40k Der LKW

FuNi

Testspieler
28. Juni 2017
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Der LKW

Nein nicht geboren.
Ausgespuckt!
In Gedanken revidierte Darrell die erste Assoziation, die sich eingestellt hatte, als er den LKW am Horizont entdeckte.
Man sagte zwar „so hässlich, dass nur eine Mutter es lieben kann“, doch was da aus der Staubhose hervorgebrochen kam sah mehr aus wie etwas, was eine Mutter angewidert von sich stoßen würde, wenn es ihr der Geburtshelfer hinhielt.
Auf den Punkt gebracht, das Fahrzeug sah aus wie etwas, dass die Einöde loswerden wollte.
Er strich mit dem Zeigefinger über das kleine Rädchen an der Oberseite des Sichtgeräts und der elektronische Zoom holte ihm den LKW heran.
Unmöglich die Farbe auszumachen.
Rot vielleicht, aber das konnte auch auf die Schicht aus Staub zurückzuführen sein.
Seine aufblitzende Abneigung und die blumigen Vergleiche waren natürlich Unsinn. Ein einsamer Springer auf dem Weg nach Golga, na und? Nichts Alltägliches, aber auch nichts Ungewöhnliches. Und waren nicht alle diese LKWs, die Versorgungsgüter zu den Außenposten oder Schrott aus der Wüste zu den Verwertstationen am Stadtrand brachten, ausnehmend hässliche Fahrzeuge?
Wer durch die Ödnis fuhr musste seiner Maschine sein Leben anvertrauen und da galt Funktionalität mehr als ästhetische Gesichtspunkte.
Dennoch...
Darrell vertraute seinen Instinkten nicht blind. Das war Blödsinn, der bei Tieren und in Groschenheften funktionieren mochte, aber nicht im wirklichen Leben. Wie oft stellten sich vermeintliche Instinkte als schlichte Vorurteile oder Irrtümer heraus?
Ganz zum Schweigen konnte man seine Intuitionen dann aber doch nicht bringen und so flüsterte sie leise aber penetrant, dass irgendetwas an diesem Wagen es wert war nicht gemocht zu werden.
Der LKW war bei weitem nicht das größte Exemplar, das Darrel jemals gesehen hatte. Nichtsdestotrotz ein gottverdammtes Monster.
Die langgezogene Schnauze war auf Fahrbahnhöhe mit einem Gitterräumschild bewährt, wie man ihn sonst nur an Zügen zu sehen bekam. Dieser Rammsporn, dazu gedacht Sandwehen und Steine aus dem Weg zu schieben, zeichnete ein zähnefletschendes Grinsen in das Gesicht der Maschine. In Verbindung mit den schrägen Sehschlitzen, welche die Scheibenwischer in die Dreckkruste auf den Fenstern gefressen hatten, verlieh es dem Antlitz des Vehikels eine unangenehme Fratze. Das mochte es sein was Darrel den LKW nicht gefallen lassen wollte.
Natürlich abergläubischer Unsinn.
Ein Lastwagen war ein Ding und irgendwelche Charakterzüge, die man ihm aufgrund seines Aussehens andichtete, sprachen allein dafür, dass der Beobachter etwas zu lange in der Sonne gewesen war. Allerdings gab es andere Aspekte, die sich weniger leicht von der Hand weisen ließen. Etwa die Geschwindigkeit, mit der der Schlepper unterwegs war.
Springer waren chronisch darauf bedacht so sparsam wie möglich zu fahren, jeden Tropfen Kraftstoffverbrauch gegen die Gewinnspanne der Fracht aufzurechnen. Keiner von ihnen würde das Gaspedal bis zum Bodenblech durchtreten, wenn dazu nicht absolute Notwendigkeit bestand.
Noch merkwürdiger wurde dieser Umstand durch die Tatsache, dass der LKW bis eben durch eine Staubhose gefahren war. Die Sicht in diesen unberechenbaren Wetterphänomenen betrug gleich Null und die gängige Methode war anzuhalten und die Sache auszusitzen. Weiterzufahren, dazu noch mit diesem Tempo, war nackter Irrsinn. Räumschild und mannsdicke Reifen hin oder her, eine ungünstige Bodenwelle und der Karren gesellte sich zu den ungezählten, rostigen Wracks, die von Unterschätzung der Wüste kündeten.
„Warum so eilig, mein Freund?“
Murmelte Darrel, an dessen Ohr jetzt auch das entfernte Geräusch des Motors klang. Ein seltsames Echo verzerrte den Laut zu einem Winseln, welches nicht recht zu der bulligen Maschine passen wollte. Das leicht krisselige Bild des Sichtgerätes wanderte über die Karosserie. Zeichen langer Benutzung und entbehrungsreicher Dienstjahre im Transit zwischen den Bastionen der Zivilisation. Wie bei einem uralten Meeresungeheuer zeichneten sich Narben und Dellen auf der metallenen Haut ab. An einigen Stellen deuteten hellere Teile darauf hin, dass hier nachgebessert und ausgetauscht wurde. Helle Flecken, wie Pockennarben, mochten geflickte Einschusslöcher sein. Ein Firmenlogo konnte er ebenso wenig auf der Flanke des LKWs erkennen, wie sich die Fracht eindeutig identifizieren ließ. Ein länglicher Auflieger vielleicht, aber mehr als eine Vermutung ließ der wirbelnde Staub nicht zu. Darrel tastete den LKW noch einmal mit den Augen ab und schwenkte das Sichtgerät dann nach Süden. Er vermutete, dass der Kurs des LKWs etwa zwei Kilometer an der Position der Stadtbälger vorbei führen würde.
Er hatte die Kids vor etwa einer Stunde kontrolliert. Zwei junge Burschen und ihre Freundinnen. Dezent aufgespritzte Lippen, makellose Brüste und kleine weiße Perlmuttzähnchen die Mädesl, Muskeln und künstlich gebräunte Haut die Typen.
Gottverdammte Hochglanzmagazinmenschen!
Sie waren freundlich zu ihm gewesen. Hatten ihm die Papiere des Fahrzeugs gezeigt, ihre ID und die Besitzerlaubnisse für die Jagdgewehre und Pistolen. Auf Mutanten waren sie aus, so hatten sie Darrel erklärt und tatsächlich war an der Ladefläche ihres chromglänzenden Pickups eine Kranwinde befestigt gewesen. Wie so ein Teil mit dem man Fische aus dem Wasser hieven und sich grinsend neben dem zur Schau gestellten Kadaver ablichten lassen konnte. Nur das es eben keine Fische, sondern mutierte Menschen waren, auf die Mamas und Papas Lieblinge da zum Halali bliesen.
Nicht das ihre Aussichten auf Erfolg besonders überwältigend gewesen wäre. Der Sinn stand ihnen wohl eher danach ihre Nobelkarosse ein bisschen mit Staub einzusauen, sich die Stürme anzusehen, zu trinken und vielleicht ein bisschen rumzumachen. Bevor die Nacht über das Land kam würden sie wieder in der oberen Etage der Stadt sein und auf irgendwelchen Stimulanzpartys Designerdrogen einwerfen.
Darrel konnte nicht aus eigener Anschauung bestätigen, dass so was wirklich in den Türmen abging. Die Aussicht, dass ein Grenzer wie er jemals mehr von der Oberstadt sehen würde, als die hell erleuchteten Türme, die nachts wie Nadeln in den Sternenhimmel stachen, war doch eher gering. Also verließ er sich auf das was er von anderen hörte, die es möglicherweise besser wussten, wahrscheinlich aber nicht.
Bei der Kontrolle waren sie höflich gewesen. Die Jungen hatten ihn mit „Herr Grenzpolizist“ angesprochen, die Mädchen artig die Augen niedergeschlagen und nichts gesagt. Ganz so wie es die Etikette der feinen Leute verlangte. Aber seine Mutter hatte keinen Idioten großgezogen und Darrel wusste sehr genau wann er verarscht wurde. Unter der Oberfläche dieses zuvorkommenden Getues schwamm herablassender Spott. Er konnte sich vorstellen wie sie losgeprustet hatten, kaum dass er sich an den Hut getippt und von dannen gezogen war. Der verschwitzte Grenzhauser, der sich toll dabei vor kam vier besseren Herrschaften aus der Oberstadt zu befehlen ihm ihre Papiere zu zeigen.
Alles in Ordnung Freunde, schönen Tag noch.
Er hatte den Wagen der Vier entdeckt und zoomte heran. Das Fahrzeug stand hinter einer kleinen Anhöhe, wo sie den schlimmsten Auswirkungen des Staubsturms entkommen waren.
Seine Vermutungen waren in die richtige Richtung gegangen, denn rings um das Auto brach sich das Sonnenlicht auf weggeworfenen Bierdosen. Eine dieser Büchsen sprang in die Höhe und keine Sekunde danach drang auch der Schussknall an Darrels Ohr. Einer der Burschen stand auf der Ladefläche und feuerte auf die vorher geleerten Dosen. Schön wenn man so verschwenderisch mit Munition umgehen konnte. Seine Vorhersage war korrekt gewesen. Um diesen Kids zum Opfer zu fallen musste ein Muti schon selten dämlich sein, was sich mit dem Überleben in der Wüste ausschloss. Während einer der Wochenendhelden seine Schießkünste an dem selbst produzierten Müll ausließ, stand eines der Mädels bei ihm und himmelte ihn an.
Die anderen beiden trieben es auf der Motorhaube.
Was?
Er zoomte noch einmal heran und befeuchtete sich die Lippen, während das Bild langsam die Schärfe nachjustierte.
Nein, soweit waren die beiden da unten dann doch noch nicht. Sie schienen zu tanzen. Wenn man das denn so nennen wollte. Er hing halb auf der Motorhaube und sie rieb sich an ihm wie eine rollige Katze. Das sie dabei ihr Oberteil ausgezogen hatte und ihre Verrenkungen nur im BH oder einem Badeoberteil absolvierte sah zugegebenermaßen ansprechend aus, würde ihr jedoch morgen einen Sonnenbrand und wenn sie Pech hatte, in ein paar Jahren Hautkrebs einbrocken.
Wie dem auch sei, für den Moment genoss Darrel die Show.
Er fragte sich, ob denen da unten bewusst war, dass er sich beobachtete und ob die beiden vielleicht nur deswegen so loslegten. Nun vermutlich nicht und wenn doch, machten sie sich entweder einen Spaß daraus oder es war ihnen schlicht egal, ob so ein verstaubter Leguanfresser wie er sie bei ihrem Treiben begaffte. Sein schlechtes Gewissen jedenfalls hielt sich in Grenzen und er war tatsächlich enttäuscht, als sich die blonde Ballkönigin ihr Shirt wieder überwarf. Ihre Haut würde es ihr danken, aber es war trotzdem schade.
Als er mit einer weiteren Drehung an der Justierung das Bild wieder etwas weiter fächerte, sah er warum die kleine Darbietung so rüde unterbrochen wurde. Das andere Mädchen hatte sich auf der Ladefläche auf die Zehenspitzen gestellt und konnte damit über die kleine Felsformation spähen, hinter der sie geparkt hatten. Aufgeregt deutete es nach Westen.
Auf den hässlichen LKW.
Für eine angenehme Minute oder zwei, hatte Darrel den Springer schon wieder völlig vergessen und es stieß ihm umso saurer auf, dass er nun wieder an ihn erinnert wurde. Kurz zuckte sein Blick zu dem Fahrzeug. Immer noch nicht mehr, als ein herandonnernder Komet aus aufgewirbeltem Dreck. Die Augen wieder auf die Jugendlichen gerichtet, war nun zu sehen, dass sich alle Vier auf der Ladefläche versammelt hatten und in Richtung des LKWs spähten, die Augen durch beschirmende Hände an der Stirn gegen die unbarmherzige Sonne schützend. Eines der Mädels hüpfte auf und ab und winkte dabei euphorisch, was ihre Brüste anschaulich in Bewegung versetzte. Der Kerl mit dem Gewehr riss plötzlich seine Waffe an die Schulter und zielte.
Darrel zog scharf die Luft ein und legte seine Linke instinktiv auf den Griff seiner Pistole.
Eine gleichsam unbewusste, wie unnütze Geste.
Der Junge wurde vom Rückstoß seiner Waffe leicht in die Knie gedrückt, der Lauf ruckte hoch.
Der Knall jedoch blieb aus und der Klaps, dem ihm eines der Mädchen auf den Oberarm versetzte, ließ erkennen dass der Bursche nur so getan hatte als ob.
Die vier schienen sich zu beraten und als Darrel schon dachte, sie hätten das Interesse an dem LKW verloren, kam plötzlich Bewegung in die Truppe.
Ein Pärchen blieb auf der Ladefläche, die anderen beiden kletterten nach vorn und bestiegen die Kabine. Staub spritze auf, als sich die Räder des schweren Geländewagens durchdrehten und das Auto dann mit einem Satz nach vorn sprang. Die beiden auf der Ladefläche mussten sich an dem Scheinwerferaufbau festklammern, ihr Gebaren deutete jedoch nicht darauf hin, dass sie sich an der holprigen Fahrt störten. Vielmehr ließen die aufgerissenen Münder und in die Luft boxenden Fäuste darauf schließen, dass sie sich königlich amüsierten und ihren Kumpel zu mehr Geschwindigkeit und höherer Wahrscheinlichkeit einer selbst verschuldeten Katastrophe anspornten.
„Tut das nicht Freunde!“
Springer waren an sich keine schlechten Kerle, jedenfalls nicht die, die Darrel bisher kennengelernt hatte. Aber sie waren auch oftmals durch die lange Einsamkeit und die Bedrohungen der Wüste verschroben und eigenbrötlerisch. Wer permanent mit Wetterkapriolen und Mutantenangriffen rechnen musste, der hatte für gewöhnlich nichts übrig für dumme Streiche. Das konnte schief gehen, aber er konnte auch niemanden davon abhalten neben einem Lastwagen herzufahren, der in Richtung Stadt rollte.
Er hoffte inständig, das die Kids es nicht übertrieben und das der Springer besonnen genug war, sich nicht irgendwie provozieren zu lassen und allzu schnell mit der Schrotflinte bei der Hand war.
Der Pickup hielt seitlich auf den Lastwagen zu. Dieser war gewiss schnell, konnte sich aber kaum mit der Höchstgeschwindigkeit des überzüchteten Nobelspielzeugs messen. Immerhin schien sich der Fahrer, so er die Aktion in seinem Kosmos aus brüllendem Motorenlärm und Staub überhaupt bemerkt hatte, nicht von seinem Tun abbringen zu lassen. Er wurde weder langsamer, noch versuchte er Abstand zu gewinnen oder die Halbstarken auch nur durch das Betätigen des Horns auf die Dummheit ihres Tuns aufmerksam zu machen.
Die Kids waren dem Sattelschlepper entgegen gefahren und ließen Darrel dadurch genug Zeit sein weiteres Vorgehen zu überdenken. Viel mehr als den stillen Beobachter zu spielen konnte er im Augenblick freilich nicht tun. Sich wie Arschlöscher zu benehmen und anderen Leuten auf die Eier zu gehen war hier draußen genauso wenig verboten wie seine leeren Bierdosen wegzuwerfen. Das war schließlich die verdammte Wüste.
Den Pickup zu beobachten war schwierig, denn die Sonnenreflektionen auf den verchromten Teilen des Autos stachen in den Augen.
Darrel klappte den Filter über die Linse. Damit war es erträglich.
Ah, sie hielten sich jetzt auf gleicher Höhe mit dem LKW, inzwischen ungefähr auf gerader Linie mit seiner eigenen Beobachtungsposition. Der Pickup war ein wuchtiger Wagen, nahm sich neben dem Koloss aber geradezu lächerlich klein aus. Der jugendliche Fahrer ließ das Auto zwei, drei Mal hin und her schlingern, wobei er jedoch keineswegs hinter dem Sattelzug zurück blieb.
Das Mädchen auf der Ladefläche hielt sich mit beiden Händen am Aufbau fest und hüpfte dabei wie irre auf und ab. Es sah aus als schrie sie etwas zum LKW rüber. Darrel fragte sich, ob sie irgendetwas eingeworfen hatten, was sie so die Gefahr missachten ließ. Das man sich in jungen Jahren für unsterblich hielt war ihm schon klar, schließlich war es ja bei ihm auch noch nicht so lange her. Das da unten aber war glatter Irrsinn. Eine unebene Stelle, eine Sekunde, in welcher der Fahrer die Kontrolle über den Pickup verlor und das Pärchen auf der Ladefläche machte einen Abgang. Wenn sich nicht gleich der ganze Wagen überschlug.
Jetzt setzen sie sich vor die Schnauze des LKWs, scheinbar frustriert darüber ignoriert zu werden. Der Bursche auf der Ladefläche leerte eine Bierdose und warf sie nach hinten.
Das funkelnde, sich überschlagende Objekt wurde von der Staubbestie verschluckt.
Das Mädchen riss ihr Shirt hoch und zeigte dem Springer was sie hatte.
Keine Reaktion, kein Hornsignal, kein Langsamerwerden oder Versuch auszuweichen.
Der Sattelzug wirkte geradezu stoisch.
Eigentlich machte der Typ am Steuer dieses hässlichen Wüstenschlachtschiffs genau das Richtige. Er ignorierte diese Gören, so wie ein geduldige Vater seine überdrehten Kinder ignorieren würde, in dem Wissen, dass er ihnen dadurch die Lust an ihrem Unsinn mehr nahm, als es jedwede Reaktion tun konnte.
Oder wie ein Alligator, der sich nicht um kleine Vögel kümmerte, die auf seinem tödlichen Maul herum hüpften.
Welchen Vergleich man auch bemühte, es schien jedenfalls tatsächlich zu funktionieren. Der Pickup verließ seine Position vor der Front des LKWs, fuhr auf einer Höhe mit der Zugmaschine, ließ sich langsam aber sicher zurückfallen, genauso wie die Kapriolen der hinteren Passagiere an Elan verloren.
Darrel entspannte sich.
Ein weiteres Zeugnis dafür, was er über Leute, gerade wohlhabende, junge Leute, aus der Stadt wusste und gehört hatte. Man konnte nur hoffen, dass sie daraus lernten, dass nicht jeder Mensch gewillt war auf ihre Launen einzugehen. Es stand zwar zu bezweifeln das...
Der LKW zog nach rechts!
Darrel blinzelte, mehr erstaunt als erschrocken und drückte das halb abgesetzte Sichtgerät wieder gegen die Nase.
Der schwere Lastwagen hatte nur einen kleinen Schlenker zur Seite gemacht. Für den Fahrer sicherlich kaum mehr als ein leichter Zug am Lenkrad, doch die Wirkung war nichtsdestotrotz fatal. Die Maschine touchierte das Auto, welches sich neigte und zur Seite ausbrach. Jetzt war überall Staub und für einen furchtbaren Augenblick glaubte Darrel das schreckensverzerrte Gesicht des Mädchens ausmachen zu können, als sie über die Umrandung der Ladefläche fiel.
„Verfluchte Scheiße!“
Er kämpfte den Drang nieder direkt zu seinem eigenen Wagen zu laufen und um Hilfe zu funken. Das würde er natürlich tun, doch er musste sich die Sekunde zurücknehmen, die er brauchte um die Situation besser einschätzen und entsprechend melden zu können.
Der LKW- Fahrer, dieser miese Bastard, fuhr weiter als wäre nichts gewesen. Egal, den würde er sich schnappen wenn er bei den Kids gewesen war, oder man brachte ihn spätestens an einem Einfahrtstoren der Stadt zur Strecke. Es war schließlich nicht so, dass sich dieses Monster großartig verstecken konnte und die Stadt war der einzige Anlaufpunkt im Umkreis von tausenden Rundmeilen.
Aber eins nach dem anderen.
Er fokussierte seinen Blick auf den verunfallten Pickup und stellte mit einiger Erleichterung fest, dass das Auto wenigstens nicht umgekippt war.
Das Gefährt hatte Schlagseite. Vielleicht war bei der kleinen Schleuderpartie ein Reifen von der Felge gesprungen. Auf der rechten, nun tiefer liegenden Seite, hatte der Pickup eine Sanddüne vor sich aufgeschoben. Diese hatte das ausbrechende Fahrzeug nicht nur gebremst, sondern wohl auch vor dem Umkippen bewahrt.
Das Pärchen stieg aus der Fahrerkabine. Sie hielt sich den Arm, er massierte seinen Nacken.
Aber alles in allem schienen sie mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Nun erkannte Darrel auch, dass der Junge von der Ladefläche noch genau dort war. Es hatte ihn von den Beinen geholt und er war der Länge nach hingeschlagen, doch auch ihm waren wohl einfach nur die Knochen ein bisschen zum Klappern gebracht wurden. Naja vielleicht ein wenig mehr als das, denn der Zoom zeigte einen Blutstrom, der im von der Nase abwärts das Gesicht verschmierte.
Blieb noch das Mädchen.
Er hoffte inständig, dass sie nur in den Staub gefallen war.
In diesem Moment hoffte er dies nicht einmal um seiner selbst Willen, nicht aus Furcht vor dem Zorn des Papas, der sicherlich weniger Himmel und mehr Hölle in Bewegung setzen würde um ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass er sein Töchterlein zwar der Ausweise wegen kontrolliert, sie aber nicht vor einem wahnsinnig gewordenen Springer bewahrt hatte. In diesem Moment hoffte er um des Mädchens Willen, dass sie sich nur die gemachte Nase im Staub etwas verbogen hatte, dass im schlimmsten Fall ein Arm gebrochen war. Allein, er konnte sie bei den Schwaden aus feinem Staub in der Luft nicht entdecken. Also setzte er das Sichtgerät ab und spurtete zu seinem eigenen Wagen, dabei das Bild verdrängend, was passiert sein mochte, wenn sie bei ihrem Sturz noch so nah am LKW gewesen war das...
Darrel riss die Tür auf und griff nach dem Funkgerät, alle fruchtlosen Spekulationen so gut als möglich verbannend. Das Sprechgerät wechselte in die Linke, damit er den Motor starten konnte.
„Randposten Fünfzehn Drei an Zentrale, kommen!“
Er ließ die Sprechtaste im gleichen Moment los, in dem der Wagen zum Leben erwachte. Der Motor kündete mit einem Brüllen von den vierhundert PS, die ihm innewohnten und blies den Staub aus den vier Ansaugstutzen, als blähe er die Nüstern in Freude darüber die eigene Kraft einmal mehr erproben zu können. Der Wagen schoss vorwärts, während im Inneren eine automatisierte Stimme aus dem Empfänger knisterte.
„Momentan sind alle Kanäle überlastet oder aufgrund von wetterbedingten Störungen nicht verfügbar. Hinterlassen sie eine Nachricht. Diese wird schnellstmöglich an die zuständigen Stelle weitergeleitet.“ Derartiges war so üblich, dass Darrel sich nicht einmal die Mühe machte darüber zu fluchen. Wer am Rand war, der war allein, auf sich gestellt. Alles andere waren Ausnahmen von der Regel. Ein Signalton ertönte und er drückte erneut die Sprechtaste.
„Diese Nachricht muss an die zentrale Einsatzleitung der Wüstenausläuferüberwachung weitergeleitet werden.“ Er wartete kurz um eine klare Trennung zu haben. „Hier spricht Fünfzehn Drei, ich befinde mich bei Markstein Fünfzehn, Ringkilometer Vierzehn.“ Kurz huschten seine Augen von der Piste auf den kleinen Positionsbestimmer, der wie wild in seinem flüssigkeitsgefüllten Gehäuse schwamm und die holprige Fahrt auszugleichen versuchte.
„Über Vierzehn mit drei Strich. Unfall mit erwartetem Personenschaden, möglicherweise Verursacherflucht. Beschreibung Verursacher folgt nach Erstversorgung. Benötigt wird ein Rettungsflieger zu angegebener Position.
Fünfzehn Drei Ende.“
Er hängte das Sprechgerät wieder in die Gabel, nahm sich Zeit hochzuschalten und legte dann beide Hände auf das Lenkrad. Er hatte jetzt die natürliche Rampe passiert, welche den Zugang zu seinem Beobachtungshügel darstellte und trat das Gaspedal durch. Kurz blickte er aus dem Seitenfenster und stellte erleichtert fest, dass der Staubsturm von ihnen weg zog.
Wenigsten etwas!
Während er noch einen Gang höher schaltete, nahm er auf der anderen Seite des kleinen Ausschnitts Wüste, welchen ihn die verdreckte Windschutzscheibe zu sehen gestatte, wahr, dass der LKW keineswegs floh um sich seiner Verantwortung zu entziehen. Vielmehr hatte der Springer in einem weitläufigen Bogen gewendet und kam nun zurück. Dafür gab es zwei mögliche Erklärungen.
Nummer Eins, der Kerl hatte gar nicht mitbekommen was passiert war, weil seine Maschine durch das Rammen des Autos nicht mehr tangiert wurde, als führe sie über einen größeren Stein oder durch eine Bodenwelle. Bei der Fahrweise des Springers war beide sicher keine Seltenheit. Jetzt hatte der Bursche einen Blick in den Rückspiegel geworfen und das Schlamassel gesehen. Dann kam er vielleicht zurück um zu helfen. Wie gesagt, diese Typen waren verschroben und vierschrötig, ließen für gewöhnlich aber auch niemanden in der Wüste zurück ohne zu helfen.
Das wäre die angenehmere Variante.
Version Nummer Zwei war weniger vom Hauch der Nächstenliebe umweht und beinhaltete einen skrupellosen Wichser, der nicht nur einen Unfall verursacht und den Tot von vier Menschen billigend in Kauf genommen hatte, sondern der auch nicht gedachte Zeugen für seine Tat zu hinterlassen.
Darrel legte einen Kippschalter um, woraufhin die Lichtsirenen auf dem Dach seines Wagens zum Leben erwachten. Sie sandten in kurzen Intervallen weißes Gleißen nach allen Seiten. Die Intensität dieses Signals war stark genug, dass man es selbst bei hochstehender Mittagssonne bis zum Horizont zu erkennen vermochte. Der LKW musste es sehen und realisieren, dass hier ein Wüstenbulle Zeuge der ganzen Sache gewesen war. Kein Springer war so dumm sich mit einem aus dem Corps der Randposten anzulegen.
Die Kids hatten ihn auf jeden Fall gesehen. Einer der Jungs stand auf der Motorhaube und winke wild in seine Richtung. Der Sattelschlepper drehte derweil nicht ab, was eigentlich ein gutes Zeichen hätte sein müssen. Trotz der Anwesenheit eines Ordnungshüters schien er helfen zu wollen. Das Darrel dennoch wünschte er wäre näher an der Unfallstelle als der LKW lag daran, dass das rostige Ungeheuer nicht langsamer wurde.
Sein Wagen war schnell, doch der Schlepper war näher dran und jetzt war seine Absicht nicht mehr wegzudenken. Die Abgasfahnen der senkrechten Zwillingsauspuffrohre standen fast waagerecht. Die Jugendlichen winkten immer noch wie irre in seine Richtung, deuteten auf die Stelle wo der LKW sie gerammt hatte. Sahen oder hörten sie dieses heranstürmende Gebirge aus Metall etwa nicht? Waren sie denn blind?
Nein, jetzt drehte sich der Bursche auf der Ladefläche um und auch wenn er für einen Moment so aussah, als wäre er wie vom Donner gerührt regte er sich doch plötzlich.
Was er tat war freilich die größte Dummheit, die ihm hätte einfallen können. Unvermittelt hatte er wieder das Jagdgewehr in der Hand und schien es auch zu benutzen. Genau konnte Darrel das nicht erkennen, da seine eigene kleine Welt aus Motorenlärm Vibration, Geruckel und einem kleinen, verdreckten Sehschlitz von Windschutzscheibe bestand. Alles in Allem nichts, was ihm die Umgebung in Brillanz wahrnehmen ließ. Dennoch meinte er über den Krach seiner eigenen Maschine das Astknacken entfernter Schüsse zu hören. Gut möglich, dass der Junge sogar Glück hatte und den Fahrer erwischte. Die ganze Sache würde dadurch zwar auch nicht weniger kompliziert werden, aber vielleicht verhinderte der Bursche damit, dass er und seine Freunde ihr Leben in dieser unsterbenswerten Gegend ließen.
Das verbliebene Pärchen ließ sich zu einer weniger heldenhaften, aber wie Darrel fand, sehr viel verständlicheren Reaktion hinreißen. Sie rannten, er sie dabei an der Hand hinter sich herziehend.

Der LKW traf den Pick-Up!

Der Wagen zerplatze regelrecht. Als das Schiebeschild und dann die hässliche Schnauze durch das Fahrzeug brachen, als sei es nicht viel mehr, als eine weitere Sanddüne. In einer Kaskade aus Lichtreflexen flogen Teile nach allen Seiten, Der Motorblock, oder besser der verdrehte Schrott, der er einmal gewesen war, segelte als brennender Brocken Schlacke davon. In dem Chaos des Aufpralls sah Darrel für einen Herzschlag ein rotes Aufblühen, welches sich sogleich mit der Staubwand vereinte. Er musste unwillkürlich an einen fetten Käfer denken, der auf die Windschutzscheibe klatschte. Sein Magen schlug einen Salto und das lag nicht am Tempo seiner Fahrt.
Der LKW hupte mit dem Triumpfgebrüll einer urzeitlichen Bestie. Brachial und gleichzeitig fröhlich.
Die beiden Flüchtenden hatten ebenso wenig eine Chance auf Überleben, wie Darrel eine Chance hatte sie rechtzeitig zu erreichen.
Sie blickten sich immer wieder nach dem Monstrum in ihrem Nacken um, welches den Abstand spielerisch schrumpfen ließ. Der Grenzer brüllte vor Frustration, hieb zornig gegen den Wagenhimmel, als wolle er ein störrisches Reittier zu mehr Geschwindigkeit anspornen. Sein Dienstwagen arbeitete an der Leistungsgrenze und die Temponadel des Tachometers zitterte im roten Bereich. Das Paar starb in keinster Weise so, dass es für eine romantische Erzählung als Stoff hätte dienen können. Dafür war nicht nur die Art des Verhängnisses verantwortlich, sondern auch der Umstand, dass der Bursche die Hand seiner Freundin abschüttelte und dem Tod so einige Meter abtrotzte. Das war keine schöne Sache, auch wenn Darrel es auf beschämende Art und Weise nachvollziehen konnte.
In den letzten Sekunden waren sich vermutlich die meisten Menschen selbst der Nächste.
Das Mädchen wurde von dem LKW regelrecht verschluckt. In einem Moment war sie noch da, dann kam die Bestie über sie und tilgte sie schlicht und unspektakulär vom Angesicht dieser Welt. Kein Blut, keine fliegenden Gliedmaßen, zumindest nicht so das man sie ausmachen konnte. Was sich in der Bugwelle aus Staub abspielte sah gewiss anders aus.
Der Junge drehte sich vor dem Ende noch einmal um, blickte seinem Verfolger in die hässliche Fratze. Dann war auch er an der Reihe. Das schnelle Ableben seiner Gefährtin war ihm nicht vergönnt. Darin mochte eine Ironie, ausgleichende Gerechtigkeit liegen, oder schlichtes Pech. Der LKW nahm ihn auf die Hörner und für schrecklich lange Sekunden konnte der heranrasende Polizist mit ansehen, wie der Bursche schreiend auf dem Räumschild der Zugmaschine hing. Wie er den Aufprall überlebt hatte blieb Darrel schleierhaft, aber das kreideweiße Gesicht in dem Wirbel aus rotem Staub lebte definitiv noch.
Sekunden, die sich zu Ewigkeiten zu strecken schienen, hing der Junge zwischen den rostigen Zähnen der Bestie, wie eine grausige Kühlerfigur oder eine Jagdtrophäe. Dann rutschte er langsam. Er wurde Stückchenweise unter den Stahl gezogen und verschwand schließlich ganz.
Der LKW wurde ein wenig langsamer, Darrel nicht.
Er hielt direkt auf das Fahrzeug zu, steuerte mit einer Hand und zog mit der anderen seine Pistole. Es war eine schwere Waffe, dazu bestimmt dem Gesetz auch in den gesetzlosesten Gegenden Geltung zu verschaffen. Trotzdem, nicht einmal die Hohlspitzgeschosse würden bei dieser Geschwindigkeit eine Wirkung auf die Reifen des LKWs haben. Noch so ein Groschenheftmythos. Das Zerschießen von Reifen in voller Fahrt war alles andere als ein Leichtes. Die Kugeln prallten von den sich schnell drehenden Rädern ab. Außerdem hatten diese Lastzüge oftmals verstärkte Doppelreifen. Doch selbst wenn er all diese Fakten nicht gewusst hätte, Darrel hatte nicht die Absicht dem Bastard nur die Reifen zu zerschießen.
Die jungen Städter hatte er nicht retten können, blieb also nur sie zu rächen.
Er ging vom Gas, trat die Bremse und ließ den Wagen herumschleudern. Die Fliehkraft war so groß, dass sich sein Gefährt fast einmal um die eigene Achse drehte. Darrel ließ es geschehen, senkte den Fuß wieder auf das Gaspedal und verfolgte den LKW jetzt auf gerader Linie, schloss schnell auf. Der Mordwagen ließ sich von seinem Verfolger nicht stören. Er lenkte leicht ein, um im weiten Bogen auf seinen ursprünglichen Kurs zurück zu finden. Der Mord an den vier Jungendlichten kaum mehr als ein kurzes Intermezzo, eine heitere Unterbrechung einer ansonsten langweiligen Fahrt durch die Wüste.
Darrel tauchte in den Schweif aus Staub ein. Spielerisch kam er auf eine Höhe mit der Fahrerkabine. Dieser Vorteil war umso schmerzlicher, da er nicht schnell genug gewesen war um den Kids beizustehen. Das Protokoll sah vor, dass er den Schlepper über den Lautsprecher auf dem Dach anrufen und zum Anhalten auffordern sollte. Doch das würde nicht geschehen. Ein Knopfdruck an der Lenkradarmatur ließ die Scheibe auf der Beifahrerseite herunter gleiten. Heulend brach der Fahrtwind ins Wageninnere ein und brachte roten Staub, Hitze und brüllenden Motorenlärm mit sich. Mit Zeigefinger und Daumen schob Darrel sich die Schutzbrille vor die Augen, das Halstuch vor Mund und Nase. Die Pistole legte er dabei nicht aus der Hand. Vielmehr klickte er den Sicherungshebel um und die verchromte Schutzkapsel an der Front der Waffe teilte sich und gab den Lauf frei.
Der LKW stieß nach ihm! Er schwenkte träge aus, ein halbherziger Versuch den Polizeiwagen zu rammen, kaum mehr als ein Büffel, der mit dem Schwanz nach lästigen Fliegen schlägt. Dem Angriff zu entkommen war ein Leichtes, ein kleines Rucken am Lenkrad und das Auto entzog sich dem Stoß. Darrel musste ohnehin etwas Abstand gewinnen um die hoch liegende Fahrerkabine ins Visier zu bekommen.
Er hob den Arm, zeigte mit der Mündung auf Tür und Seitenfenster des LKWs.
Er feuerte!
Die Pistole bockte in seiner Faust, einmal, dreimal, fünfmal, dann ein siebtes Mal. So schnell wie Darrel befähigt war den Finger zu krümmen spuckte sie ihre tödlichen Insassen auf den Schlepper. Ein kleiner Kreis aus silbernen Stanzlöchern entstand dort, wo der Polizist den Fahrer vermutete, dann zeichneten zwei Kugeln Spinnennetze in die dreckverkustete Scheiben. Das Glas zersprang nicht, auch wenn Darrel sicher war, dass seine Munition selbst durch das kugelsicheres Glas gedrungen sein würde.
Was Folgte untermauerte seine Vermutung.
Der LKW bremste abrupt ab. Die Kaskaden aus Staub steigerten sich noch einmal. Der Polizeiwagen schoss weiter, während der Laster langsamer wurde. Kreischende Bremsen, in der alles umhüllenden Wolke brach der Auflieger unvermittelt aus, schwenkte nach einigen Metern wieder hinter der Zugmaschine ein, schlingerte in die andere Richtung, drohte für einem Moment zu kippen und fing sich dann. Der Bremsweg war lang doch schließlich kam der LKW tatsächlich zum Stehen. Auch Darrel wurde langsamer, fuhr eine Kurve und näherte sich dem gefällten Monster im Schritttempo. Träge verzog sich die rote Wolke und gestatte nun erstmals einen ganzheitlichen Blick auf das waidwunde Ungeheuer. Die Fracht des Fahrzeuges stellte ein Konstrukt dar, das an einen Tank gemahnte, aber keinerlei Deckel oder Befüllungsöffnungen aufwies. Unter als dem verharschten Schmutz war eine Farbe schwerlich auszumachen, auch wenn Darrel auf irgendetwas in Richtung weißlich tippte. Nun, wo der Motor seines eigenen Wagens, mit dem Langsamerwerden etwas weniger brachial röhrte, konnte er hören, dass von dem LKW ein durchgehender Hupton ausging. Ansonsten zeigte das Vehikel keinerlei Aktivität mehr.
Der Wagen hielt knirschend auf dem steinigen Boden. Ohne den Blick von der durchgehend hupenden Bestie zu nehmen, schob er ein neues Magazin in die Waffe und wartete auf das kurze Doppelpiepen, welches den korrekten Ladezustand bescheinigte. Dann öffnete er die Tür und stieg aus.
Er näherte sich zügig aber nicht überhastet, die Waffe in die Armbeuge der angewinkelten Linken gelegt. Sein Blick zuckte zu dem Räumschild, in dessen verbeulter unterer Hälfte Steine steckten. Weiter oben hatte sich etwas verfangen, was von der Größe her auch ein Stein hätte sein können, ihn aber aus entsetzten, wenngleich leblosen Augen anstarrte. Darrel gönnte sich keinen Moment des Ekels. Auskotzen konnte er sich, wenn das ganze hier vorbei war.
In gemessenem Abstand hatte er die lange Schnauze des LKWs hinter sich gelassen und kam nun auf Höhe der Fahrertür.
„Hey!“ Versuchte er das Quäken der Hupe zu übertönen, deren Nerv tötendes Monotongeräusch langsam in den Ohren zu schmerzen begann.
Keine Reaktion. Dort wo die Tür mit dem Rahmen der Kabine abschloss, tropfte es rot heraus. Auf dem Trittbrett hatte sich bereits eine kleine Lache gebildete, auf der sich Staubkörner von gleicher Farbe abzeichneten. Darrel war versucht noch ein Magazin durch die Tür zu jagen, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Ließ es dann aber. Er wollte in seinem Bericht nicht mehr Protokollbrüche verschleiern müssen als nötig.
Langsam näherte er sich der Seite, Schritt für Schritt. Wäre in diesem Moment das Hupen verstummt, er hätte die Kabine trotz aller Überlegungen zersiebt. Aber das geschah nicht. Quälend dröhnte das Signalhorn vor sich hin. Halb um es endlich hinter sich zu bringen, halb um das Geräusch abzuwürgen, setzte er einen Fuß auf den untersten Tritt, riss die Tür auf und sprang im selben Moment zurück.
Die Tür schwang auf, etwas zögerlich, da sie durch ihr Alter und das eigene Gewicht schräg in den Angeln hing. Aus dem Inneren der Kabine drang ein erbärmlicher Gestank. Ein Geruch nach altem Schweiß, verbrauchter Luft, Fäkalien, Blut und undefinierbarer, schwerer Süße. Der Fahrer hing zusammengesackt auf dem gewaltigen Lenkrad. Doch nicht sein vornübergebeugter Körper hatte die Hube ausgelöst, wie Darrel es vermutet hatte. Vielmehr war der rechte Arm des Truckers nach oben verrenkt und hing schlaff im Seilzug des Signalhorns. Richtig, diese Wüstenschiffe hatten meist Zughupen der alten Art. Diesen Irrtum seinerseits nahm Darrel jedoch nur am Rande wahr. Zu sehr war er von dem Toten eingenommen. Was war das für ein Typ?
Der Kerl trug eine Art Schutzanzug, oder eher noch eine Rüstung. Metallplatten schützen den Körper. Rot mit goldenen Applikationen, alles verschnörkelt und verziert. Er wusste nicht woher, doch das Wort „Barrock“ trieb durchs Darrels Geist. Kunstvoll und verspielt, dabei doch aggressiv, wie ein bösartiges Insekt, dessen schillernder Panzer nicht über die Zangen des Kiefers hinwegtäuschen können. Der Tote, dass er tot war verrieten die Einschusslöcher in der Seite, aus denen dunkles Blut träge hervor sickerte, hatte eine Atemflasche auf dem Rücken. Unmöglich sich damit bequem im Sitz zurückzulehnen, er musste permanent vorgebäugt und verkrampft hinter dem Lenkrad gehockt haben. Schwarze Schläuche führten zu einer Maske, die in ihrer Gestaltung an die Fratze irgendeines Fabelwesens oder Dämons gemahnte.
„Was zur Hölle bist du denn für einer?“ Fragte er den Leichnam durch das dämpfende Tuch vor seinem Gesicht hindurch. Die Leiche blieb ihm die Antwort schuldig. Dass der Fahrer nicht nur den Toten spielte um seinen Angreifer zu täuschen war ziemlich eindeutig. Die abstruse Rüstung hatte der panzerbrechenden Munition des Polizisten keinen wirklichen Widerstand leisten können. Vier der abgegebenen Schüsse hatten ihr Ziel gefunden und da das Blut nur mehr aus den Wunden tröpfelte, stand kein funktionierendes Herz mehr dahinter, welches die Zirkulation vorantrieb. Darrel steckte die Waffe in das Halfter zurück und setzte erneut einen Fuß auf den Tritt. Er drückte sich hoch und lehnte den Oberkörper in die Kabine. Wenn der Tote dieses Atemgerät benutzt hatte um dem selbst fabrizierten Gestank zu entgehen, dann hatte er gut daran getan. Darrel würgte ob der Dünste, die die Kabine beherrschten. Er zerrte am Arm des Toten herum, um ihn aus der Leine des Signalhorns zu befreien. Der leblose, gepanzerte Arm war schwer aber letztlich gelang es ihm und nach Motoren, Schüssen und Hupe war die einsetzende Stille ohrenbetäubend.
Seine Bemühungen hatten zur Folge, dass der Tote zur Seite kippte und auf ihn zu rutschte. Da Darrel darauf aus war so wenig Körperkontakt wie möglich mit diesem stinkenden Verrückten in Kauf zu nehmen, schwang er sich wie ein Affe zur Seite und ließ den Körper an sich vorbei ins Freie sacken. Hart schlug die Leiche auf und wenn er nicht schon hinüber gewesen wäre, jetzt wäre er es vermutlich gewesen. Denn sein Kopf wurde unnatürlich zur Seite genickt, als er mit dem gesamten Gewicht seiner abstrusen Rüstung darauf landete. Es knirschte unschön. Darrel blickte von Oben auf den Toten und hätte sich gewünscht grimmige Befriedigung zu verspüren, den Mörder der Jugendlichen so entwürdigt zu seinen Füßen zu sehen. Doch die ganze, surreale Situation und das langsam abflauende Adrenalin in seiner Blutbahn, ließen ihn im Augenblick gar nichts fühlen. Das würde heute Abend kommen, wenn er auf der Sache bei einem Whisky herumdachte. Doch bis dahin würde er noch einiges zu tun haben und noch mehr erklären müssen. Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf die Fahrerkabine. Vielleicht ließen sich Hinweise auf die Herkunft des LKWs finden. So etwas wie Frachtpapiere oder eine Routenliste. Doch seine diesbezügliche Hoffnung schwand schnell. Der Fahrer war ganz eindeutig des Wahnsinns Beute gewesen. Die gesamte Fahrerkabine war mittels Fettkreide mit kantigen, irgendwie bösartig aussehenden Symbolen beschrieben. Jeder noch so kleine Freiraum war damit beschmiert wurden. An der Decke hing ein funktionsuntüchtig aussehendes Funkgerät, von dessen Halterung ein abartiger Fetisch aus Federn, dem verwachsenen Totenkopf eines kleinen Vogel und… Darrel würgte… einem menschlichen Ohr hing. Darum schwirrten Fliegen. Der Wüstencop spuckte bittere Galle in den Fußraum, in dem sich der Müll stapelte. Verpackungen von Notrationen, irgendwelche Buchseiten, Getränkedosen und Essensreste. Nur um die Pedale waren Mulden in diesen Teppich aus Abfall gescharrt wurden. Es bedurfte einiges an aufgebrachter Willenskraft sich weiter nach vorn zu beugen um das Handschuhfach zu begutachten. Dabei fiel ihm die Puppe auf, die ordentlich auf dem Beifahrersitz saß. Absonderlich, dass es bei der wilden Fahrt nicht in den Fußraum gefallen oder wenigstens zur Seite gekippt war. Es war eines dieser billigen Dinger, wie sie Kinder für ein paar Schekel auf dem Rummel gewinnen konnten. Sie war nackt, es fehlte ein Arm und man hatte ihr mit Lippenstift ein breites Grinsen auf das Gesicht gemalt. Irgendwie zog das für Darrel einen dicken Strich unter das Urteil es mit einem komplett Irren zu tun gehabt zu haben. Mehr noch als selbst der Mehrfahrmord und die durchgeknallte Aufmachung des Toten. Er ignorierte das entstellte Spielzeug angestrengt und langte nach dem Handschuhfach, in dem der letzte Funken Hoffnung irgendeine Art von Identifizierung glomm. Das sich der Vorhang bewegte, der die Fahrerkabine von der schmalen Schlafkabine hinter den Sitzen abtrennte, registrierte er zwar, doch seine geschundenen Nerven sahen darin seine eigene Schuld. Zu sehr hatten Körper und Geist sich darüber geeinigt, dass der Kampf erledigt war und dass es nun galt die Scherben aufzufegen. Erst als er das Unendlichzeichen des stummeligen Flintenlaufes sah, blitzte Ärger über die eigene Nachlässigkeit auf. Seine Hand zuckte zur Waffe, der Donner der Entladung kam schneller.
Die abgefeuerten Läufe spien ihren Inhalt auf den Polizisten und trafen in an Hals und Brust. Seine halb aufgerichtete Haltung, gepaart mit dem Hammerschlag des Treffers, warf ihn zurück und schleuderte ihn aus der Kabine. Schmerzen explodierten in seiner Brust und er bemerkte den harten Aufprall auf der Leiche des Fahrers gar nicht. Er wusste nur, dass er plötzlich im Freien war, in einer Wolke aus Staub und sich mit den Beinen von dem Toten abstieß, was ihn ein paar kümmerliche Meter von der Zugmaschine weg brachte. Er tastete nach seinem Hals und fasste in ein breiiges Schlamassel, dass feucht und sämig an seinen Fingern klebte. Er konnte nicht atmen, als ob er unter Wasser wäre, als ob er Wasser schluckte. Aber das war doch albern, er war in der Wüste. Er wollte etwas sagen, wollte Fluchen, um Hilfe rufen oder seine Verwunderung über alles hier äußern, er wusste es selbst nicht. Doch dem was von seiner Kehle noch übrig war, entrang sich nur ein gurgelndes Stöhnen. Mit verschwimmenden Blick konnte Darrel ausmachen, wie sich im Halbdunkel der Fahrerkabine eine Gestalt abmühte sich zwischen den Sitzen hindurch aus der Schlafnische hervorzuschieben. Diese Person trug auch so einen merkwürdigen Schutzanzug, auch wenn die Verzierungen und die Maske nicht eins zu eins der des Toten glichen. Auch war diese Person zierlicher und etwas kleiner als der leblose Fahrer. Vielleicht eine Frau. Darrel spekulierte darüber, auch wenn ihm klar war, dass er sich eher darüber Gedanken machen sollte, dass er nicht mehr richtig atmen konnte und dass seine Beine kalt und taub zu werden begangen. Er ließ von seinem Hals ab und schob sich halb liegend, halb auf dem Hintern rutschend, ein weiteres Stück von dem LKW und seiner tödlichen Fracht weg. Dabei musste er Blut von dem erschossenen Fahrer mit sich gezogen haben. Es war doch unmöglich, dass die rote Schleifspur von ihm stammte.
Die Tür der Kabine quietschte, als der Beifahrer sich an ihr fest hielt und mit den schweren Stiefeln Halt auf dem blutnassen Tritt suchte. In der anderen Hand hielt sie eine rostige, noch rauchende Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Als letzte Stufe nutzte sie den Körper ihres leblosen Kameraden. Darrel hatte seine eigene Waffe ziehen und die Frau erledigen können. Doch in seiner Situation kam er gar nicht auf den Gedanken. Er war zu sehr damit beschäftigt dem Tod ein paar weitere, feucht keuchende Sekunden abzuringen.
Die Frau in der Rüstung versuchte die Schrotflinte zu öffnen, scheiterte aber an dem schlechten Pflegezustand der Waffe. Sie drehte den Oberkörper ein wenig und warf sie zu dem restlichen Müll im Fußraum der Kabine. Ohne Hast machte sie zwei Schritte auf den Polizisten zu, der seinerseits versuchte von ihr fort zu kriechen. Gleichwohl ein reichlich aussichtsloses Unterfangen. Jetzt konnte er den Atem der Frau hören, der vernehmlich durch die Schläuche ihrer Maske rasselte und seine eigenen Bemühungen, Luft in die Lungen zu ziehen, zu verspotten schien. In ihrem hastlosen Schritt ging sie leicht in die Hocke und zog eine lange, boshaft gezähnte Klinge aus ihrem Stiefelschaft. Diese Waffe war ebenso braun von Rost wie die Flinte. Doch die Schneide glänzte in geschliffener Schärfe. Dieses oxidierte Stück Stahl verhieß kein erlösend schnelles Ende und brachte Darrel dazu sich nun doch seiner Waffe zu entsinnen. Er nestelte mit tauben und schlüpfrigen Fingern am Holster herum, bekam den Druckknopf jedoch nicht auf. Eine Tätigkeit, die ihm ansonsten keine bewusste Wahrnehmung mehr wert gewesen war. Es war ohnehin zu spät. Die Frau war heran und kniete sich neben ihn. Ihre behandschuhte Hand ging ebenfalls zum Halfter. Sie drückte seine Hand fast sanft beiseite, schlug sich dann etwas energischer fort, als er seinen Versuch nicht aufgeben wollte. Nicht brutal. Eher wie bei einem störrischen Kind, das die Dummheit der eignen Handlung nicht einsehen wollte. Mit frustrierender Leichtigkeit zog sie Darrels Pistole, besah sie sich kurz und warf sie dann weg. Die Waffe landete etwa zwei Meter weiter im Staub und hätte damit auch am anderen Ende der Wüste liegen können. Die Frau, dass es definitiv eine war konnte Darrel erkennen, wenn er in die Augen hinter den schmierigen, runden Sichtgläser der Maske sah, betrachtete ihn nur. Blickte ihn ausdruckslos an, atmete aufreizend schwer durch den Filter. Selbst ohne das Messer in ihrer Hand hätte Darrel nun keinen Angriff mehr auf sie unternehmen können. Alle Kräfte hatten ihn verlassen, sein Leib war nur noch ein kalter Klumpen Fleisch, die Ränder seines Sichtfeldes wurden bereits grau, die Farbe schien aus der Welt zu tropfen wie der Lebenssaft aus ihm ran.
„Wa…“ Mehr ein krächzender Laut als ein wirkliches Wort, doch die Frau schien zu verstehen. Sie legte den Kopf schräg und ihr Blick lächelte. Darrel konnte sehen, dass eines ihre Augen rot war, weil Äderchen darinnen geplatzt sein mussten.
„Warum?“ Ihre Stimme war angenehm, wenn auch durch das Material ihrer Maske gedämpft wie durch Watte. Der Polizist konnte bereits nicht mehr tun, als mit zunehmender Entrückung zu ihr aufzublicken. Alle verbleibende Kraft floss in die Bemühung neben Blut auch etwas Luft einzusaugen.
Sie blickte auf, als überlege sie oder horche auf ein fernes Geräusch. Dann sah sie flüchtig über die Schulter und zu dem LKW. Das Monster stand stumm da, warf einen scharf geschnittenen Schatten und sein Schiebeschild ließ es grinsen.
Die Frau sah wieder zu Darrel, hob das Messer und tippte sich mit der Spitze zwei Mal gegen das Sichtfenster über dem blutigen Auge. Das leise Klicken, mit dem der Stahl das Glas berührte, hörte Darrel sogar über dem auffrischenden Wind.
„Auf roten Rössern bringen wir euch den Wahnsinn.“ Die Worte klangen verträumt, als spräche sie mehr zu sich selbst als zu dem Mann. Letztlich stimme das auch, denn der Verwundete hatte aufgehört zu atmen und lag nun still. Sie lauschte wieder, während ihr Gesagtes vom Wind in die Wüste getragen wurde und sich roter Flugsand an dem Toten fing und seine Konturen bereits dem Land anglich. Die Frau ließ das ungebrauchte Messer wieder im Schaft ihres Stiefels verschwinden und erhob sich. Ohne den Kopf noch einmal nach dem toten Grenzer umzudrehen ging sie zurück zum LKW. Sie nutzte die Leiche wieder um auf deren ursprünglichen Platz zu klettern. Ihre Hand griff nach der Tür und der LKW verschluckte sie.

Schwarze Abgaswolken aus den aufragenden Auspuffrohren begleiteten das Erwachen des Motors. Der Schlepper ruckte an und beschrieb einen Bogen. Das Hinterrad der Zugmaschine überrollte die ausgestreckten Beine der gepanzerten Leichte und zerquetschte sie, ohne dass sich der Reifen auch nur spürbar hob. Dann passierte der LKW das Polizeiauto, auf dessen Dach noch immer Lichtsignale Aufmerksamkeit einforderten.
Langsam sein Tempo steigernd, richtete sich die Bestie wieder auf die Stadt aus, die irgendwo hinter dem Horizont liegen musste.

Story by Kogan und mit Erlaubnis gepostet
 
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Tatzelwurm

Eine weitere kurze Kurzgeschichte aus der Feder Kogans. Zur Erklärung: Die Geschichte stammt aus dem Hintergrundbereich der Gohmor- Makropole und illustriert eine Epoche in der Geschichte des Planeten, während der Techketzerei regierte und sich die verschiedenen Adelshäuser und verfeindeten Fraktionen mit den kreativsten Methoden gegenseitig die Lebenslichter ausgepustet haben. Der Mechanicus hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Was er bei der Rückeroberung des Planten dann auch getan hat. Allerdings mehr über den Köpfen der Techketzer.



Tatzelwurm


Die Lauerposition wurde aufgegeben, die drei Plasmareaktoren fuhren hoch, waren schon bei 87, bei 92 und bei 100 Prozent.
Die Energiesignatur des Tatzelwurms war nun auf fünfzig Kilometer in alle Richtungen aufspürbar, doch was machte das schon?
In diesem Lebensraum gab es keinen Räuber, der es mit ihm aufnehmen konnte. Die einzige Gefahr bestand darin, dass die Zielobjekte flohen. Doch da es heute nicht um die Terminierung von möglichst vielen Personen ging, sondern um materielle Zerstörung und eine zweitrangige Extraktion, war dies kein Problem.
Supreme- Pilot Kara ließ das System Stimulanzien in ihren Kreislauf pumpen, um ihren Körper mit dem Leib des Tatzelwurms zu synchronisieren. Der erzwungene Ruhezustand des Wartens wurde aus ihrem Blut und aus ihren Gliedern gespült. Die anwachsenden Prozentzahlen der Triebwerksleistung hätten genauso gut das Wachsen ihrer persönlichen Leistung darstellen können. Sie blinzelte die Wahrnehmungsbreiche durch. Die Außenkameras zeigten nur ein Gewirr von Kabeln, Schläuchen und Rohren, viele davon zerrissen oder bizarr verdreht. Der Tatzelwurm hatte sich in eine der Versorgungsebenen gefressen und lauerte in relativer Sicherheit.
Hier also nichts Spektakuläres.
Die Innenraumkameras zeigten beschäftigtes Technikpersonal, bei letzten Handgriffen an der Maschinerie. Der Startcountdown war bereits eingeleitet und wer nicht in seiner Halteschale saß, wenn die Null genannt wurde, der nahm schwerste Verletzungen oder gar den Tod billigend in Kauf.
Das elektromagnetische Herz des Wurms pulsierte nun schnell und Kara beeilte sich die ausstehenden Punkte der Checkliste abzuhaken, denn wie die Maschine brannte auch sie darauf endlich wieder aktiv zu werden.
Alle zweitausendsechshunder Gyrostabilisatoren funktionierten und vibrierten im Gleichklang mit der Energie, die durch die gepanzerten Segmente zitterte. Ein kurzer Blick in die Brutkammer, natürlich nur ein interner Begriff unter Supreme- Piloten, aber deswegen nicht weniger passend.
In den pneumatischen Halteklammern saßen die zehn Männer und Frauen, seit vier Tagen in ihren Anzügen, unverändert, kaum wach, wartend, brütend. Kara ließ sich ihre Körperwerte einblenden. Einer war gestorben, vor drei Tagen schon. Sein Metabolismus war unter der Zufuhr der Medikamente und Drogen zusammengebrochen.
Nur einer, eine gute Bilanz.
Sie strich ihn von der Auflistung und aktualisierte die Berechnungen.
Der Countdown war bei 10 angekommen.
Sie überließ die Brüter ihrem Ruhezustand und überprüfte die beiden Seitenpiloten. Lydia schien noch leicht benommen, doch die Stimulanzien taten ihre Wirkung und sie würde voll einsatzfähig sein, wenn es darauf ankam. Alco war das genaue Gegenteil. Zu seiner natürlichen Neigung zur Überdrehtheit, kam die Wirkung der Drogen. Sie konnte sehen das er mehrere Systeme gleichzeitig prüfte und bereits Berechnungen über die optimalste Route anstellte. Hätte sie sich die Mühe gemacht ihre Netzhaut von der Steuerungssicht zu lösen und den Kopf soweit zu drehen, dass sie Alco in seiner Nährstoffblase zu ihrer Rechten sehen konnte, sie hätte ihn in der milchig trüben Flüssigkeit gewiss in dem Geflecht aus Synapsenriemen zucken und strampeln sehen. Sein Enthusiasmus war lobenswert und sie würde ihn nach Missionsende an entsprechender Stelle erwähnen.
Der Countdown war bei Fünf und sie nutzte die letzten Sekunden um sich noch einmal die Parameter des Auftrags vor Augen zu führen. Es hatte keine Änderung mehr gegeben, der Befehl stand.
Sie sandte diese Tatsache als Impuls an ihre Seitenpiloten, die ihr mit kurzem Lichtzeichen Bestätigungen auf die Netzhaut übermittelten. Von der Fruchtwasserwärme ihrer eigenen Nährstoffblase umschmeichelt hob Supreme- Pilot Kara die beiden Zeigefinger, als deute sie sacht auf irgendetwas in der Ferne.
Es war das Zeichen zum Start.
Durch den Leib des Tatzelwurms ging ein Schauer, die Segmente schüttelten Betonstaub und den selbst verursachten Schutt ab. Kara fühlte diesen Schauer nach, als die Vorfreude und die Befriedigung der abgeschüttelten Tatenlosigkeit am Lack ihrer Professionalität kratzten. Der kleine Finger ihrer Rechten beschrieb eine kreisende Bewegung und setzte damit den Bohrkopf in Bewegung.
Außerhalb des Tatzelwurms brach jetzt die Hölle los, im Inneren konnten sie nur eine sanfte, fast einschläfernde Vibration fühlen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und deutete wieder mit beiden Zeigefingern. Der Tatzelwurm begann sich seinen Weg zu graben.
Alco stellte ihr die berechneten Routen auf die Netzhaut. Der Weg, wie er dem Befehl als Vorschlag beigelegen hatte, der vermeintlich optimale Weg, wie er von der Logikverarbeitung errechnet wurde und die Route, welche Alco erstellt hatte. Kara wählte Letztere. Nicht um dem Seitenpiloten eine Gunst zu erweisen, schließlich beinhaltete sein Vorschlag 12 Prozent mehr Kollateralschäden, sondern weil er bemerkenswerter Weise einige Stadtstrukturen entdeckt und markiert hatte, die bei ihrer Bewegung den Tatzelwurm aufhalten oder im schlimmsten Fall gar beschädigen konnten. Sie legte das Bild von Alco über die Berechnung der Steuereinheit und ließ die Route anpassen. Lydia informierte sie, dass sie den Tauchpunkt gleich erreicht haben würden und Supreme- Pilot Kara richtete ihre Konzentration auf den bevorstehenden Vorgang. Ihre Handbewegungen wurden nun ausladender, da sie den gesamten Leib des Wurms zu lenken hatte. Ihr Arm zog weiße Schlieren in der Nährflüssigkeit, als sie ihn nach unten stieß und den Tatzelwurm damit den Boden der Wartungsebene aufreißen ließ.


Die Menschen der Mittleren Ebene 14 08 wandten die Köpfe gen Himmel, beziehungsweise zu dem stählernen Äquivalent dessen, was ihnen der Himmel war. Der Boden der darüber liegenden Ebene überspannte ihre Existenz vom Beginn ihres Lebens bis zum Ende. Das über ihnen ebenso Menschen lebten, liebten, hassten und starben, wie auf ihrer eigenen Ebene des Daseins und der darunter, war mehr eine diffuse und niederdrückende Ahnung als wirkliche Gewissheit. Das ewig Gleiche des vorgezeichneten Seins wurde jedoch erschüttert, als sich das Kreischen von zerreißendem Metall mit dem Dröhnen fallender Betonbrocken, berstender Leitungen und explodierender Transformatoren vermischte. Entsetzt nach oben starrende Gesichter mussten beobachten, wie sich aus dem grauen Firmament der Ebenendecke mit ihren Rostwolken ein mechanisches Ungeheuer von mythischer Schrecklichkeit fraß. Ein gewaltiger künstlicher Wurm, die stählernen Ringsegmente von wimmelnden Ankerbeinen überzogen, der Kopf eine konturlose Masse aus sich drehenden Bohrern.
Dieser Horror hing mit seinem Leib einen langen Moment aus der aufgerissenen Ebene, pendelte den Kopf hin und her, als wollte er sich orientieren. Dann fiel er in einem Schauer aus Kabeln und verdrehtem Metall vom Himmel. Der Wurm stürzte herab, wandte im Fallen den Leib um ein nahes Hochhaus, rutschte herab und fand schließlich Halt. Die Höllenmaschine wühlte sich in das Gebäude, verschwand darin wie ein Aas fressendes Insekt in einem Leichnam.
Einen Wimpernschlag lang ließ nur das mehrere Etagen große Loch erkennen was geschehen war, dann sprühten Flammen aus einem Stockwerk, barsten Fensterscheiben als zeichneten sie den Abwärtsweg des Wurms nach und schließlich knickte die strukturelle Integrität des Hauses ein und das Gebäude begann einzustürzen.


Kara ließ ihre Sicht nur kurz mit der der Außenkameras verschmelzen. Der Tatzelwurm bahnte sich seinen Weg durch Moniereisen, Träger und Stein. Auch durch die Inneneinrichtung der Bewohner und durch die Bewohner selbst. Sie erhaschte einen ungewollten Blick auf Holz und etwas Verdrehtes, dass sich unter der Einwirkung der Bohrer recht schnell in roten Brei verwandelte.
Sie ging wieder in die schematische Ansicht zurück. Solche unsauberen Begleiterscheinungen ihres Tuns sah sie nicht gerne. Sie bereiteten ihr ein Unwohlsein, dass ihre innere Ausgeglichenheit bedrohte.
Das Gebäude fiel bereits zusammen und auch wenn das Gewicht der auf den Tatzelwurm wirkenden Schuttmassen nicht ausgereicht hätte die Maschine zu beschädigen, so hätten sie doch verlangsamend wirken können. Der Weg durch das Haus war Lydias Korrektur der Route gewesen, basierend auf Alcos Neuberechnung. Sie hatte ihnen den Weg zu einem der Stützpfeiler erspart, an dem sie sich ansonsten hätten herabgleiten lassen müssen. Das sparte ihnen gute fünf Minuten Weg ein.
Der Tatzelwurm warf die Straße auf und beschädigte lediglich zwei weitere Gebäude leicht, bevor er in die Wartungsebene unter 14 08 eintauchte und dort weiter seinem Ziel entgegen kroch. Sie würden von unten angreifen, was hieß, dass sie noch einmal die Ebene wechseln mussten. Dazu wählte Lydia eine Straßenzufahrt in einigen Kilometern Entfernung aus. Der Pfad des Wurms wurde von kleinen Beben, ausfallenden Beleuchtungen, platzenden Wasserleitungen und zerstörten Lufttauschern begleitet. Da er sich durch die Wartungsebene fraß, die wie eine Hautschicht zwischen den Wohnsektionen lag, blieben zwar die zivilen Opfer überschaubar, aber wie der Parasit der er in gewisser Weise nun einmal war, zerstörte der Tatzelwurm die Systeme und Organe des städtischen Lebens.
Der zweite Übergang zu einer der tieferen Ebenen gestaltete sich weniger spektakulär als der Weg durch das Wohnhaus. Der Tatzelwurm glitt die spiralförmige Zufahrtsstraße zwischen den Ebenen hinab, fegte Automobile beiseite als wären sie Spielzeuge und grub sich dann wieder in die Versorgungsebene. Das Ziel war jetzt nah und Supreme- Pilot Kara erhöhte die Temperatur in ihrer Nährflüssigkeit um drei Grad, um maximal entspannt an die Sache heranzugehen. So operierte sie am besten.
Alco ließ die Waffen warm laufen und Lydia animierte die Insassen der Brutkammer durch Verabreichung von Aufputschmitteln. Das Ziel war jetzt knapp vor und schräg über ihnen.
Sie hatten um das Gebiet eine Stahlbetonmauer in die Wartungsebene eingezogen um Eindringlinge aus dieser Richtung abzuhalten.
Der Tatzelwurm brach hindurch, als wäre sie nur aus Sand erbaut.
Sie waren gleich unter dem ersten Gebäude.
Die Anzeige vermittelte Kara durch aufblinkende und expandierende Lichtkreise, wo sich akustische Quellen befanden. Die ausufernden Ringe ließen auf Alarmsirenen schließen. Die visuelle Darstellung war weit weniger belastend, als hätte man sich den Lärm auditiv angetan. Das hätte nur die Ausgeglichenheit beeinträchtigt, die jeder Konzentration als Grundlage dienen musste.
Trotzdem markierte sie die Sirenensignale mit gezielten Blicken und blendete sie aus. Was die Taster des Tatzelwurms jetzt anzeigten waren die Motoren von Fahrzeugen und die Schritte von laufenden Menschen. Sie injizierte sich und ihren Seitenpiloten die vorgeschriebene Dosis Sinnesverstärker und leitete damit den Angriff ein.
Der Tatzelwurm jagte im rechten Winkel nach oben, durchstieß das Metall und den Asphalt des Bodens und brach in der Mitte des angepeilten Gebäudes heraus. Kara hatte auf Gefechtssicht geschaltet und markierte Ziele, die sich ihr als rote Punkte darstellten. Nach der Einschätzung ihrer Priorität arbeitete Alco die Nummerierung ab und löschte eine Zahl nach der anderen aus.
Es gab gelinde Gegenwehr, die jedoch kaum dieses Namens wert war. Wo sie den Zaun um das Areal unterlaufen hatten schienen größere Waffen positioniert zu sein und Kara determinierte dieses als übergeordnete Priorität. Lydia korrigierte die Pendelbewegung des Wurmkopfes, der sich aufgerichtete hatte wie eine Kobra und Alco löschte die Ziele mit gewohnter Präzision aus. Nach weniger als zwei Minuten war die unmittelbare Umgebung von Zielen gesäubert. Kara gab das Kommando die Brutkammer zu öffnen.


Auf dick eingefetteten Kolben senkte sich der Helm herab auf die Halskrause des Anzuges, wurde verriegelt und stieß komprimierte Luft aus, als im Inneren des Anzuges die Eigendruckspähre erzeugt wurde.
Im gleichen Moment riss Kommandeur Jord Augen und Mund auf, als würde er aus einem Albtraum erwachen. Gierig zog er die Chemie geschwängerte Luft in die Lungen, versuchte sich zu bewegen, aus dem umklammernden Griff des Panzeranzuges zu entkommen. Er konnte sich jedoch nicht rühren, war lebendig begraben in dieser Eisernen Jungfrau aus faustdickem Stahlkunststoff. Er stieß einen entsetzten Schrei aus, da jede Faser seines Körpers auf Bewegung aus war, ihn die Umklammerung des Anzuges aber daran hinderte.
Es dauerte einige Sekunden, biss er wusste wer er war, wo er war und das er sich darauf fokussieren musste, seinen Herzschlag soweit zu regulieren, dass es nicht mehr den Anschein hatte, als wolle sein Herz die Rippen von innen heraus in Stücke schlagen. Er vollführte die erlernte Atemtechnik und als er sich nach eigener Ansicht weit genug unter Kontrolle hatte, sprach er die Kennung, welche die Befehlssysteme aktivierte.
Er forderte den Rapport über seine Leute ein. Zett war verstorben, multibles Organversagen. Die Liste war bereits aktualisiert wurden, aber Jord passte die eingespeicherten Angriffsschemata an, bevor er die Herzfrequenzen seiner verbleibenden Leute überprüfte. Die Kurven waren eng gezahnt, was auf die Kampfdrogen zurückzuführen war. Aber niemand schien akut von einem Dosis bedingten Schock oder Zusammenbruch zu stehen.
Jord sprach einen Zahlencode, welcher Einsatzbereitschaft abbildete.
Vom Cockpit kam eine ebenso verkürzte Bestätigung.
Wie der Helm vor ihm, wurde nun Jords Plesonautgewehr auf Kolben herabgelassen und verharrte auf Höhe seiner Brust. Die Teamanzeige des Netzhautdisplays wurde um die taktischen Anzeigen erweitert und der Status des Anzuges sprang von Rot auf Gelb um. Jord hob die Arme und griff mit gepanzerten Fingern nach dem Gewehr. Die Waffe hätte ein ausgewachsener Mann wohl kaum anheben können. Unter Zuhilfenahme des Anzuges war ihr Gewicht praktisch nicht existent. Ringsum taten es ihm die anderen gleich. Einbetonierte Menschen, die durch das T ihrer kleinen, verspiegelten Sichtscheiben starrten, die dank ihrer Form wie Totenkopfgesichter in der Kuppel des Helmes aussahen.
Der Einsatzbefehl kam.
Die Anzeige wechselte von Gelb auf Grün und den Anzügen wurde volle Energie zugeleitet. Die Wände brachen auf und die Ruhe der Kammer löste ein Bild der Zerstörung ab, welches der Tatzelwurm gemalt hatte.
Wie aufgefädelte Puppen oder Erhängte schwangen sie leicht vor und zurück, als die Haltegestelle sie mit mechanischer Rucklosigkeit ins Freie beförderten, die schräge Position des Wurmes ausglichen und sie fast schon sachte abluden. Die Semi- Servomotoren der Anzüge übernahmen es nun das Gewicht zu tragen und als sich die Klammern um ihre schultern lösten, stapften sie voran wie Taucher, die sich durch zähflüssiges Gel bewegten. Dieses Schreiten fühlte sich sonderbar an. Die Aktionen des Anzuges folgten zwar dem Willen seines darin gefangenen Trägers, aber es war gleichzeitig so, als würde Jord in die Bewegungsabläufe gezogen und gezwungen, auch wenn er diese dem Anzug selber vorgab.
Letzten Endes war das aber egal. All die Unannehmlichkeiten und unschönen Eindrücke waren nur zeitlich bedingt. Ein Ende war abzusehen und dann lockte wieder der von Drogennebeln umschleierte Schlaf der Glückseligkeit.
Um sie her war Feuer und Verwüstung, doch die Szenerie wurde vom Helmdisplay entschärft, ihre Grausamkeit weichgezeichnet. Der Brandgeruch drang nicht an seine Nase, die Schreie, Schüsse und Explosionen waren nur ein gedämpftes Hintergrundgeräusch, kaum der Rede wert.
Jord hob den Arm und wischte einen verdrehten Stahlträger zur Seite, der kippte und eine halb eingestürzte Ziegelmauer vollends zum Einsturz brachte.
Es sah aus als bewege sich sein Arm dabei träge, wie der eines Schlafwandlers. Aber das lag natürlich an den Kampfdrogen, die seine Wahrnehmung beschleunigten und seine Umwelt bizarr verlangsamt erscheinen ließen.
Sie schritten aus der Ruine heraus, Jord voran, seine acht Kameraden hinter ihm. In ihrem Rücken ragte der Tatzelwurm auf, schwang seinen Bohrerkopf gleich einer Kobra von einer Seite zur anderen und die Seitenkuppeln, knapp hinter dem Bohrkopf spien von Zeit zu Zeit rot glühendes Laserlicht.
Jord befahl eine Rautenformation, als sie offenes Gelände erreichten. Um die Ruine des Backsteinbaus herum lagen nur Trümmer und verdrehte Leichen. Weiter voraus jedoch formierten sich Feinde, wurden von einer Wand aus schwarzem Rauch verdeckt, von der Zielerfassung aber gnadenlos mit roten Kästchen umrahmt. Er hob seine Waffe, die Mechanik korrigierte für ihn den Schuss. Als sie ihm durch ein Brummen, dass sich bis in seine Zähne fortpflanzte, anzeigte, dass er treffen würde, drückte er ab. Ein goldgelber Energiestrahl stach durch den Rauchschleier. Das Kästchen erlosch und er schwenkte auf das nächste um, sorgte dafür, dass auch dieses weg war. Seine Leute taten es ihm nach. Sie arbeiteten wie eine Maschine, gingen die Ziele von außen nach innen ab und vernichteten sie. Dabei verlangsamten sie ihren Schritt nicht.
Es handelte sich hier wohl um ein Kasernengelände oder irgendeine andere militärische Einrichtung, nicht das Jord das wirklich interessiert hätte oder das es von Wichtigkeit gewesen wäre. Ihm fiel nur auf, dass die Toten, die er unter seinen klobigen Stiefeln in klebrigen Schlamm verwandelte, rote Uniformen trugen.
Das Ziel ihrer Mission blinkte als Icon auf dem Display. "Erreichen und extrahieren" stand darüber geschrieben und genau das würden sie tun.
Aus dem verwirbelten Rauch kam eine Rakete auf sie zugeflogen, raste über sie hinweg und setzte einem bereits vom Tatzelwurm geschundenen Backsteingebäude weiter zu. Eine zweite schlug zwischen ihnen ein, erblühte in einer schmutzig roten Blüte und ließ harmlose Schrabnellsplitter gegen sie prasseln wie geworfenen Sand. Ein drittes Geschoss fand ein Ziel, Saja war es wohl. Die Blüte expandierte direkt auf der Brust ihres Anzuges, verhüllte sie für eine Sekunde.
Als sich der Feuerball verzogen hatte richtete sich Saja aus dem Kniefall auf, in den der Treffer sie gezwungen hatte. Sie feuerte gleißendes Gold auf die Quelle des Raketenbeschuss ab und nahm dann ihre Position in der Raute wieder ein. Kugeln und Laserschüsse gingen inzwischen auf sie nieder wie Regen und waren genauso wirkungsvoll. Der deckende Rauchvorhang war fortgeweht und erlaubte ihren Zielen sich der Illusion hinzugeben, sie könnten etwas gegen sie ausrichten, nur weil sie sie nun sahen.
Jords Trupp stapfte unbeirrt weiter. Zwischen ihnen und dem Ziel lag nur noch ein dreistöckiges Ziegelhaus, vielleicht ein Unterkunftsgebäude. In jedem Fenster flackerte Mündungsfeuer auf. Unterstützend kam ein leichtes Panzerfahrzeug dazu, dass in schneller Fahrt auf sie zu hielt. Jords Logikverarbeiter stufte das Lasergeschütz im Turm des Halbkettenfahrzeuges als reale Bedrohung ein. Doch noch ehr er selber reagieren konnte zuckte ein gelber Speer aus den Reihen seiner Leute in Richtung Fahrzeug und brannte ein unspektakuläres Loch hinein. Der Wagen explodierte nicht, ging nicht in Flammen auf oder kippte in voller Fahrt um. Er blieb schlicht stehen und sein Gefechtsturm hielt darin inne, sich auf sie auszurichten. Um sicher zu sein jagte Jord zwei weitere Schüsse in die Flanke des Fahrzeuges, während seine Leute bereits damit beschäftigt waren die Schützen in dem Haus zu dezimieren. Wenn diese sich hinter Ziegelmauern abhockten brachte ihnen das ungefähr soviel Deckung ein, als hätten sie sich hinter Papierwänden geduckt.
Das Gebäude zu umgehen hätte bedeutet Zeit zu verschwenden, also gingen sie hindurch. Buchstäblich!
Jord walzte durch die Mauer, brach durch roten Steinstaub, riss ein Wirrwarr aus verdrehten Rohrleitungen mit sich und kippte ein Regel um. Im Inneren des Hauses brannte es bereits. Vielleicht durch ihren Beschuss, vielleicht durch den des Tatzelwurms. Ein Toter hockte an der Wand, den Kopf unnatürlich verdreht, der Helm in seinem Schoss, ebenso lächerlich nutzlos wie das Gewehr in seiner schlaffen Hand. Unaufgeregt brach sich Jord weiter Bahn, schlug eine Bresche in die nächste Wand, hinter der dein grün gekachelter Duschraum lag. Dann kam ein Flur. Auf diesem wurde er von der Seite angegriffen, auch wenn es natürlich so etwas wie Seiten für sein Blickfeld nicht wirklich gab, da das Helmdisplay ihn mit 360 Grad Sicht versorgte. Der Mann schaffte es dennoch schneller zu sein als die Zielerkennung, die durch den fallenden Schutt und den Staub im Moment überfordert war. Der Mann war blutüberströmt, hatte den Mund weit aufgerissen, schien zu schreien.
Er schwang ein Kettenschwert in der Rechten, der linke Arm hing schlaff und nutzlos an einigen Fetzten Sehnen und Haut. Die Klinge schlug gegen Jods Helm, für ihn im Inneren als leises „Pling“ wahrzunehmen. Funken sprühten, die wirbelnden Zähne der Waffe fanden keinen Halt, keinen Angriffspunkt auf dem Anzug und rutschten daran ab. Der Mann wollte ein weiteres Mal ausholen, doch Jod schlug ihn mit der Rückhand beiseite wie eine lästige Fliege und wie eben solch ein Insekt wurde er zerquetscht. Seine Brust wölbte sich nach Innen, er fiel und sein Kettenschwert tanzte und hüpfte noch ein wenig am Ende seines leblosen Armes über den Boden.
Das Gebäude wurde passiert, neun Löcher kündeten von ihrem Weg.
Vor ihnen lag ein weiteres Haus, zweiflügelig und mit einem kleinen Turm über dem Eingang. Die genaue Funktion interessierte Jord genauso wenig wie jeden anderen aus seinem Team. Ihn interessierte nur, dass sein Display das Zielicon darüber legte und dass die einzige Gegenwehr hier aus den beiden Soldaten vor dem breiten Haupteingang bestand, die von zwei Schüssen vom Leben zum Tod befördert wurden.
Sie hatten den halben Weg über den Vorplatz zurückgelegt, als sich zeigte, dass der Gegner doch noch ein letztes Aufgebot ins Spiel werfen konnte.
Um die Ecke des Gebäudes kam ein etwa acht Meter hoher Panzerriese gespurtet.
Ein automatisierter Frontautomat der letzten Generation, wie er oft noch im Garnisonsbetrieb eingesetzt wurde. Die Gestalt war humanoid, aber Arme und Beine wirkten zu lang, proportional zum Rumpf und kleinen Kopf.
Er war schnell!
Bereits um die Ecke herum und dicht bei ihnen.
Seine Unterarm und Torso- Gatlings spuckte einen Leuchtspur durchwirken Strom unter sie, fräste Garben von Kratern in ihre Anzüge, ohne ihnen bei derart ungelenken Beschuss wirklich gefährlich werden zu können.
Plesonautfeuer war die Antwort. Dieses ließ Panzerung wie Wachs von den Protektoren des Riesen tropfen, schaffte es jedoch nicht tiefer einzudringen. Die Kampfmaschine war mit einem Satz zwischen ihnen, trat Saja, der heute kein Glück beschienen zu sein schien, einem Fußball gleich, davon und in das Gebäude, durch welches sie soeben Tunnel gebrochen hatten. Siers wurde von dem niederstampfenden Fuß, der Saja gerade auf eine unfreiwillige Reise geschickt hatte, an den Boden gefesselt. Das hinderte Siers nicht daran stoisch Schuss um Schuss in den Panzerriesen zu pumpen. Der ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, langte nach unten und ergriff Feddix, der vor ihm gestanden hatte und feuerte was seine Waffe hergab. Der Riese legte einen dreigliedrigen Greifer um ihn und riss den Anzug in einer flüssigen Bewegung an der Hüfte in zwei Teile. Schwarze Servoflüssigkeit und Blut vermischten sich.
Feddixs Name wurde auf der Liste auf Jords Display ausgegraut.
Jord glich die Formation den neuen Bedingungen an und feuerte dabei sein Gewehr ab, bis der Lauf zu glühen begann. Die anderen taten es ihm gleich, bemühten sich dabei die angeordnete Formation einzunehmen und den Panzerläufer mit konstantem Beschuss einzudecken, klein zu kriegen.
Der schien eine Methode gefunden zu haben mit seinen Feinden besser fertig zu werden als durch den unbefriedigend ineffizienten Beschuss durch die Schnellfeuerkanonen.
Schon streckte er den Greifer nach einem weiteren Mitglied von Jords Team aus. Einer der drei Finger war durch die Einwirkung der ultrahoch erhitzten Materie ihrer Waffen verformt und zusammengeschmolzen, doch das würde die brutal einfache Effektivität seines Vorhabens nicht mindern.
Als die Maschine den Oberkörper leicht beugte um sich einen der unablässig weiterschießenden Feinde zu greifen, traf ihn ein mannsdicker roter Lichtstrahl.
Dieser verdampfte die rechte Seite des Panzerriesen, der einen hohen Ton ausstieß, der nach einem schrillen Schrei klang und sogar Jords Schallisolierung zu durchdringen vermochte, ganz so als spürte die Maschine die Verletzung, die ihr beigefügt wurden war. Der Gigant richtete sich wieder auf und schwenkte den Oberkörper in Richtung der neuen Bedrohung. Ein zweiter Schuss löschte den Panzerriesen aus und ließ nur die staksigen Beine und einen Teil des Hüftgelenks zurück. Dieses fiel wie in Zeitlupe nach hinten, als Siers den Fuß wegstemmte, der noch immer auf ihm ruhte, aber dem jetzt keine Kraft mehr innewohnte.
Jords Rundumsicht offenbarte ihm, dass es der Tatzelwurm gewesen war, der sich einige Sekunden Zeit genommen hatte und ihrer Verzögerung mit zwei Schüssen seiner Kuppeln abhalf, bevor er sich wieder seinem eigentlichem Zerstörungswerk widmete.
Auch Saja schloss wieder auf. Sie hinkte, hatte den unfreiwilligen Flug ansonsten jedoch so weit überstanden, dass sie die erlittenen Verletzungen mit schmerzstillenden Verabreichungen kompensieren konnte.


Der Trupp drang in das Gebäude ein und arbeitete sich zum Ziel vor. Es gab noch vereinzelten Widerstand, gleichsam verbissen wie nutzlos. Endlich sprengte Jord mit seinem Körper die Türen auf, hinter denen sich das Zielobjekt befand. Das grüne Icon drehte sich verheißungsvoll über dem Kopf eines Mannes, welcher hinter seinem umgeworfenen Schreibtisch Deckung gesucht hatte und den Inhalt einer Pistole gegen sie verschwendete. Jord machte zwei Schritte in den Raum hinein und hob den linken Arm. Ein grauer Klumpen schoss aus dem Sprühspender auf seinem Handrücken hervor. Das Gewirr dehnte sich im Flug aus, klatschte schwer gegen den Oberkörper des Mannes, der promt von den Beinen geholt wurde.
Kurz strampelte er noch, doch als sich der Paralyseleim verhärtete, musste er seine ganze Kraft auf das Atmen verwenden. Jord ging zu ihm, schob den Schreibtisch beiseite und packte den Mann im Genick.


Supreme- Pilot Kara bekam das visuelle Signal, dass die Mission erfolgreich abgeschlossen wurden war. Sie lächelte und beorderte die Brüter zurück. Sie gönnte es sich die Temperatur um ein weiteres Grad zu erhöhen.
Ein befriedigend erfolgreicher Morgen.

Story by Kogan
 
Danke für das Lob, ich habe es weitergeleitet. Die Geschichten sind Teil des Forums (Hier mal genauer beschrieben), manchmal aus dem Hintergrundbereich, manchmal posts aus Abenteuerverläufen. Ich durchforste fleißig alles und lade die Sachen hoch, die auch als Kurzgeschichten funktionieren oder ohne allzu große Kontexterklärung funktionieren. Mehr wird also folgen. :happy:
 
Wer ist Kogan? Die zweite finde ich ganz gut, Schreibstil ist bei beiden top. aber die erste war etwas langweilig, für meinen Geschmack schon zuviel Detail Szenerie Beschreibung. Warum Kurzgeschichten? Wenn man so gut Schreiben kann, dann wäre doch mal ne richtige Story angebracht. Kurzgeschichten hören immer auf wenns grad spannend wird.
 
Für das folgende Fragment muss ich etwas infodump. Allerdings interpretiere ich auch nur und kann Sachen nur so angeben wie ich sie meine verstanden zu haben. Also: Alle bisherigen Geschichten (wie auch diese) spielen auf der Welt Koron 3, wenn auch zu verschiedenen Zeiten und logischer Weise aus der Sicht verschiedener Personen und Fraktionen. Meiner Interpretation nach, gab es auf der Welt, vor der Besiedlung durch Menschen, eine einheimische Schlangen/Echsen- Rasse,die die Chaosgötter und ihre eingen Schlangengötter angebetet hat und von den menschlichen Siedlern später vernichtet wurde. "Der Anfang" stammt aus der Hintergrundsektion Rasankurs, was die verborgene Niederlassung der Chaosanbeter auf Koron 3 ist. Den Teilhabe ich nur mit rein genommen, weil er das anschließende "Ritual"verständlicher macht. Viel Spaß damit. (Prä- Astronautik geht auch andersrum Herr Däniken
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Die Platten von Ninkai befinden sich heute im Palast von Rasankur. In einigen Quellen heißt es, man habe sie als Kriegsbeute mit in die Stadt gebracht, in anderen Aufzeichnungen ist davon die Rede, dass sie ein Geschenk gewesen seien. Die Darstellungen auf diesen schwarzen Schieferplatten sind ungewöhnlich. Die Kunst des Hochreliefs ist in Vollendung ausgeführt, aber die sehr stilisierten Darstellungen entsprechen keiner der bekannten Kunstepochen Rasankurs. Auch die Keilschrift der alten Tage fand keine Verwendung, sondern eine Piktogrammsprache, die sich nicht als Reinfolge eines geschriebenen Textes präsentiert, sondern ein Gemälde bildet,dessen einzelne, symbolisch verallgemeinerte Szenen gelesen werden können. In der Tat findet sich Ähnliches auch in ältesten rasankurischen Bild- und Schriftwerken. Allerdings gehen diesen die Kunstfertigkeit der Ninkai Platten um Längen ab. Es mutet an, als haben die frühen Menschen Rasankurs viel mehr versucht die Machart der Platten zu imitieren, woraus sich später der eigene Stil der rituellen Rundschrift herausgebildet hat. In der Tat ist es auch eine solche frühe Keilschrift, welche den Inhalt der Darstellung entschlüsselt. Eine Urlegende, die die Erschaffung der Welt und der Menschen beschreibt. Die Richtigkeit dieser Übersetzung, des Codex von Ninkai, kann heute leider nicht mehr überprüft werden und muss daher so hingenommen werden.


Der Anfang

Die Welt ist da und sie war es schon immer.
Die Welt derer die sterben können und die Welt derer, die nicht sterben,die aber vergessen werden können.
Die Götter sahen die Welt und fanden sie leer und ohne Zerstreuung.
Also nahmen sie die Schlange zu ihrer Freude. Der Wissende gab ihr das Wort und richteten sie auf bis zum Bauch.
Dieses erste Wesen nannten sie Namad.
Das Wort aber sollte sie im Namen der Götter führen, sie lobpreisen und verherrlichen. Das tat Namad und war glücklich, die Namen der Götter zu kennen und sie von den Bergen über das Land rufen zu können.
Der Prinz des Verlangens aber, der ein schelmischer Gott ist, dem es stets nach Vergnügen dürstet, langweilte es, dass Namad Tag ein Tagaus auf die Berge kroch und den Göttern huldigte. Also stieg er zu ihr herab, als sie schlief. Als ein warmer Lufthauch strich er über die Schuppen ihres Leibes und hauchte ihr die Lust ein. Als sie erwachte, da verlangte es Namad nach der Befriedigung ihrer Lust und sie wandte und drehte sich im Sand und versäumte es auf die Berge zukriechen und die Götter zu preisen. Erzürnt kamen sie über Namad und verlangten zu wissen, warum sie ihre Pflicht vernachlässigte.Sie aber sagte ihnen, dass sie von einer großen Lust erfüllt sei,die sie nicht befriedigen könne.
Da gaben ihr die Götter zwei Arme und an den Armen saßen Hände mit Fingern, mit denen sie ihr Verlangen stillen sollte. Namad tat dies und der Prinz sah ihr mit gieriger Freude dabei zu.
So von ihrer Qual befreit kroch Namad auf die Berge und rief die Namen der Götter, die neuen Arme und Hände gen Himmel gereckt.
So ging es lange, bis den Prinzen wieder die Langeweile befiel.
Wieder strich er über die schlafende Namad. Dieses mal war er jedoch drängender und begnügte sich nicht nur mit der Liebkosung des Windes. Erst als die Schlafende vor Wonne schrie, ließ er von ihr ab, zufrieden mit seinem Streich.
Am nächsten Tag kamen die Götter wieder zu Namad um zu wissen, warum sie ihrer Aufgabe nicht nachkam. Sie aber sagte ihnen,
Wie kann ich tun was ihr verlangt, wenn die Lust mich schier zerreißt und ich ihr nicht beikomme, egal was ich tue. So ich euch preisen soll, macht mir etwas, das mir Befriedigung schafft.“
Da nahmen die Götter einen ihrer giftigen Zähne, mit dem sie Tiere fing um sich zu nähren. Sie kehrten ihn um und formten darum eine Gestalt, die Namad glich, nur unterschieden von dem aufragenden Dorn,der ihr Befreiung schaffen sollte. Dieses Wesen aber war Namar und er war Namad Untertan und diente ihre Lust zu befriedigen.
Der alte Vater, der Gott des Vergehens und des neuen Werdens war, sprach aber zu den anderen Göttern. "Wie kann es sein, dass die anmaßende Namad von uns fordert, wo sie doch allein gemacht wurde uns zu preisen. Nun hat sie einen Diener, der ihre Begierde stillt und mit dem sie sich bei Tag und Nacht vergnügt, so dass ihre Loblieder ihr nur lästige Unterbrechung sind. Ich will ihre Freude mindern und aus ihrem Tun soll ihr nicht nur Labsal sondern auch Schmerz entspringen."
Als Namad und Namar in der nächsten Nacht beieinander lagen, die Leiber innig verschlungen und der Dorn tief versenkt, da kam der alte Vater zu ihnen und ließ den Giftzahn sein Gift verspritzen. Bald schon fühlte Namad sich krank und schalt ihren Diener Namar, dass er sie krank gemacht hätte. Sie blähte sich auf und als die Pein am größten war, da wimmelten Schlangen aus ihr hervor. Nicht in Eiern,wie es bei den Schlangen der Wälder war, sondern lebendig und wie Namad und Namar, mit Armen zu greifen, einer Zunge zu sprechen und zwei unterschiedlich in ihrer Art, dass sie sich miteinander vergnügen mögen.
Sie schwärmten davon und bevölkerten das Land.
Da sie nun geheilt war, ergriff wieder die Lust von Namads Leib Besitz und so ging es lange Zeit und die Frucht ihres Tuns brachte mehr und mehr ihrer Kinder in die Welt.
Diese wussten nichts von den Göttern und sie kannten nur ihre Mutter und ihren Vater.
Sie türmten Steine übereinander und stellten Abbilder von Namad auf,und huldigten ihnen.
Das sah Namad von den Bergen aus und dachte bei sich.
Ich bin eine, die die Götter preist. Mich aber preisen unzählige meiner Kinder. Bin ich dann nicht größer als jeder der Götter?“
Also vernachlässigte sie ihre Aufgabe und bald schon ließ sie ganz davon ab und erging sich nur noch im Akt mit Namar und selbst ihren Kindern und ließ sich von ihrer Nachkommenschaft verherrlichen.
Das sahen die Götter mit Grimmen und der Blutige sprach zu den anderen.„Da seht ihr, was eure Milde gebracht hat. Hochmütig sind die Kinder Namads und vergessen haben sie unsere Namen. Ich will sie lehren unser zu gedenken.“
Als Sturm und roter Regen ging der Blutige über das Land hinweg und wo er die Kinder Namads streifte, da wurden ihre Hände zu langen Sicheln von Horn. Keiner vermochte mehr einen Stein zu behauen und auf einen anderen zu setzen. In die Herzen der Kinder drang der Zorn ein und einer beschuldigte den anderen Ursache zu haben an dem Geschehenen. In blankem Hass schlug sie mit ihren Sichelarmen aufeinander ein und töteten sich in ihrer Raserei. Das sah Namad von den Bergen aus und sie weinte vier Tage und vier Nächte. Ihre Tränen rannen den Berg hinab, vermischten sich mit dem Blut ihrer Kinder und sammelte sich in den Tälern. So kamen es das die Welt Meere bekam,die die Berge voneinander schieden. Die Kinder, die sich noch nicht gegenseitig getötet hatten, waren nun von den Wassern getrennt und als sie ihre Mutter so weinen sahen, da besannen sie sich und töteten nicht länger. Wohl aber lebte die Gier nach dem Blut anderer in ihnen fort und sie wurden grausam.
Da sie ohne Hände nicht länger in die Höhe bauen konnten, gruben sie sich in die Berge hinein wie Würmer und lebten im Dunkel.
Die Götter kannten sie nun und beteten zu ihnen aus Furcht. Aber sie hassten sie auch und stellten ihre Mutter und selbst ihren Vater über sie.
Die Götter sagten, „Die Kinder von Namad und Namar fürchten uns und bringen uns Opfer dar. Aber lieben tun sie nur ihre Mutter und ihren Vater. Sie sind uns nicht gefällig.“
Ein jeder beschuldigte nun den anderen als Verursacher.
Der Wissende hätte ihr nicht das Wort geben dürfen, der Prinz sie nicht mit Verlangen erfüllen, der alte Vater sie sich nicht vermehren lassen sollen und der Blutige sie nicht den Hass lehren.
Alle waren sich einig, dass man sie vernichten müsse. Doch wer immer sich dazu erboten hätte, der hätte den Fehler für sich eingestanden und so geschah lange gar nichts, während sich die Götte stritten.
Dann sprach der Wissende „Wir wollen die Kinder Namads nicht von eigener Hand tilgen, sondern andere dafür zu unserem Werkzeug machen.“
Aber wen sollen wir dafür nehmen? Noch einmal ein Tier aufrichten, dass wollen wir nicht, denn es würde wieder werden wie Namad und sich von uns abwenden.“
So reden sie hin und her und wenn einer etwas vorschlug, so wussten die anderen warum es nicht gehen konnte.
Namad saß auf ihrem Berg und hörte die Götter miteinander Rat halten.
Sie wollen also meine Kinder tilgen.“ Sprach sie bei sich. „Ich will es ihnen verleiben und meine Nachkommenschaft vor ihnen verbergen.“
Sie erhob sich auf ihrem Leib und reckte sich zu voller Größe auf. Weit renkte sie den Kiefer, wie es alle Schlangen vermögen und mit einem Biss verschlang Namad die Sonne, so dass sich Kälte und Nacht über die Welt legten und die Dunkelheit ihre Nachkommen verbarg.
Trotz der Sorge um ihre Kinder, konnte Namad den Fluch der eigenen Lust jedoch noch immer nicht bezwingen. Viel mehr verstärkte die feurige Glut der Sonne in ihrem Leib das Verlangen noch. Also ließ sie Namar kommen, dass er ihr beiwohne. So vergnügten sie sich in der Finsternis und als sie in wonniger Ekstase aufschrie, da entkam die Sonne ihrer Kehle und stieg zurück ans Firmament. Gleich raffte sich die große Schlange auf und setzte ihr nach, verfolgte sie über die Berge und durch die Täler hinweg und verschlang sie endlich aufs Neue. Dies wiederholt sich seit dieser Stunde und so kamen Tag und Nacht in die Welt.
Inder Nacht sahen die Götter zum Himmel und dort erblickten sietausende Lichter.
Wir können die Kinder Namads nicht mit einem Ding der Erde bezwingen.“Sprachen sie.
Lasst uns daher ein neues Volk aus den Sternen machen. Aber gleich wollen wir sie mit all unseren Gaben beschenken und sie danach nach unserem Willen formen."
So nahmen sie die Sterne und erschufen daraus ein Wesen, dass sie Mensch nannten. Auf Sternenlicht fahrend und in feurigen Barken sitzend,kamen die Menschen auf die Welt herunter.
Sie hatten mächtige Waffen, hatten Diener aus Eisen und Licht und waren voll Stolz.
Aber sie waren auch dumm.
Obwohl sie die Gier nach Blut in sich trugen waren sie dumm und kannten nicht den Namen des blutigen Gottes.
Obwohl sie das Wort auf der Zunge trugen waren sie dumm und kannten nicht den Namen des wissenden Gottes.
Obwohl sie das Werden und Vergehen in sich trugen, jung geboren wurden und im Alter starben, waren sie dumm und kannten nicht den Namen desalten Vaters.
Obwohl sie die Lust aufeinander in sich trugen und einander oft beiwohnten,waren sie dumm und kannten nicht den Namen des Prinzen der Lust.
Sie waren nicht hochmütig geworden, wie Namad, sie waren hochmütig geboren.
In ihren Schiffen stiegen sie vom Himmel herab und meinten alles sei ihnen Untertan und sie seien nun die Herren der Welt.
Die Götter sahen dies und lachten.
Wenn Namad die Sonne verschlang und die Menschen im Schlaf lagen, dann kamen die Götter zu ihnen und flüsterten ihnen in die Ohren. Waren sie am nächsten Tag wach, so klangen die Worte der Götter und ihre Namen in ihnen nach. In der Welt der Träume offenbarten sich die Götter und die die sie verstanden, waren nicht mehr dumm, sondern konnten sehen.
Ihre mächtigen Waffen richteten sie gegen die Kinder Namads, wenn diese aus den hohlen Bergen krochen. Aber sie wandten sie auch gegeneinander um die Wissenden von den Dummen zu befreien.
Sie rissen den Dummen die Herzen heraus und reckten sie den Göttern entgegen, denen das sehr gefiel. Bald war überall auf der Welt Kampf und Lust und die Schädel der Menschen und der Kinder Namads türmten sich zu hohen Bergen auf. Und die Menschen zerbrachen ihre mächtigen Waffen im Kampf und zerschlugen ihre Himmelsbarken und sie rissen sich gegenseitig die Herzen heraus und schlachteten sich. Die Götter waren damit sehr zufrieden und sagten. „Nun haben wir die Welt wie wir sie wollten und unsere Namen werden geschrien, geflüstert, gestöhnt.
So ist es gut.“

"Ritual"behandelt eine Dienerin des Slaanesh, die mit ihrer kleinen Dienerschaft in die Wüste zieht, um dort, wer hätte es gedacht, ein Ritual durch zuziehen. Wieso und weshalb würde an dieser Stelle zuweit gehen und zu ausschweifend werden. Darum hier nur das Ritual.(Ich hatte überlegt, ob ich es poste, weil es nicht ganz jugendfrei ist (es ist eben ein Slaanesh- Ritual) aber auf der anderen Seite werden in den meisten Geschichten ja auch Menschen in rauen Massen abgeschlachtet und es ist okay. Also passts schon, denke ich. 😱hmy:
Ritual

Die Toten stehen aufrecht, im Tal des namenlosen Flusses.

Neun Carnaks suchten sich ihren Weg vorsichtig durch die anbrechende Dämmerung. Die Tiere schnaubten nervös und nur jene, die blind und taub waren und nicht wussten, was das Tal des namenlosen Flusses war,schoben diese Nervosität allein auf den trügerischen Untergrund.
Mandias hatte protestiert und darauf bestanden wenigstens ein paar Gewehre mitzunehmen, denn das Tal war auch für die gefährlich, die ihre geistige Gesundheit ganz hinter den Schutzwall der Rationalität zu retten versuchten. Rotten der degenerierten Verteidiger suchten hier zuweilen Zuflucht und waren diese Wesen in den Jahrhunderten auch zu feigen Kreaturen herabgesunken, so mochten sie in genügend großer Zahl doch zu einem Angriff bereit sein. Wohl dem, der dann ein Sturmgewehr mit sich führte.
Doch Nagari war für alles Bitten ihres Vertrauten unempfänglich gewesen. Man müsse diese Reise in die Hände der Götter geben oder es gleich bleiben lassen. Also hatte der Pferdemann dem Wunsch seiner Herrin entsprochen. Das er seine Klinge mit so starken Gift versehen hatte, dass beim Ziehen des Dolches die Schneide kaum merklich dampfte, war der kleine Freiraum, den er sich im Rahmen der Anordnung gestattete.
Neben ihrer Herrin war Carba bei ihnen. Die stämmige kleine Frau war auf eine maskuline Art gut aussehend, auch wenn Mandias natürlich darauf achtete, dass niemand im Gefolge der Schlange wirklich das Prädikat „hässlich“trug.
In ihrem früheren Leben war sie eine Soldatin im Dienste des Leichenkaiser, nun war sie die oberste Sklaventrainerin und vermutlich die befähigste Kämpferin. Des weiteren ritt Setreal mit ihnen. Ein schweigsamer Typ, feingliedrig wie ein Eldar und ein begabtes Kind mit jeder Art von Klinge. Er war zur Hand, wenn es galt Bestrafungen vorzunehmen, die bei dem Betreffenden hängen bleiben,die aber keine Schäden an der Ware hervorrufen sollten.Diesbezüglich was Setreal überaus begabt. Eine Begabung die sich auch anwenden ließ, wenn jemand einen unschönen Tod haben sollte,ohne das böse Zungen gleich laut “Mord“ krakeelten.
Die vier Sklaven bestanden aus zwei Frauen und zwei Männern. Alle nach den Regeln der Kunst gebrochen und dann für den Dienst abgerichtet. Sie waren bedingungslose Lakaien, doch leider fehlte ihnen die Einsicht in die Wesenheit des Chaos, welches sie darüber erhoben hätte eben mehr zu sein als nur Sklaven. Sie würden sich mit bloßen Händen gegen ihre einstigen imperialen Kameraden stellen, allein weil Konditionierung sie dazu gebracht hatte. Aber aus Überzeugung und innerer Einsicht würde nicht einer handeln.
Damit waren sie hochwertige aber beschränkte Ware.
"Dort steht jemand, Herr!" Bemerkte Jamila und deutete nach vorn auf die Hügelkuppe. Tatsächlich zeichneten sich auf der Erhebung Silhouetten ab. Die untergehende Sonne schnitt sie als schwarze Schemen aus. Mandias ritt neben sie und beschirmte kurz die Augen mit dem Schatten seiner flachen Hand. "Ignoriert sie und reite weiter, Kind. Die Toten stehen aufrecht an diesem Ort."
VomHügel trug der Wind das leise Klappern von Knochen und Metall auf Metall herab. Ansonsten bewegten sich die stillen Wächter dort oben nicht.
"Herr Mandias was..."

"Still jetzt! Weiter sag Ich."
Wie sich zeigte war der Ort, der als „Namenloser Fluss“ bekannt war wohl tatsächlich dereinst das Bett eines Flusslaufes gewesen und nicht nur der poetische Einfall des Landmarkensetzers. Tief schnitt sich der erstorbene Lauf in den Felsen und nachdem sie einem schmalen Pfad nach unten gefolgt waren mussten sie absteigen und die Tiere an den Zügeln führen. Nicht nur machte Mutter Nacht den Weg unsicher,auch nahm das Geröll zu, was selbst den Zweibeinern den Stand erschwerte. Mandias und Carba entzündeten Fackeln, als der Sklave mit Namen Gunnar einen unbedachten Schritt tat und rückwärts stolperte. Er fiel einen halben Meter und landete etwas unsanft im Geröll des einstigen Flussgrundes. Der Schreck war für ihn größer als die Gefahr einer Verletzung. Alles drehte sich zu ihm um, denn der dabei entstehende Krach trug weit. Es klang als wäre er zwischen trockene Holzscheite oder Basaltgestein gestürzt. Er verfluchte die losen Kiesel und rappelte sich bereits wieder auf.

"Keine Kiesel!" Bemerkte Mandias mit einem bösen Grinsen und hielt die Fackel etwas tiefer. Das gelbliche Schwefellicht enthüllte, dass das, was von oben in der Tat wie glatt geschliffene Kiesel ausgesehen hatte, in Wahrheit Menschenknochen waren. Schädel, Rippen, Hüftknochen. Alles zersprungen und geschunden. Gunnar sprang erschrocken auf und klopfte seine Kleider ab, als würden sie durch diese uralten, ausgebleichten Gebeine irgendwie besudelt werden.
"Knochen!" Stellte er das mehr als Offensichtliche erschüttert fest. Mandias lachte humorlos auf.
"Was denkst du warum dieser Ort heilig ist? Weil er so malerisch gelegen ist?"
"Genug jetzt der Verzögerungen. Benehmt euch gefälligst eingedenk der Aufgabe, derer wir hier sind."
Nicht das die Sklaven wirklich gewusst hätten wie genau diese Aufgabe aussehen sollte. Ihnen hatte man lediglich erklärt, dass es kultische Handlungen zu vollziehen gäbe und dass sie natürlich nicht wie Lämmer auf der Schlachtbank enden würden. So etwas Albernes gab es nur in imperialer Propaganda und vielleicht bei den abgedroschenen Anhängern des Tzeentch. Kein Sklavenhalter mit Geschäftssinn würde vier Leben opfern. Im Gegenteil, die Aufgabe der Vier konnte sich als durchaus angenehm gestalten, schließlich standen sie im Dienste eines Gottes, ob nun Freiwillig oder nicht, der Wonne verhieß, wenn man nur Vertrauen hatte.

Das Tal war nicht der natürlichen Willkür der Wüste überlassen. Vielmehr fanden sich hier ungeahnte Vielfalten unterschiedlichster Bebauung. Alle Epochen und Stilrichtungen der Steinbearbeitung konnte das Auge erblicken. Der Schein der Fackeln war ausladend in der klaren Nachtluft, zusätzlich beschienen vom bleichen Antlitz des Mondes, der sich wie das Auge eine unheildrohenden Schlange ausnahm. Dieser Eindruck wurde verstärkt von der dunstigen Masse des Krallennebels, dessen Ausdehnung dieser Tage Fantasiebegabte in der Tat an den aufgeblähten Leib eines giftspuckenden Reptils gemahnen mochte. Bösartig blitzte es zwischen den jagenden Wolkenfetzen hervor, in seinem fiebrigen Purpur an einen frischen Bluterguss erinnernd. Diese gespenstische Mischung der vorherrschenden Lichtverhältnisse klaubte die Umrisse von Portalen und Toren aus dem Dunkel. Einige davon nur so groß und so schlicht wie Hauseingänge, andere gewaltigen Palastpforten verwand. Dies waren die Häuser der Toten, in denen ungezählte Generationen von rasankurischen Bewohnern ihren langen Schlaf schliefen.
Der Einfache, dem die Nachkommen eine Felsspalte bereitet, mit bescheidenden Opfergaben versehen und der Gewaltige, dem Heere von Sklaven die Entsprechung eines jenseitigen Heims aus dem Felsen geschlagen hatten. Kein Lebender konnte all die Grabkammern und finsteren Grüfte benennen, die zuweilen tief in den Fels hinab führten und Städten gleichkamen. Die Grenzen zwischen dieser Welt und anderen verschwammen hier.
Das jedenfalls wussten die zu berichten, die es wissen mussten. Alle anderen mussten es glauben und verbreiteten es zwar flüsternd, doch nichtsdestoweniger bereitwillig und voller Eifer.
Wenn der Himmel zuweilen auch den schwarzen Rauch von Opferaltären trank, war dieses Gebiet von beachtlicher Ausdehnung doch die weitaus meiste Zeit der Ruhe des Todes vorbehalten. Man kam nicht ohne guten Grund in das Tal des namenlosen Flusses. Bei Tage nicht und in der Nacht schon gar nicht.
Sie gingen jetzt schweigend. Die Diener innerlich auf die bevorstehende Aufgabe ausgerichtet, die Sklaven eingeschüchtert von den dumpf drohenden Zugängen der Grabmäler, Nagari schweigend seit der Minute, da sie aus ihrem Haus getreten war.
Lang war ihr Weg und die Stadt in ihrem Rücken war nur ab und an durch das Blinken eines fernen Lichtes überhaupt noch als existent zu erkennen.
Inzwischen lastete die Stille schwer auf allem, nicht wie oft beschrieben als etwas Lauerndes, dass Gefahr erahnen ließ, sondern vielmehr als bedrückende Abwesenheit jeglichen Lebens. Das Klappern der Hufe auf den losen Knochen und die Schritte der Menschen wirkten erschreckend fehl am Platze, beinahe blasphemisch.
Endlich deutete Mandias auf eine Stelle des Fluss losen Ufers und sie verließen den beinernen Weg. Doch keines der prachtvollen Torhäuser steuerten sie an, ja nicht einmal eines der weniger opulenten Gräber. Etwas oberhalb einer geglätteten Felswand, die die verwitterten Heldentaten eines lang dahingegangenen Kriegers verherrlichten, tat sich eine unscheinbare Höhle auf. Der Zugang war für die Carnaks nicht zu bewältigen und sie ließen sie am Fuße des schmalen Aufstieges zurück.
Die Höhle erwies sich als enger Schlauch, der ein gutes Stück in den Felsen der Uferböschung führte. Möglich, dass ihn dereinst das Wasser des Flusses gegraben hatte, denn die Spuren einer menschlichen Bearbeitung ließen sich nicht ausmachen, auch wenn das Licht der Fackeln an einigen Stellen Kratzer aus der Dunkelheit holte, die man als Schrift oder Zeichen deuten mochte. Der Korridor dehnte sich nach einigen Minuten des Vorantastens aus und mündete in eine größere Kammer. Auch sie war wenig spektakulär. Der Boden zeigte sich eben und in der Mitte erhob sich ein flacher Steintisch, scheinbar auch auf natürliche Ursprünge zurückzuführen. In einer Ecke lag ein Stapel Holz. Wie lange dieser dort seiner Benutzung harrte ließ sich nur vermuten, schließlich wuchsen in dieser Region seit dem Krieg der Häuser keine Bäume mehr. In der Tat mutete das Material grau und spröde an.
Nur Mandias war bereits einmal hier gewesen und so war er es, der nun Anweisungen gab und damit die anderen aus ihrem verhaltenen Umschauen riss.
Das Holz wurde zu einem Stoß aufgeschichtet und entfacht. Gleich sammelte sich der Rauch, reizte zu Husten und ließ die Augen tränen, da sich der Qualm nur wiederwillig den Weg entlang wälzte, welchen sie soeben gekommen waren. Doch der pferdeköpfige Mutant wusste auch hier Abhilfe. In die blakenden Flammen rieselte er ein grobkörniges Pulver, worauf diese fauchten und zischten, dann in sich zusammenfielen. Das antike Holz glühte nun nur noch, das jedoch in einem intensiven Blauton, der nicht nur die Höhle im beachtlichen Maß erhellte, sondern auch eine Wärme verteilte, die ganz und gar unnormal war für eine derart kleine Feuerstelle. Auch ließ sich durch das so entstandenen Licht erkennen, dass der Raum nicht etwa eine Sackgasse darstellte. An seiner Stirnseite, auf Bodenhöhe, gab es ein weiteres Loch. Ein schlanker Mensch hätte dort vielleicht hinein kriechen können, doch das einfallende, blaue Licht ließ erahnen, dass es dahinter sehr steil nach unten ging.
Nichts in das man sich kopfüber stürzen wollte. Über dem Loch waren die gekratzten Schriftzeichen vermehrt auszumachen, zentriert über das stark stilisierte Bild einer Schlange. Mandias wies die gaffenden Sklaven mit scharfen Worten an den Steintisch von jeglichem Staub zu befreien. Setreal war derweil damit beschäftigt ihr mitgebrachte Gepäcke zu öffnen. Verschiedenste Kleidungsstücke, die zur Polsterung von mannigfaltigen Fläschchen und Keramikp
hiolen dienten, dazu ein einfacher Becher aus gebranntem Ton. Letztlich gab es eine lederne Schriftrolle, eng mit den gehässig aussehenden Worten der dunkeln Sprache beschrieben. Mandias nahm sich eben dieser Schriftrolle an, lass die Worte, die er eigentlich längst auswendig kannte, erneut und sprach sie lautlos nach. Setreal befleißigte sich der Kleidung, die aus seidenen Roben bestand, in eben jenem Purpur gehalten, welches irgendwo über ihnen der Krallennebel durch die Wolken schimmern ließ. Carba unterdessen, mischte aus den mitgebrachten Flüssigkeiten etwas in dem Becher zusammen. Zum Bild der rituellen Handlung wollte nicht rech passen, dass die Grundsubstanz des Gebräus ein in Gohmor allgegenwärtiges Erfrischungsgetränk war, eine koffeinhaltige Limonade, die sie aus einer Blechdose in den Kelch goss. Das Zischen der Kohlensäure verwandelte sich in ein bedrohliches Blubbern, als sie diverse andere Stoffe beimischte. Alles geschah schweigend und nur die Geräusche der Tätigkeiten an sich störten die Stille.
Mandias ließ die vier Sklaven Aufstellung nehmen und reichte den Becher dem Ersten.
"Trink!"
Der Sklave, Buru war sein Name, nahm den Kelch zwar, zögerte jedoch und beäugte die Flüssigkeit misstrauisch. Als Carba dies mitbekam erhob sie sich und machte einen drohenden Schritt auf Buru zu. Das allein reichte bereits, Worte waren gar nicht nötig.
Die Ausbilderin verstand ihr Handwerk gut genug, dass ihre Zöglinge ihren Zorn mehr fürchteten als jede Form des Todes. Mit aus Angst geborener Entschlossenheit nahm Buru einen tiefen Schluck, die Augen geschlossen. Er ließ die Flüssigkeit hörbar die Kehle herab rinnen.
Öffnete dann die Augen, wohl in der Erwartung von Krämpfen oder sonst einer schrecklichen Erscheinungsform der Vergiftung. Als nichts dergleichen eintrat, gab er den Kelch an Jamila weiter, diese an Gunnar und der wiederum an Syli.
"Seht ihr, alles halb so wild. Ich sage doch, niemand wird euch auch nur anrühren. Habt Vertrauen ihr Narren."
Die drei Diener wandten sich von den Sklaven ab, welche bar einer Aufgabe aufgereiht stehen blieben und sich fragende Blicke zuwarfen.
Mandias, Setreal und Carba entkleideten sich mit schnellen Bewegungen. Als neuster Zugang in den Reihen der Schlange Nagari war es Syli, die einen überraschten Laut nicht unterdrücken konnte, als die den entblößten Mandias sah. Dieser war nicht nur oberhalb der Schultern mit den Attributen einen Pferdes gesegnet wurden, die Götter hatten ihn durchgehend überreich beschenkt. Auch Carba, die sie alle während der Ausbildung mit Meisterin und später mit Frau Carba anzureden hatten, war mehr als diese Titulierungen erahnen ließen. Der muskulöse Körper war der einer Frau, ohne Frage. Kompakt und trainiert, aber doch eindeutig weiblich. Um die Brustwarze der linken Brust war das Sigul des Slaanesh tätowiert. Doch neben den Geschlechtsmerkmalen einen Frau, hatte der Gott der Sünde sie auch mit denen des Mannes beschenkt. Als sie Sylis geweitete Augen sah zwinkerte sie ihr vielsagend zu und drehte sich dann um, um sich die Robe überzustreifen.
Die drei so gleichsam bekleideten Diener umringten ihre Herrin, die bis jetzt fast teilnahmslos gewartet hatte, scheinbar in Meditation versunken.
Syli konnte nicht sehen was sie taten, doch vor ihrem inneren Auge flimmerte noch immer der kurze Eindruck der Fremdartigkeit Carbas und Madias. Sie hatte natürlich alle Teile der Ausbildung mitgemacht, auch jene, die die Künste des Liebesspiels beinhalteten. Doch hatte sie all die Praktiken mehr über sich ergehen lassen, wo andere Sklaven die Spiele und unnennbaren Handlungen genossen. Sie hatte getan was man von ihr erwartete, doch weder hatte sich Promiskuität bei ihr entwickelt, noch überschwängliche Lust, ach nannte man es doch beim Namen, sie hatte es vermieden zu einer geilen Hündin zu werden, wie so viele andere im Dienste der Schlange.
Aber dieser kurze Blick... wieso hatte er nur eine so sonderbare Wirkung auf sie? Eine nie gekannte Hitze schien als Ball in ihrem Magen zu liegen, wanderte tiefer und ließ ihr Schweiß auf die Stirn treten. Sie leckte sich über die Lippen, strich sich fahrig über die Hüften und musste sich zwingen die Hände nicht zwischen die Schenkel gleiten zu lassen, wo sich die entfaltende Hitze zu einem Pulsieren wandelte. Sie blickte verschüchtert zu Gunnar, wollte ihn flüstern fragen, ob er sich auch merkwürdig fühle und ob dies vielleicht an diesem Ort liegen mochte.
Zu ihrer nicht geringen Überraschung blickte sie der Mann unverwandt an, als sie den Kopf zu ihm drehte. Er lächelte nicht, sah sie nur eindringlich an, ja starrte fast schon. Sein Blick wanderte an ihr herab, ohne dass er sich die Mühe machte auch nur den Anschein zu erwecken, dass nicht Gier diese Musterung verursachte. Syli hätte mit der gleichen unausgesprochenen Abneigung reagieren müssen, mit der sie solchen Dingen auch in Nagaris Haus begegnetet. Doch sehr zu ihrer Überraschung fand sie die lüsternen Blicke des Mannes nicht unangenehm.
Im Gegenteil!
Niemand hatte ihnen die Erlaubnis gegeben sich zu bewegen und Syli hatte gelernt, dass stiller Gehorsam der beste Weg war unbehelligt zu bleiben. Doch das erste mal seit ihrer Gefangenschaft pfiff sie auf diese Lebensweisheit. Unvermittelt drehte sie sich Gunner gänzlich zu und schlang die Arme um ihn, presste sich gegen ihn, küsste ihn.
Der Kerl war ein Tölpel und sie konnte ihn nicht leiden, doch im Moment war ihr das gleichgültig. Sie genoss seine zupackenden Hände, die sich regelrecht in ihren Hintern krallten, sich dann höher bewegten und ihre Brüste erst abtasteten und dann das einfache Leinheim darüber aufrissen. Syli war derweil auch nicht untätig gewesen und hatte sich an den Beinkleidern ihres Mitsklavens zu schaffen gemacht. Die Hüllen fielen und ehe sie es sich versahen oder auch nur einen Gedanken an die anderen Anwesenden in der Höhle verschwendet hatten, waren sie halb am Fuß der Steinplatte sitzend, nieder gesunken und Syli schwang sich rittlings auf Gunnar, gewährte ihm was er wollte. Man hatte sie intensiv in der Kunst des Verführens unterrichtet, hatte ihnen beigebracht, dass der eigentliche Akt nur der Abschluss war. Zwar wichtig, doch nichts im Vergleich mit dem Weg dorthin. All dies Gelernte war nun wie ausgelöscht, die reine körperliche Vereinigung war alles was zählte. Ein Mann reichte ihr jedoch dabei nicht und so kam es ihr zu Gute, dass Jamila und Buru auf der Steinplatte des Tisches lagen und es eben so zügellos angehen ließen wie sie und Gunnar. Wieso das so war oder warum keiner der Diener Nagaris sie zur Ordnung rief wusste sie ebenso wenig wie es sie interessierte. Syli war in diesem Moment nur wichtig, dass ein anderes Glied in der Nähe war, welches ihr Vergnügen bereiten konnte.
"Beeindurckend!"
Merkte Mandias an, als er sich das Schauspiel mit vor der Brust verschränkten Armen besah. Gerade bearbeiteten die beiden männlichen Sklaven die, die Syli gerufen wurde, während sich die zweite Frau das Gesicht des so geforderten Mädchens zwischen die Schenkel presste.
"Findest du?" Setreal warf nur einen flüchtigen Blick auf die sich bewegende Skulptur aus Fleisch, die von lautem Stöhnen und lustvollen Schreien lautmalerisch illustriert wurde. Er legte wenig an den Tag, was man als Beeindruckung hätte deuten können. Schon wandte er den Blick wieder ab um sich des Gürtelstricks seiner Robe zu widmen.
"Nicht das Gebaren da." Die Männer hatten von Syli abgelassen und mit lautem Klatschen bediente sich Gunner einer anderen dargebotenen Möglichkeit, was Buru aufschreien ließ, ohne dass er jedoch von der keuchenden Jamila ab ließ. Vielmehr passte er den Rhythmus seiner Bewegungen entsprechend an.
"Ich meine die Wirkung der Substanz."
Die Diener ließen sich Zeit. Sie hatten ihre Herrin entkleidet, was diese jedoch nicht aus ihrer inneren Versenkung auftauchen ließ. Die Roben waren angelegt und saßen. Sie gönnten sich den Spaß und sahen der unkontrollierten Brunst zu, die sich auf der Steintafel abspielte. Dort wechselten Paarungen in schneller und unübersehbarer Folge.
Das was den Trieb für gewöhnlich beendete hatte augenscheinlich keinen Effekt, weder auf die Lust der Beteiligten, noch auf die Funktionalität ihrer Körper. Nachdem sich die Diener eine knappe halbe Stunde an dem Schauspiel ergötzt hatten nahmen sie ihre Positionen ein und bildeten ein loses Dreieck um den Tisch, an dem Syli vorn über gebeut stand und auf dem Jamila breitbeinig saß. Während beide in ein inniges Zungenspiel vertieft waren, schnauften und grunzten die Männer, die Hände um die Taille der jeweilig vor ihnen positionierten Frau gelegt.
Die leichte Amüsiertheit, mit der Mandias, Carba und Setreal die Darbietung genossen hatten war nun gewichen. Schweigend standen sie einige Minuten, sammelten sich und suchten ebenso die innere Mitte, wie es ihre Herrin schon vor Beginn der Reise getan hatte. Dann begann Mandias tief aus der Kehle heraus zu summen. Carba stimmte ein, dann auch Setreal. Diesen Ton hielten sie, holten in genau abgestimmten Zeitabständen inne um zu Atmen aber niemals so, dass der durchgehende Ton unterbrochen wurde. Die im Zentrum des Dreiecks ließen sich davon nicht beirren. Irgendwann breiteten die drei Diener die Arme aus, so dass sich ihre Handflächen durch eine Linie berührt hätten, hätten sie näher bei einander gestanden.
Das eigentlich Ritual hatte begonnen.

Drei lange Stunden bestand das Ritual aus nichts anderem, denn aus der still dasitzenden Nagari, dem Singsang der drei Diener und dem Ächzen, Stöhnen und ekstatischem Aufschreien der vier Sklaven. Die Wärme des kleinen Feuers, anfänglich ein willkommener Verbündeter gegen die Kälte der heraufdämmernden Nacht, war inzwischen Quelle einer brütenden Dampfhaushitze geworden.
Den drei Beschwörenden ließ sie Schweißperlen auf den Gesichtern Glitzern und die Roben mit dunklen Flecken versehen. Den Sklaven floss das Wasser in Strömen die Leiber herunter und tropfte auf den aufgewühlten Boden, rings um die Steinplatte, wie auf den Tisch selbst. Er vermischte sich mit all den anderen Absonderungen, die ihr fortwährendes Tun als Folge hatte. Längst hatte diese erzwungene Orgie jeden Anschein von der animalischen Ästhetik verloren, die man in der ursprünglichsten Form der menschlichen Auslebung von Begierde hätte entdecken können. Die Szenerie war zu einem erschöpften Akt unnatürlichen Zwangs verkommen. Die vier Menschen bestiegen sich noch immer gegenseitig wie von Sinnen, doch längst ohne Kraft oder Elan, sondern unter der Aufbringung aller Kräfte, die eigenen Körper an die Grenzen des Erträglichen treibend.
Gunnar war der Erste, der diese Grenze überschritt.
Er lag mit dem Rücken auf dem Stein und hatte die Hände auf Jamilas Brüste gelegt, während sie sich reitend auf ihm gebärdete. Unversehens drückte er den Rücken durch und stemmte sie damit zwei Handbreit empor. Was erst wie ein weiterer orgasmischer Höhepunkt anmutete war in Wirklichkeit sein Scheiden aus dieser Welt, als Anstrengung und Hitze seinen Metabolismus in die Knie zwangen. Er atmete einmal langgezogen aus, sackte zurück und ließ die Hände zur Seite sinken. Dann lag er still.
Jamila bemerkte dies erst nach einer Weile, als ihr aufging, dass der Freudenspender unter ihr, frustrierend wenig Initiative zeigte. Sie bearbeitete ihn mit einigen wütenden Stößen ihres Beckens und schrie dann zornig auf. Sie glitt von der Leiche und brachte sich in das Spiel Sylis und Burus mit ein, die sich auf dem Boden miteinander befleißigten, wobei Buru hinter Sylis hockte, die ihrerseits wie ein Hund auf allen Vieren kniete.
Im Singen der Diener veränderte sich das Tempo. Die gemurmelten Worte kamen jetzt schneller, mit eindringlicherer, rhythmischer Modellierung.
Auch der Tod kam schneller und wieder war es einer der Männer, dessen Körper dem nicht gerecht werden konnte, was sein Verlangen von ihm forderte.
Buru starb eine halbe Stunde nach Gunnar. Ihm war jedoch kein so schnelles Ende beschieden. Ganz offensichtlich erlitt er einen Schwächeanfall, was ihn nahe an eine Ohnmacht brachte. Die Gnade ganz wegzutreten war ihm jedoch nicht vergönnt und so bewegte er sich mit flimmernden Augen in einem phantasmagorischen Deliriumszustand. Es war Syli, die ihre gespreizten Schenkel auf sein Schweiß glänzendes Gesicht senkte, da die, von der Biologie dafür vorgesehene Stelle des männlichen Körpers von Jamila besetzt war. Diese Stellung hatten sie in vergangenen Stunden immer wieder wechselseitig eingenommen und sie hatte ihren Zweck erfüllt. Doch jetzt rieb sich Syli am Gesicht eines Mannes, der alle Mühe hatte bei Bewusstsein zu bleiben, geschweige denn ihr orale Befriedigung zu verschaffen. So erstickte Buru letztlich zwischen den Beinen einer vor Verlangen stöhnenden, verschwitzen Sklavin. Ein Ableben, dass in der Realität weit weniger erstrebenswert ausfiel, als die Beschreibung vermuten ließ. Die Diener rückten näher heran, steigerten den Gesang und hoben die Hände jetzt empor, als riefen sie eine Entität an, die irgendwo jenseits der niedrigen Höhlendecke verortet war. In der Höhle selbst war keine unmittelbare Reaktion auf die Anrufung auszumachen.
Doch hätte jemand Außerhalb gestanden, er hätte Erstaunliches beobachten können. Am Himmel mäanderten farbenprächtige Erscheinungen, wie man sie auf vielen Planeten als Aurora borealis kannte. Hätte man auch versuchen können ihre abweichende regionale Verortung irgendwie auf die sonderbaren Wetterkapriolen im Ödland der Wüste zu schieben, so war die diabolische Zielstrebigkeit mit der sie sich bewegten, dadurch nicht erläutert. Es bedurfte nicht viel Fantasie um in den leuchtenden Linien eine Schlange zu erkennen, die im nächsten Moment den Leib aufstellte und die Attribute eines Menschen ahnen ließ, die sich auf unheilige Art mit dem Reptilienkörper vermischten. Dann zerfloss das Licht und der nicht existente Beobachter hätte für einen kurzen Augenblick freie Sicht auf den Krallennebel gehabt, der in gespenstischem Einklang ebenfalls das göttergroße Abbild einer Schlange darstellte, den Mond als Auge, Modsognir und Angst als Endpunkte Gift triefender Zähne. Suluath, Krull und Dagon den gewellten Körper nachzeichnend. Es war eine Nacht, die der zwitterberufsstand der Astronomen und Astrologen im fernen Gohmor mit Beunruhigung betrachtete, ohne dass sie die Ursprünge dieser latenten Furcht hätten benennen können.
Die Rate der Selbstmorde auf ganz Koron würde morgen früh als ungewöhnlich hoch beziffert werden. In den Irrenanstalten rund um den Globus tobten heute Nacht die Insassen und in nicht wenigen Einrichtungen mussten die Wärter von den Schusswaffen Gebrauch machen. Empfindsame Wesen wurden von schwarzen Alben an erholsamen Schlaf gehindert und in finsteren Winkeln des Planeten tanzten und sprangen die Anhänger uralter Kulte um lodernde Flammen, in die das Blut der Opfer zischte.
Nicht grundlos hatte der Hofhexer Rasankurs diese Nacht ausgewählt, um das Kraftraubende Ritual der Transzendenz durchzuführen und das Wesen Priest in die Stadt des Chaos zu holen.
Die Lichter über der Höhle zeigten die zuckende Masse zweier gewaltiger Heere, die an den Ufern des namenlosen Flusses Aufstellung genommen hatten und aufeinander zubrandeten, sich ineinander verkrallten und ein Gemetzel von namenloser Größe heraufbeschworen. Die Lichter waren herabgesunken und ahmten die Szenerie des Abschlachtens in fahlen Gespensterleuchten nach, als erinnere sich das dämonische Glühen, als ergötze es sich an dieser Erinnerung.
Als in der Höhle unterhalb zweier prachtvoller Grabkammern der dritte Mensch starb, stiegen die Schwaden wieder zum Himmel empor und man mochte in ihnen den Leib eines Mannes erkennen, der sich in schamloser Wonne mit dem Krallennebel oder vielmehr der daraus geformten Schlangengeschalt wand. All diese Beobachtung blieben jedoch hypothetischer Natur. Allein aus den höheren Gebäuden Rasankurs heraus, hätte die unmittelbare Möglichkeit bestanden das Glosen im Tal des namenlosen Flusses zu besehen. Doch gerade die Diener des Chaos wussten, dass es Erscheinungen gab, die man besser nicht mit allzu großer Neugier bedachte, so man dafür nicht zwingende Gründe hatte.
Waren die geisterhaften Erscheinungen also Wirklichkeit oder endlich doch nur ein weiteres Phänomen des geisteskranken Wetters in der Wüste? Die Beantwortung dieser Frage war ebenso müssig, wie die nach dem Geräusch, dass ein fallender Baum machte, wenn niemand zugegen war seinen Sturz zu beobachten.
Definitiv wirklich war alle mal das Dahinscheiden von Jamila, die ihr Leben sehr still aushauchte. Sie und Syli lagen jeweils gedreht aufeinander, nachdem sie die Leiche Burus von der Steinplatte gestoßen hatten. Jamila wurde irgendwann in ihren Bewegungen einfach schwächer, bis sich ihr bebender Brustkorb letztlich nicht mehr hob und senkte.
Ob es ein Hitzschlag gewesen war oder auch die pure Erschöpfung, konnte niemand im Raum bestimmen und es verlangte auch keinen danach. Mandias verließ seinen Platz und ließ den Singsang ausklingen, während Carba und Setreal darin fortfuhren, aber ihre Positionen wechselten, so dass sie an den jeweils kurzen Seiten, Kopf- und Fußende wenn man so wollte, der Steinplatte standen.
Der hochgewachsene, schwarzhäutige Tiermensch trat an den Tisch heran und blickte schweigend auf die keuchende, Frau herab, der das strohblonde Haar verklebt und strähnig ins Geischt hing. In den Augen der Sklavin brannte das Feuer des Wahnsinns, denn ihr Verstand war irgendwo in den letzten Stunden auf der Strecke geblieben. Mit vor Lust zitternden Händen nestelte sie an der Robe des Pferdehäuptigen herum, versuchte seine Männlichkeit zu befreien und in den Dienst ihres Selbstmords zu stellen. Mandias gestattete es nicht. Seine Hand zuckte vor und packte Syli im Nacken wie eine junge Katze. Der Pferdemann zählte nicht zu den stärksten Mutanten in Rasankur, dennoch war seine Kraft beachtlich. Als wäre sie nicht mehr als ein wütendes Kind zerrte er die nackte Frau von der Steinplatte. Selbst wenn sie nicht von den Anstrengungen der tödlichen Orgie erschöpft gewesen wäre, hätte sie Mandias kaum etwas entgegenzusetzen gehabt. Ihr abwehrendes Zappeln war nutzlos und schwach.
"Eins genommen, eins gegeben!" Intonierte er feierlich. "Eins das ausgesucht wurde, vom Prinzen der Lust. Eins genommen, eins gegeben. Der Pakt ist gewahrt."
Damit drückte er Syli zu Boden und schob sie schwungvoll durch die niedrige Öffnung am Ende der Höhle. Tatsächlich ging es dahinter steil abwärts, denn man konnte das Rutschen kleiner Steinchen und Sylis Körper vernehmen, dann ein Schrei, der schnell leiser wurde.
"Eins genommen, eins gegeben!" Wiederholten die anderen beiden Diener.
Gemessenen Schrittes trat Mandias nun wieder an den Steintisch heran. Er schlug die Kapuze der Robe zurück und streckte die offene Rechte in Richtung Höhleneingang aus, wo Nagari wartete. Die Handfläche wies nach oben, als wolle er seine Herrin zum Tanz bitten.
Die Frau kam der Aufforderung nach, schritt dabei über die Leiche Gunnars hinweg ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie legte ihre Hand in die nachtfarbende Entsprechung des Mutanten.
"Oh Urmutter, oh Sonnenfresserin, oh Lustvolle! Große und ewige Namad, diese Tochter der Sternenmenschen ist gekommen sich dir hinzugeben, dich zu ehren und dein Urteil über sie zu empfangen. Sie tritt vor dich entblößt und demütig, im Wissen das du die Erste warst, dass du die Liebe der Götter ertragen und ihren Zorn genossen hast."
Er ließ Nagari sich auf die Platte legen und gab den anderen beiden die vereinbarten Zeichen. Sie unterbrachen ihre Anrufungen nicht, als sie die vorbereiteten Utensilien zur Hand nahmen. Namentlich zwei Schälchen in denen eine schwarze Flüssigkeit schwappte. Diese war sehr viel sorgfältiger zusammengemischt wurden als das Gift für die Sklaven. Tinte war ebenso ein Bestandteil wie das Sekret des getöteten Namadskind, dass für viel Silber erhandelt wurden war. Carba und Setreal schoben Ringe über die Zeigefinger, denen jeweils ein Horndorn entwuchs und die sie dadurch aussehen ließen, als liefen ihre Finger in eine lange Kralle aus. Diese tauchten sie in die schwarze Flüssigkeit und begannen den nackten Körper ihrer Herrin zu beschreiben.
Dunkle Worte waren es, Worte aus einer Zeit, als andere Wesen auf Koron herrschten.
Keiner der Anwesenden kannte die genaue Bedeutung der kantigen Zeichen, lediglich ihre grobe Funktion war ihnen wage begrifflich. Sie hielten sich an auswendig gelernte Anweisungen, einem jeden bewusst, dass der kleinste Fehler ihrer Gebieterin ein schlimmes Schicksal bescheiden könnte. Das Geheimnis des Auftragens bestand dabei nicht nur aus einem plumpen aufmalen. Die Haut der Frau musste so gekonnt geritzt werden, dass sich die Tinte mit dem Blut vermischte, ohne das ein Tropfen schmierend herab lief. All dies in äußerster Konzentration, bei flackernden Feuerschein, geißelnder Hitze und ohne das auch nur eine Silbe der gesungenen Formel falsch betont wurde.
"Sie besinnt sich auf die Glorie des alten Volkes, das kroch und sich wandte, wo heute Unwissende auf zwei Beinen gehen. Sie verneint das Erbe ihre Volkes und öffnet sich denen die zuerst die Namen der Götter kannten." Sie arbeiteten zügig, dennoch dauerte es eine geraume Zeit, bis der Leib Nagaris mit der engen Schrift bedeckt war. "Sie legt ab das Vermächtnis der Unvollkommenheit." Setreal und Carba waren nun am Kopfende und es offenbarte sich, wie scharf die Klauenringe waren. Denn ohne große Mühe wurde ihr die prächtige Mähne aus wallendem Haar abgeschnitten und das Haupt zur Gänze rasiert. "Sie bekennt sich zu dir, Urmutter, Sonnenfresserin." Setreal tauchte die Klaue nun nicht nur mit der Spitze ein, sondern so tief, dass der Knochendorn völlig mit dem klebrigen Schwarz bedeckt war. "Mit zwei Zungen bekennt sie den alten Weg und den ersten Gott dieser Welt." Setreal ließ den Dorn zwischen Nagaris Lippen gleiten und schob ihn ihr tief in den Mund. Carba hatte es ihm derweil gleichgetan und die Klaue ebenfalls getränkt. "Mit ihrem Leib bekennt sie sich zu deiner Lust, die der Prinz der Wollust dir eingehaucht." Auch Carba ließ den Dorn tief zwischen Lippen gleiten, gleichwohl nicht jene die dazu gemacht waren Lust zu verkünden, sondern sie zu gewähren.
"Sie diese Bittende, die dich anfleht der Schar deiner Kinder anzugehören. Lächle gnädig auf sie herab und erhöre ihr Flehen."
Mandias, Carba und Setreal verstummten. Alle traten ein Stück zurück. Als Setreal und Carba dabei die Dorne aus dem Körper ihrer Herrin zogen war von der schwarzen Flüssigkeit nichts mehr an ihnen zu sehen.
Stille legte sich über die Höhle, nur unterbrochen vom gelegentlichen Knacken des Feuers.
Die drei Diener sahen sich an. Carba zuckte die Achseln, Setreal hob fragend die Augenbrauen und setzte bereits zu einer Frage an, als Nagari, die bis jetzt alles ohne die geringste Regung über sich hatte ergehen lassen, scharf die Luft einzog.
Sie riss die Augen weit auf, ebenso den Mund und aus ihrer Kehle entrang sich ein stimmloser Schrei. Ihr Rücken drückte sich durch, fast schon unnatürlich weit.
"Ihr Götter!" Murmelte Mandias und er hätte selber nicht sagen können, ob er in diesem Moment glaubte, dass ihr Ritual, dass über ein Jahr der Planung beansprucht hatte, wirklich funktionieren würde oder ob er dachte, Zeuge vom Gifttod seiner Herrin zu werden.
Nagari begann jetzt zu zitter, sich zu winden und zu zucken als wäre sie das Opfer eines grauenhaften Anfalls. Ihre Beine trommelten auf dem Felsen, schlugen sich blutig und brachen dann mit einem hässlichen Knirschen nahezu gleichzeitig. Das beendete ihre Krämpfe jedoch nicht, die verdrehten Extremitäten schlugen weiter auf den Stein, brachen an weiteren Stellen, bis sie keinerlei Halt mehr zu haben schienen. Jetzt bäumte die Frau sich auf und schrie!
Aus dem Loch, in welches der Pferdemann Syli gestoßen hatte, kam ein Wind, so trocken wie die Gebeine, die in der Wüste ausblichen. Er wirbelte Staub auf und blies in das Feuer, dass sich verzweifelt gegen das Ausgehen stemmte. Bald flackerte es durch die Sauerstoffzufuhr hell empor, dann sank es in sich zusammen, hart an der Grenze zum Erlöschen. Der Raum wurde abwechselnd in wilde Helligkeit und dann in alles schluckende Dunkelheit getaucht. Hinzu kam der Staub, der seinen Pfad in Augen und Atemwege erzwang. Die Hände schützend vor die Gesichter haltend, sahen die Diener im wechselnden Licht ihre Herrin bald aufgerichtet, dann wieder liegend, in einem Moment still wie im Tode, dann wieder krampfhaft zuckend und schreiend. Carba meinte zu beobachten, wie Nagari ihren Mund auf eine Art aufgerissen hatte, die allem Natürlichen Hohn sprach. Dann zwang ihn der Miniartursturm dazu die Augen wieder zu beschirmen.
Mandias hatte schon vieles gesehen, seit er zu den Bewohnern Rasankurs gehörte.
Erst letzte Woche war er Zeuge gewesen, wenn auch von der beruhigenden Entfernung eines Häuserdaches aus, wie eine Sichel Rasankuri ein Anwesen gestürmt hatte, weil sich sein Bewohner in eine Chaosbrut verwandelt hatte. Das wabbelnde, zappelnde Ding aus Fett und Dornen war unter dem Einsatz eines Säurewerfers ins Freie gequollen, wo man es dann erledigt hatte. Vorangegangene Einfangversuche waren gescheitert. Diese Erfahrung hatte zu den weniger schönen Dingen gehört, die Abseits von den Wundern standen, die er geschaut hatte. Aber das hier, das hatte eine neue Qualität von Erlebtem.
Das Knirschen von Knochen und das Reißen von Haut übertönte noch das Brausen in der Luft und als der Pferdehäuptige aufblickte und den puderfeinen Staub in den Augen wegblinzelte, konnte er wage erkennen, dass seine Gebieterin sich von der Hüfte abwärts in einen Klumpen pulsierenden Fleisches verwandelt hatte. Just in der Sekunde platzte die Haut auf. Sie hatte noch immer die grob gedehnte Form der Beine, die dereinst in ihr gesteckt hatten.
Aus dem Riss quoll ein geschuppter Körper, dessen Länge kaum in den Sack aus Haut hätte passen dürfen und sich nun in Windungen Bahn brach, die in ständiger Bewegung begriffen waren. Das Abstreifen der alten Existenzform war jedoch nicht nur auf die unteren Extremitäten beschränkt, auch wenn die Veränderung in der oberen Leibeshälfte subtiler ausfielen. Hier schälte sich die Epidermis wie bei einem starken Sonnenbrand und darunter glitzerten feine Schuppen hervor, die ölig mal in grüne, dann in satte braune Farbspektren spielten. Der Hals Nagaris wirkte gestreckter als zuvor, das Gesicht beulte sich aus. Anders hätte Mandias es nicht umschreiben können. Die Partie um Nase und Mund wölbte sich, lief zu wie bei einer Schnauze. Wie beim flachen Reptilienschädel einer Schlange. Es hätte längst keiner Beweise mehr dafür gebraucht, dass das Ritual von Erfolg gekrönt war. Das sich die nun gänzlich Schuppen bedeckte Haut an der Seite von Hals und Kopf zu einem zusammenfaltbarem Nackenschild modellierte, war nur der Abschluss des Ganzen.

Der unirdische Wind legte sich so abrupt wie er aufgekommen war. Das Feuer beruhigte sich und verbreitete wieder Licht in der gewohnten Intensität der vergangenen Stunden. Mandias, Carba und Setreal starrten mit offenen Mündern und Augen auf das Wesen auf der Steinplatte. Nur wer Nagari so gut gekannt hatte wie diese drei Vertrauten konnte die Merkmale erkennen, die diese neue Gestalt mit der Frau noch gemeinsam hatten. Sie war nicht länger als Mensch zu bezeichnen, ja nicht einmal "Mutant" wurde dem noch gerecht. Vor ihnen ruhte das Abbild eines Kindes Namads, allein die Tatsache als Unterschied benennbar, dass Nagari noch über Arme und Hände verfügte, wo die Darstellungen des alten Volkes Schlangenwesen mit Sensenklauen, anstelle von Armen zeigten.
"Leck mich am Arsch!" Kommentierte die ehemalige Soldatin das Bild, mit wenig angemessenen Worten.
"Sind ihre Titten größer geworden?" Zischte Setreal aus dem Mundwinkel, ohne den Blick abzuwenden.
Mandias unterband diese Unangebrachtheiten indem er beiden die schwarzen Hände auf die Schultern legte und sie mit sich herab zog, als er sich auf ein Knie sinken ließ. Die Diener folgten seinem Beispiel und senkten die Häupter.
"Heil dir, Nagari Schlange von Rasanku, Gesegnete der Namad!"

Epilog
Syli kam unter Schmerzen zu sich. Schmerzen die sich mit ihrer unnatürlichen Lust paarten und so das sonderbare Verlangen erschufen, dass nicht wenige Anbeter des Slaanesh auf ihrer Suche nach immer neuen Extremen so gut kannten. Ihre Haut war fast am ganzen Körper aufgeschürft, von der Rutschpartie die steile Steinrampe herunter.
Das konnte sie nicht sehen, da vollkommene Schwärze herrschte, doch der Schmerz und die klebrige Nässe von Blut waren ihr Beleg genug. Sie bewegte die Arme in dem Versuch aufzustehen und zuckte mit einem Schrei zusammen. Einer schien gebrochen zu sein, an dem anderen hatte sie kein Gefühl in den Fingern. Sie schluchzte, doch nicht wegen dem Umstand ihrer fatalen Gesamtsituation, sondern allein weil sie sich mit ihren nutzlosen Armen nicht einmal die simpelste Form der Befriedigung verschaffen konnte.
Während sie sich dieser Wahrheit stellte, gewöhnten sich ihre Augen zunehmend an die Dunkelheit. Diese war nämlich nicht absolut, wie sie anfangs gedacht hatte. Vielmehr wucherten auf dem sie umgebenden Stein Flechten, die ein kaum merkliches Licht abgaben.
Nicht annähernd ausreichend um von einer Beleuchtung zu sprechen, aber eben gerade genug, dass das menschliche Auge ein Minimum wahrnehmen konnte.
Syli drehte sich auf die Seite des gefühllosen Armes und zog sich ein Stück über den rauen Boden. Ihre Beine schienen auch nicht ganz unversehrt geblieben zu sein. Sie wusste auch nicht wo sie eigentlich hin kriechen sollte. Es war mehr dem Verlangen geschuldet überhaupt etwas zutun und nicht hilflos liegen zu bleiben.
Irgendwo von vorn kam ein Geräusch.
Syli hielt inne und lauschte. Vielleicht nur das Echo, welches ihr eigener erbärmlicher Versuch der Fortbewegung erzeugte.
Hier unten konnte doch nichts... Halt!
Da war es wieder.
Es klang als würde irgendjemand einen mit Sand gefüllten Sack über die Steine ziehen. Sie strengte ihre Augen an doch es war alles mehr Erahnen als erkennen. Links von ihr wurde ein Schatten flach und verschwand. Schwärze vor noch tieferer Dunkelheit. Das Schleifgeräusch war aber auch links von ihr. Und hinter ihr...
Die junge Sklavin versuchte sich auf den Rücken zu drehen. Doch noch ehe sie diese Anstrengung in Angriff nehmen konnte war voraus wieder eine Bewegung, näher jetzt, weniger verstohlen.
Etwas richtete sich auf, so weit dies die niedrige Decke erlaubte.
Es drehte sich der verwundeten Frau zu und kroch dann ohne Hast näher.
Sylia schrie!
In diesem Schrei ging das flüsternd gezischte "Eins genommen, eins gegeben!" unter.
Der Schreckenslaut verstummte abrupt und unter den Gräbern im Tal des namenlosen Flusses kehrte wieder die Ruhe ein, die hier seit Jahrhunderten vorherrschend war.

story by Kogan
 
Hier mal etwas anderes. Aus unserer hauseigenen Forumszeitung, dem "Gohmor Guardian". Darin werden Artikel aus dem koronischen Weltgeschehen und lokalen Makropolereignissen veröffentlicht. Spieler können ihren eigenen Einfluss auf die Welt darin wiedergespiegelt finden (so der denn groß genug ist), außerdem wird die Geschichte Korons dadurch vorangetrieben. Im Folgenden nun zwei Artikel über den bevorstehenden Einsatz der PVS gegen Aufständige. WARNUNG: Es gibt bisher nur diese beiden Artikel zu dem Thema, da die Mission noch läuft. Also nicht enttäuscht sein, weil es kein Ende der Geschichte gibt. Wenn neue Artikel kommen liefere ich nach. Bis dahin, viel Spaß damit.

Simone Tober ist unsere Reporterin für die unangenehmen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Aufträge, die der Dienst am gut informierten Leser fordert. Treue Anhänger unseres Blattes werden sie von früheren Berichten aus Krisengebieten, rund um den Globus, her kennen. Einmal mehr ist sie nun unterwegs um von dort zu berichten, wo sich andere Reporter nicht hin wagen. Dieses mal schließt sie sich in ihrer losen Serie „Fronttagebuch“ der Zehnten Infanteriekompanie an und begleitet sie auf einem ihrer Einsätze.



Fronttagebuch


Die Kaserne mit dem geschichtsträchtigen Namen des ausgelöschten Hauses Gamarei unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von jeder anderen in den mittleren Ebenen Gohmors. Ein Himmel aus Stahl, Gebäude aus Backstein, deren Rot lang schon durch Ruß und Abgase in ein schmutziges Braun spielt. Die Bronzestatue hinter dem Haupteingang, durch welchen ich nach umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen schreiten darf, zeigt, wer hätte es gedacht, Feldmarschall von Queesen. Den großen Held des Kriegs der Häuser und allzu beliebten Patron des armen und fantasielosen Tropfes, der große Persönlichkeiten für die, Eingangsbereiche von Kasernen aussuchen muss.
Nicht die beste Arbeit.
Die Gesichtszüge wirken etwas grob, die heroische Pose gekünstelt. Mit gezücktem Säbel deutet er im Metaphorischen auf einen unsichtbaren Feind, im Realen auf die Baracke der Haupttorwache. Die Statur bildet eine Insel in der Ausfahrtzone. Man hat versucht ihr Rundell zu begrünen, was allerdings bei einem Versuch geblieben ist, der künstlichen Beleuchtung sei Dank.
Ich stehe also im Inneren des Kasernengeländes und in ihrer Betriebsamkeit. Soldaten werden im Lauf- oder Gleichschritt geführt, gehen einzeln und in Gruppen ihren Beschäftigungen nach, oder versuchen beschäftigt zu wirken, um dann hinter irgendeiner Ecke zu rauchen, sobald ein übereifriger Vorgesetzter auf ihren Täuschungsversuch hereingefallen ist.
Die Szenerie wird vom allgegenwärtigen Fahrzeuglärm garniert, der nun einmal zu einer mobilen Infanterienheit gehört, wie die hässlich verbrämte Statur am Eingang.
Dennoch gibt es zwei Dinge, die diese Kaserne von den meisten anderen unterscheidet. Das ist als erstes die direkte Lage an der Außenseite der Makropole. Dadurch ist die Gamarai- Kaserne nicht auf jeder Seite, sowie unten und oben, vom Stahl und Beton der angrenzenden Ebenen umschlossen, sondern auf der Westseite offen. Das erlaubt das direkte Anlanden allerlei Luftvehikel und einen prächtigen Blick auf das Meer. Für beides ist immer vorausgesetzt, dass der Smog der Industrieanlagen sich nicht bis hier oben staut. Tut er es doch, dann ist das Verlassen der Gebäude nur mit Atemschutz oder ABC- Schutzmaske möglich.
Tut er es nicht, dann hat man nicht nur eine herrliche Sicht, sondern der frische Wind vertreibt auch die Abgaswolken der Fahrzeuge und sorgt fast schon für angenehme Luft.
Die zweite Besonderheit dieser Kaserne sind ihre Bewohner. Die Zehnte Infanteriekompanie, der Sektorenbrigade 21. Auf besonderen Befehl des Gouverneurs hin, wurde diese Einheit zu einem großen Teil aus Fremdweltlern gebildet. Die einen sagen, um von dem Können und den Erfahrungen so vieler Veteranen verschiedenster Schlachtfelder zu profitieren, die anderen meinen, um der Vorherrschaft der Adelshäuser innerhalb des Offizierscorps der Armee etwas entgegenzusetzen.
Wieder andere sehen darin lediglich eine Laune des Gouverneurs, der schlicht etwas befahl, dass er befehlen konnte. Wie es auch sein mag, die Zehnte stellt ein gewisses Kuriosum dar, welches mich gleich beim Betreten der Einrichtung in seinen Bann schlägt. Eigentlich müsste ich mich umgehend beim Einheitskommandeur, Major Klein melden. Doch da mir vor den anstehenden Formalitäten graut, beschließe ich mir vorher einen TangKahve in der Kantine zu besorgen und mir die Männer und Frauen, mit denen ich auf unbestimmte Zeit mein Leben teilen werde, erst einmal aus der Deckung meiner Tasse heraus anzusehen.

Mein Name ist Simone Tober und ich bin seit nun mehr zehn Jahren Direkterstatter des Gohmor Guardian. In dieser Funktion saß ich mit der Roten Wache in den Schützengräben und hörte mir Schauergeschichten über die Schwarzen Dragoner des Hauses Orsius an. Ich sprach während der Hungeraufstände und Blockrevolten mit Mutanten und den PVS- Polizisten, welche sie auseinander trieben. Ich war vor zwei Monaten für die Leser des Guardians in Horning und berichtete exklusiv von der Belagerung Edos.
Ich möchte mir mit dieser Aufzählung nicht selbst Beifall klatschen oder mich als die erfahrene Berichterstatterin für Kriesen aller Art etikettieren. Jeder Krieg birgt seine ganz individuellen Schrecken und Grausamkeiten und die Erfahrung eines Menschen, der bereits mehrere erlebt hat, beschränkt sich in erster Linie darauf Todesangst in allen nur erdenklichen Fassetten kennengelernt zu haben.
Hinzu kommt ein gewisses Gespür dafür, wann man seine Nase in Dinge steckt, die für den Leser von Bedeutung sind und wann man lieber den Kopf einzieht und mit bangem Herzen auf das Pfeifen der Kugeln lauscht.
Nun letztlich stelle ich mir damit wohl doch ein Zeugnis aus, wenn auch eines, dass wie ich hoffe, dem Leser dieser Reihe glaubhaft vermittelt, dass ich in vielen Dingen weiß wovon ich rede.
Ich habe mit Soldaten der PVS, mit Haustruppen, Paramilitärs und Söldnern so manchen langen Abend in kalten, heißen, zugigen oder feuchten Gefechtsständen verbracht. Ich hoffe daher, keine Fehlbesetzung für die anstehende Reportage zu sein, deren Ziel der Dschungel von Luht sein wird, deren Zwischenziel aber erst einmal das heimliche Betrachten der Soldaten in der Kantine ist.
Die Zehnte hat sich in Horning einen Namen gemacht, allerdings auch kräftig Federn lassen müssen, wenn man es zynisch ausdrücken darf. Diese Verluste wurden in den letzten Wochen durch Versetzungen und neue Rekruten ausgeglichen. Dadurch ergibt sich ein sonderbar gemischtes Bild. Kampfgezeichnete Veteranen mit den Atributen fremder Welten und unerfahrene Milchbärte, von den alten Hasen als „Glatte“ bezeichnet. Mir fällt ein wahrer Riese mit einem gefärbten, blauen Bart auf, der den Berg auf seinem Teller mit gezierter Gabelkunst verkleinert. Neben ihm schlürft eine Frau mit gänzlich brauner oder vielmehr schwarzer Haut ihren TangKahve. Diese Färbung der Haut ist eine Anpassung an die Sonneneinstrahlung einiger Planeten und häufiger als man denken mag. Man könnte es als eine verstärkte Form der abgedunkelten Hautpigmentierung der Äquatorgegend betrachten. Ein weiterer Mann von wahrscheinlich fernen Welten fällt mir auf. Er ist ebenfalls sehr groß, im Gegensatz zu dem Blaubärtigen jedoch unheimlich dünn. Jeder sichtbare Zentimeter seiner Haut ist mit verschlungenen Tätowierungen bedeckt.
Das genaue Gegenteil ist ein gedrungener kleiner Mann, von der Größe eines Kindes. Er trägt einen kapitalen Bauch vor sich her, wirkt, davon abgesehen jedoch nicht weniger durchtrainiert als die anderen Soldaten.
Von all diesen Veteranen geht eine sonderbare Gelassenheit aus. Frauen und Männer, die genug Schrecken und Absonderlichkeiten gesehen haben, um sich von den Nichtigkeiten des Lebens nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Bevor ich meine Feldstudie jedoch weiter vorantreiben kann, habe ich eine Begegnung mit eben jener Spezies der „Glatten“ die lediglich die Strapazen des Grundausbildungsjahres gemeistert haben oder noch nicht einmal dies. Eine Gruppe von drei Burschen ist auf mich aufmerksam geworden und tuschelt auffällig unauffällig miteinander. Schließlich kommt einer von ihnen auf mich zu, während seine beiden Kameraden ihm aufmunternde Gesten als Rückendeckung mit geben.
Der junge Mann ist genau das: sehr jung.
Das er zwanzig Jahreszyklen mitgemacht hat ist eine hoch gegriffene Schätzung. Er lässt sich auf dem Stuhl nieder, welcher meinem auf der anderen Tischseite gegenüber steht. Sein gewinnendes Lächeln konkuriert mit dem Funkeln der Gruppenkampfnadel an seiner Heldenbrust.
Er bekleidet den Rang eines Gefreiten, was alles das Bild eines Jungen formt, der so eben die Grundausbildung hinter sich gebracht hat. Scheinbar recht erfolgreich.
Ob ich mich verlaufen hätte will er mitfühlend wissen.
Aus der Umhängetasche mit dem Bildaufnahmegerät scheint er zu schließen, dass ich etwas mit Presse zu tun habe. Er bietet mir an mich durch die Kaserne zu führen und alles zu erklären. Er könnte mir auch seine Stube zeigen, bedeutet er mit einem mehrdeutigen Zwinkern.
Damit hat der gespielte Witz seine Pointe erreicht und ich löse die Sache auf. Mit einem hoffentlich ebenso freundlichen Lächeln frage ich ihn, ob er das Lied vom Gefreiten kennt?
Ein verwirrtes Stirnrunzeln ist die Antwort.
Mit kräftig tragender Stimme trage ich es ihm vor.
„Gehn sie weiter, gehen sie weiter, sie sind ja nur Gefreiter. Werdn se erst mal Offizier, dann kriegn sie auch ein Kind von mir!“
Ich gebe zu, das meine Singstimme nicht gerade wegweisend ist, doch die Wirkung ist trotzdem die richtige.
So ziemlich alle Köpfe haben sich zu uns umgedreht. Einige grinsen, andere schauen mit mildem Interesse oder Wut über die Anmaßung des jungen Soldaten. Die beiden Kumpels des Gefreiten brechen fast zusammen vor Lachen. Der abgewiesene Soldat erhebt sich ungelenk und mit rot hohem Kopf. Halb wütend, halb verlegen brummt er etwas davon, dass er nur helfen wollte, fügt etwas unverständliches über die Eigenschaften von Zivilisten hinzu und trollt sich.
Später am Tag wird mir der junge Mann noch einmal begegnen. Allein und weniger nassforsch. Er wird sich entschuldigen und dann zu erzählen beginnen. Von seiner Mutter, die Näherin in der mittleren Ebene ist und der er Geld schickt um ihren kargen Lebensunterhalt aufzubessern. Wie stolz sie auf ihn ist und dass es eigentlich nicht seine Art ist, was er in der Kantine abgezogen hat. Ich glaube ihm und helfe mit einigen ermutigenden Worten über die Verlegenheit hinweg.

Vorher jedoch mache ich Major Klein meine Aufwartung. Ein Bär von einem Mann, dem man gerne abnimmt, dass er mit bloßer Hand den Schädel eines Gegners zerquetschen kann. Seine Züge sind so kantig, als seien sie einem Propagandabild zur Truppenanwerbung entnommen. Die ihm eigene Art ruhige und leise zu sprechen stehen dazu in einem Gegensatz, der absonderlich aber nicht unangenehm ist. Er spricht sehr bedacht, doch ein unbekannter Akzent schimmert dennoch sachte durch. Er ist höflich allerdings anfangs etwas reserviert. Nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich weder seine Soldaten als Amme für mich brauche, noch dass ich scharf darauf wäre erschossen zu werden um einen postumen Ehrenpreis zu gewinnen, wird er etwas lockerer. Wir reden über Horning und über seine vormaligen Verwendungen in der Imperialen Armee. Es wird noch etwas mehr als zwei Tage dauern, bis wir aufbrechen, also wird mir eine Stube im Wohnblock F zugeteilt. Leider nicht mit Blick auf das Meer. Dann schlage ich meine erste Schlacht gegen die Bürokratie. Bereits im Büro sind unzählige Papiere auszufüllen, einen weiteren Stapel nehme ich mit auf die Stube. Während ich den Streiter im Papierkrieg gebe, entlasse ich sie und hoffe, dass sie mir und der Zehnten auch im Folgeartikel beistehen werden.

Simone Tober


Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.

Anmerkung der Redaktion


Simone Tober ist unsere Reporterin für die unangenehmen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Aufträge, die der Dienst am gut informierten Leser fordert. Treue Anhänger unseres Blattes werden sie von früheren Berichten aus Krisengebieten, rund um den Globus, her kennen. Einmal mehr ist sie nun unterwegs um von dort zu berichten, wo sich andere Reporter nicht hin wagen. Dieses mal schließt sie sich in ihrer losen Serie „Fronttagebuch“ der Zehnten Infanteriekompanie an und begleitet sie auf einem ihrer Einsätze.


Fronttagebuch

Kasernen sind sonderbare Orte. Sie brummen von Leben und Aktivität, doch es ist eine vergängliche Gemeinschaft, die hier einen Teil, ihres Lebens verbringt. Dabei muss noch nicht einmal die Gefährlichkeit ihres Berufsstandes sie fort reißen. Schon Versetzung oder Dienstende genügen. An den Wänden des Casinos und der Aufenthaltsräume, hängen Gruppenbilder, unzählige Gesichter, zu denen keiner den Namen mehr zu nennen weiß. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob die Ablichtungen hundert oder zehn Jahre alt sind.
Die Gebäude bleiben gleich, ihre Funktionen ändern sich nur selten. Was dereinst ein Unterkunftsblock war, dient heute dem Stab, doch die Bewohner dieser Bauten sind wie Reisende. Das macht Kasernen in meiner Wahrnehmung zu etwas sehr Melancholischem. Vielleicht ein Gedanke, den meine geschätzten Leser nicht ganz nachvollziehen können, doch es sind solche Grübeleien auf die man kommt, wenn man zwei, fast drei Tage zum Nichtstun verdammt ist.

Die Soldaten der Zehnten sind mit den letzten Vorbereitungen ihres anstehenden Einsatzes voll auf beschäftigt gewesen und hatten wenig Zeit oder Lust, sich mit den ansträngenden Fragen einer gelangweilten Reporterin abzugeben, die sie von ihren Aufgaben abhalten. Hinzu kommt eine allgemein gedrückte Stimmung. Nicht etwa weil den Männern und Frauen der Zehnten langsam aber sicher der näher rückende Termin des Missionsbeginns zu schaffen macht, sondern weil ihnen ihr Kommissar die letzten Tage nicht eben zu den ruhigsten hat werden lassen. Ohne dabei zu sehr ins Detail gehen zu wollen, sei gesagt, dass es einige der Soldaten mit dem genießen der letzten Tage in der Heimat etwas übertrieben hatten und so den Unmut des Politoffiziers auf sich zogen. Dieser weitete die Bestrafung in Form körperlicher Ertüchtigung auf die gesamte Kompanie aus. Das mag man als Außenstehender als übertriebene Härte beurteilen. Es zeigt jedoch auch den enormen Wert, der bei unserer Armee auf die Disziplin und die soldatische Pflichterfüllung gelegt wird, ganz gleich in welchem Kontext.
Doch sei es wie es sei, die Zeit des Vorbereitens und des nervös gespannten Wartens ist nun vorüber. Was sie hier verschriftlicht vor sich sehen und lesen, diktiere ich in mein kleines Aufnahmegerät und ich kann meine eigene Stimme dabei kaum hören, da sie vom dröhnen der Stiefel beinahe verschluckt wird.
Die Zehnte marschiert und sie gehen in Eisen.
Das heißt, sie rücken voll aufgerüstet aus der Heimatbasis ab, die Helme und Brustpanzer angelegt, die Gesichter von den Schutzmasken und Visieren verborgen, die Waffen vor der Brust mit vollen Magazinen. Der Brauch des „In Eisen Gehens“ ist eine uralte Tradition bei der Armee Korons. Die Soldaten verlassen die Stadt so, dass sie jederzeit zum Kampf bereit sind, selbst wenn die Verlegung in das Zielgebiet es sinnvoller erscheinen ließe, Munition und persönliche Schutzausrüstung erst kurz vor dem Beginn des Einsatzes auszuteilen und anzulegen. Tatsächlich ist es aufgrund dieses Brauchs schon zu Unfällen gekommen. Etwa wenn sich ein Schuss innerhalb der Marschformation aus einer nachlässig gesicherten Waffe löste.
Doch Bemühungen diese Tradition abzuschaffen, so wie man es auch mit den Ehrenduellen unter Offizieren getan hat, scheiterten. Zu tief verankert ist der Brauch. Wie so Vieles ist der Ursprung wohl im Krieg der Häuser zu suchen, auch wenn heute niemand mehr zu sagen vermag unter welchen Umständen er genau entstand.
Es ist jedenfalls ein Bild, dass selbst im Vaterlandslosesten Gesellen den Funken des Patriotismus entzünden dürfte und ihn den Rücken etwas mehr durchstrecken, die Brust etwas mehr schwellen lassen wird.
Es ist nur eine Kompanie und kein Angehöriger, Freund oder Schaulustiger winkt oder schwenkt Blumensträuße, die Geheimhaltung der Mission verbietet dies. Dennoch ist es ein bewegender Anblick. Der Gleichschritt lässt den Tunnel dröhnen, welchen die Einheiten zum Luftschiffanleger beschreiten. Der Seewind heult durch eben diesen Korridor und lässt das Kompaniebanner an der Spitze des Zuges knattern und wehen. Das riesig wirkende Kettenschwert geschultert schreitet der Kommissar neben den Soldaten dahin. Der Musik- Servitor an der Spitze krächzt und pfeift den "Letzten Marsch der Gamarai Grenadiere". Asthmatisch und blechern, vom Gang weiter verzerrt zu etwas, dass fast schon unheimlich wirkt. Dennoch erhebend und ob Zufall oder Timing, das Finale erschallt in dem Moment, als die Spitze der Kolonne in das Licht der Anlegestelle schreitet.
Das Wetter ist trübe wie meistens, doch nach dem Halbdunkel des drei Kilometer langen, eher spärlich ausgeleuchteten Tunnel, sticht das Licht regelrecht in die Augen.
Hier nun wird angetreten, die Musik verstummt und das Banner wird eingerollt und wie ein Schatz in einer stählernen Kiste verwahrt. Scharfe Befehle gellen durch die Luft, ich selbst muss zusehen, dass ich nicht wie der tapsige Zivilist wirke, der ich eigentlich bin und den Anschluss nicht verliere.

Die Verladung geht schnell und glatt wie eine gut geölte Maschinerie. Schwere Ausrüstung ist bereits in den letzten Tagen verladen worden und die letzten Güter werden von Stablersentinels verbracht, welche wie riesige Laufvögel zwischen den offen stehenden Ladeluken und den schrumpfenden Stapeln aus grün lackierten Kisten hin und her schreiten.
Von der "Kottos", welche uns zum Ziel bringen wird, ist durch den Anlandebreich, der nur eine Art offenes Flugdeck in der Flanke der Makropole darstellt, nicht viel zu sehen. Eine aufragende Wand aus grauem Stahl, mit den Öffnungen für Material und Personal. Seit dem Absturz der "Artichendes Prios" vor einigen Jahren ist die "Kottos" das größte Luftschiff in der Flotte der PVS. Gleichwohl der Gigant eine beachtliche Feuerkraft aufbieten kann, ist er doch mehr eine mobile Basis. Eine kleine Armee passt in den Bauch des Flugschiffes und auf seinem Oberdeck können vier Fliegerstaffeln landen und starten. Wenn aus unserer Position auch noch nicht viel von dem Schiff zu erkennen ist, so dringt das tiefe Brummen der Antigravgondeln doch tief in die Knochen und lässt die Füllungen in den Zähnen schwingen. Einige Leute machen die Schwingungen krank und man sprich gemeinhin vom Äquivalent zur Seekrankheit, eben der Luftkrankheit. Die symptomatische Übelkeit haben nämlich beide Plagen der Luft- und der Seefahrt gemein. Da dies auch meine erste Reise mit einem Luftschiff ist, lass ich mich davon überraschen, wie der Flug auf meinen Metabolismus wirkt. Wir betreten also das Schiff und wenn dieses Gefährt auch die Wolken und nicht die Wellen durchschneidet, so sind die Ähnlichkeiten zur maritimen Fortbewegung doch unverkennbar. Das Innere gemahnt an die Enge eine typischen Kriegsschiffes. Ich habe dabei das Glück nicht sonderlich groß zu sein, doch ein jeder, der die 1,80 überschreitet, wird das Ende des Fluges wohl nicht ohne einige Beulen erleben. Rohrleitungen und Kabelbündel laufen offen an den Wänden entlang und sehen so kompliziert aus, dass man glauben kann nur ein Techpriester kann überhaupt erahnen, was welche Funktion hat.

Wichtig sind auch die Schleusen. Farbige Markierungen spiegeln die Zugangserlaubnis wieder. Der gemeine Soldat, genauso wie auch meine Wenigkeit, darf den Fuß nur über die hohen Schwellen setzen, die gar keine Markierung aufweisen. Grün, blau und rot bescheinigen, Technikern, Offizieren und anderem, speziellen Personal den Durchgang. Wehe dem Unglücklichen, der diese Regel missachtet. Er findet sich schnell von Deckwachen genannten Soldaten umringt und muss Rede und Antwort stehen, wenn er Pech hat in die Brigg. Die Zehnte wird im Zwischendeck 5 einquartiert. Die Waffen werden unter Aufsicht entladen. Bei aller Liebe zur Tradition, einen versehentlichen Schuss in einem Luftschiff will niemand riskieren. Die Kugel würde sich unweigerlich in einen Querschläger verwandeln und am Ende etwas treffen, was für den Betrieb der "Kottos" wichtig ist. Ganz gleich ob Maschine oder Personal, wobei man Letzteres, so bitter es klingen mag, wohl leichter ersetzen könnte.
Für die Fracht und etwas anderes sind wir im Moment nicht, sind keine separaten Quartiere vorgesehen. Die "Kottos" kann zweitausend Passagiere zusätzlich zur Besatzung aufnehmen. Das dies auf bequeme Art geschieht, davon war nicht die Rede. Der Leser möge sich einen langen Gang aus grauem Panzerstahl vorstellen. An den Wänden sind Kojen angebracht, immer drei Stück übereinander. Unter der ersten Koje ist etwas Stauraum für das Gepäck vorhanden. Privatsphäre gibt es nicht. Lediglich die höheren Offiziere haben den Luxus eines Vorhangs vor den Kojen. Wasch- und Toilettenräume befinden sich am Ende des Korridors. Wen das Brummen der Gondeln nicht wach hält, der hat gute Chancen, dass es das Schnarchen, Husten, die mehr oder weniger leisen Unterhaltungen oder das Herumwälzen eines nahen Kameraden tut. Die Kojen für die einfachen Soldaten bestehen nur aus einer gespannten Stoffbahn, auf ein fest in der Wand verankertes Gestänge gezogen. Ich habe das sagenhafte Glück in der Mitte zu liegen. Über mir ein Obergefreiter, der vermutlich einen Ogryn irgendwo in der Ahnenreihe aufweist. Seine Koje wölbt sich etwa zwei Handbreit vor meinem Gesicht und lässt mich über die Belastbarkeit von Stoffen in Armeebeständen nachdenken. Unter mir liegt eine Gefreite. Sehr sympathisch und humorvoll, allerdings gerade im Begriff das Lesen besser zu lernen. Sie geht mit diesem Manko sehr locker um, zumal sie nicht die Einzige ist die nur gerade so durch die Aufnahmeprüfungen in diesem Bereich gerutscht ist. Dumm nur, dass sie Ihre Leseübungen laut machen muss, um, wie sie sagt, die Aussprache besser zu verstehen. Die ideale Voraussetzung für einen erholsamen Schlaf also.
Doch nicht alles ist trostlos. Den Reisenden, die im Grunde während der Überfahrt zum Nichtstun verdammt sind ist es gestattet auf das Vergnügungsdeck zu gehen. Eine inoffizielle Bezeichnung, die mehr verheißt, als sie wirklich beinhaltet. Es gibt eine Kantine, die neben der regulären Armeeverpflegung ein paar zusätzliche Dinge, wie Süßigkeiten und überteuerte Echtfleischprodukte anbietet. Außerdem kam man Zeitungen erwerben und auf dem Vid laufen Unterhaltungssendungen, die den Stempel „Antik“ tragen dürften.
Aber immerhin!
Außerdem gibt es einen Frisör und ein Freizeitzentrum mit Sportangeboten. Das Wichtigste jedoch ist der Außenbereich. Wenn die Freigabe gegeben ist, dann kann man auf eine Plattform unterhalb des Landefeldes hinaustreten.
Frische Luft, eine atemberaubende Aussicht und am allerwichtigsten, hier darf geraucht werden. Immer vorausgesetzt man bekommt seinen Glimmstängel irgendwie an. Bei orkanartigem Dauerwind und vor Kälte steifen Fingern nicht ganz einfach. Übrigens gibt es im Kantinenladen Sturmfeuerzeuge zu unverschämten Preisen.
Trotz dieser Erschwernisse ist die Raucherplattform der am stärksten frequentierte Bereich des Vergnügungsdecks und nachdem vorerst an Schlaf nicht zu denken ist, begebe ich mich dort hin. Nicht nur gedenke ich den Abflug von der Makropole in drei Stunden zu beobachten, sondern auch mit dem einen oder anderen Soldaten ins Gespräch zu kommen.
Ob meine Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden lesen sie in der nächsten Ausgabe.

Simone Tober


Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.

Anmerkung der Redaktion

text by Kogan
 
Ein kleiner Appetizer bevor mal wieder was umfangreicheres kommt. Der folgende Text ist eine geschrieben Illustration zur Hintergrundbeschreibung der Makropole Gohmor. Genauer gesagt der Minuseben, also dem Keller. Viel Spaß dabei.


"Versuchtes Verhör des Strafgefangenen 221183N71315 zur angeblichen Flucht in die Minusebene. / Egir Septimus Trakt für Strafgefangene mit schwerer psychologischer Beeinträchtigung.

Ob ich da war will er wissen?

Höre ihr das? Ob ich da war?
Ich bin immer noch da, sagt ihm das!
Oben ist unten und unten ist oben. Fragt die mit den Hörnen, fragt die die im Fundament liegen. Nein... nein... keinen Elektroklapps... wir werden brav sein und der neugierigen Person alles sagen.
Wie runter gekommen? Wie runter gekommen?
Was für eine unwichtige Frage, wo doch soviel mehr zu fragen ist.
Es gibt Wege. Nach unten gibt es immer Wege, dunkel und nass erst.
Und es kribbelt und krabbelt so mancher Summsemann herum und ruft dich und will dich küssen und will dich aussaugen. Der Summsemann tippelt hinter dir her, durch die nassen und dunklen Wege wo die Uhren zusammengepresst werden, bis der Saft aus ihnen raus tropft, von der dicken Stadt, die über ihnen liegt. Man geht und geht und sieht sich selbst und hinter dir summen sie. Dann wenn die Uhr einmal rum ist, dann wird es von vorne feurig und hell. Fieberhell, wie Sonne auf Glas.
Hab die Sonne mal gesehen. Als Kind, ganz hell und ganz rund.
Arrrgh...
Nein nicht mehr, wir sagen alles, erzählen jedes Klick und jedes Klack, jedes Knick und jedes Kack.
Nach dem Weg kommt der große Saal. Feuer ist da und tanzt und in der Mitte ist ein See und da sind Hütten und Häuser, gemacht aus böser Luft und bösem Schlamm. Da wohnt ein lustiges Volk, das viel tanzt und hüpft, wie das Feuer.
Lustige Lieder singen sie und klatschen so in die Hände und so und so und so.
Insat Namad, Insat Namad ily ily na. Insat Namad, Ins... Arrrrgh.
Sing... singen auch nicht? Das hat er vorher nicht gesagt. Bis zum Einschluss darf ich sonst immer singen.
Nein... nein... wir sind nicht aufmüpfig, wir reden weiter.
Von dem Tanzen, aber nicht von dem Singen, weil singen jetzt verboten ist, stimmts?
Da leben noch andere, die mal oben waren und jetzt unten sind. Die tanzen nicht.
Oben ist unten und unten ist oben. Die haben Hörner und Hufe und streiten viel und sterben viel. Wenn man vom großen Saal in die Tunnel geht, dann stirbt man viel.
Wer einmal stirbt dem glaubt man nicht, weil jeder seiner Knochen bricht.
Ich bin in die Tunnel gegangen, weil ich Angst hatte vor den Hornmännern und weil ich Hunger hatte. In den Tunneln ist es nicht schön, nicht schön. Da wohnen Klick und Klack und Knick und Knack, die reißen dir die Ärmchen ab. Dann nähn sie sich selber an, das man sich selber winken kann.
Und Wasser gibt es da, so schwarz wie Teer und darin schwimmt eine große Flosse und wartet das du baden gehst. Und Spalten sind im Boden, wer da hinein plumpst der kommt nie an und fliegt und fällt als alter Mann.
Ja lustig geht es zu, der Schädel grinst den ganzen Tag, weil es so lustig ist.
Wir gehen runter, dann sind wir reich, so dachte es sich einer. Wir waren zehn und gingen hin, herauf kam leider keiner.
Ich? Nein ich bin doch noch immer da.
Wie man da hin kommt fragt er wieder. Nicht wie man da weg kommt, nicht wie man nicht von dem Großen gesehen wird, auf dem die Stadt steht. Wie man das Geplapper der Toten übersteht oder das Flüstern der eigenen Mutter. Wie man da hin kommt fragt er.
Was will er da unten?
Wieso will er da runter?
Ist er wahnsinnig?
Arrrrgh."

text by Kogan
 
Zuletzt bearbeitet:
Simone Tober ist unsere Reporterin für die unangenehmen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Aufträge, die der Dienst am gut informierten Leser fordert. Treue Anhänger unseres Blattes werden sie von früheren Berichten aus Krisengebieten, rund um den Globus, her kennen. Einmal mehr ist sie nun unterwegs um von dort zu berichten, wo sich andere Reporter nicht hin wagen. Dieses mal schließt sie sich in ihrer losen Serie „Fronttagebuch“ der Zehnten Infanteriekompanie an und begleitet sie auf einem ihrer Einsätze.


Fronttagebuch


Ich erzähle Ihnen gewiss nichts Neues, wenn ich sage, dass Koron 3 alles andere als eine Gartenwelt ist.
Der überwiegende Teil der Leserschaft des Guardians wird ob dieses Anfangs gewiss die Stirn runzeln. Gerade wenn man in Gohmor lebt ist meine Feststellung eine Selbstverständlichkeit, wie das der Himmel nicht blau und grenzenlos ist, sondern grau und aus Metall. Nichtsdestoweniger gibt es die paradiesischen Orte auf unserer Heimatwelt genauso, wie es die leibhaftigen Alptraumregionen gibt. Die Giftsümpfe in Horning sind ebenso real, wie die Azurseen in Trostheim, das erschreckende öde Land so wahr wie der äquatoriale Dschungel.
Das soll keineswegs die ganz eigene Schönheit unserer geliebten Hauptstadt herabwürdigen. Deren Pracht liegt in ihrem Symbolismus begründet. Strecken die höchsten Türme der oberen Ebene ihre Finger nach den Sternen aus, so sind sie nicht nur schnöde Gebäude, sondern Sinnbild für das, was das Menschengeschlecht zu erreichen vermag.
Wenn Abgase das Antlitz der Stadt verschleiern, so sind sie nicht nur Schmutz und gasförmiger Dreck, sondern auch Gewand der Effizienz, mit dem die Stadt angetan ist. Gohmor versorgt ungezählte Welten mit dringend benötigten Gütern und Rohstoffen. Jeder Einzelne, der seine Schritte allmorgendlich an die Fließbänder der Manufakturen lenkt, leistet seinen Teil zum Ruhme Gohmors und des Imperiums.
Aufgrund dieser, aus tiefstem Herzen empfundenen Überzeugung, verspüre ich nicht den Stich der Reue, wenn ich Ihnen von den exotischen Dschungeln der Nation Luhts berichte, wohl wissend, dass ein Großteil meiner Leserschaft diese nie mit eingenen Augen zu Gesicht bekommen wird. So wie die Männer und Frauen der Zehnten ihre Pflicht mit der Waffe in der Hand tun und ich die meine mit dem Schreibgriffel, verlassen Sie ihren Posten nicht an den Schaltstellen unserer Zivilisation. Dieses Wissen darüber, dass jeder an den Platz gehört, an den ihn die Weisheit des Gottkaisers und seiner weltlichen Vertreter gestellt hat, ist wahrhaftig und lässt mich in dunklen Nächten ruhig schlafen.

Eine innere Ruhe die Not tut und zu der ich in den letzten Tagen öfter als einmal Zuflucht nehmen musste. Dies ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sich die Schlafverhältnisse an Bord der “Kottos“ nicht durch Zauberhand verbessert haben, sondern auch der Tatsache, dass wir unserem Ziel nun sehr nahe sind.
Ich mache mein treues Aufnahmegerät bereit und wechsle die Speicherspule. Denn bald werde ich wieder auf mündliches Aufzeichnung und späteres Verschriftlichen zurück greifen müssen. Mir wird klar, dass wir uns mit jedem überwundenen Kilometer auch der Gefahr nähern und die Möglichkeit von Verletzung und Tot von einer hypothetischer langsam aber sicher zu einer realen Bedrohung wird.
Ich lenke mich ab, indem ich meine Notizen der letzten paar Tage sichte und in Gedanken noch einmal Revue passieren lasse. Etwa als mich der überaus zuvorgekommene Presseoffizier der “Kottos“ durch das Luftschiff führte und mir den Eindruck vermittelt, ich wäre bei einer ganz persönlichen Touristenführung.
Hinterher weiß ich, dass das Luftschiff 3000 Männer und Frauen als Besatzung hat, diverse Fliegerstaffeln trägt und im direkten Luftschiff zu Lufftschiff- Kampf ebenso bestehen kann, wie in der Abwehr feindlicher Flieger und Flugkörper. Ebenso erfahre ich, dass die "Kottos" auch im eingeschränkten Rahmen in den Kampf auf dem Boden unterstützend einzugreifen vermag.
Alles sehr informativ und alles sehr zweitklassige Informationen. Nichts was man nicht der Rückseite eines Sammelbildes des Schiffes entnehmen könnte, wie sie Scholakinder in der Pause untereinander tauschen.
Der Hauptmann scheint das genauso zu wissen wie ich und wir spulen das Pflichtprogramm ab, dabei unausgesprochen amüsiert über diese kleine Farce nach Art der Armee.
Sehr viel interessanter gestalteten sich meine Unterhaltungen mit den Soldaten der Zehnten.
Etwa mit Unteroffizier Micheal Banks, der treuen Lesern unseres Blattes kein gänzlich Unbekannter sein dürfte, gab er vor einigen Jahren doch schon meiner geschätzten Kollegin Juliet D`Leran ein Interview, damals noch im Rang eines Gefreiten. Sein Einsatz in diversen Missionen, wie auch in Horning, haben ihn die Karriereleiter erklimmen lassen.
Ihn suche ich bei der Pflege seiner Ausrüstung auf und ganz als wäre er dem Klischee seiner Heimat verpflichtet, schleift er das gewaltige Kampfmesser der Dschungelkrieger. Die Klinge gleicht mehr einem Kurzschwert, denn einem Messer. Die Rückseite ist bösartig gezähnt und die Spitze gebogen. Bei jedem anderen Mann würde eine solche Waffe eher albern wirken, als versuche ihr Träger damit eine andere Unzulänglichkeit zu kompensieren. Dem riesenhaften Catachaner glaubt man jedoch ungesehen, dass er einen Feind mit seinem Messer an den nächst besten Baum nageln kann. Ich geselle mich zu ihm und versuche das Eis mit der scherzhaften Bemerkung zu brechen, dass der Dschungel Korons doch wie ein Gemüsebeet für ihn sein muss, verglichen mit den Wäldern seiner Heimat. Seine Antwort gebe ich als Zitat wieder: „Koron 3 ist jetzt meine Heimat und ein Dschungel bleibt ein Dschungel. Ob eine von tausend tödlichen Bestien dich umbringt oder der einzige gefährliche Räuber der Region, dass dürfte am Ende ziemlich gleichgültig sein.
Eine Krankheiten übertragende Mücke, eine verunreinigte Quelle, eine Gehirnklette oder die freundlichen Einheimischen. Wer meint er hätte alles schon gesehen und könnte von nichts überrascht werden, der ist schon so gut wie erledigt. Das einzige was man im Vorfeld wirklich tun kann, ist Vorbereitung.“
Als wolle er diese Weisheit unterstreichen, testet er die geschärfte Klinge an einem bereitliegenden Blatt Zeitungspapier. Ob es zufällig der "Trutz- Patriot" ist oder ob er damit eine Aussage treffen will, kann ich nicht sagen. Was ich jedoch sagen kann, die Schneide gleitet durch das Papier ohne erkennbaren Widerstand. Sie verursacht nicht einmal ein Geräusch.
Etwas weniger einsilbig verlief derweil eine andere Unterhaltung mit einem Soldaten. Er bestand darauf, dass sein Name nicht genannt wird, also wollen wir ihn an dieser Stelle Obergefreiten Doe nennen.
Wie Banks ist auch Doe ein Kämpfer mit Fronterfahrung auf anderen Welten, wie auch auf Koron.
Sein Einstellung ist imperial.
Ein sonderbarer Ausdruck, mag nun mancher denken, schließlich hat doch jeder gesetzestreue Bürger eine imperiale Ansicht oder etwa nicht?
Nun das mag so sein, dennoch kann man schwer leugnen, dass Gohmor, im Vergleich mit anderen, imperialen Welten einige sehr liberale Ansichten vertritt. Ins Bewusstsein rückt dieser Umstand, wenn man den Worten eines Fremdweltlers lauscht, wie OG Doe einer ist.
Er meint in unserem Gespräch über den bevorstehenden Einsatz: „"Luht geht durch bodenlose Dummheit zugrunde und wird zum leichten Opfer von wilden Stämmen. Stämmen, die heidnischem Brauchtum anhängen und dutzende Missionare getötet haben und sich jetzt an unseren Bürgern vergehen. Und warum gibt es diese Stämme noch? Weil man den Dschungel nicht kartographieren konnte oder wollte und damit dieses Vipernnest geduldet hat.“ Klare Worte, die in der schwarz- weiß Einfärbung eines einfachen Soldaten doch ein Kern nicht zu leugnender Wahrheit enthalten. Man hat die vergessenen Gegenden unserer Welt, sprich die Nationen des Äquators, in der Tat lange Dekaden vernachlässigt und ihren inkompetenten Regierungen überlassen. Während sich die entwickelten Länder Korons untereinander belauerten und ihre kalten und heißen, kleinen Konflikte austrugen. Die Nationen der Mitte waren dabei bestenfalls Rohstofflieferanten. Wenn Doe orakelt: „Hier in Luht wird es anfangen, dass kann ich ihnen sagen. Von meiner Seite aus bestehen keine Zweifel daran, dass wir diese Stämme mit Stumpf und Stiel ausrotten müssen, sonst sprießen sie wie Unkraut wieder hervor.“, mögen das etwas kurz gedachte Ansichten sein, die aber, ist man bereit den Gedanken zu Ende zu führen, in der Tat den spekulativen Grundstein einer Lösung in sich tragen mögen. Wenn PVS- Soldaten aus Gohmor in den Urwald des Äquators geschickt werden, um die Arbeit zu erledigen für die luhter Regimenter zu inkompetent oder zu desolat sind, dann muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht mehr Sinn ergeben würde, wenn Gohmor nicht nur die Aufgabe einer Feuerwehr übernehmen, sondern sich gleich ganz in die Position der führenden Regierungsgewalt setze.
Wo eingesetzte Führungen nicht in der Lage sind ihre Aufgaben zu erfüllen, sollte der Gouverneur in der Verantwortung stehen diese Unfähigen ihres Amtes zu entheben und die Selbstverwaltung dieser Nationen aufzuheben. Vielleicht ist der Einsatz der Zehnten ein Schritt in diese, richtige Richtung und vielleicht hat der Obergefreite Doe recht und es wird wirklich hier in Luht beginnen einige Fehler der Vergangenheit zu bereinigen.

Ich befinde mich auf dem Raucherdeck, wie es die Soldaten inzwischen einhellig nennen, als wir die Grenze zu Luht überfliegen.
Unter uns erstreckt sich eine einzige grüne Fläche und man muss nicht aus einer urbanen Gesellschaft wie Gohmor stammen, um diesen Anblick ein wenig beängstigend zu finden. Das auf unserer industrialisierten Welt derart viele Pflanzen existieren, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Wir fliegen fast einen halben Tag über dieses endlose Grün, bis wir erste Anzeichen von menschlichem Leben ausmachen können. Aus der Höhe kaum mehr als Spielzeugdörfer mit Strich dünnen Straßen verbunden. manchmal auch gänzlich isoliert. Wer in diesen Siedlungen den Ton angibt,ob die Bewohner von Rebellen aus dem Dschungel massakriert wurden, wer kann es von hier oben aus sagen?
Unser Ziel ist die Stadt Huncal. Diese ist neben ihrer Schwester Taggo und der Hauptstadt Luht die größte Stadt des Landes und liegt im Grenzgebiet zur umkämpften Zone.
Ich übergehe die logistischen Details der Landung, der routinierten Hektik nach den Tagen der Langeweile. Ich will ihnen stattdessen etwas über Huncal berichten, das uns für immerhin 24 Stunden der letzte Hafen der Zivilisation sein wird, bevor wir in das schattige Grün des Blättermeeres abtauchen.

Huncal hat eine Besonderheit, die es zu einer touristischen Goldgrube hätte werden lassen, würden die permanenten Konflikte nicht jeden Reisenden bei Verstand abschrecken.
Die Stadt mit ihren etwa 300.000 registrierten Einwohnern erstreckt sich vom Tal des Unaga den Hang des Doppelberges Bara-Baro empor. Eine Stadt, die den Fuß eines Gebirges hinauf gewachsen ist, ist auf den ersten Blick nun nichts ungewöhnliches. Doch auf halber Strecke tut sich in dem Felsmassiv eine Höhle von wahrhaft gewaltigen Ausmaßen auf und in eben diese ist die Stadt hinein expandiert. Selbst für jemanden, der die Wunder einer Makropole geschaut hat ist dies ein staunenswerter Anblick.
Eine Hochausskyline im Inneren einer natürlichen Höhle, so etwas sieht man auch nicht alle Tage.
Die Kompanie landet allerdings nicht innerhalb dieses Bereiches, wodurch mir das heimatliche Gefühl einer geschlossenen Decke über dem Kopf verwehrt bleibt. Den Soldaten ist es untersagt die kurzerhand okkupierte Kaserne einer hiesigen Einheit zu verlassen. Sie hätten ohnehin keine Zeit für eine Sightseeingtour, immerhin ist ein Einsatzanflug unter Gefechtsbedingungen vorzubereiten.
Ich jedoch unterliege glücklicherweise nicht dieser Auflage, was es mir erlaubt das Lager zu verlassen und die Stadt zu erkunden. Mein vornehmliches Interesse gilt freilich der Stadt in der Höhle, doch bald schon merke ich, dass sich die eigentlichen Geschichten andernorts abspielen. Der Verbindungsoffizier der Luhter PVS ist wenig erfreut über meinen Ausflugswunsch, doch Major Klein insistiert und öffnet mir buchstäblich die Tore zur Stadt. Der Verbindungsoffizier besteht jedoch darauf mir zwei Mann in Zivil als Eskorte mitzugeben und den Fahrer und das Taxi persönlich auszusuchen, welches mich durch Huncal gondeln wird. Ich stimme beiden Bedingungen entnervt zu und werde erst bei meiner Rückkehr dem Thron danken, nicht auf einem Alleingang bestanden zu haben.
Tatsächlich beginne ich meinen Ausflug in der Höhlenstadt. Diese stellt das Wirtschafts- und Regierungszentrum dar. Die Straßen sind sauber, die Menschen mit der Hektik der Geschäftsleute angetan. Die Höhlendecke wird von Pfeilen beachtlichen Ausmaßes gestützt, Schwärme von exotischen Vögeln ziehen vor der Kulisse eines Steinfirmaments dahin. Von diesem Schauspiel einmal abgesehen ist im Stadtzentrum jedoch alles recht wenig spektakulär.
Jedenfalls bis ich in einiger Entfernung das unverkennbare Geräusch automatischen Feuers vernehme. Ich muss ein recht dummes Gesicht machen, während ich meine Begleiter fragend ansehe. Niemand anderes scheint sich an Schüssen zu stören oder auch nur in seiner Tätigkeit inne zu halten. Meine Begleiter erklären mir, dass dieser Kampfeslärm aus dem vierunddreißigsten Distrikt komme. Oder aus dem sechsundfünfzigsten. Distrikte umfassen in Huncal mehrere Straßen oder Häuserblöcke. Die besagten beiden Distrikte liegen faktisch nicht unter der Hoheit der Stadt. Der 34. befindet sich in den Händen der Ramón Infante Anhänger.
Nach einem gescheiterten Putschversuch vor drei Jahren, hatten sich die Putschisten in dieses Gebiet der Stadt zurückgezogen.
Teile der ausgesandten PVS- Einheiten, die mit dem Auftrag gekommen waren Infante zu liquidieren, liefen zu ihm über.
Seit drei Jahren hält er sich im 34.
Es soll unterirdische Tunnel geben, welche die Eingeschlossenen mit Lebensmitteln und Munition versorgen. Der Distrikt steht unter Belagerung durch loyalere, weil regelmäßiger bezahlte PVS- Einheiten. Das es diesen in drei Jahren nicht gelungen ist einen einzelnen Stadtbezirk zu befreien liegt daran, erklären mir meine Begleiter, dass die Ramonis, wie sie die Putschisten nennen, jedes Haus, ja selbst die Kanalisation zur Festung ausgebaut haben. Zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass es die belagernden PVSler aber auch nicht so eilig haben mit der Erstürmung und den Status quo vorziehen. Als ich nach der Gelegenheit frage mir diesen Belagerungsring einmal anzusehen, wiegeln meine Leibwächter, wie auch der Taxifahrer, entschieden ab. Erst denke ich aus Furcht vor den Eingeschlossenen, doch es kommt heraus, dass die Belagerer es sind, vor denen sie Angst haben. Die PVS dieser Region ist nämlich nur dem Namen nach eine richtige Armee. In Wahrheit sind sie kaum mehr als eine bewaffnete Bande, die von der Regierung und aus privater Hand finanziert, bzw. geschmiert wird.
Ich traue mich ob dieser Eröffnung kaum zu fragen was denn dann in Distrikt 56 vor sich ginge. Dort regiere eine Gang, vor der selbst die PVS Angst habe. „Die Zähne“ werden sie genannt, auch wenn mir keiner meiner Begleiter den Grund für diesen Namen erklären kann. Der Distrikt 56 ist nur so eine Art Heimatbasis für die Gang, welche unter den unzähligen Banden Huncals die mächtigste darstellt. Man lässt sie aus einem sehr einfachen Grund gewähren und ihr Geschäft mit Rauschgift und Waffen nach Gutdünken betreiben. "Die Zähne" kämpfen Huncals Kampf gegen die wilden Stämme an der Peripherie der Stadt. Einige Schlüsselpositionen sind von der PVS besetzt, doch die wirklichen Schlachten schlagen "Die Zähne." Sie sind in den Slums und schützen die Armen vor den angreifenden Stämmen. Sie evakuieren Regionen der Armenviertel, wenn diese dem Druck von Außen nicht mehr standhalten. Sie führen Gegenangriffe um ein paar Kilometer matschigen Boden und verfallene Wellblechhütten zurückzuerobern. Manchmal verbünden sie sich mit anderen Gangs, manchmal kämpfen sie gegen diese genauso erbittert.
Wir verlassen das Geschäftsviertel und fahren in Distrikt 13, der so nah am Rand der Stadt liegt, wie meine Begleiter zu gehen wagen.
Hier tanzen bittere Armut und Lebensfreude einen grotesken Tanz. Kaum ein Gebäude hat ein zweites Stockwerk oder besteht auch nur aus hochwertigerem Baumaterial als Blech oder Farnpalmholz. Die Straßen sind unbefestigt und wenn es länger nicht regnet bestenfalls mit gebackenem Müll gepflastert. Kinder und wilde Hunde rennen zwischen den windschiefen Hütten genauso herum wie stoische Ziegen und abgemagerte Bogos.
Trotz dieses Elends herrscht eine greifbare Aura von Heiterkeit. Menschen sitzen im Schatten beisammen, verscheuchen mit der einen Hand Fliegen, während sie mit der anderen ihre Zigarillos oder Zuckerbrandgläser halten. Zahnlose Münder lachen und schwatzen.
Wir kehren in einer Bar ein, von der ich von außen niemals hätte sagen können, dass es eine ist. Dort probiere ich nicht nur meinen ersten Zuckerbrand, der unglaublich süß und unglaublich alkoholhaltig ist, sonder bekomme von meinen Begleitern auch ein Mitglied der Zähne gezeigt. Ein abgemagerter Kerl mit freiem Oberkörper. Er ist vielleicht sechzehn Jahre alt, hat aber die Augen eines alten Kriegers.
Augen in denen sich gesehener Schrecken ebenso matt widerspiegeln, wie Dschungelfieber und Drogenrausch. Seine Haut ist vernarbt und auf jedem Zentimeter tätowiert. Schlangen, mythische Ungeheuer und Teufelsfratzen bevölkern seinen sehnigen Leib. Im Gürtel des Gangers stecken eine Laser- und eine Automatikpistole, eine Machete und ein Krummdolch.
Er sitzt nur da, raucht und trinkt seinen Zuckerbrand.
Man begegnet ihm mit Respekt und ich bin trotz allem froh, meine beiden Leibwächter dabei zu haben. Ich widerstehe dem Impuls diesen Mann anzusprechen. Meine journalistische Pflicht ringt mit meinem Instinkt und Letzterer obsiegt. Ich habe ein Gespür dafür entwickelt, wann Neugier angebracht ist und wann sie selbstmörderisch sein kann. Bei diesem Kerl wäre sie zweifelsohne selbstmörderisch und im Falle eines Falles würde ich meine Schekel nicht unbedingt auf meine beiden Beschützer setzen.
Auf dem Rückweg in die Kaserne rufe ich mir diesen Verteidiger Huncals noch einmal ins Gedächtnis. Wenn so die Kämpfer für die imperiale Sache aussehen, was für Bestien mögen dann die Stämme beherbergen?
Mit Unbehagen realisiere ich, dass ich es schon sehr bald herausfinden werde.

Simone Tober


Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.

Anmerkung der Redaktion
 
Hier ein weiterer Zeitungsartikel, dieses mal aber aus einer gänzlich andere Rubrik. Viel Spaß damit.

Die wunderbare Welt der Tiere!
Von Prof. Ignatz Schnabelmayer

Der Nachfolgende Text erreichte uns postalisch und hat einen Weg von mehreren Wochen hinter sich. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand in der Redaktion oder aus dem näheren Umfeld des Dr. Schnabelmayers sagen, wo sich der gute Doktor momentan aufhält. Die spärlichen Fußspuren seiner unbeirrt fortgesetzten Arbeit sind der einzige Hinweis, der uns auf die Unversehrtheit Schnabelmayers geblieben ist.

Anmerkung der Redaktion


Wahnwurm / Amentia Vermis

Als Zoologe liegt es in meinem Wesen, Leben in all seinen Ausprägungen als faszinierend zu betrachten. Damit ist nicht gesagt, dass mir die individuelle Gefährlichkeit oder die Bedrohung für die gesamte Spezies Mensch nicht bewusst wäre, doch habe ich es mir zur Natur gemacht, unvoreingenommen und nüchtern wissenschaftlich an meine Studienobjekte heranzutreten. Ich muss jedoch eingestehen, dass dieser Grundsatz bei dem vorliegenden Exemplar einer Gattung, die ich auf den Namen Amentia Vermis getauft habe, auf eine wahrlich harte Probe gestellt wird. Ich will nichtsdestotrotz versuchen, meine Betrachtungen objektiv und frei von Wertung zu schildern.

Ich bin mit meiner Handvoll Begleitern von Trostheim den Orogangwa hinauf gefahren und wir müssten inzwischen über die Grenze nach Trigara gelangt sein. Bevor wir uns mit unserem Dampfboot ganz in unerforschtes Gebiet wagen, machten wir Station in einer der letzten Festungen, der Zivilisation. Eine Schlangenhäuter Station unter der Führung des Majors a.D. König, bot uns einen Hafen der Bequemlichkeit, nach Tagen voll Strapazen und Mühen. Der Major zeigte sich als umschtiger und galanter Gastwirt, der uns nicht nur Loge frei stellte, sondern uns des abends auch zu sich an die Tafel holte. Einzig getrübt wurde diese Gunstbezeugung von der strikten Weigerung Königs, den treuen und beherzten Sequoyah mit an seinem Tisch zu dulden.
Der ehemalige Soldat hegte eine beachtliche Abneigung gegen die Eingeborenen, auch wenn diese fast neunzig Prozent seiner Dienerschaft und damit seiner Gesellschaft ausmachten. Auch meine Versicherungen, dass Sequoyah nicht einmal vom selben Planeten stamme und mir stets ein guter Freund und Gefährte gewesen sei, änderten nichts daran. Zu sehr erinnerte mein Begleiter König an die Einheimischen, die er nur als „Teufel“ oder „Wilde“ zu titulieren pflegte. Die so Geschmähten machten sich derweil recht wenig aus den Beschimpfungen ihres Arbeitgebers und so sehr ich den Major als Gesellschafter genoss, haftete seiner ganzen Person und wie ich eingestehen muss auch seinem ganzen Heim der Geruch der Malaria und des Blutbrandfiebers an. Stets schien der Major zwischen heiterer Gelassenheit und aufbrodelner Aggressivität zu schwanken. Davon abgesehen zeigte er sich als gebildet und überraschend weltgewandt, wenn man bedachte, dass seine Villa in den dampfenden Dschungeln der Buru- Niederung stand, umgeben von den Pfahlbauten seiner Angestellten. Bei einem guten Brandy sprachen wir über das Weltgeschehen und selbst über Entwicklungen des Sub- Sektors und des Imperiums allgemein. Ich hatte keinen Anlass an der Gelehrsamkeit meines Gesprächspartners zu zweifeln, als er mir zu fortgeschrittener Stunde von den Wahnwürmern zu berichten geruhte, welche diese Region wie eine dämonische Geißel heimsuchen. Im Schein des flackernden Kaminfeuers, erschien mir die Erzählung Königs überaus fantastisch und so auch nicht gänzlich unglaubwürdig, schließlich ist die Natur zu den beachtlichsten Kunststücken fähig, so doch reichlich mit lokaler Folklore angereichert. Der bärbeißige Schlangenhauthändler berichtete von parasitären Würmern, die ihre Opfer in rasende Irre verwandelten, die zu erheblicher Gewalt neigten, unempfindlich gegen Schmerzen seien und denen dabei jegliche Erinnerung an ihr früheres Leben abginge.
Die so Verfluchten würden Fremde gleichermaßen anfallen, wie Angehörige der eigenen Familie und keinerlei Furcht vor Waffen, welcher Art auch immer zeigen. Nur der Tod könne solche Amokläufer in ihrem Tun stoppen und aus diesem Grund würden die ursächlichen Würmer von den Einheimischen auch als Wahnwürmer bezeichnet.
Meinen gelinden Unglauben muss man mir doch angesehen haben, meinte ich doch von einer derart sonderbaren Spezies von Schmarotzer bereits gehört haben zu müssen, so sie denn auf Koron existierte. Der Major geriet jedenfalls in äußerste Rage über meinen Zweifel und als er sein altes Lasergewehr von der Wand riss, dachte ich schon es sei um mich geschehen.
Allein, König wollte, wie er verkündete, lediglich gewappnet sein, wenn wir zu dieser Stunde einen Seitenarm des Orogangwa hinauf fahren würden. Ich lachte ungläubig und vermutete einen Scherz oder eine Folge des reichlich genossenen Alkohols.
Doch nein, König meinte es bitter ernst. Er wolle lieber im Dunkel des Dschungels von einem Wurzelschleicher lebendig verdaut werden, als sich in seinem eigenen Haus einen Lügner nennen zu lassen. Ich suchte ihn zu beschwichtigen, doch da war nichts zu machen.
Wir hatten also nur die Wahl uns ohne die nötige Aufstockung unserer Vorräte zu verabschieden oder auf die Grille des Mannes einzugehen, den sich selbst schon für ein Opfer seines fantastischen Wurms hielt. Schweren Herzens und eine letzte, geruhsame Nacht an mir vorbei streichen sehend, machte ich meine eigene Waffe bereit und entschuldigte mich bei meinen Begleitern, für das Ungemach, welches ich verursacht hatte. Mir zur Seite standen der vierschrötige Sermon Gisborne, der Junge Herr Tränk und nicht zuletzt Sequoyah, gegen den der Major in der freien Wildbahn scheinbar nichts einzuwenden hatte. Mit dem Einbaum ging es gegen Mitternacht den besagten Seitenarm hinauf und nur die Beteuerungen des ortskundigen Majors, dass unser Ziel, ein kleines Eingeborenendorf am Ufer des Flusses, lediglich weniger als vier Kilometer entfernt läge, ließ uns das Wagnis bei der heillosen Dunkelheit der Dschungelnacht eingehen. Unsere Handlampen locken ganze Wolken von Stechfliegen an, so dass wir uns wie verschleierte Weiber unter unserem Schutznetzen verbergen mussten. Mehr als einmal funkelte auch der Widerschein von angestrahlten Raubtieraugen aus dem Dickicht zu uns herüber und ich danke dem Goldenen Thron, dass ich keine visuelle Vorstellung davon hatte, was unter der Wasseroberfläche zu uns herauf blinzeln mochte. Doch wir erreichten das namenlose Dorf unbehelligt und sahen die Feuer der Bewohner aus größerer Entfernung.
Man empfing uns überaus verwundert zu dieser späten Stunde, doch mit der Herzlichkeit, die den Einheimischen dieser Region so eigen ist. Major König genoss einiges an Respekt und wir wurden umgehend von den Ältesten des Dorfes empfangen. Alles Frauen, ganz gemäß der Sitte der küstennahen Stämme. Große Aufregung kam jedoch in die Alten, als unser Führer ihnen verkündete, dass wir gekommen seien um die Besessenen zu besichtigen.
Sie weigerten sich ganz entschieden und behaupteten, so die Übersetzung des Majors korrekt war, dass es schlecht für die Seele sei, sich den Blicken der Besessenen auszusetzen. König versuchte es mit Bestechung und schließlich mit Drohungen, die jungen Mädchen des Dorfes von zukünftigen Jagden auf Perlmutschlangen auszuschließen. Diese zeigte endlich Erfolg und wiederwillig führten sie uns zu einer Grube, in einiger Entfernung zum Dorf. In diesem steilen Loch nun, welches gänzlich von Felswänden gebildet wurde, geiferten zwei Frauen und ein alter Mann zu uns empor. Der Major hatte keinesfalls seine Ehre durch Unaufrichtigkeit beschmutzt, denn was der Fackelschein und unser Lampen da am Grund der Grube enthüllten, war schauerlicher als es jede Erzählung hätte ausmalen können. Die Drei hatten blutigen Schaum vor dem Mund und mühten sich uns zu erreichen, ohne zu erkennen, dass dies an den glatten Wänden des Loches unweigerlich scheitern musste. Sie krallten nach uns und klapperten mit den Zähnen, dass es nur so eine Art hatte.
Entsetzt starrten meine Begleiter und ich zu den Kreaturen hinab, denn Menschen konnten sie kaum länger genannt werden.
Erst das Feuern von Königs Lasergewehr löste uns aus unserer Starre und ließ uns erschrocken herumfahren. Mit drei präzisen Schüssen hatte der Major das Leben der Gefangenen beendet und wenn jemals einer eine Gnadentat getan hat der ich gegenwärtig wurde, so war es diese. Gleichwohl mir der Schreck noch in den Knochen saß, packte mich doch die Neugier und übermannte meine Vernunft und meine Abscheu. Während der Major noch mit den zeternden Ältesten stritt, scheinbar stellte seine Tat irgendeinen abergläubischen Frevel dar, ließ ich mich an dem Seil in die Grube, welches der umsichtige Gisborne mitgenommen hatte. Er schlang sich das Tau auf meinen Wink hin um den stämmigen Leib, was einem umwickelten Baumstamm oder Findling in nichts nachgestanden hätte und ließ das andere Ende in den klaffenden Schlund hinab.
Leicht verzagt nach dem gesehenen, doch im Herzen mutig wie immer, folgte mir Sequoyah mit unserer stärksten Lampe. Die drei Wahnsinnigen waren zweifelsohne tot und als ich mich gerade daran machte sie etwas näher in Augenschein zu nehmen, um einen von Königs Würmern auf die Schliche zu kommen, machte ich Bewegung unter dem Leinenoberteil des Alten aus.
Als ich das Kleidungsstück mit der Spitze meines Messers auseinander klappte, gewahrte ich den Kopf eines Wurms von der Dicke meines kleinen Fingers und eben solcher Länge. Es hatte den Eindruck, als sehe er sich neugierig um, auch wenn keine Augen auszumachen waren und das Verhalten wohl eher auf das unerwartete Ableben seines Wirtes zurückzuführen gewesen sein dürfte.
Ich war bereits mit einem meiner stets mitgeführten Probengläsern bei der hand und hatte meiner Utensilientasche eine lange Kranich- Pinzette entnommen, mit der ich danach trachtete das Tier zu packen. Ich ging vorsichtig zu Werke und es gelang mir den Wurm zu greifen und aus dem Loch in der Brust des Mannes zu ziehen. Wie sich zeigte besaß der Wurm eine beachtliche Länge von dreißig Zentimetern und war recht agil, ja nicht zu sagen aggressiv, bis ihm der Formaldehyd in dem Probenglas den Gar ausmachte. Wir eilten uns den Grubenrand wieder zu erklettern, in Sorge darum, was den Leichen noch alles entschlüpfen mochte.
Eine weise Entscheidung, wie ich derweil weiß und zu recht muss ich mich des Leichtsinns und der Unbesonnenheit beschuldigen lassen. Doch im Eifer des Moments überwog meine Neugier die gebotene Vorsicht. Mir ist nun bewusst, dass ich leicht selbst ein sabbernder Irrer sein und auf dem Grund der Grube eines gnädigen Schusses harren könnte.

Diese Ereignisse liegen nun drei Tage zurück und um eben diese Zeit hat sich unsere Weiterfahrt verzögert. Ich habe die Tage dazu genutzt den Wurm zu untersuchen, einen der Leichname (dieses Mal unter Beachtung gebotener Sicherheitsmaßnahmen) und ich habe mit fast einem Dutzend einheimischer, mittels eines Übersetzers gesprochen.
Die Ergebnisse dieser Forschungen sind überaus erhellend, in Anbetracht der beschränkten Mittel, die mir zur Verfügung stehen. Im Folgenden nun also meine Erkenntnisse über den, von mir Amentia Vermis getauften Organismus.

Nicht alle Wirte des Wahnwurmes erleiden das Schicksal der drei Einheimischen in der Grube. Nach gesammelten Berichten, scheiden Befallene beim Stuhlgang schleimige Klumpen von Wurmeiern aus, was gewiss wenig angenehm ist sie aber kaum in das Stadium des Wahnsinns versetzt. Amentia scheint zu den Darm bewohnenden Parasiten zu zählen. Er lebt den Großteil seines Lebens im Dünndarm, wo er sich paart, der Eiablage nachkommt und sich von den Verdauungsprodukten seines Wirtes nährt. Die prägnanten Beißwerkzeuge lassen darauf schließen, dass er damit zuweilen auch die Darmschleimhäute verletzt, um sich am Blut des Wirtes gütlich zutun und dort zu verankern.
Nach dem Ausscheiden verbleiben die Eier im Boden oder im Abort, bis sie erneut von einem Wirt aufgenommen werden, vermutlich über die Finger oder über Wasser als Folge mangelnder Hygiene.
Im Dünndarm schlüpft aus den Eiern die Larve, welche sich durch die Darmwände frisst.
Mit dem Blutstrom wandert sie zur Leber, häutet sich dort wieder und wächst weiter. Ihre Reise führt sie danach durch die Vene zum Herzen und weiter in die Lunge In der Lunge angelangt wird das finale Larvenstadium erreicht, wonach sie von den Bronchien und der Luftröhre zum Kehlkopf vordringt. Diesem Tun entspringt unweigerlich ein starkes Husten was dazu führt, dass die Larve entweder ausgespuckt oder aber heruntergeschluckt wird. Ist letzteres des Fall, hat die Larve ihr Ziel erreicht und kehrt wieder zum Dünndarm zurück, wo sie zum erwachsenden Tier heranwächst.
Nun wird sich der Leser fragen, wie sich mir ein derartiger Zyklus in nur drei Tagen oberflächlicher Untersuchungen offenbaren konnte.
Nun, bei der beschriebenen Entwicklung handelt es sich um einen typischen Ablauf bei vergleichbaren parasitären Lebensformen und auch wenn es gewissenhafterer Verifizierung bedarf, als sich sie unter den gegebenen Bedingungen erbringen kann, so legen die von mir ermittelten Fakten doch eine sehr wahrscheinliche Artverwandtschaft und daher übereinstimmende Charakteristika nahe.
Atypisch wird es in dem Moment, da eine Larve eben nicht den Rachenraum erreicht, sondern sich weiter in das Gehirn fortbewegt. Dort angelangt richtet das Tier durch seine bloße Anwesenheit natürlich einigen Schaden an Verwirrtheit, Demenz, Intelligenzverlust, Krämpfe, Kopfschmerz, Gedächtnisverlust und so weiter. Alles Symptome, die bei den Wahnsinnigen in der Grube und bei ähnlich gearteten Fällen so oder so ähnlich beschrieben wurden.
Die zielgerichtete Aggression und die Schmerzunempfindlichkeit erscheinen mir jedoch kein gänzlich zufälliges Ergebnis. Ich habe an dem extrahierten Exemplar einige Protonephridien, sprich Ausscheidungsorgane, ermitteln können, die Absonderungen von giftigen Stoffwechselprodukten erlauben. Es ist denkbar, dass damit eine gewollte Enzephalitis beim Wirt ausgelöst wird, was in Verbindung mit einer Analgesie die Symptome durchaus erklären könnte. Ich möchte betonnen, dass ich mich auf dem Gebiet der Spekulation bewege, doch es ist immerhin vorstellbar, das ein derart ferngesteuerter Mensch sein Dorf und sein Heim aufsucht und durch Gewalt den eigenen Tod provoziert, um die Verbreitung des Wurms zu fördern. Da ein einzelnes Tier diese Aufgabe übernehmen müsste und damit vom verhalten seiner restlichen Artgenossen signifikant abweicht ist ungewöhnlich und bedarf einer eingehenden und repräsentativen Erforschung, die ich zu meinem Bedauern nicht erbringen kann. Hier gebe ich den Staffelstab bereitwillig an nachfolgende Kollegen ab, befriedigt durch die Gewissheit, das Schlaglicht der dokumentierten Entdeckung auf dieses Wesen gerichtet zu haben.
Ich habe vor unserer, für morgen angedachten Weiterfahrt jedenfalls Major König geraten, die Grube mit Promethium füllen und ausbrennen zu lassen. Wir, also meine Begleiter und ich, haben uns nach unserem Abenteuer ordentlich mit Kernseife und mit Essig gereinigt. Keiner von uns verspürt das Verlangen ein Opfer des Wahnwurms zu werden, ob er nun in der Lunge, im Darm oder im Hirn nistet.

Was uns diese Episode alle mal vor Augen geführt hat ist der Umstand, dass in den unbekannten Tiefen des koronischen Dschungels nicht nur Gefahren mit Klauen und Zähnen auf den wagemutigen Forscher lauern. Doch um einen möglichen Schrecken zu wissen, heißt für den Wissbegierigen keineswegs ihm aus dem Weg zu gehen.

text by Kogan
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch an Koron ist die Pseudodiskussion über weibliche Space Marines nicht vorbei gegangen. Ich fands lustig...


Weibliche Space Marines!
Ein Brandbrief seiner Heiligkeit Kardinal Georg Prager

Allgewaltig ist der Gottkaiser zu Terra, gebettet in den Goldenen Thron auf Erden und gegenwärtig all dort, wo fromme Männer und Frauen das Knie beugen und die Hände falten, ihn zu lobpreisen.
Seine Engel des Todes, die unbezwingbaren Space Marines, nach seinem Abbild geformt, sind Drohung seinen Feinden und Labsal seinen Jüngern.
Von so großartiger Herrlichkeit ist der göttliche Glorienschein des Gottkaisers, dass seine demütigen Diener zuweilen schier erdrückt zu werden scheinen, von der Überirdischkeit seiner Präsenz.
Wer stand noch nicht in den großen Kathedralen und versuchte vergebens das Wesen zu erfassen, dem solch mächtige Häuser Wohnung sind und dessen Geist jeden sterblichen Menschen wie die unbedeutendste Mikrobe aussehen lässt?
Solch alles übermannende Pracht kann durchaus den Gläubigen verzweifeln lassen, vergegenwärtigt sie doch die eigene Bedeutungslosigkeit im Angesicht des rein Göttlichen.
Sinnstiftend ist da die mannigfaltige Existenz diverser Kulte, welche durch Lokalkolorit geprägt sind und theologische Komplexität soweit herunterbrechen, dass sie dem einfachen Bürger, der mit dem Geschenk eines simplen Wesens gesegnet ist ein menschlicheres Antlitz als Ziel seiner Anbetung bieten.
Heilige und Helden des Imperiums sind Mittler zwischen der Masse der Gläubigen und Ihm auf Erden. Der brave Bürger hat in den Heiligen einen Adressaten seiner Fürbitten und verlässt doch nie den wärmenden Schoss der Mutter Kirche.
Der Gottkaiser selbst wirkte und wirkt durch seine Auserwählten und wer sie verehrt, verehrt ihn. Man könnte also getrost behaupten, Kulte sind etwas durchweg Gutes.
Doch Obacht!
Neben all den lieblichen Trieben die am festen Stamm der Ekklesiarchie sprießen und sich von seiner Kraft nähren, keimt auch manches Unkraut im Schatten solcher Tugend.
Immer wieder gibt es Fehlgeleitete, die närrisch genug sind die wohlwollende Liebe der heiligen Kirche zu verlassen und sich im Schmutz gänzlich falscher Götzenanbetung zu suhlen. Im vermeintlichen Schutz der Heimlichkeit erniedrigen sie sich und die ganze menschliche Spezies, indem sie Xenos huldigen oder dämonischen Höllenwesen ihre Seele verschreiben. Ziele dieser selbst verschuldeten Verdammung sind Machtgewinn, Reichtum oder lästerliche Exzesse verdrehter Sinnesfreuden. Perversion und Abnormität sind die Quintessenz solcher Ketzereien und allein, dass es einen kleinen Bruchteil von Menschen gibt, die solche Abweichung vom rechten Pfad in Erwägung ziehen erfüllt jeden frommen Bürger mit Ekel und Abscheu.
Dank sei dem Goldenen Thron, dass die Wachsamen unseres geliebten Imperiums niemals schlafen und immer bereit stehen, solche widerwärtigen Umtriebe zu erkennen, rechtzeitig mit Stumpf und Stiel auszureißen und dem reinigenden Feuer rechtschaffenem Zorns und Empörung zu übergeben.
So ist gewährleistet, dass jeder wahrhaft Gläubige sich nach geschafftem Tageswerk ohne Sorge zum Schlaf der Gerechten niederlegen kann. Kein verderblicher Kult hat jemals die Chance über eine verfaulte Idee hinaus zu kommen, denn gute Diener des Gottkaisers hegen seine Lämmer. Gleichwohl sind nicht alle verblendeten Kulte derart radikal und abartig, dass man gleich erkennt, welch Haupt es abzuschlagen gilt, wenn es sich geifernd erhebt. Zuweilen kommen die Unglückseligen nur vom rechten Pfad ab und merken selbst nicht, wann sie das Licht der imperialen Gnade verlassen haben und in das Hexenlicht der Häresie gestolpert sind. In solchen tragischen Fällen kann zuweilen noch eine Abkehr vom Wahn bewirkt werden und Läuterung durch belehrend harte Strafe erfolgen.

Ein Beispiel soll hier aus aktuellem Anlass aufgeführt werden. Ein Beispiel, welches sich durch anfängliche Absurdität als Scherz zu eigenen scheint, doch auf den zweiten, gewissenhafteren Blick eine nicht unerhebliche Gefahr für die religiöse Gesundheit des Imperiums als Ganzes erkennen lässt.
Gemeint ist eine kultische Bewegung, welche sich einen falsch verstandenen Feminismus auf die Banner geschrieben hat und Vielfalt nicht als eine natürliche Folge der unzähligen Milliarden von Menschen erkennt, die sich unter dem zweiköpfigen Adler scharren, sondern als ein Diktat voraussetzt das zum Gelingen einer Sache notwendig erscheint. So weit gehen diese Wahnsinnigen, dass sie fordern, die mächtigen Space Marines des Adeptus Astartes müssten durch Frauen repräsentiert werden. Weibliche Space Marines in den Reihen der Orden oder gleich ganze Orden aus Frauen geschaffen. Dieses Verlangen, so lachhaft es uns auch anmuten mag ist gleich auf mehreren Ebenen zutiefst ketzerisch. Dabei sei noch nicht einmal berücksichtigt, dass wir einfachen Menschen gar nicht wissen, ob es überhaupt möglich ist eine Frau in einen Marine zu verwandeln. Die arkarnen Techniken der Erschaffung eines Marines bleibe ein Geheimnis und wir müssen dankbar sein, nicht mit der Bürde belastet zu sein, solches Wissen hüten zu müssen. Gewaltigere sind mit dieser Aufgabe betraut und uns entzieht sich die Vorstellung, welch Weltengewicht ein jeder dieser Erwählten, wie Atlas auf den Schultern zu tragen hat.
Wohl aber erkennen wir die Blasphemie, anzunehmen der Gottkaiser selbst könnte falsch gehandelt haben, als er entschied Söhne und nicht etwa Töchter damit zu betrauen, den Legionen der Space Marines vorangestellt zu sein und in seinem Namen das Universum der Menschheit Untertan zu machen. Zu behaupten darin habe er unrecht gehandelt, bedeutet wider Ihm auf Erden falsch Zeugnis zu reden. Doch damit nicht genug. Diese Närrischen beschmutzen nicht nur den Lorbeerkranz der Space Marines, sondern stellen auch das Heldenhafte in Abrede, was die Frauen unserer Gesellschaft tagtäglich leisten. Nicht nur dienen sie in unseren Armeen, kommandieren unsere Raumschiffe, Panzer und Titanen, gleich jedem Mann, der dazu befähigt ist. Darüber hinaus stellt die Schwesternschaft des Adeptus Sororitas den kämpfenden Arm der Ekklesiarchie. Sie sind es, die sich auf den Schlachtfeldern zwischen den Sternen gegen Verräter, Xenos und Mutanten stemmen.
Diese Opferbereitschaft und Größe in Abrede zu stellen und zu behaupten, eine Frau könne nur dann gänzlich gewürdigt werden, wenn sie ihren Platz zwischen den Space Marines einnimmt, heißt die Schwesternschaft schmähen und ihr vergossenes Blut ungewürdigt versickern lassen.
Ich aber sage euch, meine Kinder: Tretet dieser Blasphemie entgegen und lasst nicht zu, dass die Selbstgerechten und Verblendeten all das mit Füßen treten, was zu lieben ihr von Kindesbein an gelernt habt. "Denn wer da redet wider mein Gebot, den will ich grimmig strafen und niederstrecken soll ihn der Zorn der Gläubigen, deren Hand von mir geführt wird."
So spricht der Gottimperator der Menschen, jetzt und immer da.
Nach seinen Worten aber sollt allein ihr handeln.
 
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Hier einmal eine Geschichte, die zwei verschiedene Autoren beinhaltet. Aus dem Forum Koron III übernommen und zu passenden Lesbarkeit von mir bearbeitet. Beide Autoren waren mit der Verbreitung hier einverstanden. Die Passagen beider Schreiber sind durch Absätze getrennt. Dadurch das jeder Absatz eine Reaktion auf das darstellt, was der Autor davor geschrieben hat, ist der Stil etwas anders als bei einem Text von einem einzelnen Autor. Fragen und Antworten etwa gesehen nicht hin und her, sondern werden im Folgetext beantwortet. Man gewöhnt sich aber schnell an diese Schreibart und es ist nichts Störendes.

Zum Hintergrund: Koron 3 ist bekannt für seine Hauptstadt, die Makropole Gohmor und für das öde Land, welches Überbleibsel und Mahnmal eines gewaltigen Weltkrieges, bekannt als der „Krieg der Häuser“ ist. Wenig Interesse schenkt man der Äquatorialgegend, die von dampfenden Dschungeln und undurchdringlichen Urwäldern geprägt ist. Vom Weltraum aus erscheint diese Region wie ein schmaler Gürtel, doch wer sich dort hin wagt, der erkennt schnell, das ihr tausende und abertausende von Quadratkilometern unerforschter Wildnis auf Mutige und Närrsiche warten. Zu welcher Kategorie die beiden Protagonisten zählen muss sich noch zeigen. Der eine ist Ignatz Schnabelmayer, ein etwas schrulliger Zoologe aus Gohmor, der in den Dschungeln nach unentdeckten Tieren und sucht. Der Zweite ist sein treuer Gefährte Sequoyah. Ein Fremdweltler von Denum 2, entsprungen einer urtümlichen Stammeskultur. Beide wagen sich den Fluss Orogangwa hinauf, ein Schlaglicht auf dieses Herz der Finsternis zu werfen.
Ich will noch sagen, dass der Text nach meiner Meinung durch seine Stimmung lebt. Wer riesige Schlachten, Space Marines und Orkhorden erwartet, der wird vermutlich nicht sehr glücklich damit.

Viel Spaß dabei!


Schwerer Regen prasselte auf das Blechdach des Dampfschiffes, welches sich asthmatisch schnaubend aber unerbittlich seinen Weg den Orogangwa hinauf durch die Nacht keuchte. Der ringsum aufragende Dschungel, die erdrückende Masse an Natur, ließ das Schiff und seine zusammengewürfelte Besatzung zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Bei Regen war das noch mehr der Fall, wenn der eigene Bewegungsradius auf die wenigen Stellen zusammenschrumpfte, die vor dem Niederschlag geschützt waren. Die meisten Männer nutzten die geringfügige Abkühlung und die vorübergehende Abwesenheit von Stechfliegen und Blutkäfern, um dringend nötigen Schlaf nachzuholen. Auch wenn die Fahrt Fluss aufwärts nicht mit übermäßigen Anstrengungen verbunden war, so schien doch alles Einwirken des Urwaldes einen gesunden Schlaf verhindern zu wollen. Die Hitze, die beißenden Quälgeister, der Lärm des Getiers und zuweilen sogar der wuchtige Duft von Blüten, so süß und schwer, dass er über die Dauer Kopfschmerzen verursachte. So ignorierten die meisten die bange Frage, was hungrig aus der Dunkelheit der Blätter auf das Schiff starren mochte und schliefen in ihren Hängematten. Nur einige wenige waren wach. Der Steuermann und der erste Heizer, wie auch Schnabelmayer, der gegen die Reling aus gewälztem Blech gelehnt saß und im Schein einer flackernden Öllaterne Notizen in eine Reinschrift übertrug, einige Pflanzenexponate abzeichnete. Er unterbrach seine Arbeit, als er den trittlosen Schritt seines Begleiters der ersten Stunde, mehr ahnte als wirklich hörte. Er sah auf und erblickte Sequoyah der zu ihm kam, die Augen in unbewusste Gewohnheit vom Licht abgewandt, um sie so nicht für die Nacht zu verderben. Wortlos, wie es seinem Wesen entsprach, setzte er sich mit überkreuzten Beinen neben Ignatz. Eine törichte Höflichkeitsfloskel, wie „Na noch wach?“, wäre an Sequoyah verschwendet gewesen, da er nicht dazu neigte das Offensichtlicher zu benennen. Der Professor beendete die Zeichnung eines fedrigen Farns und legte dann den Stift zurück in die Holzschatulle, in der er derartige Utensilien aufzubewahren pflegte. „Rauchen wir?“
Das bestätigte der andere mit einem knappen Nicken und nun folgte das Ritual, das Schnabelmayer inzwischen auswendig kannte. Die Pfeife wurde hervorgeholt und mit Tabak gestopft. Dann mit einem eigens dafür vorgesehenen Knochenstück ein Loch in die Stopfung gebohrt. Sequoyah brannte einen Spahn an der Flamme der Lampe an und paffte schnell ein paar Züge. Er ließ die Glut ausgehen und wiederholte den Vorgang, dieses Mal mit tieferem Einatmen. Dann stieß er den blauen Rauch durch Mund und Nase aus, was seinem markanten Gesicht das Aussehen eines Urwaldgötzen verlieh. Er übergab die Pfeife an Ignatz, der es ihm etwas zaghafter gleichtat. Die ersten Male hatte er sich die Lunge aus dem Hals gehustet und das obwohl er selbst kein Unbekannter in manchem Rauchsalon gewesen war. Aber das Kraut des Mannes von Denum 2 hatte es in sich. Inzwischen war er es gewohnt und genoss das kratzige Aroma nach Erde und würzigen Kräutern. Während er dem aufsteigenden Rauch nachsah, verweilten seine Gedanken bei dem Bild des Dschungelgötzen. Sie hatten auf den Wochen ihrer Reise in einigen Dörfern Station gemacht, auch wenn das Letzte bereits acht Tage zurück lag. Dörfer, die durch die Bemühungen von Missionaren fest im Glauben an den Gottkaiser verankert waren. Dennoch hatten die Eingeborenen ihnen nicht selten geschnitzte oder zuweilen sogar in Stein gehauene Teufelsfratzen gezeigt, die ein Dorf in einiger Umgebung umstanden. Die Dorfbewohner hatten ihnen erklärt, dass Dämonen und böse Geister, die sich der Siedlung nähern wollten, diese Abbilder von weiten sahen und meinen mussten, dass bereits ein anderer Unhold Anspruch auf dieses Gebiet erhob und sie deswegen wieder abzogen. Ein finsterer Aberglauben, den die Missionare aber scheinbar toleriert hatten, froh darüber den Heiden wenigstens die grundlegenden Begrifflichkeiten des Imperatorkultes beigebracht zu haben. Die Ausrottung solcher Abweichungen überließen sie dann mit konstanter Regelmäßigkeit ihren Nachfolgern. Die Götzenbilder waren in der Regel abstrakte Abwandlungen von menschlichen Figuren, denen die jeweiligen Künstler nur mehr Augen, Zähne oder überdimensionale Gesichtsattribute gegeben hatten. Was er jedoch im Dorf Belati von einem verrückten Alten gekauft hatte, der seinen Verstand an den von der Küste importierten Palmschnaps verloren hatte, wich von dieser Ikonographie ab. Wenn die Anthropologie auch ehr ein Steckenpferd, denn seine eigentliche Passion war, so faszinierte ihn der Fetisch doch, denn er im Tausch für zwei Flaschen Whisky von dem Alten erhandelt hatte. Einem Impuls folgend griff er nach dem faustgroßen Objekt, dass in einen Lappen gewickelt als Beschwerer für seine Aufzeichnungen diente und ersetzte ihn mit der Kiste für seine Schreibgeräte.
„Sieh dir das einmal an, mein Freund.“ Er schlug das Tuch auseinander und brachte eine Figurine aus schwarzem Gestein zum Vorschein. Dargestellt war ein chimärisches Wesen, dessen Unterleib der einer Schlange glich und so der Oberkörper auch an den eines sehnigen Mannes gemahnte, erinnerte der Kopf doch wieder eher an den einer Schlange. Das Wesen hatte sechs Arme, die es sternenförmig ausgebreitet hielt. Jede Faust umklammerte ein Schwert oder hatte es zumindest, denn vier waren bereit abgebrochen, zwei mit Teilen des Armes. Nicht abgebrochen war hingegen der erigierte Penis, der in fast aggressiver Form aufragte. Die Figur war augenscheinlich alt und wenn sie auch abgegriffen und durch häufige Berührung glattpoliert war, so konnte man doch die Kunstfertigkeit des Erschaffers unmöglich leugnen. „Was hältst du von diesem Burschen hier?“ Immer noch auf dem Lappen gebettet, übergab er den Fetisch an Sequoyah, ebenso wie die Pfeife, damit er einen weiteren Zug tun konnte. „Der Alte, von dem ich ihn getauscht habe, meinte er stammt aus dem Norden, tief aus dem Dschungel. Aber die Figur gleicht keinem der geschnitzten Götzen, die wir in den Dörfern gesehen haben. Meinst du ich bin einem Schwindel aufgesessen?“


Sequoyah war sich bis jetzt noch immer nicht sicher, was das Ziel ihrer Reise war. Der Professor sammelte Tiere und Pflanzen, malte diese in seine Bücher ab und beschrieb sie, soweit hatte er es schon verstanden. Aber den Sinn dahinter konnte er noch nicht sehen. Er hatte den Professor schon darüber reden gehört, dass er diese Beschreibungen an sogenannte Zeitungen verschickte, die dann von unzähligen Menschen gelesen wurden. Aber was war der Sinn dahinter? Diese Menschen würden nie diese Tiere oder Pflanzen selbst sehen, geschweige denn einmal anfassen. Diese Texte waren an sich bedeutungslos für die Menschen in Gohmor. Sequoyah hatte Ignatz deswegen schon öfters gefragt und der Professor hatte versucht es ihm zu erklären, aber bisher erfolglos.
Er würde sich also weiter gedulden müssen und abwarten. Auf dem Schiff war das gar nicht so einfach hatte er bemerkt. Alle paar Tage erreichten sie kleine Dörfer, die mitten in diesen unendlichen grünen Weiten lagen. In gewissem Sinne war es fast wie eine Heimkehr nach Denum 2 zurück. Der Wald, die Stämme, die Einsamkeit und die vielen wilden Tiere. Aber dann war es doch anders. Hier war es drückend heiß und schwül und es dauerte nie lange bis der Regen, wie eine Mauer aus Wasser auf sie niederkam. Im Gegensatz zu seinen Begleitern war er sogar schon so weit gegangen, dass er nur noch seinen Lendenschurz trug und alle anderen Kleidungsstücke inklusive der Schuhe abgelegt hatte, da er die Hitze andernfalls nicht ertragen hätte. Die Nacht kam ebenso schlagartig, wie der Tag begann, und er kannte sich in der Wildnis und mit ihren Tieren hier genauso schlecht, wie seine Begleiter aus. Eine Tatsache, die ihn zutiefst beschämte, da ihn der Professor doch eigentlich genau dafür hatte dabeihaben wollen. Bisher hatte er sich das aber noch nicht allzu deutlich anmerken lassen und war stattdessen mit großem Eifer daran gegangen verschiedenste Jagdwaffen anzufertigen, mit denen er Tiere für den Professor fangen wollte oder schon bereits gefangen hatte. Sein letztes Stück war ein Fischspeer mit vielen bösartigen Zacken gewesen, den er bei all seinen anderen Sachen verstaute und am nächsten Tag Schnabelmayer präsentieren wollte.
Dann stand er auf, streckte kurz seine eingeschlafenen Gliedmaßen und ging dann in Richtung der noch flackernden Öllampe. Der Professor schien wieder einmal noch zu arbeiten. Sequoyah hatte ihn schon öfter darauf aufmerksam gemacht, dass er sich bei dem schwachen Licht die Augen ruinieren würde, aber den Professor hielt das nicht davon ab, es immer wieder zu tun.
Schweigend setzte Sequoyah sich neben seinen Reisebegleiter und in gewissem Sinne auch Mentor und beobachtete diesen schweigend bei seiner Arbeit.
Erst als dieser seinen Stift beiseitegelegt und mit der üblichen Frage ihr gemeinsames abendliches Ritual eingeleitet hatte zeigte Sequoyah wieder Anzeichen von Aktivität und holte Tabaksbeutel und Pfeife hervor.
Nachdem sie so ihr altes Ritual wieder begonnen hatten und die Pfeife hin und herwanderte, schlug Ignatz ein Tuch auseinander und zeigte Sequoyah eine kleine Steinfigur.
Vorsichtig nahm er die Figur von Ignatz entgegen und musterte sie schweigend für einige Minuten.
„Nein, ich glaube sie ist echt. Sie erinnert mich ein bisschen an manche Figuren, die ich anderswo gesehen habe, aber sie ist merkwürdig. Hast du schon mal von Menschen gehört, die sich in Tiere verwandeln können?“ Sequoyah nahm wieder einen kräftigen Zug an der Pfeife und reichte sie an Ignatz zurück. „Ich glaube die Figur dient vielleicht der Konzentration für denjenigen der genau so etwas tun will. Als Verstärker gewissermaßen. Aber die Schlange für eine Verwandlung auszuwählen ist merkwürdig. Die Figur hat sechs Arme, mit Schwertern in den Händen, aber eine Schlange hat nichts Kriegerisches an sich zu dem Schwerter passen könnten. Sie ist geduldig und greift aus dem Hinterhalt mit Gift an. Nicht mit purer Stärke oder großen kämpferischen Geschick.“ Wieder schwieg Sequoyah und untersuchte die Figur weiter.
„Und der Penis... Schlangen sind fruchtbar, legen dutzende Eier, aber hier scheint es auf etwas anderes hinzuweisen... keine Fruchtbarkeit, sondern...“ Sequoyah machte eine Handgeste, als er nach einem passenden Wort suchte „...du würdest es wohl als zu obszön empfinden.
Was auch immer du damit bisher gemacht hast, ich wäre vorsichtig. Die Figur hat Macht in sich oder an sich gebunden... vielleicht die Geister von Verstorbenen... ich weiß es nicht genau, da müsstest du einen Schamanen fragen.“
Schweigend starrte Sequoyah in die Dunkelheit in Richtung Dschungel. Nur der auf Blech prasselnde Regen, der Lärm er Schiffsmaschinen und vereinzelte Tiergeräusche aus dem Wald waren zu hören.
„Würdest du gerne einmal an einer Fackeljagd teilnehmen Ignatz?“


„Du meinst so etwas wie den Mannwolf?
Ich habe im Studium eine Abhandlung über die Verbreitung von hartnäckigem...“ fast hätte er Aberglauben gesagt, hartnäckigen Legenden gehört. „Das sich Menschen in Tiere verwandeln war eine davon. Egal auf welcher Art von Welt der Mensch siedelt, welchen technischen Standard er erreicht, die Geschichten von Menschen, die sich in Bestien verwandeln lassen sich auf die eine oder andere Art überall finden. Nicht verwunderlich, wenn du mich fragst. Der Autor sah darin einen Versuch die allgegenwärtige Pein der Mutation zu verarbeiten. Das mag so sein, doch ich neige dazu der Binsenweisheit Vorschub zu leisten, dass da wo der Mensch hinreist, seine Dämonen mit ihm reisen.“ Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er die Ansichten Sequoyahs belächelt und wäre um das Wort Aberglauben nicht herum manövriert. Natürlich wäre er taktvoll geblieben, schließlich hatte er eine süperbe Kinderstube genossen.
Wie gesagt, vor einiger Zeit.
Dann hatte es einen Zwischenfall gegeben. Etwas, dass ihn seinen bis dato sehr praktischen, sehr distinguierten Imperatorglauben aus einem anderen Blickwinkel sehen ließ.
Die Erkenntnis, dass die Realität wie ein Stück verdorbenes Fleisch war, an einigen Stellen bereits von Fäulnis verfärbt, aber noch übersehbar, wenn man nicht so genau hinsah. Unter der Oberfläche gruben sich Maden jedoch bereits ihre Gänge, höhlten alles aus. Fette weiße Maden fast schon Schlangen.
Es bedurfte fast physischer Kraftanstrengung den Blick von dem kleinen Fetisch zu trennen, die verwaschenen Erinnerungen beiseite zu schieben und den unangenehmen Nachgeschmack zu ignorieren, den sie hinterließen.
Es lag an diesem Land und an diesem Dschungel. Etwas Krankmachendes hing permanent in der Luft und verhieß Fieber, Albträume und Wahn.
„Ach!“ überspielte er seine Irritation mit einem lakonischen Lächeln und einem tiefen Zug aus der Pfeife. „Du würdest dich wundern, welchen bunten Strauß an Obszönitäten ich bereits zu Gesicht und zu Gehör bekommen habe. Ich war Reitereioffizier, musst du wissen und die jungen Herren in diesen Einheiten sind bisweilen nicht so wohlerzogen wie ihre klingenden Familiennamen einen glauben machen.
Nichtsdestotrotz werde ich deinem Vorschlag vielleicht nachkommen. Einen Schamanen zu fragen, meine ich. Immer vorausgesetzt uns begegnet noch eine menschliche Seele in dieser Gegend. Wenn man Gohmor gesehen hat, scheint es unglaublich, dass es eine derart menschenleere Gegend auf Koron gibt.“ Während er sprach verstaute er den Götzen wieder. Für gewöhnlich lagerte er seine persönlichen Sachen in einer kleinen Seemannskiste, die er unter das Kopfende seines Feldbettes schob, die ihm Ersatz für eine Koje war. Heute Nacht würde er die Figur jedoch nicht so nah an seinem Kopf haben wollen. Er würde sie in die Rocktasche stecken und diesen möglichst weit von sich fort an einen Nagel hängen. Eine kindische Art sich vor einem Buhmann zu schützen, doch wenn sie funktionierte, wieso nicht?
„Fackeljagd?“ Folgte er dem Themenwechsel seines Freundes. „Was soll das sein? Aufregend klingt es alle mal.“

„Eine Fackeljagd ist, eine Art wie wir in meiner Heimat auf die Jagd gegangen sind. Man fährt dazu nachts mit einem Kanu...“ Sequoyah fiel ein, dass der Professor mit dem Wort sicherlich nichts anfangen konnte „...mit einem Boot, wie wir es auch schon in den Dörfern, in denen wir schon waren gesehen haben, flussaufwärts. Dort zündet man eine Fackel an, befestigt sie im vordersten Teil des Bootes und deckt sie nach hinten mit einem Brett ab, damit man selbst nicht geblendet wird. Dann wendet man das Boot und lässt sich flussabwärts treiben. Die Tiere können einen dann schlechter hören und das Licht zieht sie an und blendet sie, sodass sie uns nicht sehen können. Und wenn man dann nahe genug an sie herangekommen ist, erlegt man sie. Zuhause haben wir dafür Bögen benutzt, da man bei einem Fehlschuss nicht gleich alle anderen Tiere auch verscheucht. Hier werden wir wohl nur unsere Gewehre nutzen können. Du solltest also gut zielen Ignatz.“ Die Andeutung eines Lächelns huschte über Sequoyahs ansonsten so ernstes Gesicht und Schalk blitzte in seinen Augen auf. „Du hast schon viel zu lange Pflanzen, Insekten und anderen Kleinkram gesammelt. Das mag jetzt vielleicht für dich unverschämt klingen, aber ich finde du solltest dich an größeres heranwagen. Die Menschen die deine... wie hast du sie noch mal genannt... genau Artikel lesen, die finden das doch bestimmt langweilig. Aber großes Jagdwild, damit kannst du sie beeindrucken. Ein richtiger Mann sein und Ruhm ernten. „Das Lächeln verschwand und Sequoyah schaute seinen Sitznachbarn nachdenklich an.
„Wir fahren den Fluss rauf Ignatz ohne uns groß zu bewegen. Die Hitze und die feuchte Luft macht einen träge und das Brummen der Insekten betäubt die Sinne. Und du ruinierst dir deine Augen, wenn du bei dem winzigen Licht deiner Lampe die Bilder von deinen Pflanzen malst. Die Jagd würde aber unseren Geist und Körper wieder beanspruchen und die Sinne schärfen. Und wir wissen nicht, ob die nächste Siedlung uns freundlich gesinnt sein wird. Vielleicht treffen wir sogar irgendwann auf die Erschaffer dieser Figur, die du da hast. Wenn du dich also auch für solche Möglichkeiten vorbereiten willst, sollten wir jagen gehen. Wenn nicht können wir auch weiterhin erstmal Insekten und Blumen sammeln gehen. Es ist deine Entscheidung Ignatz“

„Ah du versuchst mich bei der Ehre zu packen.“ Ereiferte sich Ignatz in gespielter Entrüstung. „Und ich fürchte es gelingt dir.
Der Akademiker in mir beharrt darauf, dass diese Arbeit, er deutete auf die gezeichneten Pflanzen, deren Blätter sich im Flackern der Ölflamme in einer sanften Briese zu wiegen schienen, „ebenso wichtig ist wie jedes noch so aufregende Großtier. Aber du hast in zweierlei Hinsicht Recht. Den Leser des Guardians verlangt es gewiss eher nach Ungeheuern, denn nach Pflanzen. Und der Dschungel macht einen tatsächlich mürbe. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie Stille klingt. Dieses durchgehende Zirpen, selbst bei solch einem Regenguss, zerrt an den Nerven.
Ich bin dabei, wenn du die Führung der Jagd übernimmst. Es widerstrebt mir ein Tier aus reinem, sportlichen“, bei dem letzten Wort beschrieb er Anführungszeichen in der Luft, „Spaß zu töten, doch ich tröste mich damit, dass es sein Leben im Dienst der Wissenschaft lässt. Wir haben kaum die Möglichkeit langwierige Observationen von Lebensraum und Verhalten anzustellen und so ist die Studie am postmortalen Objekt der weniger schöne, aber erfolgversprechendere Weg.
Ein Einbaum haben wir nicht aber ich denke das Dingi tut es auch.“ Damit meinte er das Beiboot aus genietetem Blech, welches quer am Heck des Dampfers hing und bis jetzt nicht mehr tat als rosten und regelmäßig voll Regenwasser zu stehen.
Je mehr er auf der Idee einer Fackeljagd herumdachte, umso mehr begeisterte er sich dafür. Einzig die Befürchtung, dass sie etwas anlocken mochten, dass das Verhältnis vom Jäger zum Gejagten umkehren konnte, machte ihm Sorgen.
Auch Sequoyahs beiläufige Bemerkung über die Erschaffer der Figur, ließen ihn schlucken. Er war schlicht davon ausgegangen, dass es sich um ein antikes Artefakt handelte, dessen Erschaffen schon lange zu Staub zerfallen war. Auf den Gedanken, dass es ein zeitgenössisches Stück sein mochte war er nicht gekommen. Ignatz fröstelte, trotz der drückenden Hitze.
„Das Boot hat einen starken Außenborder, den der Kapitän verwahrt hat. Er sollte also funktionieren. Wir können daher Fluss abwärts treiben, so wie du beschrieben hast und dann unser Schiff ohne Probleme wieder einholen. Ich überlasse, wie gesagt dir die Vorbereitungen. Du musst entscheiden wen von den Männern du dabeihaben willst und was du an Ausrüstung benötigst.“ Der Professor gähnte, als sich die Müdigkeit nun doch seiner bemächtigte. „Vielleicht lässt das Wetter morgen Abend eine derartige Jagd zu.“ Er ging nicht davon aus, dass sein Kamerad noch heute Nacht auf die Pirsch gehen wollte.
„Dann schlafen wir uns gut aus und fangen uns morgen Nacht eine Dschungelbestie.“ Er nahm einen letzten Zug und gab dann die Pfeife an ihren Besitzer zurück.
In einer fließenden Bewegung stand Sequoyah aus dem Schneidersitz auf und nahm einen letzten Zug an der Pfeife. „Der morgige Abend soll es sein. Hoffentlich hat der Regen bis dann aufgehört."
Dann verschwand er so lautlos, wie er gekommen war in Richtung seines Schlafplatzes.
Der nächste Morgen war etwas kühler als sonst, was wohl die Nachwirkung des Regengusses der vergangenen Nacht war. Jetzt hatte es aber aufgehört zu schütten und das bedeutete, dass die Stechmücken und Blutkäfer wieder aus ihren Verstecken hervorgekrochen kamen. Auch sonst war der Wald wieder zum Leben erwacht und die Bootsbesatzung konnte den Lärm welchen Vögel, Insekten und andere Dschungelbewohner gemeinsam veranstalteten wieder genießen. Wobei „erleiden“ wohl das passendere Wort für die meisten abgesehen von Sequoyah gewesen wäre. Bis jetzt hatte Sequoyah sich nicht die Mühe gemacht und Schnabelmayer gefragt, wie und wo er die Männer aufgetan hatte. Zumindest ging er davon aus, dass Schnabelmayer sie selbst angeheuert und diese Aufgabe nicht jemand anderem überlassen hatte.
Da der Professor tagsüber mit wichtigeren Dingen beschäftigt war, musste Sequoyah sich bezüglich der Männer und der Ausrüstung an den Kapitän des Schiffes wenden. Geduldig wartete Sequoyah ab, bis sich für ihn die Möglichkeit ergab mit dem Kapitän zu sprechen.
„Verzeihung Kapitän, wenn ich störe. Aber der Professor und ich würden gerne ein paar Männer, Ausrüstung und das Dingi in der nächsten Nacht für eine Jagd nutz...."
Der Kapitän fuhr ihm unwirsch ins Wort. „Für eine Jagd? In der Nacht? Habt ihr sie noch alle? Ich kann weder die Männer noch die Ausrüstung entbehren und besonders nicht das Dingi!"
„Verzeihung Kapitän. Ich muss sie aber noch einmal daran erinnern, dass der Professor diese Fahrt hier bezahlt und ihm damit glaube ich alles gehört, was sich auf dem Schiff befindet."
„Das mag schon sein Bursche. Aber es ist doch Wahnsinn das bei Nacht zu machen. Wir können gerne auch tagsüber einen Stopp einlegen und eine Safari an Land einlegen. Aber bitte doch nicht bei Nacht..."
„Der Professor und ich haben uns für eine Jagd bei Nacht entschieden. Keine weitere Diskussion." Sequoyahs Stimme hatte etwas an Schärfe gewonnen und Ungeduld schimmerte durch.
„Das Dingi wird von uns genutzt. Die Ausrüstung auch. Und wir werden zwei Männer von der Besatzung brauchen. Sie sollten mit dem Dingi gut bei Tag und Nacht umgehen können, gute Nerven und Erfahrung mit Waffen haben. Wen würdet ihr empfehlen?"
Der Kapitän knirschte mit den Zähnen und unterdrückte nur mühsam seine Verärgerung. Seqouyah konnte ihm deutlich ansehen, was er von der Aktion hielt, aber letztlich hatte der Professor das alles hier bezahlt und so musste er sich beugen.
„Wenn es unbedingt sein muss nehmt ihr am besten Cordell und Bijan mit. Zumindest Bijan stammt ja auch aus der Gegend hier." Das für den Kapitän unter "Gegend" das ganz Land fiel in dem sie sich befanden war mehr als klar.
Sequoyah nickte kurz und ließ den Kapitän wieder weiterarbeiten und suchte die beiden Matrosen auf dem Schiff. Er erklärte den beiden kurz, was der Professor und er geplant hatten und nach einer kurzen Diskussion erklärten sich die beiden bereit mitzukommen.
Zusammen begannen sie damit das Dingi wieder fahrtüchtig zu machen, wobei der Großteil der Arbeit von den beiden Matrosen übernommen wurde, da Sequoyah sich nicht mit dem Außenborder auskannte und die beiden lieber alleine mit den Chemikalien rumhantierten mit denen sie zumindest den gröbsten Rost entfernten. Vom Dingi selbst war Sequoyah eher enttäuscht. Es war deutlich länger und auch etwas breiter, als die Kanus mit denen er in seiner Heimat auf Gewässern unterwegs gewesen war und es kam ihm trotz gegenteiliger Versicherungen der Matrosen auch deutlich plumper vor. Aber da es nichts anderes gab, musste er sich damit begnügen. Nahdem das Boot gereinigt war, bauten die beiden Matrosen auf Sequoyahs Anweisung hin noch einen Fackelhalter und ein Brett, welches das Licht nach hinten in Richtung Bootsbesatzung abblendete. Zuletzt luden sie die Ausrüstung in Form von Paddeln, zwei Essar Karabinern, Seilen, Leuchtfackeln und Taschenlampen an Bord.
Das Boot war bereit und die Mannschaft hoffentlich auch. Ab jetzt musste er nur noch warten, dass es dunkel wurde und dem Professor Bericht erstatten.
„Ignatz wir haben das Boot vorbereitet. Das Wetter scheint bisher auch ganz gut zu sein und bis zur Dämmerung sollte auch nicht mehr viel Zeit vergehen. Zwei Matrosen werden uns zur Sicherheit begleiten. Du wirst nachher in der Front vom Dingi sitzen und die Fackel anzünden müssen und unser Ausguck und Jäger sein. Freust du dich schon darauf?"

Ob er sich denn auf die anstehende Jagd freue, hatte Sequoyah gefragt und mit einem etwas verkniffenden Lächeln hatte Ignatz geantwortet, dass es sich damit ähnlich wie mit dem ersten intimen Zusammensein mit einer Frau begab. Man freue sich darauf, ja sehne es sogar herbei, doch um der Wahrheit die Ehre zu geben, wisse man weder genau was man zu erwarten habe, noch habe man kaum mehr als eine theoretische Vorstellung was genau zutun sein. Sein Begleiter hatte herzhaft gelacht und war daran gegangen noch einmal die Ausrüstung zu überprüfen.
Den ganzen Tag hatte der Professor ein mulmiges Gefühl im Bauch. Er war alles andere als ein Feigling und wenn er auch nicht zu prahlen pflegte, hatte er seine Beherztheit doch ein ums andere Mal unter Beweis gestellt und musste weder sich noch anderen Tapferkeit beweisen. Aber in der Tat wurde ihm flau, wenn er daran dachte die Bestien des Urwaldes bei Nacht in ihrem angestammten Refugium zu reizen. Er konnte nur hoffen das Sequoyah wusste was er tat.
Zumindest vermittelte sein urtümlicher Wegbegleiter Zuversicht, indem er sich nicht die leiseste Beklemmung anmerken ließ.
Auch der Rest des Tags war dem Professor surreal vorgekommen. Dazu trug nicht nur die Pause in der Regenphase bei. Das sogenannte “Schweigen der Welt“, wie es die Einheimischen zu nennen pflegten, war eine Periode von einem, vielleicht zwei Tagen, in denen der sintflutartige Regen aussetzte, die Wolken aber weiter unheilschwanger tief am Himmel hingen. Düster und vollgesogen wie die fetten Stechmücken, die jeden Morgen unter dem Blechdach des Bootes saßen und durch ihre bloße Anwesenheit jegliche Wirkung der Moskitonetze zu verspotten schienen. Blitze zuckten von Zeit zu Zeit durch diese Wolken, ohne dass ihnen ein hörbarer Donner folgte.
Zusätzlich dazu hatte der Kapitän ihn den ganzen Tag über geschnitten und bestenfalls mit Blicken bedacht, die ebenso drohend waren wie das Firmament. Der Rest der Besatzung hatte ihn, Sequoyah, wie auch Cordell Mayweather und Bijan Baturro angesehen, als seien sie Todgeweihte, die in den antiken Arenen des versunkenen und verfluchten Rasankurs ihr Leben zu verwirken hatten.
Allemal nichts was ihn abzuschrecken vermochte.
Er nahm sich Zeit, sich mit dem Essar Karabiner vertraut zu machen. Eine solide Waffe und auch wenn Ignatz auf diesem Gebiet kein Experte war, hatte er doch von nicht wenigen, die es vorgaben zu sein, gehört, dass die Essar die Waffe für den Dschungel schlechthin war.
Bei guter Pflege relativ unempfindlich gegenüber Rost und Störungen. Die Patronen wurden durch einen Unterhebel geladen, was dafür sorgte, dass man beim Nachladen das Ziel nicht aus dem Visier entlassen musste. Sehr praktisch, wenn irgendetwas wildes und wütendes durch das Unterholz auf einen zustürmte. Außerdem war das große Kaliber dazu geeignet, dass auch zu stoppen, was man traf. Allemal fühlte sich Ignatz mit diesem Vertreter der tödlichen Zunft sicherer, als mit seiner albern wirkenden Steinschlosswaffe, die mehr einem Erbstück, denn einer wirklichen Bedrohung gleichkam. Ganz zu schweigen davon, dass dieses Klima wohl das ungeeignetste war, welches man sich für offenes Schwarzpulver denken konnte.

Als die Dämmerung hereinzubrechen begann, bestiegen die vier Männer das Boot und alles wurde nach den Vorgaben Sequoyahs vorgenommen. Das Flussschiff schnaufte weiter den Orogangwa hinauf, während das Dingi zurückblieb und wie Treibgut wieder Flussabwärts schwamm. Mit Hilfe des Außenbordmotors würden sie den großen Kahn, der nur kleine Fahrt machte, mühelos einholen können und sollte es technische Probleme geben und das Schiff bis zum Morgengrauen nichts von ihnen gehört oder gesehen haben, würden sie zurückkommen.
Technische Probleme, wohl gemerkt!
Nur der Gottkaiser konnte ihnen helfen, wenn sie etwas aufscheuchten, dass dessen sie nicht gewachsen waren. Ignatz musste dem Kapitän ein Schriftstück aushändigen, indem er ihm einen Anteil des restlichen Solds zusagte, wenn er durch Naturgewalten ums Leben kam. Damit der gute Mann nicht auf dumme Ideen kam, erhielt er die ganze Summe natürlich nur wenn Ignatz unbeschadet in die Zivilisation zurückkehrte.
Die Baumreihen an den Ufern verschmolzen bereits mit den Schatten und die Tiere der Nacht lösten die Tagesschicht an Fauna ab.
„Entzünden wir die Fackeln jetzt oder warten wir bis zur völligen Dunkelheit?
Unwillkürlich hatte er zu flüstern begonnen.“

Sequoyah fing lachend zu glucksen an, als er die Frage des Professors hörte. „Nein Ignatz. Es ist noch zu hell dafür. Wir müssen warten bis die Nacht vollends angebrochen ist. Und du musst auch noch nicht flüstern." Er lenkte das Boot in die Mitte des Stroms und hielt es dort in Position auf der Stelle. Auf der anderen Seite des Flusses stieß sich ein bunter Vogel von einem Ast ab und flog mit einem hässlichen Krächzen über ihre Köpfe hinweg.
Obwohl bisher die Sonne noch nicht untergegangen war, konnte er die Anspannung der Männer spüren. Auf den Gesichtern von Cordell und Bijan floss der Schweiß nur so herab und tränkte ihre Kleidung und bei Ersterem konnte er den schwachen Geruch von Alkohol wahrnehmen. Schnabelmayer saß vorne mit dem Gewehr in der Hand im Boot und sein Flüstern verdeutlichte seine Anspannung. Sequoyah beabsichtigte nicht ihn noch nervöser zu machen indem er ihm verraten würde, dass Bijan und er selbst ihre Waffen nicht für die Jagd, sondern nur im Notfall einsetzen würden.
„Wenn die Fackel erst entzündet ist, müssen wir schweigen, damit die Tiere nicht misstrauisch werden. Sie sollen nur dieses Licht sehen, dass lautlos über den Fluss schwebt und vielleicht noch etwas näher herankommen. Vor allem sind sie dann aber von uns abgelenkt und Ignatz kann den Schuss setzen. Ziele aber gut. Wir können keine laute Schießerei gebrauchen und den ganzen Wald aufschrecken. Falls mir irgendetwas auffällt, ein Tier, ein Hindernis oder irgendetwas anderes, werde ich das Boot leicht schaukeln lassen. So in etwa." Sequoyah ließ das Boot einmal leicht schwanken. „Das ist mein Signal für aufpassen." Sequoyah lehnte sich etwas im Dingi zurück und überprüfte noch einmal seine geladene Muskete. „Das wäre alles von mir. Wir müssen jetzt nur noch auf die Dunkelheit warten."
Die Nacht brach schließlich so plötzlich herein, wie sie es jetzt schon im Dschungel gewöhnt waren und es herrschte absolute Dunkelheit um sie herum. „Hier fangen wir an. Wir werden die linke Flussseite nehmen, da wir dort näher ans Ufer kommen." Wie nahe würden seine Begleiter gleich sehen. Die Fackel leuchtete hell auf und blendete die Männer, als der Professor sie entzündete und vor dem Brett in ihre Halterung steckte. Das hinter ihr senkrecht stehende Brett funktionierte wie eine Blendlaterne und schirmte das Licht nach hinten ab. Die Jäger saßen im Dunkeln, bis die Fackel richtig brannte und ihre Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, während vor ihnen die Lichtstrahlen die Dunkelheit erhellten. „Ab jetzt kein Wort mehr, außer ich sage etwas anderes." Beschied Sequoyah, wendete das Dingi und ließ es dicht am linken Ufer flussabwärts treiben. Fast völlig lautlos bewegten sie sich voran, denn er hatte sich tagsüber die Strecke genau angesehen und brauchte so nur ab und zu das Paddel zu benutzen, um Hindernisse zu umschiffen. Nicht einmal das Fallen der Wassertropfen vom Paddel war dabei zu hören.
Langsam glitt das Ufer an ihnen vorüber, rückte Stück für Stück in ihren Lichtkreis und versank dann hinter ihrem Dingi wieder in der Dunkelheit. Im Geäst der Bäume und Büsche hüpften und tanzten die Schatten im Licht ihrer Fackel, raschelten die Blätter, vielleicht durch eine sanfte Brise, vielleicht aber auch durch irgendein Tier. Ab und zu hörte man Keckern, Schnauben oder Zischen aus den Tiefen des Waldes, aber Sequoyah erkannte, dass keiner der Geräuschverursacher auch nur irgendwie in Nähe des Flusses war. Dies konnte aber seinen Kameraden nicht sagen und so spürte er, wie die Anspannung anstieg und genauso schwer auf ihnen lag, wie die schwüle Luft.
Während sie langsam den Strom hinabtrieben, dachte Sequoyah an die Figur zurück die der Professor ihm gezeigt hatte. Ob und wo die Erschaffer von ihr wohl lebten? Seit dem letzten Dorf, das sie besucht hatten, waren mehrere Tage vergangen und sie hatten seitdem keine Menschenseele mehr gesehen. Das hieß aber nicht, dass sie selbst nicht gesehen worden waren. Das Schiff war langsam und seine Rauchfahne weit zu sehen. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie leicht es war aus der Deckung heraus so etwas Auffälliges zu beobachten ohne selbst erkannt zu werden. Er schüttelte den Kopf, wie um den Gedanken loszuwerden und konzentrierte sich wieder darauf das Dingi zu lenken. Sein Verstand spielte ihm Streiche. Niemand konnte ihnen mit ausreichender Geschwindigkeit durch das Dickicht des Waldes folgen und selbst, wenn er es schaffte, hätte er keine Zeit andere darüber zu benachrichtigen.
Gerade als er das Boot um eine flache Sandbank herum lenkte, hatte er das Gefühl etwas am Uferrand zu erspähen. Als er genauer hinschaute konnte er es sehen. Dort kauerte ein Tier und stillte seinen Durst am Fluss. Und was für ein Tier es war. Sequoyah schätzte, dass es vom Kopf bis zur Schwanzspitze gut und gerne über vier Meter lang war. Wie vereinbart ließ er das Boot leicht schaukeln, um die Anderen darauf aufmerksam zu machen. Vier Augen leuchteten in der Dunkelheit auf, als das Fackellicht sie erreichte und starrten neugierig in dessen Richtung. Das Raubtier, soviel konnte Sequoyah schon mal sagen, richtete sich mit einer ihm eigenen tödlichen Eleganz auf und schritt einen Schritt ins Wasser, um dem Licht näher zu kommen. Er hielt das Boot mit dem Paddel an Ort und Stelle, als er dies sah, um eine gewisse Distanz zu wahren. Im Licht der Fackel konnten sie alle nun den Räuber deutlich sehen. Sequoyah zweifelte keine Sekunde daran, dass dieses Tier wahrscheinlich so gut, wie keine Fressfeinde hatte und sie aufpassen mussten nicht in seinen Blick zu geraten. Unter dem gefleckten Fell des Raubtieres spannten sich Muskeln, wie Stahlseile und sein breites Maul war voller nadelspitzer Zähne. Cordell schienen die Nerven endgültig durchzugehen, als er sah, wie das Tier etwas in ihre Richtung kam und atmete scharf und laut aus. In der Stille der Nacht hörten das nicht nur die restlichen Männer im Boot, sondern auch das ihnen unbekannte Raubtier. Seine kleinen Ohren stellten sich auf und versuchten das Geräusch zu verorten. Zu ihrem Glück wurde es immer noch durch die Fackel geblendet und Sequoyah schaffte es durch sehr vorsichtiges Lenken ihr Boot ein bisschen weiter auf Distanz zu bringen. Im Nacken des Tieres stellten sich Stacheln auf und es antwortete mit einem tiefen herausfordernden Grollen auf den vermeintlichen Konkurrenten.
So langsam und lautlos, wie es möglich war zog Sequoyah das Paddel ein und griff nach seiner Muskete. Wenn sie jetzt nicht vorsichtig waren, würden sie vielleicht im Magen dieses Raubtieres landen. Er konnte nur hoffen, dass Ignatz absolut kaltblütig und richtig reagieren würde.

„Terra!“ Flüsterte der Professor, der sehr wohl wusste das jedes gesprochene Wort in dieser Situation fatal sein konnte. Die schiere Erregung über ihre Entdeckung machte es ihm jedoch unmöglich seine Zunge im Zaum zu halten. „Van Papers Dornenrücken. Man hat ihn 27 nach für verrückt erklärt, als er dieses Tier in seinem Reisebericht mit dem Expeditionsheer von General Innsen beschrieben hat. Er hat nur ein totes Exemplar gesehen und seine Zeichnungen wurden für Aufschneiderei gehalten. Unglaublich!“
Das Tier tauchte ein gutes Stückweit unter die Wasseroberfläche und nur seine Stacheln durchschnitten das spiegelglatte, nächtliche Nass.
„Seht doch, wie es den Körper bewegt.“ Tatsächlich war die Bewegung im Schein der Fackeln unter der Oberfläche gerade so zu erkennen.
„Wie bei den Crocodylia, ganz genauso und das bei einem Säuger!“
„Professor!“ Die sich selbst im Flüsterton überschlagende Stimme gehörte Cordell der einen Revolver in der Faust hielt und damit auf das tauchende Tier zielte. Die Waffe sah aus, als würde sie den Dornenrücken bei einem Treffer eher wütend machen als ernsthaft verletzen.
„Die Bestie kommt immer näher. Feuern sie das Gewehr ab.“ Ignatz blinzelte, als reiße man ihn aus einer Trance und griff die Waffe, die quer über seinem Schoss gelegen hatte. Er erhob sich, was das Boot ein wenig zum Schwanken brachte und Sequoyah zwang sich mehr um die Stabilität ihres Gefährtes zu kümmern, als seine Waffe auf die Kreatur zu richten. Durch seine Bemühungen gelang es Ignatz einen festen Stand zu finden. Er repetierte und drückte den Essar an die Schulter. Der Rückstoß würde brachial sein und so er nicht Acht gab, konnte er aus dem Boot geschleudert werden.
Kimme und Korn kamen in Einklang und suchten gemeinsam den Schemen im Wasser.
Da!
„Schießen Sie, um des Imperators Willen!“ Zischte Cordell mit äußerste Anspannung. Der Dornenrücken hob den Kopf aus dem Wasser. Das Licht der Fackeln wurde von den vier Augen eingefangen und reflektiert, ließen sie wie Miniaturmonde schimmern.
Die lange, spitze Zunge kam aus dem breiten Maul geschossen und wischte über die vier Augen, befreite sie von störendem Wasser.
„Ich kann nicht!“ Ließ der Professor zum Entsetzen der anderen verlautbaren.
„Eine Sünde ein solches Tier zu töten. Ich werde einer Legende nicht in den Kopf schießen.“
„Aber ich, verdammt noch mal! Sie bringen uns ja noch alle um.“
Der Matrose hob die Pistole.
„Lassen sie das Mann!“ Obwohl die gesamte Unterhaltung nach wie vor geflüstert geführt wurde, lag doch nun in der Stimme des für gewöhnlich durchgeistigten Mannes, der scharfe Befehlston des einstigen Kavalleriehauptmannes. Das genügte immerhin um Cordell zögern zu lassen. Das Raubtier tauchte wieder ab und schien sich entschieden zu haben die Sache ernsthaft anzugehen.
„Er ist unter dem Boot.“ Rief Bijan, der in seiner Furcht das Leisesprechen gleich ganz aufgab. Wie um die Richtigkeit seiner Feststellung zu untermauern, traf ein gewaltiger Schlag das Dingi und es bockte wie ein scheuendes Wildcarnack.
Aufregung im Boot.
„Mit der Ruhe. Er will nur testen ob wir schmecken. Es wird ablassen wenn es merkt das unser Gefährt nicht…“ In diesem Moment schoss der Dornenrücken aus dem Wasser und sein Kopf schien im Aufblitzen einer Sekunde nur aus Zähnen und noch mal Zähnen zu bestehen. Wie eine zuschnappende Bärenfalle schlossen sich die Kiefer um den Rand des Boots und man konnte Metall kreischen hören. Das Tier griff eine Beute oder einen Konkurrenten an. Das es sich um mehrere Lebewesen handelten, begriff es nicht.
Bijan schier und wich vor dem verbissenen Monstrum zurück. Cordell fiel der Länge nach hin und klatschte in das Wasser, dass bereits über den Seitenrand schwappte, den das Gewicht des Tieres herabdrückte. Ignatz setzte sich hart auf den Hosenboden, kippte von der Bank und schlug mit dem Hinterkopf auf den hinteren Rand des Bootes. Er sah Sterne und nur das um seine Beine stehende, kühle Wasser verhinderte wohl das er die Besinnung verlor.
Sequoyah derweil…


Ignatz reagierte nicht kaltblütig und besonders nicht richtig. Sequoyah hatte Verständnis dafür, dass der Professor vor Ehrfurcht vor dem Tier nicht gleich auf es schießen wollte. Ihm selbst war es auch schon so auf er Pirsch ergangen, aber es kam immer der Moment, wo man wieder zu sich finden und schießen musste. Pragmatismus hatte nun einmal Vorrang, auch für "Naturvölker" wie dem, dem Sequoyah entstammte.
Der Professor war aber nicht pragmatisch und ließ weitere wertvolle Momente verstreichen. Dann war das Tier weg und nur durch Bijans Ruf konnte er es wieder ausmachen. Es war natürlich zu spät um etwas zu machen und so mussten sie tatenlos den Angriff über sich ergehen lassen.
Die Rammattacke war schon schlimm genug gewesen und hatte ihn, wie die Anderen durchgeschüttelt. Der zweite Angriff übertraf das noch einmal. Für einen Moment sah er nur Zähne und in der Dunkelheit glänzende Augen, dann kam alles ins Rutschen. Sequoyah schaffte es im Gegensatz zu den Anderen gerade noch so seinen Stand durch einen seitlichen Ausfallschritt zu bewahren und stellte fest, dass er genau am Bootsrand stand und ein paar Zentimeter mehr ihn über Bord befördert hätten.
Er ließ Paddel und Muskete fallen und zog den panisch strampelnden Cordell wieder vollständig ins Boot zurück und schob ihn auf den Platz auf dem er selbst zuvor gesessen hatte.
„Wirf den Außenborder an und bring uns hier raus!" Schrie er ihn an und schüttelte den schockstarren Mann, ehe er Bijan zurief sich um den Professor zu kümmern. Mit seiner Muskete in der Hand und Cordells Revolver in den Stofflendenschurz geschoben, wendete er sich dem Dornenrücken zu. Sequoyah war sich irgendwie sicher, dass das Tier sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatte und ihn erkannte. Zumindest löste es seine Zähne vom Bootsrand und streckte seine Zunge in seine Richtung aus. Sequoyah ahnte, dass die Kreatur gerade versuchte ihn einzuordnen und er gedachte nicht ihr die Zeit dafür zu lassen. Die Muskete schnellte hoch und der Feuerstein traf auf das Zündkraut. Mit einem in der Nacht gefühlt ohrenbetäubend lautem Knall löste sich der Schuss und der Geruch verbranntem Schießpulverdampf waberte über dem Boot. Sequoyah hatte wie so oft aus Angewohnheit mit einem schlecht eingezogenen Kolben ohne viel zu zielen gefeuert, aber aus dieser Entfernung konnte der Schuss nicht daneben gehen.
Der Dornenrücken brüllte vor Schmerz und Überraschung laut auf, ließ vom Bootsrand ab und tauchte in die nassen Fluten ab, während Sequoyah versuchte mit dem Revolver zu treffen. Aber die Waffe lag zu ungewohnt in seinen Händen und das Tier war zu schnell verschwunden und so spritzte nur Wasser auf, wo die Kugeln daneben gingen.
Hinter sich konnte Sequoyah hören, wie Cordell den Motor anwarf und das Boot im Fluss wendete, um Richtung Dampfschiff zurück zu kommen. Gerade als er sich zu Schnabelmayer nach vorne begeben wollte, tauchte der Dornenrücken wieder auf. Zuerst sah er ihn gar nicht, weil nur die Dornen aus dem Wasser ragten, dann krachte das Tier wieder in das Boot, Metall ächzte und Sequoyah wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Dieses Mal konnte er sich nicht abfangen, sondern fiel der Länge nach hin und schlug sich die Lippe und Knie auf. Revolver und Muskete waren ihm entglitten und nur das Paddel, das er vorhin verwendet hatte, lag in Griffreichweite. Mühsam stand er wieder auf und hielt das Paddel abwehrbereit vor sich.
„Schießt es endlich ab oder werft ihm eine Leuchtfackel in den Rachen! Wir müssen das Vieh jetzt vertreiben oder wir sind alle tot!"
Die Angst vor so einem Schicksal war nicht nur an Sequoyahs Augen abzulesen, sondern auch daran, dass er das Tier als Vieh bezeichnete. Einen Ausdruck, den er sonst nie in den Mund nahm.
Mit zwei humpelnden Schritten war Sequyah an den, in den Bootsrand verbissenen, Dornenrücken herangetreten und zog ihm das Paddel mit voller Kraft über den Schädel. Der erwünschte Effekt blieb aber aus, und mit einem kräftigen Biss zertrümmerte das Tier das Paddel, um dann im Anschluss den Störenfried mit einem Prankenhieb niederzustrecken. Scharfer Schmerz zuckte durch Sequoyahs Brust und im nach hinten Fallen, konnte er einen Blick auf die stark blutenden Wunden auf seinem Oberkörper erhaschen, ehe er schwer gegen die Bootsumrandung fiel und sich vor Schmerzen zu krümmen begann.


Benommen richtete sich der Professor auf, schwankend und selbst mit dem Geschmack von Blut im Mund. Hatte er sich irgendwo den Kopf angeschlagen oder in der Aufregung schlicht auf die Zunge oder Innenseite der Backe gebissen? Schwanke das Boot so sehr oder er selber? Sequoyah am Boden, scheinbar verwundet.
Das Tier im Begriff ihre Nussschale zu versenken und sie alle ins Wasser und damit in sein todbringendes Refugium zu ziehen.
Ignatz repartierte das Gewehr, was eine unverbrauchte Patrone auswarf und in das Wasser platschen ließ, welches schon zu ihrem Füßen schwappte und zusehends das Boot füllte.
Er bemerkte nicht einmal, dass er seine Waffe zum zweiten Mal durchlud. Er legte an.
Der Schädel des Dornenrücken kam ihm groß wie der Platz der Helden in Gohmor vor und doch befürchtete er selbst auf diese kurze Entfernung zu verfehlen, so sehr schaukelte alles. Als er endlich einen leidlich festen Stand gefunden hatte, ließ das Tier vom Boot ab und tauchte unter.
„Er will uns wieder rammen!“ Stieß der Professor zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ließ die Verderben heißende Linie von Kimme und Korn über die schwarze Wasseroberfläche wandern. Im Boot herrschte Ruhe, doch nicht aus Erleichterung geboren, sondern aus bangem Abwarten und Unvermögen das vorzubereiten was kommen würde.
Sequoyah atmete schnell und flach, hatte die Hand auf die Brust gepresst und zwischen seinen Fingern tropfte Blut hervor, dass im Schein der einen Fackel, die nicht während des Angriffes erloschen war, schwarz wie Tinte aussah.
Aber die Linke war kraftvoll um den Bootsrand gekrallt und sein Blick ging wachsam und besorgt über das Wasser. Ein gutes Zeichen.
„Dort!“ Flüsterte eine belegte Stimme, die Ignatz keinem der Männer explizit zuordnen konnte. Sein Blick zuckte kurz zu der deutenden Hand und dann in die Richtung, in die sie wies.
In einiger Entfernung tauchte der Kopf des Stachelrücken auf. Von ihnen abgewandt, offenbar strebte er wieder dem Ufer zu. Für eine Sekunde war Ignatz nun doch versucht zu feuern, so sehr hatte sich jede Faser seines Körpers jetzt darauf eingestellt es zu tun.
Dann wandte das Tier den Kopf und sah zu ihnen zurück. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht und das breite, mit Zähnen gespickte Maul schien sie anzugrinsen. „Er verschwindet!“ Konstatierte er, ebenso überrascht wie erleichtert. „Es will uns täuschen.“ Blaffte Cordell, in dessen Stimme mehr Angst als Überzeugung mitschwang. „Er hätte uns erledigen können, wenn er gewollt hätte. Weder muss er uns täuschen, noch ist er dazu in der Lage. Es ist ein Raubtier.“
„Belehren sie mich nicht.“ Fuhr Cordell jetzt hoch. „Ihr Zögern hätte uns fast alle das Leben gekostet.“ Ignatz war bewusst, dass aus dem Mann die überstandene Todesangst sprach und schließlich hatte er ja auch nicht ganz unrecht. Dennoch sprudelte auch in seinem Blut das Adrenalin und wo er zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht Besonnenheit hätte walten lassen, gingen nun die Pferde mit ihm ebenso durch. „Mit Ruhm haben sie sich auch nicht eben bekleckert, Mann. Mit ihrem läppischen Revolver hätten sie es nur noch wütender gemacht.“
„Noch wütender? Sind sie noch bei Trost? Noch wütender ging doch wohl kaum. Ich sollte sie…“ Er sprang auf, brachte das Boot erneut zum Schaukeln. „Na was?“ Ignatz stand ihm breitbeinig gegenüber, die Hände so fest um das Gewehr geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Cordell war größer und stämmiger als Ignatz und wenn er ihn im Fall eines Falles auch nicht erschießen würde, so war er doch bereit ihm den Kolben des Gewehres über den sturen Schädel zu ziehen.
Am Ufer erkletterte der Stachelrücken die Böschung und schüttelte sich Wasser aus dem Fell. Was für eine Wunde ihn Sequoyahs Muskete auch beigebracht hatte, im Augenblick war nicht ersichtlich wo er getroffen hatte und wie stark die Verletzung war. Der Jäger schenkte der Beinahebeute noch einen langen Blick und verschwand dann im Dickicht.
Während sich Schnabelmayer und Cordell in ihren Streit steigerten besah sich Bijan den Verwundeten. „Es blutet stark, scheint aber nicht sehr tief zu sein. Du wirst ein paar beeindruckende Narben davontragen wenn du… hey bleib doch liegen.“ Aber Sequoyah dachte nicht daran. Er zog sich in eine sitzende Position, ächzte unter Schmerzen und blickte angespannt in die Nacht. „Er ist nicht wegen uns weg.“ Sprach er mit kratziger Stimme. „Nicht weil er das Interesse verloren hat und auch nicht weil ihn meine Kugel vertrieben hat. Er ist weg weil er vor etwas anderem Angst hat.“
Das immerhin unterbrach die Streiterei und sorgte dafür, dass sich die Männer unbehaglich anblickten. Unstimmigkeiten unter Lämmern interessierten den Metzger selten und sie taten besser daran damit nicht ihre Zeit und ihre Möglichkeiten zu verschwenden. Der Zank wurde stillschweigend auf später verlegt und in die Besatzung des geschundenen Bootes kam Bewegung. Man räumte dem Verwundeten den meisten Platz ein, während sich Cordell daran machte das eingedrungene Wasser mit seinem Hut über Bord zu schöpfen und Bijan sich des Motors befleißigte. Ignatz bezog Posten in der Spitze des Dingis und versuchte die Augen überall zugleich zu haben. Der Motor sprang hustend wieder an und das Boot begann sich Fluss aufwärts zu quälen.
Dieser Bewegung wohnte eine gewisse Sicherheit inne, dennoch fiel allen nun überdeutlich die vollkommene Stille auf, die noch immer um sie her herrschte.
Gewiss, ihr Kampf, das Schreien und Schießen, die pure Anwesenheit des Stachelrückens, all das mochte dafür gesorgt haben, dass der Urwald just an dieser Stelle den Atem anhielt. Doch gerade diese Stille schien zu schreien, dass der Mensch an diesem Ort nicht zu sein hatte. Der überbordenden Vitalität wohnte eine bösartige Bedrohung inne, die nicht hätte deutlicher hervortreten können, wenn die Kreaturen der Nacht die Luft mit ihren bizarren Stimmen gefüllt hätten.
Der Außenborder dröhnte unangenehm laut und auch wenn sie mit jedem gewonnenen Meter hätten mehr aufatmen können sollen, war das Gegenteil der Fall.
Etwas war dort.
Am Ufer, in den Bäumen, hielt mit ihnen Schritt und es war nicht der Stachelrücken. Weder konnten sie etwas sehen, noch hören und doch war es zu spüren. Das dies keine Einbildung war oder wenn doch dann eine, der sie alle unterlagen, zeigte sich daran, dass alle angestrengt auf das linksseitige Ufer starrten.
Einmal gingen Ignatz die Nerven durch und er feuerte in das Dickicht, überzeugt davon eine Bewegung gesehen zu haben. Das Donnern der großkalibrigen Waffe klingelte ihnen in den Ohren, dennoch konnten sie hören, wie die Kugel durch dicke Blätter schmetterte und Pflanzensaft verspritzte.
Doch weder hob sich damit die Anspannung, noch schien die Bedrohung zu verschwinden. Als sie eine Flussgabelung passierten und die Geschwindigkeit drosseln mussten, da sich hier treibende Äste und Baumstämme gesammelt hatten, glaubte Cordell das Geräusch eines ins Wasser fallenden Körpers gehört zu haben. Er hatte inzwischen den Revolver mit Kugeln aus seiner Hosentasche nachgeladen und umklammerte die Waffe verbissen, ohne dass sich ihm ein Ziel bot.
Es schlug zehn Minuten später zu! Das tat es so plötzlich und mit blitzartiger Schnelligkeit, dass weder die wieder aufgenommene Fahrt, noch die erhöhte Wachsamkeit der Männer etwas verhindern oder eine angemessene Reaktion herbeiführen konnten. Ignatz wirbelte herum, als er das Aufspritzen von Wasser hörte.
Hinterher hätte er nicht mehr sagen können was er gesehen hatte. In einer Fontäne aus Flusswasser war ein Durcheinander aus Extremitäten zu sehen. Ein bulliges Etwas, vielleicht von menschenähnlicher Gestalt, vielleicht nicht. Es ging alles viel zu schnell. Groß war es und dennoch ließ es die geschmeidige Agilität des Stachelrückens wie einen schwangeren Zuchtgrox aussehen.
Den Herzschlag, den es brauchte um sich aus dem Wasser zu katapultieren hatte Ignatz eine grässliche Assoziation zu dem unheiligen Fetisch, den er Sequoyah gezeigt hatte, auch wenn bestenfalls die unnatürliche Anzahl von Armen, Klauen oder was immer es war, diesen Eindruck erzeugt haben dürfte. Das Ding erreichte den Scheitelpunkt seines Sprungs, packte Bijan in einer Umarmung und war verschwunden, ehe das Wasser noch die Insassen des Bootes durchnässen konnte. Der Unglückliche hatte nicht einmal die Zeit zu schreien. Das Ungeheuer war bereits abgetaucht als Cordell ins Wasser feuerte und Ignatz es ihm nach kurzen Zögern nachtat. Sicher bestand die Gefahr Bijan zu treffen, aber niemand musste aussprechen was alle dachten. Eine verirrte Kugel war gewiss die gnädigere Alternative. Doch weder tauchte das Untier wieder auf, noch ein Opfer. Beide waren vom Fluss wie verschluckt.
Nach ein paar Minuten begannen Nachtvögel, Insekten und anderes, lichtscheues Getier wieder ihr Konzert anzustimmen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete sich Sequoyah auf seine Muskete stützend auf. Der Professor und Cordell standen am Bootsrand und feuerten wild ins Wasser. Bijan war fort, von diesem Wesen gepackt und in die feuchten Tiefen des Flusses verschleppt. Sequoyah hatte es nur für den Bruchteil von ein oder zwei Sekunden gesehen, bevor es verschwunden war. Seine Arme oder Klauen und die tödliche Eleganz die es an den Tag gelegt hatte. Und eine Intelligenz, die ihn beunruhigte, da sie ihm nicht sehr tierisch vorkam. „Hört auf zu schießen. Es macht keinen Sinn mehr. Bijan ist tot." Nachdenklich starrte er zu Stelle, wo das Wesen abgetaucht war und schwieg für einige Momente.
Dann wandte er sich an seine beiden Begleiter, die angespannte Blicke zwischen einander, ihrem dritten Begleiter und dem Fluss wechselten. „Wie kannst du eigentlich so ruhig sein!" Ereiferte sich Cordell, dem das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. „Bijan wurde gerade von diesem Monster getötet und auf nimmer wiedersehen vom Wasser verschluckt und du regst dich nicht auf? Zeigst keine Angst? Was bist du für ein Mann?" „Ich habe Angst und bin besorgt. Aber das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich diesen Gefühlen hinzugeben." Dann wandte Sequoyah sich an den Professor. „Hörst du es Ignatz? Der Wald lärmt wieder. Es ist vorbei. Wir werden nicht noch einmal angegriffen. Zumindest diese Nacht."
Langsam näherte er sich dem Rand es Bootes und starrte auf die schwarze Wasserfläche. „Wir sollten uns jetzt von Bijan verabschieden."
Mit diesen Worten zog sich Sequoyah die Klinge seines Messers über den linken Handteller und ließ das im Fackellicht schwarz glänzende Blut von seiner zur Faust geballten Hand ins Wasser tropfen. Schweigend hielt er Ignatz das Messer hin und wartete ab, wie seine Kameraden verfuhren ohne ihr Verhalten zu kommentieren. Anschließend nahm er es wieder entgegen und verstaute es, entnahm eine Handvoll Tabak aus seinem Beutel und streute diesen ebenso in den Fluss, verharrte dann schweigend für einige Augenblicke. „Bijan mag tot sein, aber seine Seele wird uns als Schatten begleiten. Wir müssen sie respektieren und ihrer gedenken. So lange wir uns an Bijan erinnern, wird sie auf dieser Welt bleiben können. Aber..." und Sequyahs Finger hob sich warnend, als er seine Begleiter ernst anblickte „...aber wir müssen alle seine Besitztümer verbrennen. Wir haben kein Anrecht auf sie und er selbst braucht sie noch." Cordell schaute ihn entgeistert an und wandte sich besorgt an den Professor. „Was für einen heidnischen Unsinn redet der Mann da? Bijan ist vor dem goldenen Thron des Gottkaisers und empfängt gerade seinen Richtspruch! Bringen sie ihrem Begleiter Respekt vor den Toten bei und lassen ihn nicht so freveln." Als Sequoyah ihn wegen dieser Aussagen mit ernster Miene ansah, schlug der Matrose das Zeichen des Aquila vor seiner Brust und zog sich Richtung Motor zurück. „Ich... ich versuche uns mal hier rauszubringen. Nicht das das Vieh vielleicht noch mal kommt. Auf die Worte ihres Freundes gebe ich da zu unserer Sicherheit lieber nichts."
Stotternd sprang der Motor wieder an und das Boot quälte sich so schnell es ging flussaufwärts. Cordell warf während der Fahrt alle paar Sekunden einen Blick über seine Schulter zurück und umklammerte mit weiß hervortretenden Fingerknöcheln seinen wiedergeladenen Revolver. Der Schrecken saß ihm immer noch in den Knochen und er würde sich wahrscheinlich erst wieder halbwegs sicher fühlen, wenn er auf dem Dampfschiff war. Sequoyah hatte darauf bestanden an der Spitze des Dingis zu sitzen, da er am besten in der Dunkelheit sehen konnte, was etwas vorgeschoben klang, da sie auch mit "nachtblinderen" Ausgucken bisher ganz gut durch die Nacht gekommen waren. Auch Ignatz Hinweise, dass er sich der Verletzung wegen schonen sollte, lehnte er mit einer brüsken Handbewegung ab. So saß er nun, mit der wieder geladenen Muskete quer über den Beinen, in der Spitze des Dingis und ließ seinen Blick über beide Seiten des Ufers schweifen.
„Du hast es wiedererkannt nicht Ignatz? Das Ding aus dem Fluss." Die dunklen Augen musterten den Professor nachdenklich. „Ich kann sehen, dass dich der Gedanke daran beunruhigt. Die Vorstellung, dass der Fetisch vielleicht echter ist, als du dachtest. Vielleicht aber auch nicht. Wir haben es ja nur für den Bruchteil eines Augenblicks gesehen. War es ein bösartiger Geist oder vielleicht doch nur ein Tier? Ein unnatürlich schlaues, wie dir vielleicht aufgefallen ist. Die lange Strecke die es uns verfolgt hat, obwohl es doch deutlich leichter zu erlegende Beute hier im Wald gegeben hätte. Der Angriff aus dem Hinterhalt oder, dass es uns sowohl an Land, wie im Wasser mühelos verfolgen konnte. Es ist glaube ich ins Wasser gewechselt, als wir die Flussgabelung passiert haben und wir langsamer werden mussten. Und es konnte im Gegensatz zu dem Dornenrücken eindeutig zwischen uns und dem Boot unterscheiden. Ich glaube nicht, dass es ein Tier war. Zu schlau, zu geduldig, zu planend... Es muss ein Geist oder Dämon gewesen sein." Fragend schaute Sequoyah den Professor an. „Oder was denkst du dazu?"
Dann schwieg er und ließ dem Professor Zeit, um seine Gedanken zu sammeln und ihm zu antworten. Erst rund zwanzig Minuten später sprach er wieder.
„Ich rieche Rauch. Wir sollten bald den Dampfer erreichen."

Ignatz nahm das Messer nicht an, um sich dem Ritual der Ehrbekundung anzuschließen. Gedankenverloren reichte er es an Cordell weiter, der ein Gesicht machte als hätte er eine tote Ratte übergeben bekommen.
Ignatz fühlte sich ausgebrannt und müde, jetzt wo Adrenalin und Todesangst seinen Körper nicht mehr aufputschten. Selbst auf die engstirnige Sichtweise auf die Glaubensbekundungen seines Kameraden konnte er nicht mit der gewohnten Eloquenz reagieren.
„Andere Welten, andere Sitten.“ Kommentierte er lustlos. „Ein jeder ehrt den Gottkaiser wie es ihm schicklich erscheint. Konzentrieren sie sich jetzt auf das Steuern und lassen sie uns alles Weitere bei Tageslicht, einem TangKahve und möglichst vielen Waffen um uns her bereden.
Sie können ihre Kritik und ihre Eindrücke dem Kapitän schildern, genauso wie ich.“
„Das werde ich auch!“ Knurrte Cordell und beugte sich damit brütend über die Steuerstange des Motors.
Ignatz war derweil seinerseits in sich gekehrt. Es hatte einen Toten gegeben unter seinem Kommando. Hätte er sich von Sequoyah doch nur nie zu diesem Abenteuer überreden lassen. Dann würde der unglückliche Bijan noch unter den Lebenden weilen. Das Forscherglück einen leibhaftigen Stachelrücken gesehen zu haben kam ihm in Vergleich zu diesem Verlust schal und bedeutungslos vor.
Zumal, so wurde ihm in diesem Moment klar, ihm ohnehin niemand glauben würde, so er von seiner Sichtung berichtete. Seine Erzählung würde sich in die Riege der Kryptozoologie einreihen und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die Zeugenaussage eines knurrigen Flussschiffers und eines halbwilden Fremdweltlers würden daran auch nichts ändern. Bijan war ganz und gar umsonst gestorben.
„Geist oder Dämon… So ein Unsinn!“ Er reagierte brüsker auf die Erklärungsversuche seines Freundes als beabsichtigt. Hieß es nicht das getroffene Hunde bellen würden?
Er zwang sich zur Ruhe und legte sein eigenes Gewehr ebenfalls über die Knie, in Imitation seines Gegenübers. So konnte Sequoyah den rückwärtigen Bereich ausspähen, währen er nach vorn hin Ausschau hielt. Selbst wenn ihr unheimlicher Angreifer verschwunden war, barg der Dschungel auch so noch genügend Gefahren um ihnen den Gar auszumachen.
„Nein, nein es war ein Wesen aus Fleisch und Blut, dass Bijan geholt hat. Wir haben genügend Lärm gemacht, dass jeder Jäger im Umkreis von vier Kilometern auf uns aufmerksam werden konnte. Das uns letztlich einer gefunden und verfolgte, der selbst den Stachelrücken einschüchtern konnte, war gleichsam vorhersehbar wie tragisch. Was es war weiß ich nicht? Aber es war ein Tier, da bin ich ganz sicher. Wenn auch ein ausnehmend intelligentes, das will ich eingestehen.
Geister müssen nicht warten bis ein Boot langsamer wird um sich im richtigen Moment ins Wasser fallen zu lassen.
Auch der Fetisch erklärt sich durch einen logischen Schluss. Wenn dieses Tier und seine Artgenossen die Wälder durchstreifen, so tun sie dies nicht erst seit gestern. Da es offenkundig nicht davor zurückschreckt Menschen als Beute anzusehen ist es nachvollziehbar, dass die Einheimischen eine natürliche Angst vor der Kreatur entwickelt haben. Angst die in Verehrung oder den Versuch Abwehrzauber zu nutzen umgeschlagen ist. Wenn die Statuette Ähnlichkeiten mit dem Wesen aufweist… wobei ich mir nicht sicher bin. Ich habe es kaum gesehen. Aber wenn das der Fall ist, dann könnte die Figur doch zur Abwehr des vermeintlichen Monsters gedient haben. Immer davon ausgehend, dass die Figur überhaupt etwas mit dem Angreifer zutun hat und uns hier nicht Zufall und überreizte Nerven einen makabren Streich spielen. Er bemerkte, dass er dabei war zu dozieren und schwieg, die Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung richten.
Dieses Schweigen wurde erst unterbrochen als Sequoyah bemerkte, er rieche Rauch. Ignatz konnte nichts dergleichen feststellen. Er roch nur das Wasser, den schweren Duft der Vegetation und den Schmauch an seinen Händen und in seiner Kleidung. Dennoch zweifelte er nicht an den Fähigkeiten des anderen. Wenn der Dampfer sich an die Anweisungen hielt, würden sie spätestens bei Sonnenaufgang aufgeschlossen haben. Das Sequoyah jetzt schon den Rauch riechen konnte musste nicht so viel bedeuten. Derartige Gerüche konnten weit tragen während des Schweigens der Welt, wo die Luft so unbewegt war, dass sich etwa der Rauch einer Zigarette ewig in der Luft zu halten schien. Auch war es denkbar, dass das Schiff in Luftlinie sehr nah zu ihnen lag, während die Windungen des Flusses die Entfernung um Kilometer erhöhten. Tatsächlich erreichten sie ihr Ziel nicht schnell, sondern kamen sogar nur zäh voran. Die Strömung des Orogangwa war stark und der Motor hatte sein Tun.
So sehr sich der Professor auch dagegen wehrte, das Erlebte, die Monotonie und das sanfte Schaukeln forderten ihren Tribut und ein ums andere Mal fielen ihm die Augen zu. Er straffte sich und versuchte alles um sich wach zu halten. Er studierte die Zahnabdrücke in der Bootswand und versuchte daraus die ungefähre Körperlänge des Tieres zu berechnen und diese dann mit seinen Beobachtungen in Einklang zu bringen. Er schöpfte Flusswasser und benetzte sich das Gesicht.
All das half vorübergehend. Trotzdem musste ihm der Kopf auf die Brust gesunken sein, denn als er hochschreckte stahl sich bereits das Grau der Morgendämmerung durch die Wipfel und auf dem Wasser kräuselte sich ein feiner Nebel.
Er rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger und reckte den verspannten Hals. Gerade wollte er sich bei seinen Begleitern erkundigen wie lange er eingenickt war und warum ihn niemand geweckt hatte, als ihm auffiel, dass sowohl Sequoyah, als auch Cordell stocksteif auf ihren Plätzen saßen und auf einen Punkt am Ufer starrten.
Cordell stand der Mund offen, als hätte er eine Erscheinung des Heiligen Septinanus, während Sequoyah die Augen zusammenkniff, als wie um zu versuchen etwas in der Ferne auszumachen.
„Unmöglich!“
Flüsterte der Matrose und als Ignatz Augen zu dem Punkt wanderten, den beide anstarrten, war er geneigt ihm zuzustimmen.
Am linksseitigen Ufer lief Bijan!
Er hatte Mühe sich durch das Unterholz zu kämpfen, stolperte immer wieder und musste sich an den Luftwurzeln der Bäume festhalten. Seine Kleidung war noch klitschnass, klebte an seinem Körper und das lange schwarze Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht.
Ignatz Gehirn kam auf Touren. Der erste Gedanke, dass er vielleicht noch träumte, die Schrecken der letzten Nacht verarbeitete, erwies sich als falsch. Sein zweiter Gedanke ging in Richtung der Wahnwürmer, die ihre Opfer in eine Art wandelnde Irre verwandelten. Doch selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte die Bestie, die Bijan der Gruppe entrissen hatte, doch wohl irgendwelche Verletzungen hinterlassen müssen, bevor der Parasit sich eingenistet hätte. Ganz zu schweigen davon, dass er niemals zu Fuß die Strecke hätte zurücklegen können, die sie mit dem Boot bewältigt hatten.
Keine Wunden.
Der Mann wirkte blass und irgendwie benommen, dass ja. Fast wie ein Schlafwandler bahnte er sich einen Weg durch das Gestrüpp, stolperte und rappelte sich wie trunken wieder auf. Es gab nur eine Erklärung und Ignatz sprach sie aus, ohne zu bemerken, dass er das Gedachte laut äußerte.
„Die Kreatur muss ihn wieder freigelassen haben.“

Auch wenn er es vor Ignatz nie zugeben würde, so hatte die Müdigkeit und Erschöpfung auch Sequoyah, während der Nacht fast überwältigt. Mehrmals war er für einige Momente eingenickt und wieder hochgeschreckt. Nur Cordell schien durchzuhalten, auch wenn das Sequoyah von seiner Position in der Spitze des Bootes nicht sicher sagen konnte.
Die Nacht endete so plötzlich, wie der vorherige Tag geendet hatte. Innerhalb weniger Minuten ging die Sonne auf und vertrieb die Dunkelheit. Durch den feinen Nebel konnten sie endlich wieder ihre komplette Umgebung wahrnehmen und waren nicht mehr auf das dürftige Licht der Fackeln und Taschenlampen angewiesen. Angesichts der Schrecken der letzten Nacht eine pure Wohltat für alle Bootsinsassen. Nur Ignatz schien es nicht mitzubekommen, war doch sein Kopf nach vorne gefallen und die Anspannung zum Teil aus seinem schlafenden Körper gewichen. Sequoyah machte sich nicht die Mühe ihn aufzuwecken und ließ ihn ruhen. Der Professor würde froh sein, wenn er dem Kapitän nicht übernächtigt, sondern ausgeschlafen gegenübertreten und sich für den Tod von Bijan rechtfertigen würde.
Langsam ließ Sequoyah seinen Blick über beide Ufer gleiten, wo alles ruhig war. Noch ruhig war um genau zu sein. Denn in weniger als einer Stunde würden sich die Geschöpfe des Waldes wieder in voller Lautstärke bemerkbar machen. Gerade als er sich nach einer Trinkflasche beugen wollte, bemerkte er aus dem Augenwinkel am Ufer eine Bewegung. Erst vermutete er ein Tier, doch das konnte es nicht sein, schließlich lief es auf zwei Beinen, wie ein Mensch. Ja, ein Mensch und nicht irgendeiner. Er kniff die Augen zusammen, um die Gestalt genauer zu betrachten und hörte Cordell scharf ausatmen.
„Unmöglich!"
Ja, das war es. Anders war es nicht erklärbar, dass Bijan ein Stück weit vor ihnen am linken Flussufer entlangeilte. Er war noch völlig durchnässt, als wäre er eben erst aus dem Wasser gekrochen und hetzte scheinbar blindlings vorwärts.
Hinter sich hörte Sequoyah den Professor sprechen, der auch aufgewacht war.
„Die Kreatur muss ihn wieder freigelassen haben."
„Unmöglich," entgegnete Sequoyah. „Es gibt keinen Grund warum sie so etwas tun sollte. Es muss eine Falle sein. Sie will uns in ihre Nähe locken oder ablenken. Ich sagte doch, dass es ein Geist gewesen sein muss. Und das da vorne ist nicht Bijan. Der Geist hat seine Gestalt angenommen und will uns täuschen. Das macht ihn noch um einiges gefährlicher, als ich dachte. Wir sollten nicht auf seine Tricks hereinfallen. Haltet Abstand Cordell und fahrt weiter. Auf solche primitiven Tricks werden wir nicht hereinfallen."
Die beiden anderen Männer starrten ihn nur entgeistert an.
„Bist du wahnsinnig?" Zischte der Bootsführer „Das da vorne ist eindeutig Bijan und nicht irgendein Hokuspokus an den du vielleicht glauben magst. Ich habe mir den Schwachsinn schon lang genug anhören müssen und werde nicht deinem Aberglauben zuliebe einen Kameraden im Stich lassen!"
Mit diesen Worten lenkte er das Boot in Richtung Ufer und schaute nach einer passenden Anlegestelle.
„Ich verstehe deine Sorgen, aber hier besteht eine reale Chance unseren Begleiter wieder zu retten. Und diese Gelegenheit sollten wir beim Schopfe packen, finde ich." Versuchte der Professor Sequoyah zu besänftigen.
Langsam brachte Cordell sie näher ans Ufer, hielt aber einen gewissen Sicherheitsabstand. Einerseits traute auch er der wundersamen Wiederkehr von Bijan nicht richtig und wenn sie schon in die Falle tappten, würde wenigstens nur Sequoyah dran glauben müssen. Außerdem mochten sich im Flachwasser Hindernisse befinden auf denen sich das Dingi festsetzen konnte.
Sequoyah bedeutete dem Seemann nicht weiter heranzufahren, überreichte Ignatz seine Muskete und sprang in das trübe Wasser. Hier war es noch etwas mehr als hüfttief und er musste sich gegen die Strömung in den Schlamm stemmen, um nicht abgetrieben zu werden. Entlang der Luftwurzeln der Bäume zog er sich langsam in Richtung Ufer und erkletterte sie um das Wasser so schnell wie möglich zu verlassen. Man wusste schließlich nie was in den Fluten lauern mochte. Dann hangelte er sich so geschickt es ging in Richtung Ufer und nahm, das Messer in der rechten Hand, die Verfolgung auf. Wobei von einer Verfolgung eigentlich nicht die Rede sein konnte. Bijan hetzte zwar so schnell es ging voran, war aber eindeutig an seiner Belastungsgrenze angekommen, taumelte eher als das er lief und war mehrmals kurz davor hinzufallen. Sequoyah hingegen verringerte mit federnden Schritten spielend die Distanz, setzte ohne abzubremsen über Hindernisse hinweg, packte den völlig durchnässten Mann, riss ihn zu Boden und setzte ihm das Messer an die Kehle. Für ein paar quälend lange Sekunden wartete er darauf, dass sich Bijan als der Gestaltwandler entpuppte, den Sequoah in ihm sah. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen glotzte ihn der Überwältigte verwirrt an, als ob er gerade erst aufgewacht wäre.
„Was soll das Sequoyah? Warum hältst du mir dein Messer an den Hals? Und was machen wir hier am Ufer?"
Der so Angesprochene reagierte in keinerlei Weise auf die Fragen, schaute sich stattdessen misstrauisch um und zog ihn schließlich auf die Beine.
„Wir haben keine Zeit. Müssen sofort weg." Mit diesen Worten packte Sequoyah Bijan und schliff ihn Richtung Fluss zum Boot. Zusammen mit Ignatz gelang es ihm den noch immer Verwirrten aus dem Wasser ins Boot zu hieven und sich selbst hineinzuziehen, ehe Cordell sie wieder in Richtung Flussmitte steuerte und Fahrt aufnahm. Die Versorgung von Bijan überließ er zum Großteil dem Professor, wie auch die Fragen die auf den Geretteten einprasselten. Nur vereinzelt mischte Sequoyah sich kurz ein, bat Bijan einzelne Dinge zu wiederholen oder stellte ihm selbst ein paar kurze Fragen, bei denen es meist um dessen Sinneseindrücke ging, seitdem er im Wald aufgewacht war, oder wie er sich an seinen Angreifer erinnerte. Ansonsten sagte er aber nicht viel, da seiner Meinung nach nur ein Schamane ihnen wirklich dabei behilflich sein würde, die vergangene Nacht und Bijans Zustand zu verstehen.
Erst knappe zwei Stunden später erhob er wieder seine Stimme für eine kurze Ansage.
„Ich rieche Rauch. Das Schiff ist nahe."

„Und genau so hat es sich zugetragen Kapitän. Für mich ist das Ganze ebenso verwunderlich und rätselhaft wie für sie. Ich kann nur sagen, dass Bijan keine körperlichen Schäden davongetragen hat, die über ein paar Kratzer und blaue Flecken hinausgehen. Er leidet unter Verwirrung und wie mir scheint einer umfassenden Amnesie. Aber davon abgesehen geht es ihm blendend.“ Die kleine Kajüte, war gleichsam Brücke, Kartenraum und Schlafplatz für Kapitän Smollert. Mit den vier anwesenden Männern verwandelte sie sich in etwas, dass kaum größer war als eine Besenkammer und in dem gefühlte fünfzig Grad herrschen mussten. Dabei war es so schwül, dass jedem die Kleidung am Leib klebte und das Haar als verschwitztes Wirrwarr am Schädel.
Smollert hatte sich die Berichte aller drei Männer schweigend angehört. Bijan zu befragen brachte derzeit wenig. Er antwortete zwar mit knappen Sätzen, schien aber sehr abwesend zu sein. Darüber hinaus verwies er nur auf seinen Gedächtnisschwund. Der Kapitän hatte angeordnet, dass er sich ausruhen sollte und genau das tat er jetzt.
Ihre Nasen hatten sie diesmal nicht getäuscht. Nachdem Sequoyah Rauch gerochen hatte waren sie nach weniger als einer halben Stunde in Sicht des Flussdampfers gekommen, der sich schnaubend gegen die Strömung schleppte. Man hatte ihnen zugerufen und gewunken und manch derber Scherz über die Beute, die wohl so groß gewesen war, dass man sie hatte zurücklassen müssen, war durch den tierischen Spott des Dschungels geklungen. Die Späße der groben Besatzung verklangen jedoch, als ihr lädiertes Boot nah genug heran war, dass man von Deck einen Blick darauf und auf seine Insassen werfen konnte.
Wasser im Rumpf, frische Beulen und Kratzer, obendrein die gestanzten Zahnreihen einer augenscheinlichen monströsen Bestie.
Die Männer sahen derweil nicht viel weniger lädiert aus. Der Wilde verwundet, Bijan einem Gespenst ähnlicher als einem Lebenden und die anderen beiden von Erschöpfung und nackter Furcht für den Augenblick um gute zehn Jahre gealtert.

„Das hört jetzt auf.“ grollte der Kapitän und stürzte den verbleibenden Inhalt des Flachmannes herunter, dem er während des gesamten Gespräches immer wieder zugesprochen hatte. „Diese Risiken und Tollheiten dulde ich keine Sekunde länger.“
„Es ist meine Expedition.“ Erhob der Professor halbherzigen Einwand. Doch eigentlich war er wesentlich zu erschöpft um eine Diskussion zu führen, deren Ausgang ohnehin feststand. Hinzu kam, dass der Kapitän sich einen kapitalen kleinen Rausch angetrunken hatte und mit ihm in diesem Zustand noch weniger zu reden war als ohnehin schon.
„Und es ist mein Schiff!“ Fuhr er Ignatz über den Mund. „Sie bringen mit ihren Eskapaden meine Männer in Gefahr und ihre Bezahlung dafür deckt das in keinster Weise ab. Dieses Mal ist es glimpflich abgegangen, wobei wir nicht wissen was Bijan für Langzeitschäden davongetragen hat. Sie sind schließlich trotz allem kein Mediziner.“ Ignatz erhob sich und ignorierte den Gesichtsausdruck der Genugtuung auf Cordells Zügen.
„Darüber wird noch zu reden sein Kapitän. Allerdings werde ich das tun, wenn sie nüchtern und ich ausgeschlafen bin.“
„Ich habe in dieser Sache alles gesagt mein Herr.
Zeichnen sie ihre Pflanzen und fangen sie von mir aus Vögel und Fische. Aber gewöhnen sie es sich ab alle Monster des Urwaldes aufzuscheuchen.“
Gefolgt von seinem Kameraden verließ Ignatz die Kajüte und rannte fast mit den Männern zusammen, die wie durch Zufall alle in unmittelbarer Hörweite der Brücke zutun gehabt hatten. Das einzige Zeichen bezüglich seines Gemütszustandes geschah in Form der Tür, die so laut ins Schloss krachte, dass die verdreckte Glasscheibe darin klirrte.
Sie stiegen die schmale Leiter hinunter zum Deck und organisierten sich in der Kombüse jeweils eine Schale des Mittagessens. Chemisch gereinigtes Wasser und eine Art Eintopf, der aus einer Vielzahl einstiger Flussbewohner bestand. Der Smutje passte so sehr zu dem Kahn wie alles andere.
Sie verzogen sich unter das Blechdach am Heck, wo auch ihre Schlafgelegenheiten lockten. Erst vergewisserte er sich, dass sich niemand an seiner Kiste zu schaffen gemacht hatte, dann ließ Ignatz sich seufzend mit dem Rücken daran niedersinken. Skeptisch stocherte der Professor in dem Eintopf herum, dann besiegte der Hunger seine kulinarischen Vorbehalte.
„Das Ganze wird langsam unschön mein Freund.“ Bemerkte er zwischen zwei Bissen, bedacht darauf, dass keine Neugierigen in unmittelbarer Nähe waren. „Der Kapitän will uns loswerden, soviel steht fest. Es gibt wohl Gerüchte, dass es im Norden Krieg gibt. Es ist mir ein Rätsel woher irgendjemand auf diesem Schiff so etwas wissen könnte, wo wir doch keinen Kontakt zur Zivilisation haben. Aber ich habe den Eindruck der Kapitän glaubt Ähnliches.
Dann wird er sein Schiff in Sicherheit bringen wollen und jeden Vorwand nutzen um umzukehren. Etwas, was ich keineswegs zutun gedenke.
Die Frage ist also, wenn es zu dem kommen sollte, was ich hier skizziere. Wie sollten wir deiner Meinung nach verfahren?“

Bis hierher wurde geschrieben

Ignatz ist ein Char von Kogan sein Begleiter ist Sequoyah

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Hier einmal eine Geschichte, die zwei verschiedene Autoren beinhaltet. Aus dem Forum Koron III übernommen und zu passenden Lesbarkeit von mir bearbeitet. Beide Autoren waren mit der Verbreitung hier einverstanden. Die Passagen beider Schreiber sind durch Absätze getrennt. Dadurch das jeder Absatz eine Reaktion auf das darstellt, was der Autor davor geschrieben hat, ist der Stil etwas anders als bei einem Text von einem einzelnen Autor. Fragen und Antworten etwa gesehen nicht hin und her, sondern werden im Folgetext beantwortet. Man gewöhnt sich aber schnell an diese Schreibart und es ist nichts Störendes.

Zum Hintergrund: Koron 3 ist bekannt für seine Hauptstadt, die Makropole Gohmor und für das öde Land, welches Überbleibsel und Mahnmal eines gewaltigen Weltkrieges, bekannt als der „Krieg der Häuser“ ist. Wenig Interesse schenkt man der Äquatorialgegend, die von dampfenden Dschungeln und undurchdringlichen Urwäldern geprägt ist. Vom Weltraum aus erscheint diese Region wie ein schmaler Gürtel, doch wer sich dort hin wagt, der erkennt schnell, das ihr tausende und abertausende von Quadratkilometern unerforschter Wildnis auf Mutige und Närrsiche warten. Zu welcher Kategorie die beiden Protagonisten zählen muss sich noch zeigen. Der eine ist Ignatz Schnabelmayer, ein etwas schrulliger Zoologe aus Gohmor, der in den Dschungeln nach unentdeckten Tieren und sucht. Der Zweite ist sein treuer Gefährte Sequoyah. Ein Fremdweltler von Denum 2, entsprungen einer urtümlichen Stammeskultur. Beide wagen sich den Fluss Orogangwa hinauf, ein Schlaglicht auf dieses Herz der Finsternis zu werfen.
Ich will noch sagen, dass der Text nach meiner Meinung durch seine Stimmung lebt. Wer riesige Schlachten, Space Marines und Orkhorden erwartet, der wird vermutlich nicht sehr glücklich damit.

Viel Spaß dabei!


Schwerer Regen prasselte auf das Blechdach des Dampfschiffes, welches sich asthmatisch schnaubend aber unerbittlich seinen Weg den Orogangwa hinauf durch die Nacht keuchte. Der ringsum aufragende Dschungel, die erdrückende Masse an Natur, ließ das Schiff und seine zusammengewürfelte Besatzung zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Bei Regen war das noch mehr der Fall, wenn der eigene Bewegungsradius auf die wenigen Stellen zusammenschrumpfte, die vor dem Niederschlag geschützt waren. Die meisten Männer nutzten die geringfügige Abkühlung und die vorübergehende Abwesenheit von Stechfliegen und Blutkäfern, um dringend nötigen Schlaf nachzuholen. Auch wenn die Fahrt Fluss aufwärts nicht mit übermäßigen Anstrengungen verbunden war, so schien doch alles Einwirken des Urwaldes einen gesunden Schlaf verhindern zu wollen. Die Hitze, die beißenden Quälgeister, der Lärm des Getiers und zuweilen sogar der wuchtige Duft von Blüten, so süß und schwer, dass er über die Dauer Kopfschmerzen verursachte. So ignorierten die meisten die bange Frage, was hungrig aus der Dunkelheit der Blätter auf das Schiff starren mochte und schliefen in ihren Hängematten. Nur einige wenige waren wach. Der Steuermann und der erste Heizer, wie auch Schnabelmayer, der gegen die Reling aus gewälztem Blech gelehnt saß und im Schein einer flackernden Öllaterne Notizen in eine Reinschrift übertrug, einige Pflanzenexponate abzeichnete. Er unterbrach seine Arbeit, als er den trittlosen Schritt seines Begleiters der ersten Stunde, mehr ahnte als wirklich hörte. Er sah auf und erblickte Sequoyah der zu ihm kam, die Augen in unbewusste Gewohnheit vom Licht abgewandt, um sie so nicht für die Nacht zu verderben. Wortlos, wie es seinem Wesen entsprach, setzte er sich mit überkreuzten Beinen neben Ignatz. Eine törichte Höflichkeitsfloskel, wie „Na noch wach?“, wäre an Sequoyah verschwendet gewesen, da er nicht dazu neigte das Offensichtlicher zu benennen. Der Professor beendete die Zeichnung eines fedrigen Farns und legte dann den Stift zurück in die Holzschatulle, in der er derartige Utensilien aufzubewahren pflegte. „Rauchen wir?“
Das bestätigte der andere mit einem knappen Nicken und nun folgte das Ritual, das Schnabelmayer inzwischen auswendig kannte. Die Pfeife wurde hervorgeholt und mit Tabak gestopft. Dann mit einem eigens dafür vorgesehenen Knochenstück ein Loch in die Stopfung gebohrt. Sequoyah brannte einen Spahn an der Flamme der Lampe an und paffte schnell ein paar Züge. Er ließ die Glut ausgehen und wiederholte den Vorgang, dieses Mal mit tieferem Einatmen. Dann stieß er den blauen Rauch durch Mund und Nase aus, was seinem markanten Gesicht das Aussehen eines Urwaldgötzen verlieh. Er übergab die Pfeife an Ignatz, der es ihm etwas zaghafter gleichtat. Die ersten Male hatte er sich die Lunge aus dem Hals gehustet und das obwohl er selbst kein Unbekannter in manchem Rauchsalon gewesen war. Aber das Kraut des Mannes von Denum 2 hatte es in sich. Inzwischen war er es gewohnt und genoss das kratzige Aroma nach Erde und würzigen Kräutern. Während er dem aufsteigenden Rauch nachsah, verweilten seine Gedanken bei dem Bild des Dschungelgötzen. Sie hatten auf den Wochen ihrer Reise in einigen Dörfern Station gemacht, auch wenn das Letzte bereits acht Tage zurück lag. Dörfer, die durch die Bemühungen von Missionaren fest im Glauben an den Gottkaiser verankert waren. Dennoch hatten die Eingeborenen ihnen nicht selten geschnitzte oder zuweilen sogar in Stein gehauene Teufelsfratzen gezeigt, die ein Dorf in einiger Umgebung umstanden. Die Dorfbewohner hatten ihnen erklärt, dass Dämonen und böse Geister, die sich der Siedlung nähern wollten, diese Abbilder von weiten sahen und meinen mussten, dass bereits ein anderer Unhold Anspruch auf dieses Gebiet erhob und sie deswegen wieder abzogen. Ein finsterer Aberglauben, den die Missionare aber scheinbar toleriert hatten, froh darüber den Heiden wenigstens die grundlegenden Begrifflichkeiten des Imperatorkultes beigebracht zu haben. Die Ausrottung solcher Abweichungen überließen sie dann mit konstanter Regelmäßigkeit ihren Nachfolgern. Die Götzenbilder waren in der Regel abstrakte Abwandlungen von menschlichen Figuren, denen die jeweiligen Künstler nur mehr Augen, Zähne oder überdimensionale Gesichtsattribute gegeben hatten. Was er jedoch im Dorf Belati von einem verrückten Alten gekauft hatte, der seinen Verstand an den von der Küste importierten Palmschnaps verloren hatte, wich von dieser Ikonographie ab. Wenn die Anthropologie auch ehr ein Steckenpferd, denn seine eigentliche Passion war, so faszinierte ihn der Fetisch doch, denn er im Tausch für zwei Flaschen Whisky von dem Alten erhandelt hatte. Einem Impuls folgend griff er nach dem faustgroßen Objekt, dass in einen Lappen gewickelt als Beschwerer für seine Aufzeichnungen diente und ersetzte ihn mit der Kiste für seine Schreibgeräte.
„Sieh dir das einmal an, mein Freund.“ Er schlug das Tuch auseinander und brachte eine Figurine aus schwarzem Gestein zum Vorschein. Dargestellt war ein chimärisches Wesen, dessen Unterleib der einer Schlange glich und so der Oberkörper auch an den eines sehnigen Mannes gemahnte, erinnerte der Kopf doch wieder eher an den einer Schlange. Das Wesen hatte sechs Arme, die es sternenförmig ausgebreitet hielt. Jede Faust umklammerte ein Schwert oder hatte es zumindest, denn vier waren bereit abgebrochen, zwei mit Teilen des Armes. Nicht abgebrochen war hingegen der erigierte Penis, der in fast aggressiver Form aufragte. Die Figur war augenscheinlich alt und wenn sie auch abgegriffen und durch häufige Berührung glattpoliert war, so konnte man doch die Kunstfertigkeit des Erschaffers unmöglich leugnen. „Was hältst du von diesem Burschen hier?“ Immer noch auf dem Lappen gebettet, übergab er den Fetisch an Sequoyah, ebenso wie die Pfeife, damit er einen weiteren Zug tun konnte. „Der Alte, von dem ich ihn getauscht habe, meinte er stammt aus dem Norden, tief aus dem Dschungel. Aber die Figur gleicht keinem der geschnitzten Götzen, die wir in den Dörfern gesehen haben. Meinst du ich bin einem Schwindel aufgesessen?“


Sequoyah war sich bis jetzt noch immer nicht sicher, was das Ziel ihrer Reise war. Der Professor sammelte Tiere und Pflanzen, malte diese in seine Bücher ab und beschrieb sie, soweit hatte er es schon verstanden. Aber den Sinn dahinter konnte er noch nicht sehen. Er hatte den Professor schon darüber reden gehört, dass er diese Beschreibungen an sogenannte Zeitungen verschickte, die dann von unzähligen Menschen gelesen wurden. Aber was war der Sinn dahinter? Diese Menschen würden nie diese Tiere oder Pflanzen selbst sehen, geschweige denn einmal anfassen. Diese Texte waren an sich bedeutungslos für die Menschen in Gohmor. Sequoyah hatte Ignatz deswegen schon öfters gefragt und der Professor hatte versucht es ihm zu erklären, aber bisher erfolglos.
Er würde sich also weiter gedulden müssen und abwarten. Auf dem Schiff war das gar nicht so einfach hatte er bemerkt. Alle paar Tage erreichten sie kleine Dörfer, die mitten in diesen unendlichen grünen Weiten lagen. In gewissem Sinne war es fast wie eine Heimkehr nach Denum 2 zurück. Der Wald, die Stämme, die Einsamkeit und die vielen wilden Tiere. Aber dann war es doch anders. Hier war es drückend heiß und schwül und es dauerte nie lange bis der Regen, wie eine Mauer aus Wasser auf sie niederkam. Im Gegensatz zu seinen Begleitern war er sogar schon so weit gegangen, dass er nur noch seinen Lendenschurz trug und alle anderen Kleidungsstücke inklusive der Schuhe abgelegt hatte, da er die Hitze andernfalls nicht ertragen hätte. Die Nacht kam ebenso schlagartig, wie der Tag begann, und er kannte sich in der Wildnis und mit ihren Tieren hier genauso schlecht, wie seine Begleiter aus. Eine Tatsache, die ihn zutiefst beschämte, da ihn der Professor doch eigentlich genau dafür hatte dabeihaben wollen. Bisher hatte er sich das aber noch nicht allzu deutlich anmerken lassen und war stattdessen mit großem Eifer daran gegangen verschiedenste Jagdwaffen anzufertigen, mit denen er Tiere für den Professor fangen wollte oder schon bereits gefangen hatte. Sein letztes Stück war ein Fischspeer mit vielen bösartigen Zacken gewesen, den er bei all seinen anderen Sachen verstaute und am nächsten Tag Schnabelmayer präsentieren wollte.
Dann stand er auf, streckte kurz seine eingeschlafenen Gliedmaßen und ging dann in Richtung der noch flackernden Öllampe. Der Professor schien wieder einmal noch zu arbeiten. Sequoyah hatte ihn schon öfter darauf aufmerksam gemacht, dass er sich bei dem schwachen Licht die Augen ruinieren würde, aber den Professor hielt das nicht davon ab, es immer wieder zu tun.
Schweigend setzte Sequoyah sich neben seinen Reisebegleiter und in gewissem Sinne auch Mentor und beobachtete diesen schweigend bei seiner Arbeit.
Erst als dieser seinen Stift beiseitegelegt und mit der üblichen Frage ihr gemeinsames abendliches Ritual eingeleitet hatte zeigte Sequoyah wieder Anzeichen von Aktivität und holte Tabaksbeutel und Pfeife hervor.
Nachdem sie so ihr altes Ritual wieder begonnen hatten und die Pfeife hin und herwanderte, schlug Ignatz ein Tuch auseinander und zeigte Sequoyah eine kleine Steinfigur.
Vorsichtig nahm er die Figur von Ignatz entgegen und musterte sie schweigend für einige Minuten.
„Nein, ich glaube sie ist echt. Sie erinnert mich ein bisschen an manche Figuren, die ich anderswo gesehen habe, aber sie ist merkwürdig. Hast du schon mal von Menschen gehört, die sich in Tiere verwandeln können?“ Sequoyah nahm wieder einen kräftigen Zug an der Pfeife und reichte sie an Ignatz zurück. „Ich glaube die Figur dient vielleicht der Konzentration für denjenigen der genau so etwas tun will. Als Verstärker gewissermaßen. Aber die Schlange für eine Verwandlung auszuwählen ist merkwürdig. Die Figur hat sechs Arme, mit Schwertern in den Händen, aber eine Schlange hat nichts Kriegerisches an sich zu dem Schwerter passen könnten. Sie ist geduldig und greift aus dem Hinterhalt mit Gift an. Nicht mit purer Stärke oder großen kämpferischen Geschick.“ Wieder schwieg Sequoyah und untersuchte die Figur weiter.
„Und der Penis... Schlangen sind fruchtbar, legen dutzende Eier, aber hier scheint es auf etwas anderes hinzuweisen... keine Fruchtbarkeit, sondern...“ Sequoyah machte eine Handgeste, als er nach einem passenden Wort suchte „...du würdest es wohl als zu obszön empfinden.
Was auch immer du damit bisher gemacht hast, ich wäre vorsichtig. Die Figur hat Macht in sich oder an sich gebunden... vielleicht die Geister von Verstorbenen... ich weiß es nicht genau, da müsstest du einen Schamanen fragen.“
Schweigend starrte Sequoyah in die Dunkelheit in Richtung Dschungel. Nur der auf Blech prasselnde Regen, der Lärm er Schiffsmaschinen und vereinzelte Tiergeräusche aus dem Wald waren zu hören.
„Würdest du gerne einmal an einer Fackeljagd teilnehmen Ignatz?“


„Du meinst so etwas wie den Mannwolf?
Ich habe im Studium eine Abhandlung über die Verbreitung von hartnäckigem...“ fast hätte er Aberglauben gesagt, hartnäckigen Legenden gehört. „Das sich Menschen in Tiere verwandeln war eine davon. Egal auf welcher Art von Welt der Mensch siedelt, welchen technischen Standard er erreicht, die Geschichten von Menschen, die sich in Bestien verwandeln lassen sich auf die eine oder andere Art überall finden. Nicht verwunderlich, wenn du mich fragst. Der Autor sah darin einen Versuch die allgegenwärtige Pein der Mutation zu verarbeiten. Das mag so sein, doch ich neige dazu der Binsenweisheit Vorschub zu leisten, dass da wo der Mensch hinreist, seine Dämonen mit ihm reisen.“ Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er die Ansichten Sequoyahs belächelt und wäre um das Wort Aberglauben nicht herum manövriert. Natürlich wäre er taktvoll geblieben, schließlich hatte er eine süperbe Kinderstube genossen.
Wie gesagt, vor einiger Zeit.
Dann hatte es einen Zwischenfall gegeben. Etwas, dass ihn seinen bis dato sehr praktischen, sehr distinguierten Imperatorglauben aus einem anderen Blickwinkel sehen ließ.
Die Erkenntnis, dass die Realität wie ein Stück verdorbenes Fleisch war, an einigen Stellen bereits von Fäulnis verfärbt, aber noch übersehbar, wenn man nicht so genau hinsah. Unter der Oberfläche gruben sich Maden jedoch bereits ihre Gänge, höhlten alles aus. Fette weiße Maden fast schon Schlangen.
Es bedurfte fast physischer Kraftanstrengung den Blick von dem kleinen Fetisch zu trennen, die verwaschenen Erinnerungen beiseite zu schieben und den unangenehmen Nachgeschmack zu ignorieren, den sie hinterließen.
Es lag an diesem Land und an diesem Dschungel. Etwas Krankmachendes hing permanent in der Luft und verhieß Fieber, Albträume und Wahn.
„Ach!“ überspielte er seine Irritation mit einem lakonischen Lächeln und einem tiefen Zug aus der Pfeife. „Du würdest dich wundern, welchen bunten Strauß an Obszönitäten ich bereits zu Gesicht und zu Gehör bekommen habe. Ich war Reitereioffizier, musst du wissen und die jungen Herren in diesen Einheiten sind bisweilen nicht so wohlerzogen wie ihre klingenden Familiennamen einen glauben machen.
Nichtsdestotrotz werde ich deinem Vorschlag vielleicht nachkommen. Einen Schamanen zu fragen, meine ich. Immer vorausgesetzt uns begegnet noch eine menschliche Seele in dieser Gegend. Wenn man Gohmor gesehen hat, scheint es unglaublich, dass es eine derart menschenleere Gegend auf Koron gibt.“ Während er sprach verstaute er den Götzen wieder. Für gewöhnlich lagerte er seine persönlichen Sachen in einer kleinen Seemannskiste, die er unter das Kopfende seines Feldbettes schob, die ihm Ersatz für eine Koje war. Heute Nacht würde er die Figur jedoch nicht so nah an seinem Kopf haben wollen. Er würde sie in die Rocktasche stecken und diesen möglichst weit von sich fort an einen Nagel hängen. Eine kindische Art sich vor einem Buhmann zu schützen, doch wenn sie funktionierte, wieso nicht?
„Fackeljagd?“ Folgte er dem Themenwechsel seines Freundes. „Was soll das sein? Aufregend klingt es alle mal.“

„Eine Fackeljagd ist, eine Art wie wir in meiner Heimat auf die Jagd gegangen sind. Man fährt dazu nachts mit einem Kanu...“ Sequoyah fiel ein, dass der Professor mit dem Wort sicherlich nichts anfangen konnte „...mit einem Boot, wie wir es auch schon in den Dörfern, in denen wir schon waren gesehen haben, flussaufwärts. Dort zündet man eine Fackel an, befestigt sie im vordersten Teil des Bootes und deckt sie nach hinten mit einem Brett ab, damit man selbst nicht geblendet wird. Dann wendet man das Boot und lässt sich flussabwärts treiben. Die Tiere können einen dann schlechter hören und das Licht zieht sie an und blendet sie, sodass sie uns nicht sehen können. Und wenn man dann nahe genug an sie herangekommen ist, erlegt man sie. Zuhause haben wir dafür Bögen benutzt, da man bei einem Fehlschuss nicht gleich alle anderen Tiere auch verscheucht. Hier werden wir wohl nur unsere Gewehre nutzen können. Du solltest also gut zielen Ignatz.“ Die Andeutung eines Lächelns huschte über Sequoyahs ansonsten so ernstes Gesicht und Schalk blitzte in seinen Augen auf. „Du hast schon viel zu lange Pflanzen, Insekten und anderen Kleinkram gesammelt. Das mag jetzt vielleicht für dich unverschämt klingen, aber ich finde du solltest dich an größeres heranwagen. Die Menschen die deine... wie hast du sie noch mal genannt... genau Artikel lesen, die finden das doch bestimmt langweilig. Aber großes Jagdwild, damit kannst du sie beeindrucken. Ein richtiger Mann sein und Ruhm ernten. „Das Lächeln verschwand und Sequoyah schaute seinen Sitznachbarn nachdenklich an.
„Wir fahren den Fluss rauf Ignatz ohne uns groß zu bewegen. Die Hitze und die feuchte Luft macht einen träge und das Brummen der Insekten betäubt die Sinne. Und du ruinierst dir deine Augen, wenn du bei dem winzigen Licht deiner Lampe die Bilder von deinen Pflanzen malst. Die Jagd würde aber unseren Geist und Körper wieder beanspruchen und die Sinne schärfen. Und wir wissen nicht, ob die nächste Siedlung uns freundlich gesinnt sein wird. Vielleicht treffen wir sogar irgendwann auf die Erschaffer dieser Figur, die du da hast. Wenn du dich also auch für solche Möglichkeiten vorbereiten willst, sollten wir jagen gehen. Wenn nicht können wir auch weiterhin erstmal Insekten und Blumen sammeln gehen. Es ist deine Entscheidung Ignatz“

„Ah du versuchst mich bei der Ehre zu packen.“ Ereiferte sich Ignatz in gespielter Entrüstung. „Und ich fürchte es gelingt dir.
Der Akademiker in mir beharrt darauf, dass diese Arbeit, er deutete auf die gezeichneten Pflanzen, deren Blätter sich im Flackern der Ölflamme in einer sanften Briese zu wiegen schienen, „ebenso wichtig ist wie jedes noch so aufregende Großtier. Aber du hast in zweierlei Hinsicht Recht. Den Leser des Guardians verlangt es gewiss eher nach Ungeheuern, denn nach Pflanzen. Und der Dschungel macht einen tatsächlich mürbe. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie Stille klingt. Dieses durchgehende Zirpen, selbst bei solch einem Regenguss, zerrt an den Nerven.
Ich bin dabei, wenn du die Führung der Jagd übernimmst. Es widerstrebt mir ein Tier aus reinem, sportlichen“, bei dem letzten Wort beschrieb er Anführungszeichen in der Luft, „Spaß zu töten, doch ich tröste mich damit, dass es sein Leben im Dienst der Wissenschaft lässt. Wir haben kaum die Möglichkeit langwierige Observationen von Lebensraum und Verhalten anzustellen und so ist die Studie am postmortalen Objekt der weniger schöne, aber erfolgversprechendere Weg.
Ein Einbaum haben wir nicht aber ich denke das Dingi tut es auch.“ Damit meinte er das Beiboot aus genietetem Blech, welches quer am Heck des Dampfers hing und bis jetzt nicht mehr tat als rosten und regelmäßig voll Regenwasser zu stehen.
Je mehr er auf der Idee einer Fackeljagd herumdachte, umso mehr begeisterte er sich dafür. Einzig die Befürchtung, dass sie etwas anlocken mochten, dass das Verhältnis vom Jäger zum Gejagten umkehren konnte, machte ihm Sorgen.
Auch Sequoyahs beiläufige Bemerkung über die Erschaffer der Figur, ließen ihn schlucken. Er war schlicht davon ausgegangen, dass es sich um ein antikes Artefakt handelte, dessen Erschaffen schon lange zu Staub zerfallen war. Auf den Gedanken, dass es ein zeitgenössisches Stück sein mochte war er nicht gekommen. Ignatz fröstelte, trotz der drückenden Hitze.
„Das Boot hat einen starken Außenborder, den der Kapitän verwahrt hat. Er sollte also funktionieren. Wir können daher Fluss abwärts treiben, so wie du beschrieben hast und dann unser Schiff ohne Probleme wieder einholen. Ich überlasse, wie gesagt dir die Vorbereitungen. Du musst entscheiden wen von den Männern du dabeihaben willst und was du an Ausrüstung benötigst.“ Der Professor gähnte, als sich die Müdigkeit nun doch seiner bemächtigte. „Vielleicht lässt das Wetter morgen Abend eine derartige Jagd zu.“ Er ging nicht davon aus, dass sein Kamerad noch heute Nacht auf die Pirsch gehen wollte.
„Dann schlafen wir uns gut aus und fangen uns morgen Nacht eine Dschungelbestie.“ Er nahm einen letzten Zug und gab dann die Pfeife an ihren Besitzer zurück.
In einer fließenden Bewegung stand Sequoyah aus dem Schneidersitz auf und nahm einen letzten Zug an der Pfeife. „Der morgige Abend soll es sein. Hoffentlich hat der Regen bis dann aufgehört."
Dann verschwand er so lautlos, wie er gekommen war in Richtung seines Schlafplatzes.
Der nächste Morgen war etwas kühler als sonst, was wohl die Nachwirkung des Regengusses der vergangenen Nacht war. Jetzt hatte es aber aufgehört zu schütten und das bedeutete, dass die Stechmücken und Blutkäfer wieder aus ihren Verstecken hervorgekrochen kamen. Auch sonst war der Wald wieder zum Leben erwacht und die Bootsbesatzung konnte den Lärm welchen Vögel, Insekten und andere Dschungelbewohner gemeinsam veranstalteten wieder genießen. Wobei „erleiden“ wohl das passendere Wort für die meisten abgesehen von Sequoyah gewesen wäre. Bis jetzt hatte Sequoyah sich nicht die Mühe gemacht und Schnabelmayer gefragt, wie und wo er die Männer aufgetan hatte. Zumindest ging er davon aus, dass Schnabelmayer sie selbst angeheuert und diese Aufgabe nicht jemand anderem überlassen hatte.
Da der Professor tagsüber mit wichtigeren Dingen beschäftigt war, musste Sequoyah sich bezüglich der Männer und der Ausrüstung an den Kapitän des Schiffes wenden. Geduldig wartete Sequoyah ab, bis sich für ihn die Möglichkeit ergab mit dem Kapitän zu sprechen.
„Verzeihung Kapitän, wenn ich störe. Aber der Professor und ich würden gerne ein paar Männer, Ausrüstung und das Dingi in der nächsten Nacht für eine Jagd nutz...."
Der Kapitän fuhr ihm unwirsch ins Wort. „Für eine Jagd? In der Nacht? Habt ihr sie noch alle? Ich kann weder die Männer noch die Ausrüstung entbehren und besonders nicht das Dingi!"
„Verzeihung Kapitän. Ich muss sie aber noch einmal daran erinnern, dass der Professor diese Fahrt hier bezahlt und ihm damit glaube ich alles gehört, was sich auf dem Schiff befindet."
„Das mag schon sein Bursche. Aber es ist doch Wahnsinn das bei Nacht zu machen. Wir können gerne auch tagsüber einen Stopp einlegen und eine Safari an Land einlegen. Aber bitte doch nicht bei Nacht..."
„Der Professor und ich haben uns für eine Jagd bei Nacht entschieden. Keine weitere Diskussion." Sequoyahs Stimme hatte etwas an Schärfe gewonnen und Ungeduld schimmerte durch.
„Das Dingi wird von uns genutzt. Die Ausrüstung auch. Und wir werden zwei Männer von der Besatzung brauchen. Sie sollten mit dem Dingi gut bei Tag und Nacht umgehen können, gute Nerven und Erfahrung mit Waffen haben. Wen würdet ihr empfehlen?"
Der Kapitän knirschte mit den Zähnen und unterdrückte nur mühsam seine Verärgerung. Seqouyah konnte ihm deutlich ansehen, was er von der Aktion hielt, aber letztlich hatte der Professor das alles hier bezahlt und so musste er sich beugen.
„Wenn es unbedingt sein muss nehmt ihr am besten Cordell und Bijan mit. Zumindest Bijan stammt ja auch aus der Gegend hier." Das für den Kapitän unter "Gegend" das ganz Land fiel in dem sie sich befanden war mehr als klar.
Sequoyah nickte kurz und ließ den Kapitän wieder weiterarbeiten und suchte die beiden Matrosen auf dem Schiff. Er erklärte den beiden kurz, was der Professor und er geplant hatten und nach einer kurzen Diskussion erklärten sich die beiden bereit mitzukommen.
Zusammen begannen sie damit das Dingi wieder fahrtüchtig zu machen, wobei der Großteil der Arbeit von den beiden Matrosen übernommen wurde, da Sequoyah sich nicht mit dem Außenborder auskannte und die beiden lieber alleine mit den Chemikalien rumhantierten mit denen sie zumindest den gröbsten Rost entfernten. Vom Dingi selbst war Sequoyah eher enttäuscht. Es war deutlich länger und auch etwas breiter, als die Kanus mit denen er in seiner Heimat auf Gewässern unterwegs gewesen war und es kam ihm trotz gegenteiliger Versicherungen der Matrosen auch deutlich plumper vor. Aber da es nichts anderes gab, musste er sich damit begnügen. Nahdem das Boot gereinigt war, bauten die beiden Matrosen auf Sequoyahs Anweisung hin noch einen Fackelhalter und ein Brett, welches das Licht nach hinten in Richtung Bootsbesatzung abblendete. Zuletzt luden sie die Ausrüstung in Form von Paddeln, zwei Essar Karabinern, Seilen, Leuchtfackeln und Taschenlampen an Bord.
Das Boot war bereit und die Mannschaft hoffentlich auch. Ab jetzt musste er nur noch warten, dass es dunkel wurde und dem Professor Bericht erstatten.
„Ignatz wir haben das Boot vorbereitet. Das Wetter scheint bisher auch ganz gut zu sein und bis zur Dämmerung sollte auch nicht mehr viel Zeit vergehen. Zwei Matrosen werden uns zur Sicherheit begleiten. Du wirst nachher in der Front vom Dingi sitzen und die Fackel anzünden müssen und unser Ausguck und Jäger sein. Freust du dich schon darauf?"

Ob er sich denn auf die anstehende Jagd freue, hatte Sequoyah gefragt und mit einem etwas verkniffenden Lächeln hatte Ignatz geantwortet, dass es sich damit ähnlich wie mit dem ersten intimen Zusammensein mit einer Frau begab. Man freue sich darauf, ja sehne es sogar herbei, doch um der Wahrheit die Ehre zu geben, wisse man weder genau was man zu erwarten habe, noch habe man kaum mehr als eine theoretische Vorstellung was genau zutun sein. Sein Begleiter hatte herzhaft gelacht und war daran gegangen noch einmal die Ausrüstung zu überprüfen.
Den ganzen Tag hatte der Professor ein mulmiges Gefühl im Bauch. Er war alles andere als ein Feigling und wenn er auch nicht zu prahlen pflegte, hatte er seine Beherztheit doch ein ums andere Mal unter Beweis gestellt und musste weder sich noch anderen Tapferkeit beweisen. Aber in der Tat wurde ihm flau, wenn er daran dachte die Bestien des Urwaldes bei Nacht in ihrem angestammten Refugium zu reizen. Er konnte nur hoffen das Sequoyah wusste was er tat.
Zumindest vermittelte sein urtümlicher Wegbegleiter Zuversicht, indem er sich nicht die leiseste Beklemmung anmerken ließ.
Auch der Rest des Tags war dem Professor surreal vorgekommen. Dazu trug nicht nur die Pause in der Regenphase bei. Das sogenannte “Schweigen der Welt“, wie es die Einheimischen zu nennen pflegten, war eine Periode von einem, vielleicht zwei Tagen, in denen der sintflutartige Regen aussetzte, die Wolken aber weiter unheilschwanger tief am Himmel hingen. Düster und vollgesogen wie die fetten Stechmücken, die jeden Morgen unter dem Blechdach des Bootes saßen und durch ihre bloße Anwesenheit jegliche Wirkung der Moskitonetze zu verspotten schienen. Blitze zuckten von Zeit zu Zeit durch diese Wolken, ohne dass ihnen ein hörbarer Donner folgte.
Zusätzlich dazu hatte der Kapitän ihn den ganzen Tag über geschnitten und bestenfalls mit Blicken bedacht, die ebenso drohend waren wie das Firmament. Der Rest der Besatzung hatte ihn, Sequoyah, wie auch Cordell Mayweather und Bijan Baturro angesehen, als seien sie Todgeweihte, die in den antiken Arenen des versunkenen und verfluchten Rasankurs ihr Leben zu verwirken hatten.
Allemal nichts was ihn abzuschrecken vermochte.
Er nahm sich Zeit, sich mit dem Essar Karabiner vertraut zu machen. Eine solide Waffe und auch wenn Ignatz auf diesem Gebiet kein Experte war, hatte er doch von nicht wenigen, die es vorgaben zu sein, gehört, dass die Essar die Waffe für den Dschungel schlechthin war.
Bei guter Pflege relativ unempfindlich gegenüber Rost und Störungen. Die Patronen wurden durch einen Unterhebel geladen, was dafür sorgte, dass man beim Nachladen das Ziel nicht aus dem Visier entlassen musste. Sehr praktisch, wenn irgendetwas wildes und wütendes durch das Unterholz auf einen zustürmte. Außerdem war das große Kaliber dazu geeignet, dass auch zu stoppen, was man traf. Allemal fühlte sich Ignatz mit diesem Vertreter der tödlichen Zunft sicherer, als mit seiner albern wirkenden Steinschlosswaffe, die mehr einem Erbstück, denn einer wirklichen Bedrohung gleichkam. Ganz zu schweigen davon, dass dieses Klima wohl das ungeeignetste war, welches man sich für offenes Schwarzpulver denken konnte.

Als die Dämmerung hereinzubrechen begann, bestiegen die vier Männer das Boot und alles wurde nach den Vorgaben Sequoyahs vorgenommen. Das Flussschiff schnaufte weiter den Orogangwa hinauf, während das Dingi zurückblieb und wie Treibgut wieder Flussabwärts schwamm. Mit Hilfe des Außenbordmotors würden sie den großen Kahn, der nur kleine Fahrt machte, mühelos einholen können und sollte es technische Probleme geben und das Schiff bis zum Morgengrauen nichts von ihnen gehört oder gesehen haben, würden sie zurückkommen.
Technische Probleme, wohl gemerkt!
Nur der Gottkaiser konnte ihnen helfen, wenn sie etwas aufscheuchten, dass dessen sie nicht gewachsen waren. Ignatz musste dem Kapitän ein Schriftstück aushändigen, indem er ihm einen Anteil des restlichen Solds zusagte, wenn er durch Naturgewalten ums Leben kam. Damit der gute Mann nicht auf dumme Ideen kam, erhielt er die ganze Summe natürlich nur wenn Ignatz unbeschadet in die Zivilisation zurückkehrte.
Die Baumreihen an den Ufern verschmolzen bereits mit den Schatten und die Tiere der Nacht lösten die Tagesschicht an Fauna ab.
„Entzünden wir die Fackeln jetzt oder warten wir bis zur völligen Dunkelheit?
Unwillkürlich hatte er zu flüstern begonnen.“

Sequoyah fing lachend zu glucksen an, als er die Frage des Professors hörte. „Nein Ignatz. Es ist noch zu hell dafür. Wir müssen warten bis die Nacht vollends angebrochen ist. Und du musst auch noch nicht flüstern." Er lenkte das Boot in die Mitte des Stroms und hielt es dort in Position auf der Stelle. Auf der anderen Seite des Flusses stieß sich ein bunter Vogel von einem Ast ab und flog mit einem hässlichen Krächzen über ihre Köpfe hinweg.
Obwohl bisher die Sonne noch nicht untergegangen war, konnte er die Anspannung der Männer spüren. Auf den Gesichtern von Cordell und Bijan floss der Schweiß nur so herab und tränkte ihre Kleidung und bei Ersterem konnte er den schwachen Geruch von Alkohol wahrnehmen. Schnabelmayer saß vorne mit dem Gewehr in der Hand im Boot und sein Flüstern verdeutlichte seine Anspannung. Sequoyah beabsichtigte nicht ihn noch nervöser zu machen indem er ihm verraten würde, dass Bijan und er selbst ihre Waffen nicht für die Jagd, sondern nur im Notfall einsetzen würden.
„Wenn die Fackel erst entzündet ist, müssen wir schweigen, damit die Tiere nicht misstrauisch werden. Sie sollen nur dieses Licht sehen, dass lautlos über den Fluss schwebt und vielleicht noch etwas näher herankommen. Vor allem sind sie dann aber von uns abgelenkt und Ignatz kann den Schuss setzen. Ziele aber gut. Wir können keine laute Schießerei gebrauchen und den ganzen Wald aufschrecken. Falls mir irgendetwas auffällt, ein Tier, ein Hindernis oder irgendetwas anderes, werde ich das Boot leicht schaukeln lassen. So in etwa." Sequoyah ließ das Boot einmal leicht schwanken. „Das ist mein Signal für aufpassen." Sequoyah lehnte sich etwas im Dingi zurück und überprüfte noch einmal seine geladene Muskete. „Das wäre alles von mir. Wir müssen jetzt nur noch auf die Dunkelheit warten."
Die Nacht brach schließlich so plötzlich herein, wie sie es jetzt schon im Dschungel gewöhnt waren und es herrschte absolute Dunkelheit um sie herum. „Hier fangen wir an. Wir werden die linke Flussseite nehmen, da wir dort näher ans Ufer kommen." Wie nahe würden seine Begleiter gleich sehen. Die Fackel leuchtete hell auf und blendete die Männer, als der Professor sie entzündete und vor dem Brett in ihre Halterung steckte. Das hinter ihr senkrecht stehende Brett funktionierte wie eine Blendlaterne und schirmte das Licht nach hinten ab. Die Jäger saßen im Dunkeln, bis die Fackel richtig brannte und ihre Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, während vor ihnen die Lichtstrahlen die Dunkelheit erhellten. „Ab jetzt kein Wort mehr, außer ich sage etwas anderes." Beschied Sequoyah, wendete das Dingi und ließ es dicht am linken Ufer flussabwärts treiben. Fast völlig lautlos bewegten sie sich voran, denn er hatte sich tagsüber die Strecke genau angesehen und brauchte so nur ab und zu das Paddel zu benutzen, um Hindernisse zu umschiffen. Nicht einmal das Fallen der Wassertropfen vom Paddel war dabei zu hören.
Langsam glitt das Ufer an ihnen vorüber, rückte Stück für Stück in ihren Lichtkreis und versank dann hinter ihrem Dingi wieder in der Dunkelheit. Im Geäst der Bäume und Büsche hüpften und tanzten die Schatten im Licht ihrer Fackel, raschelten die Blätter, vielleicht durch eine sanfte Brise, vielleicht aber auch durch irgendein Tier. Ab und zu hörte man Keckern, Schnauben oder Zischen aus den Tiefen des Waldes, aber Sequoyah erkannte, dass keiner der Geräuschverursacher auch nur irgendwie in Nähe des Flusses war. Dies konnte aber seinen Kameraden nicht sagen und so spürte er, wie die Anspannung anstieg und genauso schwer auf ihnen lag, wie die schwüle Luft.
Während sie langsam den Strom hinabtrieben, dachte Sequoyah an die Figur zurück die der Professor ihm gezeigt hatte. Ob und wo die Erschaffer von ihr wohl lebten? Seit dem letzten Dorf, das sie besucht hatten, waren mehrere Tage vergangen und sie hatten seitdem keine Menschenseele mehr gesehen. Das hieß aber nicht, dass sie selbst nicht gesehen worden waren. Das Schiff war langsam und seine Rauchfahne weit zu sehen. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie leicht es war aus der Deckung heraus so etwas Auffälliges zu beobachten ohne selbst erkannt zu werden. Er schüttelte den Kopf, wie um den Gedanken loszuwerden und konzentrierte sich wieder darauf das Dingi zu lenken. Sein Verstand spielte ihm Streiche. Niemand konnte ihnen mit ausreichender Geschwindigkeit durch das Dickicht des Waldes folgen und selbst, wenn er es schaffte, hätte er keine Zeit andere darüber zu benachrichtigen.
Gerade als er das Boot um eine flache Sandbank herum lenkte, hatte er das Gefühl etwas am Uferrand zu erspähen. Als er genauer hinschaute konnte er es sehen. Dort kauerte ein Tier und stillte seinen Durst am Fluss. Und was für ein Tier es war. Sequoyah schätzte, dass es vom Kopf bis zur Schwanzspitze gut und gerne über vier Meter lang war. Wie vereinbart ließ er das Boot leicht schaukeln, um die Anderen darauf aufmerksam zu machen. Vier Augen leuchteten in der Dunkelheit auf, als das Fackellicht sie erreichte und starrten neugierig in dessen Richtung. Das Raubtier, soviel konnte Sequoyah schon mal sagen, richtete sich mit einer ihm eigenen tödlichen Eleganz auf und schritt einen Schritt ins Wasser, um dem Licht näher zu kommen. Er hielt das Boot mit dem Paddel an Ort und Stelle, als er dies sah, um eine gewisse Distanz zu wahren. Im Licht der Fackel konnten sie alle nun den Räuber deutlich sehen. Sequoyah zweifelte keine Sekunde daran, dass dieses Tier wahrscheinlich so gut, wie keine Fressfeinde hatte und sie aufpassen mussten nicht in seinen Blick zu geraten. Unter dem gefleckten Fell des Raubtieres spannten sich Muskeln, wie Stahlseile und sein breites Maul war voller nadelspitzer Zähne. Cordell schienen die Nerven endgültig durchzugehen, als er sah, wie das Tier etwas in ihre Richtung kam und atmete scharf und laut aus. In der Stille der Nacht hörten das nicht nur die restlichen Männer im Boot, sondern auch das ihnen unbekannte Raubtier. Seine kleinen Ohren stellten sich auf und versuchten das Geräusch zu verorten. Zu ihrem Glück wurde es immer noch durch die Fackel geblendet und Sequoyah schaffte es durch sehr vorsichtiges Lenken ihr Boot ein bisschen weiter auf Distanz zu bringen. Im Nacken des Tieres stellten sich Stacheln auf und es antwortete mit einem tiefen herausfordernden Grollen auf den vermeintlichen Konkurrenten.
So langsam und lautlos, wie es möglich war zog Sequoyah das Paddel ein und griff nach seiner Muskete. Wenn sie jetzt nicht vorsichtig waren, würden sie vielleicht im Magen dieses Raubtieres landen. Er konnte nur hoffen, dass Ignatz absolut kaltblütig und richtig reagieren würde.

„Terra!“ Flüsterte der Professor, der sehr wohl wusste das jedes gesprochene Wort in dieser Situation fatal sein konnte. Die schiere Erregung über ihre Entdeckung machte es ihm jedoch unmöglich seine Zunge im Zaum zu halten. „Van Papers Dornenrücken. Man hat ihn 27 nach für verrückt erklärt, als er dieses Tier in seinem Reisebericht mit dem Expeditionsheer von General Innsen beschrieben hat. Er hat nur ein totes Exemplar gesehen und seine Zeichnungen wurden für Aufschneiderei gehalten. Unglaublich!“
Das Tier tauchte ein gutes Stückweit unter die Wasseroberfläche und nur seine Stacheln durchschnitten das spiegelglatte, nächtliche Nass.
„Seht doch, wie es den Körper bewegt.“ Tatsächlich war die Bewegung im Schein der Fackeln unter der Oberfläche gerade so zu erkennen.
„Wie bei den Crocodylia, ganz genauso und das bei einem Säuger!“
„Professor!“ Die sich selbst im Flüsterton überschlagende Stimme gehörte Cordell der einen Revolver in der Faust hielt und damit auf das tauchende Tier zielte. Die Waffe sah aus, als würde sie den Dornenrücken bei einem Treffer eher wütend machen als ernsthaft verletzen.
„Die Bestie kommt immer näher. Feuern sie das Gewehr ab.“ Ignatz blinzelte, als reiße man ihn aus einer Trance und griff die Waffe, die quer über seinem Schoss gelegen hatte. Er erhob sich, was das Boot ein wenig zum Schwanken brachte und Sequoyah zwang sich mehr um die Stabilität ihres Gefährtes zu kümmern, als seine Waffe auf die Kreatur zu richten. Durch seine Bemühungen gelang es Ignatz einen festen Stand zu finden. Er repetierte und drückte den Essar an die Schulter. Der Rückstoß würde brachial sein und so er nicht Acht gab, konnte er aus dem Boot geschleudert werden.
Kimme und Korn kamen in Einklang und suchten gemeinsam den Schemen im Wasser.
Da!
„Schießen Sie, um des Imperators Willen!“ Zischte Cordell mit äußerste Anspannung. Der Dornenrücken hob den Kopf aus dem Wasser. Das Licht der Fackeln wurde von den vier Augen eingefangen und reflektiert, ließen sie wie Miniaturmonde schimmern.
Die lange, spitze Zunge kam aus dem breiten Maul geschossen und wischte über die vier Augen, befreite sie von störendem Wasser.
„Ich kann nicht!“ Ließ der Professor zum Entsetzen der anderen verlautbaren.
„Eine Sünde ein solches Tier zu töten. Ich werde einer Legende nicht in den Kopf schießen.“
„Aber ich, verdammt noch mal! Sie bringen uns ja noch alle um.“
Der Matrose hob die Pistole.
„Lassen sie das Mann!“ Obwohl die gesamte Unterhaltung nach wie vor geflüstert geführt wurde, lag doch nun in der Stimme des für gewöhnlich durchgeistigten Mannes, der scharfe Befehlston des einstigen Kavalleriehauptmannes. Das genügte immerhin um Cordell zögern zu lassen. Das Raubtier tauchte wieder ab und schien sich entschieden zu haben die Sache ernsthaft anzugehen.
„Er ist unter dem Boot.“ Rief Bijan, der in seiner Furcht das Leisesprechen gleich ganz aufgab. Wie um die Richtigkeit seiner Feststellung zu untermauern, traf ein gewaltiger Schlag das Dingi und es bockte wie ein scheuendes Wildcarnack.
Aufregung im Boot.
„Mit der Ruhe. Er will nur testen ob wir schmecken. Es wird ablassen wenn es merkt das unser Gefährt nicht…“ In diesem Moment schoss der Dornenrücken aus dem Wasser und sein Kopf schien im Aufblitzen einer Sekunde nur aus Zähnen und noch mal Zähnen zu bestehen. Wie eine zuschnappende Bärenfalle schlossen sich die Kiefer um den Rand des Boots und man konnte Metall kreischen hören. Das Tier griff eine Beute oder einen Konkurrenten an. Das es sich um mehrere Lebewesen handelten, begriff es nicht.
Bijan schier und wich vor dem verbissenen Monstrum zurück. Cordell fiel der Länge nach hin und klatschte in das Wasser, dass bereits über den Seitenrand schwappte, den das Gewicht des Tieres herabdrückte. Ignatz setzte sich hart auf den Hosenboden, kippte von der Bank und schlug mit dem Hinterkopf auf den hinteren Rand des Bootes. Er sah Sterne und nur das um seine Beine stehende, kühle Wasser verhinderte wohl das er die Besinnung verlor.
Sequoyah derweil…


Ignatz reagierte nicht kaltblütig und besonders nicht richtig. Sequoyah hatte Verständnis dafür, dass der Professor vor Ehrfurcht vor dem Tier nicht gleich auf es schießen wollte. Ihm selbst war es auch schon so auf er Pirsch ergangen, aber es kam immer der Moment, wo man wieder zu sich finden und schießen musste. Pragmatismus hatte nun einmal Vorrang, auch für "Naturvölker" wie dem, dem Sequoyah entstammte.
Der Professor war aber nicht pragmatisch und ließ weitere wertvolle Momente verstreichen. Dann war das Tier weg und nur durch Bijans Ruf konnte er es wieder ausmachen. Es war natürlich zu spät um etwas zu machen und so mussten sie tatenlos den Angriff über sich ergehen lassen.
Die Rammattacke war schon schlimm genug gewesen und hatte ihn, wie die Anderen durchgeschüttelt. Der zweite Angriff übertraf das noch einmal. Für einen Moment sah er nur Zähne und in der Dunkelheit glänzende Augen, dann kam alles ins Rutschen. Sequoyah schaffte es im Gegensatz zu den Anderen gerade noch so seinen Stand durch einen seitlichen Ausfallschritt zu bewahren und stellte fest, dass er genau am Bootsrand stand und ein paar Zentimeter mehr ihn über Bord befördert hätten.
Er ließ Paddel und Muskete fallen und zog den panisch strampelnden Cordell wieder vollständig ins Boot zurück und schob ihn auf den Platz auf dem er selbst zuvor gesessen hatte.
„Wirf den Außenborder an und bring uns hier raus!" Schrie er ihn an und schüttelte den schockstarren Mann, ehe er Bijan zurief sich um den Professor zu kümmern. Mit seiner Muskete in der Hand und Cordells Revolver in den Stofflendenschurz geschoben, wendete er sich dem Dornenrücken zu. Sequoyah war sich irgendwie sicher, dass das Tier sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatte und ihn erkannte. Zumindest löste es seine Zähne vom Bootsrand und streckte seine Zunge in seine Richtung aus. Sequoyah ahnte, dass die Kreatur gerade versuchte ihn einzuordnen und er gedachte nicht ihr die Zeit dafür zu lassen. Die Muskete schnellte hoch und der Feuerstein traf auf das Zündkraut. Mit einem in der Nacht gefühlt ohrenbetäubend lautem Knall löste sich der Schuss und der Geruch verbranntem Schießpulverdampf waberte über dem Boot. Sequoyah hatte wie so oft aus Angewohnheit mit einem schlecht eingezogenen Kolben ohne viel zu zielen gefeuert, aber aus dieser Entfernung konnte der Schuss nicht daneben gehen.
Der Dornenrücken brüllte vor Schmerz und Überraschung laut auf, ließ vom Bootsrand ab und tauchte in die nassen Fluten ab, während Sequoyah versuchte mit dem Revolver zu treffen. Aber die Waffe lag zu ungewohnt in seinen Händen und das Tier war zu schnell verschwunden und so spritzte nur Wasser auf, wo die Kugeln daneben gingen.
Hinter sich konnte Sequoyah hören, wie Cordell den Motor anwarf und das Boot im Fluss wendete, um Richtung Dampfschiff zurück zu kommen. Gerade als er sich zu Schnabelmayer nach vorne begeben wollte, tauchte der Dornenrücken wieder auf. Zuerst sah er ihn gar nicht, weil nur die Dornen aus dem Wasser ragten, dann krachte das Tier wieder in das Boot, Metall ächzte und Sequoyah wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Dieses Mal konnte er sich nicht abfangen, sondern fiel der Länge nach hin und schlug sich die Lippe und Knie auf. Revolver und Muskete waren ihm entglitten und nur das Paddel, das er vorhin verwendet hatte, lag in Griffreichweite. Mühsam stand er wieder auf und hielt das Paddel abwehrbereit vor sich.
„Schießt es endlich ab oder werft ihm eine Leuchtfackel in den Rachen! Wir müssen das Vieh jetzt vertreiben oder wir sind alle tot!"
Die Angst vor so einem Schicksal war nicht nur an Sequoyahs Augen abzulesen, sondern auch daran, dass er das Tier als Vieh bezeichnete. Einen Ausdruck, den er sonst nie in den Mund nahm.
Mit zwei humpelnden Schritten war Sequyah an den, in den Bootsrand verbissenen, Dornenrücken herangetreten und zog ihm das Paddel mit voller Kraft über den Schädel. Der erwünschte Effekt blieb aber aus, und mit einem kräftigen Biss zertrümmerte das Tier das Paddel, um dann im Anschluss den Störenfried mit einem Prankenhieb niederzustrecken. Scharfer Schmerz zuckte durch Sequoyahs Brust und im nach hinten Fallen, konnte er einen Blick auf die stark blutenden Wunden auf seinem Oberkörper erhaschen, ehe er schwer gegen die Bootsumrandung fiel und sich vor Schmerzen zu krümmen begann.


Benommen richtete sich der Professor auf, schwankend und selbst mit dem Geschmack von Blut im Mund. Hatte er sich irgendwo den Kopf angeschlagen oder in der Aufregung schlicht auf die Zunge oder Innenseite der Backe gebissen? Schwanke das Boot so sehr oder er selber? Sequoyah am Boden, scheinbar verwundet.
Das Tier im Begriff ihre Nussschale zu versenken und sie alle ins Wasser und damit in sein todbringendes Refugium zu ziehen.
Ignatz repartierte das Gewehr, was eine unverbrauchte Patrone auswarf und in das Wasser platschen ließ, welches schon zu ihrem Füßen schwappte und zusehends das Boot füllte.
Er bemerkte nicht einmal, dass er seine Waffe zum zweiten Mal durchlud. Er legte an.
Der Schädel des Dornenrücken kam ihm groß wie der Platz der Helden in Gohmor vor und doch befürchtete er selbst auf diese kurze Entfernung zu verfehlen, so sehr schaukelte alles. Als er endlich einen leidlich festen Stand gefunden hatte, ließ das Tier vom Boot ab und tauchte unter.
„Er will uns wieder rammen!“ Stieß der Professor zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ließ die Verderben heißende Linie von Kimme und Korn über die schwarze Wasseroberfläche wandern. Im Boot herrschte Ruhe, doch nicht aus Erleichterung geboren, sondern aus bangem Abwarten und Unvermögen das vorzubereiten was kommen würde.
Sequoyah atmete schnell und flach, hatte die Hand auf die Brust gepresst und zwischen seinen Fingern tropfte Blut hervor, dass im Schein der einen Fackel, die nicht während des Angriffes erloschen war, schwarz wie Tinte aussah.
Aber die Linke war kraftvoll um den Bootsrand gekrallt und sein Blick ging wachsam und besorgt über das Wasser. Ein gutes Zeichen.
„Dort!“ Flüsterte eine belegte Stimme, die Ignatz keinem der Männer explizit zuordnen konnte. Sein Blick zuckte kurz zu der deutenden Hand und dann in die Richtung, in die sie wies.
In einiger Entfernung tauchte der Kopf des Stachelrücken auf. Von ihnen abgewandt, offenbar strebte er wieder dem Ufer zu. Für eine Sekunde war Ignatz nun doch versucht zu feuern, so sehr hatte sich jede Faser seines Körpers jetzt darauf eingestellt es zu tun.
Dann wandte das Tier den Kopf und sah zu ihnen zurück. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht und das breite, mit Zähnen gespickte Maul schien sie anzugrinsen. „Er verschwindet!“ Konstatierte er, ebenso überrascht wie erleichtert. „Es will uns täuschen.“ Blaffte Cordell, in dessen Stimme mehr Angst als Überzeugung mitschwang. „Er hätte uns erledigen können, wenn er gewollt hätte. Weder muss er uns täuschen, noch ist er dazu in der Lage. Es ist ein Raubtier.“
„Belehren sie mich nicht.“ Fuhr Cordell jetzt hoch. „Ihr Zögern hätte uns fast alle das Leben gekostet.“ Ignatz war bewusst, dass aus dem Mann die überstandene Todesangst sprach und schließlich hatte er ja auch nicht ganz unrecht. Dennoch sprudelte auch in seinem Blut das Adrenalin und wo er zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht Besonnenheit hätte walten lassen, gingen nun die Pferde mit ihm ebenso durch. „Mit Ruhm haben sie sich auch nicht eben bekleckert, Mann. Mit ihrem läppischen Revolver hätten sie es nur noch wütender gemacht.“
„Noch wütender? Sind sie noch bei Trost? Noch wütender ging doch wohl kaum. Ich sollte sie…“ Er sprang auf, brachte das Boot erneut zum Schaukeln. „Na was?“ Ignatz stand ihm breitbeinig gegenüber, die Hände so fest um das Gewehr geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Cordell war größer und stämmiger als Ignatz und wenn er ihn im Fall eines Falles auch nicht erschießen würde, so war er doch bereit ihm den Kolben des Gewehres über den sturen Schädel zu ziehen.
Am Ufer erkletterte der Stachelrücken die Böschung und schüttelte sich Wasser aus dem Fell. Was für eine Wunde ihn Sequoyahs Muskete auch beigebracht hatte, im Augenblick war nicht ersichtlich wo er getroffen hatte und wie stark die Verletzung war. Der Jäger schenkte der Beinahebeute noch einen langen Blick und verschwand dann im Dickicht.
Während sich Schnabelmayer und Cordell in ihren Streit steigerten besah sich Bijan den Verwundeten. „Es blutet stark, scheint aber nicht sehr tief zu sein. Du wirst ein paar beeindruckende Narben davontragen wenn du… hey bleib doch liegen.“ Aber Sequoyah dachte nicht daran. Er zog sich in eine sitzende Position, ächzte unter Schmerzen und blickte angespannt in die Nacht. „Er ist nicht wegen uns weg.“ Sprach er mit kratziger Stimme. „Nicht weil er das Interesse verloren hat und auch nicht weil ihn meine Kugel vertrieben hat. Er ist weg weil er vor etwas anderem Angst hat.“
Das immerhin unterbrach die Streiterei und sorgte dafür, dass sich die Männer unbehaglich anblickten. Unstimmigkeiten unter Lämmern interessierten den Metzger selten und sie taten besser daran damit nicht ihre Zeit und ihre Möglichkeiten zu verschwenden. Der Zank wurde stillschweigend auf später verlegt und in die Besatzung des geschundenen Bootes kam Bewegung. Man räumte dem Verwundeten den meisten Platz ein, während sich Cordell daran machte das eingedrungene Wasser mit seinem Hut über Bord zu schöpfen und Bijan sich des Motors befleißigte. Ignatz bezog Posten in der Spitze des Dingis und versuchte die Augen überall zugleich zu haben. Der Motor sprang hustend wieder an und das Boot begann sich Fluss aufwärts zu quälen.
Dieser Bewegung wohnte eine gewisse Sicherheit inne, dennoch fiel allen nun überdeutlich die vollkommene Stille auf, die noch immer um sie her herrschte.
Gewiss, ihr Kampf, das Schreien und Schießen, die pure Anwesenheit des Stachelrückens, all das mochte dafür gesorgt haben, dass der Urwald just an dieser Stelle den Atem anhielt. Doch gerade diese Stille schien zu schreien, dass der Mensch an diesem Ort nicht zu sein hatte. Der überbordenden Vitalität wohnte eine bösartige Bedrohung inne, die nicht hätte deutlicher hervortreten können, wenn die Kreaturen der Nacht die Luft mit ihren bizarren Stimmen gefüllt hätten.
Der Außenborder dröhnte unangenehm laut und auch wenn sie mit jedem gewonnenen Meter hätten mehr aufatmen können sollen, war das Gegenteil der Fall.
Etwas war dort.
Am Ufer, in den Bäumen, hielt mit ihnen Schritt und es war nicht der Stachelrücken. Weder konnten sie etwas sehen, noch hören und doch war es zu spüren. Das dies keine Einbildung war oder wenn doch dann eine, der sie alle unterlagen, zeigte sich daran, dass alle angestrengt auf das linksseitige Ufer starrten.
Einmal gingen Ignatz die Nerven durch und er feuerte in das Dickicht, überzeugt davon eine Bewegung gesehen zu haben. Das Donnern der großkalibrigen Waffe klingelte ihnen in den Ohren, dennoch konnten sie hören, wie die Kugel durch dicke Blätter schmetterte und Pflanzensaft verspritzte.
Doch weder hob sich damit die Anspannung, noch schien die Bedrohung zu verschwinden. Als sie eine Flussgabelung passierten und die Geschwindigkeit drosseln mussten, da sich hier treibende Äste und Baumstämme gesammelt hatten, glaubte Cordell das Geräusch eines ins Wasser fallenden Körpers gehört zu haben. Er hatte inzwischen den Revolver mit Kugeln aus seiner Hosentasche nachgeladen und umklammerte die Waffe verbissen, ohne dass sich ihm ein Ziel bot.
Es schlug zehn Minuten später zu! Das tat es so plötzlich und mit blitzartiger Schnelligkeit, dass weder die wieder aufgenommene Fahrt, noch die erhöhte Wachsamkeit der Männer etwas verhindern oder eine angemessene Reaktion herbeiführen konnten. Ignatz wirbelte herum, als er das Aufspritzen von Wasser hörte.
Hinterher hätte er nicht mehr sagen können was er gesehen hatte. In einer Fontäne aus Flusswasser war ein Durcheinander aus Extremitäten zu sehen. Ein bulliges Etwas, vielleicht von menschenähnlicher Gestalt, vielleicht nicht. Es ging alles viel zu schnell. Groß war es und dennoch ließ es die geschmeidige Agilität des Stachelrückens wie einen schwangeren Zuchtgrox aussehen.
Den Herzschlag, den es brauchte um sich aus dem Wasser zu katapultieren hatte Ignatz eine grässliche Assoziation zu dem unheiligen Fetisch, den er Sequoyah gezeigt hatte, auch wenn bestenfalls die unnatürliche Anzahl von Armen, Klauen oder was immer es war, diesen Eindruck erzeugt haben dürfte. Das Ding erreichte den Scheitelpunkt seines Sprungs, packte Bijan in einer Umarmung und war verschwunden, ehe das Wasser noch die Insassen des Bootes durchnässen konnte. Der Unglückliche hatte nicht einmal die Zeit zu schreien. Das Ungeheuer war bereits abgetaucht als Cordell ins Wasser feuerte und Ignatz es ihm nach kurzen Zögern nachtat. Sicher bestand die Gefahr Bijan zu treffen, aber niemand musste aussprechen was alle dachten. Eine verirrte Kugel war gewiss die gnädigere Alternative. Doch weder tauchte das Untier wieder auf, noch ein Opfer. Beide waren vom Fluss wie verschluckt.
Nach ein paar Minuten begannen Nachtvögel, Insekten und anderes, lichtscheues Getier wieder ihr Konzert anzustimmen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete sich Sequoyah auf seine Muskete stützend auf. Der Professor und Cordell standen am Bootsrand und feuerten wild ins Wasser. Bijan war fort, von diesem Wesen gepackt und in die feuchten Tiefen des Flusses verschleppt. Sequoyah hatte es nur für den Bruchteil von ein oder zwei Sekunden gesehen, bevor es verschwunden war. Seine Arme oder Klauen und die tödliche Eleganz die es an den Tag gelegt hatte. Und eine Intelligenz, die ihn beunruhigte, da sie ihm nicht sehr tierisch vorkam. „Hört auf zu schießen. Es macht keinen Sinn mehr. Bijan ist tot." Nachdenklich starrte er zu Stelle, wo das Wesen abgetaucht war und schwieg für einige Momente.
Dann wandte er sich an seine beiden Begleiter, die angespannte Blicke zwischen einander, ihrem dritten Begleiter und dem Fluss wechselten. „Wie kannst du eigentlich so ruhig sein!" Ereiferte sich Cordell, dem das pure Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. „Bijan wurde gerade von diesem Monster getötet und auf nimmer wiedersehen vom Wasser verschluckt und du regst dich nicht auf? Zeigst keine Angst? Was bist du für ein Mann?" „Ich habe Angst und bin besorgt. Aber das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich diesen Gefühlen hinzugeben." Dann wandte Sequoyah sich an den Professor. „Hörst du es Ignatz? Der Wald lärmt wieder. Es ist vorbei. Wir werden nicht noch einmal angegriffen. Zumindest diese Nacht."
Langsam näherte er sich dem Rand es Bootes und starrte auf die schwarze Wasserfläche. „Wir sollten uns jetzt von Bijan verabschieden."
Mit diesen Worten zog sich Sequoyah die Klinge seines Messers über den linken Handteller und ließ das im Fackellicht schwarz glänzende Blut von seiner zur Faust geballten Hand ins Wasser tropfen. Schweigend hielt er Ignatz das Messer hin und wartete ab, wie seine Kameraden verfuhren ohne ihr Verhalten zu kommentieren. Anschließend nahm er es wieder entgegen und verstaute es, entnahm eine Handvoll Tabak aus seinem Beutel und streute diesen ebenso in den Fluss, verharrte dann schweigend für einige Augenblicke. „Bijan mag tot sein, aber seine Seele wird uns als Schatten begleiten. Wir müssen sie respektieren und ihrer gedenken. So lange wir uns an Bijan erinnern, wird sie auf dieser Welt bleiben können. Aber..." und Sequyahs Finger hob sich warnend, als er seine Begleiter ernst anblickte „...aber wir müssen alle seine Besitztümer verbrennen. Wir haben kein Anrecht auf sie und er selbst braucht sie noch." Cordell schaute ihn entgeistert an und wandte sich besorgt an den Professor. „Was für einen heidnischen Unsinn redet der Mann da? Bijan ist vor dem goldenen Thron des Gottkaisers und empfängt gerade seinen Richtspruch! Bringen sie ihrem Begleiter Respekt vor den Toten bei und lassen ihn nicht so freveln." Als Sequoyah ihn wegen dieser Aussagen mit ernster Miene ansah, schlug der Matrose das Zeichen des Aquila vor seiner Brust und zog sich Richtung Motor zurück. „Ich... ich versuche uns mal hier rauszubringen. Nicht das das Vieh vielleicht noch mal kommt. Auf die Worte ihres Freundes gebe ich da zu unserer Sicherheit lieber nichts."
Stotternd sprang der Motor wieder an und das Boot quälte sich so schnell es ging flussaufwärts. Cordell warf während der Fahrt alle paar Sekunden einen Blick über seine Schulter zurück und umklammerte mit weiß hervortretenden Fingerknöcheln seinen wiedergeladenen Revolver. Der Schrecken saß ihm immer noch in den Knochen und er würde sich wahrscheinlich erst wieder halbwegs sicher fühlen, wenn er auf dem Dampfschiff war. Sequoyah hatte darauf bestanden an der Spitze des Dingis zu sitzen, da er am besten in der Dunkelheit sehen konnte, was etwas vorgeschoben klang, da sie auch mit "nachtblinderen" Ausgucken bisher ganz gut durch die Nacht gekommen waren. Auch Ignatz Hinweise, dass er sich der Verletzung wegen schonen sollte, lehnte er mit einer brüsken Handbewegung ab. So saß er nun, mit der wieder geladenen Muskete quer über den Beinen, in der Spitze des Dingis und ließ seinen Blick über beide Seiten des Ufers schweifen.
„Du hast es wiedererkannt nicht Ignatz? Das Ding aus dem Fluss." Die dunklen Augen musterten den Professor nachdenklich. „Ich kann sehen, dass dich der Gedanke daran beunruhigt. Die Vorstellung, dass der Fetisch vielleicht echter ist, als du dachtest. Vielleicht aber auch nicht. Wir haben es ja nur für den Bruchteil eines Augenblicks gesehen. War es ein bösartiger Geist oder vielleicht doch nur ein Tier? Ein unnatürlich schlaues, wie dir vielleicht aufgefallen ist. Die lange Strecke die es uns verfolgt hat, obwohl es doch deutlich leichter zu erlegende Beute hier im Wald gegeben hätte. Der Angriff aus dem Hinterhalt oder, dass es uns sowohl an Land, wie im Wasser mühelos verfolgen konnte. Es ist glaube ich ins Wasser gewechselt, als wir die Flussgabelung passiert haben und wir langsamer werden mussten. Und es konnte im Gegensatz zu dem Dornenrücken eindeutig zwischen uns und dem Boot unterscheiden. Ich glaube nicht, dass es ein Tier war. Zu schlau, zu geduldig, zu planend... Es muss ein Geist oder Dämon gewesen sein." Fragend schaute Sequoyah den Professor an. „Oder was denkst du dazu?"
Dann schwieg er und ließ dem Professor Zeit, um seine Gedanken zu sammeln und ihm zu antworten. Erst rund zwanzig Minuten später sprach er wieder.
„Ich rieche Rauch. Wir sollten bald den Dampfer erreichen."

Ignatz nahm das Messer nicht an, um sich dem Ritual der Ehrbekundung anzuschließen. Gedankenverloren reichte er es an Cordell weiter, der ein Gesicht machte als hätte er eine tote Ratte übergeben bekommen.
Ignatz fühlte sich ausgebrannt und müde, jetzt wo Adrenalin und Todesangst seinen Körper nicht mehr aufputschten. Selbst auf die engstirnige Sichtweise auf die Glaubensbekundungen seines Kameraden konnte er nicht mit der gewohnten Eloquenz reagieren.
„Andere Welten, andere Sitten.“ Kommentierte er lustlos. „Ein jeder ehrt den Gottkaiser wie es ihm schicklich erscheint. Konzentrieren sie sich jetzt auf das Steuern und lassen sie uns alles Weitere bei Tageslicht, einem TangKahve und möglichst vielen Waffen um uns her bereden.
Sie können ihre Kritik und ihre Eindrücke dem Kapitän schildern, genauso wie ich.“
„Das werde ich auch!“ Knurrte Cordell und beugte sich damit brütend über die Steuerstange des Motors.
Ignatz war derweil seinerseits in sich gekehrt. Es hatte einen Toten gegeben unter seinem Kommando. Hätte er sich von Sequoyah doch nur nie zu diesem Abenteuer überreden lassen. Dann würde der unglückliche Bijan noch unter den Lebenden weilen. Das Forscherglück einen leibhaftigen Stachelrücken gesehen zu haben kam ihm in Vergleich zu diesem Verlust schal und bedeutungslos vor.
Zumal, so wurde ihm in diesem Moment klar, ihm ohnehin niemand glauben würde, so er von seiner Sichtung berichtete. Seine Erzählung würde sich in die Riege der Kryptozoologie einreihen und der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die Zeugenaussage eines knurrigen Flussschiffers und eines halbwilden Fremdweltlers würden daran auch nichts ändern. Bijan war ganz und gar umsonst gestorben.
„Geist oder Dämon… So ein Unsinn!“ Er reagierte brüsker auf die Erklärungsversuche seines Freundes als beabsichtigt. Hieß es nicht das getroffene Hunde bellen würden?
Er zwang sich zur Ruhe und legte sein eigenes Gewehr ebenfalls über die Knie, in Imitation seines Gegenübers. So konnte Sequoyah den rückwärtigen Bereich ausspähen, währen er nach vorn hin Ausschau hielt. Selbst wenn ihr unheimlicher Angreifer verschwunden war, barg der Dschungel auch so noch genügend Gefahren um ihnen den Gar auszumachen.
„Nein, nein es war ein Wesen aus Fleisch und Blut, dass Bijan geholt hat. Wir haben genügend Lärm gemacht, dass jeder Jäger im Umkreis von vier Kilometern auf uns aufmerksam werden konnte. Das uns letztlich einer gefunden und verfolgte, der selbst den Stachelrücken einschüchtern konnte, war gleichsam vorhersehbar wie tragisch. Was es war weiß ich nicht? Aber es war ein Tier, da bin ich ganz sicher. Wenn auch ein ausnehmend intelligentes, das will ich eingestehen.
Geister müssen nicht warten bis ein Boot langsamer wird um sich im richtigen Moment ins Wasser fallen zu lassen.
Auch der Fetisch erklärt sich durch einen logischen Schluss. Wenn dieses Tier und seine Artgenossen die Wälder durchstreifen, so tun sie dies nicht erst seit gestern. Da es offenkundig nicht davor zurückschreckt Menschen als Beute anzusehen ist es nachvollziehbar, dass die Einheimischen eine natürliche Angst vor der Kreatur entwickelt haben. Angst die in Verehrung oder den Versuch Abwehrzauber zu nutzen umgeschlagen ist. Wenn die Statuette Ähnlichkeiten mit dem Wesen aufweist… wobei ich mir nicht sicher bin. Ich habe es kaum gesehen. Aber wenn das der Fall ist, dann könnte die Figur doch zur Abwehr des vermeintlichen Monsters gedient haben. Immer davon ausgehend, dass die Figur überhaupt etwas mit dem Angreifer zutun hat und uns hier nicht Zufall und überreizte Nerven einen makabren Streich spielen. Er bemerkte, dass er dabei war zu dozieren und schwieg, die Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung richten.
Dieses Schweigen wurde erst unterbrochen als Sequoyah bemerkte, er rieche Rauch. Ignatz konnte nichts dergleichen feststellen. Er roch nur das Wasser, den schweren Duft der Vegetation und den Schmauch an seinen Händen und in seiner Kleidung. Dennoch zweifelte er nicht an den Fähigkeiten des anderen. Wenn der Dampfer sich an die Anweisungen hielt, würden sie spätestens bei Sonnenaufgang aufgeschlossen haben. Das Sequoyah jetzt schon den Rauch riechen konnte musste nicht so viel bedeuten. Derartige Gerüche konnten weit tragen während des Schweigens der Welt, wo die Luft so unbewegt war, dass sich etwa der Rauch einer Zigarette ewig in der Luft zu halten schien. Auch war es denkbar, dass das Schiff in Luftlinie sehr nah zu ihnen lag, während die Windungen des Flusses die Entfernung um Kilometer erhöhten. Tatsächlich erreichten sie ihr Ziel nicht schnell, sondern kamen sogar nur zäh voran. Die Strömung des Orogangwa war stark und der Motor hatte sein Tun.
So sehr sich der Professor auch dagegen wehrte, das Erlebte, die Monotonie und das sanfte Schaukeln forderten ihren Tribut und ein ums andere Mal fielen ihm die Augen zu. Er straffte sich und versuchte alles um sich wach zu halten. Er studierte die Zahnabdrücke in der Bootswand und versuchte daraus die ungefähre Körperlänge des Tieres zu berechnen und diese dann mit seinen Beobachtungen in Einklang zu bringen. Er schöpfte Flusswasser und benetzte sich das Gesicht.
All das half vorübergehend. Trotzdem musste ihm der Kopf auf die Brust gesunken sein, denn als er hochschreckte stahl sich bereits das Grau der Morgendämmerung durch die Wipfel und auf dem Wasser kräuselte sich ein feiner Nebel.
Er rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger und reckte den verspannten Hals. Gerade wollte er sich bei seinen Begleitern erkundigen wie lange er eingenickt war und warum ihn niemand geweckt hatte, als ihm auffiel, dass sowohl Sequoyah, als auch Cordell stocksteif auf ihren Plätzen saßen und auf einen Punkt am Ufer starrten.
Cordell stand der Mund offen, als hätte er eine Erscheinung des Heiligen Septinanus, während Sequoyah die Augen zusammenkniff, als wie um zu versuchen etwas in der Ferne auszumachen.
„Unmöglich!“
Flüsterte der Matrose und als Ignatz Augen zu dem Punkt wanderten, den beide anstarrten, war er geneigt ihm zuzustimmen.
Am linksseitigen Ufer lief Bijan!
Er hatte Mühe sich durch das Unterholz zu kämpfen, stolperte immer wieder und musste sich an den Luftwurzeln der Bäume festhalten. Seine Kleidung war noch klitschnass, klebte an seinem Körper und das lange schwarze Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht.
Ignatz Gehirn kam auf Touren. Der erste Gedanke, dass er vielleicht noch träumte, die Schrecken der letzten Nacht verarbeitete, erwies sich als falsch. Sein zweiter Gedanke ging in Richtung der Wahnwürmer, die ihre Opfer in eine Art wandelnde Irre verwandelten. Doch selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte die Bestie, die Bijan der Gruppe entrissen hatte, doch wohl irgendwelche Verletzungen hinterlassen müssen, bevor der Parasit sich eingenistet hätte. Ganz zu schweigen davon, dass er niemals zu Fuß die Strecke hätte zurücklegen können, die sie mit dem Boot bewältigt hatten.
Keine Wunden.
Der Mann wirkte blass und irgendwie benommen, dass ja. Fast wie ein Schlafwandler bahnte er sich einen Weg durch das Gestrüpp, stolperte und rappelte sich wie trunken wieder auf. Es gab nur eine Erklärung und Ignatz sprach sie aus, ohne zu bemerken, dass er das Gedachte laut äußerte.
„Die Kreatur muss ihn wieder freigelassen haben.“

Auch wenn er es vor Ignatz nie zugeben würde, so hatte die Müdigkeit und Erschöpfung auch Sequoyah, während der Nacht fast überwältigt. Mehrmals war er für einige Momente eingenickt und wieder hochgeschreckt. Nur Cordell schien durchzuhalten, auch wenn das Sequoyah von seiner Position in der Spitze des Bootes nicht sicher sagen konnte.
Die Nacht endete so plötzlich, wie der vorherige Tag geendet hatte. Innerhalb weniger Minuten ging die Sonne auf und vertrieb die Dunkelheit. Durch den feinen Nebel konnten sie endlich wieder ihre komplette Umgebung wahrnehmen und waren nicht mehr auf das dürftige Licht der Fackeln und Taschenlampen angewiesen. Angesichts der Schrecken der letzten Nacht eine pure Wohltat für alle Bootsinsassen. Nur Ignatz schien es nicht mitzubekommen, war doch sein Kopf nach vorne gefallen und die Anspannung zum Teil aus seinem schlafenden Körper gewichen. Sequoyah machte sich nicht die Mühe ihn aufzuwecken und ließ ihn ruhen. Der Professor würde froh sein, wenn er dem Kapitän nicht übernächtigt, sondern ausgeschlafen gegenübertreten und sich für den Tod von Bijan rechtfertigen würde.
Langsam ließ Sequoyah seinen Blick über beide Ufer gleiten, wo alles ruhig war. Noch ruhig war um genau zu sein. Denn in weniger als einer Stunde würden sich die Geschöpfe des Waldes wieder in voller Lautstärke bemerkbar machen. Gerade als er sich nach einer Trinkflasche beugen wollte, bemerkte er aus dem Augenwinkel am Ufer eine Bewegung. Erst vermutete er ein Tier, doch das konnte es nicht sein, schließlich lief es auf zwei Beinen, wie ein Mensch. Ja, ein Mensch und nicht irgendeiner. Er kniff die Augen zusammen, um die Gestalt genauer zu betrachten und hörte Cordell scharf ausatmen.
„Unmöglich!"
Ja, das war es. Anders war es nicht erklärbar, dass Bijan ein Stück weit vor ihnen am linken Flussufer entlangeilte. Er war noch völlig durchnässt, als wäre er eben erst aus dem Wasser gekrochen und hetzte scheinbar blindlings vorwärts.
Hinter sich hörte Sequoyah den Professor sprechen, der auch aufgewacht war.
„Die Kreatur muss ihn wieder freigelassen haben."
„Unmöglich," entgegnete Sequoyah. „Es gibt keinen Grund warum sie so etwas tun sollte. Es muss eine Falle sein. Sie will uns in ihre Nähe locken oder ablenken. Ich sagte doch, dass es ein Geist gewesen sein muss. Und das da vorne ist nicht Bijan. Der Geist hat seine Gestalt angenommen und will uns täuschen. Das macht ihn noch um einiges gefährlicher, als ich dachte. Wir sollten nicht auf seine Tricks hereinfallen. Haltet Abstand Cordell und fahrt weiter. Auf solche primitiven Tricks werden wir nicht hereinfallen."
Die beiden anderen Männer starrten ihn nur entgeistert an.
„Bist du wahnsinnig?" Zischte der Bootsführer „Das da vorne ist eindeutig Bijan und nicht irgendein Hokuspokus an den du vielleicht glauben magst. Ich habe mir den Schwachsinn schon lang genug anhören müssen und werde nicht deinem Aberglauben zuliebe einen Kameraden im Stich lassen!"
Mit diesen Worten lenkte er das Boot in Richtung Ufer und schaute nach einer passenden Anlegestelle.
„Ich verstehe deine Sorgen, aber hier besteht eine reale Chance unseren Begleiter wieder zu retten. Und diese Gelegenheit sollten wir beim Schopfe packen, finde ich." Versuchte der Professor Sequoyah zu besänftigen.
Langsam brachte Cordell sie näher ans Ufer, hielt aber einen gewissen Sicherheitsabstand. Einerseits traute auch er der wundersamen Wiederkehr von Bijan nicht richtig und wenn sie schon in die Falle tappten, würde wenigstens nur Sequoyah dran glauben müssen. Außerdem mochten sich im Flachwasser Hindernisse befinden auf denen sich das Dingi festsetzen konnte.
Sequoyah bedeutete dem Seemann nicht weiter heranzufahren, überreichte Ignatz seine Muskete und sprang in das trübe Wasser. Hier war es noch etwas mehr als hüfttief und er musste sich gegen die Strömung in den Schlamm stemmen, um nicht abgetrieben zu werden. Entlang der Luftwurzeln der Bäume zog er sich langsam in Richtung Ufer und erkletterte sie um das Wasser so schnell wie möglich zu verlassen. Man wusste schließlich nie was in den Fluten lauern mochte. Dann hangelte er sich so geschickt es ging in Richtung Ufer und nahm, das Messer in der rechten Hand, die Verfolgung auf. Wobei von einer Verfolgung eigentlich nicht die Rede sein konnte. Bijan hetzte zwar so schnell es ging voran, war aber eindeutig an seiner Belastungsgrenze angekommen, taumelte eher als das er lief und war mehrmals kurz davor hinzufallen. Sequoyah hingegen verringerte mit federnden Schritten spielend die Distanz, setzte ohne abzubremsen über Hindernisse hinweg, packte den völlig durchnässten Mann, riss ihn zu Boden und setzte ihm das Messer an die Kehle. Für ein paar quälend lange Sekunden wartete er darauf, dass sich Bijan als der Gestaltwandler entpuppte, den Sequoah in ihm sah. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen glotzte ihn der Überwältigte verwirrt an, als ob er gerade erst aufgewacht wäre.
„Was soll das Sequoyah? Warum hältst du mir dein Messer an den Hals? Und was machen wir hier am Ufer?"
Der so Angesprochene reagierte in keinerlei Weise auf die Fragen, schaute sich stattdessen misstrauisch um und zog ihn schließlich auf die Beine.
„Wir haben keine Zeit. Müssen sofort weg." Mit diesen Worten packte Sequoyah Bijan und schliff ihn Richtung Fluss zum Boot. Zusammen mit Ignatz gelang es ihm den noch immer Verwirrten aus dem Wasser ins Boot zu hieven und sich selbst hineinzuziehen, ehe Cordell sie wieder in Richtung Flussmitte steuerte und Fahrt aufnahm. Die Versorgung von Bijan überließ er zum Großteil dem Professor, wie auch die Fragen die auf den Geretteten einprasselten. Nur vereinzelt mischte Sequoyah sich kurz ein, bat Bijan einzelne Dinge zu wiederholen oder stellte ihm selbst ein paar kurze Fragen, bei denen es meist um dessen Sinneseindrücke ging, seitdem er im Wald aufgewacht war, oder wie er sich an seinen Angreifer erinnerte. Ansonsten sagte er aber nicht viel, da seiner Meinung nach nur ein Schamane ihnen wirklich dabei behilflich sein würde, die vergangene Nacht und Bijans Zustand zu verstehen.
Erst knappe zwei Stunden später erhob er wieder seine Stimme für eine kurze Ansage.
„Ich rieche Rauch. Das Schiff ist nahe."

„Und genau so hat es sich zugetragen Kapitän. Für mich ist das Ganze ebenso verwunderlich und rätselhaft wie für sie. Ich kann nur sagen, dass Bijan keine körperlichen Schäden davongetragen hat, die über ein paar Kratzer und blaue Flecken hinausgehen. Er leidet unter Verwirrung und wie mir scheint einer umfassenden Amnesie. Aber davon abgesehen geht es ihm blendend.“ Die kleine Kajüte, war gleichsam Brücke, Kartenraum und Schlafplatz für Kapitän Smollert. Mit den vier anwesenden Männern verwandelte sie sich in etwas, dass kaum größer war als eine Besenkammer und in dem gefühlte fünfzig Grad herrschen mussten. Dabei war es so schwül, dass jedem die Kleidung am Leib klebte und das Haar als verschwitztes Wirrwarr am Schädel.
Smollert hatte sich die Berichte aller drei Männer schweigend angehört. Bijan zu befragen brachte derzeit wenig. Er antwortete zwar mit knappen Sätzen, schien aber sehr abwesend zu sein. Darüber hinaus verwies er nur auf seinen Gedächtnisschwund. Der Kapitän hatte angeordnet, dass er sich ausruhen sollte und genau das tat er jetzt.
Ihre Nasen hatten sie diesmal nicht getäuscht. Nachdem Sequoyah Rauch gerochen hatte waren sie nach weniger als einer halben Stunde in Sicht des Flussdampfers gekommen, der sich schnaubend gegen die Strömung schleppte. Man hatte ihnen zugerufen und gewunken und manch derber Scherz über die Beute, die wohl so groß gewesen war, dass man sie hatte zurücklassen müssen, war durch den tierischen Spott des Dschungels geklungen. Die Späße der groben Besatzung verklangen jedoch, als ihr lädiertes Boot nah genug heran war, dass man von Deck einen Blick darauf und auf seine Insassen werfen konnte.
Wasser im Rumpf, frische Beulen und Kratzer, obendrein die gestanzten Zahnreihen einer augenscheinlichen monströsen Bestie.
Die Männer sahen derweil nicht viel weniger lädiert aus. Der Wilde verwundet, Bijan einem Gespenst ähnlicher als einem Lebenden und die anderen beiden von Erschöpfung und nackter Furcht für den Augenblick um gute zehn Jahre gealtert.

„Das hört jetzt auf.“ grollte der Kapitän und stürzte den verbleibenden Inhalt des Flachmannes herunter, dem er während des gesamten Gespräches immer wieder zugesprochen hatte. „Diese Risiken und Tollheiten dulde ich keine Sekunde länger.“
„Es ist meine Expedition.“ Erhob der Professor halbherzigen Einwand. Doch eigentlich war er wesentlich zu erschöpft um eine Diskussion zu führen, deren Ausgang ohnehin feststand. Hinzu kam, dass der Kapitän sich einen kapitalen kleinen Rausch angetrunken hatte und mit ihm in diesem Zustand noch weniger zu reden war als ohnehin schon.
„Und es ist mein Schiff!“ Fuhr er Ignatz über den Mund. „Sie bringen mit ihren Eskapaden meine Männer in Gefahr und ihre Bezahlung dafür deckt das in keinster Weise ab. Dieses Mal ist es glimpflich abgegangen, wobei wir nicht wissen was Bijan für Langzeitschäden davongetragen hat. Sie sind schließlich trotz allem kein Mediziner.“ Ignatz erhob sich und ignorierte den Gesichtsausdruck der Genugtuung auf Cordells Zügen.
„Darüber wird noch zu reden sein Kapitän. Allerdings werde ich das tun, wenn sie nüchtern und ich ausgeschlafen bin.“
„Ich habe in dieser Sache alles gesagt mein Herr.
Zeichnen sie ihre Pflanzen und fangen sie von mir aus Vögel und Fische. Aber gewöhnen sie es sich ab alle Monster des Urwaldes aufzuscheuchen.“
Gefolgt von seinem Kameraden verließ Ignatz die Kajüte und rannte fast mit den Männern zusammen, die wie durch Zufall alle in unmittelbarer Hörweite der Brücke zutun gehabt hatten. Das einzige Zeichen bezüglich seines Gemütszustandes geschah in Form der Tür, die so laut ins Schloss krachte, dass die verdreckte Glasscheibe darin klirrte.
Sie stiegen die schmale Leiter hinunter zum Deck und organisierten sich in der Kombüse jeweils eine Schale des Mittagessens. Chemisch gereinigtes Wasser und eine Art Eintopf, der aus einer Vielzahl einstiger Flussbewohner bestand. Der Smutje passte so sehr zu dem Kahn wie alles andere.
Sie verzogen sich unter das Blechdach am Heck, wo auch ihre Schlafgelegenheiten lockten. Erst vergewisserte er sich, dass sich niemand an seiner Kiste zu schaffen gemacht hatte, dann ließ Ignatz sich seufzend mit dem Rücken daran niedersinken. Skeptisch stocherte der Professor in dem Eintopf herum, dann besiegte der Hunger seine kulinarischen Vorbehalte.
„Das Ganze wird langsam unschön mein Freund.“ Bemerkte er zwischen zwei Bissen, bedacht darauf, dass keine Neugierigen in unmittelbarer Nähe waren. „Der Kapitän will uns loswerden, soviel steht fest. Es gibt wohl Gerüchte, dass es im Norden Krieg gibt. Es ist mir ein Rätsel woher irgendjemand auf diesem Schiff so etwas wissen könnte, wo wir doch keinen Kontakt zur Zivilisation haben. Aber ich habe den Eindruck der Kapitän glaubt Ähnliches.
Dann wird er sein Schiff in Sicherheit bringen wollen und jeden Vorwand nutzen um umzukehren. Etwas, was ich keineswegs zutun gedenke.
Die Frage ist also, wenn es zu dem kommen sollte, was ich hier skizziere. Wie sollten wir deiner Meinung nach verfahren?“

Bis hierher wurde geschrieben

Ignatz ist ein Char von Kogan sein Begleiter ist Sequoyah
 
Simone Tober ist unsere Reporterin für die unangenehmen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Aufträge, die der Dienst am gut informierten Leser fordert. Treue Anhänger unseres Blattes werden sie von früheren Berichten aus Krisengebieten, rund um den Globus, her kennen. Einmal mehr ist sie nun unterwegs um von dort zu berichten, wo sich andere Reporter nicht hin wagen. Dieses mal schließt sie sich in ihrer losen Serie „Fronttagebuch“ der Zehnten Infanteriekompanie an und begleitet sie auf einem ihrer Einsätze.


Fronttagebuch


Die Zehnte stieg vom Himmel herab wie die urtümlichen Heidengötter die von den Wilden des Waldes noch immer verehrt werden.
Nur waren von den Vertretern dieses Volkes keine niederknienden Massen anwesend, um die vermeidlich Himmelsgeborenen zu begrüßen.
Denn diese sind der Feind und lauern im Dschungel uns zu massakrieren, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet.
Weit sind wir geflogen, um einen Ort zu erreichen der uns Makropolbewohner nicht nur mit Krankheit und Tod bedroht, sondern auch mit seiner bodenlosen Fremdartigkeit. Alles hier scheint abweisend, von der starren Mauer aus Pflanzen, die jedes Landen zu verhindern trachten, über die Tierwelt, welche uns mit Stachel, Gift und Klauen erwartet, bis zu den Einheimischen, für die wir fremde Aggressoren darstellen.
Noch sind die Soldaten angehalten sich nicht mit der Gefahr der Waldvölker zu befassen, ja sie kaum höher einzuschätzen als die blutsaugenden Insekten des Urwalds. Denn die Priorität liegt in der Errichtung eines Stützpunktes, hier im Herzen des grünen Meeres. Eine Festung wehrhafter Stärke sollen sie etablieren, die als Basis im Feindesland dient, von der aus Operationen gegen die Einheimischen durchgeführt werden sollen.
Das Imperium will sich die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen und nachdem es festen Stand gefunden hat, seinerseits den Kampf zum Gegner tragen.
Der erste Feind, nämlich die abweisende Natur, wird noch aus der Luft bekämpft.
In die dampfende Gewächshaushitze des Dschungels bringen die Kinder des Fortschrittes Schnee. Einen zerstörerischen Schnee, der von den Leibern der Transportflieger rieselt und alles in der auserkorenen Landezone in vermeintlicher Winterpracht bedeckt.
Aus der geöffneten Seitentür der Valkyrie, vorbei an dem Mann der den schweren Bolter achtsam auf den Dschungel richtet, sehe ich wie der Wald erzittert, als schüttle er sich in Fieberkrämpfen. Begleitet wird dieses Phänomen von etwas, dass ich nur als einen Schmerzensschrei bezeichnen kann. Ein langgezogenes Schrillen und Zischen welches selbst die Turbinen der Flieger übertönt. Später erkläre man mir, dass dieses Geräusch eine Begleiterscheinung jenes Auflösungsprozesses war, der die biologischen Komponenten unter uns auffraß und das alle Luft und alle Säfte, die in den Pflanzen gespeichert waren, auf diese Weise hörbar entwichen.
Bäume, Sträucher, Farne, bis hin zum unscheinbarsten Grashalm und Moos, werden des Halts in sich selbst beraubt. Die Pflanzen krümmen sich, Blätter rollen sich ein, werden spröde und grau. Die ersten Urwaldriesen kippten. Doch nicht das Krachen stürzender Tonnen war zu hören, sondern lediglich ein unnatürliches Flüstern, wie von Pergamentrollen, welche durcheinander stürzt. Leere und allen Lebens beraubte Hüllen zerstieben zu nichts mehr als zu einem flüchtigen Staub und grauer Asche.
Auch wenn man die Effizienz dieser Methode anerkennen muss und staunend begreift über welche Möglichkeiten unsere Armee gebietet ist der Anblick doch surreal und erschreckend.
Geschuldet ist dieses radikale Ausmerzen bis auf Wurzelebene der Substanz “Weiß-Eins“. Vom einfachen Soldaten jedoch entweder als „Veganertod“ oder schlicht als „Unkrautex“ bezeichnet.
Ich als Zivilist verlasse als letzter den Flieger, der sich zu scheuen scheint den toten Boden länger als unbedingt nötig zu berühren. Die traurigen Überreste der Pflanzen zerbröseln unter meinen Stiefeln und werden vom künstlichen Orkan der Turbinen davongewirbelt.
Unsere Soldaten sichern bereits gegen unsichtbare Gegner. Der Moment der Anlandung ist besonders kritisch für ein derartiges Luftlandemanöver und stellt für einen Feind die beste Möglichkeit dar Schaden anzurichten. Das solche Versuche nicht unternommen werden kann man als gutes Zeichen deuten, dass kein unmittelbarer Angriff bevorsteht. Doch keiner der Soldaten gibt sich falschen Hoffnungen hin. Hier draußen kann „noch nicht passiert“ nur als „aufgeschoben und schlimmer als erwartet“ angenommen werden. Das zumindest scheint unausgesprochene Tatsache zu sein.
Hastig wird alles ausgeladen oder besser abgeworfen, was in den Bäuchen der Lander verwahrt wurde. Als die Flieger dann wieder in Richtung Zivilisation entschwinden, komme ich mir sehr verloren vor und das obwohl ich von einer großen Menge anderer Menschen umgeben bin. Diese scheinen jedoch nur einfach mit mir verloren zu sein.
Derweil bleibt wenig Zeit für solche melancholischen Anwandlungen. Ich beschränke mich darauf zu beobachten und nach Möglichkeit nicht im Weg zu stehen, während eine Maschinerie geölter Effizienz anläuft und beginnt die abgestorbenen zwei Hügel, auf denen wir abgesetzt wurden, in eine Festung zu verwandeln.
Den Grundtenor bestimmen zwei Kettenraupen, die planieren und erste, grobe Rillen in den Boden reißen. Schwitzende Männer und Frauen mit Spaten springen hinter diesen herbei, zerren Wurzen aus der Erde und machen aus den Wunden im Erdreich begehbare Gräben, verschalt mit Flaggbrettern und Holzbolen. Letztere stammen aus dem Wald, jenseits eines schlammig gelben Flusslaufes, der XianHo genannt wird. Dort singen, von Gewehren beschützt, die Kettensägen und fallen die Bäume. In Gohmor wäre jedes dieser Hölzer ein kleines Vermögen wert. Hier werden sie zu Laufbrettern und Stützpfeilern herabgewürdigt.
Ein nur dem Anschein nach sinnloses Geflecht aus Gräben, Aushöhlungen, vorgeschobenen Posten und Stellungen entsteht. Am höchsten Punkt drohen drei bullige Feldgeschütze jedem, der es wagt aus dem Dschungel zu treten. Unterkünfte und Kommandostände sind tief in den Boden gegraben und halten Beschuss von Waffen stand, die der Feind aus dem Dschungel nach großer Wahrscheinlichkeit und allgemeiner Hoffnung nicht hat. Über den Strom spannt sich schon nach wenigen Stunden ein erster, notdürftiger Steg, der bald einer Brücke weicht, die sogar Fahrzeuge bedenkenlos überqueren können. Gemeinsam mit den Pionieren schuften hier die Soldaten aus Horning. Diese verstehen sich auf den Umgang mit dem, für Gohmorer ungewohnten Material Holz. Der Umgang zwischen Horningern und Gohmorern, den einstigen Feinden ist derweil verhalten respektvoll. Die gemeinsame Situation erlaubt den Luxus einer Fehde nicht.
Hinzu kommt ein verbindender Faktor in Gestalt von Katherine Esemah, die sie hier Mamsell, Schwester oder gar Mutter nennen. Sie ist nicht nur parse eine entschlossene Frau, sondern darüber hinaus auch eine Priesterin des sogenannten Primarchenkultes. Diese, auf Koron nicht eben verbreitete Verehrung der Imperatorssöhne hat sich in der Zehnten etabliert, nachdem der eigentliche Prediger der Einheit durch Krankheit in die Heimat zurück gezwungen wurde. Mutter Esemah füllte die entstandene Lücke aus. Vom heiligen Septinanus und dem Goldenen Thron zu Terra spricht sie in ihren Andachten und Messen genauso, wie von ihrer eigentlichen Passion, dem Wort und mehr noch dem Wirken der Primarchen. Nicht wenige Soldaten finden Geborgenheit im Schatten jener Sprösslinge des Gottkaisers, die auf sein Geheiß hin das Imperium schmiedeten. Kein vergeistigt abgehobener Kleriker ist sie, sondern nah bei ihrer Herde. Nach der Morgenandacht findet man sie in den Gräben, wo sie Wasser, Ermunterung und derbe Späße gleichsam auszuteilen versteht. In dieser Stimmung der Kameradschaft, ermüdender Arbeit und er subtilen Bedrohung durch das was außerhalb des Sicherungsbereiches lauern mag, vergehen die ersten Tage. Man kann den Eindruck eines großen Abenteuers gewinnen, bis uns alle die Realität der Situation einholt.

Eine Gruppe Fernspäher, die weit in den unerschlossenen Dschungel zwecks Aufklärung vordringen ist seit Tagen überfällig. Der hoffende Verweis, dass dies bei diesen Soldaten aufgrund der Natur ihrer Aufgabe nicht unüblich ist, zerschlägt sich bald.
Hinter der Baumgrenze, jenseits des XinHo werden ihre Leichen entdeckt. Man hat ihnen Schreckliches angetan und ich gehe aus Pietätsgründen nicht näher auf die Details ein als unbedingt nötig. Es sei nur soviel angedeutet, dass ihre Leiber in blasphemischer Weise entweiht wurden. So jedenfalls wird gemunkelt unter den Soldaten. Mir wurde es von oberster Kompanieleitung verboten mit jenen zu sprechen, die die Toten fanden.
Ich ahne jedoch dass es sich um ein böses Omen handelt, eine Initialzündung für einen Angriff und ich soll recht behalten.

Sie kamen mit dem Nebel, der in der Nacht vom Fluss und Wald her zu unserer Stellung heraufkroch. Wachen und Bereitschaft waren verstärkt wurden doch der Dunst war dem Feind ein guter Verbündeter. Die schweren Waffen in den sogenannten Sternstellungen, die wie die Spitzen eines Sternes aus der eigentlichen Anlage herausragten um möglichst wenig tote Winkel zu erlauben, waren ohne Sicht zur Untätigkeit verdammt. Phantomen gleich überwanden sie das vorgelagerte Niemandsland, robbten unter Stacheldraht hindurch und umgingen geschickt die ausgelegten Minenfelder. Dann drangen sie in die Gräben ein und wollten lautlos über unsere tapferen Soldaten herfallen. Doch so sie auch alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben schienen, hatten sie kaum mit der stoischen Entschlossenheit und unverrückbaren Pflichttreuer der PVS gerechnet.
Ja einige der unseren wurden feige gemeuchelt, ja die unteren Gräben wurden überlaufen wie von Ungeziefer. Dann jedoch brach sich die Welle am Fels der Waffenbruderschaft aus Gohmor und Horning.
Eine Feuerwand, koordiniert und befehligt vom ikonischen Kommissar Erik Altmann mähte die anstürmende Meute nieder, die dachte sie könnte den zweiten Graben genauso leicht einnehmen wie den ersten, nachdem die Soldaten geordnet ausgewichen waren. Diese Wilden waren mit kurzen Wurf- und Nahkampfspeeren ausgerüstet, die nur gefährlich waren, wenn sie im Handgemenge eingesetzt wurden oder ein Wurf durch grausiges Schicksal eine ungeschützte Stelle in der Protektionsausrüstung unserer Soldaten fand. Dem Beschuss der PVS- Gewehre hatten sie nichts entgegenzusetzen und im blutigen Kampf auf engsten Raum wurden sie vertrieben.
Nicht nur eine erste Bewährungsprobe auf diesem ungewohnten Feld der Ehre, sondern gleichsam eine Heldenstunde, in der alle über die Grenzen bloßer Pflichterfüllung hinaus wuchsen.
Etwa Gefreiter Simon, der über einem verwundeten Kameraden stand und diesen mit einem Bajonett und einem erbeuteten Wurfspeer verteidigte, nachdem sein Munition verschossen war.
Oder Obergefreiter Kruger, der die relativer Sicherheit des zweiten Grabens verließ und sich durch den Nebel in den, von Gegnern verseuchten unteren Graben wagte, wo er erst eine verwundete Kameradin rette, um dann noch einmal loszuziehen und einen schweren Bolter zu bergen, der sonst vielleicht in Feindeshand gefallen wäre.
Die Horninger, zum Moment des Angriffes auf jener Seite der Hügel, die nur Attacken mit ablenkendem Charakter zu erdulden hatten, eilten den Bedrängten zur Hilfe und stießen in die Flanke des Feindes, sahen sich aber bald umringt und fochten Rücken an Rücken gegen eine Flut aus Wilden und nahmen so den Druck aus dem Hauptangriff. Gerade genug, dass die Offiziere der Kompanie und Kommissar Altmann den Gegenangriff anführen konnten. Neben dem kalten Willen für die gefallenen Kameraden Vergeltung zu üben, erfüllten die Reihen voranstürmender Soldaten ein göttlicher Glanz, denn mir viele nach überstandener Schlacht als den Flügelschlag Sanguinius beschrieben, denn sie als Streiter an ihrer Seite wussten. Mutter Katherine, inzwischen war man dazu übergegangen sie vertraulich beim Vornamen zu rufen, lächelte nur wissend, als ich sie auf diese Wahrnehmung hin befragte. Der Gegenangriff auf die unteren Gräben brach den Kampfesmut der Waldbewohner, als auf Kettenschwertlänge und Bajonettweite die verlorenen Stellungen zurückgewonnen wurden. Die Höhe dieses Kampfes war danach überschritten und auch wenn die PVS mit der Auflösung des Nebels als Sieger aus dieser Blutnacht hervorging, waren die Kämpfe noch nicht beendet. Erst als die angeforderte und lang ersehnte Luftunterstützung eintraf wurden die letzten Scharmützel und Gefechte am Waldrand und um die Brücke beendet. Die Gefangenen dieses Angriffes schienen ohne den Mantel der Nacht weit weniger furchteinflössend als während des Kampfes. Junge Burschen, sechzehn höchstens zwanzig Jahre mochten sie durchlebt haben. Natürlich ließ man mich von der Presse nicht bei den Verhören dabei sein, schließlich galt es Fragen nach Ketzerei und militärisch zu wissenden Sachverhalten mit den gebotenen Mitteln zu erörtern.
So viel erfuhr ich, dass sich diese jungen Männer selber Salzkrieger nennen. Sie ritzen sich die Haut und schmieren große Brocken Salz hinein, was wulstige Narben erzeugt und so Mannbarkeit und Mut anzeigt.

Eine Nacht und ein halber Tag ununterbrochener Kämpfe liegt hinter uns allen. Noch werden Tote und Verwundete auf beiden Seiten gezählt und erst nach und nach wird die Erschöpfung der Trauer und dem Stolz um jene platz machen, die in diesem fernen Land für die Sache Gohmors und damit des Imperiums gefallen sind. Blick ich von dem Manuskript zu diesem Artikel auf, so sehe ich das Banner der Zehnten im schwülen Wind wehen und die Gewissheit das Sieg und Stärke auf der richtigen Seite verortet sind erfüllt mich mit ehrfürchtigen Schauern.


Simone Tober


Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.

Anmerkung der Redaktion