40k Kurzgeschichte: "Regen"

Viet_Cong

Bastler
16. September 2006
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Eine Kurzgeschichte von mir, geschrieben in einer Freistunde:


Regen
„Azimut 32,06, over“
„Verstanden, Azimut 32,06 Grad, over“
„Elevation beträgt 2021 Strich, Winkel rekalibrieren.“
„Roger, ArKo, wiederhole, 2021 Strich, over.“
„Exakt, auf Feuerleitstelle warten, over.“
Das Funkgerät beendete sein Rauschen mit einem Knacken und Iduel hängte den Hörer auf, nur um darauf seine Ohrschützer in Position zu rücken. Mit einem leisen Ächzen stand er aus der Hocke auf. Wenn er den Kerl erwischen würde, der die glorreiche Idee hatte, das Funkgerät an einer zwar kindergerechten, aber für seinen Rücken tödlichen Position auf Unterschenkelhöhe zu installieren, gäbe es ein Blutbad von apokalyptischen Ausmaßen. Mindestens. Der Gestank von nassem Leder und frisch geöltem Metall drang so unerbittlich in seine Nase, dass Iduel unwillkürlich schnäuzen musste. „Alles klar, Sarge?“ grunzte der breitnasige Richtschütze Ataman. „Mmmh. Alles soweit in Ordnung.“ murmelte der Angesprochene, während er mit seinen erkalteten Fingern versuchte, seinen Notizzettel zu glätten. Neben Ataman saß auf der Eisenplattform Gari Eskudo, die Fahrerin und Ladeartilleristin ihres Gefährts. Iduel, eigentlich Sergeant Sadr vom militärischen Terminus her, blickte in den verhangenen Himmel, welcher seine aufgewühlten Wolken wie riesige graue Pferde über ihre Köpfen hinwegjagte. Eben noch hatten diese Wolken ein nasses Stakkato aus dicken, platschenden Tropfen auf sie niedergehen lassen. Iduel hasste nicht den Regen, er wusste wie sehr er dem Imperator für dieses kostenlose Kühlwasser zu danken hatte. Er verabscheute nur die Tatsache dass sich seine ohnehin schon schwere, olivgrüne Hose völlig mit Wasser vollgesogen hatte und zu stinken begann. Der schwere, flammensichere Stoff war gegen jede Hitze gefeit, doch ein durchschnittlicher Schauer offenbarte seine Schwächen. Iduels Blick glitt auf das massive Geschützrohr der Theseus-Selbstfahrlafette. Die eher gleichmäßige Chimärenbasis bildete einen krassen Gegensatz zu dem im Ansatz fast anderthalb Meter dicken Rohr, welches nach dem ersten Drittel seiner Gesamtlänge einen „Knick“ machte und auf immer noch beeindruckende 78cm Umfang schrumpfte. Das gegen den Horizont gerichtete Geschütz wirkte wie eine drohende Geste, ein göttlicher Arm, gerichtet gegen alles, was sich nicht dem Willen des Einzigen beugen wollte. Iduel musste bei seinen Gedanken schmunzeln, da er es eigentlich nicht so mit Symbolen hatte. „Ataman, Gari, packt mal an, ich will Azi 32 mit 2021 Strich, aber’n bisschen fix, klar?“ Wiederwillig erhob sich Gari und Ataman drehte sich um. Der aus Tränenblech gepresste Laufsteg am Heck des Theseus war hoffnungslos mit Schlamm verschmiert. Die beiden in ihren Unterhemden leicht fröstelnden Kanoniere legten ihre Hände auf die Kurbel der Drehkurbel. Iduel betrachte, wie Garis fast schon maskulin anmutenden Armmuskeln sich anspannten und die Kurbel mit einem Quietschen gegen den Uhrzeigersinn drehten. Wie von einem unsichtbaren Marionettenspieler gelenkt, hob sich die stählerne, auf Ninive gefertigte Säule empor, reckte sich gegen den Himmel. Und obwohl Iduel den Anblick kannte, es berührte ihn wie jedes Mal, während ein kalter Schauer der Vorahnung über seinen Rücken kroch. Denn mehr oder weniger simultan hoben sich 179 weiter Geschützrohre von den Rücken ihrer Panzer. Das gesamte 47. Koonigintal Orchestra, versammelt auf einer der vielen, ebenen Steppen des gepeinigten Planeten, zollte dem Imperator in Stahl geschmiedet seinen Tribut. Der Odem der Hölle konnte nicht weniger schrecklich sein, denn was auch immer passieren mochte, niemand konnte der Kraft der Rex-Inferior-Revolverkanone lang wiederstehen. Dass die Ladezeiten beinahe doppelt so lang waren wie die des Basiliskgeschützes, war nebensächlich. Schließlich wurde bei letzterem nur ein Geschoss eingeladen, während beim Theseus gleich sechs Exemplare der todbringende Techneticum-Syplax-Granaten in die Trommel gerammt wurden, welche diese dann innerhalb weniger Sekunden hintereinander ausspucken konnte. Genau dieser erhabene, schreckliche Moment, in dem die Welt aus den Angeln gerissen schien, in dem man die Macht von Sternen anzweifelte und seine eigene Verlorenheit erkannte, war zum greifen nahe. Iduel überprüfte mit angespanntem Gesicht die Justierung. Die beiden erfahrenen Artilleristen hatten gute Arbeit geleistet, jede Feinabstimmung war unnötig. Erneut musste er ächzen, als er sich zu dem Funkgerät kniete und sich seltsamerweise an die kleine Kapelle in seinem Heimatdorf erinnert fühlte. Mit den inzwischen vor Kälte leicht brennenden Fingern hob er den Hörer ab und rückte sich näher an den Sprachknopf. „Hier SPAT 67, wir sind feuerbereit, over.“
„Roger, SPAT 67, bereithalten und für Feuerwalze vorbereiten, over.“
Mit mehr oder weniger verständlichen Gesten deutete Iduel seiner Ladeschützin an, mehr der fast 60 Kilo schweren Granaten mithilfe des Flaschenzuges auf dem Metallsteg aufzubahren. Ataman schnäuzte sich noch einmal und packte dann die Stahlrute des Abzugs an dem lederüberzogenen Griff. Und dann, für einen Herzschlag, stand die Welt still und Iduel hatte das seltsame Gefühl, dass Frieden sich so anhören musste. Nach... Ruhe. Ewiger Stille.
Mit einem Knacken meldete sich das Funkgerät zurück.
„Alle Einheiten, Feuerwalze auf genannte Koordinaten, Waffen frei!“
Es muss wohl eine der Eigenarten der Ruhe zu sein, genau so schnell zu verschwinden wie zu kommen. Denn in dieser Sekunde wurde Iduels Welt wieder die Hölle, die sich nur für eine trügerischen Moment verborgen hatte.
Die Ohrschützer versagten ihren Dienst. Nicht nur beim eigentlichen Abschuss. Aber auch beim heulenden Verlassen des Geschützrohrs, beim unweigerlich folgenden Repetieren, beim hässlichen Geräusch von zwei Tonnen Metall, die aufeinander klatschten und der quietschenden Rücklaufbewegung. Das war ja nicht das fatale, schlussfolgerte das bisschen nicht betäubter Verstand in Iduel. Aber wieso, bei allen sieben Höllen des verdammten Chaos, musste er nicht ein- oder zweimal diesen Terror mitmachen, sondern sechs Mal hintereinander aus 200 imperatorgekreuzigten Geschützen?!

Einatmen, ausatmen, Luft anhalten, Schuss. Was auch immer sich an lebenswichtigen Organen im Kopfäquivalent des getroffenen Aliens befand, es war jetzt verteilt über eine eher unvorteilhaft große Fläche. Kiod Jinn’ah, mit bürgerlichen Namen Kiod Sebastian Thor Jinn’ah, suchte über die leicht fleckige Linse seines in graue Wolltücher eingewickelten Zielfernrohrs ein neues Ziel. Die gelblich-insektenartigen Wesen liefen auf ihren drei Beinen in chaotischer Formation auf die in den Ruinen der „Stadt“ gegrabenen imperialen Schützengräben zu. Kiod musste schmunzeln, wer auch immer diese Anhäufung überdimensionierter Termitenhügel Stadt genannt hatte, verdiente eine radikale Aufklärung in Sachen Architektur und Organisation ersterer. Was auch immer das hier darstellen sollte, diese Außerirdischen verteidigten es mit bemerkenswert störrischer Opferbereitschaft. Während sie die imperialen Soldaten mit ihren schweren, ihrem Körperbau gleichenden Sonarkanonen beschossen, stürmten weitere von ihnen auf die Grabensysteme zu, an ihren Beinen die für sie typischen Bronzeklingen, welche sich einen fürchterlichen Ruf erarbeitet hatten. Die bislang namenlose Spezies ließ, zu Kiods Leidwesen, auch keine erkennbare Anführer auftreten, was seinen Beruf erleichtert hätte. Jetzt lag er in einem dieser halbzerstörten Termitenhügel und versuchte sich an dem lächerlichen Unterfangen, etwas zu bewirken. Bei der Grundausbildung hatte man ihn gelobt, als drittbester Schütze des Regiments, was offenbar in den kriegerischen Auseinandersetzungen außerhalb der Köpfe imperialer Logikkogitatoren einen anderen Stellenwert genoss. Als der inzwischen neunzehnte Abschuss seinen Gedanken folgte, stellte sich bei Kiod die unangenehme Befürchtung ein, dass er hier auf verlorenem Posten saß, und die Tatsache, dass der Graben keine hundert Meter unter ihm unter einer Masse an Aliens verschwand, seine Überlebenschancen nicht gerade erhöhte. Nicht in Panik, aber doch mit Besorgnis richtete er ein Stoßgebet gen Himmel, in der Hoffnung auf ein Wunder. Die nächsten zwei Minuten würden einen anderen Mann aus Kiod Jinn’ah machen. Vorher hatte er für Religion nicht einen Gedanken zuviel verschwendet. Danach würde er seinen ersparten Sold an ein imperiales Hospital spenden, seine geringe, durch Strahlenbelastung verkürzte Lebenszeit nach der Pensionierung darauf verwenden, in einem Radiosender für den imperialen Dienst zu werben und jedem der hören wollte oder, wie in den meisten Fällen auch nicht, zu erzählen warum das Schicksal nur von ihm auf Terra entschieden wurde. Denn als er begann, mit dem Gedanken zu spielen sich selber tot zu stellen, sah er eine Blume. Eine wunderschöne weiße, sich entfaltende Rose. Dann noch eine. Und noch eine. Und tausend andere. Sie verschlangen den gefahrvoll nahen Feind und entfachten ein Inferno, welches sich in seine Kopf einbrannte. Die Lautstärke des Bombardements würde ihn auf einem Ohr für zwei Monate schwerhörig machen, die Hitze verbrannte eine Seite seines Gesichts und raubte ihm beinahe ein Auge. Aber er hatte soeben seinen eigenen ultimativen Gottesbeweis gefunden.

„Laden, erneute Feuerwalze, over.“
„Roger.“
Der Regen fing wieder an, und Iduel fragte sich, warum er diesen erbärmlichen Job eigentlich noch machte.
 
Hey, tolle Geschichte. Normalerweise mag ich Kurzgeschichten ja nicht so, aber diese hier gefällt mir wirklich. Es gibt kaum störende Fehler darin, einmal Widerstand mit ie oder so, aber das kann man übersehen. Wie gesagt: Wirklich schön geschrieben.

Ob der Vergleich der Rose mit dem Bombardement wirklich so toll ist, weiß ich nicht, aber die Aussage dahinter gefällt mir. Gut gemacht.
 
Gefällt mir auch gut. Zwar nicht wirklich viel Inhalt aber schön zu lesen, besonders für einen Imperatortreuen. Nur diesen Panzer kenne ich leider nicht.
Ist meine Erfindung, ein wenig Innovation kann ich nicht lassen.

SPAT steht für "Self-Propelled-Artillery: Theseus".

@Flask03:
Ich versuch momentan soviel wie möglich zu schreiben, leider hab ich wegen Schule und Co. nicht allzu viel Zeit.
Kommt aber mehr in den nächsten Tagen.