle des Phantomlords und sie durchströmten die Seelen der faktisch zwei Mal Gefallenen – einschließlich der von Urielan! Es war sicher. Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen ihre Wangen hinab. Gefunden, dachte sie nur. Gefunden nach all den Jahren.
Ich bringe Euch Heim, Meister, sandte sie gedanklich in den Kristall.
Eine Woge der Dankbarkeit erfasste Tayanuas Geist und Seele. Sie hatte ihre wohl wichtigste Ernte seit langem eingefahren.
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