Gibt mal wieder einen kleinen Happen von mir (selbst außerhalb des Wettbewerbs 😛) trotzdem könnte sich das ein oder andere Leitthema eingeschlichen haben 😉 Ich wünsche jedenfalls beste Unterhaltung und freue mich über eure Kommentare.
Der weite Weg
[FONT=Calibri, sans-serif]Die Herrin in ihrer Güte möge mir beistehen.[/FONT] In unbeugsamem Trotz durchdringen schneedeckenbrechende Hufe das grimmige Grollen des Sturms. Seine eisigen Lanzen bohren sich tief ins Unterzeug, durchbrechen die Haut, fahren mir bis ins Mark. Schauder um Schauder jagt von den Zehen bis hinauf ins Genick, lässt mich zucken und zittern. Mit steifgefrorenen Fingern ziehe ich die schneestarre Kapuze im Genick zurecht. Stoßweise ergießt sich feuchte Wärme aus meinen Lippen, umspült das Kinn und zieht sich hektisch in meine Nasenhöhlen zurück. Verzweifelte Ausfälle eines von Kälte belagerten Körpers. Wankendes Bollwerk, Knochenfundament, Ringwälle aus Fett und Fleisch, sehnerne Wehrgänge, verstärkt im jahrelangen Streben nach Perfektion. Eherner Geist in gestähltem Corpus. Aus den porenen Schießscharten zischen die Bolzen des heißen Lebens. Kraaa. Unter den wiegenden Wipfeln der Tannen müssen sie sitzen. Selbst den schwarzgefiederten Gesandten des Todes bleibt nichts weiter zu tun, als dem Treiben der Natur ihren gerechten Zorn entgegen zu krakeelen. Blitzenden Auges harren sie aufgeplusterten Leibes.
Bleigraue Wolkengeschwüre vollführen ihr altvorderes Manöver. Wildkrippen? Vielleicht ein Jagdhaus? Wirtsstube? Der süßschwere Geschmack bretonischen Gewürzweins quecksilbert mir bei diesem Gedanken über der Zunge. Tileanischer Zimt, über Holzkohle gebratene Äpfel. Zu lange reite ich schon durch diese Ödnis. Zu lange bin ich schon auf der Suche. Baum auf Baum defiliert an mir vorbei, ihre Äste biegen sich unter einer handhohen Schneeschicht. Mitten durch ihre Reihen schlängelt sich die schmale Bresche. Was einst ein Weg gewesen, ist nun jungfräulich weiß.
Oouuuu. Schon seit Stunden lauern sie, geheftet an meine Verse. Wolfsbrut, elendige. Treue bis ins Grab? Wir werden sehen. Gereizt wirft mein kraftvoller Rappe seinen Kopf in die Höhe, sein Wiehern und Schnauben ist Herausforderung. Hinter der Fassade bebt meine Seele. Verborgen unter dem Zwerchfell, es kribbelt in meiner Magengegend. Hinterrücks hat sich innere Unruhe in mein Herz geschlichen. Aufgewühlt? Beschleicht mich erneut ein Zweifel? Von innen heraus? Ich bin ein Ritter der Herrin. Wie soll jemals Zweifel mich zum Ziel führen? Ist das die Prüfung? Oder wütende Ohnmacht?
Es nagt in mich hinein. Mir zur Beruhigung tätschle ich mit starren Fingern den Hals des Pferdes. Dampfwolken schießen aus seinen Nüstern. Der Sturm ebbt ab. Sein Heulen wird heiser. Mit scharfen Krallen hat die tiefblaue Nacht die Wolkendecke aufgerissen. Einmal Blut geleckt dringt sie in die feindlichen Reihen, drängt die wabernde Masse zurück. Ich trinke die Stille Luft, eiskalt strömt sie meinen Rachen hinab, die Lungen blähen sich. Ich atme aus. Die Quest ist die Suche nach sich selbst. Das Selbst ist die Quelle heiliger Stärke, das Reine und Ewige. Es ist befleckt von menschlichen Makeln, die abgestriffen werden müssen, wie ein altbackenes Kleid. Erst vollkommene Reinheit ermöglicht die Verschmelzung mit dem göttlichen Geist, das Ende und den Neubeginn.
Noch hänge ich meinen Gedanken nach, da entdecke ich es. Wenige hundert Meter entfernt qualmen dichte Rauchsäulen den Sternen entgegen. Ich straffe die Zügel. Witternd tänzelt der Rappe. Aufgeregt pocht mein Herz gegen die Rippen. Ein Überfall? Ist das die Prüfung? Nur mutig voran! Nicht zweifeln, jetzt nicht. Hart stoße ich die Sporen in die Flanken des Hengstes. Zornig bäumt er sich auf, wiehert in die frostige Nacht, durchstößt sie wild mit den Vorderbeinen. Dann prescht er los. In mir glimmt die Glut der Hoffnung. Vergessen ist die eisige Kälte, vergessen sind Zweifel und Ängste. Inbrünstige Leidenschaft hat Ross und Reiter ergriffen. Mens sana in corpore sano. Der Hengst prescht voran. Seine Hufe trommeln die ritterliche Schlachtenhymne, dumpf und bedrohlich. Gefrorene Erdbrocken und Schneebatzen werden von seinen mächtigen Hufen in die Luft geschleudert und die ehemals kunstvoll bestickte Schabracke flattert um seine schlohweißen Fesseln. Ich ziehe das Schwert. Krampfhaft umklammern meine Finger die schimmernde Klinge. Aufgeregte Stimmen streifen mein Ohr. Schnalzend treibe ich mein Pferd weiter an. Heya! Hopp! Um eine Kurve herum, der Wald wird lichter. Wir galoppieren über verschneite Weiden. Da sehe ich grauhölzerne Hütten hinter eine verschneite Schanze geduckt und unter weißen Hauben. Holzbrandgeruch liegt in der Luft. Nun höre ich sie klar. Gellende Schreie. Funkenflug und Flammenschimmer im Herz der Siedlung. Eile, schneller, im Namen der Herrin!
Zwischen meinen Schenkeln spüre ich die Muskeln des Rappen. Wahrlich ein prächtiges Geschöpf! Er wirft die Hufe vor sich stößt sich unerbittlich voran an einem Gatter vorbei Fußspuren im Schnee Matsch Bellende Hunde vorbei an den ersten Hütten dem Feuer entgegen den Stimmen entgegen Wagen Gäule wir stürmen voran der Feind muss ganz nah sein nur noch die Hütte Holzstöße und dann plötzlich öffnet sich zwischen zwei aufragenden Ställen ein weiter Platz Flammen Scheiterhaufen Hitzewand Bratengeschmack in der Luft Menschen. Ich reiße am Zügel. Der Rappe rammt die Hufe ins Erdreich, er schlittert ein wenig, dann kommt er zum Stehen – Stille. Nur das prasseln des Feuers.
Dutzende Augen starren mich an, aus rotbackigen Gesichtern. Bucklige, Drallige, Männer wie Weiber, manche mit gehörnten Masken, gehüllt in Pelze. Schreckverzerrt. Langsam lasse ich mein Schwert zurück in die Scheide gleiten. Ich sacke ein wenig in mir zusammen, dann schwinge ich mich aus dem Sattel. Meine Knie geben ein Wenig nach. Mein Ross schnaubt vor Enttäuschung laut auf. Ich streichle seinen Kopf. Einer nach dem anderen scheinen sich die Dorfleute wieder zu fassen. Doch niemand will mehr um das Feuer tanzen. Ich krame einen kleinen goldenen Kelch unter meinem Wappenrock hervor. Zwischen meinen Fingern halte ich ihn, wende ihn, verharre noch kurz, dann stopfe ich ihn samt der Kordel, an der er befestigt ist, wieder zurück. Ich seufze, dann führe ich den Rappen am Zaumzeug zur Schenke. In meinem Rücken tuscheln die Bauern. Die Geister austreiben?! Abergläubisches Pack!
Anmerkung: kursive Schrift hat 'innere Monologe' des Protagonisten dargestellt. Die Passage ohne Satzzeichen ist bewusst so gehalten, um eine gewisse Dynamik zu erzeugen.