STORY I
(15.12.2023)
„Wieder kein Glück!“, schallte es über das spiegelglatte Wasser in der morgendlichen Bucht Farnmoors. Es war Chlodwig, der junge Fischer, der zuvor seine letzte leere Reuse gemustert hatte und trübsinnig zurück zum Ufer ruderte. „Das sind keine guten Nachrichten, Chlodwig!“, rief Reimund vom Anleger. Er wusste, dass dies nicht nur für die Feste galt. Nein, es waren auch alles andere als gute Nachrichten für ihn persönlich. Warum nur? Hatte er nicht genug gegeben für diesen Flecken Ödland? Warum nur schien sie Sigmars Segen verlassen zu haben? Unweigerlich musste er bei diesen Gedanken auch an Lethis denken – die große Festung der Stormcasts, keine vier Tagesreisen gen Westen. Sie war nach dem großen Exorzismus der Aelf verstärkt worden und stand seither ungebrochen im Norden Shyishs, wie ein Leuchtfeuer der Hoffnung in ewiger Finsternis. Als die Macht der Toten einst geschwächt worden war, konnte fast der ganze Kontinent eine friedliche Zeit durchleben. Doch diese Zeit schien Reimund bereits so lange vergangen, dass ihm die Vorstellungskraft dafür fehlte. Heute wussten sie nicht einmal, wie sie sich selbst versorgen sollten. Und Lethis wollte auch versorgt werden…
Er litt nur noch Hunger. Sie litten nur noch Hunger. Ganz Farnmoor litt. Und eben das war sein Problem. Nicht sein Hunger, sondern der der Feste. Er wusste, dass ER nun sein „großes“ Ritual unweigerlich ausführen würde. ER, das war Afrik. Der Magier der Feste. Einst ausgebildet im Umgang mit Feuer und Schwarzpulver, hatte er schon lange mithilfe von Kräutern, Kröten, Ratten und allerhand Getier Versuche unternommen, das trostlose Land fruchtbarer zu machen. Immer kruder und verdrehter wurden seine Zauber, indem er stets größere Opfer darbot… Opfergaben, das klang für Reimund so richtig, wie unbewaffnet einem Oger das Essen streitig zu machen. Er war sich sicher, wüssten die Magier anderer Reiche von diesen Experimenten, so wäre Afrik schon lange zum Teufel gejagt worden. Nur leider verirrte sich niemals ein solcher Magier in ihre Feste.
Vermutlich hätte er sich wie in allen anderen Friedenszeiten nicht groß um diesen Scharlatan geschert, wären da nicht dessen Lehrlinge. Seine einzige Tochter, Mildred, zählte nämlich dazu. Er konnte sich einfach nicht erklären, woher sie die Begabung für Magie hatte. Doch als eines Tages zwei Stahlhelme mit angesengten Rüstungen und in Begleitung Afriks in seiner Tür standen, hatte er keine Wahl. Mildred hatte damals offenbar mit nur einem Schwefelfrosch und heimlich aufgeschnappten Spruchfetzen einen kleinen Feuertornado auf dem Paradeplatz entfacht. Es war klar: Seine rechte Hand als Sühne oder eine Chance auf Bildung, Weisheit, vielleicht sogar Macht für seinen bis dato wertlosen Sprössling. Der Zauberer war ohnehin eine Art Vorgesetzter für ihn. Was hätte er tun können, als dieser sein Kind einforderte? Das hatte er sich seit jenem Tag stets gesagt. Nun war er schon das siebte Jahr alleine im Haus. Seine Frau war bereits vier Jahre zuvor in den Wäldern von Styxx verschollen, und seitdem hatte er mit dem Kind alleine seine Mühen. „So lange liegt die gute Zeit mindestens zurück“, dachte Reimund unweigerlich, schüttelte sich aus seinen Gedanken und blickte zu Chlodwig, der gerade das kleine Boot vertäute. Bis auf diesen Fischerjungen hatte Reimund auch sonst keinen Gefährten oder sonderlich viele Freunde und er wollte die kurzen Momente in Gesellschaft nicht einfach so verstreichen lassen.
„Wenn Afriks Ritual diesmal klappt, haben wir morgen bestimmt mehr Glück“, sagte Chlodwig mit einem müden Lächeln. „Glaubst du wirklich noch an die Zauberkünste des Kräuterhexers?“, entgegnete Raimund. „Ach komm, alter Mann, du müsstest doch dabei gewesen sein, als er vor 18 Jahren die tausend Wiedergänger alleine verbrannt hat! Ohne ihn wäre keiner von uns mehr hier. Auch wenn es die letzten Male nicht geklappt hat, kann er es doch nochmal probieren, oder hast du eine bessere Idee?“ Bei diesen Worten musste Reimund schlucken. Da hatte Chlodwig recht, er war auch mehr als ratlos. Trotzig entgegnete er: „Ich habe zwar keine andere Idee, aber wohin soll diese Opferei und das Gematsche mit Dreck denn führen? Und ja, ich war dabei und ja, das war wirklich eine große Leistung von ihm. Aber das ist jetzt so lange her, wie du alt bist! Ich bin auch nicht mehr so frisch wie damals. Und außerdem musste er damals was kaputt machen, heute muss man etwas heil machen. Und das war schon kaputt, bevor du und ich und wir alle hierhergekommen sind!“ Unmerklich wurde er beim Sprechen immer lauter und erregter. „Komm runter, Reimund, bist heute ja mal wieder richtig angenehme Gesellschaft! Deiner Tochter geht’s schon gut, der wird nichts passieren. Vielleicht kann sie diesmal ja helfen? Dann klappt‘s bestimmt!“ Zwinkernd sprang Chlodwig an ihm vorbei, stieg die Treppe zum Tor empor und schob noch frech hinterher: „Und dann ist deine Zunge hoffentlich weniger scharf als deine Klinge!“. Reimund blickte dem Jungspund betrübt nach und legte die Stirn in Falten. Eigentlich hoffte er ja auch, dass Chlodwig am Ende recht haben würde und das unbehagliche Gefühl in der Magengegend tatsächlich nur von diesem schrecklichen, anhaltenden Hunger kam.