Der Feind im Inneren
Der Warpraum, unendliche Weiten, Millionen von Welten, ungezählte Billionen von Menschen. Dies sind die Aufzeichnungen des Space Marine Schlachtkreuzers „Racheengel“, der mit einer kleinen Flotte Kriegsschiffe unterwegs ist, um eine Streitmacht der abtrünnigen Chaos Space Marines zu vernichten, die den Planeten Thekla IV ausgelöscht hat. Dabei dringt die „Racheengel“ in Systeme vor, in die noch nie ein Mensch zuvor einen Fuß gesetzt hat...
...Seit Wochen schon war die Flotte unterwegs und seit Wochen schon tobte der Warpsturm. Bisher hatten die Navigatoren die Schiffe sicher durchgebracht, aber wenn das so weiter ging, würden sie den Nebel von Lazarus niemals erreichen.
Commander Ezekiel stand in der Beobachtungskanzel oberhalb der Kommunikationszentrale und beobachtete die blauen Schlangenlinien, die an dem Schiff vorbeizogen. Manchmal zerrten rötliche Spiralen an der Außenhaut, doch die „Racheengel“ war ein mächtiger Riese, zu stark, um sich davon im Geringsten beeindrucken zu lassen.
Das monotone Klicken der Sensoren, die nach einem Ausweg aus dem Sturm suchten, machten ihn fast wahnsinnig. Die Wut in seinen Adern war nach der Vernichtung von Thekla IV immer stärker geworden und inzwischen dürstete es ihn regelrecht nach Blut. Nicht einmal der aquilltanische Rotwein, den er einmal im Monat zu trinken pflegte, konnte seinen Durst löschen.
Sogar die immer wiederkehrenden Trainingssimulationen besänftigten seinen Blutrausch nicht länger. Anfangs hatte er noch mit taktischer Überlegung und der gebotenen Vorsicht gekämpft, aber jetzt stürzte er sich nur noch in die Schlacht und verwandelte die Übung nicht selten in ein blutiges Gemetzel. Er musste endlich einen echten Verräter umbringen. Er hatte es geschworen. Nicht eher wolle er ruhen, bis auch der letzte Angreifer von Thekla IV beseitigt wäre. Unbewusst hatte er damit die lange unterdrückte Gier nach Kampf und Vernichtung, welche sie von den Blood Angels „geerbt“ hatten, entfacht. Die Katstrophe von Thekla IV hatte die bisher vorherschenden Gene der Ultramarines zurückgedrängt und dem anderen Teil der Gensaat die Oberhand gegeben.
Die Hellsing Angels waren nicht länger ein Nachfolgeorden der Ultramarines. Der Versuch, die Gensaaten der Ultras mit denen der Blood Angels zu mischen und dadurch die negativen Defekte in der Molekularstruktur der Söhne des Sanguinus auszumerzen, war gescheitert.
Trotzdem waren die Schwarze Wut und der Rote Durst bisher noch die Ausnahme. Ezekiel nahm eine Bewegung unterhalb der Kapsel wahr. Bruder Meynard näherte sich. Der Ordenspriester war nach Ezekiel der beste Krieger der Angels. Er verfügte über Wissen und Weisheit. Beides bewahrte ihn davor, sich seiner innerlich aufgestauten Wut hinzugeben.
„Bruder?!“ begrüßte Ezekiel seinen alten Freund.
„Bruder, ich muss mit dir sprechen!“ erwiderte dieser
„Was ist so dringend, dass du mich hier oben störst?“
Meynards Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst: „Dass du diesen Kreuzzug ausgerufen hast, ist die einzige gerechte Entscheidung gewesen. Niemals habe ich sie angezweifelt. Aber ich befürchte, dass wir die genetische Fehlbildung aus dem Anteil der Blood Angels nicht mehr lange unter Kontrolle halten können. Noch werden die meisten Brüder von der Gensaat der Ultramarines beherrscht, aber bisher sind schon mindestens siebzehn Brüder nicht mehr uneingeschränkt einsetzbar.“
„Was meinst du damit, Bruder?“ Ezekiel wusste nicht, worauf der Ordenspriester hinaus wollte.
„Ich meine, dass wir uns eingestehen müssen, dass unser Ursprung nicht so rein und makellos ist, wie wir bisher glaubten. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass wir die selbe Mutation in der Genstruktur aufweisen wie der Orden der Blood Angels. Die gleichen Symtome zeigen sich auch bei allen Nachfolgeorden. Bisher hat uns die genetische Verbindung mit den Ultramarines davor beschützt, aber nun, wo wir so viel Leid und Tod mitansehen mussten und unsere Gedanken nur noch von dem Wunsch beseelt sind, blutige Rache zu nehmen, haben wir uns der dunklen Seite unserer Entstehung zugewandt.“
Der Commander verstand zwar den Sinn der Worte, doch er konnte noch immer nicht begreifen, was Bruder Meynard eigentlich wollte.
„Wir müssen die Brüder, die nicht mehr von der reinen Gensaat von Ultramar kontrolliert werden, ohne Aufsehen zu erregen, aussondern.“ Dabei verriet der Blick des Ordenspriesters, dass er es so meinte, wie er es sagte. All jene, die zu wild und unberechenbar waren, sollten jetzt von den anderen Marines getrennt werden. Bei ihrer aktuellen Truppenstärke wäre jeder Verlust unersetzlich für den Orden.
„Ist dir klar, was du da verlangst, Bruder Meynard?“
„Ja, das ist mir klar. Wir werden unser Gesicht verlieren, wenn die Administration davon erfährt, dass unsere Gensaat genauso mutiert ist wie die der Blood Angels. Vielleicht wird es eine Untersuchung geben und vielleicht kommt dann alles heraus.“
„Was meinst du mit alles?“ Ezekiel wurde misstrauisch.
„Einfach alles, die vielen Experimente, die molekulare Verbindung von zwei verschiedenen Gensaaten, die geheimen Laboratorien....Vielleicht werden die, die dafür verantwortlich sind, die Beweise vernichten wollen.“
Ezekiel wusste, was der Ordenspriester mit „Beweise“ meinte. Sie waren die Beweise. Lebende Beweise für die Blasphemie gegen den Imperator. Noch nie hatte es jemand gewagt, die Gene eines Ordens mit denen eines anderen zu vereinen, um daraus neue Space Marines zu erschaffen. Nur wenige wussten von ihrem Geheimnis. In der Hoffnung, dass die Gensaat der Ultramarines die negativen Aspekte der genetischen Mutation der Blood Angels für immer ausgelöscht hätte, waren sie offiziell immer nur ein Nachfolgeorden der Söhne von Ultramar gewesen. Und nun wiesen sie die ersten Anzeichen der beginnenden Verwandlung auf. Der Commander erinnerte sich, schon andere Space Marine Orden wegen geringerer Vergehen gegen den göttlichen Imperator unter der Aufsicht der Inquisition gesehen zu haben.
Ezekiel musste nachdenken. Jetzt war es zwar von Vorteil, dass sie bereits seit Wochen unterwegs waren und somit keine Verbindung zum Hauptquartier hatten, aber es bedeutete auch viele neue Probleme. Bisher waren nur ein paar Brüder auf dem Schlachtkreuzer befallen. Wie stark würden die Mutationen sein? Würden sie vielleicht auch Arakis erreichen? Wenn plötzlich die Marines auf diesem Planeten ebenfalls von den Genen der Blood Angels übermannt werden würden, konnte das eine neue Katastrophe auslösen.
Das Adeptus Mechanicus und die Imperiale Armee unterhielten dort einige Einrichtungen und es wäre unmöglich, die dunkle Seite der Hellsing Angels lange geheim zu halten.
„...Commander?!...“ meldete sich eine Stimme aus dem Funkraum. „Was gibt es?“ fragte Ezekiel.
„Wir haben ein Objekt gesichtet, fünf Lichtjahre voraus.“
„Klassifizieren!“
„Ein Kreuzer der Berserker-Klasse, der Erscheinung nach ein Schiff der Iron Warriors Verräterlegion!“
Endlich hatten sie einen Feind in greifbarer Nähe.
„Status?“ wollte der Commander wissen.
„Schiff schwer beschädigt, offensichtlich durch einen direkten Treffer in die Antriebssektion manövrierunfähig. Waffensysteme ausgefallen, Schilde außer Funktion.“
Ezekiel war zufrieden, die Verräter konnten ihnen nicht entkommen.
„Commander, die Brücke fragt an, ob sie mit dem Beschuss beginnen sollen.“
„Nein, auf keinen Fall. Schießen sie nur, wenn der Gegner zuerst feuert. Ich werde mich dieser Brut persönlich annehmen. Alles vorbereiten zum Entern!“
Die kleine Gruppe versammelte sich im Teleporterraum. Außer Bruder Ezekiel waren noch neun andere Marines in taktischen Cybotrüstungen anwesend. Sie prüften ihre Waffen, schoben die Magazine in die Ladekammer und zogen den Abzug durch. Einer nach dem anderen signalisierte Kampfbereitschaft. Auch Ezekiel war bereit. Seine schwere Rüstung hinderte ihn am schnellen Angriff und die Substanz, die ihm Bruder Meynard gegeben hatte, sollte seine Wut unter Kontrolle halten. Trotzdem spürte er innerlich, wie die dunkle Seite an seinem Verstand zerrte und unbedingt die Oberhand gewinnen wollte. Er durfte sich der Vergangenheit nicht hingeben, sonst könnte dies seinen Tod bedeuten. Noch einmal atmete er tief ein, bevor er und die anderen Veteranen in einer blauen Blase aus Licht und Energie verschwanden.
Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er sich an die Dunkelheit in dem Kreuzer gewöhnt hatte. Überall leuchteten Warnlampen. Nichts schien sich auf diesem vor sich hintreibenden Eisensarg zu bewegen. Doch Ezekiel wusste, dass hier irgendwo die Verräter auf sie warteten und in dem Moment zuschlagen würden, wenn sie am wenigsten damit rechneten.
„Die Kommandobrücke liegt direkt vor uns!“ meldete einer seiner Brüder über das eingebaute Funkgerät.
„Macht euch feuerbereit!“ befahl der Commander.
Ein schweres Eisenschott hinderte sie am Zugang, doch eine Salve Sprengraketen aus Bruder Atarus Cyclone-Werfer riss die Abriegelung mitsamt der Zugangstür zur Brücke auseinander. Qualm und zischender Dampf strömten ihnen entgegen. Der Boden war unter einer dicken Schicht aus Nebel und austretende Gase kaum zu erkennen. Gemessen an der Größe des Schiffes war die Kommandobrücke ziemlich klein. Funken sprühten aus abgerissenen Kabeln, auf einer Computerkonsole lagen die Überreste eines Servitors, dessen körperliche Bestandteile völlig aufgelöst waren. Nur die Maschine bewegte sich noch zuckend, anscheinend versuchte der implantierte Chip, die mechanischen Überreste wieder unter Kontrolle zu bringen. Bruder Ezekiel beendete diesen Versuch mit einem kurzen Hieb seines Energieschwertes.
Ansonsten schien jedoch niemand da zu sein.
„Commander, ich habe hier etwas gefunden!“ rief einer der Terminatoren vom anderen Ende der Brücke. Ezekiel bewegte sich schwerfällig dorthin, wo der Veteran stand. Langsam verzog sich der Nebel und gab den Blick auf etwas frei, das Ezekiel nicht im geringsten erwartet hätte.
Auf der metallenen Bodenabdeckung lag ein toter Verräterlegionär. Ein großes gezacktes Loch in der Servorüstung kündete von einem unschönen Tod. Nachdem die Schutzhülle aufgebrochen war, hatten sich die inneren Organe des Iron Warrior unter dem Einfluss des Gases verflüssigt. Nur eine kleine Pfütze aus Schleim und Knochensplittern waren übriggeblieben.
Ezekiel empfand es als die einzigst gerechte Strafe für diesen Abschaum, aber trotzdem beunruhigte ihn der Umstand des Todes. War der Verräter vielleicht während der Raumschlacht gegen die Imperiale Flotte bei Thekla IV gestorben? Die Beschädigungen der Servorüstung ließen etwas anderes vermuten.
„Bruder Ezekiel, das sollten Sie sich ansehen!“ Auf dem vorderen Teil der Brücke stand einer der Terminatoren und wies auf einen Monitor, auf dem eine Anzeige immer wieder rot aufflackerte.
Es war eine unterbrochene Selbstzerstörungssequenz. Die Zeitschaltung hatte nur wenige Sekunden vor der Detonation gestoppt.
Warum hatten die Verrätermarines versucht, ihr Schiff zu zerstören? Ezekiel wusste keine Antwort. Er sah sich weiter um. Vor ihm war eine Überwachungskonsole noch in Betrieb. Auf dem Bildschirm wurden die Überwachungsbilder verschiedener Kameras angezeigt.
Obwohl er nicht wusste, wonach er suchte, ließ er die Aufnahme zurücklaufen, um sich die letzten Aufzeichnungen noch einmal anzusehen.
Eine davon war direkt von der Brücke. Ezekiel sah die Verräterlegionäre. Sie verrichteten verschiedene Aufgaben und nichts deutete auf Schwierigkeiten hin. Alles schien normal zu sein. Plötzlich schrillte der Alarm, irgendetwas zerrte an dem Schiff. Die Brücke bebte und die Iron Warriors schrieen etwas von einem Volltreffer in der hinteren Antriebssektion. Kabel rissen auseinander und hochgradig gefährliches Gas entwich. Der Strom fiel aus und auch das Notstromaggregat versagte bald seinen Dienst.
„Bei Perturabo, es hat uns voll erwischt. Sofort die Selbstzerstörung einleiten, Brücke evakuieren!“ befahl ein etwas größerer Iron Warrior, wahrscheinlich der Kommandant dieses Schiffes. „Mylord, die Rettungskapseln sind unbrauchbar, es hat bereits die untersten Decks erreicht!“ brüllte ein anderer Marine.
„Riegelt sofort die Brücke ab. Macht die Waffen bereit!“ schrie der Lord. Ezekiel sah, wie die Verräter ihre Bolter auf die Tür richteten, durch die er mit seiner Gruppe vorhin gekommen war. Irgendjemand oder irgendetwas hämmerte gegen die dicke Panzerung. Dann urplötzlich entriegelte sie sich wie von Geisterhand. Die Verräter brüllten wilde Kriegsschreie zu ihren finsteren Göttern und schossen, was die Läufe hergaben. Unbeeindruckt davon schien sich der unbekannte Angreifer durch sie hindurch zumetzeln. Einer wurde gepackt und in der Mitte in Stücke gerissen, einem anderen der Kopf vom Körper getrennt. Dann brach die Aufzeichnung für ein paar Sekunden ab. Als sie schließlich wieder lief, waren die Iron Warriors allesamt tot, abgeschlachtet von irgendetwas, das nicht durch Bolterfeuer verwundet werden konnte. Dann endete das Band.
Ezekiel hatte das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Was immer es auch war, es war noch an Bord und er spürte seine Gegenwart, als würde es direkt hinter ihm stehen. Als er sich umdrehte, war jedoch nichts, was nach einer Bedrohung aussah.
„Los, wir verschwinden von hier!“ befahl Bruder Ezekiel. Er aktivierte seine Komunikationsverbindung zum Schlachtkreuzer. „Hier spricht der Commander. Wir verlassen das Schiff. Sobald wir wieder rüberteleportiert sind, schießen Sie solange auf diese Höllenbrut, bis nichts mehr davon übrig ist!“
Atarus packte ihn am Arm und wollte ihn am Gehen hindern: „Müssen wir nicht erst noch den Rest des Schiffes absuchen? Vielleicht verstecken sich irgendwo noch Verräter.“
Energisch entwand sich Ezekiel dem Griff und fauchte ihn wütend an: „Von der Besatzung ist niemand mehr am Leben! Lasst uns abhauen, bevor wir das gleiche Schicksal wie diese Bastarde erleiden!“ Damit war die Diskussion für ihn beendet. Sie verließen ohne Schwierigkeiten dieses Grab und fanden sich Sekunden später zurück in den Teleportern ihres eigenen Schiffes.
Unter zahlreichen Einschlägen erzitterte der Chaoskreuzer, kurz darauf rissen ihn heftige Explosionen auseinander.
Der Commander befahl, die Flotte wieder auf alten Kurs zu bringen. Dann ging er in sein Quartier, legte Rüstung und Waffen ab und begann mit den täglichen Ritualen, denen er als Space Marine unterworfen war. Er nahm seinen Sturmbolter auseinander, reinigte ihn und setzte ihn wieder zusammen. Während er dies tat, grübelte Ezekiel über das Erlebte. Er fand keine Antwort auf die Frage, was den Chaoskreuzer angegriffen und die gesamte Besatzung ausgelöscht hatte. Alles war normal verlaufen, das Schiff unbeschädigt und voll bewaffnet gewesen und doch hatte irgendetwas die Macht besessen, sie zu vernichten.
Es wurde sehr spät und Ezekiel beschloss, sich in den Schlafzustand zu versetzen. Er musste sich ausruhen, denn vielleicht würde er schon bald keine Gelegenheit mehr dazu haben.
Wilde Alpträume suchten ihn heim. Er sah sich plötzlich im Traum auf der Brücke des Chaoskreuzers stehen. Neben, hinter und vor ihm standen die Iron Warriors und richteten ihre Waffen auf die Zugangstür der Brücke. Niemand bemerkte ihn und obwohl er voll bewaffnet war, gingen die Projektile aus seinem Sturmbolter durch die Verräter hindurch, ohne sie zu verletzen.
Irgendetwas schweres trommelte gegen die eiserne Tür. Sie gab an einigen Stellen nach. Schließlich sprang sie quietschend auseinander. Die Verräter schossen ihre Waffen leer, während sich ein dunkler Schatten wie eine finstere Nebelwand im Raum ausbreitete und überall dort, wo sie einen Ketzer erreichte, wurde er von brutalen Kräften zerfetzt.
Ezekiel sah, was passierte, aber er konnte nicht eingreifen, er konnte nichts berühren und doch spürte er die Nähe des Todes in seinen beiden Herzen. Dieser unbekannte Feind schien ihm merkwürdig vertraut und doch fürchtete er sich vor dem, was er nicht sah. Das Gefühl nackter Angst, das er in den sterbenden Augen der gefallenen Iron Warriors sah, war neu für ihn.
Nachdem der letzte Chaos Space Marine gefallen war, sammelte sich der dunkle Nebel in der Mitte des Raumes und wuchs zur Erscheinung eines Space Marines. Ezekiel griff ungläubig nach dem, was vor ihm stand, doch die aschgraue Kreatur wich seiner Hand aus, während sie mit fürchterlich verzerrter Stimme seinen Namen rief und sich brüllend auf ihn stürzte.
Ezekiel erwachte aus diesem bösen Traum. Bisher hatte er noch nie geträumt. Die Eigenschaft dazu wurde durch seine genetische Modifikation ausgeschaltet, um seine Effektivität zu erhalten. Er konnte sich an jede Einzelheit erinnern und wusste, dass er eben Zeuge der letzten Augenblicke der Schiffsbesatzung gewesen war. Aber was hatte diese Vision zu bedeuten? Warum hatte die unbekannte Kreatur seinen Namen gerufen? Wer oder was war es?
Obwohl er lange überlegte, fand er keine Antwort. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn und irgendwie hatte er eine Ahnung, dass die Vernichtung der Abtrünnigen mit der Zerstörung von Thekla IV und den Hellsing Angels zusammenhing.
Sie erreichten endlich einen Sprungpunkt, an dem sie den Warp verlassen konnten. Die endlosen Wochen im Immaterium hatten ihnen doch sehr stark zugesetzt und die Marines waren froh, die sich endlos drehende Spirale des Warpraumes mit dem dunklen Schleier des Universums einzutauschen. Überall funkelten die Sterne wie geschliffene Diamanten. Nicht weit von ihrer jetzigen Position erfassten die Sensoren eine größere Anballung von Asteroiden. Zusammen bildeten sie den Nebel von Lazarus, benannt nach einem Kriegsherren des Chaos, der hier in einer entscheidenden Raumschlacht vernichtet wurde.
Der Nebel war sehr gefährlich, denn in seinem Schutz verbargen sich oft Piraten, angeblich sollte die Alpha Legion hier einen Stützpunkt für ihre Operationen im Imperium haben. Während des großen Bruderkrieges hatten die Armeen des Chaos viele Asteroiden vermint und obwohl immer wieder Strafexpeditionen die Minenfelder beseitigen sollten, waren es doch zu viele. Der Gedanke, mit einem größeren Flottenverband dieses Gebiet zu durchqueren, grenzte an Selbstmord. Aber weder Ezekiel noch seine Männer fürchteten den Tod und wenn eine Chaosflotte hierher entkommen konnte, würden sie ihr folgen.
Ezekiel ließ die Flotte ausschwärmen. Falls irgendwo Minen oder Hinterhalte auf sie warteten, wäre es fatal, wenn die Schiffe sich gegenseitig behinderten.
Der Commander stand auf der Brücke des riesigen Schlachtkreuzers und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Sensoranzeigen. Die aktive Peilung erbrachte außer Asteroiden bisher nichts Ungewöhnliches. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen, denn jetzt war erhöhte Vorsicht geboten.
„Geben Sie den Befehl an die Träger, sofort Abfangjäger und Bomber zu starten! Beginnen Sie mit dem Beschuss der Asteroiden im Frontalbereich der Flotte! Die Bomber wehren Asteroiden an der Flanke ab!“
Keine fünf Minuten später donnerten bereits die ersten Jagdmaschinen aus ihren Hangars Richtung der Hindernisse. Explosionen rissen besonders große Brocken auseinander, während die kleineren mit Maschinenkanonen und Lasern pulverisiert wurden. Ein paar prallten harmlos an den starken Schutzschilden ab. Wie ein Eisbrecher bahnte sich die „Racheengel“ ihren Weg durch diese endlose Wüste aus Gestein.
Plötzlich schlugen die Sensoren an. Nicht weit vor dem Schiff hatten sie eine Raumbasis auf einem der größeren Felsen entdeckt.
„Statusbericht!“ befahl Commander Ezekiel. Der 1. Offizier schaltete ein paar mal auf den Anzeigen rum, während die Station systematisch gescannt wurde.
„Es handelt sich laut Aufzeichnung um die imperiale Forschungsstation MX 38, zerstört im Krieg gegen die Alpha Legion vor 275 Jahren!“
„Gibt es Berichte, wie stark die Zerstörungen waren?“ fragte Bruder Ezekiel.
„Sie wurde vollständig vernichtet, keine Überlebenden!“
Das passte nicht zusammen. Wenn die Station ausgelöscht wurde, wie konnte sie hier direkt vor ihnen auftauchen? Ezekiel wusste es nicht, doch er würde es herausfinden.
„Commander!“ schrie der 1. Offizier.
„Was gibt es, Nummer 1?“
„Die Sensoren orten einen Flottenverband, keine 3 Lichtjahre von hier entfernt. Der Klassifizierung nach handelt es sich um Kriegsschiffe der Alpha Legion! Sie kommen schnell näher und werden unsere Position in weniger als 15 Minuten erreichen!“
„Sofort Roten Alarm auslösen und alle Verbände einsatzbereit machen!“ befahl Ezekiel.
Die Sicherheitsschotts schlossen sich, knisternd fuhren die Energiegeneratoren der Laserlanzen hoch und luden die schweren Geschütze auf.
In den Hangars herrschte Hochbetrieb. Vor wenigen Minuten erst waren die Maschinen von ihren Patrouillen zurückgekehrt, jetzt mussten sie schnell aufgetankt und startklar gemacht werden.
Auf der Kommandobrücke war alles für die bevorstehende Raumschlacht bereit.
„Ziehen Sie die Schiffe hinter den Schatten der größeren Asteroiden zurück!“ befahl Ezekiel. Mit minimaler Impulskraft manövrierten die Navigatoren die Flotte in die befohlene Position.
Auf der Kommandobrücke war es fast dunkel. Nur die roten Alarmlampen erleuchteten den Raum etwas. Ezekiel wartete, während das Klicken der Sensoren immer schneller wurde und die hellen Punkte auf dem Positionsradar sich weiter dem Mittelpunkt, also dem Schlachtkreuzer näherten.
Commander Ezekiel stand wie ein Kriegsherr auf der oberen Brücke und beobachtete, wie aus der Ferne einige Schwärme feindlicher Jäger die Station angriffen. Obwohl die Anzeigen beim Scannen der Station keinerlei Lebenszeichen festgestellt hatten, feuerten einige der Zwillingstürme auf die Angreifer und schossen ein paar ab.
„Commander...!“ schrie einer der Offiziere. Seine Augen waren geweitet, vor Erstaunen und Erschrecken zugleich.
Ezekiel war verärgert. Gerade jetzt konnte er keine Ablenkung gebrauchen. Sein strafender Blick deutete dem Untergebenen, dass er in seiner Aufmerksamkeit nicht gestört werden wollte. Es galt, eine Raumschlacht zu gewinnen. Doch dann sah auch er es.
Vor ihnen tauchte wie aus dem Nichts die Chaosflotte auf und feuerte aus allen Rohren auf die Station. Noch hielten die Schutzschilde stand, mit jedem Einschlag kamen sie dem völligen Zusammenbruch näher.
„FEUER!“ brüllte Ezekiel in die Funkverbindung. Das jahrelange Training und die Disziplin machten sich bezahlt, als Dutzende Torpedos und ungezählte Lanzenbatterien abgefeuert wurden und sich durch den Chaosabschaum fraßen. Einen Kreuzer zerriss es, bevor er eine abwehrende Position einnehmen konnte. Ein großes Schlachtschiff bäumte sich unter den Einschlägen auf wie ein Tier. Tiefe Wunden zerfetzten Metalls brachen aus dem Giganten, ein gutgezielter Lanzenschuss sprengte schließlich die Kommandobrücke des riesigen Ungeheuers heraus.
„Achtung, Commander, feindliche Jäger im Anflug!“ meldete einer der Offiziere auf der Brücke.
„Ich habe hier mindetens fünfzig Bomber und dreimal so viel Jagdmaschinen!“ ergänzte ein anderer.
„Sofort alle Jäger starten. Abfangbatterien bereit halten! Köder abschussbereit machen!“ wiederholte Ezekiel all das, was er in der Ausbildung gelernt hatte. Für ihn war es eine Schlacht von vielen und die „Racheengel“ hatte schon Schlimmeres überstanden.
„Bruder Ezekiel, die feindlichen Bomber greifen die Eskorten und die Transporter an!“ schrie der 1. Offizier.
Doch Ezekiel war die Ruhe selbst, denn er wusste, dass Panik zu übereilten Befehlen und nicht selten zur Niederlage führte: „Die Eskorten sollen die Transportschiffe um jeden Preis beschützen! Die Jagdmaschinen müssen den Angriff zurückschlagen. Greifen Sie notfalls die Bomber mit Laserlanzen an!“
Die Bomber waren der entscheidende Faktor dieses Fliegerangriffes. Ezekiel wusste es und auch der Gegner wusste es. Sie allein waren stark genug, die mächtigen Kriegsschiffe ernsthaft zu beschädigen oder vielleicht sogar zu vernichten.
„Achtung, da kommen noch mehr!“ meldete plötzlich einer der Beobachter. Ohne auf den Monitor zu sehen, wusste Ezekiel bereits, dass es mindestens doppelt so viele waren.
Auch die feindlichen Kreuzer eröffneten das Feuer, aber noch war ihnen die „Racheengel“ überlegen. Nur das unterstützende Feuer der anderen Schiffe wurde schwächer Die „Gerechtigkeit von Arakis“ wurde durch mehrere Torpedos manövrierunfähig geschossen und wenig später vernichtet, das Schwesterschiff „Erlösender Schmerz“ schwer beschädigt. Aber noch immer kämpfte das Flaggschiff wie ein Berserker und obwohl sie ebenfalls beschädigt wurde, weigerte sich Ezekiel, den Rückzug zu befehlen. Auch die Space Marine Flotte hatte bereits tiefe Lücken in den feindlichen Verband gerissen.
Irgendwoher kannte er diese Schlacht. Ezekiel wusste nicht warum, aber er hatte urplötzlich eine Idee, die ihnen das Leben retten und die Chaosflotte vernichten würde.
„Greift sofort die Kreuzer auf der linken Seite an! Konzentriert das Feuer auf die Nachhut und die Reserve der feindlichen Flotte!“
Die Space Marines führten seine Befehle ohne Zögern aus. Obwohl die feindlichen Großkampfschiffe immer noch Salve um Salve dem Schlachtkreuzer und dem Rest der Flotte entgegenwarfen, richteten die Space Marines ihre Waffen nun auf die Schiffe an den Flanken und die Reserve. Es schien aussichtslos, denn die feindliche Flotte war fast doppelt so stark.
Plötzlich wurden zwei feindliche Kreuzer von Lanzen an der Seite getroffen. Unter den Einschlägen weiterer Lanzen und Dutzenden Torpedos explodierten mehr als ein halbes Dutzend Großkampfschiffe des Feindes.
„Richtet nun das Feuer wieder auf das Zentrum!“ befahl Ezekiel, froh darüber, dass sein Plan aufgegangen war. Eine riesige Imperiale Flotte hatte sich aus dem Warp heraus hierher verirrt und dem Chaos eine unschöne Überraschung bereitet.
Gemeinsam trieben sie den Feind in die Enge. Imperiale Jäger stürzten sich auf die feindlichen Bomber, Armatuskreuzer feuerten aus kürzester Entfernung ihre Lanzen ab, ein schwerer Schlachtkreuzer durchbrach den Schutzschild eines Schlachtschiffes. Immer mehr Chaos-Schiffe wurden vernichtet, immer schwächer wurde die Gegenwehr des Feindes.
Einige der Bomber griffen die „Racheengel“ direkt an. Die Piloten ahnten wohl, dass ihr Schicksal besiegelt war. Sie wollten ihre Leben so teuer wie möglich verkaufen und der Space Marine Schlachtkreuzer schien das perfekte Ziel zu sein.
„Der Schild der Brücke bricht zusammen!“ schrie einer der Offiziere.
„Vorsicht, da stürzt einer ab!“ brüllte ein anderer.
Ezekiel sah, wie einer der Bomber mit brennenden Triebwerken auf sie zuschlängelte, während die Abwehrgeschütze verzweifelt versuchten, die Maschine zu vernichten, bevor der unvermeidliche Aufprall kam. Sie würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Grelles Licht umfing ihn und plötzlich zogen die Sterne des Universums an ihm vorbei. Er sah Millionen von Welten. Er sah die Menschen, die dort lebten. Einige sahen sogar in seine Richtung und lächelten. Arakis, die Heimatwelt der Hellsing Angels, kam immer näher, bis er sanft auf dem Boden des Planeten aufschlug. Die Festung des Adeptus Mechanicus wuchs aus dem Erdboden vor ihm, bis er vor den riesigen Toren der äußeren Mauer stand. Strafende Blicke der Techadepten ruhten auf ihm, während die Mauern verschwanden und er plötzlich mitten in dem riesigen Audienzsaal des Techpriesters Magus Lamien am Boden lag. Der Priester saß auf seinem Thronsessel und seine Augen blitzten rot vor Zorn. Seine ausgestreckte Hand und die spindeldürren Finger deuteten auf ihn und wiesen dann zur Tür. Er war nicht länger willkommen auf Arakis Prime. War er tot oder träumte er nur? Ein fürchterlicher Schmerz holte ihn wieder in die Welt der Lebenden zurück.
Seine geschlossenen Augenlider hoben sich langsam. Er spürte die Müdigkeit schlafloser Nächte an seinem Bewusstsein zerren, während er doch wieder seine Umgebung wahrnahm.
Es war Bruder Meynard gewesen, der ihm seine Faust ins Gesicht gerammt und ihn so aus dieser Traumwelt zurückgeholt hatte.
„Was ist geschehen?“ wollte Ezekiel wissen. Seine Zunge war fast taub und das Gefühl zerschmetterter Glieder lähmte ihn.
„Helft dem Commander auf!“ befahl der Ordenspriester. Zwei Marines packten ihn und hoben ihn wieder auf die Füße. Ungläubig sah sich Bruder Ezekiel um. Er befand sich an Bord der „Racheengel“. Das Schiff schaukelte sanft durch das Universum, während kleine Asteroiden immer wieder gegen die Panzerung schlugen und harmlos zerplatzten.
Nichts deutete darauf hin, dass sie gerade eben gegen die Flotte der Alpha Legion gekämpft hatten. Keine Schäden oder irgendwelche Verluste an dem Schlachtkreuzer oder einem der anderen Schiffe. Wie war das möglich? Hatte er vielleicht geträumt?
Bruder Meynard sah sehr besorgt aus. Er deutete mit seiner gepanzerten Faust auf ein Objekt vor dem Schiff. Ezekiel folgte seiner Hand und sah...die Forschungsstation oder besser das, was davon übrig geblieben war.
„War die Station intakt, als wir hier angekommen sind?“ Ezekiel wollte lieber erst ein paar einfachere Fragen beantwortet haben, bevor er den tieferen Sinn dieses Wahnsinns verstehen konnte.
„Sie war intakt und voll funktionstüchtig! Genauso wie vor 275 Jahren!“ antwortete Meynard.
„Was ist das nur für ein Alptraum?“ wandte sich der Commander wieder an seinen Freund.
„Es ist kein Alptraum. Die Sensoren zeigen eindeutig an, dass wir gegen die Flotte der Alpha Legion gekämpft haben! Die gleiche Flotte, die damals MX 38 angegriffen und ausgelöscht hat!“
Obwohl Ezekiel das Ganze für einen schlechten Scherz halten wollte, konnte er darüber nicht lachen. Irgendetwas passierte mit ihnen. Es hatte begonnen in dem Augenblick, als er mit seinen Brüdern den Kreuzer der Iron Warriors betreten hatte.
Er musste sich vergewissern. Das Kommando seinem Freund überlassend, zog er sich in sein Quartier zurück. Das Datenbankarchiv der „Racheengel“ war mit den Informationen sämtlicher Raumschlachten seit Anbeginn des Imperiums gefüllt. Dort musste es irgend eine brauchbare Information für ihn geben.
Tatsächlich fand sich eben jene Schlacht wieder, die er und seine Kameraden vor wenigen Stunden geschlagen hatten und die doch bereits 275 Jahre in der Vergangenheit lag. Eine endlose Schlange an Datenbändern flossen durch die Analyse, während der Space Marine die wichtigsten Informationen herausfilterte.
„...Die Flotte der Alpha Legion schlug ohne Vorwarnung zu, schnell und präzise. Der genaue Grund für den Angriff ist bis heute ungeklärt. Obwohl der Kräfteaufwand seitens unserer Flotte enorm war, wurde sie vernichtend geschlagen. Wie heute bekannt ist, trafen die Imperialen Verbände bei Verlassen des Warps auf die kampfbereiten Reserven der Alpha Legion, welche die Schiffe innerhalb kürzester Zeit zusammenschossen, bevor diese Gegenmaßnahmen einleiten konnten...“
Nun folgten noch endlose Texte über Zusammenstellung und Stärken der einzelnen Schiffe, doch Ezekiel wusste genug.
Es bestand nun kein Zweifel mehr, dass sie tatsächlich gegen selbige Alpha Legion Flotte gekämpft hatten. Dies erklärte auch, warum sie bereits auf den Angriff vorbereitet waren. Doch es erklärte nicht Ezekiels Vision, die ihre und die Imperiale Flotte gerettet hatte. Bevor sie hierher gekommen waren, hatte Ezekiel noch nie etwas von dieser Schlacht gehört. Sie war zu unbedeutend gewesen und tatsächlich waren ihm und den anderen Adepten nur glanzvolle Siege des Imperiums in der Ausbildung nähergebracht worden.
Wieso sollte er also wissen, dass der Angriff auf die Reserven und die Flanken der Chaosflotte die Vernichtung der Imperialen Kriegsschiffe verhindern würde?
Während er nachdachte, füllte sich der Raum unbemerkt mit dunklem Nebel, der schnell hinter ihm zusammenfloss. Die aschgraue Masse türmte sich immer weiter auf und nahm die Gestalt eines Space Marines an. Ezekiel bemerkte es nicht. Zu sehr war er mit den Datenkristallen beschäftigt. Das unförmige Wesen näherte sich geräuschlos. Die flüssige Hand griff nach seinen Schultern.
Bruder Ezekiel erwachte urplötzlich. Er musste beim Lesen der vielen Informationen eingenickt sein. Auf dem Bildschirm flimmerte immer wieder eine rote Anzeige. „Datenkristalle gelöscht!“ stand darauf. Hastig gab er ein paar der Begriffe ein, die er sich gemerkt hatte. Doch zu keinem einzigen fanden sich Daten im Speicher. Ein unerträglicher Schmerz packte ihn dort, wo ihn die Kreatur im Traum berührt hatte. Er versank in Bewusstlosigkeit...
...Langsam hob sich der Schleier der Dunkelheit. Ezekiel lag auf seinem Bett in seinem Quartier. Er trug nur seinen Schlafanzug. Wie ein schwerer Kater nach zu intensiven Alkoholgenuss fesselten ihn die Nachwirkungen seines Alptraumes ans Bett.
Als er sich umsah, entdeckte er Bruder Meynard. Der Ordenspriester saß auf einem Stuhl und starrte ihn an. In seinen Blick lagen pure Angst und Verzweiflung. Aus den schwarzumränderten Augen deutete Ezekiel, dass sein Freund wohl schon seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte.
„Bruder, was ist los?“ fragte der Commander.
Offensichtlich war er im Wachzustand kurz eingenickt, da er nicht sofort reagierte. Ezekiel packte einen seiner Servostiefel, die vor seinem Bett standen, und schleuderte ihn Richtung Bruder Meynards. Von dem Geschoss überrascht fiel er nach hinten um und kam brummend wieder auf die Beine.
„Was soll das? Behandelt man so einen Kameraden?“ Meynard versuchte, über diese peinliche Situation zu lachen, doch er konnte nicht.
Mit ernster Miene wandte er sich Ezekiel zu: „Bruder, wir haben ein verdammt ernstes Problem!“ Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Doch Ezekiel ahnte schon, welches Problem der Ordenspriester ansprechen wollte. Er ließ ihn gewähren und wollte noch nichts von dem verraten, was ihm in der letzten Zeit passiert war. „Sprich, mein Bruder!“ bat er und Meynard suchte nach den richtigen Worten, um das zu beschreiben, was ihn beschäftigte: „Seitdem wir die Abtrünnigen verfolgen, plagen mich fürchterliche Alpträume. Ich sehe immer wieder dieses Schiff...und die Verräterlegionäre. Sie sind alle tot. Irgendetwas frisst sich durch ihre verdorbenen Seelen. Und während ich es dabei beobachte, fasziniert es mich. Es ruft meinen Namen und dann, plötzlich, ist es verschwunden.“ Während er sprach, schienen seine Augen orientierungslos am Boden zu haften. Seine Stimme klang merkwürdig stockend und verzerrt, fast so, als würde er vor den Toren des Wahnsinns stehen. Er verfiel in einen trancheartigen Zustand. Ezekiel packte seinen Freund am Arm und riss ihn aus der unendlichen Ferne wieder zurück in die Gegenwart. Als würde ein Schatten von ihm genommen, berichtete Bruder Meynard weiter: „Von unserer Besatzung gibt es bisher mindestens 33 Fälle, die ebenfalls solche Alpträume erleiden. Die Männer werden langsam unruhig, denn offensichtlich werden nur jene mit diesen Visionen gepeinigt, die mit dir oder einem der anderen Veteranen des Enterkommandos Kontakt hatten.“
„Was willst du damit sagen?“ Zum ersten Mal packte Ezekiel offenes Misstrauen gegenüber dem Ordenspriester. Irgendetwas verschwieg er ihm und das konnte sehr gefährlich werden.
„Als ihr auf dem Chaoskreuzer gewesen seid, habt ihr irgendetwas mit an Bord gebracht. Dieser Virus infiziert mit der Zeit die ganze Mannschaft.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ fragte Bruder Ezekiel.
„Du musst deinen Kreuzzug zu Ende führen, egal welchen Preis es erfordert!“
„Ich habe es geschworen und genauso werde ich diesen Rachefeldzug zu Ende bringen!“
„Vergiss diesen Schwur, vergiss unsere Ehre. Unsere Ehre haben wir bereits an dem Tag verspielt, als wir in den Laboratorien von MX 38 erschaffen wurden...“
„MX 38?...“ Ezekiel glaubte, sich verhört zu haben. Es war jene Station gewesen, die sie erst vor einigen Stunden gegen die Alpha Legion verteidigt hatten.
War diese Forschungseinrichtung tatsächlich der Ursprung der Hellsing Angels gewesen? Ezekiel wusste keine Antwort darauf. Dunkel waren seine Erinnerungen an seine eigene Entstehung. Nur manchmal nachts peinigten ihn Bilder, wie er in den riesigen Stasistanks in hellgrün erleuchtetem Wasser lag, verbunden mit Kabeln, Schläuchen und mechanischen Instrumenten. Manchmal sah er sogar die Gesichter der Wissenschaftler, die ihn beobachteten, Notizen niederschrieben oder sich über ihn unterhielten. Und immer wieder kam einer dieser Forscher nahe an den Tank heran und presste sein Gesicht auf das Glas. Er konnte nicht erkennen, wer dieser Mann war, aber er kam ihm sehr vertraut vor.
Immer wieder hatte Ezekiel diese Gedanken verdrängt. Bis zu dem Augenblick, als Meynard ihn zum ersten Mal auf die beginnende Verwandlung angesprochen hatte, hatte er seine Visionen unter Kontrolle gehabt.
Doch jetzt, wo der Ordenspriester darauf zu sprechen kam, war alles urplötzlich wieder in sein Bewusstsein zurückgekehrt.
Wieder lag er in dem Tank und wieder kamen die Forscher, sahen sich seine biologischen Werte an und notierten sie auf ihren Datenblättern. Plötzlich floss eine dunkle Masse über den Boden und näherte sich dem Behälter. Ezekiel wollte schreien, doch auf seinem Gesicht saß eine Atemmaske. Er riss sich die Kabel aus seinen Armen und streifte die Maske ab. Er schrie wie ein Wahnsinniger und trommelte gegen die Glaswand, während sich die Flüssigkeit bereits über die Kammer schob. Das Glas sprang an einigen Stellen und es sah so aus, als würde er gleich zerquetscht werden. Rasend vor Angst schlug er wie ein Berserker mit der bloßen Faust gegen die gläserne Hülle. Schließlich gab sie nach und zersplitterte in tausend Einzelteile, die sich tief in sein Fleisch bohrten. Er brüllte vor Schmerzen, während sich ein grinsendes Gesicht aus der dunklen Flüssigkeit formte und nach ihm rief, während es grausig und verzerrt lachte...
Fortsetzung folgt
Der Warpraum, unendliche Weiten, Millionen von Welten, ungezählte Billionen von Menschen. Dies sind die Aufzeichnungen des Space Marine Schlachtkreuzers „Racheengel“, der mit einer kleinen Flotte Kriegsschiffe unterwegs ist, um eine Streitmacht der abtrünnigen Chaos Space Marines zu vernichten, die den Planeten Thekla IV ausgelöscht hat. Dabei dringt die „Racheengel“ in Systeme vor, in die noch nie ein Mensch zuvor einen Fuß gesetzt hat...
...Seit Wochen schon war die Flotte unterwegs und seit Wochen schon tobte der Warpsturm. Bisher hatten die Navigatoren die Schiffe sicher durchgebracht, aber wenn das so weiter ging, würden sie den Nebel von Lazarus niemals erreichen.
Commander Ezekiel stand in der Beobachtungskanzel oberhalb der Kommunikationszentrale und beobachtete die blauen Schlangenlinien, die an dem Schiff vorbeizogen. Manchmal zerrten rötliche Spiralen an der Außenhaut, doch die „Racheengel“ war ein mächtiger Riese, zu stark, um sich davon im Geringsten beeindrucken zu lassen.
Das monotone Klicken der Sensoren, die nach einem Ausweg aus dem Sturm suchten, machten ihn fast wahnsinnig. Die Wut in seinen Adern war nach der Vernichtung von Thekla IV immer stärker geworden und inzwischen dürstete es ihn regelrecht nach Blut. Nicht einmal der aquilltanische Rotwein, den er einmal im Monat zu trinken pflegte, konnte seinen Durst löschen.
Sogar die immer wiederkehrenden Trainingssimulationen besänftigten seinen Blutrausch nicht länger. Anfangs hatte er noch mit taktischer Überlegung und der gebotenen Vorsicht gekämpft, aber jetzt stürzte er sich nur noch in die Schlacht und verwandelte die Übung nicht selten in ein blutiges Gemetzel. Er musste endlich einen echten Verräter umbringen. Er hatte es geschworen. Nicht eher wolle er ruhen, bis auch der letzte Angreifer von Thekla IV beseitigt wäre. Unbewusst hatte er damit die lange unterdrückte Gier nach Kampf und Vernichtung, welche sie von den Blood Angels „geerbt“ hatten, entfacht. Die Katstrophe von Thekla IV hatte die bisher vorherschenden Gene der Ultramarines zurückgedrängt und dem anderen Teil der Gensaat die Oberhand gegeben.
Die Hellsing Angels waren nicht länger ein Nachfolgeorden der Ultramarines. Der Versuch, die Gensaaten der Ultras mit denen der Blood Angels zu mischen und dadurch die negativen Defekte in der Molekularstruktur der Söhne des Sanguinus auszumerzen, war gescheitert.
Trotzdem waren die Schwarze Wut und der Rote Durst bisher noch die Ausnahme. Ezekiel nahm eine Bewegung unterhalb der Kapsel wahr. Bruder Meynard näherte sich. Der Ordenspriester war nach Ezekiel der beste Krieger der Angels. Er verfügte über Wissen und Weisheit. Beides bewahrte ihn davor, sich seiner innerlich aufgestauten Wut hinzugeben.
„Bruder?!“ begrüßte Ezekiel seinen alten Freund.
„Bruder, ich muss mit dir sprechen!“ erwiderte dieser
„Was ist so dringend, dass du mich hier oben störst?“
Meynards Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst: „Dass du diesen Kreuzzug ausgerufen hast, ist die einzige gerechte Entscheidung gewesen. Niemals habe ich sie angezweifelt. Aber ich befürchte, dass wir die genetische Fehlbildung aus dem Anteil der Blood Angels nicht mehr lange unter Kontrolle halten können. Noch werden die meisten Brüder von der Gensaat der Ultramarines beherrscht, aber bisher sind schon mindestens siebzehn Brüder nicht mehr uneingeschränkt einsetzbar.“
„Was meinst du damit, Bruder?“ Ezekiel wusste nicht, worauf der Ordenspriester hinaus wollte.
„Ich meine, dass wir uns eingestehen müssen, dass unser Ursprung nicht so rein und makellos ist, wie wir bisher glaubten. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass wir die selbe Mutation in der Genstruktur aufweisen wie der Orden der Blood Angels. Die gleichen Symtome zeigen sich auch bei allen Nachfolgeorden. Bisher hat uns die genetische Verbindung mit den Ultramarines davor beschützt, aber nun, wo wir so viel Leid und Tod mitansehen mussten und unsere Gedanken nur noch von dem Wunsch beseelt sind, blutige Rache zu nehmen, haben wir uns der dunklen Seite unserer Entstehung zugewandt.“
Der Commander verstand zwar den Sinn der Worte, doch er konnte noch immer nicht begreifen, was Bruder Meynard eigentlich wollte.
„Wir müssen die Brüder, die nicht mehr von der reinen Gensaat von Ultramar kontrolliert werden, ohne Aufsehen zu erregen, aussondern.“ Dabei verriet der Blick des Ordenspriesters, dass er es so meinte, wie er es sagte. All jene, die zu wild und unberechenbar waren, sollten jetzt von den anderen Marines getrennt werden. Bei ihrer aktuellen Truppenstärke wäre jeder Verlust unersetzlich für den Orden.
„Ist dir klar, was du da verlangst, Bruder Meynard?“
„Ja, das ist mir klar. Wir werden unser Gesicht verlieren, wenn die Administration davon erfährt, dass unsere Gensaat genauso mutiert ist wie die der Blood Angels. Vielleicht wird es eine Untersuchung geben und vielleicht kommt dann alles heraus.“
„Was meinst du mit alles?“ Ezekiel wurde misstrauisch.
„Einfach alles, die vielen Experimente, die molekulare Verbindung von zwei verschiedenen Gensaaten, die geheimen Laboratorien....Vielleicht werden die, die dafür verantwortlich sind, die Beweise vernichten wollen.“
Ezekiel wusste, was der Ordenspriester mit „Beweise“ meinte. Sie waren die Beweise. Lebende Beweise für die Blasphemie gegen den Imperator. Noch nie hatte es jemand gewagt, die Gene eines Ordens mit denen eines anderen zu vereinen, um daraus neue Space Marines zu erschaffen. Nur wenige wussten von ihrem Geheimnis. In der Hoffnung, dass die Gensaat der Ultramarines die negativen Aspekte der genetischen Mutation der Blood Angels für immer ausgelöscht hätte, waren sie offiziell immer nur ein Nachfolgeorden der Söhne von Ultramar gewesen. Und nun wiesen sie die ersten Anzeichen der beginnenden Verwandlung auf. Der Commander erinnerte sich, schon andere Space Marine Orden wegen geringerer Vergehen gegen den göttlichen Imperator unter der Aufsicht der Inquisition gesehen zu haben.
Ezekiel musste nachdenken. Jetzt war es zwar von Vorteil, dass sie bereits seit Wochen unterwegs waren und somit keine Verbindung zum Hauptquartier hatten, aber es bedeutete auch viele neue Probleme. Bisher waren nur ein paar Brüder auf dem Schlachtkreuzer befallen. Wie stark würden die Mutationen sein? Würden sie vielleicht auch Arakis erreichen? Wenn plötzlich die Marines auf diesem Planeten ebenfalls von den Genen der Blood Angels übermannt werden würden, konnte das eine neue Katastrophe auslösen.
Das Adeptus Mechanicus und die Imperiale Armee unterhielten dort einige Einrichtungen und es wäre unmöglich, die dunkle Seite der Hellsing Angels lange geheim zu halten.
„...Commander?!...“ meldete sich eine Stimme aus dem Funkraum. „Was gibt es?“ fragte Ezekiel.
„Wir haben ein Objekt gesichtet, fünf Lichtjahre voraus.“
„Klassifizieren!“
„Ein Kreuzer der Berserker-Klasse, der Erscheinung nach ein Schiff der Iron Warriors Verräterlegion!“
Endlich hatten sie einen Feind in greifbarer Nähe.
„Status?“ wollte der Commander wissen.
„Schiff schwer beschädigt, offensichtlich durch einen direkten Treffer in die Antriebssektion manövrierunfähig. Waffensysteme ausgefallen, Schilde außer Funktion.“
Ezekiel war zufrieden, die Verräter konnten ihnen nicht entkommen.
„Commander, die Brücke fragt an, ob sie mit dem Beschuss beginnen sollen.“
„Nein, auf keinen Fall. Schießen sie nur, wenn der Gegner zuerst feuert. Ich werde mich dieser Brut persönlich annehmen. Alles vorbereiten zum Entern!“
Die kleine Gruppe versammelte sich im Teleporterraum. Außer Bruder Ezekiel waren noch neun andere Marines in taktischen Cybotrüstungen anwesend. Sie prüften ihre Waffen, schoben die Magazine in die Ladekammer und zogen den Abzug durch. Einer nach dem anderen signalisierte Kampfbereitschaft. Auch Ezekiel war bereit. Seine schwere Rüstung hinderte ihn am schnellen Angriff und die Substanz, die ihm Bruder Meynard gegeben hatte, sollte seine Wut unter Kontrolle halten. Trotzdem spürte er innerlich, wie die dunkle Seite an seinem Verstand zerrte und unbedingt die Oberhand gewinnen wollte. Er durfte sich der Vergangenheit nicht hingeben, sonst könnte dies seinen Tod bedeuten. Noch einmal atmete er tief ein, bevor er und die anderen Veteranen in einer blauen Blase aus Licht und Energie verschwanden.
Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er sich an die Dunkelheit in dem Kreuzer gewöhnt hatte. Überall leuchteten Warnlampen. Nichts schien sich auf diesem vor sich hintreibenden Eisensarg zu bewegen. Doch Ezekiel wusste, dass hier irgendwo die Verräter auf sie warteten und in dem Moment zuschlagen würden, wenn sie am wenigsten damit rechneten.
„Die Kommandobrücke liegt direkt vor uns!“ meldete einer seiner Brüder über das eingebaute Funkgerät.
„Macht euch feuerbereit!“ befahl der Commander.
Ein schweres Eisenschott hinderte sie am Zugang, doch eine Salve Sprengraketen aus Bruder Atarus Cyclone-Werfer riss die Abriegelung mitsamt der Zugangstür zur Brücke auseinander. Qualm und zischender Dampf strömten ihnen entgegen. Der Boden war unter einer dicken Schicht aus Nebel und austretende Gase kaum zu erkennen. Gemessen an der Größe des Schiffes war die Kommandobrücke ziemlich klein. Funken sprühten aus abgerissenen Kabeln, auf einer Computerkonsole lagen die Überreste eines Servitors, dessen körperliche Bestandteile völlig aufgelöst waren. Nur die Maschine bewegte sich noch zuckend, anscheinend versuchte der implantierte Chip, die mechanischen Überreste wieder unter Kontrolle zu bringen. Bruder Ezekiel beendete diesen Versuch mit einem kurzen Hieb seines Energieschwertes.
Ansonsten schien jedoch niemand da zu sein.
„Commander, ich habe hier etwas gefunden!“ rief einer der Terminatoren vom anderen Ende der Brücke. Ezekiel bewegte sich schwerfällig dorthin, wo der Veteran stand. Langsam verzog sich der Nebel und gab den Blick auf etwas frei, das Ezekiel nicht im geringsten erwartet hätte.
Auf der metallenen Bodenabdeckung lag ein toter Verräterlegionär. Ein großes gezacktes Loch in der Servorüstung kündete von einem unschönen Tod. Nachdem die Schutzhülle aufgebrochen war, hatten sich die inneren Organe des Iron Warrior unter dem Einfluss des Gases verflüssigt. Nur eine kleine Pfütze aus Schleim und Knochensplittern waren übriggeblieben.
Ezekiel empfand es als die einzigst gerechte Strafe für diesen Abschaum, aber trotzdem beunruhigte ihn der Umstand des Todes. War der Verräter vielleicht während der Raumschlacht gegen die Imperiale Flotte bei Thekla IV gestorben? Die Beschädigungen der Servorüstung ließen etwas anderes vermuten.
„Bruder Ezekiel, das sollten Sie sich ansehen!“ Auf dem vorderen Teil der Brücke stand einer der Terminatoren und wies auf einen Monitor, auf dem eine Anzeige immer wieder rot aufflackerte.
Es war eine unterbrochene Selbstzerstörungssequenz. Die Zeitschaltung hatte nur wenige Sekunden vor der Detonation gestoppt.
Warum hatten die Verrätermarines versucht, ihr Schiff zu zerstören? Ezekiel wusste keine Antwort. Er sah sich weiter um. Vor ihm war eine Überwachungskonsole noch in Betrieb. Auf dem Bildschirm wurden die Überwachungsbilder verschiedener Kameras angezeigt.
Obwohl er nicht wusste, wonach er suchte, ließ er die Aufnahme zurücklaufen, um sich die letzten Aufzeichnungen noch einmal anzusehen.
Eine davon war direkt von der Brücke. Ezekiel sah die Verräterlegionäre. Sie verrichteten verschiedene Aufgaben und nichts deutete auf Schwierigkeiten hin. Alles schien normal zu sein. Plötzlich schrillte der Alarm, irgendetwas zerrte an dem Schiff. Die Brücke bebte und die Iron Warriors schrieen etwas von einem Volltreffer in der hinteren Antriebssektion. Kabel rissen auseinander und hochgradig gefährliches Gas entwich. Der Strom fiel aus und auch das Notstromaggregat versagte bald seinen Dienst.
„Bei Perturabo, es hat uns voll erwischt. Sofort die Selbstzerstörung einleiten, Brücke evakuieren!“ befahl ein etwas größerer Iron Warrior, wahrscheinlich der Kommandant dieses Schiffes. „Mylord, die Rettungskapseln sind unbrauchbar, es hat bereits die untersten Decks erreicht!“ brüllte ein anderer Marine.
„Riegelt sofort die Brücke ab. Macht die Waffen bereit!“ schrie der Lord. Ezekiel sah, wie die Verräter ihre Bolter auf die Tür richteten, durch die er mit seiner Gruppe vorhin gekommen war. Irgendjemand oder irgendetwas hämmerte gegen die dicke Panzerung. Dann urplötzlich entriegelte sie sich wie von Geisterhand. Die Verräter brüllten wilde Kriegsschreie zu ihren finsteren Göttern und schossen, was die Läufe hergaben. Unbeeindruckt davon schien sich der unbekannte Angreifer durch sie hindurch zumetzeln. Einer wurde gepackt und in der Mitte in Stücke gerissen, einem anderen der Kopf vom Körper getrennt. Dann brach die Aufzeichnung für ein paar Sekunden ab. Als sie schließlich wieder lief, waren die Iron Warriors allesamt tot, abgeschlachtet von irgendetwas, das nicht durch Bolterfeuer verwundet werden konnte. Dann endete das Band.
Ezekiel hatte das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Was immer es auch war, es war noch an Bord und er spürte seine Gegenwart, als würde es direkt hinter ihm stehen. Als er sich umdrehte, war jedoch nichts, was nach einer Bedrohung aussah.
„Los, wir verschwinden von hier!“ befahl Bruder Ezekiel. Er aktivierte seine Komunikationsverbindung zum Schlachtkreuzer. „Hier spricht der Commander. Wir verlassen das Schiff. Sobald wir wieder rüberteleportiert sind, schießen Sie solange auf diese Höllenbrut, bis nichts mehr davon übrig ist!“
Atarus packte ihn am Arm und wollte ihn am Gehen hindern: „Müssen wir nicht erst noch den Rest des Schiffes absuchen? Vielleicht verstecken sich irgendwo noch Verräter.“
Energisch entwand sich Ezekiel dem Griff und fauchte ihn wütend an: „Von der Besatzung ist niemand mehr am Leben! Lasst uns abhauen, bevor wir das gleiche Schicksal wie diese Bastarde erleiden!“ Damit war die Diskussion für ihn beendet. Sie verließen ohne Schwierigkeiten dieses Grab und fanden sich Sekunden später zurück in den Teleportern ihres eigenen Schiffes.
Unter zahlreichen Einschlägen erzitterte der Chaoskreuzer, kurz darauf rissen ihn heftige Explosionen auseinander.
Der Commander befahl, die Flotte wieder auf alten Kurs zu bringen. Dann ging er in sein Quartier, legte Rüstung und Waffen ab und begann mit den täglichen Ritualen, denen er als Space Marine unterworfen war. Er nahm seinen Sturmbolter auseinander, reinigte ihn und setzte ihn wieder zusammen. Während er dies tat, grübelte Ezekiel über das Erlebte. Er fand keine Antwort auf die Frage, was den Chaoskreuzer angegriffen und die gesamte Besatzung ausgelöscht hatte. Alles war normal verlaufen, das Schiff unbeschädigt und voll bewaffnet gewesen und doch hatte irgendetwas die Macht besessen, sie zu vernichten.
Es wurde sehr spät und Ezekiel beschloss, sich in den Schlafzustand zu versetzen. Er musste sich ausruhen, denn vielleicht würde er schon bald keine Gelegenheit mehr dazu haben.
Wilde Alpträume suchten ihn heim. Er sah sich plötzlich im Traum auf der Brücke des Chaoskreuzers stehen. Neben, hinter und vor ihm standen die Iron Warriors und richteten ihre Waffen auf die Zugangstür der Brücke. Niemand bemerkte ihn und obwohl er voll bewaffnet war, gingen die Projektile aus seinem Sturmbolter durch die Verräter hindurch, ohne sie zu verletzen.
Irgendetwas schweres trommelte gegen die eiserne Tür. Sie gab an einigen Stellen nach. Schließlich sprang sie quietschend auseinander. Die Verräter schossen ihre Waffen leer, während sich ein dunkler Schatten wie eine finstere Nebelwand im Raum ausbreitete und überall dort, wo sie einen Ketzer erreichte, wurde er von brutalen Kräften zerfetzt.
Ezekiel sah, was passierte, aber er konnte nicht eingreifen, er konnte nichts berühren und doch spürte er die Nähe des Todes in seinen beiden Herzen. Dieser unbekannte Feind schien ihm merkwürdig vertraut und doch fürchtete er sich vor dem, was er nicht sah. Das Gefühl nackter Angst, das er in den sterbenden Augen der gefallenen Iron Warriors sah, war neu für ihn.
Nachdem der letzte Chaos Space Marine gefallen war, sammelte sich der dunkle Nebel in der Mitte des Raumes und wuchs zur Erscheinung eines Space Marines. Ezekiel griff ungläubig nach dem, was vor ihm stand, doch die aschgraue Kreatur wich seiner Hand aus, während sie mit fürchterlich verzerrter Stimme seinen Namen rief und sich brüllend auf ihn stürzte.
Ezekiel erwachte aus diesem bösen Traum. Bisher hatte er noch nie geträumt. Die Eigenschaft dazu wurde durch seine genetische Modifikation ausgeschaltet, um seine Effektivität zu erhalten. Er konnte sich an jede Einzelheit erinnern und wusste, dass er eben Zeuge der letzten Augenblicke der Schiffsbesatzung gewesen war. Aber was hatte diese Vision zu bedeuten? Warum hatte die unbekannte Kreatur seinen Namen gerufen? Wer oder was war es?
Obwohl er lange überlegte, fand er keine Antwort. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn und irgendwie hatte er eine Ahnung, dass die Vernichtung der Abtrünnigen mit der Zerstörung von Thekla IV und den Hellsing Angels zusammenhing.
Sie erreichten endlich einen Sprungpunkt, an dem sie den Warp verlassen konnten. Die endlosen Wochen im Immaterium hatten ihnen doch sehr stark zugesetzt und die Marines waren froh, die sich endlos drehende Spirale des Warpraumes mit dem dunklen Schleier des Universums einzutauschen. Überall funkelten die Sterne wie geschliffene Diamanten. Nicht weit von ihrer jetzigen Position erfassten die Sensoren eine größere Anballung von Asteroiden. Zusammen bildeten sie den Nebel von Lazarus, benannt nach einem Kriegsherren des Chaos, der hier in einer entscheidenden Raumschlacht vernichtet wurde.
Der Nebel war sehr gefährlich, denn in seinem Schutz verbargen sich oft Piraten, angeblich sollte die Alpha Legion hier einen Stützpunkt für ihre Operationen im Imperium haben. Während des großen Bruderkrieges hatten die Armeen des Chaos viele Asteroiden vermint und obwohl immer wieder Strafexpeditionen die Minenfelder beseitigen sollten, waren es doch zu viele. Der Gedanke, mit einem größeren Flottenverband dieses Gebiet zu durchqueren, grenzte an Selbstmord. Aber weder Ezekiel noch seine Männer fürchteten den Tod und wenn eine Chaosflotte hierher entkommen konnte, würden sie ihr folgen.
Ezekiel ließ die Flotte ausschwärmen. Falls irgendwo Minen oder Hinterhalte auf sie warteten, wäre es fatal, wenn die Schiffe sich gegenseitig behinderten.
Der Commander stand auf der Brücke des riesigen Schlachtkreuzers und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Sensoranzeigen. Die aktive Peilung erbrachte außer Asteroiden bisher nichts Ungewöhnliches. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen, denn jetzt war erhöhte Vorsicht geboten.
„Geben Sie den Befehl an die Träger, sofort Abfangjäger und Bomber zu starten! Beginnen Sie mit dem Beschuss der Asteroiden im Frontalbereich der Flotte! Die Bomber wehren Asteroiden an der Flanke ab!“
Keine fünf Minuten später donnerten bereits die ersten Jagdmaschinen aus ihren Hangars Richtung der Hindernisse. Explosionen rissen besonders große Brocken auseinander, während die kleineren mit Maschinenkanonen und Lasern pulverisiert wurden. Ein paar prallten harmlos an den starken Schutzschilden ab. Wie ein Eisbrecher bahnte sich die „Racheengel“ ihren Weg durch diese endlose Wüste aus Gestein.
Plötzlich schlugen die Sensoren an. Nicht weit vor dem Schiff hatten sie eine Raumbasis auf einem der größeren Felsen entdeckt.
„Statusbericht!“ befahl Commander Ezekiel. Der 1. Offizier schaltete ein paar mal auf den Anzeigen rum, während die Station systematisch gescannt wurde.
„Es handelt sich laut Aufzeichnung um die imperiale Forschungsstation MX 38, zerstört im Krieg gegen die Alpha Legion vor 275 Jahren!“
„Gibt es Berichte, wie stark die Zerstörungen waren?“ fragte Bruder Ezekiel.
„Sie wurde vollständig vernichtet, keine Überlebenden!“
Das passte nicht zusammen. Wenn die Station ausgelöscht wurde, wie konnte sie hier direkt vor ihnen auftauchen? Ezekiel wusste es nicht, doch er würde es herausfinden.
„Commander!“ schrie der 1. Offizier.
„Was gibt es, Nummer 1?“
„Die Sensoren orten einen Flottenverband, keine 3 Lichtjahre von hier entfernt. Der Klassifizierung nach handelt es sich um Kriegsschiffe der Alpha Legion! Sie kommen schnell näher und werden unsere Position in weniger als 15 Minuten erreichen!“
„Sofort Roten Alarm auslösen und alle Verbände einsatzbereit machen!“ befahl Ezekiel.
Die Sicherheitsschotts schlossen sich, knisternd fuhren die Energiegeneratoren der Laserlanzen hoch und luden die schweren Geschütze auf.
In den Hangars herrschte Hochbetrieb. Vor wenigen Minuten erst waren die Maschinen von ihren Patrouillen zurückgekehrt, jetzt mussten sie schnell aufgetankt und startklar gemacht werden.
Auf der Kommandobrücke war alles für die bevorstehende Raumschlacht bereit.
„Ziehen Sie die Schiffe hinter den Schatten der größeren Asteroiden zurück!“ befahl Ezekiel. Mit minimaler Impulskraft manövrierten die Navigatoren die Flotte in die befohlene Position.
Auf der Kommandobrücke war es fast dunkel. Nur die roten Alarmlampen erleuchteten den Raum etwas. Ezekiel wartete, während das Klicken der Sensoren immer schneller wurde und die hellen Punkte auf dem Positionsradar sich weiter dem Mittelpunkt, also dem Schlachtkreuzer näherten.
Commander Ezekiel stand wie ein Kriegsherr auf der oberen Brücke und beobachtete, wie aus der Ferne einige Schwärme feindlicher Jäger die Station angriffen. Obwohl die Anzeigen beim Scannen der Station keinerlei Lebenszeichen festgestellt hatten, feuerten einige der Zwillingstürme auf die Angreifer und schossen ein paar ab.
„Commander...!“ schrie einer der Offiziere. Seine Augen waren geweitet, vor Erstaunen und Erschrecken zugleich.
Ezekiel war verärgert. Gerade jetzt konnte er keine Ablenkung gebrauchen. Sein strafender Blick deutete dem Untergebenen, dass er in seiner Aufmerksamkeit nicht gestört werden wollte. Es galt, eine Raumschlacht zu gewinnen. Doch dann sah auch er es.
Vor ihnen tauchte wie aus dem Nichts die Chaosflotte auf und feuerte aus allen Rohren auf die Station. Noch hielten die Schutzschilde stand, mit jedem Einschlag kamen sie dem völligen Zusammenbruch näher.
„FEUER!“ brüllte Ezekiel in die Funkverbindung. Das jahrelange Training und die Disziplin machten sich bezahlt, als Dutzende Torpedos und ungezählte Lanzenbatterien abgefeuert wurden und sich durch den Chaosabschaum fraßen. Einen Kreuzer zerriss es, bevor er eine abwehrende Position einnehmen konnte. Ein großes Schlachtschiff bäumte sich unter den Einschlägen auf wie ein Tier. Tiefe Wunden zerfetzten Metalls brachen aus dem Giganten, ein gutgezielter Lanzenschuss sprengte schließlich die Kommandobrücke des riesigen Ungeheuers heraus.
„Achtung, Commander, feindliche Jäger im Anflug!“ meldete einer der Offiziere auf der Brücke.
„Ich habe hier mindetens fünfzig Bomber und dreimal so viel Jagdmaschinen!“ ergänzte ein anderer.
„Sofort alle Jäger starten. Abfangbatterien bereit halten! Köder abschussbereit machen!“ wiederholte Ezekiel all das, was er in der Ausbildung gelernt hatte. Für ihn war es eine Schlacht von vielen und die „Racheengel“ hatte schon Schlimmeres überstanden.
„Bruder Ezekiel, die feindlichen Bomber greifen die Eskorten und die Transporter an!“ schrie der 1. Offizier.
Doch Ezekiel war die Ruhe selbst, denn er wusste, dass Panik zu übereilten Befehlen und nicht selten zur Niederlage führte: „Die Eskorten sollen die Transportschiffe um jeden Preis beschützen! Die Jagdmaschinen müssen den Angriff zurückschlagen. Greifen Sie notfalls die Bomber mit Laserlanzen an!“
Die Bomber waren der entscheidende Faktor dieses Fliegerangriffes. Ezekiel wusste es und auch der Gegner wusste es. Sie allein waren stark genug, die mächtigen Kriegsschiffe ernsthaft zu beschädigen oder vielleicht sogar zu vernichten.
„Achtung, da kommen noch mehr!“ meldete plötzlich einer der Beobachter. Ohne auf den Monitor zu sehen, wusste Ezekiel bereits, dass es mindestens doppelt so viele waren.
Auch die feindlichen Kreuzer eröffneten das Feuer, aber noch war ihnen die „Racheengel“ überlegen. Nur das unterstützende Feuer der anderen Schiffe wurde schwächer Die „Gerechtigkeit von Arakis“ wurde durch mehrere Torpedos manövrierunfähig geschossen und wenig später vernichtet, das Schwesterschiff „Erlösender Schmerz“ schwer beschädigt. Aber noch immer kämpfte das Flaggschiff wie ein Berserker und obwohl sie ebenfalls beschädigt wurde, weigerte sich Ezekiel, den Rückzug zu befehlen. Auch die Space Marine Flotte hatte bereits tiefe Lücken in den feindlichen Verband gerissen.
Irgendwoher kannte er diese Schlacht. Ezekiel wusste nicht warum, aber er hatte urplötzlich eine Idee, die ihnen das Leben retten und die Chaosflotte vernichten würde.
„Greift sofort die Kreuzer auf der linken Seite an! Konzentriert das Feuer auf die Nachhut und die Reserve der feindlichen Flotte!“
Die Space Marines führten seine Befehle ohne Zögern aus. Obwohl die feindlichen Großkampfschiffe immer noch Salve um Salve dem Schlachtkreuzer und dem Rest der Flotte entgegenwarfen, richteten die Space Marines ihre Waffen nun auf die Schiffe an den Flanken und die Reserve. Es schien aussichtslos, denn die feindliche Flotte war fast doppelt so stark.
Plötzlich wurden zwei feindliche Kreuzer von Lanzen an der Seite getroffen. Unter den Einschlägen weiterer Lanzen und Dutzenden Torpedos explodierten mehr als ein halbes Dutzend Großkampfschiffe des Feindes.
„Richtet nun das Feuer wieder auf das Zentrum!“ befahl Ezekiel, froh darüber, dass sein Plan aufgegangen war. Eine riesige Imperiale Flotte hatte sich aus dem Warp heraus hierher verirrt und dem Chaos eine unschöne Überraschung bereitet.
Gemeinsam trieben sie den Feind in die Enge. Imperiale Jäger stürzten sich auf die feindlichen Bomber, Armatuskreuzer feuerten aus kürzester Entfernung ihre Lanzen ab, ein schwerer Schlachtkreuzer durchbrach den Schutzschild eines Schlachtschiffes. Immer mehr Chaos-Schiffe wurden vernichtet, immer schwächer wurde die Gegenwehr des Feindes.
Einige der Bomber griffen die „Racheengel“ direkt an. Die Piloten ahnten wohl, dass ihr Schicksal besiegelt war. Sie wollten ihre Leben so teuer wie möglich verkaufen und der Space Marine Schlachtkreuzer schien das perfekte Ziel zu sein.
„Der Schild der Brücke bricht zusammen!“ schrie einer der Offiziere.
„Vorsicht, da stürzt einer ab!“ brüllte ein anderer.
Ezekiel sah, wie einer der Bomber mit brennenden Triebwerken auf sie zuschlängelte, während die Abwehrgeschütze verzweifelt versuchten, die Maschine zu vernichten, bevor der unvermeidliche Aufprall kam. Sie würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Grelles Licht umfing ihn und plötzlich zogen die Sterne des Universums an ihm vorbei. Er sah Millionen von Welten. Er sah die Menschen, die dort lebten. Einige sahen sogar in seine Richtung und lächelten. Arakis, die Heimatwelt der Hellsing Angels, kam immer näher, bis er sanft auf dem Boden des Planeten aufschlug. Die Festung des Adeptus Mechanicus wuchs aus dem Erdboden vor ihm, bis er vor den riesigen Toren der äußeren Mauer stand. Strafende Blicke der Techadepten ruhten auf ihm, während die Mauern verschwanden und er plötzlich mitten in dem riesigen Audienzsaal des Techpriesters Magus Lamien am Boden lag. Der Priester saß auf seinem Thronsessel und seine Augen blitzten rot vor Zorn. Seine ausgestreckte Hand und die spindeldürren Finger deuteten auf ihn und wiesen dann zur Tür. Er war nicht länger willkommen auf Arakis Prime. War er tot oder träumte er nur? Ein fürchterlicher Schmerz holte ihn wieder in die Welt der Lebenden zurück.
Seine geschlossenen Augenlider hoben sich langsam. Er spürte die Müdigkeit schlafloser Nächte an seinem Bewusstsein zerren, während er doch wieder seine Umgebung wahrnahm.
Es war Bruder Meynard gewesen, der ihm seine Faust ins Gesicht gerammt und ihn so aus dieser Traumwelt zurückgeholt hatte.
„Was ist geschehen?“ wollte Ezekiel wissen. Seine Zunge war fast taub und das Gefühl zerschmetterter Glieder lähmte ihn.
„Helft dem Commander auf!“ befahl der Ordenspriester. Zwei Marines packten ihn und hoben ihn wieder auf die Füße. Ungläubig sah sich Bruder Ezekiel um. Er befand sich an Bord der „Racheengel“. Das Schiff schaukelte sanft durch das Universum, während kleine Asteroiden immer wieder gegen die Panzerung schlugen und harmlos zerplatzten.
Nichts deutete darauf hin, dass sie gerade eben gegen die Flotte der Alpha Legion gekämpft hatten. Keine Schäden oder irgendwelche Verluste an dem Schlachtkreuzer oder einem der anderen Schiffe. Wie war das möglich? Hatte er vielleicht geträumt?
Bruder Meynard sah sehr besorgt aus. Er deutete mit seiner gepanzerten Faust auf ein Objekt vor dem Schiff. Ezekiel folgte seiner Hand und sah...die Forschungsstation oder besser das, was davon übrig geblieben war.
„War die Station intakt, als wir hier angekommen sind?“ Ezekiel wollte lieber erst ein paar einfachere Fragen beantwortet haben, bevor er den tieferen Sinn dieses Wahnsinns verstehen konnte.
„Sie war intakt und voll funktionstüchtig! Genauso wie vor 275 Jahren!“ antwortete Meynard.
„Was ist das nur für ein Alptraum?“ wandte sich der Commander wieder an seinen Freund.
„Es ist kein Alptraum. Die Sensoren zeigen eindeutig an, dass wir gegen die Flotte der Alpha Legion gekämpft haben! Die gleiche Flotte, die damals MX 38 angegriffen und ausgelöscht hat!“
Obwohl Ezekiel das Ganze für einen schlechten Scherz halten wollte, konnte er darüber nicht lachen. Irgendetwas passierte mit ihnen. Es hatte begonnen in dem Augenblick, als er mit seinen Brüdern den Kreuzer der Iron Warriors betreten hatte.
Er musste sich vergewissern. Das Kommando seinem Freund überlassend, zog er sich in sein Quartier zurück. Das Datenbankarchiv der „Racheengel“ war mit den Informationen sämtlicher Raumschlachten seit Anbeginn des Imperiums gefüllt. Dort musste es irgend eine brauchbare Information für ihn geben.
Tatsächlich fand sich eben jene Schlacht wieder, die er und seine Kameraden vor wenigen Stunden geschlagen hatten und die doch bereits 275 Jahre in der Vergangenheit lag. Eine endlose Schlange an Datenbändern flossen durch die Analyse, während der Space Marine die wichtigsten Informationen herausfilterte.
„...Die Flotte der Alpha Legion schlug ohne Vorwarnung zu, schnell und präzise. Der genaue Grund für den Angriff ist bis heute ungeklärt. Obwohl der Kräfteaufwand seitens unserer Flotte enorm war, wurde sie vernichtend geschlagen. Wie heute bekannt ist, trafen die Imperialen Verbände bei Verlassen des Warps auf die kampfbereiten Reserven der Alpha Legion, welche die Schiffe innerhalb kürzester Zeit zusammenschossen, bevor diese Gegenmaßnahmen einleiten konnten...“
Nun folgten noch endlose Texte über Zusammenstellung und Stärken der einzelnen Schiffe, doch Ezekiel wusste genug.
Es bestand nun kein Zweifel mehr, dass sie tatsächlich gegen selbige Alpha Legion Flotte gekämpft hatten. Dies erklärte auch, warum sie bereits auf den Angriff vorbereitet waren. Doch es erklärte nicht Ezekiels Vision, die ihre und die Imperiale Flotte gerettet hatte. Bevor sie hierher gekommen waren, hatte Ezekiel noch nie etwas von dieser Schlacht gehört. Sie war zu unbedeutend gewesen und tatsächlich waren ihm und den anderen Adepten nur glanzvolle Siege des Imperiums in der Ausbildung nähergebracht worden.
Wieso sollte er also wissen, dass der Angriff auf die Reserven und die Flanken der Chaosflotte die Vernichtung der Imperialen Kriegsschiffe verhindern würde?
Während er nachdachte, füllte sich der Raum unbemerkt mit dunklem Nebel, der schnell hinter ihm zusammenfloss. Die aschgraue Masse türmte sich immer weiter auf und nahm die Gestalt eines Space Marines an. Ezekiel bemerkte es nicht. Zu sehr war er mit den Datenkristallen beschäftigt. Das unförmige Wesen näherte sich geräuschlos. Die flüssige Hand griff nach seinen Schultern.
Bruder Ezekiel erwachte urplötzlich. Er musste beim Lesen der vielen Informationen eingenickt sein. Auf dem Bildschirm flimmerte immer wieder eine rote Anzeige. „Datenkristalle gelöscht!“ stand darauf. Hastig gab er ein paar der Begriffe ein, die er sich gemerkt hatte. Doch zu keinem einzigen fanden sich Daten im Speicher. Ein unerträglicher Schmerz packte ihn dort, wo ihn die Kreatur im Traum berührt hatte. Er versank in Bewusstlosigkeit...
...Langsam hob sich der Schleier der Dunkelheit. Ezekiel lag auf seinem Bett in seinem Quartier. Er trug nur seinen Schlafanzug. Wie ein schwerer Kater nach zu intensiven Alkoholgenuss fesselten ihn die Nachwirkungen seines Alptraumes ans Bett.
Als er sich umsah, entdeckte er Bruder Meynard. Der Ordenspriester saß auf einem Stuhl und starrte ihn an. In seinen Blick lagen pure Angst und Verzweiflung. Aus den schwarzumränderten Augen deutete Ezekiel, dass sein Freund wohl schon seit Tagen nicht mehr geschlafen hatte.
„Bruder, was ist los?“ fragte der Commander.
Offensichtlich war er im Wachzustand kurz eingenickt, da er nicht sofort reagierte. Ezekiel packte einen seiner Servostiefel, die vor seinem Bett standen, und schleuderte ihn Richtung Bruder Meynards. Von dem Geschoss überrascht fiel er nach hinten um und kam brummend wieder auf die Beine.
„Was soll das? Behandelt man so einen Kameraden?“ Meynard versuchte, über diese peinliche Situation zu lachen, doch er konnte nicht.
Mit ernster Miene wandte er sich Ezekiel zu: „Bruder, wir haben ein verdammt ernstes Problem!“ Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Doch Ezekiel ahnte schon, welches Problem der Ordenspriester ansprechen wollte. Er ließ ihn gewähren und wollte noch nichts von dem verraten, was ihm in der letzten Zeit passiert war. „Sprich, mein Bruder!“ bat er und Meynard suchte nach den richtigen Worten, um das zu beschreiben, was ihn beschäftigte: „Seitdem wir die Abtrünnigen verfolgen, plagen mich fürchterliche Alpträume. Ich sehe immer wieder dieses Schiff...und die Verräterlegionäre. Sie sind alle tot. Irgendetwas frisst sich durch ihre verdorbenen Seelen. Und während ich es dabei beobachte, fasziniert es mich. Es ruft meinen Namen und dann, plötzlich, ist es verschwunden.“ Während er sprach, schienen seine Augen orientierungslos am Boden zu haften. Seine Stimme klang merkwürdig stockend und verzerrt, fast so, als würde er vor den Toren des Wahnsinns stehen. Er verfiel in einen trancheartigen Zustand. Ezekiel packte seinen Freund am Arm und riss ihn aus der unendlichen Ferne wieder zurück in die Gegenwart. Als würde ein Schatten von ihm genommen, berichtete Bruder Meynard weiter: „Von unserer Besatzung gibt es bisher mindestens 33 Fälle, die ebenfalls solche Alpträume erleiden. Die Männer werden langsam unruhig, denn offensichtlich werden nur jene mit diesen Visionen gepeinigt, die mit dir oder einem der anderen Veteranen des Enterkommandos Kontakt hatten.“
„Was willst du damit sagen?“ Zum ersten Mal packte Ezekiel offenes Misstrauen gegenüber dem Ordenspriester. Irgendetwas verschwieg er ihm und das konnte sehr gefährlich werden.
„Als ihr auf dem Chaoskreuzer gewesen seid, habt ihr irgendetwas mit an Bord gebracht. Dieser Virus infiziert mit der Zeit die ganze Mannschaft.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ fragte Bruder Ezekiel.
„Du musst deinen Kreuzzug zu Ende führen, egal welchen Preis es erfordert!“
„Ich habe es geschworen und genauso werde ich diesen Rachefeldzug zu Ende bringen!“
„Vergiss diesen Schwur, vergiss unsere Ehre. Unsere Ehre haben wir bereits an dem Tag verspielt, als wir in den Laboratorien von MX 38 erschaffen wurden...“
„MX 38?...“ Ezekiel glaubte, sich verhört zu haben. Es war jene Station gewesen, die sie erst vor einigen Stunden gegen die Alpha Legion verteidigt hatten.
War diese Forschungseinrichtung tatsächlich der Ursprung der Hellsing Angels gewesen? Ezekiel wusste keine Antwort darauf. Dunkel waren seine Erinnerungen an seine eigene Entstehung. Nur manchmal nachts peinigten ihn Bilder, wie er in den riesigen Stasistanks in hellgrün erleuchtetem Wasser lag, verbunden mit Kabeln, Schläuchen und mechanischen Instrumenten. Manchmal sah er sogar die Gesichter der Wissenschaftler, die ihn beobachteten, Notizen niederschrieben oder sich über ihn unterhielten. Und immer wieder kam einer dieser Forscher nahe an den Tank heran und presste sein Gesicht auf das Glas. Er konnte nicht erkennen, wer dieser Mann war, aber er kam ihm sehr vertraut vor.
Immer wieder hatte Ezekiel diese Gedanken verdrängt. Bis zu dem Augenblick, als Meynard ihn zum ersten Mal auf die beginnende Verwandlung angesprochen hatte, hatte er seine Visionen unter Kontrolle gehabt.
Doch jetzt, wo der Ordenspriester darauf zu sprechen kam, war alles urplötzlich wieder in sein Bewusstsein zurückgekehrt.
Wieder lag er in dem Tank und wieder kamen die Forscher, sahen sich seine biologischen Werte an und notierten sie auf ihren Datenblättern. Plötzlich floss eine dunkle Masse über den Boden und näherte sich dem Behälter. Ezekiel wollte schreien, doch auf seinem Gesicht saß eine Atemmaske. Er riss sich die Kabel aus seinen Armen und streifte die Maske ab. Er schrie wie ein Wahnsinniger und trommelte gegen die Glaswand, während sich die Flüssigkeit bereits über die Kammer schob. Das Glas sprang an einigen Stellen und es sah so aus, als würde er gleich zerquetscht werden. Rasend vor Angst schlug er wie ein Berserker mit der bloßen Faust gegen die gläserne Hülle. Schließlich gab sie nach und zersplitterte in tausend Einzelteile, die sich tief in sein Fleisch bohrten. Er brüllte vor Schmerzen, während sich ein grinsendes Gesicht aus der dunklen Flüssigkeit formte und nach ihm rief, während es grausig und verzerrt lachte...
Fortsetzung folgt