Gehst du da nicht etwas zu verständlich mit den Agenturen um?
Meinst Du verständnisvoll? Oder tatsächlich "verständlich" im Sinne der Nachvollziehung des Verhaltens?
Grundsätzlich verhält es sich so, dass die Agenturen ihre Eindrücke und Prognosen für die zukünftige Solidität der Anleihen abgeben, eine gefestigte Voraussage folglich nicht getroffen werden kann. Das machen die Agenturen allzeit deutlich - wenn die Anleger blind jedes Wort befolgen und panikartig solche Anleihen abstoßen, die Abwertungen erfahren, ist das nicht das Problem der Agenturen selber, erst recht nicht, wenn ganze Regierungen tunlichst darauf achten, den Urteilen der Agenturen entgegenzukommen. Außerdem ist das nur die logische Kehrseite davon, dass solche Länder sich Urteile von Ratingagenturen einholen lassen, um als zuverlässig dazustehen (sich also nicht einer Analyse entziehen) - wer um Kritik bittet und dafür zahlt, der bekommt sie auch.
Was mir nur sauer aufstößt, am Beispiel von Protugal, das die Agentur nicht nur Bedenken äussert das Portugal trotz des strengen Sparprogramms in eine Staatspleite rutschen könnte sondern gleichzeitig durch das massive abwertungen der Staatsanleihen das ganze Problem künstlich verstärkt.
Ich meine, dass hier Ursache und Wirkung vertauscht werden. Wenn der Kriminalpsychologe auf Basis der bisherigen Taten eines Kriminellen Bedenken äußert, dass dieser resozialisiert werden kann, beschuldigt man in aller Regel nicht den Gutachter, sondern den Delinquenten, denn dieser trägt die Verantwortung für sein Tun und dessen Folgen, nicht jener, der lediglich Einschätzungen abgibt. Der Zeitpunkt der Abwertung ist zu spät, die Abwertung als solche ist völlig gerechtfertigt.
Der bisherige Kurs gibt auch kaum ein anderes Urteil her: die Kapitalspritzen dienen dazu, vorhandene Obligationen zu tilgen, z.B. auslaufende Staatsanleihen oder etwaige Zinsen, aber der eigentliche Schuldenberg wird damit nicht abgetragen, sondern nur vergrößert resp. das Unausweichliche aufgeschoben. Objektiv hat also das entsprechende Land abgewertet, aus eigenen Kräften wird es so kaum auf die Beine kommen.
Es ist doch so das es keinerlei Gesetzliche Regelungen gibt welche Kriterien zu welcher Wertung führen. Unter solchen Umständen ist mir das persönlich viel zu viel Willkür. Siehe Bolivien: knapp 20% Staatsverschuldung und zwar sinkende Schulden, die Wertung von S&P lautet B+.
Gesetzliche Wertungen zielten nur darauf ab, zu schmeichelhaften Ergebnissen zu kommen, da vertraue ich lieber auf private Institutionen ohne politischen Druck im Nacken (notabene, nur im Komparativ, nicht etwa absolut und unumstößlich!).
Warum Bolivien so schlecht wegkommt, kann ich Dir sagen: das Investitionsklima ist spätestens seit der Regierung vom Morales völlig dahin. Es ist kein Geheimnis, dass er das venezolanische Modell bewundert und lieber früher als später auch in Bolivien umsetzen möchte, die Produktivität liegt brach. Außerdem wird dort auch eine sehr kreative Buchhaltung gepflegt, was Schulden betrifft, faktisch sind diese wohl deutlich höher. Von anderen Faktoren (Alphabetisierungsrate, überhaupt funktionierende Infrastrukturen, Korruption) erst gar nicht angefangen...
Die Begründung lautet zwar immer, wie ich oben schon geschrieben habe, Vertrauen in die Länder aber was für Investoren sind das denn die Ländern die sich absolut übernommen haben vertrauen, anderen Ländern die eine stabile Haushaltslage besitzten und auch noch mit Geld umgehen können aber nicht.
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Der Unterschied ist aber, dass sich historisch Staaten wie die USA oder Großbritannien, das gleichfalls am Abgrund steht, als gute Schuldner erwiesen haben und die wirtschaftliche Produktivität aufbringen, ihre Verpflichtungen termingerecht zu erfüllen. Das ist beispielsweise in Lateinamerika nicht der Fall. Die Strukturanalysen bzgl. Staatsform und Ausübung derselben spielen natürlich auch eine Rolle, einem politisch instabilen Land wird keine wirtschaftliche Verlässlichkeit zugesprochen. Marktwirtschaftliche Kernregularien wie der Eigentumsschutz sind für das Vertrauen der Anleger essentiell, selbst wenn die öffentliche Verschuldung ein anderes Bild abgibt.
Mir liegt es im Übrigen fern, den Ratingagenturen für alle ihre Entscheidungen einen Persilschein auszuschreiben, ich bin sowieso kein großer Freund der Finanzwelt und dem Gebaren der Marktakteure im Allgemeinen. Ich kann aber im vorliegenden Fall keinerlei Widrigkeiten erkennen, bin sogar gegenteilig davon überzeugt, dass es der Politik gut zu Gesicht stünde, das Duckmäusertum vor den Ratingagenturen aufzubrechen und "gewagtere" Schritte einzuleiten. Die oft beklagte Macht der Agenturen allerdings rührt von der bedingungslosen Gefolgschaft her, die ihnen gezollt wird, nicht etwa von den Möglichkeiten der Agenturen selbst. Gutachten sind genauso gefährlich, wie man ihnen Bedeutung zumisst.