40k Equilibrium (letztes Update: Februar 2021)

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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Hallo, ihr Lieben,







Man sollte niemals nie sagen. Vor allem nicht, wenn Colonel Ekko seine Finger im Spiel hat.



So kommt es also … ein neues Abenteuer steht bevor.



Eigentlich hatte ich mich entschieden, nicht mehr in Universum vom 40k zu schreiben.



Aber irgendwie … kam es dann doch anders.



Wer Colonel Ekko noch nicht kennt, dem möchte ich Stargazer ans Herz legen.



Allen anderen wünsche ich gute Unterhaltung bei …







Equilibrium





Eine Fan-Geschichte aus dem Warhammer 40.000-Universum





Prolog



Gespenstische Stille wandelte durch die große Bibliothek, folgte den langsam vorrückenden Schatten, die sich ganz allmählich im einst lichtüberfluteten Gemäuer festsetzten.
Längst schon hatte die Sonne den Zenit ihrer Tagesbahn überschritten, sank rasch dem Horizont entgegen. Der größte Teil ihres Lichtes war bereits verloschen.
Einige wenige Strahlen gelangten noch in die hinter den Buntglasfenstern liegenden Hallen des ekklesiarchischen Baus, doch ihre Helligkeit reichte längst nicht mehr aus, die Düsternis zu vertreiben.
Die Überreste von in verstaubten Haltern steckenden Kerzen flackerten traurig vor sich hin, vollkommen überfordert von der ihnen anvertrauten Aufgabe.
Einst hatte dieses Zentrum des Wissens Tausenden Rat und Rückzugsmöglichkeit geboten. Ein Quell imperialer Chroniken und Manifeste, verteilt auf Dutzende von Ebenen, säuberlich sortiert von Lexicaten und Servitoren.
Doch diese Zeiten gehörten ebenso der Vergangenheit an wie die leisen, jedoch festen Schritten der alten Schwester des Ordo Dialogis, die als Hüterin der Bibliothek für den Erhalt der imperialen Schriften und Erlasse verantwortlich gewesen war.
Ihr Tod, vollkommen vergessen und verlassen von der Welt, lag Jahre zurück – bereits zu einer Zeit, als das Leben den mächtigen Hallen der großen Bibliothek längst den Rücken gekehrt hatte.
Mit ihr starben die letzten verbliebenen Erkenntnisse um die Geheimnisse dieses faszinierenden und zugleich unheimlichen Orts, an dem sich die Geschichte von hunderten Jahren stetiger Entwicklung versammelt hatte, um am Ende einfach zu verdorren.
Sie marschierten festen Ganges in die Arme des Vergessens, ließen sich von ihm umgarnen und verschwanden letztlich in den Tiefen der Zeit.
Niemand bemerkte den Verlust – und niemanden kümmerte es.
Man überließ die große Bibliothek sich selbst. Immerhin gab es wichtigere Dinge, welche die Sphäre des menschlichen Lebens beschäftigten.
Es gab keinen Frieden im 41. Jahrtausend. Dort herrschte lediglich Krieg.
Allerdings galt das nicht für jedes der Milliarden Individuen, aus denen sich das große Imperium der Menschheit zusammensetzte.
Die einsamen Schritte, die eilig und zielstrebig, aber ohne Hast durch das verwaiste Gemäuer hallten, zeugten davon.
Schwaches Leuchten quälte sich zwischen den gewaltigen Säulen hindurch, auf denen das Gewicht der ausladenden Dachkonstruktion lastete, erkämpfte sich flackernd seinen Weg durch den in der Luft stehenden Staub. Eine bereits halb abgebrannte Fackeln, müde von Jahren des Wartens, nun endlich entzündet und vom Wissen um die Tatsache beseelt, dass man ihrer bedurfte, erschien zwischen den fein behauenen Steinen, getragen von einer unter Schichten einfacher Kleidung verborgenen Gestalt.
Es war eine seltsame Figur, die dort schritt. Eine lange, bereits zum Teil verschlissene Robe bedeckte ihren Körper, und ihr Kopf wurde von einer bis tief ins Gesicht reichenden Kapuze geschützt.
Ihre linke Hand umfasste die Fackel, während die Rechte eine alte und aufgebrauchte Tragetasche hielt, aus der das halb-hohle Klirren gläserner Utensilien ertönte.
»Nicht vergessen«, murmelte die Gestalt, mehr zu sich selbst denn an die Außenwelt gewandt. Und dennoch: Im vollkommen leeren Raum der großen Lesehalle echoten die Worte als unverständliches Gemurmel umher, versuchten sich an den verstaubten Regalen und halbzerfallenen Zeugnissen des menschlichen Seins festzuhalten.
»Ich darf nicht …«, brachte die Person noch hervor, dann brach ihre krächzende, im Ansatz männliche Stimme ab, von dem fast verzweifelten Versuch gebrochen, die Kontrolle über den wankelmütigen Geist zu behalten. Lediglich das Schlurfen der schweren Stiefel auf dem steinernen Boden hallte ruhelos von den umgebenden Wänden wieder.
Jahre des endlosen Rezitierens längst vergangener Geschichten und das Erleben und Wiedererleben unsäglicher Grausamkeiten hatten die Seele des Mannes zerfressen; sie mit derselben Brutalität aufgerissen, mit der sich ein Kettenschwert durch eine Holztür arbeitet. Das dahinterliegende Sein des Mannes war inzwischen vollkommen zerfleddert und nur noch schwerlich fokussierbar. Den größten Teil der Zeit schwankte es irgendwo zwischen quälender Agonie und seelischem Wahn.
Wer das Leben eines Chronisten führte, der entschied sich für die Einsamkeit. Daran gab es keinen Zweifel.
Nicht nur ob ihrer Aufgabe, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie die Welt stets mit den Augen eines Außenseiters betrachteten, eines zufällig vorrübergehenden Besuchers, gelangten nur die wenigsten Chronisten in den Genuss, irgendwann einmal mehr aus ihrem Leben zu machen als den Zeitablauf einer Reise. Nie endend, stets auf der Suche nach all jenen Hintergründen, aus denen sich die Aktion und Reaktion der Dinge zusammensetzte. Der Grund, aus dem die Zeit existierte.
Es gab nur eine Sache, für die ein Chronist wirklich lebte; den Anlass, aus dem er den weiten Weg in das Herz des Vergessens auf sich genommen hatte.
Noch eine Geschichte, die in seinem Kopf herumspukte.
Ein Abenteuer, vielleicht nicht so aufregend wie die Geschichten der großen Krieger und Feldherren, aber dennoch ebenso untrennbar verbunden mit dem Schicksal des Imperiums wie jede andere Tat, die in Seinem Namen ausgeführt worden war.
Nicht, dass es einen anderen Grund dafür gegeben hätte, sie in das gewaltige Gesamtwerk der imperialen Historie einzufügen.
Niemand würde sich für sie interessieren. Niemand sie lesen.
In der schieren Unendlichkeit zwischen Trilliarden von Seiten, Datensätzen und Schriften würde sie verschluckt werden wie ein einzelner Hilferuf vom Vakuum des Weltalls.
Nie, hatten sie ihm gesagt, würde dieses Werk das Licht der Galaxie erblicken.
Es bestand aus Wissen, das man gemeinhin als verboten ansehen konnte. Aus Realitäten und Fantasien, vermengt zu einem großen Sud aus Erinnerungen, Träumen und Wünschen.
Eine Geschichte, die un-imperialer nicht sein konnte. Wo Helden keine waren, sondern große Herren und Damen plötzlich den niedersten Instinkten des gemeinen, ungebildeten Pöbels erlagen. Wo das Durcheinander zur Methode wurde und Wahnsinn und Sturheit so lange miteinander rangen, bis sie durch das Schaufenster der Offensichtlichkeit brachen und sich im Dreck der Straße wälzten.
Und doch: allein schon das Factum ihrer Existenz reichte, dass diese Geschichte es wert wurde, von ihr zu erzählen.
Wortlos stieg der einsame Chronist die geborstenen Steinstufen zur großen Empore des Administraten hinauf, jenem Platz, von dem aus sich der ausladende Lesesaal gut überblicken ließ.
Hinter einem großen, von Staub und Splittern bedeckten Konstrukt aus Schreibflächen und längst erloschenen Holoprojektoren thronte ein zerborstener Sessel, dessen Überreste das Fundament für eine alte, wackelige Sitzgelegenheit bildeten – mehr ein Hocker denn ein Stuhl.
Einst hatten fein behauene Statuen über den Platz gewacht, ihn aus finsteren, leblosen Augen beobachtet. Nun allerdings lagen die Überreste ihrer furchteinflößenden Schädel als kaum noch zu identifizierende Brocken im Umfeld der Empore verstreut auf dem Boden.
Reine Wut hatte sie zerschlagen, ihnen jegliche Persönlichkeit geraubt. Niemand würde ihrer gedenken, geschweige denn zu rekonstruieren, was sie einst dargestellt hatten.
Auch der Chronist musste mit einer gewissen melancholischen Traurigkeit erkennen, dass es ihm nicht gelang, das Bild der riesigen Statuen in seinem Kopf nachzuzeichnen, obwohl es ihm ein Leichtes hätte sein müssen.
Die Last zu vieler Eindrücke lag auf seinem Gedächtnis, verwischte die Details der Erinnerung, stahl ihm all die wichtigen Rückblenden, an die er sich so verzweifelt klammerte.
Die einzige Möglichkeit, dieser schrecklichen Verwesung seines inneren Selbst entgegenzuwirken, war die Befreiung von der Last. Wissen musste weichen, damit Wissen erhalten blieb.
Andererseits waren die Erinnerungen zu wertvoll, um einfach in die Luft ausgeatmet und dann sich selbst überlassen zu werden. Man musste sie führen, ihnen eine Bleibe bieten, ihnen ihren eigenen Wert aufzuzeigen.
Wortlos versenkte der Chronist die Fackel in eine verbogene Halterung an der Schreibfläche, dann trat er an den wackeligen Stuhl und kniete sich auf den dreckigen Boden. Eine Weile lang tastete er über die Steinfliesen, suchte nach einer Lücke, in die er mit seinen Fingern fassen konnte.
Einfach war es nicht. Das letzte Mal hatte er diese ganz bestimmte Stelle vor vielen Jahren gesucht.
Der raue, kalte Stein schabte an seiner Haut. Ein seltsames Gefühl, das ihm Unbehagen bereitete, aber das er ebenso vermisst hatte wie die tausenden Cherubim, die in seinem Inneren aufbegehrten, je länger die Suche nach der kleinen Unebenheit im Boden andauerte. Konnte es sein, dass man die fragliche Stelle längst entdeckt und sein Geheimnis ergründet hatte?
Dass jemand gekommen war und sein gut gehüteter Schatz längst nicht mehr dort gefunden werden konnte, wo er einst verborgen wurde?
Sollte es wirklich so weit gekommen sein?
Und wenn dem so war - was würde ihn nun dort erwarten?
Ob das Pergament wohl nur entwendet und möglicherweise verbrannt worden war? Hatte man es ausgewechselt? Vielleicht sogar gegen eine Note der Inquisition, bestrichen mit einem langsam wirkenden, nicht nachzuweisenden Gift, die ihm in seinen letzten Lebensminuten eine lange Reihe von Verfehlungen vorhalten würde - so viele, dass die Zeit nicht reichte, sie alle zu lesen?
Möglicherweise fand sich in dem kleinen Hohlraum auch eine längst von Verwesung und Ungeziefer skelettierte Hand eines verurteilten subversiven Schriftgelehrten aus Sesareh, die drohend auf ihn wies und ihm schließlich mit einer komplizierten, äußerst tödlichen Apparatur das Leben nahm.
Oder gar ... eine gut verborgene, nur vom Gewicht des Steins gesicherte Handgranate, die im Moment, da er die Platte anhob, entsichert werden würde und explodierte?
Urplötzlich verbreiterte sich die enge Rille zwischen den Steinplatten, wuchs zu einer Einbuchtung, unter die man mit einem, bei Glück zwei, Fingern fassen konnte.
Da! Da war sie! Jene Stelle, nach der er so verzweifelt suchte. Eilig, ergriffen von Vorfreude, fasste er unter die gut vier Zentimeter dicke Platte und zog sie mit aller Kraft in die Höhe. Einfach war es nicht.
Tatsächlich schien es, als würde sich der leblose Stein dagegen wehren, auf derart dreiste Weise aus seiner Ruheposition gebracht zu werden. Natürlich war das sein gutes Recht. Immerhin lag er hier schon sehr lange und bisher hatte sich nie wirklich jemand für ihn interessiert – sah man einmal von den ein, zwei Begebenheiten ab, in denen man ihn aus seiner Bettung gehoben und diese ausgehöhlt hatte, nur um etwas dort zu platzieren und ihn wieder auf seinen angestammten Platz zu verbringen, auf ihm herum zu trampeln und dann einfach wegzugehen.
Also nein. Er war wirklich nicht einverstanden mit dem Vorhaben des Chronisten.
Und doch: Nach einigem Ringen gab der hartnäckige Bodenbelag nach und ließ sich, unter dem Reiben von Stein auf Stein, aufdrücken.
Da! Da war sie! Jene Stelle, nach der er so verzweifelt suchte.
Zu den Cherubim in seinem Körper gesellte sich eine Lebende Heilige. Wie sie da reingekommen war, das wusste der Chronist beileibe nicht, aber er hätte auch keine Zeit gehabt, länger darüber nachzudenken. Ihre Stimme vibrierte in seinen Kopf, ein regelrechter Oktavensturm an Gesang, der an Intensität zunahm und bisweilen Höhen erreichte, bei denen ihn das Gefühl beschlich, seine Augäpfel würden bald platzen.
Schließlich allerdings gab die volltönende Walküre seine Gedankenwelt wieder frei und gestattete es ihm, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was vor ihm lag. Sie ging derweil ein Lho-Stäbchen rauchen.
Eine mit Dreck beschmierte Schatulle aus Gold kam unter dem Stein zum Vorschein, verziert mit äußerst filigranen Ornamenten, auf deren Front der imperiale Doppelkopfadler abgebildet war. Seine Brust bildete ein Schlüsselloch, mit dem sich das Behältnis öffnen ließ.
Er seufzte. Sie war noch immer da, wo er sie zurückgelassen hatte.
Wortlos griff er nach dem Kästchen und zog es aus dem hastig gegrabenen Versteck.
Die Steinplatte fiel unter dem dumpfen Geräusch stark komprimierter Luft zurück in ihre ursprüngliche Position. Es klang beinahe wie ein erschöpftes Keuchen. Nicht, dass es dem Chronisten in diesem Moment noch imponiert oder gar Mitleid erregt hätte.
Nein. Als er sich erhob, war seine Welt bereits auf die Größe einer goldenen Schatulle geschrumpft, groß genug, damit darin eine Pergamentrolle ihren Platz fand.
Nachdenklich und erfüllt von einer Spur Unbehagen, trat der kapuzenverhüllte Mann an den staubigen Schreibtisch des Administraten und setzte das gerade geborgene Behältnis behutsam auf der Schreibfläche ab.
Eine aus seiner Umhängetasche mitgebrachte Box mit Schreibutensilien folgte nur einen Moment später.
Dann griff er in den Halsausschnitt seiner Robe und fischte dort nach einem lange getragenen, aber nie verwandten Objekt.
Es dauerte eine Weile, bis er endlich fündig wurde. Ein wuchtiger Schlüssel, getragen an einer schweren Kette, erschien in seiner Hand. Einen kurzen Moment hielt er inne und betrachtete das unförmige Werkzeug, dessen Reite an das obere Ende eines ekklesiarchischen Buntglasfensters erinnerte, bevor er den Schlüssel in das Loch im Herzen des Aquila führte. Ein kurzer Ruck im Schloss, dann erklang ein vertrautes Klicken. Der Verschluss rastete aus.
Dies war der Moment, den der Chronist zugleich herbeigesehnt und gefürchtet hatte.
Mit zitternden Fingern hob er den Deckel der Schatulle und hielt zeitgleich den Atem an.
Dort lag es, das alte Pergament. Ein langer, von blasser, gelblicher Haut getragener Text, über viele Jahre lang aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen und in eng gesetzten, mit sauberer Handschrift beschriebenen Linien wiedergegeben.
Vorsichtig langte der Chronist in die Schatulle und hob das Schriftstück langsam heraus. Dann rollte er es auf dem Tisch aus, eines der auf dem Tisch liegenden Bruchstücke der umstehenden Figuren als Beschwerung nutzend.
Ergriffen von einem Moment der Melancholie hielt er inne und begann stumm, die ersten Zeilen des Pergaments zu lesen. Ein großes Werk, fürwahr.
Zeit, dass es eine Fortsetzung erfuhr. Die Geschichte musste weitergehen.
Wortlos nahm er auf dem wackeligen Stuhl Platz, kramte in seiner Tasche und zog ein kleines Tintenfass sowie eine bereits zerfranste Schreibfeder daraus hervor.
Eilig schraubte der verhüllte Mann den gläsernen Deckel von dem Behältnis. Der Kiel der Feder versank in der dünnflüssigen Tinte, nur um einen Augenblick später aus ihr wieder aufzutauchen und sich zielstrebig dem Pergament zu nähern.
Für einen kurzen Augenblick hielt der Chronist inne, tief über das werdende Schriftstück gebeugt und ließ die Geschichte Revue passieren. Szenen zogen vor seinem geistigen Auge vorbei, Geschichten und Erlebnisse aus einer längst vergangenen Zeit.
Wo sollte er beginnen? Wo konnte er beginnen? Die Geschichte, die er zu erzählen versuchte, war im Grunde ein Zwischenspiel. Ein Ende und zugleich ein Anfang. Ein wahrlich schwieriger Platz im langen Strang der imperialen Zeitrechnung, ohne einen richtigen Bezug zu den großen Ereignissen. Irgendwo dort angesiedelt, wo man ihn nicht vermutete, noch sich seiner wirklich gewahr wurde.
Es gab einen Punkt, um den all die mit dieser Geschichte verknüpften Individuen und Taten rotierten. Ein Zentrum, an dem sie alle zu einer bestimmten Zeit aufeinandergeprallt und für einen kurzen Moment verschmolzen waren, bevor die Anziehungskraft ihrer Aufgaben und Verpflichtungen und die Fluchtgeschwindigkeit des menschlichen Lebens sie wieder auseinanderrissen.
Die spröden, trockenen Lippen des verhüllten Mannes teilten sich ein weiteres Mal, bevor der Federkiel auf das Pergament sank. »Colonel, mein Colonel.«
Ein neues Abenteuer begann.


Und yay! Nächsten Sonntag geht es weiter
 
Zuletzt bearbeitet:

Unwissennder

Codexleser
26 Juli 2015
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:partytime2: :bounce: Es geht weiter! Ich freu mir :D Mal sehen was so auf uns zukommt. Wie geht es mit Ekko & seinem Regiment, besonders jenen darunter die ihm grollen en Detail weiter? Wird es zwischen ihm und Leitis Sile mit ihrem ab und an an ein paarungsbereits Eichhörnchen erinnernden Blick ein Happy End geben? Eine Kinderschar gar? Wird Ekko seinen so begehrten langweiligen unscheinbaren Tod finden? Wir werden es hoffentlich erfahren. :D
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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Yay! Es geht weiter! Nachdem die erste Geschichte ja so erfolgreich war, dachte ich eigentlich über einen Reboot nach, aber ... haha. Jetzt wirds doch nur eine hohle Fortsetzung.

Ekko und Sile - nach den neuen Fan-Benennungsregeln bei Serien müsste das dann wohl Silko sein oder so was. Wir werden sehen. So wie ich unseren imperialen Frauenhelden kenne, wird er sich gleich an die nächste Schwester ranwerfen ;-D

Wir gucken mal.
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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Und auf geht’s! Teil 2. Das erste richtige Kapitel. Yay!
Ich muss hier noch mal sagen: Ich habe es ja ganz vergessen – aber natürlich wieder ganz großen Dank an Nakago, der natürlich als Fluffinator für dieses Schundwerk gewonnen werden konnte!
Danke, Thomas für die Redaktion und die Resignation.
Und damit viel Spaß beim Lesen!


01

Düsternis hatte sich in den Mauern der alten Zitadelle festgebissen wie ein Raubtier, bereit seiner Beute den Todesstoß zu versetzen.
Allerdings gab es nichts mehr, dem die Dunkelheit irgendeine Form von Tod hätte bringen können.
Der Ort war längst verlassen, so unendlich lange ohne Leben gewesen, dass selbst die ewigwährende Dunkelheit nicht hätte sagen können, wann zum letzten Mal irgendein Individuum das Gemäuer betreten hatte.
Stille wandelte durch die steinernen Gänge, hielt mal an dieser Statue, betrachtete dann jene Insignie, bevor sie ihren Weg fortsetzte, dem ewigen Kreislauf ihres inneren Chronometers folgend.
Schatten begleiteten sie, Fragmente jener Existenzen, die einst an diesem Ort gewandelt waren und denen es nie gelungen war, sich von ihrem Schicksal loszusagen.
Nach einer Weile schien es sogar, würde das leise Echo aller jemals an dem Ort geführten Gespräche aus den Tiefen der unteren Stockwerke emporsteigen, all der ausgetauschten Worte und Gedanken.
Längst, nachdem alle Menschen fort waren, hörte man ihre Stimmen innerhalb der Wände wiederhallen.
Schließlich allerdings verharrte die Stille überrascht und spitzte ihre wohlgeformten Ohren. In der Tat! Das klang nicht wirklich nach den geisterhaften Relikten der Vergangenheit. Nein. Diese Echos waren frisch und voller Energie. Schritte, Rascheln und Knirschen, leiser Atem und Stimmen. Ja – Stimmen.
Neugierig trat die Lautlosigkeit näher, nur um überrascht zurückzuweichen. Tatsächlich schien sie nun wirklich nicht mehr allein zu sein.
Seltsame humanoide Wesen, gehüllt in wein-farbene Kleidung und geschützt durch dunkle Körperpanzer hatten den Komplex für sich eingenommen. Glühend rote Augen strahlten durch die ewige Nacht der Tiefe.
Schwer bewaffnete Wachen verteilten sich in die verwaisten Gänge, suchten den Ort nach unliebsamen Überraschungen ab. Wer konnte schon wissen, welche Art von Tier an einem Ort sein Revier fand, nachdem der Geruch der zuvor dort beheimateten zweibeinigen Räuber durch den Zahn der Zeit von den Wänden genagt worden war?
Andere, noch seltsamere Kreaturen folgten den Gepanzerten. Eigenartige Wesen, halb menschlich, halb maschinell, mit Armen, die mehr an Zangen denn Hände erinnerten und aus ihren Körpern reichenden Fortsätzen, welche definitiv kein Teil eines natürlich gezeugten Wesens sein konnten.
Leise miteinander zischelnd schwärmten die Eindringlinge aus, besetzten die verlassene Bastion. Raum für Raum durchsuchten sie sie, die Strahlen starker Taschenlampen vor sich gerichtet wie Speere, mit denen sie die umgebenden Schatten durchbohren und zurückdrängen konnten.
Am liebsten hätte sich die Stille den Ankömmlingen in den Weg gestellt und sie für ihre Unverfrorenheit zur Rede gestellt, doch sie wurde ignoriert, zur Seite gestoßen und musste schließlich vor den aufbrandenden Wellen neuen Lebens fliehen. Das Letzte, was sie sah, war ein großes, von drei waagerechten Strichen durchzogenes I, dessen Zentrum ein Totenkopf darstellte.
Der Orden der Heiligen Inquisition zu Terra war gekommen, um nicht nur die Schatten, sondern auch den aufkeimenden Funken der Häresie aus den umliegenden Landen zu vertreiben.
Die Festung würde ihre Basis sein.
Zentrum ihrer Aktivitäten stellte der Kriegsraum dar, die Operationszentrale der Bastion, gelegen vier Ebenen unter der Erde. In diesem engen, von Holotischen und Arbeitsstationen beherrschten, sechseckigen Raum waren in der Vergangenheit viele Schlachten geleitet und durchaus auch gewonnen worden.
Mit der Zeit aber hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass die Bastion aufgrund ihrer Entfernungen zu den sich immer stärker ausbreitenden Städten und ihrer Größe nicht mehr als Hort des Schutzes und der planetaren Defensive zu gebrauchen war.
So erlosch das Interesse an dem Stützpunkt und er wurde aufgegeben.
Für seine neuen Besitzer bedeutete dieses Faktum einen regelrechten Glücksfall.
Immerhin konnten sie sich so ungestört in seinem Innern ausbreiten und ihren Aufgaben nachgehen, ohne dass man sie dabei beobachtete oder anderweitige Störungen auftraten.
Hier gab es nur sie.
Selbst die Stille würde es sich in einigen Tagen überlegen, ob sie nicht doch lieber das Feld räumte.
Niemand erwartete die Heilige Inquisition – und ihr Auftreten galt stets ein schlechtes Zeichen.
Das konnte der Anführerin der Inquisitionseinheit nur Recht sein.
Es wäre doch schade gewesen, wenn sie ihre wertvolle Zeit dafür hätte verwenden müssen, sich gegen allzu neugierige oder aufdringlich zuvorkommende Persönlichkeiten der Administration und des Militärs zur Wehr zu setzen, anstatt sich lediglich der ihr aufgetragenen Mission zu widmen.
Ihr schlanker Finger strich über den verstaubten Tisch der zentrale Holosphäre, hinterließ einen langgezogenen Abdruck auf dem kalten Material.
Angewidert wischte sie die an ihrer Hand klebenden Partikel an einem im Gürtel ihrer engen Uniform steckenden Tuch ab, dann seufzte sie leise.
Sie hatte jegliches ihr für Lösung des ihr aufgetragenen Falles notwendig erscheinende Personal und Equipment requiriert. Dennoch kam es ihr vor, als stünde sie vor einem gewaltigen Berg, den zu untertunneln sie beauftragt worden war – allein und mit einer Gartenschaufel, versteht sich.
Nein. Das war wirklich nicht die Art von Dienst, wie sie ihn sich gewünscht hatte. Diese nichtsnutzigen, allzu simplen Menschen, die diesen Planeten ihr Heim nannten. Treuloses, unehrliches Pack, das dem Imperator im Stillen trotzte. Es hieß, dass sie sich anderen Göttern zugewandt hatten. Wesen einer nicht-imperialen Gesinnung, die einen Keil zwischen das Imperium und seine Bewohner zu treiben versuchten.
Diese elenden Kreaturen. Sie würde sie lehren, was es hieß, dem Imperator zu dienen. Sie würde es ihnen zeigen. Sie erzittern lassen wie Espenlaub.
Die Inquisitorin ballte die Hand zur Faust, so fest, dass sich ihre Fingernägel ins Fleisch gruben, und fuhr dann herum.
Zwei Gardisten, schwer gepanzerte Elitekämpfer in starker Ceramitrüstung, blickten ihr aus den künstlichen Augen ihrer Helmvisiere entgegen. Starke, kräftige Männer mit jungen, unverbrauchten Körpern, die sehr genau wussten, wie man einer Herrin diente. Sie würde sich mit ihnen beschäftigen, sie geistig und körperlich testen und entscheiden, ob sie es wert waren, ihr weiterhin zu dienen. Wenn dem nicht so war, dann wäre ihr ihre Vernichtung keine Träne wert gewesen. Aber bis dahin blieb ihr noch ein wenig Zeit.
Erst einmal gab es Wichtigeres zu tun.
»Talov!«, rief sie aus, um dann, gleich einem Radargerät, auf den Rückimpuls des ausgesendeten Signals zu warten. Als dieser ausblieb, versuchte sie es ein weiteres Mal: »Talov
Wieder verging ein Moment, bis am anderen Ende des Raums eine Tür aufging.
Ein von hoch aufgetürmten Schriftrollen und alten Büchern verdecktes Individuum trat in den Raum, gleichsam bestrebt, zügig vorwärts zu kommen und die auf seinen Armen balancierten Aufzeichnungen nicht fallen zu lassen.
Bereits an dem unsicheren Schwanken seines Ganges und der instabil knirschenden Bibliothek in seinen Händen war zu erkennen, dass seinem Vorhaben wenig Erfolg beschieden sein würde.
»Hier bin ich, Herrin«, keuchte er der nach ihr verlangenden Frau entgegen. »Verzeiht, dass ich so spät bin – ich musste Eure Unterlagen zusammensammeln.«
Schwankend und mit dem Gewicht kämpfend, das ihn in die Knie zu drücken versuchte, arbeitete sich der Akolyth durch das Halbdunkel der Kommandozentrale, mehr nach dem Weg tastend denn wirklich sehend, wo er hinlaufen wollte.
Mehr als nur ein Mal schien es, als würde er im nächsten Augenblick stolpern und nur der schützenden Hand des Imperators schien es zu verdanken zu sein, dass es ihm dennoch gelang, seine Balance zu halten.
Als er schließlich seine Herrin erreichte – welche ihn bereits ungeduldig erwartete – hob der Adept die auf seinen Armen befindlichen Werke ein letztes Mal, bevor er sie mit Schwung auf den Holotisch ablud. »Hier sind sie«, stellte er fest, bevor das durchdringende Dröhnen der auf die glatte Fläche knallenden Grimoire sämtliche Geräusche verschluckte.
Es mag bezweifelt werden, dass Talov tatsächlich geplant hatte, den säuberlich gestapelten Turm zum Einsturz zu bringen, aber seine letzte, von schwindender Kraft und steigender Hoffnung auf ein baldiges Ende der aktuellen Aufgabe beeinflusste Handlung führte genau zu diesem Ergebnis.
Unter einer Vielzahl von Geräuschen, einem Stakkato aus Scheppern, Krachen und Reißen, verteilten sich wild lärmende und polternde Rollen, Grimoire und Aufzeichnungen frei jeglichen Anstands über die hololithische Fläche, sprengten auseinander wie ein in Zersetzung befindlicher Infanterietrupp der Imperialen Armee.
Eine Explosion aus Staub breitete sich um den Einschlagsort der seltsamen Fremdkörper aus. Dichte Schwaden kleinster Partikel, die, zu Tode erschrocken, vom Tisch aufstoben und ihr Heil in wilder Flucht suchten.
Der daneben stehenden Frau blieb indes gar nichts anderes übrig als in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Erstaunen zu verfolgen, wie die dunkel berobte Gestalt hilflos versuchte, die vollkommen außer Kontrolle geratene Bibliothek wieder einzufangen und dabei mehr hilflos denn erfolgreich gestikulierte, während die umgebenden Schriftrollen ihren Weg davon unberührt fortsetzten und sich wie bei einem Versteckspiel im Raum verteilten. Eine rollte sogar gegen ihren Stiefel, nur um erstaunt zurückzuweichen und gleich einem Beutetier in schierer Furcht zu verharren.
Dann setzte Stille ein, unterbrochen nur vom Stöhnen des verzweifelten Adepten und dem fast unhörbaren Rieseln des Staubs, der in den sündhaft teuren Stiefeln der hohen Herrin eine neue Bleibe zu sehen schien.
Es dauerte ein wenig, bevor ein anderes Geräusch einsetzte, metallen zischend und mit einer Spur von Schadenfreude durchsetzt.
Ein Kichern aus der Richtung der Gardisten zeigte an, dass sie auf ähnliche Weise mit der eigenen Contenance zu kämpfen hatten wie Leute, denen gegenüber man erwähnte, dass man einen guten Freund auf Terra habe, einen Magistraten namens Biggus Dickus.
Der Inquisitorin indes war gar nicht zum Lachen. Wortlos drehte sie sich zu den beiden Elitesoldaten um, doch als ihr Blick über das Antlitz der beiden Männer strich, begegneten ihr lediglich die eisernen Masken der gepanzerten Helme.
Eine Zeitlang maß sich die Willenskraft der Frau mit den von glühendem Blau verdeckten Augen ihrer Untergebenen. Fast schien es, als würde die Absurdität der Situation einen Funken Häresie in ihrem absolut loyalen, humorlosen Wesen entzündet haben.
Doch so schnell dieser Funke auch gekommen sein mochte, so schnell erlosch er. Ein leichtes, fast unmerkliches Neigen des Kopfes zeigte an, dass die beiden Kämpfer sich der Überlegenheit ihrer Herrin allzu bewusst waren.
Dennoch: einen weiteren Moment – vielleicht auch zwei – fuhr die vom Thron ernannte Untersuchungsrichterin damit fort, die Männer niederzuzwingen, sie unter der Last ihrer missbilligenden Erscheinung leiden zu lassen.
Als sichergestellt war, dass sie ihren Platz im Gefüge des imperialen Apparats wirklich verstanden hatten, wandte sich die Inquisitorin ab.
Mit einem kurzen, eleganten Schritt überbrückte die Inquisitorin die Entfernung bis zu der ihr nächsten Rolle, beugte sich nieder und nahm sie in die Hand.
»Du Vollidiot!«, herrschte sie hilflosen Schergen an und schlug ihm mit dem Schriftstück auf den unter einen dunklen Kapuze befindlichen Schädel. »Die sind wertvoll!« Sie meinte nicht die Schriftrollen.
Sofort rappelte sich der angesprochene (und angeschlagene) Adept auf, schaffte es aber nur schwerlich, eine annähernd als gerade zu bezeichnende Haltung einzunehmen.
Glücklicherweise verlangte das seine Herrin auch gar nicht. »Knie nieder!«, befahl sie ihm stattdessen.
Der mitgenommene Adept sah erschrocken zu der hochgewachsenen Frau auf. »Aber, Herrin!«, brachte er angsterfüllt hervor. »Ich…«
»Schweig still und auf den Boden mit dir, du unwürdiges Wiesel!«, präzisierte sie, mit dem strafenden Finger drohend Richtung der abgenutzten Fliesen zeigend. Harter Stahl sprach aus ihren Augen, das seelische Äquivalent eines auf den jungen Mann gerichteten Bolters.
Sie würde keinen Widerspruch dulden.
»Ja, Herrin«, schluckte er, dann ließ er sich auf seine berobten Knie sinken, den Kopf in Demut abgewandt.
»Du weißt, was du zu tun hast.«
»Ja, Herrin«, wiederholte er und kroch zu ihr wie ein geprügelter Hund, der seinen Besitzer mit flehentlichem Verhalten um Verzeihung für einen geschehenen Fehler bitten wollte.
Und wie jener Hund, jenes wertlose Tier, das die Inquisitorin in ihm sah, wollte er seine Loyalität mit dem Einzigen bezeugen, was seine Zuneigung und Unterwürfigkeit demonstrieren würde.
Gehorsam hob er den Arm und begann damit, ihre in schwarzen Panzerstilettos steckenden, mit engmaschigen Netzstrümpfen bedeckten Füße mit dem Ärmel der Robe – seines wichtigsten Besitzes – zu putzen. Was blieb ihm auch anderes übrig?
Sie ließ es zu, gewährte ihm die seltene Gnade, mehr von ihr zu spüren als die tadelnde Hand, mit der sie normalerweise seine Wangen bearbeitete. Außerdem erregte sie das Gefühl, wenn jemand auf diese Weise ihre Gunst zu gewinnen versuchte.
Die Tür am anderen Ende des Raums öffnete sich erneut. Dieses Mal entließ die Öffnung drei deutlich imposantere und elegantere Gestalten in den Raum: eine in reiche Gewänder gekleidete Frau, einen düster dreinblickenden Priester des Ministorums und einen schwer gepanzerten Elitegardisten.
Ohne ein Wort zu verlieren, wies die hochgewachsene Inquisitorin auf den Offizier in Plattenrüstung, wohl ignorierend, dass alle drei das seltsame Bild des kniend dienenden Adepten betrachteten.
Der Soldat nahm Haltung an. »Herrin, ich melde: Die Bastion ist weitestgehend durchsucht. Wie vermutet konnten keine Feindkräfte ausgemacht werden. Spähtrupps waren ebenfalls nicht in der Lage, außerhalb des Gemäuers irgendeine Form von Leben zu identifizieren. Dieser Ort ist verlassen und unbelebt.«
»Sehr gut«, erwiderte die Inquisitorin streng. »Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt.«
»Wie Ihr wünscht, Mylady«, verneigte sich der Gardist, dann machte er auf dem Hacken kehrt und verließ den Raum.
Die reich gekleidete Frau und der finstere Priester indes traten vor das Antlitz der mächtigen Untersuchungsrichterin.
»Was hast du herausgefunden?«, fragte sie in Richtung des weiblichen Ankömmlings, während die von zitternder Angst durchsetzten Berührungen Talovs durch ihre Haut vibrierten und fröhlich in Richtung ihrer erogenen Zonen tanzten.
Evi Biasz, ihres Zeichens Interrogatorin und trotz ihres relativ jungen und unschuldigen Aussehens als effektive und bisweilen grausame Handlangerin bekannt, erhob ihre kräftige, von tiefster Hingabe durchsetzte Stimme.
»In der Tat scheint hier etwas seltsames vorzugehen«, berichtete sie nachdenklich. »Es gibt Meldungen, dass die auf diesem Planeten eingesetzten Truppen der Arbites und der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte eine überraschend geringe Dienstbarkeit aufzuweisen haben, was nicht nur die allgemeine Sicherheit des Planeten schwächt, sondern auch den Kräften der örtlichen Triaden einen deutlich größeren Bewegungsspielraum ermöglicht.«
»Das heißt also, an den Gerüchten könnte etwas dran sein?«
»Ja, Herrin«, bestätigte die Angesprochene.
»Aber – das verstehe ich nicht«, überlegte die Inquisitorin, den Blick auf den erkalteten Holotisch gerichtet und spreizte die Beine ein wenig weiter. »Was glauben sie damit zu erreichen?«
Nun war es der Priester, der mit einer Stimme zu sprechen begann, die klang, als habe man ihm den Kehlkopf in Zwei geschlagen: »Vielleicht interessiert es Euch zu erfahren, dass vor kurzem sogar eine Einheit der Imperialen Armee auf dieser Welt eingetroffen ist.«
»Na und?«, antwortete die Inquisitorin ungehalten. »Dies ist ein Stützpunkt der Imperialen Armee, ein Zentrum der Auffrischung und Neuausstattung. Natürlich wird die eine oder andere Armee der imperialen Streitkräfte früher oder später an diesem Ort auftauchen.«
»Aber die Armee besteht vollständig aus Bastetern.«
»Du musst dich irren!«, rief sie aus. »Dass eine im Imperium eingesetzte Armee jemals wieder ihre Heimatwelt betritt, ist so verschwindend gering, dass es schon einer Segnung des Imperators gleichkommen müsste oder …« Sie verstummte. Eine Weile lang war nur das schmatzende Keuchen des ihr dienenden Adepten zu hören, dann schließlich raunte sie: »Ich verstehe.«
Biasz verschränkte die Arme unter ihrem prächtigen Dekolleté. »Was sollen wir tun, Mylady?«
»Gibt es irgendwelche Informationen über die eingetroffene Armee?«, wollte die Inquisitorin wissen.
»Überreste eines leichten, motorisierten Regiments«, erklärte der Ministorums-Priester. »512. Regiment Serareh.«
»Die Einheit kämpfte als Teil einer Entsatz-Streitmacht auf der Schreinwelt Agos Virgil«, fügte die Interrogatorin an. »Insgesamt fünf Regimenter unter dem Kommando des Generals Iglianus. Sämtliche Truppen wurden vernichtet – bis auf dieses eine Regiment. Tatsächlich gelang es ihnen, die angreifende Orkhorde über mehrere Tage hinweg aufzuhalten und schließlich so sehr zu dezimieren, dass die nachrückenden Verbände der Imperialen Armee keinerlei Schwierigkeiten mehr hatten, Agos Virgil zurückzugewinnen.«
»Das klingt für mich mehr nach einer Imperator-gewollten Heldentat denn einer Häresie.«
»Es mag sein«, stimmte der Priester der Inquisitorin zu, bevor er einschränkend fortfuhr: »Dabei ist uns allerdings eine Sache aufgefallen.«
»Der Kommandeur ist kein unbeschriebenes Blatt«, erzählte die an seiner Seite stehende Untergebene weiter. »Bereits auf Bastet geriet er mehrfach mit der Ekklesiarchie und imperialen Behörden in Konflikt. In jungen Jahren gelang ihm zusammen mit einem anderen Jungen die Flucht aus einer Schola. Der andere Junge wurde gefunden und entsprechend bestraft, doch ihn fand man nicht. Später trat er ungestraft der PVS bei und nahm an einer Reihe militärischer Operationen in den Gebirgen Bastets Teil. Seine Einheit wurde vollständig vernichtet. Er überlebte.«
»Es heißt, er war sogar mit einer flüchtigen Sororita verheiratet«, übernahm der Ekklesiarch erneut. »Er soll wie verhext von ihr gewesen sein und rastete vollkommen aus, als ihr Konvent Schwestern schickte, sie wieder zurückzubringen. Danach schloss er sich der Imperialen Armee an und stieg unglaublich schnell die Rangleiter empor, obwohl er eine fatalistische Grundeinstellung haben soll.«
Diese Information ließ die Inquisitorin aufhorchen. »Wie kommt es, dass dieser Mann noch lebt?«, verlangte sie zu wissen.
Biasz zuckte die schlanken Schultern. »Es ist mir ein Rätsel. Aber es kann kein Zufall sein. Seine Rückkehr nach Bastet muss eine Bedeutung haben.«
»Eine Bedeutung …«, sinnierte die imperiale Untersuchungsrichterin, während sich die Aufmerksamkeit ihrer Schergen auf den am Boden kauernden Adepten richtete, der noch immer mit der Schuhpflege seiner Herrin beschäftigt war. »Wie heißt der Mann?«
Die Interrogatorin, vom Anblick des verzweifelten Adepten abgelenkt, sah verwirrt auf. »Was? Wer?«
Ungeduld entlud sich in den Raum wie das warnende Zucken einer Peitsche, bevor diese auf einen unwilligen Geist niederging. »Dieser Regimentskommandeur.«
Die darauf folgende Antwort klang glich sich dementsprechend demütig an. »Galardin Alberic Ekko.«
Die Inquisitorin nickte. »Es scheint, als müsste ich mir diesen Colonel Ekko einmal genauer ansehen«, stellte sie fest. In Anbetracht der vor ihr liegenden Untersuchung ein Vorhaben, das sie nicht zu lange aufschieben sollte.
Immerhin konnte der imperiale Offizier eine große Unterstützung für sie bedeuten – oder eine ernste Bedrohung. Je nachdem, wie viel von den über ihn kursierenden Gerüchten stimmte.
Biasz neigte verstehend den Kopf. »Wünscht ihr weitere Informationen, Herrin?«
»Nein. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Finde heraus, wo er sich aufhält und dann widme dich wieder deinen Pflichten.«
Die Interrogatorin senkte demütig den Kopf, dann wandte sie sich zum Gehen. Der Priester folgte ihr.
Wenig später waren die Inquisitorin und ihr kniend dienender Akolyth – abgesehen von den beiden Gardisten – wieder allein in der Kommandozentrale und die gutaussehende Frau stellte fest, dass sie nun vor einem Problem stand.
Dieses beinhaltete nicht nur die Tatsache, dass sich in ihrem Umfeld offensichtlich etwas zusammenbraute, dessen sie sich bald anzunehmen hatte – sondern vor allem, dass sich in ihrem Innern etwas zusammenbraute, dessen sie sich jetzt anzunehmen hatte.
Hauptsächlich lag das an den heißkalten Wellen sadistischer Lust, welche in den Raum emittierte Furcht ihres Untergebenen durch den Körper jagte. Oh ja! Sie liebte es, wenn ihr Männer dienten.
Der Imperator würde verstehen, dass sie in ihrem aktuellen Zustand keinerlei klaren Gedanken fassen konnte und erst einmal die sich aufstauende Energie würde entladen müssen.
Dafür allerdings war Talvor der falsche Ansprechpartner.
»Uhhh«, erschauderte sie vor Lust, rammte ihm den gepanzerten Stilletto in die Seite und schob ihn von sich fort. »Das reicht.« Ihr Stimme verhärtete sich erneut: »Und nun bringt in Ordnung, was du angerichtet hast. Wir werden uns später weiter unterhalten!«
Dann wandte sie sich ab, den gleichermaßen erleichterten und enttäuschten Akolythen zurücklassend und trat vor die beiden gut gebauten Gardisten. Ohne lang zu zögern – alle Informationen, die sie benötigte, sprangen umgehend in ihrem Kopf – adressierte sie den rechten: »Dich brauche ich jetzt!«
»Wie ihr wünscht, Herrin«, erwiderte er mit betont neutraler Stimme und schlug dienstbeflissen die Hacken zusammen. Der kleine Funken Aufregung in seiner Stimme entging ihr allerdings nicht. Er war halt auch nur ein Mann.
Sie lächelte. »Du, Schätzchen, hältst Wache«, befahl sie dem anderen Gardisten.
»Zu Befehl.« Dass er seinem Kameraden stumm zu seinem Glück gratulierte, registrierte die Inquisitorin nur kurz, denn es war nicht weiter wichtig. Auch dieser Gardist würde ihr irgendwann zu Diensten sein.
Ein letzter Blick auf ihren Adept folgte, dann führte die Inquisitorin den ihr verpflichteten Infanteristen aus dem Raum.
Der verbliebene Inquisitionssoldat hingegen nahm seinen Wachposten wieder ein und verfolgte, wie Adept Talvor auf ungeschickt umständliche Weise versuchte, die verstreuten Schriftrollen aufzusammeln.
Allerdings kam er sich nicht so vor, als wenn er wirklich allein gewesen wäre.


Nächsten Sonntag geht es weiter!
 

Unwissennder

Codexleser
26 Juli 2015
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85
31.981
Du bist grausam! Jetzt hetzt du Ekko auch noch eine dominanzgeile Inquisitorin auf den Hals, er is mit der anschmachtenden Sororitas fürs Erste doch schon genug gestraft! Ich bin mal gespannt wie Sile, da sie ja auf Bastet sicher hundertprozentig dieser einen Schwester der Ekko als Kind und später beim Einkassieren seiner Frau begegnete über den Weg laufen wird, reagieren wird wenn sie erfährt das ihr angehimmelter General mit einer abtrünnigen Sororitas verheiratet war. ^^ (So wie der Imperator auf ihn herablächelt muss das doch einfach so kommen.)
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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www.fanfiktion.de
Und weiter geht’s!

Es ist schon echt abgefahren, wie viele Leute Stargazer oder Colonel Ekko lesen und nur aufgrund dessen wieder einsteigen.

Insgesamt sind nun 2 Wochen seit Start der neuen Geschichte vergangen und auf den drei Plattformen wo ich sie veröffentliche insgesamt fast 1000 Zugriffe zu verzeichnen.
Und dabei sind die Story-Sektoren dort gar nicht so gut besucht.

Ich bin erstaunt und erfreut zugleich.
Zeit weiterzumachen:

02


Grelles Sonnenlicht flutete über die fruchtlosen Ebenen von Bastet III hinweg, bemalte die nahtlos ineinander übergehenden Steppen und Wüsten, die gut zwei Drittel der bewohnbaren Landfläche unter sich begruben, mit harten Akzenten und schweren Schatten.
Das Licht tanzte über große Gebirge hinweg und suchte sich seinen Weg durch tiefe Schluchten, die ebenso wie die Wüsten und Steppen das Ergebnis einer äußerst aktiven tektonischen Phase in der Vergangenheit des Planeten waren.
Schließlich erreichte und übersprang es die mächtigen Flüsse Freon und Maat sowie deren Schwemmgebiete, wo sich das Leben von mehr als der Hälfte der menschlichen Bevölkerung Bastets niedergelassen hatte, brandete gegen die hoch in den Himmel strebenden Makrotürme der wenigen Städte und reflektierte aus tausenden Fenstern, so als würden die Menschen der Sonne einen Teil ihrer Energie zurückgeben wollen.
Ein Dichter hatte vor langer Zeit geschrieben dass, wenn das Licht die menschlichen Siedlungen in der lebensfeindlichen Natur der Region traf, es war, als würde das Herz des Imperiums zu funkeln beginnen.
Und damit hatte er Recht.
Den Bastetern ging es gut. Das Leben schenkte ihnen nicht viel, und sie mochten nicht besonders wohlhabend sein, aber sie waren glücklich – zumindest zum größten Teil.
Denn auch auf Bastet gab es Menschen mit gebrochenen Herzen, verrottenden Idealen und zerstreuten Träumen.
Wie überall, wo Menschen leben, streckten sich die Fühler des Unglücks, ähnlich wie das Sonnenlicht, weit über die Ebenen, berührten einmal hier ein Opfer, dann wieder dort. Hätte man einen Querschnitt durch die Bevölkerung gezogen, dann wäre man mit dem alltäglichen Schmerz des Lebens konfrontiert worden, verteilt auf zahllose Basteter in hunderten Siedlungen. Dass all diese Individuen die gleichen Sorgen, Nöte und Ängste teilten oder gar voneinander wussten, ist recht unwahrscheinlich.
Veränderte man allerdings die Statistik ein wenig und fügte ihr weitere Konstanten hinzu, dann verschob sich das Ergebnis um ein Deutliches und zeigte schließlich auf einen Namen: Serareh.
Serareh, das war eine der großen Makrostädte an den Ufern der Maat, neben Selukreh, dem imperialen Regierungszentrum Bastets, eine der Juwelen der bastetischen Baukunst. Mächtige Wohntürme, zum Schutz vor zu viel Sonneneinstrahlung in einem leicht abgenutzten Weiß gehalten, prägten das Erscheinungsbild der Stadt. Wie die Pfeifen einer gewaltigen Orgel sammelten sie sich um die zentrale Spindel, die Machtspindel Serarehs, von wo aus die Geschicke der Stadt geleitet wurden.
Im Osten erhoben sich periodisch bewässerte Wohngärten, gebettet in saftiges Grün und von luxuriöser Schönheit, im Westen bestimmten die zur Maat hin gelegenen See- und Flughäfen das Bild der Stadt. Den Süden kontrollierten schwere Industrieanlagen, welche den Handelssektor Bastets im Bereich des planetaren und interplanetaren Exports bedienten.
Im Norden schließlich lag der eigentliche Grund dafür, dass Serareh die wohl unglücklichste Stadt des Planeten war.
Höchstwahrscheinlich war sich die Stadt in diesem Punkt keinerlei Schuld bewusst. Sie konnte im Grunde auch nichts dafür.
Aber Sera, wie die Miniatur-Makropole in bester Tradition mit den Sitten und Gebräuchen Bastets liebevoll genannt wurde, war nun einmal zur Festungsstadt ernannt, mit gewaltigen Verteidigungsanlagen bewehrt und einer überwältigenden Militärpräsenz versehen worden. Hier bildete man die Bataillone und Regimenter der PVS, der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte, aus, versorgte durchreisende Armeen und hob Armeeanteile für die mächtige Streitmacht des Imperiums aus.
Böse Gerüchte besagten sogar dass, wer einmal nach Sera befohlen wurde, nie wieder nach Hause zurückkehrte. Es war jene Art von Gemunkel, das man nur hinter vorgehaltener Hand austauschte und das im Beisein weniger vertrauenswürdiger Personen schnell zu einem Märchen aus dem Reich der Legenden erklärt wurde. Das wiederum geschah im vollsten mathematischen Bewusstsein, dass Minus und Minus Plus ergab, was nur bedeuten konnte, dass ein gewisser Wahrheitsgehalt in den Worten stecken musste. Verschwörungstheorien eben.
Für Haestian Carrick besaß derlei Geschwätz keine Bedeutung.
Er hätte sich darum nicht gesorgt, wenn es lediglich eine Diffamierung der militärgeschichtlichen Bedeutung Seras als Heerlager gewesen wäre, und es übte auf ihn auch keinen Einfluss aus, dass es eben nicht so war.
Immerhin stellte er das beste Beispiel für die Unwahrheit der Worte dar: Er war zurückgekehrt. Und das sogar in einem mehr oder weniger geistig stabilen Zustand.
Zweifelsohne hatten die vergangen Jahre einen hohen Tribut von ihm gefordert, sowohl in physiologischer wie auch psychologischer Hinsicht. Er hatte Dinge gesehen, die ihm die Menschen niemals glauben würden. Gigantische Makropolen in Flammen, so glühend weiß, als stammten sie direkt aus dem Innern des Tors von Cadia. Er hatte Laserstrahlen gesehen, glitzernd in der Dunkelheit ewiger Nacht und Legionen von Soldaten, rückstandslos verbrannt im Zeitraum eines Wimpernschlags.
Innerhalb von zwei Jahren hatte er mehr Leid gesehen und erlebt als so manch anderer in seinem ganzen Leben.
Zwei Jahre. Es kam ihm vor, als wären es zwanzig gewesen. Zwanzig Jahre des Alterns und Verfalls, in denen sich sein Befinden in zweierlei Hinsicht destabilisiert hatte: Die schweren Verluste seines Regiments in der Schlacht von Agos Virgil hatten gezeigt, dass selbst die beste Ausrüstung und motivierteste Streitmacht dem puren Wahnsinn des Universums unterlegen war. Daran mochte selbst die Tatsache nichts ändern, dass die unglücklich Verschiedenen nach ihrem grausamen und meist unnützen Tod in die heiligen Gefilde des Imperators aufstiegen, um dort vermutlich ebenfalls zu sterben, wiedergeboren zu werden und sich der ganze Prozess wiederholte.
Zum anderen war sein Glaube in die Richtigkeit seines Tuns und die Befehlshierarchie des Militärs tief zerschunden worden. Fast wie Holz, das man ganz allmählich mit Hilfe einer groben Feile abschabte, bis es von nicht mehr als einem letzten Faden Hoffnung zusammengehalten und der Gefahr ausgesetzt wurde, beim nächsten falschen Atemzug abzuknicken.
Und die Menschen um ihn herum schienen alle sehr grobe Feilen zu besitzen. Allen voran sein Vorgesetzter, Colonel Galardin Alberic Ekko, dessen selbstzentrierter Wahnsinn ein starker, wenn auch nicht gesamtgültiger Faktor zur Vernichtung ihres Regiments gewesen war – oder dessen Rettung (je nachdem, wie man es betrachten wollte).
Ein ums andere Mal hatte Carrick geglaubt, die Gedanken und Vorhaben des Colonels antizipieren zu können, nur um dann wieder eines Besseren belehrt zu werden. Inzwischen wusste er bereits nicht mehr, was er noch annehmen durfte und was ihn womöglich seinen letzten Funken Geisteskraft kosten würde.
Und dann, ganz plötzlich, war die Zeit des Tötens und Sterbens vorbei. Einfach so. Wie bei einer Tafel, deren emaillierte Oberfläche man mit Hilfe eines nassen Schwamms abwischte.
Leider war der menschliche Geist keine Tafel, die lediglich mit einer imaginären Art von Kreide beschrieben wurde.
Einmal eingebrannte Erinnerungen vergingen nicht mehr.
Dinge rückten einfach in weite Ferne, wurden abstrakt und entschieden sich schließlich zur Abkehr von der Person, deren Leben sie zuvor noch beherrscht hatten. Doch sobald eine Situation auftrat, die in den Fußstapfen jener Geschehnisse aus der Vergangenheit wanderte, erwachte der bereits erloschen geglaubte Vulkan der Empfindungen und Erfahrungen aus seinem Schlaf, brach mit urgewaltiger Kraft aus und verbrannte die Seele mit heißer Lava aus vergangen geglaubtem Schmerz.
Vermutlich war das einer der Gründe für das Älterwerden.
Haestian Carrick hatte sich nie für einen schwachen Menschen gehalten, doch selbst er empfand, wie ihn geistige und körperliche Stärke allmählich verließen, ihm entwichen wie Luft aus einem mit hunderten Nadeln traktierten Gummischlauch.
Wenn es ihm nicht bald gelang, sein früheres Wesen und sein Verständnis der Welt zu gipsen und mit einem neuen Anstrich zu versehen, dann würde er vermutlich eine ähnlich baufällige Ruine werden wie sein Vorgesetzter Galardin Ekko.
Nachdenklich sah Carrick auf. In der letzten Viertelstunde, die er seit dem Verlassen der Flußbahnstation Serah-Yuron mit Wandern verbracht hatte, war er einem bereits recht uneben wirkenden Sandweg gefolgt, der sich entlang des Freon schlängelte wie in dem Versuch, es dem mächtigen Lebensstrom gleichzutun und ihm das Geschäft als Versorger der Bevölkerung streitig zu machen.
Zumindest als Schleichweg hatte er damit erstaunlichen Erfolg – wie sich an dem ausgetretenen Pfad erkennen ließ.
Wälder aus hoch aufwachsendem Bambus, das Ergebnis von Samen, die während einer längst vergangenen Hochwasserperiode an diesen Ort gespült worden waren, flankierten die Marschroute des in Gedanken Versunkenen, spendeten seinem Körper und Geist dringend benötigten Schatten.
Eine Weile lang folgte Carrick der sandigen Bahn, die sich anschickte, seine Schritte abermals Richtung Vergangenheit zu lenken, bis diese schließlich – analog zum deutlichen größeren Strom des Freons, welcher wohl auch irgendwann in ein Meer aufging – in eine am Fluss liegende Siedlung mündete.
Der Weg schien sich einfach aufzulösen, übergab die auf ihm wandelnde Person an einen ebenso sandigen, wenn auch deutlich besser gepflegten Platz, der wohl seinerseits nicht ganz entschlossen zu sein schien, ob er nicht doch eher eine Straße darstellte.
Ein- und mehrstöckige Bauten in ausgeblichenen Farben, welche vornehmlich im weißen oder ockerfarbenen Spektrum angesiedelt gewesen zu sein schienen, standen beiderseits der ausladenden Fläche wie Soldaten, die sich versammelt hatten, um zur Rückkehr des imperialen Majors Haestian Carrick nach Bastet eine Ehrenwache zu stellen.
Einige der Gebäude liefen in größere Komplexe aus, die Villen deutlich besser situierter Personen, die dann und wann entschieden hatten, den von ihnen erworbenen Luxus mit einer Mauer einzuzäunen – oder die auf ihrem Grund lebenden Mitglieder der eigenen Familie.
Das Haus, nach dem Carrick Ausschau hielt, gehörte zu jenen auf diese Weise abgesicherten Bauten, auch wenn der Grund dafür nicht in der Tatsache begründet lag, dass man jemanden einsperren oder aussperren wollte.
Nein. Viel eher betrachteten die Bewohner den Besitz einer Mauer als Hinweis darauf, dass sie den etwas gehobenen Kreisen angehörten und es sich einfach leisten konnten, eine Mauer zu errichten. Sie war stark, sie war auffällig und, wenn man sie mit Kletterpflanzen bestückte, bisweilen sogar recht hübsch anzusehen.
Und tatsächlich benötigte er nicht lange, um den steinernen Wall zu finden, welcher den Mikrokosmos der bescheidenen Villa vom Rest der Welt abtrennte.
Obwohl ein zufälliger Betrachter es wohl anders interpretiert hätte, lag es nicht an der gut zwei Meter hoch aufragenden Begrenzung, dass ihm sein Ziel sofort ins Auge fiel. Es war viel mehr der Umstand, dass er vor nur wenigen Jahren an diesem Ort ein- und ausgegangen war.
Das große, aus Palmenholz gefertigte Tor im mit Säulen verzierten Haupteingang der Ummauerung stellte für den Mann kein Hindernis dar, und dass ihn dahinter kein Hauswächter oder Grundstücksverwalter erwartete, erleichterte sein Eintreten ungemein.
Andernfalls wäre er wohl mit Steinstatuen, Gartenscheren oder ähnlich gefährlichen Gegenständen beworfen worden. Es gab Basteter, die ihre Privatsphäre höher schätzten als das leibliche Wohl eventueller Besucher.
Das Gelände jenseits der Mauer war ein mit steinernen Platten versehener Hof, welcher sich in Form zweier rechtwinklig zueinander liegender Rechtecke zwischen dem Wall und dem eigentlichen Haus entspann. Eine Reihe von Palmen wuchs nahe einem kleinen Schwimmbecken aus dem Boden, schmiegte sich so eng an das Gebäude, dass es einem vorkommen wollte, als lehnten sie kraftlos daran.
Bereits teilweise verdorrte Büsche säumten das Gelände, verliehen dem Außenbereich eine ungepflegte Note.
Daran änderte auch das in abgenutztem Weiß gehaltene Bauwerk nichts, das sich bemühte, zumindest dem Zentrum des Grundstücks eine etwas erhabenere Note zu verleihen.
Es wäre ohnehin vergebene Liebesmüh gewesen.
Melancholie triefte an den Seitenwänden des zweistöckigen Gebäudes herab wie die Schlieren einer durchregneten Nacht, zeichnete den Niedergang einer stolzen bastetischen Familie so treffend nach, wie es keinem Gedicht, keinem Nachruf und keiner Geschichte je gelungen wäre.
Erschreckend und erstaunlich zu gleich. Carrick konnte sich gut an die Zeit erinnern, als dieses Grundstück zu den wohl schönsten und begehrenswertesten auf ganz Bastet gehört hätte.
Nun allerdings schien es vom Imperator verlassen worden zu sein. Anders ließ sich der Anblick der heruntergekommenen Immobilie kaum erklären.
Der Major durchschritt den Vorhof und trat an die Tür des Hauses, ein doppelflügeliges, mannhohes Eingangstor, ähnlich dem reich verzierten Zutritt zum Hof.
Ein zweiköpfiger Aquila bewachte den Eingang, einen als Türklopfer dienenden Totenschädel in den Klauen, beäugte den Ankömmling misstrauisch. Fast wollte es so vorkommen, als wenn er das Einzige war, was dieses Haus und seine Bewohner noch vor dem grausamen Universum um sie herum zu schützen vermochte.
Carrick hob den Arm … und zögerte. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er zum letzten Mal an der Tür geklopft hatte. In der Zwischenzeit war viel geschehen. Er hatte sich geändert, und wenn man den Zustand des Hauses bedachte, dann hatte auch es sich signifikant geändert. Es stand also zu vermuten, dass selbst seine Bewohner nicht mehr dieselben waren, die er vor vier Jahren zum letzten Mal gesehen hatte, als er in den nie endenden Krieg um das Imperium gezogen war.
Würden sie ihn wiedererkennen? Viel wichtiger aber: würde er sie wiedererkennen? Er atmete tief durch, schluckte seine Unsicherheit herunter und betätigte den Türklopfer.
Der Totenkopf schwang mit erstaunlicher Leichtigkeit umher, wobei ihn lediglich das Vorhandensein der hölzernen Tür auf seinem Weg bremste. Hartes, dumpfes Pochen erklang.
Hätte der Schädel seine Gefühle in einer Lautäußerung bekannt geben können, sie hätte wohl »Au« gelautet.
Eine Weile lang geschah rein gar nichts. Der Major dachte bereits, das Haus sei verlassen und fragte sich, was wohl geschehen sein mochte, da erklangen leise, kraftlos schlurfende Schritte jenseits der hölzernen Tores.
Kurz darauf ließ sich das scharfe, metallene Kratzen der Türverriegelung vernehmen. Einer der Türflügel geriet knirschend in Bewegung, wich vor dem Rang des Ankömmlings regelrecht zurück.
Eine müde aussehende, blonde Frau in dunklen Kleidern floss mehr durch den Türspalt, als dass sie durch ihn hindurchtrat.
Den Kopf wie in höchster Demut vor dem Imperator gesenkt und von einer unsichtbaren Last auf ihren Schultern in die Knie gezwungen, erweckte sie den Eindruck einer alten, gebrochenen Jungfer.
Es kostete den Major das Überraschungsmoment seines Auftretens, bis er verstand, dass die Person vor ihm noch nicht einmal das Erwachsenenalter erreicht hatte. Der Schock der Erkenntnis fuhr ihm in die Glieder, ergriff von seinem Denken Besitz und stellte ihm die entsetzliche Frage, was ihn jenseits der abgenutzten Mauern erwarten mochte, dass ein lebenslustiges, jugendliches Fräulein eine derartige Veränderung durchgemacht hatte.
»Ja …?«, begann sie, sah zum Major auf und brach unvermittelt ab. Eine Weile lang beherrschte lediglich das schmerzhaft leise Säuseln des Windes die Szenerie, während die Frau ihn anstarrte, als hätte sie einen Geist gesehen. Ein Überbleibsel einer vergessen geglaubten Vergangenheit, das nun mit aller Macht an die Oberfläche strebte, um sich wie ein Film auf die Gegenwart zu legen.
»Hallo Mae«, begrüßte der Major die junge Frau mit ruhiger, angenehmer Stimme. »Ist Laetitia da?«
Eigentlich erwartete er, umgehend eine Antwort auf seine Frage zu erhalten. Allerdings geschah nichts dergleichen.
Stattdessen ergriff Stille das Wort, flüsterte die Erinnerung an melancholische Momente in die Herzen der vor ihm Stehenden.
Tränen füllten ihre Augen. Sie schniefte und begann dann, hemmungslos zu weinen, während sie den schweren Türflügel vollends aufstieß.
Ein kräftiger Schauer durchfuhr den Major, dem Stich eines blankpolierten Bajonetts gleich, das seine Haut mühelos durchdrang und sich tief in sein Herz grub, um den Hohlmuskel schließlich derart stark zu perforieren, dass sein Blut in Sturzbächen herausstrebte.
Was, im Namen des Imperators, mochte hier wohl passiert sein?
Jenseits des Eingangs wartete halbtrübes Dunkel. Ein seltsamer Geruch sprang durch den geöffneten Eingang, lachte erleichtert ob der neugewonnen Freiheit. Abgesehen von dieser kleinen Darbietung überschwänglicher Freude schien allerdings nichts den Besuch in diesem heruntergekommen Domizil zu rechtfertigen.
Alle Freude, all die lebensfrohe Energie, die in diesem Haus geherrscht hatte, war gegangen und hatte etwas zurückgelassen. Eine Stille, ein Vakuum, das den Major ins Innere zog und seine Brust belegte. Unruhig schluckte er und trat ein.
Das in stumme Tränen aufgelöste und durchgängig schniefende Mädchen schloss die Türen.
Die partielle Düsternis schien sich zu vertiefen. Mehr humpelnd und torkelnd denn wirklich gehend, schlurfte Mae dem Offizier voran durch die dunkle Wohnung. Dünne, kalte Lichtstreifen streckten ihre langen Finger zwischen den Lamellen der zugezogenen Jalousien hindurch, betasteten das für sie erreichbare Innere des Hauses. Ein recht großer Eingangsbereich ließ sich andeutungsweise erahnen, der sich in eine noch größere Wohnstube hinein öffnete.
Es ließen sich nicht viele Einzelheiten ausmachen, aber für Carrick besaß das keine Bedeutung. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie es in dem Gebäude aussah.
Ein mächtiger Esstisch, umringt von einer Reihe von Stühlen, pflanzte seinen wuchtigen Leib auf einen dunklen Teppich, nicht weit der linken Außenmauer entfernt.
Carrick wusste, dass das Möbelstück aus dem Holz einer Palmenkiefer gefertigt war. Ein Baum, den man auf Bastet für sein zugleich weiches und sehr widerstandsfähiges Holz schätzte. Einfach zu bearbeiten, aber dennoch robust und langlebig.
Rechts davon befand sich ein prächtiger Altar, auf dem die Heilige Bastet und ein imperialer Doppeladler die Verehrung der Hausbewohner forderten. Noch weiter rechts, direkt hinter der in den ersten Stock führenden Treppe, befand sich ein Studierzimmer, in dem ein Televid-Gerät sowie eine umfangreiche Bibliothek Bewohnern wie auch Besuchern zur Verfügung standen.
Mae ignorierte die Schemen des Wohnbereichs. Stattdessen führte sie den Offizier die ebenfalls aus Palmenkieferholz bestehenden Stufen der leicht gewendelten Treppe in den ersten Stock empor.
Auch hier herrschte eine erschreckende Dunkelheit. Seltsame Geräusche, Schnaufen und Flüstern, wanderten in der Düsternis umher, rasselten metallene Worte in die vom stechenden Geruch eines schweren Makels geschwängerte Luft.
Der Major hustete unwillkürlich, als seine noch immer schniefende Führerin ihn an den hölzernen Eingang zu einem der wenigen Zimmer im Obergeschoss führte. Das geräuschvolle Keuchen schien an Intensität zu gewinnen.
Einen Moment lang blieb das Mädchen stehen, dann trat sie zur Seite und blickt den Major – zum ersten Mal seit ihrem kurzen Augenkontakt beim Eintreten – an.
Carrick wäre beinahe zurückgewichen.
Da funkelte etwas in ihrem Blick. Entsetzen. Furcht. Der Horror. Etwas, das man normalerweise in den Augen von Männern und Frauen sahen, die durch die Hölle der Imperialen Armee gegangen waren und nun, in einem freien Moment, über das Erlebte resümierten.
Wieder schoss ihm die Frage durch den Kopf, mit welchem Fluch der Gottimperator dieses Haus gestraft haben mochte. Bei dem Gedanken zog ein kalter Schauer über seinen Rücken.
Er versuchte, ein erneutes Husten zu unterdrücken, doch die stickige Luft machte ihm das Atmen fast unmöglich.
Wortlos passierte der imperiale Offizier seine Begleiterin und betrat den Raum.
In dem dunklen Krankenzimmer regten sich nur schemenhafte Erinnerungen von Leben.
Eine Reihe wunderlicher Instrumente standen um ein breites Bett herum, vollführten seltsame Bewegungen im Licht eines kleinen Altars, auf dem Kerzen brannten. Schläuche schlängelten sich von den Apparaturen zum Bett, verschwanden unter der flauschigen Daunendecke, die sich in regelmäßigen Abständen hob und senkte.
Reinheitssiegel und Schriftrollen bedeckten die einstmals wohl recht schmucken Wände, und eine in reiche Gewandung gehüllte Medikerin des Hospitallinnen-Ordens der Adeptus Sororitas saß auf einem kleinen Schemel am Bett und beobachtete die blinkenden Anzeigen der Gerätschaften, ohne sie wirklich zu lesen.
Als der Major eintrat, wandte sie sich um und erhob sich schnell, aber dennoch elegant und würdevoll.
Harte Schatten umtanzten ihr junges Gesicht, als sie zu einer Verbeugung ansetzte.
»Ich …«, reagierte der Major erstaunt auf die wortlose Begrüßung, bevor er sich dazu durchrang, näher ans Bett zu treten. Auch hier beherrschten technische Apparaturen das Sichtfeld, drängten sich gleich einem Schwarm hungriger Insekten um das faulende Fleisch eines zerfallenden Körpers.
Lediglich das dünn gewordene, dunkle Haupthaar, das die schwere Atemmaske und das weitestgehend darunter verborgene Gesicht umrahmte, ließ einen Menschen jenseits all der geweihten Technologie erkennen, die den Raum besetzt hielt.
»Sie ist …«, begann die Medikerin mit leiser, im Ansatz melodischer Stimme. Carrick ließ sie nicht ausreden.
Er hob die Hand. »Ich weiß, wer sie ist«, stellte er tonlos fest. »Wir waren verheiratet.«

Nächsten Sonntag geht es weiter!
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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Und weiter geht’s!


Ich denke, dieses Kapitel bedarf keiner weiteren Erklärungen. Wie auch? Es kann halt nur einen geben.


Viel Spaß beim Lesen!


03


Ja, er war wieder da.
Zurück in den ihm angestammten Gefilden, die er so sehr vermisst hatte wie ein besonders gewichteter aber dennoch zeitweilig vergessener Buchstabe seinen Platz im Zentrum des Dudens.
Und wie jener Buchstabe, der sich nahtlos und trotzdem auffällig in die zuvor noch leeren Seiten eines überlangen Romans einfügte, empfand auch Colonel Galardin Alberic Ekko seine Rückkehr nach Bastet gleichermaßen als Befreiung und Last.
Viele Erinnerungen verbanden ihn mit diesem Ort, Träume und Erlebnisse, die Abschnitte eines Lebens, das er gleichermaßen gewollt und verflucht hatte.
Er hatte eine Menge gewonnen und schlussendlich alles verloren, bis ihm nicht mehr blieb als das Leid eines Menschen, der keine Zukunft mehr kannte.
Dieses Leid hatte ihn in die Arme der Imperialen Armee getrieben, jener Organisation, von der man zynisch behauptete, dass sie die einen aufsteigen ließ, während die anderen zu Boden sanken.
Sie hatte sie sich seines Leids angenommen und ihn zusätzlich durch die Tatsache bestraft, dass er die Rangleiter des Militärs emporraste wie auf einem Gleis, das ihn schlussendlich an einen Punkt ohne Wiederkehr führte. Eine Schlucht, so tief und breit, dass man einen Leman Russ hätte hineinwerfen können um anschließenden vergeblich darauf zu warten, dass er irgendwo aufschlug.
Und die allgegenwärtige Grausamkeit des Universums begleitete ihn auch durch seinen aktuellen Rang wie eine unliebsame Freundin, die ihm die Fehler seines Lebens immer wieder vorhielt.
Dabei war es nicht einmal so, als wenn er nicht schon genügend Zeit für das Lösen der Aufgaben seiner Dienststellung hätte aufwenden müssen. Immerhin gab es dort auch eine ganze Menge Leid zu verarbeiten.
Das Leid eines jeden Colonels, ob er nun bei Milizen, den planetaren Verteidigungsstreitkräften oder in der imperialen Armee diente, bestand aus der Tatsache, dass er als Stabsoffizier und oberster Vorgesetzter eines Regiments immer und Jederzeit für seine Untergebenen ein offenes Ohr haben musste, sich um ihre Belange zu kümmern hatte und dafür sorgen musste, dass es ihnen gut ging. Er war derjenige, der dafür sorgte, dass seine Armee in allen Belangen des militärischen Auftrags funktionierte und dass Männer wie auch Gerät motiviert waren und funktionierten.
Diese Aufgabe war nicht leicht. Bei weitem nicht. Aber bisher war Colonel Galardin Alberic Ekko ihr liebend gern nachgekommen. Dass er es dabei von Zeit zu Zeit Menschen zu tun bekam, bei denen man sich fragte, ob sie seine Hilfe überhaupt verdient hatten, störte ihn im Gros der Fälle eigentlich gar nicht.
Manchmal war es jedoch anders.
»Kommissarkadett Achad Alit, Sir!«, stellte sich der junge Offizier vor, der vor wenigen Sekunden in sein Büro – oder besser: vor den alten Schreibtisch im Kommandeurszelt der Einheit – getreten war und antwortete somit auf die etwas verwunderte Frage, wer er denn sei.
Seine Haltung war militärisch gerade, seine Ausgehuniform, großteilig aus dunklem Stoff und Leder bestehend, machte einen tadellosen Eindruck.
Neben seinen schwarzen Lederstiefeln lag eine gerade fallengelassene Kampftasche von der Größe eines Seesacks, die er wie selbstverständlich mit in das ohnehin enge Bürozelt geschleppt hatte.
»Und was wollen Sie hier?«
Damit stellte der Colonel eine berechtigte Frage. Die Aufgaben eines Kommissars deckten ein weites Spektrum möglicher Szenarien ab, die im Auftauchen des Kommissarkadetts gipfelten – angefangen bei einem einfachen Truppenbesuch bis hin zur Exekution einer ganzen Kompanie.
Doch egal, aus welchem Grund, das Auftauchen eines Kommissars (und selbst wenn er nur ein kleiner Frosch am unteren Ende der militärischen Rangleiter war) bedeutete fast immer Ärger.
Immerhin oblag es diesen Politoffizieren, das Regiment im Sinne der imperialen Doktrinen zu unterweisen und durch unbändigen Glauben an die Richtigkeit ihres Tuns sowie unerbittlicher Härte im Sinne des Imperators zu moralisieren.
Nicht, dass der Colonel etwas dagegen gehabt hätte. Nein. Beileibe nicht. Das Imperium war ihre Heimat und sein Fortbestehen ihr Garant für ein aufregendes und stets von Feuerwerk, spannenden Ausflügen und wechselnden Bekanntschaften beherrschtes Leben.
Allerdings gab es eine Reihe von Ansichten, in denen Colonel Ekko mit den Betrachtungsweisen des Kommissariats kollidierte. Und seine Erlebnisse hatten ihn in der Vergangenheit bereits mehr als nur einmal gelehrt, in Bezug auf die Beflissenheit der Kommissare ein bisschen mehr Vorsicht walten zu lassen.
Alit runzelte verwirrt die Stirn, so als habe er diese Frage nicht erwartet. Hatte er vermutlich auch nicht. Es dauerte einige Sekunde, bisher er schließlich mit klaren Worten den Grund seines Hierseins umriss. »Sir, ich will in die Scheiße!«
»Ah«, bestätigte der Colonel, dass er die Worte seines Gegenübers verstanden hatte, bevor er aufsah. »Okay. Durch die Zeltreihe, hinten rechts, ganz bis zum Ende. Da finden Sie die Latrine. Stecken Sie den Kopf aber nicht zu lange in die Schüssel. Habe gehört, die Dämpfe sollen benebelnd wirken.«
Der Kommissarkadett, offensichtlich bereits auf eine vorbereitete Erwiderung fixiert, öffnete den Mund, dachte dann aber noch einmal genauer über den Wortlaut seines Gegenübers nach. Sein Mund blieb einen Moment lang halboffen stehen, so als befände er sich im endlos lang ausgedehnten Zustand zwischen dem Tick und Tack zweier Sekunden, dann geriet das Antlitz des Kommissars in Bewegung.
Die Kinnlade des Mannes klappte herunter. Wäre sie nicht von Muskeln, Sehnen und Haut abgefangen worden, wäre sie ihm vermutlich abgefallen und mit lautem Scheppern auf den Boden geschlagen. Eine beeindruckende Leistung, betrachtete man die Tatsache, dass dieser mit einem billigen Teppich ausgelegt war. »Ich … wie … wie meinen Sie das?«
»Kennen Sie das Gefühl wenn Sie glauben, das Universum habe sie wieder einmal um etwas wirklich Wichtiges beschissen?«
»Nein, Sir.«
Ekko lächelte finster und legte die Finger aneinander. »Möchten Sie es kennenlernen?«
Er ließ sich tiefer in den Sitz sinken und genoss für einen Moment die peinliche Stille, die sich im Zelt ausbreitete.
Man konnte Alit ansehen, dass er krampfhaft versuchte, Worte zu finden und einen Bogen zu spannen, der ihn aus dieser etwas prekären Lage katapultierte. Er versagte kläglich.
Also war es wiederrum der Colonel, der die Initiative übernahm und das Gespräch erneut ins Rollen brachte.
»Also ich frage noch mal: Warum sind Sie hier?!«
Sichtlich dankbar, dass er sich nicht für eine überschwängliche Begeisterung für einen kommenden Kampf erklären musste, nahm der Kommissar erneut Haltung an. Mit stakkatoartiger Stimme berichtete er: »Dies ist mein erstes Kommando seit dem Ende meiner theoretischen Ausbildung und ich …«, begann der junge Politoffizier zu erklären, wurde jedoch durch ein nachlässiges Handheben seines Gegenübers unterbrochen.
»Sie haben Ihre Ausbildung beendet und werden zu einem Frontkommando befohlen, ohne dass man Ihnen einen Mentor zur Seite stellt? Ich dachte immer, Kadetten würden zu Gruppen zusammengefasst und unter einem Führungsoffizier an die Front geschickt.« Er zuckte die Schultern. »Scheint, als hätte sich der Codex wieder einmal geändert.«
»A-aber …«, stotterte der Mann, »mir w-wurde versichert, d-d-das Sie einen Kommissar hätten!«
Ekko schüttelte den Kopf. »Wir haben keinen Kommissar … mehr. Der ist auf Agos Virgil mit den Ceramit-Brüsten einer dieser knackigen Ordensschwestern kollidiert.« Er meinte das Adeptus Sororitas. »Aber das hatte Major Carrick doch gemeldet.« Seine Stimme verebbte, während der Kommissarkadett sichtlich erbleichte. Als Mensch in seiner Stellung und mit seiner ‚Erfahrung‘ ohne Bezugspunkt in ein Regiment aus harten, kampferfahrenen Veteranen integriert zu werden, das ließ sich einfach nicht mit den Grundsätzen vereinbaren, die ihm beigebracht worden waren.
Er war in dieser Lage wohl am Ehesten mit einem jungfräulichen Jüngling zu vergleichen gewesen, der als Freier einer Gruppe berufserfahrener Dirnen vorgesetzt wurde und von diesen zuallererst in der Frage angelernt wurde, was er denn unter ‚wahrer‘ körperlicher Liebe zu verstehen habe; ohne dass man ihm vorher den Unterschied zwischen Frauen und diesen halbmenschlichen Succubi erklärte.
Als würde er direkt in eine Vergewaltigung seiner Naivität laufen, in ein Messer, das die Ecken und Kanten seines Wesens nicht mit scharfer Klinge abschabte, sondern sie stumpf weghobelte, bis auch seine Prinzipien dem kalten Eisen zum Opfer fielen.
Hilflos begann der junge Offizier, in einer kleinen Tasche zu wühlen, die an dem breiten Ledergürtel seiner Hose befestigt hing.
Er musste etwas suchen, bevor er schließlich ein zusammengerolltes Pergament fand und dieses mit einem kurzen Wink der Hand entrollte. Ekko beobachtete ihn dabei.
»Hier … mein … mein Einsatzbefehl«, stammelte der plötzlich gar nicht mehr so vorbildlich wirkende Politoffizier und reichte den gesiegelten Schrieb an den Regimentskommandeur weiter.
Skeptisch nahm der Colonel das ihm gereichte Dokument an und las den darauf befindlichen Text.
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte er, noch während seine Augen über die kleinen, verschnörkelten Lettern glitten. Natürlich war es klar, dass der junge Mann vor ihm sicherlich keinen Scherz machte. Kommissare wurden nicht zu Humor erzogen. Aber das, was auf dem Pergament mit seinen übermäßig stark verzierten Buchstaben aussagte klang einfach zu albern, als dass es eine wirklich ernst gemeinte Anweisung sein konnte.
Alits dunkle Ausgehuniform raschelte, als der Kommissarkadett den Kopf schüttelte. »Ja, Sir. Es wundert mich nur, dass Sie darüber scheinbar nicht informiert wurden.«
»Mich wundert in diesem Laden gar nichts mehr.« Ekko rollte das Pergament zusammen und schlug damit gedankenverloren gegen die Kante des schweren Palmenkieferholzschreibtischs.
Mit einem scharfen Geräusch, ähnlich dem Ausschlagen eines Kopfkissens, landete das Papier ein ums andere Mal auf dem altehrwürdigen Holz. Alit beobachtete den Stabsoffizier bei seinem Treiben, zuckte dann und wann zusammen und beäugte sorgenvoll, wie das stumm vor Schmerzen schreiende Dokument brutal malträtiert wurde.
Schließlich hatte der Colonel genug. Er lehnte sich erneut in seinem Sessel zurück. Das Leder knirschte. »Gut. Nun weiß ich, warum Sie hier sind. Aber dennoch frage ich mich: was wollen Sie hier – einmal abgesehen von dem dringenden Bedürfnis, unsere Latrinen in Augenschein zu nehmen.«
Erneut gab er der Stille Zeit, den Kommissarkadett zu umwandern und zu nach seinen wahren Motiven zu befragen. Er selbst wohnte lediglich als Beobachter bei.
Alits grüne Augen huschten suchend umher, folgten dem ihn umkreisenden Schweigen, dessen Geschwätzigkeit für eine ganze Weile den Geräuschpegel im Zelt dominierte.
Als es ihm schließlich die Antwort zuflüsterte, nach der er seiner Meinung nach suchte, atmete der gesamte Raum ein.
»Sir, Erlaubnis offen zu sprechen?«
Ekko hob einladend die Hand.
»Kommissare werden als Moralwächter betrachtet, als Wachhunde.«
»Und das ist nicht richtig?«, erkundigte sich der Colonel.
»Doch. Schon«, erwiderte der junge Politoffizier und setzte ein leises »Sir« hintendran. »Allerdings ist es nicht die Aufgabe des Kommissariats, imperiale Bodentruppen auf ihre politische Treue zu überprüfen. Das ist eine fehlgeleitete Annahme, die noch aus den Zeiten der frühen Kreuzzüge stammt.« Eine Kunstpause folgte. »Kommissare verleihen den militärischen Gesetzen des Imperiums auf Welten wie Bastet Recht. Ihnen obliegen die Unterstützung der örtlichen Kommandeure, ebenjener Männer und Frauen, welche die Planetaren Verteidigungsstreitkräfte führen und die Leitung derer, die sich der Imperialen Armee verschrieben haben. Wir sind, was man allgemein als ‚Höherer Wert‘ bezeichnet. Viele Kommissare, vor allem die älteren, verlassen sich dabei viel zu sehr auf die Macht, die ihnen übertragen worden ist. Sie entfremden sich von denjenigen, mit denen sie zusammenarbeiten.«
»Sie sind anders?«
Alit nickte eifrig. »Ich möchte mich lieber als Kamerad betrachten. Als Begleiter, der seine Truppen motiviert und ihnen die Unterstützung gibt, die sie brauchen.«
»Wie ehrgeizig von Ihnen.«
»Natürlich sind die Erwartungen in diesem Fall ungemein hoch. Auch an sich selbst. Daher wollte ich bei den Besten dienen, Sir.«
»Ich verstehe«; nickte der Regimentskommandeur, den Blick fest auf den jungen Politoffizier gerichtet. In seinem Innern breitete sich Überraschung aus, resümierte über die offensichtlich fehlgeleiteten Annahmen und Sichtweisen seines Gegenübers. »Und vielleicht irre ich mich – aber ich habe lange genug in einer Kampfeinheit der Imperialen Armee gekämpft, um mich zu fragen, ob Sie überhaupt die richtigen Vorstellungen von Ihren späteren Aufgaben haben?«
Verwirrung kroch über Alits Miene, spiegelte sich in seinen dunkelgrünen Augen wieder. »Wie meinen Sie das, Sir?«
»Na ja: je nachdem, wie hoch Sie im Rang steigen, werden Sie eine Ausbildungseinheit, eine Kampfgruppe oder einen Stabszug begleiten, die Dienstvorschriften vorbeten und in weit ausschweifenden Berichten nicht ganz devote Armeeangehörige denunzieren. Es ist nicht ihre Aufgabe, den anderen Soldaten todesmutig voranzustürmen. Sie werden den Männern eher in den Rücken schießen.« Ekko schürzte die Lippen und drehte abschätzig die Hand. »Dafür benötigen Sie keine Kampfausbildung.«
»Sir, darf ich Ihnen eine Zwischenfrage stellen?«, wechselte der Kommissarkadett plötzlich das Thema.
»Könnte ich Sie davon abhalten?«
»Macht es Sie nicht nervös, im Beisein eines Kommissars solche Worte in den Mund zu nehmen?«
»Nein, warum?«
»Na ja, weil man Ihre Worte als Blasphemie auslegen könnte. Oder als Ketzerei. Je nachdem, wie man auf Bastet dazu sagt.«
Ekko dachte eine Weile lang nach, dann schließlich zuckte er die Achseln. »Wenn mir jemand etwas wollte, dann muss man mir einen Kommissaroberst oder einen Inquisitor schicken. Der darf mich dann auf politische Korrektheit überprüfen – auch wenn ich natürlich eher auf eine sie hoffe. Aber davon mehr, wenn es soweit ist. Beantwortet das Ihre Frage?«
Alit blieb stumm.
Eine Weile lang sagten die beiden Offiziere kein Wort, sondern schwiegen sich an. Draußen hallten die fernen Echos von Schüssen. Schießausbildung stand auf dem Plan des 512. Regiments Sera.
Bei jedem der gellenden Schläge zuckte der Kommissarkadett zusammen.
Natürlich. Das hatte sich Ekko bereits gedacht. Zeit, den eigentlich Sinn hinter seinen Fragen und Provokationen zu offenbaren. »Was versprechen Sie sich? Gardisten? Gravschirmjäger? Kasrkin?« Er überlegte einen Moment. »Ja, ich muss zugeben – solch ein Hintergrund liest sich sicherlich elitär «, stellte der Colonel sinnend fest. »Nur, dass wir in nächster Zeit nirgendwo hingehen und Krieg spielen. Diese Einheit ist im Aufbau begriffen. Das heißt, wir sitzen noch ein paar Tage in dieser vollkommen ereignislosen Einöde rum.«
Alit schwieg weiter. Eine weitere Salve Schüsse erklang.
Derweil kehrten Ekkos Gedanken zu der Frage zurück, wer, beim Thron, wohl in diesem Regiment als Kommissar geführt wurde.
Dabei handelte es sich nicht um eine willkürliche Überlegung. Nein. Beileibe nicht. Es ging hier darum, dass sein Regiment offensichtlich einen Politoffizier besaß, der lebendig war, der seine Macht ausspielte und dabei offensichtlich so dermaßen unauffällig auftrat, dass selbst der Regimentskommandeur nichts von ihm wusste.
Vermutlich würde sich besagter Kommissar irgendwann zu erkennen geben und ihm ohne ein weiteres Wort ein Loch in den Kopf stanzen. Eine Person in seinem Regiment zumindest wäre dazu ohne weiteres in der Lage gewesen.
Der Thron fiel. Zumindest machte es deutlich hörbar ‚Pling‘ in Ekkos Kopf. Vielleicht war auch nur eine Synapse explodiert.
Ein schmieriges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Ach so. In dem Fall sollten Sie als später unser Lazarett aufsuchen. Aber noch nicht jetzt. Ich glaube, das wird gerade nur kommissarisch geführt.«
»Und was soll ich nun machen?«, fragte der Kommissarkadett verzweifelt. So schien er sich seinen Dienst nicht vorgestellt zu haben.
»Keine Ahnung«, erwiderte der Basteter und zuckte desinteressiert die Achseln, bevor er einen doch eher ungewöhnlichen Vorschlag machte. »Pinkeln Sie doch Ihren Namen in den Sand. Wenn Sie es schaffen, wäre das ein neuer Regimentsrekord.«
Alit riss die Augen auf. »Ist das ein Scherz … Sir?«
»Nein. Wenn Sie Ihren Namen komplett in den Sand pinkeln, stellen Sie tatsächlich einen neuen Regimentsrekord auf. Nicht mal unsere Kasrkin haben das geschafft. Und die haben alle sehr kurze Namen.«
Das Unglück in Alits Gesicht vertiefte sich. So hatte er sich seinen Dienst in der Imperialen Armee wirklich nicht vorgestellt.
»Und jetzt ab die Post. Ich habe zu tun.«
Der junge Kommissar salutierte. »Ja, Sir!«, presste er hervor und verließ den Raum. Die Begeisterung, mit der er sich vorgestellt hatte, war verflogen.
Der Colonel sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Großartig. Das war … einfach großartig. Ein neuer Kommissar. Zwar ein junger Kommissar, aber ein Kommissar. Ein Wachhund des Departmento Munitorium. Und damit nicht genug. Selbst Marith Calgrow, die Regimentsärztin, die vor Jahren Kommissarin gewesen war, wurde vom Departmento offensichtlich noch in ihrer ursprünglichen Rolle geführt.
Offensichtlich hatte er eine Natter an seinem Busen genährt – auch wenn die Vorstellung, eine Natter an einem männlichen … nein. Herr auf dem Thron. Nein.
Er schüttelte den Kopf. Das war ein schlechter Gedanke. Ein wirklich böser Gedanke.
Kälte kroch über Ekkos Rücken. Trockene, eisige Kälte, die sein Rückgrat hinaufwanderte wie ein aus Eis bestehender Tausendfüßler.
Es dauerte eine Weile, bis ihm aufging, dass die Kälte keine Folge seiner doch sehr verstörenden Gedanken war, sondern von außen in seinen Kopf eingedrungen zu sein schien.
Irgendwo in den hintersten Ecken seines Gehirns begannen Alarmglocken zu schrillen, scheuchten Neurotransmitter und graue Zellen gleichermaßen auf intellektuelle Gefechtsstationen.
Der Colonel richtete sich auf und griff nach der Laserpistole, die schussbereit in seinem Beinhalfter auf den Einsatz wartete. Er fasste ins Leere.
Erschrocken stieß er Luft aus und wirbelte herum. »Im Namen des …!«
Er verstummte. Vor ihm stand eine hochgewachsene, junge Frau, die ihn mit der kühlen Distanziertheit eines überlegenen Intellekts musterte. Die Pistole ruhte in ihrer Hand.
Neben dieser Hand zeichneten sich unter dem Stoff ihrer eleganten Robe Brüste ab, die definitiv groß genug waren, um nicht nur eine Natter, sondern vermutlich eine ausgewachsene Python zu ernähren.
Sie hätte es nicht aussprechen müssen, denn er wusste es, ohne zu fragen: Sie war eine Inquisitorin!
Ihr Haar war zu einem Turm von gut zwölf Zoll Höhe aufgeschichtet, von dem lange Strähnen bis zu ihren Schultern reichten.
In Verbindung mit ihrem blassen, schönen Gesicht und den sanften, gut proportionierten Kurven ihres Körpers wirkte sie attraktiv, zumindest jedoch hübsch.
Er wollte den Begriff schön vermeiden, denn an ihr fand er nichts, das dem gleichgekommen wäre.
Sie besaß die Schönheit einer richtigen Frau nicht, weder die zarte Lieblichkeit seiner (inzwischen sicherlich toten) Frau Ayle, noch die geistige Reinheit einer Leitis Sile. Da war einzig und allein Kälte.
Ekko fühlte Fassungslosigkeit in sich aufwallen. Konnte es wirklich ein Zufall sein, dass eine vollbusige Inquisitorin genau in dem Moment in seinem Zelt auftauchte, indem er eine Bemerkung über ihren Stand machte.
Das also bedeutete die berühmtberüchtigte Aussage: »Niemand erwartet die Heilige Inquisition.«
Er schwor sich, nie wieder unbedachte Witze über ihn besuchende Inquisitoren zu machen.
Vielleicht stellte sich in den kommenden Minuten darüber hinaus sogar heraus, dass seine Besucherin in ihrer Freizeit ehrenamtlich beim Departmento Munitorium aushalf – als Kommissaroberste.
Nicht, dass diese Entwicklung in irgendeiner Form hilfreich gewesen wäre. Allerdings hätte sie der Absurdität der ganzen Situation sogar noch ein Stückchen mehr Substanz verliehen.
Das Universum war einfach ein schlechter Ort.
»Das ist äußerst interessant«, stellte die Frau fest. »In ihrem Kopf herrscht ein mentales Chaos, gegen das ein kräftiger Warpsturm wie ein leise wispernder Wind wirkt.«
»Danke für das Kompliment«, bemerkte der imperiale Offizier trocken. »Ich glaube, meine Jugendzeit in der Schola ‚zur geistigen Flatulenz« war ausschlaggebend für meine außerordentliche mentale Entwicklung.«
Wieder kroch der eisigkalte Tausendfüßler aus seinem Versteck, schickte sich an, Ekkos Wirbelsäule zu malträtieren. »Und würden Sie, thronverdammt noch mal, aus meinem Kopf rausgehen?«, fügte er zischend an, was seine Besucherin eine ihrer schlanken Augenbraue heben ließ. »Ich bin beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie es herausfinden.«
»Ich bin Offizier, kein Idiot.« Der Colonel drehte abschätzend die Hand. »Das wird oft verwechselt.«
Die Inquisitorin lächelte dünn. »Dann vermute ich, Sie wissen, wer ich bin?«, wechselte sie das Thema.
»Es hatte sich angekündigt. Mir ist nur Ihr Name entfallen.«
»Sinwell«, stellte sie sich vor. »Inquisitorin Galia Sinwell vom Ordo Haereticus.«
»Der Name scheint Programm zu sein«, stellte Ekko fest. »Läuten Sie die Glocken eigentlich selbst oder haben Sie dafür einen Campanarius?«
»Mein Beraterstab ist groß genug, um mir in jeder erdenklichen Weise zu dienen«, erwiderte seine Gesprächsgegnerin zweideutig. »Wie ist es mit Ihnen?«
»Da gibt’s nicht viel zu läuten.«
»Und wollen Sie sich mir nicht vorstellen?«
Ekko schüttelte den Kopf. »Ich vermute, Sie wissen bereits, wer ich bin.«
»Touché«, erhielt er zur Antwort. »Da haben Sie wohl Recht.«
Die Inquisitorin umrundete den Tisch, ließ die Laserpistole genüsslich über das Holz streichen.
Dass das große Inquisitionssignum, welches an einer breiten Kette um ihren Halt hing, wie eine sich windende Schlange in ihrem üppigen Ausschnitt hin- und herschwang, erleichterte den Colonel die Unterhaltung auch nicht gerade.
Zumindest aber fokussierte es seine Gedanken. Zu einem gewissen Teil.
»Ich habe bereits viel von Ihnen gehört, Colonel«, erklärte Sinwell. »Es heißt, Sie hätten eine bereits verlorene Schlacht auf eine schier unglaubliche Weise doch noch in einen Sieg gewandelt. Auf … Agos Virgil, wenn ich mich richtig erinnere?«
»Das war einfach nur Pech«, gab der Colonel zurück, bemüht, seine braunen Augen endlich wieder auf Bereiche von Sinwell zu richten, die oberhalb ihrer Schultern lagen. »Geplant war es anders.«
»So?« Sinwell stoppte kurz, ließ die Waffe in ihrer Hand gedankenverloren rotieren, vermutlich um ihren Gedankenfaden aufzuwickeln, dann wandte sie sich ihm wieder zu. »Bedeutet das, dass Sie eigentlich geplant hatten zu verlieren?«
Ein müdes Lachen antwortete ihr. »Verlieren?«, schüttelte der Colonel den Kopf, »Nein. Eigentlich hatte ich geplant zu gewinnen und dabei zufällig zu sterben.«
»Zufällig zu sterben?« Erneut geriet die Pistole in Sinwells Hand in Bewegung. »Meines Wissens nach gibt es keine Zufälle im Universum, Colonel. Der Imperator steuert die Dinge und lenkt unsere Geschicke, auf dass wir in Seinem Namen leben.«
Der Colonel zuckte die Achseln. »Manchmal habe ich das Gefühl, der Imperator habe sich mit dem Universum gegen mich verschworen.«
»Na, na, na!«, fuhr die Untersuchungsrichterin herum und hob den Finger, um ihn warnend zu schwenken. »Ihre Worte könnte man durchaus als Häresie verstehen.«
»Möchten Sie mich denn anklagen?«, wollte er wissen. Das Leder seines Sessels knirschte, als er sich zurücklehnte.
Wieder lächelte die hochgewachsene Frau dünn. »Nein. Ich wollte mir nur einmal ein Bild von dem Mann machen, der als Retter von Agos Virgil bezeichnet wird.«
»Da hätten Sie wirklich nicht herkommen brauchen«, erklärte er nachsichtig. »Ich kenne da einen wunderbaren Fotografen. Der macht Ihnen sogar Abzüge in Plakatgröße.«
Es verging einige Zeit, in der Sinwell die Waffe in ihrer Hand betrachtete. Als sie sich dem hinter dem Schreibtisch sitzenden Mann wieder zuwandte und seine Aussage parierte, klang ihre Stimme gefährlich gleichgültig. »So interessant sind Sie dann doch nicht.«
Wo jeder andere alarmiert zurückgewichen wäre, blieb Ekko ganz er selbst, bereit noch ein wenig mehr Promethium ins Feuer zu gießen. »Schade. Ich hatte bereits darüber nachgedacht, mehr Zeit mit Ihnen zu verbringen.«
»Das werden wir«, verkündete sie feierlich. Den Sarkasmus in seiner Stimme ignorierte sie gekonnt. »Dessen können Sie sich sicher sein. Und es wird eine Freude sein, Sie näher kennen zu lernen.«
Ekkos Gesichtszüge entgleisten kurz. Als es ihm gelang, die bröckelnde Fassade zu gipsen, hatte er der Frau vor sich bereits eine wichtige Information preisgegeben. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite.«
»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel«, präsentierte sie ihm ein überlegenes Lächeln, das den Colonel erneut veranlasste, den Schutz seiner Erfahrung zu verlassen und eine verbale Breitseite aus ihm eigenen, äußerst bissigen Sarkasmus aufs Geratewohl in den Raum zu feuern. Aber in dem Moment, da die Worte sich anschickten, den chaotischen Denkapparat des imperialen Offiziers zu verlassen, geschah das Unglück. Vollkommen planlos, offensichtlich ohne wohlprogrammierte Wegfindung auf die Reise geschickt, verliefen sie sich irgendwo in seinen Gehirnwindungen und irrten hilflos umher, während sein Mund in erwartungsvoller Haltung offen stehenblieb.
Eine ihm unendlich lang erscheinende Weise kramte der Basteter in seinen Gedanken, suchte nach einem Hinweis auf die ihm abhanden gekommene verbale Erwiderung. Er bekam nicht einmal mit, dass er seine Deckung nun komplett fallen gelassen hatte. Dafür war er viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, wohin seine Erwiderung wohl abgebogen sein mochte.
Als er schließlich glaubte, sich endlich an die gesuchten Worte erinnern zu können und aufsah, musste er feststellen, dass sich außer ihm niemand anderes mehr im Raum befand. Die Inquisitorin war fort.
Lediglich die auf dem Tisch drapierte Laserpistole bezeugte die seltsamen Vorgänge der letzten Minuten.
Die Mündung starrte ihm demonstrativ ins Gesicht. Eine Warnung?
Möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich.
Nachdenklich lehnte er sich vor und griff nach der Waffe. Dann hielt er inne. Inquisitoren waren nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie mit offenen Karten spielten.
Es lag also durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Berührung der Waffe eine Reaktion auslöste. Welcher Art diese sein würde, das blieb abzuwarten. Allerdings konnte sich der Colonel gut vorstellen, dass die Herrin des Intra-imperialen Terrors irgendeinen Nutzen daraus ziehen würde. Für einen kurzen Moment wallte in ihm die Frage auf, ob ihn die Waffe unter Umständen wegen sexueller Belästigung anzeigen würde.
Nein. Das war absurd. Ähnlich absurd wie ein imperialer Offizier, der vom Wasserspeier einer Kathedrale baumelte, weil er beim Versuch des Suizids an diesem hängengeblieben war.
Eilig zog der Regimentskommandeur die Hand zurück. Möglicherweise stellte sich der Gedanke als doch nicht so absurd heraus. Maschinengeister konnten recht eigenwillig sein. Wer wusste schon, ob sich die Technikentität nicht doch unsittlich berührt fühlte?
Ärgerlich schüttelte Ekko den Kopf. Nein. Nein. Vollkommen unmöglich!
Dennoch tippte er die Waffe leicht an, bevor er sich entschloss, sie richtig zu greifen. Eine Weile lang dreht er sie in seinen Händen, untersuchte das Material und prüfte, ob sie mit irgendeinem Taschenspielertrick entladen, entsichert oder auf irgendeine andere Weise neu konfiguriert worden war.
Schließlich aber blieb ihm nur die Gewissheit, dass die Waffe keinerlei ungewollte Veränderungen aufwies.
Noch immer nachdenklich schob er die Laserpistole zurück in das Tiefziehholster.
Er konnte sich einfach keinen Reim auf die Frage machen, wie das Gebaren der seltsamen Glockenfee einzuordnen war. Was hatte sie ihm mit ihrem Auftritt sagen wollen?
Ein großes Problem der Inquisition bestand in der Tatsache, dass man ihr nicht unbedingt trauen konnte. Ähnlich wie dem Kommissariat.
Und leider fiel die Deutung ihres Vorgehens und der damit verknüpften Vorgange in diese Unsicherheitszone.
Es war ja nicht so, als wenn ihm die Dame einen Zettel dagelassen hätte mit der Aufschrift: Die Inquisition überbringt Ihnen durch das Verhalten unserer Mitarbeiterin folgende Mitteilung …
Seltsam.
Gedankenverloren blickte der Regimentskommandeur auf den hölzernen Schreibtisch, wo einige seiner dienstlichen und persönlichen Utensilien im Chaos der Datenpads und Aufzeichnungen erstickten. Ein rostiges Eisenpäckchen starrte ihm aus dem Wust seiner Arbeit entgegen.
Dieses Päckchen, eines von Aber-Milliarden im imperialen Raum verbreiteten Notrationsverpflegungssets, begleitete den Colonel seit seinem letzten Einsatz auf der Schreinwelt Agos Virgil, wo sie sich in denen Wirren der Schlacht um die zerstörte Makropole Golgarad kennengelernt hatten.
Seitdem ließen sich die beiden als unzertrennlich ansehen. Eigentlich betrachtete Ekko das Verpflegungsset als seinen Freund, der ihm in schwierigen Situationen mit Rat und Tat zur Seite stand. In diesem Moment aber fühlte er sich von der Horatius getauften Ein-Mann-Packung ein wenig im Stich gelassen.
»Wenn ich das nächste Mal eine humoristische Bemerkung über Inquisitoren machen möchte, dann halt mich auf!«, wandte er sich an die verschlossene Rationspackung, die das Gespräch zwischen ihm und der unheimlichen Besucherin beobachtet hatte.
Die Notration schwieg vornehm.
Ekko nickte. »Das hoffe ich doch.«
»Äh, entschuldigen Sie?«, brach eine neue Stimme in die traute Zweisamkeit.
Der Colonel sah auf. Im Zeiteingang stand eine jüngere Frau, wohl Anfang dreißig, mit einem schmalen, an ein Schild erinnernden Gesicht, aus dem zwei große Augen strahlten. Sie besaß einen erstaunlich breiten Mund, den sie zu einem unsicheren Lächeln geöffnet hatte und etwa brustlange Haare schmutzig-blonder Färbung, die ihr über die Schultern fielen.
Ihr recht schmaler Leib steckte in einem Fliegerkombi der imperialen Raumflotte.
»Seit wann stehen Sie schon dort?«, erkundigte sich der Colonel, ohne auf das plötzliche Erscheinen der Soldatin näher einzugehen.
Das unsichere Lächeln fluktuierte kurz. »Seit Sie sich mit Ihrem Schreibtisch unterhalten haben.«
Ekko konnte nicht verhindern, dass er kurz auf die Rationspackung blickte, bevor er sich seiner Besucherin wieder zuwandte. »Und wer sind Sie?«
»Sir, ich bin Ally Amen!«, salutierte die junge Frau. »42. imperiales Transportgeschwader.«
»Beim goldenen Thron von Terra. Heute nur Weiber in meinem Zelt«, brummte der Colonel und winkt die Pilotin heran.

Und yay! Nächsten Sonntag geht es weiter!
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
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www.fanfiktion.de
Und weiter geht’s!

Bevor wir aber anfangen, habe ich noch mal eine Frage:
Lässt sich der Text in der aktuellen Formatierung denn überhaupt einigermaßen lesen?
Oder soll er lieber in etwas kleinere Abschnitte mit Leerzeilen zwischen formatiert werden?
Sollte sich niemand dazu äußern, dann belasse ich es bei der aktuellen Formatierung

Und jetzt ...

Viel Spaß beim Lesen!



04


Wie viel konnte ein Mensch ertragen?
Diese Frage hatte sich der Cadianer Rahael in den letzten Wochen oft gestellt.
Es war noch nicht einmal ein halbes Jahr her, seit er seinen Fuß zum ersten Mal auf die Schreinwelt Agos Virgil gesetzt hatte, eines Planeten, der ihn nicht nur Teile seines Verstands, sondern auch beinahe das Leben gekostet hätte.
Geweiht der Heiligen Janaïs, einer unsterblichen Kriegerin des Imperators, die vermutlich irgendwann in ferner Vergangenheit einen Feldzug gegen irgendeinen der zahlreichen Feinde der Menschheit geführt hatte, war Agos Virgil selbst Opfer einer feindlichen Invasion geworden.
Eine mächtige Horde Orks, angeführt von einem Waaaghboss – oder einem Ork, der sich dafür hielt – hatte die Bevölkerung des Planeten massakriert und die tapfer im Namen des Imperators kämpfenden Verteidiger abgeschlachtet.
Als Teil der imperialen Entsatzstreitmacht war Rahael auf die verlorene Welt entsandt worden, eingegliedert in die Reihen des fünfhundertzwölften Regiments Sera, einer mobilen Infanterieeinheit vom Planeten Bastetet III. Mit ihnen zusammen hatte er eine seiner ersten wirklich großen Schlachten erlebt: das brutale Gemetzel um die längst verlorenen Verteidigungslinien der Makropole Golgarad, in deren Verlauf er mit seinem Trupp abgeschossen wurde, eine verletzte Sororita rettete, während er zeitgleich die Nerven verlor, worauf ihn besagte Sororita erst einmal umzubringen versuchte.
Wäre es nicht so dermaßen entsetzlich, traurig und beschämend gewesen, er hätte vermutlich darüber gelacht.
So allerdings blieb ihm nicht viel mehr als zuzugeben, dass es wohl nur der unerschütterlichen Hingabe von Leitis Sile – so der Name der Prioris vom Orden des Gläubigen Geistes – zu verdanken war, dass er schlussendlich wieder klar wurde und bis zum letzten Magazin gekämpft hatte, jenem Moment, in dem eine weitere imperiale Streitmacht die arg dezimierten Überreste des 512. aus der Schlacht um die Himmelskathedrale befreit hatte, jenem Ort, zu dem sie im Laufe einer mehrere Tage langen Kampagne zurückgewichen waren.
All das lag noch nicht lange zurück, dennoch waren die Erinnerungen daran seltsam verschwommen und fühlten sich so wertlos an wie ein leergeschossenes Magazin.
Ein Bild allerdings hatte sich unauslöschlich in seinen Kopf eingebrannt: Sile, wie sie über ihm stand in ihrer blutroten Servorüstung, die einst weißen, nun zerrissenen und vom Dreck der Schlacht schmutzigen Epitrachelien in einer leichten Brise wehend. Aus ihrem Gesicht, schön wie ein schneebedecktes Feld im Winter, strahlten stahlblaue Augen und ihre gepanzerte Hand streckte sich ihm entgegen.
Er würde diesen Anblick bis an sein Lebensende nicht vergessen. Und die Tatsache, dass sie ihm sogar ein Andenken geschenkt hatte, um ihn an ihren gemeinsamen Kampf zu erinnern, brannte das Erlebte umso tiefer in seinen Geist ein.
Rahael sah auf seine zur Faust geballte Hand, dann öffnete er sie und betrachtete das darin befindliche Abzeichen des Adeptus Sororitas, die Fleur de Lys. Von Sile eigentlich an einer langen Ketten unter ihrer Rüstung getragen, hatte sie es während ihrer Rückreise im Truppentransportschiff vor den Augen des versammelten Trupps abgenommen und ihm umgehängt. »Du hast tapfer gekämpft. Der Imperator ist stolz auf dich. Und ich bin es auch.«
Allein die Vorstellung, dass dieses wertvolle Stück imperialer Handwerkskunst die nackte Haut ihrer Brüste berührt hatte, bevor es schließlich in seinen Besitz übergegangen war …
Rahael schüttelte den Gedanken von sich. Schlimm genug, dass er seitdem von seinen Kameraden aufgezogen wurde und sich Captain Balgor scherzhaft darüber äußerte, dass er dem Colonel die Freundin ausgespannt hatte. Aber in der Tiefe seines Herzens konnte er es dennoch nicht verleugnen: Er hatte sich in Leitis Sile verliebt.
Es war dumm, sein Herz einer Sororita zu schenken. Das wusste er. Die Schwestern waren kalt, gefangen in ihrem Gelübde dem Imperator gegenüber und der damit einhergehenden Keuschheit.
Dennoch: Sile war eine schöne Frau gewesen, die stets von einem Hauch Erotik umweht wurde. Allein der Gedanke daran, dass sie ihn als wert genug angesehen hatte, um ihn zu beachten, ließ sein Herz einen Sprung machen.
Er schloss die Hand wieder um seinen wertvollsten Besitz. Ob er die Prioris jemals wiedersehen würde?
»Hey. Hör auf zu träumen«, brummte ihn eine kräftige Stimme von der Seite an. Soldat Melbin, seines Zeichens Waffenspezialist in Rahaels Trupp und ein Hüne von einem Mann, ließ einen vorwurfsvollen Blick auf dem weitaus jüngeren Soldaten ruhen. »Wir sind auf Streife!«
Der Cadianer schreckte aus seinen Gedanken auf. »Ich …«, begann und brach ab. Vermutlich wäre es ein Leichtes gewesen, dem Riesen gegenüber eine Entschuldigung hervorzustammeln und sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
In diesem Moment aber wollte ihm einfach keine passende Erwiderung einfallen und so ließ er es bleiben.
Der Weg, den Melbin und Rahael bestreiften, war einer von einem guten Dutzend, die entlang der halb ummauerten, halb umzäunten Fläche verliefen, auf der sich ihr Regiment einquartiert hatte.
Zweieinhalb mal anderthalb Kilometer groß, bildete das Gelände das Fundament einer mächtigen Zeltstadt, nur wenige Kilometer außerhalb der bastetischen Stadt Serareh. Hier wurden normalerweise die auf Bastet ausgehobenen Regimenter der Imperialen Armee, die sogenannten Zehntregimenter, aufgestockt und ausgerüstet, bevor sie sich auf den Weg durch den Warp in Richtung einer der vielen Fronten machten, an denen das Imperium der Menschheit kämpfte.
Nun allerdings wurde das Zeltlager, von den Basteter Soldaten passenderweise »Camp Mahnmal« getauft, von einer widernatürlichen Erscheinung in Beschlag genommen: einem Rückkehrer-Regiment.
Der imperiale Weltraum war gewaltig. Aufgeteilt in Segmente und Subsegmente, Sektoren und Untersektoren, bestand das von den Menschen beherrschte Stück der Galaxis aus einer schier unendlichen Anzahl von Planeten, auf denen Abermillionen Tag für Tag im Namen des Imperators aufbrachen, um an den ebenso zahllosen Fronten in einen ewigen Krieg um das Überleben der Menschheit geworfen zu werden.
Dass ein Regiment jemals zu der Welt zurückkehrte, auf der es ausgehoben war – und dabei nicht als kämpfende Einheit zur Verteidigung jener Welt herangeführt wurde – war daher im Grunde so unwahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass ein Wassertropfen dieselbe Stelle eines Flusses zwei Mal passierte.
Daher wurden Regimenter, die zur Wiederaufstockung auf ihre Heimatwelt zurückkehrten, zumeist mit Argwohn, zumindest jedoch mit Verwunderung in Empfang genommen. Wie der Rückkehr in Mutters Schoß haftete einer solchen Heimkehr meist der Makel der Feigheit an. Als seien die entsandten Truppen nicht auf das vorbereitet gewesen, was sie erwartete.
Dem fünfhundertzwölften Regiment erging es da ähnlich. Besonders auf Seiten des Department Munitorium, so die Aussage Colonel Ekkos, runzelten sich reihenweise die Stirnen.
Daher war die Interaktion der Soldaten mit den Bewohnern Serahrehs und der restlichen Bevölkerung des Planeten auf ein Minimum begrenzt worden.
Rahael konnte das eigentlich nur recht sein. Er fand an diesem Planeten nichts, was ihn interessiert hätte.
»Du kommst einfach nicht von ihr los, oder?«, wollte Melbin wissen, lenkte die Gedanken seines Streifenpartners wieder auf das engelsgleiche Antlitz der Sororita.
Der Angesprochene zuckte die Schultern.
»Sie wollte dich umbringen«, fuhr der massige Mann fort, erreichte mit dieser Aussage aber nur wenig.
»Wir müssen alle irgendwann einmal sterben.«
Melbin schnaubte missvergnügt. »Sag das doch mal Itias.«
Soldat Itias, ein junger Basteter und wie Rahael zum ersten Mal mit den Grausamkeiten des großen Universums konfrontiert, hatte mit dem jungen Cadianer im Laufe der Kampagne auf Agos Virgil im selben Trupp gekämpft. Dadurch war zwischen den beiden eine gewisse Freundschaft entstanden. Doch anders als ihm selbst, war Itias die Möglichkeit Halt zu finden verwehrt worden und so hatten ihr die sinneszerfetzenden Geschehnisse in ein tiefes Loch fallen lassen, aus dem es kein Entkommen mehr gab.
Irgendeines Morgens auf der Rückreise hatten ihn seine Truppenkameraden auf seiner Pritsche liegend gefunden, bereits erkaltet, aber mit friedlichem Gesichtsausdruck.
Doktor Calgrow, die Regimentsärztin, hatte bescheinigt, dass er irgendwann während der Nacht einfach gestorben war. Obwohl sie keinen wirklichen Grund für den Tod des jungen Mannes ausmachen konnte, tippte sie auf Selbstmord und legte den Fall zu den Akten.
Rahael allerdings gelang es nicht, einfach so loszulassen.
Mehr denn je beherrschte seitdem eine Überlegung seine Gedankenwelt: Wie viel konnte ein Mensch ertragen?
Vielleicht würde er irgendwann eine Antwort darauf erhalten. Vielleicht auch nicht. Wer wusste das schon?
Fest stand zumindest: der Imperator – in seiner unendlichen Güte – hatte ihnen einige Wochen der Ruhe und Erholung beschert, bevor er sie mit einem Wink seines langen bürokratischen Arms erneut in den Ewigen Krieg um das Überleben der Menschheit schicken würde.
Und auch, wenn die ihnen geschenkte Zeit nicht mehr war als eine Zahlung in Raten, so wusste Rahael, dass er sie nicht verschwenden würde.
»Guten Morgen, Melbin. Rahael«, näherte sich den beiden Patrouillierenden eine neue Stimme.
»Guten Morgen, Corporal!«, antwortete Melbin.
»Alles in Ordnung?« Corporal Gorak, vormals einer der Soldaten des Trupps und der wohl beste Freund von Melbin, trat an die beiden heran. In der Schlacht um Agos Virgil hatten das Duo Gorak und Melbin einige beeindruckende Taten vollbracht, und vermutlich wären sie zu einem Spezialistenteam zusammengewachsen, wenn der für sie verantwortliche Captain Gorak nicht für eine Beförderung vorgeschlagen hätte, um das ausgedünnte Führungspersonal neu zu strukturieren.
Nun war ihnen der ehemalige Kamerad vorgesetzt. Allerdings bedeutete das nicht, dass sich seine Einstellung oder sein Verhalten gegenüber geändert hätten – sah man einmal davon ab, dass er plötzlich ein wenig förmlicher geworden war. »Irgendwas zu sehen?«
»Hier ist nichts zu sehen«, grummelte der Hüne an Rahaels Seite missmutig. »Nur Sand und ein paar große Viecher, die mal auftauchen und dann wieder verschwinden.«
»Willkommen auf Bastet«, entgegnete Gorak und klopfte Melbin gegen den Arm. Um dessen Schulter zu erreichen, hätte er sich strecken müssen.
»Schon irgendwas gehört wegen unseres Ersatzes?«, wollte Rahael wissen.
Der Corporal schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Ich habe vorhin gesehen, wie der Lieutenant mit Captain Balgor gesprochen hat.« Der Lieutenant – namentlich Baldrian Lenhim – war ihr ehemaliger Sergeant gewesen und ähnlich wie Gorak der Beförderungsflut im Rahmen der Regimentsneustrukturierung zum Opfer gefallen.
Nun diente er als Lieutenant und Zugführer in einer Zwischenebene, denn die im Regiment eigentlich als Züge bezeichneten Einheiten waren zu Kompanien umgegliedert worden, was im Grunde nichts anderes bedeutete, als dass sich die Anzahl der Befehlsebenen erhöht hatte. Bürokratie eben.
»Angeblich wollen sie uns Freiwillige zuteilen, mit denen wir unsere Einheiten neu aufstocken können«, fuhr der Unteroffizier fort und drehte abschätzig die Hand. »Aber ganz ehrlich? Selbst die Offiziere bezweifeln, dass sie dermaßen viele Freiwillige finden, wenn sich erst einmal herausgestellt hat, wie viele Soldaten wir auf Agos Virgil verloren haben.«
»Na, großartig«, grummelte Melbin weiter, »dann weiß ich ja schon, wo sie nach Freiwilligen suchen werden.«
Er meinte Gefängnisse, Arbeitslager und all diejenigen Orte, an denen sich der Bodensatz der Gesellschaft sammelte, für den das Leben in der Imperialen Armee zumindest noch den Vorteil einer relativen Freiheit bedeutete.
»So lange sich die Leute formen lassen, sollte das kein Problem sein«, stellte Gorak fest. »Aber dir wäre es vermutlich lieber, wenn wir noch ein paar Cadianer mehr ins Regiment bekommen, oder?«
»Oder Elysianer oder Valhallaner oder sonst wen«, wandte der Hüne ein. »Aber bloß keine Tallarner. Die stinken immer so nach Mukaali-Scheiße.«
Gorak lachte leise. »Ich bin mir sicher, dass sie uns genügend Truppen zur Verfügung stellen werden.«
»Hoffen wir’s«, fügte Rahael an und sah wieder auf seine Faust, in der er das Ekklesiarchie-Symbol verbarg.
»Und wie geht es dir?«, wollte Gorak freundlich wissen.
Noch bevor der junge Cadianer die Gelegenheit zur Antwort erhielt, übernahm Melbin das Zepter der Gesprächsführung. »Er weint noch immer seiner Verflossenen hinterher.«
»Sile?« Gorak schürzte die Lippen. »Ich weiß nicht, Melbin. Ich denke, die Schwester hatte deutlich mehr zu bieten als du«, neckte er seinen ehemaligen Truppkameraden, was dieser mit einem beleidigten »Ha, ha«, quittierte.
»Hast du denn noch mal irgendwas von ihr gehört?«
»Nein«, erwiderte er nachdenklich, um das Siegel zu betrachten. »Denkst du, Corp, dass ich sie jemals wiedersehen werde?«
»Ich weiß nicht«, überlegte Gorak schulterzuckend. »Vermutlich müsstest du Gardist werden, um eine Sororita zu beeindrucken.«
»Gardist, hm?«, überlegte der junge Cadianer und schloss seine Faust um das ekklesiarchische Abzeichen.
Gardist zu werden in den Reihen der Imperialen Armee war eine Angelegenheit, die einem Menschen fast in die Wiege gelegt wurde. Und das buchstäblich.
Die Schola Progenia, die Waisenhäuser des Imperiums, waren jene Schmieden, in denen die Gardisten, auch bekannt als Tempestus Scions, geformt wurden. Gerüchte besagten, dass ihr Training unmenschlich hart und die Versagensrate der Auszubildenden hoch war (wie auch deren Todesrate).
Für einen einfachen Soldaten gab es keine Möglichkeit, sich für die Reihen der Scions zu qualifizieren.
Allerdings kannte er eine andere Gruppierung von Soldaten, die eine ähnlich elitäre Stellung einnahmen wie die Gardisten und deren Verbände durchaus durch reguläre Soldaten befüllt wurden.
Und zumindest von diesen Männern wusste er, dass sie unglaublich viel ertragen konnten.

***


Die Sonne war gerade damit beschäftigt, eine Fahne auf dem Gipfel ihres Tagesverlaufs zu hissen, als der nächste Gast sich anschickte, das Zelt des Kommandeurs aufzusuchen.
Schon an seiner Körperhaltung ließ sich ablesen, dass er nicht aus denselben Gründen zu seinem Vorgesetzten kam wie Kommissarkadett Alit oder Pilotin Amen. Dennoch begrüßte ihn Ekko mit den gleichen Worten. »Und wer sind Sie?«
Major Carrick, gerade im Eintreten begriffen, hielt inne. »Wie bitte, Sir?«
»Nicht so wichtig. Was kann ich für Sie tun, Major?«
Wortlos baute sich der dienstgradniedere Offizier vor dem Schreibtisch auf und nahm Haltung an. »Captain Balgor bat mich, Ihnen dieses Schreiben zu bringen, damit er nicht persönlich kommen muss. Das Departmento Munitorium hat uns gerade eine Mitteilung zukommen lassen: Man erwartet Sie heute Nachmittag zum Treffen mit dem Konsul Brag Fradd.«
»Was für ein Ding?«, hakte der Colonel nach, während er nach dem Schreiben griff, das ihm sein Stellvertreter hinhielt. Die Spitze in den Worten seines Stellvertreters überging er galant. »Und ich dachte immer, Alberic wäre ein bescheuerter Name.«
Er überflog den Schrieb, dann ließ er ihn auf den Berg aus Papier fallen, welcher sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte. »Na, großartig«, stellte er wenig begeistert fest. »Ist es nicht schön, wenn man heimkommt und feststellt, dass sich nichts geändert hat?«
Carrick schwieg, doch Ekko entging nicht, wie ein kurzer Schatten über das Antlitz des anderen Offiziers zog.
»Was hat sich denn geändert?«, wollte er mit ruhiger Stimme wissen und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Das Leder knirschte.
Stille hielt Einzug, senkte den Luftdruck im Raum spürbar. Kälte kroch unter dem blickdichten Vorhang des Kommandozelts hindurch wie Bodennebel und breitete sich ungestört aus.
Es war eine unheimliche Form von Kälte. Trocken, beinahe steril.
Nicht die Art von Kühle, die eine plötzliche Erkenntnis mit sich bringt, ein Schreck, der einem in die Glieder fährt. Nein.
Es war viel mehr die Kälte zwischen zwei Männern, die sich im Grunde nichts mehr zu sagen hatten und lediglich miteinander interagierten, weil die um ihre Hälse geschnallten Sprengbänder ansonsten explodierten.
Und das stimmte zu gewissen Teilen. Das Band zwischen Ekko und den Offizieren seines Regiments hatte während der Schlacht um die Himmelskathedrale von Agos Virgil einen großen Teil seiner Elastizität eingebüßt und war schließlich, bis auf einige wenige Fäden, nahezu vollständig gerissen.
Einen großen Teil der Schuld für diese Entwicklung hätte der Colonel wohl oder übel bei sich selbst suchen müssen. Immerhin waren es seine unorthodoxen und bisweilen als grenzwertig anzusehenden Methoden gewesen, die seine Untergebenen nicht nur ihre Nerven, sondern auch eine Unmenge an Vertrauen gekostet hatten und die dafür sorgten, dass die Moral im Regiment trotz des Sieges eine tiefe Niederlage erlitten hatte.
Auf ihren Gesichtern mochte sich dieser Umstand vielleicht nicht wiederspiegeln, aber in ihren Herzen grassierte Furcht. Furcht vor der Zukunft, Furcht um das eigene Leben und Furcht davor, dass ihr Regimentskommandeur sie irgendwann einmal in den Untergang führen würde.
Carrick gehörte zu jenen Männern. Ganz zum Schluss der Schlacht hatte er sogar etwas Ähnliches wie Insubordination begangen. Unterminierung der Befehlsgewalt.
Nur einem absurden Zufall war es zu verdanken gewesen, dass Ekko trotz dieser offenen Verweigerung in der Lage gewesen war, die Himmelskathedrale lange genug zu halten, damit Verstärkungen der Imperialen Armee die erschöpften und stark dezimierten Basteter entsetzten.
Allerdings war er viel zu faul, um sich weiterhin darüber Gedanken zu machen, also schrieb er die großen Problematiken seines Lebens dem Hass des großen Herren aller Menschen zu und seiner diebischen Freude, einen ganz bestimmten Offizier eines ganz bestimmten Planeten immer wieder aufs Neue zu quälen.
Der Colonel faltete die Hände vor dem Gesicht – die weichen Armlehnen des großen Sessels luden förmlich dazu ein – und betrachtete den vor ihm Stehenden.
Wo Ekko selbst dem Bild eines durchschnittlichen Basteters entsprach – eher mittlere Körpergröße, dunkle Haare, verhältnismäßig dunkle Augen und ein weiches, aber dennoch kantiges Gesicht – entsprach Major Carrick dem Idealbild eines Adonis. Hochgewachsen (er überragte Ekko um gut anderthalb Köpfe), von trainierter Statur und mit strohblondem Haar sowie unheimlichen, hellblauen Augen gesegnet, stellte er im Volk Bastets eine Besonderheit dar. Carrick gehörte zu der Sorte Mensch, die man lediglich ansehen brauchte, um ihnen zu verfallen. Er besaß eine Ausstrahlung, die einen natürlichen Kommandoanspruch emittierte. Etwas, das Untergebene und Vorgesetzte gleichermaßen in ihren Bann zog.
Das wirklich Bemerkenswerte an ihm war jedoch seine militärische Disziplin und die stets vorbildliche Verantwortungsbereitschaft, mit dem er sich den Respekt der Menschen um sich herum erworben hatte. Selbst Ekko, für den Formaldienst einer unliebsamen Art von Gartenarbeit gleichkam, konnte nicht umhin zuzugeben, dass er mit Carrick einen wirklich ausgezeichneten Fang für den Stab seiner Einheit gemacht hatte – auch wenn dieser Fang ihn zuletzt hatte töten wollen.
Jetzt richteten sich die eisfarbenen Augen des Majors auf seinen Vorgesetzten. Seine weiche, wohlklingende Stimme füllte das Zelt: »Sir, Sie haben doch ihre Frau vor einigen Jahren verloren. Wie … wie geht man damit um?«
»Oha«, erwiderte Ekko und erlaubte es dem Sessel, sein Gewicht fangen. Das Leder ächzte. »Das ist ein direkter Einstieg« Er deutete auf einen Sessel, der, etwas diagonal nach rechts versetzt, gegenüber dem Platz des Regimentskommandeurs an den ausladenden Schreibtisch grenzte.
Der Major nahm die Einladung an und ließ sich elegant auf die ebenfalls aus dunklem Leder bestehende Sitzgelegenheit sinken.
»Ich nehme an, Sie möchten das weiter ausführen?«, hakte der Colonel nach, obwohl sich in seinem Kopf bereits ein Puzzle zusammenzusetzen begann, das aus den Teilen der heutigen Vorhaben und Erlebnisse bestand. Seine Kombinationsgabe erwies sich als treffend.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jemals von meiner Frau erzählt habe«, begann der Major. »Laetitia.«
»Mir war bekannt, dass Sie verheiratet waren, aber wir haben uns nie über Ihr Privatleben unterhalten.«
Der Regimentskommandeur bemerkte die Verzweiflung, welche sich unterschwellig an die nächsten Worte aus Carricks Mund hängte. »Ich habe sie gesehen, Sir. Sie ist nicht mehr als ein zersetzter Schatten ihrer Selbst. Irgendeine seltsame, unbekannte Krankheit, die sie von innen heraus zerstört und zusammenfallen lässt wie eine …« – bei diesen Worten holte er tief Luft und schüttelte sich – »…wie eine lebende Tote.«
Ekko nickte. »Ja, davon habe ich schon einmal gehört«, stellte er fest. »Weiß man denn, wann es geschehen ist?«
Der Major schüttelte den Kopf. »Irgendwann kurz nach meiner Abreise.«
»Verstehe.« Erneut füllte Stille den Raum, setzte sich Kälte an den Wänden fest, und erst als Ekko erneut das Wort ergriff, brachen die Brocken unsichtbaren Eises von den Wänden. »Was denken Sie?«
»Ich weiß es nicht«, musste Carrick zugeben. »Vielleicht straft mich der Imperator? Vielleicht prüft er mich?«
Den wahren Gedanken, der hinter seinen Worten lag, sprach der Major nicht aus. Vielleicht hatte auch nur Ekkos Unglück, jene ungeliebte Freundin, die ihn seit jeher zu begleiten schien, in Carrick einen neuen Liebhaber gefunden und schmiegte sich nun an ihn, um sein Leben zu einer einzigen Lichtkaskade aus Unglück, Verzweiflung und Explosionen werden zu lassen.
Wäre es so weit gekommen, der Major hätte vielleicht ein wenig mehr Bewunderung für die überraschende Bravour erübrigen können, mit der sein Vorgesetzter ein Leben aus Hoffnungslosigkeit und fortwährenden Katastrophen meisterte.
»Haben Sie mit ihr reden können?«, setzte der Regimentskommandeur das Gespräch fort.
»Ja. Sie war kurz bei Bewusstsein«, nickte der Major. »Aber sie leidet. Sie leidet unendlich. Ich kann es einfach nicht ertragen, sie so zu sehen.«
»Was wollen Sie nun tun?«
»Ich …«, begann der Angesprochene, dann verstummte er und senkte den Blick für eine Weile. Als er wieder aufsah, strahlte Entschlossenheit aus seinen blauen Augen. »Ich habe ihr versprochen, sie nicht mehr allein zu lassen.«
Das saß. Ekko zwang sich, die Worte aufzunehmen und fest zu schlucken. Er fühlte seinen Mund trocken werden in der Erinnerung an eine Geschichte aus seiner Vergangenheit. Eine Geschichte, die aufbrach wie eine alte Wunde in jenem Moment, da er seinen Fuß erneut auf das Antlitz dieser verfluchten Welt gesetzt hatte. »Machen Sie einem Mädchen kein Versprechen, das Sie nicht halten können«, mahnte er seinen Untergebenen. »Ich habe es einmal getan und es bitter bereut.«
»Und was war der Grund?«
»Ich habe einem Mädchen geschworen, sie ewig zu lieben.«
»Und?«
»Ich tat es nicht – und nun ist sie tot.«
Carrick schwieg erneut für eine Weile. »Das spricht nicht gerade für Sie, Colonel«, sagte er schließlich.
»Tja«, zuckte der Colonel die Achseln. »Ich weiß nicht, ob sie das Leben an meiner Seite für erstrebenswerter gehalten hätte.«
Carrick blieb die Antwort schuldig, was Ekko jedoch mehr sagte, als jede Erklärung es getan hätte.
»Wie lange kennen wir uns schon?«, wechselte er plötzlich das Thema.
Carrick, durch diese Frage vollkommen überrumpelt, fiel nichts Besseres ein, als ehrlich zu antworten. »Gut zwei Jahre, Sir.«
»Und soweit ich mich erinnern kann, haben Sie während dieser Zeit unermüdlich mein Regiment verwaltet. Sie haben sich sogar gegen meine Pläne gestellt, als Ihnen deren Sinn für das Überleben der Männer zweifelhaft erschien. Und das will etwas heißen.«
Der Major überlegte eine Weile. »Ja, Sir. Das kann sein«, erwiderte er vorsichtig.
Ekko nickte und nahm das Pergament vom Tisch, das Kommissarkadett Alit ihm überreicht hatte. Gedankenverloren öffnete das Dokument und rollte es dann wieder zusammen. »Gehen Sie zu ihr, Carrick. Machen Sie nicht den Fehler, den ich damals gemacht habe.«
»Aber, Sir …«, begann der Major, wurde jedoch sofort unterbrochen.
»Niemand dankt es Ihnen, wenn Sie den Dienst vorschieben. Sie wird es am Allerwenigsten tun.« Er legte das Papier zurück auf den überfüllten Schreibtisch. »Und Sie werden es schlussendlich bereuen. Gehen Sie heim. Kümmern Sie sich um sie – und winken Sie mir ab und an, damit ich weiß, dass Sie wirklich noch leben. So lange kann Captain Balgor Ihre Aufgaben übernehmen.«
Mit diesen Worten entließ er den Major.
Carrick stand auf, langsam und fast kraftlos. Einige Momente lang stand unentschlossen vor seinem Sitz, dann wandte er sich zum Gehen.
»Ach ja«, entfuhr es dem Colonel. »Wissen Sie, warum sich eine Inquisitorin mit uns beschäftigen sollte?«
Der Major drehte sich um. »Bitte was?«
»Nicht so wichtig«, erwiderte der vor ihm Sitzende in dem Verständnis, dass er gerade eine wirklich dämliche Frage gestellt hatte. »Mir ist da vorhin etwas wirklich Witziges passiert und ich wollte Sie an meiner Freude teilhaben lassen.«
»Eine Inquisitorin?«, hakte der Major nach, ohne auf die Worte einzugehen.
»Ja. Mit einem Dekolleté, das einem Häretiker mehr Antworten entlocken würde als jedes mir bekannte Folterinstrument.«
»Warum sollte sich eine Inquisitorin mit uns beschäftigen?«, warf der blonde Basteter die Frage zurück, die ihm Ekko kurz zuvor gestellt hatte.
»Das wollte ich eigentlich von Ihnen wissen«, erwiderte dieser.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Ich auch nicht. Aber keine Sorge«, beruhigte der Colonel seinen Stellvertreter »schlimmer als ein besonders abartiger Traum kann es nicht werden.«
Er sollte seine Meinung bald revidieren.

Und yay! Nächsten Sonntag geht es weiter!
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
7.761
www.fanfiktion.de
Und weiter geht’s!


Der Name dieses Kapitels ist Programm: Eines Besseren belehrt.


Ich habe bereits eine ganze Menge Input bekommen und dadurch viele Ideen, sodass ich die kommenden Kapitel noch einmal ein wenig umschreiben und ändern möchte. Das wird Zeit brauchen – und da mir aktuell die Kapitel ein wenig ausgehen und ich außerdem die nächsten 2 Wochen nicht da bin, wird sich das noch etwas ziehen.


Sagen wir … Ende Mai geht es weiter?


Viel Spaß beim Lesen!



05


Die Verwaltungsadministration der Imperialen Armee auf Bastet III war ein in sich geschlossener Sektor der Stadt Serareh, dessen Sicherheit durch eine fünfzehn Meter hohe und bis zu neun Meter breite Mauer sichergestellt wurde, auf der in regelmäßigen Abständen Wachposten stationiert waren.
Wuchtige Türme, lediglich mit wenigen Öffnungen versehen und daher eher Schießscharten denn richtige Fenster, standen als viereckige Beobachter in regelmäßigen Abständen über die Verteidigungsanlage verteilt.
Weitere Stellungen für Schwere Bolter und andere Maschinenwaffen säumten den Festungswall, beobachteten das umliegende Gelände mit wachen Augen.
Darunter reckten schwere Geschütze ihre langen Rohre aus kasemattartigen Stellungen in den Himmel wie die Stacheln eines sehr wehrhaften Tieres, bereit, jedem Angreifer im Notfall den Todesstoß zu versetzen.
Ekko schürzte anerkennend die Lippen und lehnte sich in seinem Sitz zurück, als der Stabswagen mit ihm an Bord von der breiten, stark befahrenen Hauptstraße abbog.
Die Kraft und Macht mit der die Bastion jeden Besucher (egal, ob Freund oder Feind) willkommen hieß, versetzte ihn ein ums andere Mal in Erstaunen.
Zwar war es noch nicht lange her, dass er das Gelände zum letzten Mal betreten hatte, doch seitdem schien eine Ewigkeit vergangen zu sein.
Und das Gefühl, die bösartige Fremde eines toten Planeten gegen die vertrauten Gefilde der Heimat eingetauscht zu haben, fühlte sich überdies fantastisch und erhebend an.
Mit diesem Ort verbanden ihn unendlich viele Erinnerungen. Viele von ihnen waren gut, andere wiederrum schlecht. Doch Fakt blieb: Bastet war seine Heimat – und sie würde es immer bleiben.
Das Fahrzeug wurde langsamer und kam schließlich vor einem Tor zum Halten, dessen Größe die einer imperialen Kathedrale nicht zu scheuen brauchte.
Zwei kolossale Pylonen, in Größe und Form den Beinen eines Warlord-Kampftitanen entsprechend, flankierten den Zugang in die ‚Verbotene Stadt‘, der durch einen dicken Schlagbaum versperrt war.
Zwei Wachsoldaten, in die Steppentarn-Uniformen der PVS von Bastet gehüllt und mit den obligatorischen Armaplast-Schutzwesten ausgerüstet, traten aus einem der Pylone, in den eine Art Sicherheitsposten integriert zu sein schien.
Ekko bemerkte, dass jenseits des Schlagbaumes ein Schwerer Bolter in einem befestigten Unterstand wartete, die Mündung auf den Stabswagen gerichtet. Wieso war ihm dieser nicht bei seinen letzten Besuchen aufgefallen?
Das Fenster des Fahrerplatzes fuhr unter dem leisen Surren von Elektromotoren herunter.
»Der Imperator und die Heilige Bastet beschützen«, grüßte der Wachsoldat, der dem Fahrzeug am Nächsten stand, in den Personenraum. »Papiere und Fahrtziel bitte.«
Sein Kamerad, gut anderthalb bis zwei Meter hinter ihm, umrundete die Fahrzeugfront, das Kantrael-Typ-36-Lasergewehr in Pirschhaltung.
»Der Imperator beschützt«; antwortete der Fahrer, ein Adept des Munitoriums. Die Heilige Bastet erwähnte er mit keiner Silbe. »Colonel Galard Ekko, 512. Sera, für Konsul Brag Fradd, Departmento Munitorium.«
Ein Klemmbrett, verziert mit den Insignien des Munitoriums, tauchte aus der Ablage zwischen Fahrer- und Beifahrersitz auf und wechselte den Besitzer.
Der Wachposten besaß sich die Informationen, die ihm die auf das Brett geklemmten Papiere verrieten, ein wenig genauer, dann warf er einen musternden Blick auf den imperialen Offizier auf der Rückbank, welcher diesen auf gleiche Weise erwiderte.
»In Ordnung«, sagte er schließlich und reichte Klemmbrett zurück an den Fahrer, der es wieder in der Ablage verstaute. »Sie können weiterfahren. Möge die Heilige Bastet Sie begleiten.«
»Danke, Corporal. Ruhige Wache. Der Imperator beschützt.«
Mit einem knappen Wink bedeutete der Soldat seinem Kameraden, den Weg freizumachen, dann trat er selbst vom Fahrzeug zurück.
Der Schlagbaum schwang hoch. Sie fuhren wieder an.
Jenseits des Tores öffnete sich das Gebiet urplötzlich.
Ekko kam sich vor wie ein Luftmolekül, das nach seinem Eintritt in die Nase und seinem Ritt durch eine (wenn auch recht kurze) Luftröhre schließlich in der großen Lunge ankam.
Gut einen Kilometer folgten sie einer breiten Straße durch ebenes Gelände, welche durch unregelmäßig gesetzte Schutzbauten und Bunkeranlagen gesichert wurde. Weitere kuppelartige Bauten verrieten, dass sich zusätzlich noch versenkte Unterstände im Gelände verbargen.
Wer diesen Stützpunkt der Imperialen Armee verschlingen wollte, der würde lange an den Verteidigungsanlagen zu knuspern haben und – mit ein bisschen guten Willen des Imperators – sich die Zähne daran ausbeißen.
Eine Unebenheit schüttelte das Fahrzeug durch, traf den Colonel mit dem trockenen Schlag einer detonierenden Handgranate. Soldaten sprangen rund um das Vehikel aus ihren Deckungen, traten den Rückzug vor einem unerbittlichen Feind an, der im Begriff war, die Himmelskathedrale von Agos Virgil im Sturm zu nehmen.
Unter dem dröhnenden Hämmern ihres Zwillingsbolters setzte eine Chimäre aus ihrer Stellung, wollte die Flucht der Infanteristen decken. Eine Rauchfahne zischte über Ekko hinweg, grub sich tief in das imperiale Kettenfahrzeug.
Mit einem trockenen Knall hob der Turm des Schützenpanzers ab, wirbelte in den azurblauen Himmel davon. Ekko blinzelte und wandte sich um.
Nur ein Tagtraum, versuchte er sich einzureden. Eine Erinnerung an vergangene Zeiten. Aber aus irgendeinem Grund war er sich dessen selbst nicht ganz sicher.
Sie ließen das Areal, das als »Sperrstreifen« bezeichnet wurde, hinter sich und folgten der Straße bis zu deren Mündung, einem ausladenden Kreisverkehr, auf dessen Mittelinsel eine aufragende, reich verzierte Säule die Ankömmlinge ins Herz des Armeehauptquartiers willkommen hieß.
Richtungsweiser, unförmige Tafeln mit gotischer Schrift, erklärten Ortsfremden mit knappen Worten, in welche Schwerpunktbereiche des Festungssektors die Fahrtwege ausfächerten, mit denen der Kreisel verbunden war. Ekko allerdings kam gar nicht dazu, einen längeren Blick auf die Schriften zu werfen, die ihm den Weg zu seinem Ziel gewiesen hätten, denn der Fahrer lenkte sein Gefährt mit überraschend hoher Geschwindigkeit in und durch den Kreisel, bevor sie ihn durch die dritte Ausfahrt gegen den Uhrzeigersinn wieder verließen.
Immer tiefer drangen sie in das einem Bronchialgeflecht gleichende Straßenverkehrsnetz ein, das sich irgendwo zwischen den gewaltigen Silhouetten wuchtiger Gebäude verlor.
Alles in allem wollte es dem Colonel so vorkommen, als repräsentiere die Anlage an sich die gesamte Struktur, mit der das Imperium auf Bastet III eingefallen war. Zumindest beschlich ihn das Gefühl, als er versuchte, sich einen geistigen Lageplan des Weges zu skizzieren.
Nach einer Weile gab er es auf. Blieb nur zu hoffen, dass zumindest der Fahrer wusste, wo in dem tief verschachtelten Sektor er seinen Gast abzusetzen hatte. Andernfalls würde der Colonel sich verirren und nie wieder heil aus der Verwaltungsadministration herausfinden.
Aber, schoss es ihm durch den Kopf, vielleicht hatte man ja auch gar nichts anderes beabsichtigt gehabt.

***
Wie die meisten Gebäude auf Bastet III war auch die Basilica Administratum des Departmento Munitorium ein auf Funktion ausgelegtes Gemäuer. Statt der trotz ihrer Wucht fragil erscheinenden, sehr vertikal betonten Bauwerke der imperialen Gotik, die vor allem durch ihre kunstvolle Bauweise und reiche Verzierungen bestachen, hatte man sich beim Bau des Administratums an einer im Vergleich dazu fast schon archaischen Baukunst bedient: der Monumentalbauweise. Das Gebäude musste nicht gut aussehen. Es sollte stattdessen möglichst starkem Beschuss standhalten und gut zu verteidigen sein.
Ein Horror für jeden Gegner, der es wagte, durch die Stadtmauern von Serareh zu brechen, den Festungssektor zu nehmen und das Munitorium zu attackieren.
Auf Bastet dachte man pragmatisch.
Dies begrenzte natürlich vor allem die Höhe der einzelnen Bauwerke, denn durch den Einsatz schwererer Materialien in Decken und Seitenwänden erhöhte sich der Druck, welcher auf besagten Seiten lag, exponentiell. Dadurch kam es, dass die Bauwerke mit wachsender Größe ‚kopflastig‘ zu werden drohten, was wiederrum eine Verstärkung der Mauern und somit eine Erhöhung des Gesamtgewichts notwendig machte.
Im Grunde ließ sich das Bauprinzip mit der Errichtung einer Sandburg vergleichen. Je mehr Sand man auf das Gebilde schüttete, umso massiger wurde es in seinen Ausmaßen. Allerdings verlor es dabei auch Beständigkeit und bereits eine kleine Erschütterung ließ ganze Teile des aufgeschichteten Sediments abrutschen.
Dasselbe Prinzip – wenn auch in anderen Ausmaßen und mit einem leicht differenzierten Hintergrund – konnte auf die Bauwerke Bastets angewandt werden. Und besonders die Bedrohung durch Feindfeuer erwies sich als katastrophal für die Lebensdauer der auf diese Weise errichteten Häuser, Tempel und Komplexe.
Und so hatte man mit der Zeit immer mehr Modifikationen vorgenommen, die sich auf die Sicherheit und die Statik auswirkten. Eine leichte Böschung der Außenwände ermöglichte es, die Stabilität der Gebäude zusätzlich zu erhöhen und ein wenig mehr des auf den Seitenwänden lastenden Drucks abzuleiten.
Aber im Grunde blieb das Problem unverändert:
Die basteter Bauwerke erschienen vergleichsweise blass und wenig beeindruckend im Angesicht anderer imperialer Konstruktionen, ähnlich einem kleinen, dicken Mann neben einer wohlgeformten Göttin.
Politisch, wirtschaftlich oder sozial bedeutende Gebäudekomplexe, Anlagen des öffentlichen Lebens sowie Stadttore oder Einlässe in bestimmte Gebiete bedienten sich daher eines kleinen Tricks, um ihre Bedeutung im generell sehr niedrigen gehaltenen Aufbau basteter Bauwerke ein wenig hervorzuheben: sie nutzten Pylone.
Pylone waren architektonische Besonderheiten, wie sie im Imperium nur auf wenigen Planeten vorkamen. Entgegen dem eigentlich obligatorischen gotischen Baustil, der die Macht und Eleganz eines Gebäudes als ebenmäßiges Werk auf dessen gesamter Größe präsentierte, taten Pylone im Grunde das Gegenteil.
Sie waren so etwas wie die Stein gewordenen potemkinschen Dörfer. Aufragende Turmkonstruktionen, die einer dahinterliegenden Anlage ein wuchtiges und vor allem wichtiges Erscheinungsbild verliehen, das diese eigentlich gar nicht besaß.
Auf Bastet symbolisierten diese wuchtigen Türme, die immer einen zentralen Torüberbau einrahmten, zudem die Berge des Horizonts, hinter denen die Sonne versank oder denen sie entstieg. Wie eine Grenze zwischen profanem und sakralem Raum, die das Leben der gewöhnlichen Menschen von den Heiligtümern des Imperators trennten.
Bauwerke, die sich reich verzierte Pylone leisten konnten, galten darüber hinaus als besonders wichtig und beachtenswert.
So auch die Verwaltung des Department Munitorium; ein gewaltiges, im Grundriss rechteckiges Bauwerk mit einer hochaufragenden Front aus insgesamt vier Pylonen, die ihm das Erscheinungsbild einer unfertigen Mauer gaben.
Gotische Zeichen, Statuen und Steinbilder zierten die Eingänge, hießen den ehrfürchtigen Besucher in ein Gelände Willkommen, von dem man wohl eher angenommen hätte, es sei einer besonders wichtigen und tragisch verschiedenen Persönlichkeit gewidmet.
Dass er in seinem Leben schon öfter falsch gelegen hatte, dass wusste Galardin Ekko. Aber als er sich an die Worte erinnerte, mit denen er Major Carrick vor nicht allzu langer Zeit beruhigt hatte, da keimte in ihm die Vermutung auf, dass er wieder einmal seiner großen Nemesis, dem allmächtigen Universum, in die Falle gegangen war.
Zumindest wollte es ihm so vorkommen, als er dem Wachposten, einem jungen Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und dunklem Haar, vor dem Eingang zum Palast des Departmento Munitorium seinen Dienstausweis vorzeigte.
Der Mann beäugte ihn und die Angaben, auf der Identifikationsurkunde kritisch, so als gleiche er die schriftliche Behauptung eines Besuchers mit einer Liste geladener Bankettgäste ab. »Colonel Ekko?«, fragte er.
»Gibt’s hier sonst noch eine derart gut aussehende Persönlichkeit?«, fragte Ekko zurück.
Ein Moment der Stille folgte. Für kurze Zeit säuselte nur der Wind seine sanfte Melodie. In der Ferne schrie ein Gladius-Vogel lachend.
Sein Gegenüber versteifte sich und hob abrupt den Kopf. Eine Zeit lang suchte der Mann nach den richtigen Worten, um die Bemerkungen zu parieren, obwohl ihm die eingreifende Stille verschwörerisch zuflüsterte, er solle stattdessen doch lieber die Daten auf dem Ausweis mit den Identifikationsmerkmalen des imperialen Offiziers abgleichen.
Einige Gedankengänge später entschied sich der Wachposten, diesem doch sehr rationalen Vorschlag zu folgen.
Sein durchdringender Blick fiel auf das Gesicht, des Colonels, dann wieder auf den Ausweis. Als nächstes auf die Rangabzeichen auf dem Mantel, dann wieder auf den Ausweis. Zuletzt musterte der Sicherheitsposten den Nametag auf dem Drillich des Basteters, bevor er auch diese Information mit den Daten verglich, die ihm das Ausweispapier zeigte.
»Die Papiere sind in Ordnung«, gab er nach dieser doch sehr eingehenden Prüfung mit gewichtiger Stimme bekannt und gab den Ausweis zurück.
»Danke«, erwiderte Ekko, nahm den Ausweis an und steckte ihn in die Brusttasche seines Drillichs. Am liebsten hätte er den Soldaten aufgefordert, ihm im Gegenzug seinen Ausweis zu präsentieren, aber irgendwie war er dann doch viel zu faul dazu.
Er erwiderte den Gruß des Mannes und machte sich auf den Weg in die Tiefen der imperialen Administration.
Aus den Innenseiten der mächtigen Pylone beobachteten ihn die fein gehauenen Statuen bastetischer und imperialer Berühmtheiten.
Jenseits des wuchtigen Eingangs verstärkte sich der Eindruck, den die Anlage erweckte, in kürzester Zeit auf ungeahnte Weise.
Dort entspann sich ein massives Geflecht aus mehrstöckigen Administrationsgebäuden und Archiven, Bibliotheken und Amtszimmern, Sekretariaten und Kanzleien für die Arbeit von Tausenden, dank deren Hilfe sich nicht nur die PVS, sondern auch die auf Bastet ausgehobenen Truppenverbände der Imperialen Armee verwalten ließen.
Zentrum dieses ausladenden Areals war eine tempelartige Anlage aus großen, schweren Mauern und mächtigen Pylonentürmen, die ihr das Aussehen einer toten Spinne gaben, flankiert von langen Reihen aus Pfeilern und Säulen, Arkaden und Kolonnaden, die in gleichmäßigen Abständen voneinander die Längsfassaden säumten.
Allein der mit fein behauenen Steinen ausgelegte, breite Weg, der den Besucher durch den Haupteingang der Außenanlage bis ins Innerste der Armeeverwaltung führte, schüchterte durch die massive Zurschaustellung imperialer Macht derart ein, dass sich der Unglückliche wohl gefragt hätte, ob er diesen Bereich von Serareh jemals wieder würde verlassen können.
Alles an dem ehrfurchterregenden Werk zielte darauf ab, seinen Besuchern die allumfassende Macht des Imperiums zu präsentieren und mit erhobenem Finger daraufhin zu weisen, wie klein man in dessen Angesicht war.
Aufragende Palmen warfen eigenartige Schattenmuster auf den Vorplatz der Gebäudeflut. Seltsame, im leisen Säuseln des Winds lebendig erscheinende Gestalten, die über den Boden krochen wie zweidimensionale Monster, immer auf der Suche nach einem unvorsichtigen Ziel, das sie einhüllen und in ewige Dunkelheit stürzen konnten.
Einen Moment lang blieb der Colonel stehen, betrachtete den Bau vor sich und dachte an jenen Tag zurück, als er die Mauern des Administratums zum letzten Mal durchschritten hatte. Jenen Tag, an dem sich sein Schicksal untrennbar mit dem Schicksal des 512. Regiments Sera verknüpfte. Im Angesicht der vergangenen Monate fühlte sich die Erinnerung surreal an, fast unwirklich.
Konnte es wirklich wahr sein, dass er und seine Untergebenen sich erst vor einem halben Jahr aufgemacht hatten, gegen die Bösartigkeit des Universums anzutreten?
In seiner Erinnerung kam ihm das viel länger vor. Dort fochten sie bereits ein ganzes Zeitalter mit den Mächten der Finsternis – und gegen sich selbst.
»Entschuldigung, Colonel Ekko?«, adressierte ihn eine Stimme, irgendwo links im toten Winkel seiner Augen.
»Was würde Sie tun, wenn ich ‚Nein‘ sage?«, konterte er rhetorisch, während sein Blick auf dem Schattenspiel der Bäume fokussiert blieb.
»Das würde ich für sehr unwahrscheinlich halten«, fügte die Stimme an.
»Sehr mutig von Ihnen«, merkte der Offizier an, indem er sich nun doch umwandte.
Die rot berobte Gestalt vor ihm verneigte sich tief, sodass es dem Colonel nicht möglich war, ihr tatsächliches Aussehen zu erfassen. Allerdings ahnte er bereits, dass sicherlich kein Mensch vor ihm stand. In den administrativen Rängen der imperialen Verwaltung war der Anteil an reinen Menschen gering. Zu einem weit größeren Teil beschäftigte man dort Hybridwesen aus Lebewesen und Maschinen. Einerseits, weil diese in bestimmten Funktionen auf die mächtigen Fähigkeiten ihrer widernatürlichen Bauteile zurückgreifen mussten. Andererseits, weil es manche Leute schick fanden, ihre Körperteile durch Maschinenteile zu ersetzen – oder weil es nötig wurde.
In beiden Fällen wurden sie Colonel Ekko suspekt. Ihm war natürlich bewusst, dass kybernetische Lebewesen das Imperium am Leben (und am Laufen) hielten. Allerdings waren sie nun mal nicht mehr »ganz«. Und das beunruhigte den Offizier in ihm. Technologie war nicht so berechenbar wie der menschliche Wille. Diese Erfahrung hatte er mehrmals gemacht. Zumeist ging mit dem Machen einer solchen Erfahrung eine unglückliche Entwicklung einher, die ihn schon mehr als einmal in eine missliche Lage brachte.
Postwendend fiel ihm der Spiegel der Erinnerung mit Bildern aus der Schlacht vor Agos Virgil vor die Füße, wo er durchweg mit Technologie in Konflikt geriet und sogar in die Gefahr, von dieser getötet zu werden. Thronverdammte Raketenbatterien, dachte er bei sich und betrauerte stumm seinen alten Mantel.
Dann fiel er zurück in den Normalraum und sah auf. Der Mann vor ihm verneigte sich nach wie vor. »Und wer sind Sie?«, wollte der Colonel wissen.
»Nator, Colonel, Lexicat ersten Ranges des Konsuln Brag Fradd, Departmento Munitorium, Dienststelle Bastet, zu Ihrer Verfügung.«
»Was haben Sie getan, damit Ihnen diese Ehre zu Teil wurde?«, entwich es dem Colonel noch bevor er es verhindern konnte.
Die andere Gestalt sah ihn verständnislos an.
Ja, natürlich, dachte Ekko bei sich. Lexicaten waren Verwaltungsservitoren, so wie die meisten Servitoren höchstwahrscheinlich ehemalige Verbrecher, die man durch Bauteile »ergänzte« und sie dann umprogrammierte, damit sie der Gesellschaft dienten. Wenn das Ding vor ihm auf dieselbe Weise in den Dienst des Munitorium gelangt war, dann würde es sich vermutlich nicht mehr daran erinnern.
»Vergessen Sie es«, meinte er abwinkend.
Der Lexicat verneigte sich andeutungsweise. »Wollen wir?«, fragte er und hob einladend die Hand, deren metallene Skelettfratze Ekko herausfordernd anblickte.
Er ließ sich vor ihn nicht beeindrucken, sondern nickte stattdessen. »Nach ihnen.« Es war sicherlich keine Freundlichkeit, die aus ihm sprach.
Sie überquerten den Platz und traten durch den reich verzierten Haupteingang.
Schatten schnappten nach ihnen, zogen schnell über die hinweg und blieben dann stirnrunzelnd stehen ob der Tatsache, dass sie ihre Opfer nicht packen und mit sich in die Dunkelheit zerren konnten.
Im weiteren Verlauf des Tages würden diese lichtlosen Räume jenseits der blockierenden Palmblätter in ihre düsteren Höhlen zurückkehren und erregt über die Tatsache debattieren, weshalb es ihnen nicht vergönnt war, denselben Festigkeitsgrad zu erreichen, den sie bei sämtlichen dreidimensionalen Körpern in ihrem Erfassungsbereich beobachteten. Im Augenblick allerdings ärgerten sie sich einfach nur.
Derweil folgte Ekko dem ihm vorausgehenden Lexicat, der mit seiner deutlich zu langen Kleidung den Boden wischte, durch ein Geflecht aus mehrstöckigen Administrationsetagen, auf denen die Archive, Bibliotheken und Amtszimmer, Sekretariate und Kanzleien für die Arbeit von Tausenden lagen, dank deren Hilfe sich die auf Bastet ausgehobenen Truppenverbände der imperialen Armee verwalten ließen.
Und aus irgendeinem Grund kam er sich dabei wie ein Vollidiot vor. Ob das allerdings an der Tatsache lag, dass er sich wieder einmal hoffnungslos in dem Gewirr aus Gängen verloren hatte oder er nach wie vor über die prekäre Situation nachgrübelte, in die er gebracht worden war, hätte er später nicht mehr sagen können.
Die Echos ihrer Schritte sprangen zwischen den langen Reihen der sie flankierten Pfeilern und Säulen, Arkaden und Kolonnaden umher wie eine kleine Hexe, die sich während ihrer ersten Flugversuche von den aufragenden Fassaden archaischer Häuser abstieß. (Ein Vergleich, für den der Chronist dieser Geschichte irgendwann einmal von zwei gut aussehenden Zwillingsschwestern des Adeptus Sororitas besucht wird.)
»Wie, sagten Sie noch einmal, heißen Sie?«, erkundigte sich Ekko, nachdem sie in einen Seitengang abgebogen waren und den Aufzug in die nächste Etage betreten hatten.
Noch während er auf dem Bedienelement das Ziel ihrer Reise eingab, spulte der andere seine Begrüßung erneut ab: »Nator, Colonel, Lexicat ersten Ranges des Konsuln Brag Fradd, Departmento Munitorium, Dienststelle Bastet, zu Ihrer Verfügung.«
»Verstehe«, antwortete Ekko und beobachtete, wie sich die grauen Türen des Lifts zuschoben, bevor er seine Augen auf den Lexicat richtete, der nun endlich die weite Kapuze seiner Robe abnahm.
Nator wirkte auf den ersten Blick wie ein unauffälliger, normaler Mensch mit wenig Haar und einer recht hohen Stirn, die ihm in Verbindung mit einer langen Nase ein vogelartiges Aussehen verliehen. Bei genauerem Hinsehen allerdings fiel dem Betrachter auf, dass die rechte Gesichtshälfte seltsam leblos wirkte. Fast wie bei einer Puppe, der man menschliche Haut aufgezogen hatte. Es war dem Colonel bereits bei der Begrüßung aufgefallen, denn dem eilig aus Nator hervorbrechenden Redeschwall schien zumindest diese Hälfte des Gesichts ein wenig hinterherzuhinken. Die Bewegungen der Wangen- und Mundpartie machten einen behäbigen Eindruck. Selbst ohne, dass dem Colonel der Technologisierungsgrad direkt offenbar wurde, ließ sich erkennen, dass Nator kein vollständig, funktionierender Mensch mehr war.
Einer der Gründe, aus denen Ekko seinen Blick nicht von ihm abwandte.
Nach einem kurzen Moment, der dem Colonel eher vorkam wie ein schwacher Ruck, hielt der Aufzug bereits auf der Etage, die der Lexicat eingegeben hatte. Sie stiegen aus.
Ein ausgewaschener, weinroter Teppich führte ihre Schritte tiefer in das triste, sandfarbene Innenleben der Munitoriums-Außenstelle, bemüht, wenigstens den Anschein einiger farblicher Akzente zu wahren.
»Bitte hier entlang«, bedeutete sein Führer ihm zu folgen, bevor er sich nach rechts in einen neuen Gang wandte, der von schmalen, eckigen Säulen flankiert wurde.
Wuchtige, mit Ornamenten reich verzierte Vasen duckten sich hinter die Pfeiler, musterten die Ankömmlinge kritisch und beobachteten jeden ihre Schritte aufmerksam, während die in ihnen lagernden Pflanzen traurig ins Leere starrten.
Ein unheimliches Gefühl der Rastlosigkeit machte sich in Ekko breit. Fast wie eine innere Stimme, die ihn regelrecht anflehte, den kalten Gebäudekomplex so schnell wie möglich zu verlassen.
Nun allerdings war es zu spät. Sie gelangten an ein großes, reich verziertes Tor, vor dem zwei Wachsoldaten ihre Posten hielten.
In dem Moment, da die beiden Ankömmlinge in Sicht kamen, nahmen die Männer zackig Haltung an. Die Gewehre schnellten in den Vorhalt.
Das Klirren der Repräsentationsrüstungen hallte weit über den erstaunlich leeren Gang, prallte von den Wänden und ab und verlor sich, ebenso hilflos wie Colonel Ekko, irgendwo zwischen den Säulen und Kolonnaden.
»Ist es nicht wunderbar, endlich wieder den straffen Formaldienst und die unbedingte Pflichterfüllung der PVS von Bastet III zu erleben?«, erkundigte sich der Lexicat, bevor er die roten, mit engen Reihen aus Totenschädeln besetzten Flügeltüren aufstieß und in den Raum dahinter trat.
Ekko derweil blieb direkt neben einem der in Präsentierhaltung verharrenden Soldaten stehen und betrachtete ihn eine Weile, bevor er drohend den Finger hob. »Sie haben da ein Staubkorn«, mahnte er und folgte dem Lexicaten erst, als die Antwort darauf ausblieb.

***​
Brag Fradd, seines Zeichens Konsul des Departmento Munitorium, stand am Glas des mächtigen gotischen Fensters seines Büros und blickte auf die glitzernden Fluten der Maat, eines der großen Flüsse, welche die wenigen Meere Bastets speisten.
Die Basteter bezeichneten die Maat als Fluss des Schicksals, der die Träume, Wünsche und Hoffnungen der Menschen mit sich nahm und sie in das Meer der Tränen führte, wo sie verdunsteten und sich mit dem Universum vereinigten, auf dass der Imperator sie erhörte und in seiner unendlichen Gnade vielleicht die eine oder andere Bitte gewährte.
Ohne Frage bot der mächtige Strom einen erhebenden Anblick, aber für Fradd war er tatsächlich nicht viel mehr als eine stete Erinnerung an sein eigenes Schicksal.
Er war kein Basteter. Beileibe nicht. Die Menschen und die Kultur dieses Planeten waren ihm fremd. So fremd, dass er sie jeden Tag aufs Neue verteufelte.
Doch mehr als das konnte er nicht tun. Das wehrhafte Tier, das das Departmento Munitorium in Vertretung des Imperiums darstellte, schnappte nicht nur nach Feinden außerhalb seiner Reihen. Es riss die Menschen aus ihren Welten und verschleppte sie, irgendwohin in eine dunkle Höhle abseits der gewohnten Gefilde.
Doch wo die Furcht grassierte, sich der eigenen Welt zu entfremden, da gab es auch Widerstand. Da versuchte man, den Unannehmlichkeiten zu entfliehen, sobald sich einem die Gelegenheit bot.
Besonders traf dies auf ‚Außenweltler‘ zu, die, in die Regionen Bastets getrieben, dort strandeten und nach jeder Möglichkeit griffen, sich der wenig wohlgesonnen Umwelt und beziehungslosen Kultur zu entziehen.
Eigentlich an die gemäßigteren Zonen seiner Heimatwelt Abudant Minor gewöhnt, hatte es Fradd im Laufe seiner Dienstzeit in die ariden Gegenden verschlagen, aus denen sich das Gros der bewohnbaren Landfläche Bastets zusammensetzte. Tatsächlich glaubte er, in seiner Versetzung – wenn auch verknüpft mit einer Beförderung zum Konsul des Departmento – einen verzweifelten Versuch der Administration zu erkennen, seinem steilen Aufstieg auf die gleiche Weise ein Ende zu bereiten, wie eine Guillotine einem Delinquenten.
Wer einmal auf eine Welt wie Bastet versetzt worden war, eine unwirtliche und ungastliche Gegend, von der sich jeder zivilisierte Einwohner des Imperiums so weit wie möglich entfernt hielt, der erlitt einen tiefen Knick im weiteren Fortschritt seiner Karriere.
Tatsächlich bezeichnete man Posten wie den des Obersten Konsuls der Departmento Munitorium, Außenstelle Bastet, als Posten ohne Widerkehr – passend zu den Legenden, die sich in den Gegenden dieser fast schon neo-barbarischen Provinz hielten.
Zugegeben. Es handelte sich bei Bastet weder um eine Todeswelt, noch irgendeinen vom dauerhaften Krieg gebeutelten Planeten.
Wen es an einen solcher Ort verschlug, der brauchte sich keine Illusionen zu machen: Er würde nie wieder in die Wirklichkeit eines gemäßigten Lebens zurückfinden.
Bastet lag also nicht wirklich am Ende der Galaxie. Aber man konnte es von dort aus sehen.
Es wollte einem beinahe so vorkommen, als löste sich die Welt von Brag Fradd allmählich auf. Als zerfiel sie wie eine Papyrusrolle, die nach Jahrtausenden in einer Krypta von einem unachtsamen Archäologen ans Tageslicht befördert wurde.
Und das ärgerte ihn. Sehr sogar.
Denn Brag Fradd war ein sehr ambitionierter Mensch. Dass man seinem Fortkommen im mächtigen Verwaltungsapparat des Munitorium auf diese Weise ein Ende bereiten zu bereiten schien, das wollte er einfach nicht akzeptieren. Er konnte es nicht.
Für ihn, den eleganten, halbaristokratischen Sohn eines Magistraten des Imperiums, hatte es so etwas wie den hingebungsvollen Dienst nie wirklich gegeben. Der Imperator nahm und der Imperator gab.
Und da er Brag Fradds Dienste in Anspruch nahm, erachtete dieser eine Belohnung für seine Arbeit stets als selbstverständlich.
Dass es plötzlich anders sein sollte, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Dabei hatte er fortwährend versucht, seine Position durch kleine, aber gezielte Schläge gegen seine zumeist unfähigeren Kontrahenten zu behaupten.
Der Zweck heiligte nun einmal die Mittel. Zumindest von Zeit zu Zeit.
Dass ihn das Adeptus Administratum auf diese Weise für seinen Einsatz regelrecht bestrafte, das wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Undankbares Pack.
Leider half leises Fluchen ihm an diesem Punkt auch nicht unbedingt weiter, sodass ihm lediglich blieb, die seinem Rang angediehenen Annehmlichkeiten in Anspruch zu nehmen, um der traurigen Wahrheit zumindest für einige Zeit zu entfliehen.
Und außerdem, zumindest das beruhigte ihn ein wenig, gab es Menschen, die sich in einer deutlich schlechteren Position wiederfanden als er.
Einer dieser Menschen wurde gerade von einem seiner Servitoren in den ausladenden Amtsraum geführt, in dem Fradd residierte, und bedachte ihn nun mit abwesenden Blicken aus Augen, die die Farbe brackigen Wassers besaßen.
Sein Name war Galardin Alberic Ekko, geboren und aufgewachsen auf Bastet. Allein das stellte bereits eine Sonderheit ohnegleichen dar. Wie sich jemand an einem Ort wie diesem aus dem Mutterleib quälen konnte, würde einem Menschen wie Fradd wohl immer ein Rätsel bleiben.
Dass Ekko überdies auch noch entschieden hatte, als Offizier im Astra Militarum – so der offizielle, hochgotische Name der Imperialen Armee – zu dienen, konnte man nur als passend bezeichnen … oder als abartig. Aus der Unwirtlichkeit in das Vergessen.
Vermutlich der Weg eines jeden Kriegers. Zumindest, wenn er für das Imperium der Menschheit kämpfte.
Und dabei wirkte der Mann, dessen Rangabzeichen ihn als Colonel auswiesen, nicht einmal wie ein Soldat.
Zwar trug er die unauffällige Steppentarnuniform aller bastetischen Einheiten, sowie einen Offiziersmantel und eine Schirmmütze mit dienstlich gelieferter Staubschutzbrille, aber dennoch erweckte er eher den Eindruck, sich demnächst auf eine Wandertour irgendwo in den Gebirgen des Jareth-Bezirkes begeben zu wollen, als den eines heroischen Kämpfers.
Sein Haar und Bart, beides von einer kräftigen, dunklen Färbung durchsetzt, wirkte zerzaust und in der Entscheidung gefangen, ob es sich als gestutzt oder wild bezeichnen lassen wollte. Die Haltung, mit der er sich präsentierte, ließ ihn irgendwie kraftlos erscheinen.
Hätte Fradd es aufgrund der Aktenlage nicht besser gewusst, er wäre überzeugt gewesen, dass sich die Person vor ihm einen Scherz erlaubte.
Doch neben den Informationen, die er über Ekko besaß, waren es vor allem die seltsam undefinierbaren Augen, die den Konsul warnten, sich vor seinem Gegenüber in Acht zu nehmen. Trotz aller Verschwommenheit wohnte ihnen ein gefährliches Funkeln inne, das normalerweise einem ungemein scharfen Verstand zu Eigen war.
Er erhob sich. »Colonel Ekko!«, begrüßte er den Ankömmling, während er seinen ausladenden Schreitisch aus dem Holz einer antiken Palmenart umrundete. »Willkommen auf Bastet – oder sollte ich sagen: zu Hause?«
Der Colonel ließ einen Augenblick verstreichen, den Fradd nutzte, ihm entgegenzutreten, bevor er die ihm dargebotene Hand recht desinteressiert schüttelte. »Bleiben wir bei Bastet«, sagte er mit einer Stimme, die auf bizarre Weise zu ihm passte. Sie war tief und mit einer Spur Nachdenklichkeit durchsetzt.
Für einen Basteter beeindruckend akzentfrei, glaubte Fradd dennoch zu bemerken, dass die Worte des Mannes schwer an einer Art Gelassenheit schleppten, die fast an Desinteresse grenzte.
Fast so, als stünde der Mann unter Drogeneinfluss. Ein Eindruck, der im Angesicht seiner doch eher abenteuerlichen Beurteilungen durchaus im Bereich des Möglichen lag.
»Natürlich«, erwiderte der Beamte. Hätte er sich in einem Spiegel betrachten können, ihm wäre aufgefallen, dass sein in Jahren administrativen Dienstes antrainiertes Lächeln verrutscht war. Nicht viel, aber es hätte gereicht, um Fradd zu ärgern, wo er sich anderen gegenüber doch eigentlich sehr gerne überlegen gab. »Wollen wir uns setzen?«
Ekko ließ einen Moment verstreichen, bevor er reagierte, der freundlichen Aufforderung nachkam, auf einem von zwei vor dem Palmenholzschreibtisch drapierten, archaischen Sesseln Platz zu nehmen. Altehrwürdiges Leder knirschte, als er sich setzte.
Auch der Konsul kehrte zu seinem Platz zurück, um sich mit einem hörbaren Ächzen in seine opulente Sitzgelegenheit sinken zu lassen.
Stille füllte den riesigen Raum, den Fradd als sein Arbeitszimmer zu bezeichnen pflegte, wie Wasser, das durch ein breites Rohr in einem leeren Tank gepresst wurde.
Als sie bereits zwei Handbreit unter der Decke stand, atmete der Konsul tief ein. »Tja, Colonel. Die Umstände, die Sie herführen, sind höchst unerfreulich«, umschrieb er den ersten Grund, aus dem er Ekko an diesem Tag in das Munitoriums-Hauptquartier von Bastet hatte kommen lassen.
»Ja«, antwortete der Besucher. »Ich wäre auch lieber ganz woanders.«
Nicht sicher, wie diese Bemerkung gemeint war, überhörte Fradd sie geflissentlich und fuhr stattdessen fort: »Fünf Regimenter, einfach vernichtet …«
»Vier Regimenter«, unterbrach der Colonel. »So etwa vierhundert Leute habe ich noch.«
»Aber – das ist noch nicht einmal Bataillonsstärke!«, versuchte der imperiale Administrat die Worte einzuordnen. »Sie hatten mal dreitausend Mann!« Er schüttelte entsetzt den Kopf. »Wie konnte es soweit kommen?«
Bei diesen letzten Worten wurde sein Tonfall bissiger und anklagender, gewürzt mit einem aggressiven Sarkasmus, der dem Gast sicherlich nicht entging. Zumindest deutete der ruckartige Augenaufschlag von Seiten Ekkos darauf hin, der das gefährliche Feuer hinter seinen brackwasserfarbenen Augen zum Vorschein brachte.
»Würden Sie mir glauben, wenn ich behaupte, dass es ein unglücksseliger Navigationsfehler war?«, erkundigte sich der Offizier.
Fradd öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung, schloss ihn jedoch unverrichteter Dinge wieder. Wie sollte er darauf antworten?
Ekko kämpfte mit einem zweischneidigen Schwert. Als Militärführer für die Erfolge und Missgeschicke seiner Einheit verantwortlich, ließ er sich dennoch nicht für Schäden haftbar machen, für deren Geschehen er sich nicht schuldig sah.
Und wie Fradd nicht nur aus den sehr ausführlichen Berichten zur Schlacht von Agos Virgil, sondern vor allem dem Verhalten seines Gegenübers schloss, sah dieser keinen Grund, sich für den Verlust von dermaßen vielen Leben haftbar zu sehen.
Er war an jenen Ort befohlen worden und hatte dort das getan, was man von ihm erwartete und vor allem, was ihm laut all der über ihn existierenden Berichte entsprach: Trotz aller Widrigkeiten weiter ums Überleben zu kämpfen.
Kurz gesagt: Im Verständnis des gewöhnlichen imperialen Bürgers galt dieser Mann als Held, nicht als Schuldiger.
Im Grunde konnte man ihn auch nur als begrenzt verantwortlich bezeichnen, denn er war weder der Oberkommandierende des Verbandes gewesen, noch hatte er dessen Ansichten uneingeschränkt gestützt. Doch vor allem das in seinen eigenen Berichten skizzierte Verhalten seiner Person warf die eine oder andere Frage auf. Fragen, die zu stellen Brag Fradd nicht befugt war. Zumindest nicht öffentlich.
Natürlich hätte er den imperialen Offizier für seine Bemerkung zurechtweisen können, doch er bezweifelte, dass das Ekko wirklich imponiert hätte. Er schien nicht der Typ dafür zu sein.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie auf derartige Schwierigkeiten stoßen würden«, stellte der Konsul nachdenklich fest, lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich sich über den Kinnteil seines Knebelbarts.
»Als Schwierigkeit würde ich das nicht bezeichnen.« Ekko zuckte die Achseln. »Eher als Katastrophe.«
Fradd, immer noch damit beschäftigt, sein Barthaar zu striegeln, hakte nach. »Hätte es denn eine Möglichkeit gegeben, die Verluste zu vermeiden?«
Wieder füllte Stille den Raum, gurgelte über Sitzmöbel, Tische und Regale, ertränkte Papiere und Datenblätter, von denen mehrere Dutzend fein säuberlich auf Fradds Schreibtisch gestapelt lagen, und schickte sich an, erneut bis an die gut fünf Meter über ihnen residierende Decke zu steigen, als sie zum wiederholten Male von dieser Tätigkeit abgehalten wurde. Dieses Mal war es das urplötzliche Auflachen von Galardin Ekko, das nicht nur die Stille, sondern auch den verhältnismäßig schlanken Konsul überraschte, auf dessen länglichem Gesicht tiefe Falten erschienen.
»Na ja«, sagte der Colonel schließlich. »Wenn wir nicht hingegangen wären, dann schon.«
Erneut landete Galardin Ekko einen Volltreffer mit seinem zweischneidigen Schwert. Als Kommandeur seiner Einheit war er für den Dienst und die Leben seiner Untergebenen verantwortlich, ebenso wie für den ihm erteilten Auftrag. Es oblag seiner Verantwortung, diese beiden sich opponierenden Pflichten eines Kommandeurs gegeneinander abzuwägen und im Namen und zum Wohl des Imperiums zu entscheiden, welche von ihnen schwerer wog und wie er sie am besten gewichtete und kombinierte.
Nun aber stand dem Colonel nicht frei zu entscheiden, einen ihm gegebenen Befehl einfach zu ignorieren oder den Sinn dessen zu hinterfragen, was ihm aufgetragen worden war.
Allein das ließ sich als Kritik am Verwaltungsapparat des Imperiums auffassen und konnte zu schweren Strafen, zumindest aber zu Entrüstung und Ablehnung führen.
Dementsprechend aufgebracht reagierte Fradd auf die Worte seines Gegenübers: »Das ist beschämend!«, rief der Konsul entrüstet aus. »Blasphemisch! Wie können Sie es wagen …?!«
Doch darauf schien Ekko nur gewartet zu haben. Noch während der Konsul seine Wut über die sarkastisch-freche Aussage in den ausladenden Raum warf, begann bereits der verbale Gegenschlag des Colonels. Deutlich ruhiger, aber mit bestimmter und eindringlicher Stimme, die dem Administraten den Mund schloss, erwiderte er: »Nein! Wie können Sie es wagen?!«
Brag Fradd hatte nämlich eines vergessen: das Militär des Imperiums auf dieselbe abwertende Weise zu betrachten, wie er sich von dessen Vertreter behandelt führte, war im Angesicht der Lage ebenso unklug.
»Es ist erstaunlich, dass der Erfolg, die für das Imperium so wichtige Schreinwelt bis zum Eintreffen einer weitaus größeren Streitmacht zu halten, ins Gegenteil verkehrt und zu einer Schwäche stilisiert wird«, zwang der Offizier den Administraten auf seinen Platz zurück. »Die Männer und Frauen unter meinem Kommando haben ihren Dienst für den Imperator unter widrigsten Bedingungen getan, stets im Glauben an ihren Auftrag und das vor uns liegende Ziel. Wir haben den Verlust von vier Regimentern überlebt und dem Feind unter Aufbietung all unserer Kraft die Stirn geboten.« Er knirschte mit den Zähnen. »Glauben Sie wirklich, dass noch irgendeine Armee erfolgreich auf dem Planeten gelandet wäre, wenn es nicht gelungen wäre, die Himmelskathedrale zu halten?«
Er stieß verächtlich Luft aus. »Der Feind war uns überlegen. Bei weitem. Er hatte mehr Truppen, einen offensichtlich fähigen Anführer – soweit man das bei Xenos überhaupt annehmen mag« – bei diesen Worten vollführte er eine wegwerfende Handbewegung – »und deutlich mehr Ausrüstung als das bisschen trauriger Entsatz, das sich über Agos Virgil sammelte und dann entschied, dass man noch mehr Leben für den Imperator sinnlos opfern kann.«
Bei diesen Worten fuhr Brag Fradd entrüstet auf, doch als er seine feine Stimme zu einem Protest erhob, redete ihm Ekko einfach über den Mund.
»Sie sitzen hier in diesem Hauch von Dekadenz und rümpfen die Nase über Statistiken. Wir hatten nicht mal genügend Schützenpanzer, um alle meine Infanteristen ins Gefecht zu bringen. Wir sind gerannt wie die Blöden, nur um erschöpft in den Nahkampf gegen einen Gegner zu gehen, der sich von einem einfachen Lasergewehr nicht aufhalten lässt. Haben Sie schon mal gegen einen zwei Meter großen Ork gekämpft? Gegen eine Gruppe Squiggs oder ein Chefoberboss-Dings mit Rüstung? Sie haben sich doch sicherlich noch nie zuvor mit Blut bespritzen, von Explosionen blenden oder mit Gedärmen bewerfen lassen, bis Ihnen die Reste des Essens vom vorherigen Tag wieder hochkamen, weil sie aufgrund der Rationierung und der Versorgungslage hungrig auf dem kalten Wüstenboden gelegen haben und kein Auge zu machen konnten. Gehen Sie durch solch ein Erlebnis, behalten Sie dabei Ihren Glauben an das Imperium und den Imperator und kehren Sie danach lebend zurück. Und dann kommen Sie noch mal zu mir und sagen mir, was Sie gerade gesagt haben. Sagen Sie es mir ins Gesicht und überzeugen Sie mich, dass Sie es immer noch ernst meinen.«
Fradd erblasste sichtlich.
»So habe ich das doch gar nicht gemeint«, stammelte er, obwohl er sich durch die ganze Aufregung schon gar nicht mehr daran erinnern konnte, was er überhaupt gesagt hatte.
Nicht, dass es für ihn irgendeine Bedeutung gehabt hätte. Galard Ekko war ein Colonel, ein kleines Licht in der Kommandokette und unwichtiger als ein abgelöstes Kettenpolster an den Gleisketten eines Leman-Russ-Kampfpanzers. Tatsächlich hätte es keinen einzigen Grund dafür gegeben, dass der Colonel überhaupt die Stimme gegen einen Konsul erheben durfte.
Allerdings war der imperiale Administrator im Angesicht von dermaßen viel verbalem Offensivpotential vollkommen überrumpelt und unfähig, sich auf seine Imperator-gegebenen Rechte zu berufen.
»Colonel«, antwortete er stattdessen, ein leichtes Zittern der Aufregung in der Stimme, »niemand würde es wagen, die Schuld des Feldmarschalls auf Sie abzuwälzen. Es war Iglianus, der seine Streitmacht in den Untergang führte. Die Chronisten werden seine Rolle in die imperiale Geschichtsschreibung einordnen. Dennoch: Neben Lord-Kommissar Del Mar sind Sie der ranghöchste überlebende Offizier und Ihre Taten werden dementsprechend kritisch beäugt.«
Sein Besucher lachte verhalten und schüttelte den Kopf.
Ruhelos strich sich Fradd durch sein dünnes, schulterlanges Haar, das künstlich und mit viel Aufwand aufgebrauscht worden war, und das ihn irgendwie wie einen fehlrasierten Pudel aussehen ließ. »Ich nehme an, dass sie sich derartige Fragen in den kommenden Wochen noch öfter anhören dürfen.«
Es dauerte einen oder zwei Anläufe, bis sich sein Besucher innerlich darauf einigte, welche Antwort er geben wollte und diese sinngemäß an sein Sprachzentrum übermittelt hatte.
»Ja, ich auch.« Ekko seufzte leise und lehnte sich in einem Sitz zurück. Altehrwürdiges Leder knirschte erneut, als wollte es ihn daran erinnern, dass es bessere Momente gab, in denen er sich mit der Vergangenheit seines Lebens auseinandersetzen konnte.
Eine Weile lang schwieg er, versunken in finsteren Gedanken und Erinnerungen an jene Dinge, durch die er und seine Einheit gegangen waren, bis schließlich ein kurzer, kühler Zug aus Vermutungen durch seine Gehirnwindungen zog, erst zur Überlegung und schließlich zur Wahrheit wurde.
Seine Miene verdüsterte sich. »Heißt das, dass es das Munitorium war, das mir diese Inquisitorin auf den Hals gehetzt hat?«, wollte er mit scharfer Stimme wissen.
Fradd erbleichte. »Inquisitorin?«, brachte er hervor.
Ekko nickte. »Ja. Sie wissen schon: So ein schlankes Ding, ungefähr so hoch.« Bei diesen Worten zeigte er die ungefähre Höhe der Frau mit seiner Hand an. »Feines Gesicht, aristokratische Haltung und eine ganze Menge Panzerung im Frontbereich.«
Der Konsul blieb eine Erwiderung schuldig, gleichermaßen erstaunt und erschüttert von der Offenbarung seines Gegenübers.
Ekko deutete die Reaktion teilweise richtig. »Wollen Sie mir sagen, Sie wussten es nicht?«, brach es aus ihm hervor. »Ihnen war nicht bewusst, dass sich eine Inquisitorin auf Bastet aufhält?
»Doch …«, erwiderte der andere schnell. Vielleicht ein wenig zu schnell. »Doch. Ich … aber … ich wusste nicht, dass sie bei Ihnen …« Er verstummte erneut.
»So, wie Sie sich gerade über unseren Fehl ereifert haben, würde es mich wundern, wenn sie wegen einer anderen Angelegenheit hier wäre. Zumal sich die Dame mir gegenüber doch sehr drohend verhielt«, stichelte der Colonel weiter.
»Drohend?«, wiederholte sein Gesprächsgegner die Worte abwesend. »Ich verstehe nicht … ihre Mission auf Bastet ist geheim …«
»So, so«, begriff der Colonel die Worte des anderen. »Die Mission ist also geheim.«
Die betont ruhige und nachdenkliche Art, in der der imperiale Offizier gesprochen hatte, ließ den Konsul aufblicken. Er bemühte sich die Gedanken seines Gegenübers zu ergründen oder zumindest zu verstehen, wie dessen Aussage interpretiert werden konnte, blieb jedoch dabei seltsam erfolglos.
Eines der vielen Dinge, die Brag Fradd an Bastet nicht verstand, war das Wesen der Basteter. Einer Zivilisation, die sich in vielen Punkten vom Gros der imperialen Welten unterschied und die, weit draußen in den Weiten des Segementum Pacificus, fast so etwas wie eine Sonderstellung einnahm. Neo-Barbaren, die sich unter Gewand einer vermeintlichen Hochkultur verbargen.
Vor allem aber kannte der Konsul das Wesen von Galardin Alberic Ekko nicht.
Und im Wesen der Basteter stellte dieses noch einmal eine Besonderheit dar.
Für Colonel Ekko gab es den Begriff ‚geheim‘ nicht. Er kannte auch das Trennungsgebot zwischen ‚Kenntnis wenn erforderlich‘ und ‚Kenntnis nur wenn nötig‘ nicht. Zumindest, wenn es die Pläne eines anderen betraf.
Mit demselben Funken, mit dem die ersten Urmenschen das Feuer erweckten – oder zumindest einem Funken, der ähnlich stark glühte und ebenso verkohlt roch – entzündete sich die Neugier des imperialen Offiziers.
Schnell gewann sie an Form, Farbe und Intensität und malte mit den Flammen unbändiger Vorfreude auf eine nicht näher einzuschätzende Zukunft ein schwaches Glühen in das Gesicht des imperialen Offiziers.
Für diejenigen, denen diese Eigenheiten des imperialen Offiziers bekannt waren, bedeutete eine derartige Entwicklung ein erstes, unheimliches Zeichen auf eine bevorstehende Interessenschwerpunktfokussierung.
Brag Fradd bemerkte es nicht.
Das Einzige, was ihm auffiel war, dass Ekko in den letzten Momenten einen recht gesunden Farbton entwickelt zu haben schien, deutlich dunkler und kräftiger als der eines durchschnittlichen imperialen Bürgers, aber nicht dunkel genug, um ihn als Bewohner der südlichen Äquatorialebene von Bastet zu identifizieren. Es war mehr eine ins bronzefarbene gehende Haut, die dem Colonel eine bald schon charismatische Ausstrahlung verlieh. Hätte er behauptet, er wolle mit mächtigen Rüsseltieren über ein Gebirge ziehen, um ein riesiges Imperium zu attackieren, man hätte ihm diese Behauptung ohne weiteres abgenommen.
»Aber vermutlich wird das auch nicht Ihr Problem sein, richtig?«, riss der Colonel den Konsul aus seinen Gedanken.
Der war für einen Moment nun vollkommen verwirrt und brauchte einige Momente, um sich zu fangen. »Ich … was?«
»Für Sie stellt sich doch einfach nur die Frage: ‚Wie können wir das Regiment auffüllen und möglichst schnell wieder einsatzbereit machen‘, nicht wahr?«, fuhr der Colonel fort, ohne dass Fradd die Gelegenheit erhielt, etwas zu der Thematik beizusteuern. »Ich vermute, dass sich uns diese Frage ebenso stellt. Wir alle haben einen Grund, aus dem wir kämpfen. Auf Bastet haben wir keine Zukunft. Dafür haben wir uns dieser Welt zu sehr entfremdet. Weswegen wir auch nicht vorhatten, jemals hierher zurückzukehren. Ich selbst habe die Einheit vor gut anderthalb Jahren übernommen, aber andere kämpfen bereits seit fünfzehn Jahren. Es gibt für uns kein ‚einfach aufhören‘. Wir können nicht einfach sagen: ‚Jetzt ist Schluss. Gehen wir nach Hause‘.«
Fradd nickte verstehend, auch wenn er nicht unbedingt begriff, worauf Ekko hinauswollte. Er betrachtete den Mann, dem er gegenüber saß, musterte dessen gut einen halben Kopf größere, schlanke Statur.
»Das ist gut«, bemerkte der Konsul unsicher. »Die Galaxie ist groß – und die Feinde des Imperators sind zahlreich. Wir benötigen jedes Regiment und jeden Mann.«
»Dann haben Sie also schon einen Plan, wie Sie uns neu ausrüsten und einsetzen wollen?«
Fradd zögerte. »Im Grunde … ja. Grob.«
»Also nicht«, schloss sein Gast aus der ungenauen Aussage.
»Doch«, versicherte der Konsul. »Es ist bereits bekannt, dass Sie eine Art Luftkavallerieregiment bilden werden, das bisher noch undesigniert ist.«
»Ein Luftkavallerieregiment?«, überlegte Ekko und sah sich suchend um. Dann beugte er sich verschwörerisch vor und bedeutete dem Konsul, sich selbst über seinen Tisch zu lehnen, bevor er ihm ins Ohr flüsterte. »Das klingt nach einer thronverdammten Scheißidee.«
Fradd stieß entrüstet Luft aus.
»Wir haben ja nicht einmal Gerät dafür«, brachte sein Gegenüber zum Ausdruck, während er sich entspannt zurücklehnte und den geschockten Blick des Konsuls genoss. Seine Hände wedelten in nichtssagenden Gesten umher. »Und keine Ausbildung.«
»Richtig«, stimmte den Konsul zu, sichtlich darum bemüht, die Fassung zu behalten. »Aber das wird sich bald ändern. Entsprechend geschultes Personal und Ausrüstung sind bereits auf dem Weg hierher, um in Ihr Regiment eingegliedert zu werden.« Als sich der bronzefarbene Hautton des Colonels weiter zu verdunkeln schien, fügte er schnell hinzu: »Sehen Sie das Ganze als eine Möglichkeit zur Erweiterung der eigenen Fähigkeiten.«
Ekko sah Fradd an, ein leicht entrücktes Lächeln auf den Lippen, und schüttelte entnervt den Kopf. »Sie haben recht. Das klingt nach einem groben Plan.«
»Sie werden sich daran gewöhnen«, versicherte der Konsul mit ein wenig Nachdruck, bevor er zu einem der auf dem Tisch residierenden Datenpads griff und dieses dem ungläubigen Colonel reichte.
»Hier sind die bisher zu Ihrem neuen Kommando verfügbaren Informationen sowie die Spezifikationen, nach denen Sie Ihr bitte Ihr Einsatztagebuch neu konfigurieren.«
Ekko nahm das ihm gereichte Anzeigegerät entgegen und warf einen Blick darauf. »Astra Militarum«, las er laut vor. »Was ist das denn jetzt schon wieder?«
»Was?«, brachte der Konsul seinen Schreck zum Ausdruck. »Das ist der offizielle Name der Imperialen Armee!«
»Aber nicht, als ich diesen Planeten verlassen habe«, zischte der Colonel. »Und da wäre noch etwas«, stoppte er seine eigenen Gedanken, bevor sie aus seinem Kopf sprangen, zu Fradd stürmten und diesem die Nase demolierten. »Wir haben auf Agos Virgil eine Gruppe von Kasrkin zugeteilt bekommen. Von denen wabern noch drei in meinem Regiment herum.«
Der plötzliche Themenwechsel überraschte den Administraten. Natürlich hatte er vom Einsatz cadianischer Kasrkin während der Schlacht gelesen (und deren Vernichtung im Zuge der Kämpfe), aber er war dennoch nicht in der Lage, die Worte seines Gegenübers richtig einzuordnen. »Was ist mit den anderen passiert?«, wollte er wissen.
Ekko hob seine Hand und ließ die Handfläche wie eine Blume in Zeitraffer aufschnappen. Dazu stieß er explosionsartig Luft aus. Es bestand keine Zweifel daran, was er mit dieser Geste meinte.
»Oh«, murmelte Fradd und nickte verstehend. »Und was möchten Sie nun wissen?«
»Na ja, wo kann ich die loswerden?«
»Wieso wollen Sie eine derart erfahrene Grenadiereinheit loswerden? Es ist eine große Ehre, solch eine Eliteeinheit zugeteilt zu bekommen.«
»Das mag stimmen«, gab Ekko zu, um seine Aussage sofort wieder einzuschränken. »Aber was soll ich mit drei Kommandosoldaten?« In zuckte nachdrücklich die Schultern. »Das ist ja nicht einmal ein vollwertiger Einsatztrupp.«
»Dann machen Sie einen draus.«
»Bitte, was?«
»Na ja – die Einheit aus ihrem Kommando zu lösen und einer anderen Eliteeinheit zuzuführen wäre kostenintensiver, als sie in Ihrem Regiment zu belassen und ihr weiteres Personal zuzuführen.«
»Das soll ein Scherz sein«, brachte der Colonel hervor. »Ich meine … woher soll ich das Personal nehmen?«
»Sie haben doch sicherlich verdiente Infanteristen, oder?«
»Haben Sie zufällig noch einen weicheren Sessel? Dass ich mich besser setzen kann?«
»Wenn Ihnen das Personal nicht reicht … mit den Gravschirmjägern, die Ihnen zugeteilt werden, haben Sie sicherlich genügend Soldaten, die solch einen Posten ausfüllen können.«
Einige Momente vergingen, während atemlose Stille die Gesprächsführung an sich riss. Sie umtanzte die beiden Männer fröhlich und erzählte einige schmutzige Witze, die ihre Wirkung tatsächlich nicht verfehlten.
Zumindest Ekko begann, erst zaghaft, dann immer stärker, zu lachen.
Diese erneute, plötzliche Wandlung des Colonels verwirrte und beunruhigte den Administraten umso mehr. »Habe … habe ich etwas Falsches gesagt?«
Ekko schüttelte in dem Versuch den Kopf, sein Lachen unter Kontrolle zu bringen, benötigte aber noch eine ganze Weile, bis es ihm gelang, dass er wieder ein Wort hervorbringen konnte.
Dann seufzte er schicksalsergeben und lehnte sich zurück. Das Leder seines Sessels knirschte. »Als ich herkam glaubte ich, dass es nicht schlimmer werden kann«, gestand er mit einer Stimme, die sich irgendwo zwischen Ungläubigkeit und Verzweiflung einpendelte. »Sie haben mich gerade eines besseren belehrt.«

Und yay! Ende Mai geht es weiter!
 

Damaskus213

Erwählter
22 Januar 2016
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31
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Hey Sister,

bin letzte Woche auf diesen Thread aufmerksam geworden und dadurch erst auf die Stargazer Reihe.
Dank wenig zeit habe ich doch ne ganze Woche benötigt um die Reihe zu lesen.
Erstmal ein großes Lob von mir, liest sich super und ich freue mich das es weiter geht.

Es haben sich damit schon Fragen geklärt, die ich mir am Ende von Stargazer gestellt habe.
Ob Lenhims Trupp überlebt hat zum Beispiel. Aber wir wissen jetzt, dass er, Rahael, Melbin und Gorak auf jedenfall überlebt haben. Was Itias anging, da hat noch nicht eine gewisse Kommis... Äh ich meine Regimentsärztin ihre Finger im Spiel gehabt, bezügl des plötzlichen Ablebens? ;)

Was ist eigentlich mit Rebis passiert? Lebt der noch? Kam in Stargazer nicht zur Sprache und auch bis jetzt noch nicht. Ob Retexter noch lebt weiß man auch nicht, wenn ich mich nicht täusche.

Den Ausdruck Neo-Barbaren hast du der Honor Harrington Reihe entliehen oder? :p

Aber der arme Ekko Luftkavallerie oh man. Und ich seh schon, dass Rahael sich jetzt bei den Kasrkin bewirbt, da der Kommando Trupp ja aufgefüllt werden muss.
Des Weiteren bin ich auf das erste Zusammentreffen der Inquisitorin mit Sile gespannt.

Ich freu mich schon auf die nächsten Teile.
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
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Hallo,

Danke für dein Review.

Tja, dann heißt es wohl: Willkommen, Freund! Willkommen im Regiment das Verrückte macht. Schön, dass du hergefunden hast und schön, dass dir Stargazer gut gefallen hat :-D

Welche Charaktere leben, welche auftauchen und welche von Bedeutung sind wird sich in den nächsten Kapiteln noch erschließen. Von daher nur ein wenig Geduld!

Leider musste ich im Mai kurzfristig ins Ausland und bin bisher nicht dazu gekommen weiterzuschreiben.

Etwa 60 Prozent des neuen Kapitels sind fertig, es wird aber noch etwas dauern. Reallife geht nun mal etwas vor.


Liebe Grüße

(Neo-Barbaren hatte ich so ähnlich mal in einer früheren Geschichte von mir erfunden. Da waren es Neo-Vandalen. Aber ja, das Neo-Barbaren von Miss Honor gefiel mir damals deutlich besser, sodass es in meinen Sprachgebrauch übergegangen ist)
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
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Und weiter geht’s!
Es hat mal wieder irrsinnig lange gedauert. Leider hatte das Reallife dann doch andere Dinge mit mir vor und ich war die meiste Zeit im Ausland.
Vorerst wird es auch so bleiben, und so kann ich nur in kleinen Zeitfenstern schreiben … hm. Vielleicht sollte ich das 10-Zehen-System lernen, damit ich parallel schreiben kann.
Ich kann mich nur für die Wartezeit entschuldigen und euch sagen: guckt einfach regelmäßig rein – so alle drei, vier Wochen – und mit viel Glück wird es fürs nächste Mal nicht so lange dauern.

Aber dennoch:

Viel Spaß beim Lesen!


06
Die Rückfahrt zum Feldlager verlief relativ ereignislos, sodass es der Colonel sogar schaffte, sein noch immer aufgeheiztes Gemüt in der kurzen Zeit zumindest ein wenig abzukühlen.
Doch das änderte sich recht schnell, denn in dem Moment, da der schwere Stabswagen von der im Licht zweier Sonnen flimmernden Straße auf das Gelände des imperialen Feldlagers abbog, konnte Galardin Ekko die ersten Ausläufer des vollendeten Chaos auf sich zurollen sehen.
Genaugenommen rollten sie nicht, sondern standen auf dem Zufahrtsweg zur Wache in einer langen Kolonne: Große Lastkraftwagen, Truppentransporter des Munitoriums, mit Platz für gut zwanzig Soldaten verstopften die Einfahrt zum Militärstützpunkt wie auch dessen direkt hinter der Wache gelegenen Hauptweg.
In unauffällige Steppentarn-Uniformen gehüllte Soldaten liefen zwischen den Fahrzeugen umher, stiegen zu den Ladeflächen empor, auf denen – teilweise von Planen verdeckt – weitere Angehörige der Imperialen Armee saßen, glichen Listen miteinander ab und rätselten offensichtlich, was beim Thron ihnen gerade auf den Hof gefahren worden war.

Selbst der Schlagbaum, eigentlich jenes Werkzeug einer Fahrzeugkontrolle, mit dem die auf das Gelände strebenden Vehikel normalerweise von einer ungestörten Weiterfahrt abgehalten wurden, schien den Überblick über die Situation verloren zu haben. Zumindest streckte er sich weit in die Höhe. Vielleicht versuchte er auch nur, sich nicht den Tumult verwickeln zu lassen.
»Beim Barte des …«, brummte Ekko und lehnte sich zwischen die Vordersitze, um besser sehen zu können.
Der Stabswagen wurde langsamer. »Was ist denn da los?«
Einige Sekunden lang verfolgte der Colonel die Vorgänge um die Hauptzufahrt auf das Lager, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Fahrer. »Halten Sie hier.«
Der wandte sich ihm erstaunt zu. »Hier, Sir?«
»Ja«, bestätigte Ekko nickend. »Und dann drehen Sie um, fahren weg und tun so, als hätten Sie mich nicht gesehen.«
Dies verwirrte den Fahrer umso mehr. »Ich … was?«
»Vergessen Sie’s«, wiegelte der dunkelhaarige Basteter einen möglichen Diskurs über Sinn und Unsinn seiner Aussagen ab und seufzte schicksalsergeben. »Halten Sie einfach.«
Langsam, beinahe schon gemächlich, kam der Stabswagen zu stehen. Ekko öffnete die Hintertür, noch bevor sein Transporteur die Möglichkeit erhielt, auszusteigen und ihm diese Aufgabe abzunehmen. »Kriegen Sie noch was? Muss ich was unterschreiben?«
Wieder zog ein Schatten der Unsicherheit über das Antlitz des Mannes. »Nein, Sir«, erwiderte er.
»Gut«, stellte der Colonel fest und stieg aus. Die Tür schlug mit einem scharfen Knall hinter ihm zu.
Nun stand er direkt am Rand des wirbelnden Mahlstroms aus Menschen, Maschinen, Aufregung und Lärm.
Ab und an geriet einer der großen LKWs in Bewegung, startete seinen Motor und stellte ihn wieder ab. Darüber tönten Gespräche, Rufen und Flüche, verteilt von einem ganzen Heer von Offizieren, Vertretern des Munitorium und Administratum, sowie Personen, die ihrem Verhalten nach nicht mehr als Katastrophentourismus betrieben.
Gelangweilte Soldaten blickten teilnahmslos in der Gegend umher, verfolgten das wirre Treiben oder ließen ihre Augen in die Ferne schweifen; fort zu den aufragenden Silhouetten Serarehs, wo Dinge jenseits des grausigen Lebens in der Imperialen Armee warteten. Ob den meisten von ihnen wohl klar war, dass sie nicht mehr lange genug leben würden, um sich den Versuchungen von Wein, Weib und Gesang weiter hinzugeben?
Ekko sinnierte eine Weile über die Frage und gestattete es sich, flüchtig an die horrenden Verluste seiner Einheit auf Agos Virgil zu denken.
Dann allerdings kehrte sein Unterbewusstsein die Scherben der Vergangenheit zusammen, lud sie auf eine Schaufel und ließ diese in einem der tausend Aktenschränke in seinem gedanklichen Großraumbüro verschwinden.
Und gleich bestimmten Ereignissen in vielen der Millionen Arrondissements des Administratums geriet die Erinnerung an Agos Virgil im Wirrwarr der verwaltungstechnischen Vorgänge in Colonel Ekkos Kopf in Vergessenheit. Übrig blieb nur ein leerer Blick, gelenkt von den Schemen der fernen Gebäudekomplexe und einer langsam verblassenden, melancholischen Grundstimmung.
Der Colonel blinzelte, kehrte ins Hier und Jetzt seines eigenen Abenteuers zurück.
Er registrierte, dass er ganz plötzlich nicht mehr zu den namenlosen Betrachtern der Szenerie gehörte, sondern Stückchen für Stückchen näher an den Ereignishorizont der allgemeinen Aufmerksamkeit geriet.
Er setzte sich wieder in Bewegung, spürte die Augen einiger Soldaten auf sich ruhen.
Sie blickten mehr oder weniger interessiert von den Ladeflächen der ihm nächsten Fahrzeuge herab, gleichermaßen erstaunt und beeindruckt, in die Nähe einer derart hohen Persönlichkeit gelangt zu sein.
Leise Worte wurden ausgetauscht, immer mehr Infanteristen erhoben sich, beobachteten den sie Passierenden stumm, bis dieser schließlich stehen blieb und sich ihn zuwandte. »Und? Fühlen Sie sich schon schlecht?«
Es dauerte eine Weile, bis sich der Sinn der Worte in allen Köpfen eingenistet hatte und die Erkenntnis verdrängte, dass ein so hochrangiger Offizier wie ein Colonel mit einfachen Soldaten sprach. Dann aber sahen die Männer einander an, ehrlich verunsichert ob dem, was der Colonel zu ihnen gesagt hatte.
»Schlecht wegen was, Sir?«, traute sich schließlich einer zu fragen.
»Sie machen mir Arbeit«, erklärte der Colonel, als sei dies selbstverständlich, allgemein bekannt und lediglich bei denen nicht angekommen, die es betraf. Postwendend verdunkelten sich einige der Gesichter.
»Und jetzt setzen Sie sich wieder hin«, ordnete er an, mit dem Finger nachlässig in Richtung der geöffneten Fahrzeugsperre weisend. »Wenn Sie sich nämlich gleich den Kopf am Schlagbaum stoßen, machen Sie mir noch mehr Arbeit.«
Die Männer starrten ihm noch hinterher, da hatte sich der Colonel bereits dem nächsten Problem zugewandt: eine Gruppe von Offizieren stand direkt im Zugang der Personenschleuse und diskutierte, ob sich der Prozess der Personalzuführung wohl beschleunigen lassen würde und ob dies mit möglichst geringem Aufwand zu bewerkstelligen sei.
»Und was ist hier los?«, sprach Ekko einen der vor ihm stehenden Soldaten an, kam allerdings nur bis zum ‚hier‘, bevor ihn eine neuerliche Bewegung in den Augenwinkeln dazu veranlasste sich umzuwenden. »Oh, nein.«
»Oh, doch«, schleuderte ihm das für sein Alter und seine Erlebnisse noch immer recht ansehnliche Antlitz von Captain Balgor eine beachtliche Portion Unzufriedenheit entgegen.
Er und Ekko kannten sich seit vielen Jahren. Der erste Kontakt zwischen ihnen hatte sich während ihrer Dienstzeit in den Planetaren Verteidigungsstreitkräften von Bastet III ergeben, nun bereits mehr als ein Vierteljahrhundert her. In den folgenden Jahren war aus ihrer Kameradschaft eine Freundschaft erwachsen, die sich über einen mehrjährigen Dienst in der PVS und einem mehr oder weniger erzwungenen Wechsel zur Imperialen Armee erstreckte.
Bis zu jenem Kampf, der sie über die Ebenen vor der Makropole Golgarad bis an die Tore der Himmelskathedrale von Agos Virgil geführt hatte.
Niemand konnte leugnen, dass ein Kampf seine Opfer forderte. Krieg war eine grausame Angelegenheit und in all jenen, die keine Helden werden, brachte er die niedersten Instinkte und grausamsten Wesenszüge hervor.
Ein Opfer der steten Schlachten war die Freundschaft von Ekko und Balgor gewesen. Das stete Ringen um die Vorherrschaft im Kampf gegen die Orks hatte das Vertrauen der beiden Männer ineinander ganz allmählich aufgerieben, bis es in der Not all seine Tugenden über Bord warf und sein Innerstes nach außen kehrte.
Seitdem war zwischen ihn nichts mehr wie zuvor.
»Stimmt«, gab der Colonel entnervt zu. »Ich hätte ahnen müssen, dass Sie mich direkt nach meiner Rückkehr aufspüren.«
Der Captain starrte ihn wütend an. »Sie haben mir Major Carricks Posten gegeben?«, verteilte er seinen Missmut weiter über den unter ihnen residierenden Sand, ohne die Worte seines Vorgesetzt als eine Öse anzunehmen, in die sich seine nächste Bemerkung einhaken ließ.
Ekko zuckte die Schultern. »Denken Sie, ich würde Retexer den Job überlassen?« Retexer, einer der dienstältesten Captains im 512. Regiment Sera, stand in der Rangordnung der Gefechtsoffiziere – vor allem in Hinblick auf Dienstzeit und Verwendungsdauer – mit Balgor fast auf einer Stufe.
Allerdings hatte sich der Basteter in den vergangenen Schlachten als eine Person herausgestellt, die mehr in der eigenen Wunschvorstellung von Ruhm und Ehre denn in der Realität lebte. Tatsächlich hatte seine fast schon krankhaft-naive Ruhmessucht in Verbindungen mit den fehlgeleiteten Vorstellungen eines imperialen Kommissars die letzte Schlacht um die Himmelskathedrale eingeleitet, in deren Verlauf das 512. Regiment die sorgfältig eingerichteten Stellungen hatte aufgeben müssen und in das Innerste des imperialen Heiligtums zurückgewichen war, um dort Stück für Stück aufgerieben zu werden.
Von den gut sechzig Mann aus Retexers Zug blieben nur sieben übrig – unter ihnen der Captain selbst, der sich und seine Überlebenden sofort freiwillig meldete, um wieder in den Kampf um Agos Virgil zu gehen. Dafür sammelte er sogar all jene um sich, deren Offiziere in der Schlacht gefallen waren, egal, ob sie ihm truppendienstlich unterstanden oder überhaupt dem Regiment zugeordnet waren.
So einem Menschen vertraute man kein Regiment an. Nicht, wenn man es später selbst noch als vertrauensstiftender Kommandeur führen wollte. Wobei … nicht einmal Ekko konnte glauben, dass er als vertrauenswürdige Person galt.
Nicht unter jenen, die an seiner Seite um die Himmelskathedrale gekämpft hatten.
Allerdings war er recht erfolgreich dabei, dieses Faktum zu ignorieren. Und so blickte er sein Gegenüber mit hochgezogener Augenbraue lediglich an. »Oder haben Sie kein Vertrauen zu sich?«
Diese Aussage entlockte dem Captain ein abschätziges Schnauben. »Doch, Sir. Zu mir habe ich größtes Vertrauen. Aber es geht hier ja nicht um mich.«
Ein Moment der Stille setzte ein, gewann an Form und Farbe und umstrich die beiden Männer gleich einem zarten Windhauch, bevor er seinen Weg in die Unendlichkeit fortsetzte, kleine Fußabdrücke auf dem sandigen Boden hinterlassend.
Ekko schnalzte anerkennend mit der Zunge. Dass er nicht so meinte, wurde recht schnell klar. »Tja. Stellst du dumme Fragen, kriegst du dumme Antworten.«
»Es gibt keine dummen Fragen, Colonel«, erinnerte ihn Balgor. »Nur unsachgemäße. Und genauso wenig gibt es dumme Antworten – nur angepasste.«
»Ah«, begriff Ekko, indem er nickte. »Stellst du unsachgemäße Fragen, kriegst du angepasste Antworten. Ich verstehe. Aber sagen Sie …«, begann er einen neuen Abschnitt des Gesprächs, vergaß ihn aber umgehend wieder.
Eine Gruppe von rangniederen Offizieren kam ihnen entgegen. Sobald sie die beiden erkannten – oder besseren deren Ränge – schnellten ihre Hände zum militärisch zackigen Gruß an die Ränder ihrer Kopfbedeckungen. Immerhin salutierte man in der Imperialen Armee dem Rang, nicht dem Mann.
Balgor und Ekko erwiderten den Gruß.
»Willkommen«, begrüßte der Regimentskommandeur die Gruppe im Vorbeigehen. »Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind.«
Sein Begleiter schnaubte missvergnügt.
Der Colonel wartete noch einen Moment, bis die anderen Soldaten vorbei waren, dann beugte er sich zu seinem temporären Stellvertreter: »Aber jetzt mal ganz ehrlich, Balgor: Was sind das für Leute?«, wollte er wissen.
»Das können Sie vermutlich besser einschätzen als ich, Colonel«, brummte der Captain missmutig. »Das ist unser Ersatz.«
Der Colonel fuhr herum, ließ seinen Blick über die lange Kolonne wandern und wandte sich dann wieder seinem Begleiter zu. »Was denn? Die paar LKW-Ladungen voll Motivation?«
»Ich weiß wirklich nicht, wo Sie Ihre Informationen hernehmen, Ekko«, erhielt er zur Antwort.
»Von Ihnen, Balgor.« Das stimmte, half der Klärung der Situation aber auch nicht wirklich.
Weiter vorne, nahe dem Haupttor des Lagers, ertönte ein scharf gebellter Befehl. Nacheinander sprangen die Motoren der Lastwagen an, bliesen unsauber verbranntes Promethium in die Luft. Innerhalb kürzester Zeit legte sich ein unsichtbarer, drückender Gestank über die Zufahrt zum Feldlager, kroch durch den engmaschigen Schutzzaun und über die dahinterliegende Mauer und schickte sich an, die jenseits davon lebenden Männer und Frauen ganz allmählich mit seinen toxischen Inhaltsstoffen zu vergiften.
»Wenn Sie es mir nicht gesagt hätten, würde ich hier immer noch herumlaufen und mich fragen wer, beim Thron, hier alles reingelassen wird«, fuhr der Colonel ironisch fort.
»Das habe ich mich auch gefragt«, meinte sein Begleiter ungerührt. »Vor allem frage ich mich inzwischen, wer hier so alles den Ton angeben darf.«
»Sehen Sie? Deswegen habe ich Sie ja zum stellvertretenden Regimentskommandeur bestellt.«
»Welche weise Entscheidung von Ihnen.«
»Wenn Sie den Job nicht wollen, Balgor, dann suche ich mir jemand anderen dafür«, bot der Regimentskommandeur an, wurde von dem Captain jedoch beinahe postwendend unterbrochen.
»Doch, doch«, erwiderte dieser, indem er die abwehrend Arme hob. »Ich mache das, Colonel. Kein Problem. Aber ich mache es auf meine Weise.«
Ekko nickte. »Solange Sie nicht vergessen, wer der Kommandeur ist.«
»Das wird nicht passieren«, versicherte ihm Balgor mit kühler Stimme. »Sie bringen sich ja stets sehr erfolgreich in Erinnerung.
Sein Gegenüber zuckte die Achseln: »Dann überlasse ich Ihnen hiermit gerne das Feld. Viel Spaß«, und machte sich auf, das Feldlager durch die parallel zur Fahrzeugschleuse verlaufenden Personenschleuse zu betreten.
»Carrick muss ja was Großes geleistet haben, dass Sie ihm die Gunst gewähren, sich von der Truppe entfernen zu dürfen«, rief ihm der Captain nach einigen Momenten des Schweigens hinter.
»Sie hätten sich ja auch eine Frau suchen können, Balgor. Dann könnten Sie jetzt derjenige sein, der ihr beim Sterben zusieht«, schlug der Colonel vor und wandte sich in der Hoffnung um sehen zu können, wie der Mund des Captains geräuschlos zuklappte.
Doch so weit kam er nicht einmal. Eine andere Entdeckung fing seine Neugier ein und hielt sie mit aller Macht in ihrem Bann, sodass er den Kompaniechef innerhalb weniger Herzschläge vollkommen vergaß.
Zwei Personen standen auf der anderen Seite von dem, den man in diesen Breiten Bastets als Hauptstraße zu bezeichnen pflegte.
Das war an sich nichts Ungewöhnliches. Immerhin handelte es sich um einen öffentlich begehbaren Weg, den jeder Mensch nach Belieben und persönlicher Präferenz nutzen konnte.
Dennoch: Es gab da zwei Dinge, die den Colonel stutzig machten.
Zum einen befand sich das Feldlager der Imperialen Armee abseits der gängigen Wegesrouten oder bewohnbaren Gebiete Serarehs. Man kam nicht einfach zufällig daran vorbei, weil man sich auf einer Pilgerreise oder einer Wanderung befand.
Nein. Man musste in die Nähe des Stützpunktes wollen, um in seine Nähe zu gelangen.
Und dann war da noch das Erscheinungsbild der beiden Personen.
Sie wirkten elitär; Mitglieder gesellschaftlich gehobener – oder zumindest angesehener – Schichten, nicht wie einfache Wanderer.
Zudem erweckten sie nicht den Eindruck, für irgendeine Form längerfristiger Bewegungshandlungen an irgendeinem beliebigen Ort Bastets gerüstet zu sein.
Die eine Person, groß und massig erscheinend – womöglich männlich – und in weinrote Gewänder gekleidet, schien ein Priester des Ministorums zu sein. Auf die Entfernung ließen sich keinerlei Siegel oder Insignien an seiner Kleidung ausmachen, aber in Form und Aussehen glich sich die Gestalt an Ekkos Vorstellung eines Priesters an.
Die Begleitung war deutlich kleiner, aber in ihren Formen auch stärker ausgeprägt und in nicht minder reiche Gewandung gehüllt, farblich irgendwo im Bereich des Violetten oder Purpurnen angesiedelt.
Beinahe postwendend fühlte sich Ekko an die ansehnliche Gestalt Galia Sinwells zurückerinnert.
Und irgendwo zwischen Erinnerungen an das Inquisitionssignum in Sinwells Ausschnitt, das wie ein Klöppel zwischen zwei Glocken hin und her schwang in dem verzweifelten Versuch einen Ton zu erzeugen, wurde eine beunruhigende Vermutung geboren.
Ein Gefühl der Warnung, das ganz allmählich in seinem Innersten aufschäumte ähnlich Armasec in einer Flasche, die man viel zu lange schüttelte.
Er hätte später nicht einmal mehr sagen können, was genau ihn besorgte. Vielleicht die Erinnerung? Das Wissen, dass die Inquisition in Form von Galia Sinwell in sein Leben getreten war; erneut, wenn man es genau betrachten wollte?
Der Imperator schickte ihm seine Bluthunde ein ums andere Mal auf den Hals. Und sicherlich geschah es nicht, weil man Colonel Galardin Alberic Ekko für einen Vorzeigeoffizier hielt.
»Ich verstehe«, bemerkte Balgor plötzlich mit sehr ruhiger Stimme.
Überrascht fiel Ekko aus seiner Gedankenwelt, löste sich vom Anblick der beiden Besucher und ließ es zu, dass sich seine Aufmerksamkeit zurück auf den anderen Offizier fokussierte.
Wie lange er wirklich über den Worten seines Vorgesetzten gebrütet hatte, würde sich schlussendlich nicht mehr feststellen lassen. Fest stand allerdings, dass ihn die Erkenntnis stärker berührt zu haben schien, als es der Colonel vermutet hatte.
Einige Herzschläge mehr vergingen, während der Captain in eine Welt jenseits der Einöde starrte, dann nickte er, wandte sich ab und ging wortlos in die andere Richtung.
Ekko sah ihm eine Weile lang nach, bevor er seine Aufmerksamkeit zurück zu den Fremden schwenkte und erstaunt blinzelte.
Die beiden seltsamen Beobachter waren verschwunden.
Lediglich flimmernd heiße Luft stieg vom sandigen Boden jenseits der Straße auf.
Der Colonel stutzte. Konnte es sein, dass er sich die beiden nur eingebildet hatte? Eine Reaktion auf all die eigenartigen Geschehnisse um ihn herum?
Nicht, dass ihm so etwas nicht schon vorher passiert war. Oft schon hatte er geglaubt sich Dinge einzubilden, meistens vor oder nach einem ihn verändernden Erlebnis. Fast so, als würde der große Imperator ihn mit einem süffisanten Lächeln quälen, das mehr zu sagen vermochte als es jede Aussage gekonnte hätte; sei es nun »Weißt du noch?« oder »Guck mal was da kommt!«.
Dennoch: Aus irgendeinem Grund wollte und konnte er einfach nicht glauben, dass es sich bei der Erscheinung um eine seelische Fata Morgana handelte. Dafür kannte er die Verschlagenheit der ekklesiearchischen Institutionen viel zu gut.
Es stand etwas bevor. Und diese beiden waren die Vorboten des drohenden Unheils.
»Thronverdammte Touristen«, brummte er, bevor er seinen Weg in Richtung der Personenschleuse fortsetzte.
Hinter ihm erstarben die Motoren der großen Transporter in einem gewaltig erscheinenden Seufzer.
Sie kamen einfach nicht weiter.

***​
Woher der Name »Camp Mahnmal« wirklich stammte, ließ sich rückwirkend nicht mehr ergründen.
Vermutlich war er so alt wie die Zeltstadt selbst, in der die wenig Glücklichen, die Auserwählten für den Dienst in der Imperialen Armee, zusammengepfercht und auf ihre zukünftige Aufgabe vorbereitet wurden.
Als sicher galt nur, dass er wirklich von Soldaten erfunden und vergeben worden war.
Was wäre auch passender gewesen, als dass diejenigen, deren Schicksal besiegelt und deren Überleben vom Wohlwollen des Imperators abhängig war, sich die Bezeichnung für ihr Leid selbst aussuchten?
Und sowohl für die Außenstehenden als auch die in seinem Innern Gefangenen glich das Feldlager einem Mahnmal auf erschreckend erstaunliche Weise. Ein Requiem für all diejenigen, denen das Schicksal des großen Herren der Menschen zuteilwurde: Im ewigen Kampf um das Überleben der Menschheit gefangen, starben sie und wurden wiedergeboren, um erneut in das Elysium der Schlacht geworfen zu werden.
Zeigt Demut, ehrenwerte Bürger des Imperiums der Menschheit; denn die Todgeweihten grüßen euch!
Der Zynismus des Ganzen entzog sich Ekko beileibe nicht. Schon bei seinem ersten Transfer aus dem glutheißen Schoß Basets weg in das Herz des galaktischen Fleischwolfs hatte er die Bösartigkeit hinter den Worten registriert, allerdings ohne ihnen zu viel Bedeutung beizumessen.
Dafür kümmerte ihn das Leid anderer viel zu wenig.
Er selbst war verloren. Gestrandet in einem Universum, das ihn weder wollte noch ihn wirklich gehen ließ.
Und der Verlust, den ihm diese Tatsache beibrachte, wischte jede andere Empfindung beiseite.
Dieses Mal jedoch war es anders.
Er stand wieder hier. Zurück an jenem Ort, der sein Leiden auf eine neue Stufe gehoben hatte.
Und das Wissen, die Erkenntnis der Tatsache, dass sich in seinem Leben nicht viel mehr verschob als die Front eines Krieges, den er für andere focht, ließ ihn schier wahnsinnig werden.
Ein wenig erinnerte ihn seine Situation an den schauerlichen Alltag imperialer Versorgungshäuser: Wenn das Fleisch beim Füllen des Fleischwolfs daneben fiel, hob man es auf, putzte es sauber und warf es wieder rein.
Wen kümmerten schon Hygienevorschriften?
Im Grunde war es keine hohe Kunst, den Kreislauf des Lebens zu verstehen. Als Colonel kannte man sich damit aus; sei es nun aus eigenem Erleben oder dem Schicksal der Untergebenen. Die Wege des Hohen Herren der Menschheit waren unergründlich. Man lernte, sie zu akzeptieren und stumpfte mit der Zeit ab.
Manchmal allerdings gelang es dem Imperator und seinem treuen Komplizen, dem Universum, dem Sud aus Leben und Sterben ein klein wenig Würze zu verleihen.
Auch das kannte man als imperialer Colonel sehr gut. Besonders, wenn man Galardin Ekko hieß. Die hämische Grausamkeit, mit dem ihn das schelmische Gespann aus dem Herzen der Ewigkeit heraus vor immer neue Prüfungen stellte, teils dramatisch, teils unglaublich absurd, hatte den Basteter schon mehr als einmal beinahe das Leben gekostet. Und nicht nur einmal war der Grund dafür sein eigenes Bestreben.
Dennoch: Während seine Pfeiler brachen, seine Vertrauten vergingen und sein Glück sich in eine Achterbahnfahrt durch Pest und Cholera wandelte, gewann der Colonel immer mehr Fahrt auf seinem Weg in Richtung Ewigkeit. Fast so, als wenn ihm sein Unterbewusstsein unbeirrbar vorwärts trieb: »Komm schon, Galard – da geht noch was! Tritt aufs Gas, Junge! Wenn tot, dann richtig!«
Allerdings kam er sich nicht so vor, als wenn er dabei wirklich Fortschritte erzielte.
Wie eine schneeweiße Fläche, auf der man beschleunigte und beschleunigte, bis sich einem die Frage aufdrängte, wie schnell man wohl gerade sei – nur um in diesem Moment über den unsichtbaren Rand ebenjener Fläche zu fahren und in einem weiten Bogen ins düstere Nichts abzutauchen.
Nicht gerade eine angenehme Vorstellung.
Trotzdem gelang es Ekko nicht, den Fuß vom Gas zu nehmen. Er musste einfach schneller werden. Er wollte es.
Sein Leben, ein Gleis ohne Wiederkehr. All diejenigen einholen, die er liebte und verehrte, die er hasste und verachtete. Er würde an ihnen vorbeiziehen wie ein Gewinner bei einem Autorennen und ihnen winken, während er im Nebel des Vergessens verschwand. »Macht’s gut Leute und danke für den … Fisch?«
Gleich einem Reh im Scheinwerferlicht schreckte Galardin Ekkos letzter Gedanke auf, blickte sich verwirrt um und stellte dann ebenso erstaunt fest, dass er sich offensichtlich in der falschen Überlegung festgesetzt hatte.
Ein leises Wort der Entschuldigung murmelnd verzog er sich und stellte sich an einer der anderen Gedankenbahnen an, welche parallel im Unterbewusstsein des Colonels abliefen. Was es wohl heute in der Kantine gibt?, schoss es dem Basteter durch den Kopf, obwohl er sich die Antwort darauf bereits selbst gegeben hatte.
Nachdenklich blieb er stehen und blickte sich um. Anderthalb Mann hohe, großflächige Armeezelte erhoben sich beiderseits des schmalen Sandwegs, den er gerade entlangschritt. Aus Stoff bestehende Klippen, die eine enge Schlucht begrenzten.
Sie wirkten bedrohlich. Nicht unbedingt aufgrund der Höhe. Die ließ sich noch einigermaßen gut einschätzen und beobachten.
Nein. Vielmehr war es die schiere Masse an Material, die den Colonel einengte und ihn des Platzes beraubte, den er für das eigene Wohlbefinden benötigte.
Am liebsten wäre er eine der Stoffflächen emporgeklettert, um sich einen Überblick zu verschaffen. Leider war das nicht möglich – nicht nur aufgrund der Abwesenheit von Haltemöglichkeiten – und so wurde es immer offensichtlicher. Er konnte es nicht länger leugnen: er hatte sich verlaufen.
Eine unerfreuliche Tatsache, denn als Colonel stand er natürlich im Mittelpunkt des Interesses seiner Einheit.
Ekko seufzte. Da ließ sich wohl nichts machen. Wenn es ihm gelang, dieser unheimlichen Schlucht zu entkommen, ohne dass er zwischenzeitlich verdurstete, dann würde er sich vor seinem nächsten Marsch mit ausreichend Kartenmaterial eindecken.
Etwas raschelte hinter ihm. Er fuhr herum.
Ein einsamer Soldat, schwer beladen mit Rucksack, Taschen und seiner persönlichen Ausrüstung irrte zwischen den Zelten umher, suchte wie Ekko nach einem Ausweg aus dem Labyrinth – oder zumindest nach jemandem, der ihm diesen Weg weisen konnte.
Der Colonel schürzte die Lippen. Das sah doch nach dem perfekten Ansprechpartner für ihn aus.
»Hey, Soldat«, sprach er den jungen Mann, der sofort sämtliches Gepäck fallen ließ, um dem vorgesetzten Offizier gegenüber in Habacht-Stellung zu gehen.
Eine beeindruckende Staubwolke stieg um ihn herum in die Höhe, die der Soldat nur mit der Kraft seines starr geradeaus gerichteten Blicks zu ignorieren versuchte.
Es gelang ihm. Zumindest teilweise. »Sir?«, antwortete er, während seine Augen kurz zu den seine Beine umschwirrenden Partikeln schweiften.
»Ich suche Krood.«
Der Name schien dem Soldaten rein gar nichts zu sagen. »Krood, Sir?«
Perfekt, dachte Ekko, bevor er sich räusperte. »Sind Sie einer von den Neuen?«
Der Angesprochene nickte.
»Krood ist unser Kasrkin-Sergeant«, erklärte der Regimentskommandeur und seufzte dann leise. »Vergessen Sie es. Sie werden ihn noch kennenlernen.« Er winkte ab, scheuchte das Thema in die Tiefen des augenblicklichen Vergessens. »Wo kommen Sie her?«
»Siebenundsechzigstes Reserveregiment der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte von Bastet, Sir.« Die Reserveregimenter der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte waren ein Sonderkonstrukt der Militärführung auf Bastet III. Da sich die Welt nicht gerade einer hohen Bevölkerungsdichte rühmen konnte und dennoch bisweilen im Fokus großer feindlicher Ansammlungen stand – seien es die Orks oder irgendwelche Spontan-Häresien – hatten die Basteter zusätzlich ihren aktiven PVS-Einheiten und den obligatorischen Zehnt-Regimentern für den Bedarf der Imperialen sogenannte Reserveregimenter eingeführt. Einheiten, die jene Seelen beherbergten, aus denen man den Ersatz für Verluste der Imperialen Armee und der PVS-Truppen abzweigte. Dies geschah meist bei Ausfällen kleinerer Einheiten, sozusagen als Flicken für das entstandene Loch.
Das Besondere an diesen Reserveregimentern war, dass sie auf bestimmte Arten der Kampfführung spezialisiert waren und man durch ihre Verwendung jegliche Spezialisierung an einen anderen Ort bringen konnte.
So blieben die Soldaten stets im Training und konnten nach Bedarf und Spezialisierung herangezogen werden, während neue Rekruten ins Training nachgezogen wurden.
Das mochte umständlich erscheinen, für Bastet allerdings war es die beste Lösung. So konnte man die Reserveregimenter im Notfall stückchenweise in den Kampf führen, ohne dass das gesamte Personal direkt verloren war.
Ekko schürzte verstehend die Lippen und neigte den Kopf. »Ah«, sagte er. »Und woher kommen Sie?«, wiederholte er die Frage.
Dieses Mal dauerte es ein wenig, bevor die Frage die innere Barriere des Verstehens überwunden und sich einen Weg ins Innere der Gedankenwelt des Soldaten gebahnt hatte. »Oh«, brachte der Mann hervor. »Das …« Er versteifte sich. »Aus Maretrem. Das ist ein kleines Dorf zwischen Selukreh und Saremreh.«
»Ja«, wusste der Colonel zu bestätigen. »Ich kenne Maret. Ich war vor langer Zeit mal dort. Gibt es diese kleinen Gärten noch, die damals das Flussufer gesäumt haben?«
»Gärten?«, fragte der andere, bevor er den Kopf schüttelte. »Nein, Sir. Die wurden bei der großen Flut vor zwei Jahren weggespült.«
Ekko seufzte. »Schade.«
»Colonel?«, erklang eine weitere Stimme hinter ihnen. »Was machen Sie denn hier?«
Der Regimentskommandeur fuhr herum.
Ihm gegenüber stand Captain Fendel. Er war einer von insgesamt drei überlebenden Stabsoffizieren – nahm man einmal Ekko, Carrick und Balgor außen vor – und hatte während der Schlacht von Agos Virgil die Verteidigung des dritten Rings der Himmelskathedrale organisiert, als die restliche Verteidigung längst zusammengebrochen war.
Dabei wirkte er nicht einmal wie ein Soldat, dem man eine solche Aufgabe zumutete. Er wirkte mehr wie ein etwas untersetzter, pubertierender Jugendlicher, dem die Sonne bereits einige tiefe Furchen in die gegerbte Haut gebrannt hatte. Mit einem Bart, gerade erst richtig zu sprießen begonnen hatte und seiner dunklen Hautfarbe ein wenig Form verlieh sowie dem etwas unbeholfenen Gang eines Mannes, dessen Anzug beim letzten Regen eingelaufen war. Als Alternativszenario bot sich Inkontinenz an.
Natürlich wusste Ekko, dass Fendel ein ausgezeichneter Offizier war, dessen Effektivität sich in seiner Zusammenarbeit mit Captain Solmaar, einem von Ekkos anderen Überlebenden, am Stärksten zeigte.
Was die beiden Offiziere bei der Verteidigung von Agos Virgil geleistet hatten, entbehrte jeglicher logischen Erklärung und konnte nur mit »der Imperator wollte es so!« verständlich gemacht werden.
Ekko hoffte, dass ihm der Captain beim Wiederaufbau des Regiments ebenso gute Dienste leisten würde. »Ich suche Krood. Wissen Sie, wo er ist?«
»Krood? Natürlich. Ich habe ihn bei Kantine Eins gesehen. Die dritte Querung links, dann geradeaus.«
Der Colonel seufzte. »Wo waren Sie, als ich Sie gesucht habe?«
»Kantine Eins. Dritte Querung links, dann geradeaus«, gab der Captain zu verstehen. Vielleicht wiederholte er sich auch nur.
Ekko schnippte ihm Anerkennung zu. »Danke.« Dann wandte er sich an den verlorenen Soldaten. »Der Captain wird Ihnen helfen. Wir unterhalten uns später.«
Dann ging er, ließ den Captain und den Neuling einfach stehen, als seien sie aus seinem Bewusstsein gefallen. Waren sie in diesem Moment auch.
Wortlos folgte der Colonel dem angezeigten Weg, marschierte durch die flimmernde Luft, die sich vor ihm ausbreitete wie tanzende Spiegelbilder, ihm auswich und ihn lockte, nur um ihn freizugeben und ihrem wilden Spiel in seinem Rücken zu frönen.
Dritte Querung links, hatte Fendel gesagt. Eigentlich war der Colonel davon ausgegangen, dass die dritte Querung nicht weit von seinem Startpunkt entfernt liegen würde, aber der leise rieselnde Sand unter seinen Füßen, die flirrende Luft und drückende Hitze ließen seine Sinne verschwimmen und suggerierten ihm, er habe sein Ziel bereits um Meilen verpasst.
Glücklicherweise überzeugte ihn ein windschiefer Wegweiser, dass dem doch nicht so war.
Ekko erreichte die genannte Abbiegung und folgte ihr.
Da stand er.
Direkt vor dem riesigen Zelt, auf dem ein leicht verwittertes Schild den hungerstillenden Wert der Kantine anpries.
Ein einsamer imperialer Unteroffizier. Ein Mahnmal des organisierten Widerstands gegen das Leben, das so kurz nach der Mittagszeit rund um die Kantine florierte.
Wo andere Soldaten schwatzten, das Essen und die Küche verfluchten oder lobten, stand der Truppführer der Kasrkin still an einem zur Mülltonne umfunktionierten Fass und rauchte ein Lho-Stäbchen.
Gren Krood gehörte zu jener Sorte von Menschen, die eine Laserwaffe nur anzusehen brauchten, damit diese sich feuerbereit meldete. Ihm wohnte eine gewisse Aura Inne. Eine unheimliche Präsenz, die seinen Gesprächsgegnern eine lakonische Vorausdeutung der sich entwickelnden Situation unterbreitete. Meist lautete diese stirb. Natürlich ließ sich dieser Wortschatz variabel erweitern, zumeist jedoch begnügte sich der cadianische Elite-Sergeant damit, kurze, klare Aussagen zu tätigten und dem Gegenüber die Erläuterung zu überlassen.
Ein Mann mit stahlharten Augen und einem ebenso stählernen Haupt.
Sein Haupthaar war dem Kommandosoldaten schon vor langer Zeit abhandengekommen. Eine Folge des andauernden Kämpfens und Schlachtens, der unsäglichen Grauen und fantastischen Dinge, die der Cadianer gesehen hatte.
Manche mochten sogar annehmen, dass Krood einfach zu männlich für Haupthaar geworden war.
Nicht, dass Ekko daran glaubte.
Er hatte gesehen, zu was die Kasrkin im Stande waren und in Anbetracht dieses Wissens konnte er sich eher vorstellen, dass Kroods ganzes Wesen – psychisch wie physisch – ein Ergebnis des unerbittlichen Drills war, den man ihm auf seiner Heimatwelt Cadia hatte angedeihen lassen.
Dennoch. Ihm gefiel die Vorstellung, wie der Grenadier vor einem zerborsten Spiegel stand, seinen Vokuhila betrachtete und schließlich befand: »Hinfort!« – und das Haar gehorchte.
Das war der Stoff, aus dem Legenden geboren wurden.
Wer das Auftreten Kroods beobachtete, seinen Gang und die Art, wie sich die Uniform über seinem wohldefinierten Körper spannte, der konnte nicht anders als sich vorstellen, wie der imperiale Kommandosoldat einen General des Chaos unter den Worten »DAS IST CADIA!« in einen unendlich tiefen Brunnen trat.
So einem Mann würde es auch gelingen seinen Haaren zu befehlen auszufallen.
Beim Thron, es gab sogar Soldaten im 512. Regiment, die behaupteten, dass der Kasrkin in ein Fahrzeug einstieg und ihn dieses aus Respekt an jeden Ort brachte, den er zu erreichen suchte. Und das ganz ohne Promethium-Treibstoff.
»Ah, Krood. Gut, dass ich Sie gerade treffe«, trat der Colonel an die Seite des Kommandotruppführers.
Der blickte ihn lediglich aus den Augenwinkeln an, ohne dass er es zuließ den Kopf zu heben oder sich auf irgendeine andere, sinnvolle Weise mit der Präsenz des ranghöheren Offiziers zu beschäftigen.
Ekkos und Kroods Beziehung galt in Fachkreisen nicht unbedingt als das, was man Liebe auf den ersten Blick nannte. Tatsächlich hatten sie nicht einmal auf den zweiten oder dritten Blick zueinander gefunden. Wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass zwischen ihnen nicht einmal so viel Empfinden herrschte wie zwischen Calis und Calixe, einem legendären Agentenpaar aus dem Zeitalter der Apostasie, das fast ihr gesamtes Eheleben damit verbracht hatte, sich gegenseitig auf irgendeine nur erdenkliche Weise zu töten und das dabei schließlich von einer Einschienenbahn überfahren worden war.
Auf Krood und Ekko traf das gewiss nicht zu. Zum einen, weil es auf Agos Virgil keine funktionierenden Einschienenbahnen mehr gegeben hatte, und zweitens, weil die Ausgangssituation eine vollkommen andere gewesen war.
Krood verdankte Ekko den Verlust des Großteils seiner Einheit, die bei dem Versuch gestorben war, eine von Ekkos Einheiten zu retten.
Im Anschluss war der Kasrkin zwischen die Fronten des Colonels und seines Kommissars geraten, als willige Waffe vor den Karren gespannt, beinahe flambiert, zerrissen, in die Luft gesprengt, erschossen und niedergewalzt worden, hatte Tag und Nacht pausenlos ums eigene Überleben gekämpft und stets mit dem Wunsch gerungen, Ekko irgendwann töten zu können.
Leider war ihm das verwehrt geblieben. Und eine ganz bestimmte Person hatte mehr als deutlich gemacht, dass sie sein Vorhaben zu verhindern wissen würde.
Eine Person, vor der sich Krood mehr fürchtete als vor dem, was einem Menschen in Ekkos Nähe zustieß.
So blieb nur zu hoffen, dass sich über Nacht eine Einschienenbahn fand, die korrupt genug war, Kroods Vorhaben für ihn auszuführen – und dabei genügend finanzielle Spielraum ließ, dass er sich diesen Wunsch mit seinem mageren Gehalt erfüllen konnte.
»Beim Thron, Colonel«, bemerkte der Kasrkin schließlich gleichgültig. »Wo kommen Sie denn her?«
»Aus dem Haus, das Verrückte macht«, warf Ekko zurück und zuckte die Schultern. »Gehen Sie ein Stück mit mir?«
Schwerfällig geriet der Grenadiersergeant in Bewegung, schnippte das Lho-Stäbchen zielsicher in den Abfalleimer und trottete dem Colonel hinterher. »Haben Sie schon etwas wegen unserer Versetzung erreicht.«
»Ja – und Sie werden begeistert sein.« Ekko versuchte, freundlich zu lächeln. Es fühlte sich hölzern an, und er war sich sicher, dass es nach außen hin auch so wirkte. »Stellen Sie sich vor: Sie bleiben hier.«
»Hier, auf diesem Planeten?«
»Nein! Hier, in diesem Regiment.«
Die Gesichtszüge eines Kasrkin entgleisten nie. So wie das steinerne Antlitz der mächtigen Statuen, welche über die großen Städte und Schreinwelten des Imperiums wachten, verbot es der Berufsethos der cadianischen Grenadiere von Grund her bereits, einem Menschen eine andere gefühlstechnische Regung zu zeigen als das von hartem Drill aufs Gesicht gemeißelte finstere Starren, mit dem der Elitesoldat sein Ziel fixierte.
Aber dennoch offenbarte sich Ekko die Erkenntnis, dass Krood nicht nur überrascht von der ihm überbrachten Information war, sondern bereits nach kurzer geistiger Starre in seinen Zustand der inneren Unzufriedenheit überging. »Das ist ein Scherz«, bemerkte der Kasrkin. Es klang wie eine Frage.
»Genau das habe ich auch gesagt«, erwiderte der Colonel, nur um in eine todtraurige Stimmung zu verfallen. »Ich wurde eines Besseren belehrt.«
Krood warf ihm einen undefinierbaren Seitenblick zu, der ihn veranlasste fortzufahren: »Aber freuen Sie sich, denn Sie dürfen eine neue Einheit aufbauen.«
»Eine neue Einheit? Sie meinen Kasrkin?«
Ekko nickte.
»Womit denn?«, wollte der Sergeant wissen.
»Genau das habe ich auch gesagt«, erhielt er zur Antwort.
Jetzt endlich wandte sich Krood dem Colonel zu. »Lassen Sie mich raten: Sie wurden eines Besseren belehrt.«
Der nickte. »Ich bin begeistert, dass Sie das so schnell allein herausbekommen haben.«
Sie schritten schweigend nebeneinander her, lediglich das Flimmern der Luft über den Zeltdächern beobachtend. Keiner von ihnen wusste genau, was sie nun noch hätten sagen können oder wollen, ohne dass beide im Nachgang ihre Waffen zogen und die Magazine aufeinander leerten.
Es war schließlich Ekko, der nach einer gefühlten Ewigkeit das Wort ergriff. »Das wäre Ihre Chance, Krood«; meinte er. »Sie könnten sich eine vollkommen neue Einheit aufbauen. Ihr Wissen weitergeben an die besten meiner Leute und diejenigen, die wir jetzt noch auflesen.«
»Auflesen?«, wollte der Kasrkin wissen, ohne auf den Rest von Ekkos Worten einzugehen. »Wie meinen Sie das?«
»Elysianer«, bemerkte der knapp.
»Sie kriegen Elysianer? In dieses Regiment? Das ändert einiges.«
»Na ja«, bemerkte der Colonel achselzuckend. »Im Grunde ändert sich nicht viel. Wir wechseln nur die Bewegungsrichtung.«
»Was?«, runzelte der Kasrkin die Stirn. » Das verstehe ich nicht.«
»Ganz einfach«, erklärte sein Gegenüber. »Früher bewegten wir uns so …« Der Zeigefinger seiner rechten Hand wanderte in einer horizontalen Linien durch die Luft. »Jetzt allerdings …« Dieses Mal sprang der Finger von einem imaginären Zehnmeterbrett in ein ebenso eingebildetes Schwimmbad.
»Sie springen ab?«
Ekko neigte den Kopf zustimmend. »Fast«, bemerkte er. »Luftkavallerie.«
»Luftkavallerie«, sinnierte Krood.
»Ja«, bestätigte sein Gesprächsgegner. »Mit Walküren und Vendettas und Vultures und so weiter und so fort. Und was …«, fügte er an, um mit der ausgestreckten Hand auf das zu weisen, was sich vor ihnen ausbreitete. »… ist das?«
Das Labyrinth der Zelte hatte sich geöffnet, eine Lichtung freigegeben, eine von der Größe her an ein Sportfeld erinnernde Fläche, auf der normalerweise Gerätschaften und Ausrüstung der neu gegründeten Regimenter angelandet und bis zur Ausgabe gelagert wurden.
Da sich im Rahmen einer Regimentsaushebung dabei eine ganze Menge an Material ansammeln konnte, nannte man den Ort in Kreisen der einfachen Infanteristen »den Müllplatz«.
Nun allerdings drängte sich eine große Anzahl an zwei- und mehrachsigen Fahrzeugen der Imperialen Armee auf dem Platz, teilweise so eng aneinandergeschmiegt, dass man über die Vehikel hätte klettern müssen, um von einem Ende des Feldes zum anderen zu kommen – natürlich vorausgesetzt, man war nicht so schlau und umrundete den Platz einfach.
»Das sind Fahrzeuge, Colonel«, bemerkte der Kasrkin trocken.
Das war durchaus richtig. Genau genommen handelte es sich bei den schlanken Fahrzeugen um Angriffsfahrzeuge der Imperialen Armee, das sogenannte Standardtechnologiekonstrukt »Tauros«.
Tatsächlich jedoch war das STK »Tauros« gar nicht so standardisiert wie die Bezeichnung möglicherweise suggerierte. Eigentlich gehörte es zu den wohl seltensten Fahrzeugen in den Reihen des Militarums– einmal abgesehen von Exoten wie dem Destroyer-Jagdpanzer oder der Minotaur-Selbstfahrlafette.
Dabei gab es einige Varianten des Gefährts. Von einer zweiachsigen und einer dreiachsigen Gefechtsfeldvariante mit variabler Bewaffnung, über eine Führungsplattform und eine Aufklärungsversion bis hin zur – vor allem bei Verletzten sehr beliebten – Sanitätsvariante sah sich der Tauros einer Vielzahl von Aufgaben und Tätigkeiten gegenüber, die selbst den wenigen Nutzern des STK weitestgehend unbekannt waren.
»Das sehe ich, Krood«, bemerkte Ekko und warf dem Kasrkin einen entnervten Blick zu. »Vielen Dank.«
Der imperiale Elitesoldat neigte das kahle Haupt.
Die leicht geheuchelte Respektsbezeugung verfehlte ihre – wie auch immer angedacht – Wirkung. Zumindest wischte der Regimentskommandeur sie zur Seite. »Meine Frage lautet eher: Wo kommen die alle her?«
»Wurden angelandet, während Sie unterwegs waren.«
Das stimmte den Colonel auch nicht wirklich glücklicher. »Aber das sind mindestens fünfzig Stück! Vielleicht auch vierzig. Oder dreißig. Oder zwanzig«, korrigierte er seine Zählung ein wenig. »Ich war doch nur ein paar Stunden weg! Und das ist nicht der Punkt!«, erklärte er wild gestikulierend, als würde das die still auf ihren Plätzen wartenden Fahrzeuge veranlassen, die Motoren zu starten und in wilder Flucht in die Wüste zu verschwinden. »Was machen die hier?«
Nun war es Krood, der die Schultern zuckte. »Die wurden angeliefert und bleiben hier.«
Ekko fuhr herum: »Sie meinen hier auf diesem Platz?«
»Nein. Hier, in diesem Regiment.«
Und yay! Es geht weiter … sobald ich zum Schreiben komme!
 

sixpack

Aushilfspinsler
27 Juni 2004
34
4
5.849
Super
eine neue Geschichte
aber leider erst am Anfang...
das heißt ich muss noch Jahre warten bis ich das ganze in einem Rutsch geniessen kann...

also lieber Autor
nun mach mal Stop mit diesem Firlefanz der sich Real Life nennt und
kette dich bitte an deinen Schreibtisch!!!

Alternativ könnten wir Leser dich ja auch entführen und irgendwo einsperren...
Brot, Bier und Braten jeweils nur nach Vorlage eines neuen Kapitels...
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
7.761
www.fanfiktion.de
Super
eine neue Geschichte
aber leider erst am Anfang...
das heißt ich muss noch Jahre warten bis ich das ganze in einem Rutsch geniessen kann...

Ja ... in der Tat. Das Leben kann unglaublich hart sein.

also lieber Autor
nun mach mal Stop mit diesem Firlefanz der sich Real Life nennt und
kette dich bitte an deinen Schreibtisch!!!

Wenn alles so einfach wäre, dann gäbs von mir mehr Bücher - und Modelle.

Alternativ könnten wir Leser dich ja auch entführen und irgendwo einsperren...
Brot, Bier und Braten jeweils nur nach Vorlage eines neuen Kapitels...

Das ist keine gute Idee. Da würde ich verhungern und die Geschichte fände gar keinen Abschluss.
 

Duniash

Testspieler
10 Februar 2012
173
1
5.966
Grüße Sis.

Ich habe erst vor Tagen Stargazer nochmals gelesen und bin jetzt über dein neues Werk gestolpert. Ich freu mich sehr das es weiter geht mit Ekko aber was du ihnen da an den Hals wirfst, beim Barte des Propheten!

Dein Stil ist "blumiger" geworden oder sind das Ekkos Gedanken die sich in die Beschreibungen einmischen?

MfG

Duniash
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
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www.fanfiktion.de
Grüße Sis.

Ich habe erst vor Tagen Stargazer nochmals gelesen und bin jetzt über dein neues Werk gestolpert. Ich freu mich sehr das es weiter geht mit Ekko aber was du ihnen da an den Hals wirfst, beim Barte des Propheten!

Dein Stil ist "blumiger" geworden oder sind das Ekkos Gedanken die sich in die Beschreibungen einmischen?

MfG

Duniash

Blumiger? Oh, ich bitte um Erklärung!

Aber schön, dass du wieder mit von der Partie bist. Ich hatte schon gedacht, es gibt dich gar nicht mehr :-D
 

Duniash

Testspieler
10 Februar 2012
173
1
5.966
War auch lange nicht hier ^^

Nunja, du beschreibst wie sich Ekkos Gedanken verhalten oder das der Schatten mit ihm/seinem Verstand spielt. Wie gesagt ich habe die letzten Tage Stargazer gelesen und da fällt der Unterschied eben auf. Eine Feststellung, mehr nicht.

Wobei ich sagen muss, dass es mir dadurch leichter fällt zu verstehen wie es Ekko ergeht obwohl es manchmal etwas langwierig wird dadurch.

Eine Fluff Frage: ist es wirklich so unwahrscheinlich das ein Regiment auf seine Heimatwelt zurückkehrt? Mal ausgenommen es wird im Kampf vernichtet. Nach dem Einsatz muss ja wieder Mensch und Material aufgefüllt werden und gerade bei solchen Verlusten wie auf der Schreinwelt dachte ich mir das sie auf dem Planeten wieder auf Soll gebracht werden von dem das Regiment stammt.

MfG
Duniash
 

Sistermarynapalm

Blisterschnorrer
14 Juni 2011
432
1
7.761
www.fanfiktion.de
Hallo,

Ah, verstehe. Es war mir gar nicht bewusst, dass es nun so einen Fokus erhalten hat, aber ... hm. Gut zu wissen. Danke für die Info.

Was den Fluff angeht: Ich habe mich da viel belesen und eigentlich ist es sehr ungewöhnlich, dass man ein Regiment an den Ursprungsort zurückschickt, um dort eine Auffrischung vorzunehmen. Normalerweise werden Überreste von Regimentern, sofern ihnen keine Verstärkungen nachgeschickt werden, an Ort und Stelle ihrer letzten Schlacht zusammengelegt, um so eine neue schlagkräftige Truppe zu erhalten. Dass man Armeen extra für die Auffrischung auf ihren Heimatplaneten zurückschickt ist eigentlich recht ungewöhnlich.

Liebe Grüße