[Archiv] [Wettbewerb Frühling 08] [W40k] "Erwachen" — PLATZ 3

SHOKer

Mentor der flinken Federn
03. Februar 2006
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Anmerkung von Rabenfeder: diese Geschichte wurde von Rabenfeder verfasst. Yay.

Dunkle Wolkenfetzen hingen tief über der Makropole, hüllten die Türme der Ekklesiarchie ein und verschleierten ihre gewaltigen Ausmaße.
Ich glaube mich daran erinnern zu können, dass ich an jenem Tag ein Spiegelbild meiner eigenen Gedanken und Gefühle im Himmel sah, ein Abbild meines ganzen Lebens.
Ich war des Ganzen überdrüssig – der täglich gleichen Arbeit, des monotonen Alltags, dieser ganzen verdammten, eintönig grauen Stadt. Als ich damals aus meinem Büro zu den Türmen des Adeptus Ministorum blickte – die Gebäude der Sicherheitsbehörde liegen recht zentral – sehnte ich mich förmlich nach Veränderung und einem Ausbruch aus meinem Leben.

Konnte ich denn damals ahnen, was daraus erwachsen würde?

Wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, sehe ich ein blasses Gesicht, fast schon bleich zu nennen, die Wangen etwas eingesunken, die Haare unordentlich, mit tiefen Schatten unter den Augen.
Damals noch war ich das, was man gemeinhin eine „kühle Schönheit“ nannte. Phelan, einer von den Jungs, die für den inneren Bereich der Makropole zuständig waren, machte sich einen Spaß daraus, mich damit aufzuziehen. Wer weiß, vielleicht gefiel es mir sogar, wenn er das Grün meiner Augen pries, das scharf geschnittene Gesicht oder das schwarze, etwas mehr als schulterlange Haar mit dem einzelnen Zopf.
An diesem schwarzen Tag jedoch war ich schon früh so schlecht gelaunt wie lange nicht mehr. Nach zähem Ringen war entschieden worden, dass Killian die Untersuchung der Mordserie in Damasia, einem vorwiegend vom lokalen Adel bewohntem Viertel, leiten würde. Sie bestimmte nun schon seit Tagen die Schlagzeilen der Zeitungen – jedenfalls soweit wie es die imperialen Organe zuließen – und zweifelsfrei würde das Ganze in einem gewaltigen Reputationsgewinn für Killian enden.
Schon seit jeher verband mich und Killian – Inspektor Killian, wie er immer zu sagen pflegt – ein zweifelhaftes Band der gegenseitigen Verachtung und Konkurrenz.
Auch wenn mir die fortwährenden, bürokratischen Kleinkriege zwischen uns nun nichtig erscheinen, so war es damals doch ein Tiefschlag, dass ihm, gerade ihm der gewichtige Fall übergeben wurde.
Der Spott Killians erschien mir unerträglich, wusste ich doch insgeheim, dass ich es ebenso wie er als mein persönliches Versagen werten würde.
Zudem fühlte ich mich förmlich verraten, abgespeist mit einer nichtigen Geschichte, der Entführung irgendeines Sohnes eines noch unbekannteren Händlers.
Und so kam es, dass, während alles um mich herum voll hektischer Aktivität zu sein schien, ich wohl minuten-, vielleicht stundenlang in den aufgewühlten Himmel blickte.


Ich weiß nicht mehr genau, wie ich die folgenden Tage verbrachte. Vermutlich fing ich notgedrungen an, den Fall zu bearbeiten; ich sprach mit dem Vater des Opfers, einem Mann, der vermutlich in einer weit zurückgelegenen Zeit einmal schlank zu nennen war und der pikiert schien, dass ihm die Sicherheitsbehörde nur eine Frau geschickt hatte. Allein der Gedanke, dass auch Killian davon erfahren würde, hielt mich davon ab, dem feisten Mann all meine Verachtung ins Gesicht zu speien.
Ich überprüfte flüchtig den Ort, an dem das Kind das letzte Mal gesehen wurde, eine Straße wie jede andere inmitten der Makropole. Ohne sie wirklich angesehen haben, machte ich mich auch bald schon wieder davon. Ich glaubte nicht, dass dort noch irgendetwas zu finden sein würde.
Ich schaffte es, einige Kollegen dazu zu bringen, sich für mich etwas umzuhören – bezüglich des eigenen Falles, aber auch dem Killians. Ich hungerte förmlich nach einem Fehler seinerseits und der Möglichkeit, diesen auch mehr als deutlich werden zu lassen.
Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich jedoch zu Hause, oder zumindest dem, was andere ein „zu Hause“ nennen würden.

Als Diener der Ordnung dieser Welt stehen uns Beamten der Sicherheitsbehörde Wohnungen in exklusiveren Teilen der Makropole zu, und auch ich lebe in einem dieser Appartements, einer bloßen Aneinanderreihung einiger schmuckloser, kalter Räume. Ich habe sie hassen gelernt.
Warum ich sie trotzdem so oft aufsuchte? Die meiste Zeit wollte ich einfach allein sein, verfluchte Killian, seinen Fall und mein Leben allgemein.
In diesen Tagen fand ich auch das erste Mal Gefallen am Amasec. Früher hatte ich dem bitteren Getränk kaum etwas abgewinnen können, und ein klarer Kopf erschien mir wichtiger als die berauschende Wirkung. Doch nun kam er mir nur recht, und so lag ich für Stunden auf meinem Bett, nur in Unterwäsche, ein kleines Glas in der Hand, und starrte an die Decke.

Der erste, der mich auf den wohl merklichen Alkoholgeruch, der mir wie mein Schatten anhing, ansprach, war, wie sollte es anders sein, Phelan. Er war es auch, der mir an diesem ungemütlichen, bitterkalten Morgen mit einem spitzbübischen Grinsen auf dem Gesicht vorhielt, dass ich aussähe, als wäre ich gerade einer Gruft entstiegen, und mir einen Becher Kaffein in die Hand drückte.
Ich fühlte mich schrecklich – der Mund mit bitterer Galle gefüllt, die Glieder schmerzend, ein dumpfes Pochen in meinem Kopf, und beinahe hätte ich ihn und sein Grinsen einfach auf dem Flur stehen lassen.
Doch als ich die ersten zaghaften, vorsichtigen Schlücke genommen hatte, schlich sich das erste Mal seit der Vergabe des Falls wieder ein mattes Lächeln auf meine Lippen.
Mein Kollege weckte einen verloren geglaubten Optimismus und Tatendrang in mir. Ich schalt mich eine Närrin, die letzten Tage ungenutzt verstreichen zu lassen, und eilte los, um die Unterlagen zu sichten, die sich zweifellos auf meinem Schreibtisch angehäuft hatten.
Ich glaube, ich habe mich bis heute nicht für den Becher Kaffein bedankt.

Als die Meldung die Runde machte, Killian habe sich schon an die Fersen eines Verdächtigen geheftet, geriet ich auch bei meinem Fall in Zugzwang.
Was zählte, waren reine, nackte Ergebnisse. Konnte ich zuerst ein Opfer für die imperiale Justiz aufweisen, wäre das ein mehr als deutliches Zeichen für mich und gegen den ungeliebten Kollegen gewesen.
Diesem Umstand mag es auch geschuldet sein, dass ich mich noch am selben Tag aufmachte, gut gelaunt und beschwingt. Broin und Keriann, die beiden Männer, denen ich aufgetragen hatte, sich umzuhören, hatten früh am Morgen schon auf mich im Büro gewartet.
In der Gegenwart dieser unauffälligen, feingliedrigen Männer ist mir unwohl, doch sie brachten Neuigkeiten: in vermutlich mühseliger Kleinarbeit hatten sie nicht nur die Anwohner der Straße, in der der Sohn des Händlers das letzte Mal gesehen wurde, ausgiebig befragt, sondern auch die Daten aller Servitoren, die zu der Zeit der Entführung dort ihren Dienst verrichteten, ausgewertet.
Bei einem Reinigungsservitor waren sie schließlich fündig geworden und hatten die Spur bis zu einem etwas außerhalb gelegenen, alten Mietshaus verfolgt.
Ich war mir vollkommen sicher, dass ich hier den Schlüssel des Falls vor mir hatte.
Unruhig trommelte ich mit meinem Fingern auf meinen Oberschenkeln, als mich ein unauffälliger, mattschwarzer Wagen der Behörde in die Außengebiete brachte. Meine Kollegen hatten keinen Grund, in Zweifel zu ziehen, dass ich bloß eine Routineuntersuchung durchführen würde, so wie ich es lautstark verkündet hatte.
Nun, im Rückblick auf die Ereignisse, ist mir diese Torheit kaum begreiflich. Doch steht es mir zu, so zu urteilen?
Erst kurz zuvor hatte Killian die Mordserie förmlich an sich gerissen, und ich befürchtete, es könnte ihm gelingen, sich auch her zu profilieren. Ich wollte es einfach sein, die mit der Nachricht an die anderen trat, mein Fall sei restlos aufgeklärt. Ich wollte diejenige sein, die dem Händler seinen Sohn zurückbrachte, ich wollte es sein, die ihm dabei ins Gesicht sah.
Ich wollte alles und fand mich schließlich auf dem Weg in Schwierigkeiten wieder.

Frustriert schmiss ich die Tür hinter mir zu. In meinem Kopf schwirrten tausende unterschiedlicher Gedanken herum, Enttäuschung über eine weitere schon lange verlassene Wohnung, Wut über Broin und Keriann, die bei ihrer Aufgabe versagt hatten, und, alles beherrschend, dass ich nun keine Spur mehr hatte.
Seufzend lehnte ich mich an die Wand des Treppenhauses und blickte nach draußen. Die schmalen, verdreckten Fensterscheiben ließen nicht viel erkennen, doch gab es auch kaum etwas zu erkennen. Dieser kleine Teil der Makropole lag förmlich brach, aufgegeben von den früheren Bewohnern, die entweder in die inneren Bezirke gezogen waren oder nun ein Dasein als Bettler und Streuner führten.
Ich war schon auf der Fahrt durch die düsteren Straßen angespannt gewesen. Zwar glaubte ich nicht, dass es einer dieser Unglücklichen wagen würde, sich dem wuchtigen Wagen auch nur zu nähern. Die bedrückende Atmosphäre ließ mich jedoch ein Kribbeln verspüren, dass mich auch auf meinem vergeblichen Streifzug durch die Wohnungen nicht losließ.
Vermutlich rettete es mir auch mein Leben. Nur einen kurzen Augenblick blitzte etwas in dem Glas des Fensters auf, doch war ich nervös genug, ruckartig herumzufahren.
Ich sah einen Albtraum in die Augen.
Alles schrie in mir auf, als ich die zweifellos menschliche Gestalt erblickte. Widernatürlich verkrümmt, über und über mit Symbolen überdeckt, denen sich mein Verstand noch heute verschließt, jagte sie auf mich zu. In ihrem Blick vermischten sich Blutlust und Leid, doch fiel mein Blick hauptsächlich auf die rechte Hand der Gestalt, der jemand lange Eisenfänge förmlich an die Finger genagelt hatte.
Ich schmiss mich in Panik auf den Boden, rutschte unter der ausgestreckten Klaue hindurch, die mit einem grauenvollen Geräusch die Fensterscheibe zerbersten ließ.
Ich war kaum wieder auf den Beinen und nestelte unbeholfen an dem Holster meiner automatischen Pistole herum, als die Kreatur wieder über mir war.
Ein weiterer Hieb riss meinen Arm der Länge nach auf, und ich schrie, schrie nach Leibeskräften, rutschte zu Boden.
Viele der Beamten der Sicherheitsbehörde tragen zahlreiche Narben, von denen jede eine eigene Geschichte erzählt. Ich habe sie nüchtern über ihre Verletzungen reden hören, über Fleischwunden und Knochenbrüche, ich hatte versucht, mir den Schmerz vorzustellen. Ich hatte es nicht vermocht.
Die kleine Welt vor mir, die Kreatur, das Treppenhaus – sie alle entrückten einen Moment meinem Blick, verschwommen vor meinen Augen, um plötzlich klar und hart wieder hervorzutreten.
All die Ausführungen über ruhige Atmung, die langen Stunden des Schusstrainings waren vergessen, als ich einfach blind feuerte, wider dem Schrecken, wider dem Widernatürlichen, wider dem Verursacher meiner Pein.
Ich vertraute meine Seele dem Imperator an, ohne zu wissen, ob er mich erhören würde. Mein nüchterner, sonst so klarer Verstand erlosch einfach, zurück blieb nur Angst.
Vielleicht wachte dieser so ferne Imperator in dem Moment des Grauens über mich, vielleicht schien nur eine Winzigkeit Seines göttlichen Lichts auf mich.
Vielleicht war es pures Glück.
Die Kugeln trafen die Kreatur zwischen Rumpf und Kopf, drangen tief in den Hals ein. Die ersten Treffer schien sie abzuschütteln, unbeeindruckt von der Kraft der Geschosse.
Ich feuerte weiter, bis die Gestalt in die Knie ging, ich feuerte weiter, als sie in sich zusammensackte, feuerte weiter, als das Magazin schon längst geleert war und nur noch ein metallisches Klicken ertönte. Erschöpft, verstört und verängstigt lag ich im Treppenhaus, die zitternde Hand immer noch am Griff der Pistole.
Ich hatte das Grauen erblickt, eine Kreatur befallen vom Makel des Chaos.

Der Tag war schon lange angebrochen, die Makropole mit Leben erfüllt, als ich mich schließlich auf meine Couch sinken ließ. Meine sterile, kalte Wohnung hatte etwas ungeheuer Tröstliches, das ich nicht genau in Worte fassen kann.
Obwohl ich mich kaum entsinnen konnte, das letzte Mal Schlaf gefunden zu haben, kam ich doch nicht zur Ruhe. Ich hatte noch lange regungslos in dem Treppenhaus gelegen, unfähig, das Vergangene zu begreifen. Erst nach einer kleinen Ewigkeit war ich schwankend und zitternd auf die Beine gekommen, mich schwer auf das Geländer aufstützend.
Unbeholfen hatte ich meinen Arm abgeschnürt, hatte versucht, mit Hilfe der monotonen Bewegung meine eigenen Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Schmerz hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht gefühlt, nur eine dumpfe Leere, die mich durch und durch ausfüllte.
Auch später, als ich, mit meinem eigenen Blut besudelt, aus dem Gebäude getaumelt, als mir der Fahrer des Stabswagens mit besorgtem, ja erschrockenem Blick entgegengeeilt, selbst in der imperialen Klinik, als meine Wunde versorgt worden war, hatte sich mein Verstand noch dem Geschehenen verschlossen.
Sie hatten mich vorerst vom Dienst freigestellt und nach Hause geschickt, damit ich mich von dem Angriff erholen konnte.
Eine weitere Gruppe der Sicherheitsbehörde war bereits auf dem Weg zu dem Haus, sie würden zweifellos den Kadaver finden, würden Fragen stellen.
Ich wusste keine Antworten.

„Was zur Hölle hat Sie angegriffen? Unsere Leute haben dort nichts gefunden!“
Ich hatte schließlich doch etwas Schlaf gefunden, ein unruhiger Schlummer, aus dem ich bald schon wieder erwacht war. Der vergangene Tag schien mir wie ein Albtraum, unglaublich real, doch auch unvorstellbar lange her.
Mein Gesicht im Spiegel starrte mich grau an, geisterhaft blass, ausgezehrt, müde. Ich wusch mich gründlich, schrubbte mir die Zähne, versuchte, zurück zur Routine zu finden.
„Eine Kreatur, sagen Sie? Dann verraten sie mir mal, warum dort nichts war als Ihr eigenes Blut!“
Ich zog einen hochgeschlossenen, schwarzen Mantel an, den besten, den ich finden konnte. Minutenlang strich ich ihn glatt und klopfte auf kleinen Falten herum, ehe ich meine Wohnung verließ und mich auf den Weg machte.
Es war Zeit, sich Brennain zu stellen.
„Und haben Sie nicht geahnt, dass es Schwierigkeiten geben würde? Ich habe Sie für erfahrener gehalten, Felkyo„
Ernest Brennain, ein früh ergrauter Veteran aus den Befreiungskriegen von Amar Talithe, seines Zeichens Leiter der Sicherheitsbehörde.
Er hatte dieses Amt schon lange inne, als ich noch ein junger Frischling war, und vermutlich würde er mich auch überdauern. Der bullige Mann war sowohl für seine kompromisslose Härte als auch für seine wortgewaltigen Reden bekannt, mit denen er seine Gegenüber einschüchterte.
„Was, „aber“? Sie haben verdammt noch mal besser aufzupassen! Warum waren Sie alleine unterwegs?“
Um mich herum ging der Alltag in der Makropole weiter. Ich sah Arbeiter auf dem Weg zu ihrer Schicht in den riesigen Fabriken, Wachsoldaten, die ebenso erschöpft waren wie ich, einen Krankenwagen, der sich heulend durch die Straßenschluchten wand.
Auch in der Behörde schien alles seinen gewohnten Gang zu nehmen. Auf meinem Weg durch die Flure sah ich flüchtig Phelan, der eine kleine Schar Zuhörer um sich versammelt hatte und der etwas zum Besten gab, ich sah Killian, umgeben von anderen Beamten und Servitoren, über einen unordentlichen Haufen Zettel gebeugt.
„Und in Ihrem Fall sind sie auch keinen Deut weiter, oder etwa doch? Wissen sie, dass Inspektor Killian schon die ersten Verdächtigen festgesetzt hat?“
Brennain erwartete mich in seinem Büro. Er stand mit dem Rücken zu mir, die eine Hand auf dem massiven Schreibtisch abgelegt, und starrte aus dem Fenster. Geistesabwesend kratzte ich an dem Verband, ehe ich auf ihn zutrat.
„Kommen Sie mir nicht mit diesen... diesen Ausflüchten! Sie haben das Ganze falsch angefasst, das ist es“
Brennain war wütend, so wütend wie ich ihn kaum jemals gesehen hatte. Ich versuchte, Einwände vorzubringen, doch sie prallten wirkungslos an einer Mauer purer Ignoranz ab.
Ich konnte mir einfach nicht erklären, was ihn so aufgebracht hatte. Zwar hatte ich bisher keine Erfolge aufzuweisen und war im Dienst verletzt worden, doch hatte ich erwartet, dass ich für mein fahrlässiges Verhalten nur kurz gerügt werden würde. Irgendetwas war geschehen.
„Und wissen Sie was? Ich halte Ihre Geschichte von vorne bis hinten für erstunken und erlogen“
Als ich später etwas betäubt das Gebäude verließ, zögerte ich nur kurz. Eilends schlug ich den Weg zu der nächsten Station für die Züge ein, die die Makropole sternförmig durchfuhren.
„Leider denkt aber nicht jeder so wie ich. Dieser Fall wird von dem Adeptus Arbites übernommen und entzieht sich nun unserem Zuständigkeitsbereich“
Das monotone Rattern des Zuges ließ mich langsam zur Ruhe kommen. Ich verspürte einen unnatürlichen, inneren Frieden, der mir schon lange nicht mehr vergönnt worden war.
Um diese Uhrzeit war die Bahn kaum gefüllt – nur einige Arbeiter, die auf dem Weg zu ihrer Schicht in den Außenbezirken waren, musterten mich und die Kleidung, die sich von ihrer eigenen, schmuddeligen Arbeitskluft unterschied, misstrauisch.
„Ohne Zweifel werden Sie bald von mir hören. Oder von dem… verehrten Marschall Sederbus Inlustris“
Das Haus mutete kaum anders an als vor zwei Tagen. Wie ein riesiges, graues Ungetüm starrte es mich aus leeren Fenstern an.
Die Arbites hatten den Fall also an sich genommen. Ich konnte die Wut Brennains verstehen, sie nachempfinden. Die Fremdweltler mischten sich in ihre Sachen ein und hatten den Leiter der Sicherheitsbehörde düpiert. In gewissem Sinne ging es ihm nun so ähnlich wie mir mit Killian.
Was mir aber vielmehr Sorgen bereitete war, dass auch ich zumindest unter verschärfter Beobachtung stehen würde.
Killian würde sich freuen.
„Abtreten!“

Unbeeindruckt brach ich die imperialen Siegel an der Tür und machte mich auf den Weg nach oben.
Im Treppenhaus schien fast alles unberührt geblieben zu sein – das zerbrochene Fenster, mein eigenes Blut auf dem Boden neben einigen wie Murmeln herumliegenden Patronenhülsen.
Nur von dem Kadaver der Kreatur fehlte jede Spur.
Ich sackte in mich zusammen, hatte ich doch erwartet… - ja, was? Ich weiß es nicht genau, vielleicht wollte ich mich nur mit eigenen Augen davon überzeugen, vielleicht glaubte ich einen Hinweis auf den Verbleib meines Angreifers zu finden.
Ich wollte nicht so schnell aufgeben, suchte krampfhaft etwas, das die Kollegen hätten übersehen können. Ich versuchte mich zu erinnern, von wo die Kreatur gekommen war, stellte mich vor das zersplitterte Fenster, so wie ich es schon einmal getan hatte. Langsam drehte ich mich um, folgte einer Spur, die nur mir ersichtlich war. Ich durchquerte Gang um Gang, Flur um Flur, brach Türen auf, die mir mein Fortkommen verwehrten, nur um letztendlich in einer Sackgasse zu enden.
Vielleicht hätte eine weniger starrsinnige Person nun kehrtgemacht, hätte das Gebäude verlassen und wäre in ihr altes Leben zurückgekehrt. Noch heute versuche ich mir vorzustellen, was passiert wäre, wenn ich einfach umgedreht wäre, wenn ich den Flur mit seinem moderigen Geruch, mit dem schon lange verblichenen Sessel, mit dem Staub, der alles mit einer grauen Patina überzog, verlassen hätte. Mein Arm brannte, und auch der Mangel an Schlaf in den vergangenen Tagen machte sich langsam bemerkbar.
Doch ich konnte mir – erneut – selbst nicht eingestehen, dass ich versagt hatte. Ich klopfte die Wände nach Hohlräumen ab, untersuchte den Boden nach verborgenen Falltüren.
Oh, bittersüßes Triumphgefühl, als ein scheinbar stabiles Mauersegment etwas nachgab. Vermutlich gab es tatsächlich irgendwo eine Art Schalter, eine Möglichkeit, die Passage zu öffnen. Ich hingegen zog, drückte und hebelte, bis ich eine Öffnung geschaffen hatte, groß genug, um mich hindurch zu zwängen.
Der Gang, den ich dahiner vorfand, war leicht abschüssig und schien aus sich selbst hinaus zu leuchten. Vorsichtig setzte ich einen Schritt vor den anderen, die linke Hand auf dem Holster der Pistole, die rechte tastete sich an der Wand entlang.
Der Weg lief langsam in ein Gewölbe aus, von dem weitere Gänge abzweigten. Ich kann mich noch erinnern, dass ich innehielt, ungläubig hinauf dahin starrte, wo eine Decke sein sollte. Stattdessen sah ich dort nur unermessliche Schwärze, eine Höhe, die die Architektur des gesamten Hauses ad absurdum führte.
Die Wände waren mit Schmierereien bedeckt, bei deren Anblick mir schummrig wurde, und ich vermied es, sie direkt anzublicken. Stattdessen lenkte ein einzelner, unbehauener Granitblock in der Mitte des Raumes seine Aufmerksamkeit auf mich.
Ohne mich noch weiter umzusehen, lief ich auf diesen Altar zu. Vor ihm, in sich zusammengesunken, den Blick auf den Boden geheftet, saß eine kleine Gestalt, verdreckt, die Kleidung zerrissen.
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mir hier keine direkte Gefahr drohte, ließ ich mich neben ihr auf die Knie sinken. Vorsichtig legte ich dem Jungen – ich war mir sicher, dass dies der Sohn des Händlers war – die Hand unter das Kinn, um seinen Kopf zu heben. Der Blick des Jungen glitt direkt durch mich hindurch.
Er atmete noch, zweifellos, doch schien er meiner nicht gewahr zu werden. Striemen zeichneten sein Gesicht, seine gesamte Gestalt schien unnatürlich verkrümmt, und etwas tief in mir heulte vor Schmerz laut auf.
Behutsam nahm ich in die Arme, ohne dass er eine Reaktion zeigte, strich ihm sanft über den Rücken. „Alles wird gut, mein Kleiner, alles wird gut.“
Mein Verstand verschließt sich dem, was anschließend folgte, vollkommen. All meine Dienstjahre und meine Ausbildung vermochten mich nicht darauf vorbereiten, selbst mein unbekannter Angreifer verursachte nicht ein solches Grauen.
Ein leises Ploppen ertönte, und von einem Augenblick auf den anderen hüllte ein warmer Blutnebel mein Gesicht ein. Noch während der Rumpf des Jungen aus meinen Armen zu Boden glitt, erfüllte eine chaotische Kakophonie den Raum. Gebrüllte Befehle mischten sich unter das plötzliche Geräusch dutzender Stiefel auf Stein. Betäubt, ohne mich regen zu können, starrte ich auf die Leiche des Jungen, während um mich herum Männer im mattschwarzen Panzer des Adeptus Arbites den Raum sicherten und weiter in die Gänge vordrangen.
Langsam, geradezu gelassen folgte ein Mann mit kantigem Gesicht, mit einem prunkvollen, goldbesetzten Mantel und ebenfalls in eine schwarze Rüstung gehüllt, den anderen. Der Marschall war ein großer, einem Stier ähnelnder Mann, doch wirkte die schmächtigere Gestalt neben ihm ungleich gefährlicher. Mein Blick zumindest, als ich träge den Kopf gehoben hatte, verharrte auf der Rosette am Kragen dieses Mannes, auch noch, als beide schon vor mir standen, der Blick abschätzig.
„ Das Gebiet ist weitgehend gesichert, Sir, nur noch vereinzelte Feindkontakte. Wir haben sie auf dem falschen Fuß erwischt!“, meldete ein Arbites zackig, während zwei andere die Leiche des Jungen mit einer Plane abdeckten.
Ich starrte unverwandt den Inquisitor an, zu Boden gesunken, das Gesicht blutverschmiert.
„So so…“, schnarrte dieser, meinen Blick ungerührt erwidernd. „Nehmt sie mit“, wies er die Arbites an. „Im Namen der Heiligen Inquisiton zu Terra ist sie, Inspektor Felkyo Keriann, festgenommen. Die Anklage lautet auf Verdacht auf Chaosmakel, nachdem sie bereits zwei Mal Kontakt mit Unreinen hatte – der... Junge wird während seiner Gefangenschaft kaum unberührt geblieben sein. Über ihre Schuld oder Unschuld soll später geurteilt werden. Abführen!“
Ich ließ mich, benommen und ohne zu begreifen, von zwei Arbites hochhieven und mitzerren.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Bisherige Kommentare

Rabenfeder schrieb:
Ich muss sagen, dass ich hier das Ende erfrischend anders finde. Auch sprachlich ist die Geschichte wirklich gut und sie lässt sich flüssig lesen, wenn man sich auch ein oder zwei Mal fragt, wo sie jetzt eigentlich ist (bedingt durch die vielen Sprünge und Rückblicke).
Durch die Kürze der Geschichte ist nicht wirklich tief auf die Charaktere – außer der Protagonistin, in deren Gefühlswelt der Leser Einblick erhält – eingegangen worden, und sie dienen letztendlich eher nur zur Beschreibung derselben.
Das ist an sich schade, weil sie gerade zu Beginn gut eingeführt wurden.

R3D-3Y3-Ragnarok" schrieb:
2 Punkte gehen an "Erwachen"; Ich bin ein Fan von solchen Sprüngen und Rückblenden;
 
Zuletzt bearbeitet:
Finde es toll, dass es bei diesem Wettbewerb offenbar viele Innovative Schreiber gibt. Ich jedenfalls wäre nie darauf gekommen, eine Horror-Detektivstory in das WH40k-Universum zu versetzen, doch es funktioniert erstaunlich gut! Vom Sprachlichen her sowieso nichts zu bemängeln, tolle Geschichte!
 
Ich hasse Inquisition und Polizei. Deswegen hat diese Geschichte auch nicht viel gutes finde ich. Dieser Detektivstil ist nicht wirklich gut für Warhammer.

das ist leider das Problem bei innovative Ideen/Stilen, genau wie bei Soldat Philip. Es gibt jene, die es klasse finden und jene, die damit nichts anfangen können.

Ich selbst würde Folgendes dazu sagen:
Positiv: Die Idee, mal ohne viel Krieg und Kampf. Sehr schöne, düstere Atmosphäre und ein klasse Charakter, der gut ausgearbeitet wurde. Schön ist eigentlich der Stil insgesamt. auch diese Stelle, mit dem Wechsel zwischen kursiver Rede und ihren Gedanken/Handlungen ist genial, wenn auch gewöhnungsbedürftig.

Negatives:
Die Nebencharaktere sind nicht wirklich so gut.
Zum Ende hin gibt es viele Unschlüssigkeiten. Was wurde mit dem Jungen gemacht? Wieso kamen die Arbites gerade in dem Moment, wieso hat sie die nicht vorher bemerkt? Zum Ende hin flacht dann auch die Spannung ab, finde ich.

Fazit: sehr schöne Geschichte mit Spannung und gutem Stil, die ihr Niveau zum Ende hin leider nicht halten kann.
 
Mein Platz 3:
Positives: Flüssig und angenehm zu lesen, guter Hauptcharakter, guter Stil, mal etwas anderes

Negatives: Teilsweise etwas langgezogen, Nebencharaktere sollten etwas besser beschrieben sein

Fazit: Eine interessant geschriebene Geschichte mit gutem Ende, wobei die Stadtatmosphäre gut gemacht ist.
 
Noch einige Worte zu der Geschichte, jetzt, wo ich endlich unbefangen etwas schwafeln darf xP

Die Geschichte selber ist relativ spontan entstanden (erst in der Nacht zum Sonntag fertig geworden), beruhte aber auf einer Idee, die ich schon länger im Kopf hatte und die durch den Wettbewerb die Chance hatte, etwas Gestalt anzunehmen.

Nach der ersten Seite und einem Schreibstil, den ich irgendwie selber mal mochte, kam ein kleines Loch, und auch an zwei anderen Stellen war ich mir unsicher, wie es nun überhaupt weitergehen sollte. Gerade am Ende kann man das meiner Meinung nach doch gut erkennen.


Etwas Platz für Kommentar-Kommentare!
Das yinx schrieb:
Genial muss ich sagen. Schreibstil ist klasse, Geschichte liest sich einwandfrei. Das Szenario ist neu und erfrischend anders. Einzig der fehlende 40k Eindruck stört ein wenig.
Liegt wohl daran, dass die Ursprungsidee nicht rein 40k war, sondern eher in Richtung Cyberpunk =)

Sarash schrieb:
Ich hasse Inquisition und Polizei. Deswegen hat diese Geschichte auch nicht viel gutes finde ich. Dieser Detektivstil ist nicht wirklich gut für Warhammer.
Ich habe mich in einem anderen Thread ja für viele Bewertungen der Geschichten ausgesprochen, was ich dann aber hiermit anfangen soll, weiß ich bis heute nicht so recht.
Ist ein bisschen wie "Ich mag irgendwie keine Tomaten" oder "Ich mag keine Psioniker und hasse deshalb deine Geschichte".
Mag sein, dass ich da etwas angefasst, aber dass die Geschichte deiner Meinung nach subjektiv schlecht ist ("Deswegen hat diese Geschichte auch nicht viel gutes finde ich."), weil dir objektiv weder Polizei noch Inquisition gefällt, finde ich doch etwas komisch.
Bei sowas machen Ton und Formulierung die Musik. "Weil ich Geschichten mit Inquisition nicht so mag, kann ich leider auch diesem Beitrag nicht viel Positives abgewinnen" wäre schon ganz, ganz anders gewesen.

SHOKer schrieb:
Die Nebencharaktere sind nicht wirklich so gut.
Ich hatte ja schon so hemmungslos überzogen, und gerade aus der objektiven Sicht eines Charakters mit all seinen Vorurteilen andere Charaktere, die kaum auftauchen treffend und gut zu vermitteln, fiel mir schwer. Muss ich üben :>

Zum Ende hin gibt es viele Unschlüssigkeiten. Was wurde mit dem Jungen gemacht? Wieso kamen die Arbites gerade in dem Moment, wieso hat sie die nicht vorher bemerkt? Zum Ende hin flacht dann auch die Spannung ab, finde ich.
Wie schon oben erwähnt bin auch ich nicht ganz glücklich damit. Allerdings muss man sagen, dass die Idee des getöteten Jungen in ihren Armen ganz am Anfang der Idee stand.
Eben ein klassisches Pietat, das wunderbar in das 40k-Universum mit all seinen religiösen Elementen passt.

Slaydo schrieb:
Teilsweise etwas langgezogen
Durchaus Absicht =P


Rabenfeder
 
Man hat es schon bei Malevian gemerkt, dass ein echter Schriftsteller in dir schlummert...Ich fand die Geschichte vom Stil her hervorragend. Es hat mehr als nur Spaß gemacht, ihn zu lesen. Das düstere Szenario tut sein übriges.

Was mich jedoch ärgert, ist die Tatsache, dass diese Geschichte eigentlich keine Kurzgeschichte sein will, aber auch keine längere Geschichte sein darf. Es geht mir furchtbar auf den Keks, dass ich die Charaktere so sehr kennen lerne, wie ein durchschnittliches Papiertaschentuch.
Das klingt hart, ist aber eigentlich eher positiv zu verstehen-
ich fand die Ideen so gut, dass ich mehr wissen will, es aber nicht bekomme.
 
Vielleicht bekommst du es, du ahnst nicht, wie viele Ideen seitdem in meinem Kopf umherirren :>

Ich bin ja, wie erwähnt, selber mit dem Stil zufrieden, und ein seltsames Tanztheater, in das ich heute verschleppt wurde, hat interessanterweise noch mehr Anregungen gegeben. Man darf gespannt sein, irgendwie (irgendwann...).

Und natürlich danke für das Lob *g