Hauptmann Hieronymus Böttcher sollte sich eigentlich auf die vor ihm liegende Schlacht konzentrieren, doch er fragte sich immer wieder, wie sie in diese Situation geraten konnten.
"Halt' still!" hörte er die Stimme neben sich nun bereits zum dritten Mal. "Wie soll ich dir sonst die Rüstung ordentlich anlegen?"
Er drehte sich um und blickte Albrecht Thal an, der ihm behilflich war, die letzten Schnallen zu schließen. Albrecht war Sergeant von Hieronymus' Bihandkämpfern und ihm über die Jahre ein guter Freund geworden. Gemeinsam hatten sie und ihre Einheit sich einem der vielen Kreuzzüge der Boten des Morgens angeschlossen. Erst vor einigen Wochen waren sie von Herzweih aus aufgebrochen, um das Einflussgebiet Sigmars im Reich des Feuers auszuweiten.
"Waren wir zu naiv?", fragte Hieronymus.
"Was meinst du damit?"
"Ich glaube, wir haben uns allzu leicht blenden lassen. Die Versprechungen von ewigem Ruhm, die wehenden Fahnen und der tosende Jubel. All der Prunk, mit dem wir ausgezogen sind. Und jetzt sieh uns an. Sieh mich an! Ich kommandiere nur deshalb eine ganze Armee, weil über mir niemand mehr da ist."
"Und du wirst uns gut führen! Wäre es dir etwa lieber, noch unter dem Kommando von von Grünfeldt zu stehen? Dann wären wir sicher nicht so weit gekommen."
Ernesto von Grünfeldt war für Organisation und Führung des Kreuzzugs zuständig gewesen. Doch wie sich schnell herausgestellt hatte, hatte er zwar einen bekannten Namen und viel Geschick darin, den Aufbruch beeindruckend zu inszenieren. Doch es mangelte ihm insbesondere an militärischem Verstand. Nur so ließ sich erklären, dass der Zug bereits nach wenigen Wochen herbe Verluste hatte einstecken müssen. Es waren zu wenige Kundschafter abgestellt worden, um einen Hinterhalt von Orruks rechtzeitig zu bemerken. Diese hatten ausgenutzt, dass sich der Tross über eine deutlich zu große Strecke auseinandergezogen hatte. So war es ihnen möglich gewesen, viele Kreuzzügler zu töten, bevor eine wirksame Verteidigung aufgestellt worden war.
Hieronymus dachte kurz nach und erwiderte dann: "Ich sage es nur ungern, aber es war wohl wirklich das Beste, dass von Grünfeldt und die meisten seines Stabes gefallen sind. Und dass Elena Schreiber so schnell reagiert und das Kommando übernommen hat. Nur ihr haben wir es zu verdanken, dass die Unternehmung überhaupt fortgesetzt werden konnte."
Zunächst war auch alles wie geplant gelaufen. Sie waren noch mitten im Aufbau der neuen Siedlung, als Späher vermehrt Sichtungen verkommener Kreaturen gemeldet hatten. Zunächst vereinzelt in etwas größerer Entfernung, dann immer näher und zahlreicher. Einer der Kundschafter hatte von einer großen Tiermenschenherde berichtet, kaum zwei Tagesmärsche von ihnen entfernt. Die Generalin hatte sofort gehandelt, die Verteidigung organisiert und die Leute angehalten, die Anstrengungen des Aufbaus nochmals zu verstärken. Die Arbeiten an Werkstätten, Unterkünften und anderen Gebäuden hatte sie auf ein Minimum reduzieren lassen. Stattdessen waren in beeindruckender Geschwindigkeit die letzten Lücken in den Mauern geschlossen und die Wächterstatuen rings um die Siedlung von den Priestern geweiht worden. Durch die von den riesigen Bildnissen ausgehenden arkanen Energien wurden die Mauern zusätzlich geschützt und sollten alles abwehren können, was sie zu durchbrechen versuchte.
Elena Schreiber hatte die Arbeiten inspiziert. Neben ihr war gerade ein Metalith entladen worden - eine der schwebenden Inseln, auf denen der Kreuzzug vorgefertigte Bauteile und Kriegsmaterial hierher transportiert hatte. Doch plötzlich waren die Seile gerissen und eine große steinerne Säule abgestürzt. Während sich die Arbeiter noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, war am buchstäblichen Vorabend der Schlacht die Kommandantin tödlich getroffen worden. Hieronymus konnte es noch immer nicht fassen. Er hatte sie nicht gut gekannt, doch er war von ihren Fähigkeiten und ihrer Autorität überzeugt gewesen. Ihr Verlust machte ihn traurig.
"Welch eine Schande, dass ihr nicht zumindest ein ruhmreicher Tod im Kampf vergönnt war.", sagte Hieronymus und Albrecht nickte betroffen. Ein Heldentod wäre der Moral der Truppe viel zuträglicher gewesen als ein tragischer Unfall, in dem viele der Soldaten ein schlechtes Omen sahen.
Nach kurzem Schweigen legte Albrecht ihm die Hand auf die Schulter und sagte: " Du hast unseren Trupp all die Jahre gut und stets zum Sieg geführt. Das wirst du heute genauso. Schreiber hat ihre Pläne zur Verteidigung mit dir besprochen und mit Sigmars Hilfe werden wir auch den heutigen Tag überstehen."
Wenig später erklang ein Horn von der Mauer. "Es ist Zeit, die Horde wurde gesichtet.", sprach Hieronymus. "Geh jetzt zu unseren Männern, sie sind nun deine Einheit. Möge Sigmar mit dir sein, dann sehen wir uns nach der Schlacht wieder!" Er reichte ihm die Hand, drehte sich um und nahm seinen Posten auf der Mauer ein. Nachdem er sich einen kurzen Überblick verschafft hatte, drehte er sich als neuer Kommandant um und schrie, damit ihn alle Kreuzzügler hören konnten: "Ihr Männer und Frauen Herzweihs! Wir haben dieses Stück Land im Namen Sigmars in Besitz genommen. Nun werden wir es uns nicht von derart verderbten Kreaturen wieder nehmen lassen! Vertraut auf unseren Herren und verzagt nicht. Dann werden wir alles zurückwerfen, was heute gegen diese Mauern branden wird. Für Sigmar!" In diesen Ruf stimmten sie alle ein, während sich außerhalb der Siedlung ein unmenschliches Brüllen aus tausenden Kehlen erhob. Der Angriff hatte begonnen!
All seine Soldaten hatten Positionen bezogen. Der Waldrand lag einige hundert Meter entfernt und von dort stürmte die Horde heran. Sobald die ersten Tiermenschen in Schussweite waren, entfesselten die Männer und Frauen auf den Wehrgängen neben ihm einen Bolzen- und Kugelhagel. Etliche der ziegenbeinigen Kreaturen, die ungeschützt über das offene Feld auf sie zu rannten, gingen getroffen zu Boden. Doch viele der kleineren Tiermenschen führten ihrerseits Bögen mit sich und erwiderten den Beschuss mit Pfeilen. Trotz des Schutzes hinter den Zinnen wurden auch einige seiner eigenen Kämpfer getroffen, sanken in sich zusammen oder stürzten schreiend von der Mauer in den Hof.
"Schaltet ihre Schützen aus!" brüllte Hieronymus und sein Befehl wurde an die Scharfschützen der Duardin weitergegeben.
Als Hieronymus die Truppen des Feindes sorgfältig durch seinen Feldstecher beobachtete, fiel sein Blick auf eine große Gestalt mit geschwungenen Hörnern in der Nähe des Waldrandes. Ihr mit einem Schafsschädel an der Spitze versehener Stab kreiste in kruden Bewegungen und vor ihr begann sich Nebel zu erheben. Zwar konnte er nicht abschätzen, welches Unheil dort genau heraufbeschworen wurde. Aber in jedem Fall bedeutete dies große Gefahr, die sofortiges Handeln erforderte.
Er rief den kommandierenden Offizier der Pistoliere zu sich, reichte ihm den Feldstecher und deutete in die entsprechende Richtung. "Der Schamane dort befindet sich außer Schussweite, aber er darf nicht vollenden, was auch immer er zu wirken begonnen hat. Ihr müsst mit Euren Männern einen Ausfall wagen und ihn umgehend zu Fall bringen!" Der Offizier bestätigte mit einem knappen "Zu Befehl, Hauptmann!", drückte im den Feldstecher in die Hand und rannte los, um den Auftrag zu erfüllen. In seinen Augen erkannte Hieronymus, dass sich der Pistolier der Tragweite dieses Befehls ebenso bewusst war wie er selbst: Die Wahrscheinlichkeit, dass auch nur einer von ihnen diesen Ausfall überleben würde, war verschwindend gering. Er bedauerte sehr, diese Männer in den sicheren Tod schicken zu müssen, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Kurze Zeit später preschten knapp zwei Dutzend Reiter durch ein seitliches Tor. Geschickt umgangen sie die Hauptstreitmacht des Gegners und bewegten sich zunächst nahezu unbehelligt in der Flanke des Feindes. Erst als sie umschwenkten und im vollen Galopp auf den Schamanen zuhielten, erkannten die Gegner ihr Vorhaben und reagierten darauf. Todesverachtend warfen sich die Reiter in eine Wand aus Speeren und Klingen. Viele von ihnen starben auf den letzten entscheidenden Metern. Sie wurden aus dem Sattel gezerrt oder stürzten, als die Pferde unter ihnen von den Tiermenschen aufgespießt wurden. Währenddessen verdichtete sich der Nebel vor dem Schamanen und nahm langsam eine Form an, die an einen riesigen Bullen erinnerte. Die Siedler hatten kaum Mittel, um sich gegen magische Kreaturen zu verteidigen - alles hing nun von den Pistolieren ab.
Gebannt verfolgte Hieronymus das Geschehen, doch er konnte nur noch den Offizier und drei seiner Männer inmitten der Horde ausmachen. Endlich eröffneten sie aus kurzer Entfernung das Feuer auf den Schamanen. Als dieser zu Boden ging, begann sich der Nebel fast augenblicklich zu verflüchtigen. Nur Sekunden später wurde auch der letzte Pistolier samt seines Pferdes zu Boden gerissen. Hieronymus senkte den Blick und erlaubte sich, kurz innezuhalten und ein Gebet für die tapferen Gefallenen zu sprechen.
Aber auch nach dem Tod des Schamanen war der Kampf natürlich noch nicht vorbei und es galt, weiterhin aufmerksam zu bleiben. Trotz hoher Verluste hatten schon viele der Tiermenschen die Mauern erreicht und immer mehr folgten ihnen nach. Und auch auf seiner Seite gab es inzwischen zahlreiche Gefallene. Etwas machte Hieronymus stutzig: die Feinde führten kein Belagerungsgerät bei sich und hatten nur wenige Leitern. Er fragte sich, wie sie die Mauern erstürmen wollten. Doch da die Tiermenschen sich trotz des erfolgreichen Ausfalls der Pistoliere nicht zurückzogen, mussten sie weiterhin an den Sieg glauben. Vielleicht unterschätzten sie einfach die Stabilität der Mauern und die magische Verstärkung durch die Wächterstatuen.
Noch während er hierüber nachdachte, brach unvermittelt ein riesiger Tiermensch durch die Bäume. Er überragte alle anderen deutlich, teils um ein Vielfaches. Soweit dies aus seiner Position zu bestimmen war, musste er sogar höher als die Mauern sein! Die Kreatur brüllte und stürmte los. Auch wenn es angesichts der Offensichtlichkeit dieser neuen Bedrohung eigentlich keines solchen Befehles bedurft hätte, schrie Hieronymus: "Bringt den Riesen sofort zu Fall!".
Obwohl zahlreiche Geschosse das Monstrum trafen, ließ es sich hierdurch nicht verlangsamen. Mit seinen langen Beinen überwand es die Entfernung in beängstigender Geschwindigkeit und stieß dabei achtlos seine kleineren Artgenossen zur Seite, zertrampelte sogar einige unter seinen mächtigen Füßen. Ohne dass dies jemand hätte verhindern können, warf sich die Bestie gegen eine der Wächterstatuen und brachte sie zusammen mit einem halben Mauerabschnitt zum Einsturz. Die Trümmer erschlugen mehrere Verteidiger im Hof, andere stürzten durch die Erschütterung von der Mauer. Hieronymus fand noch rechtzeitig Halt und brüllte seinen Soldaten zu: "Sie sind durchgebrochen! In Sigmars Namen, schließt die Bresche!" Es formierte sich schnell Widerstand, allen voran von seinen Bihandkämpfern, doch schon überwanden zahlreiche Tiermenschen die Trümmer.
Hieronymus zog sein Schwert und stürmte hinab in den Hof. Gemeinsam mit seinen Soldaten leistete er erbitterte Gegenwehr, doch immer mehr von ihnen fielen. Als er mit ansehen musste, wie sein alter Freund Albrecht Thal von der riesigen Axt eines Minotaurus zerhackt wurde, verließ Hieronymus der letzte Mut. Jetzt war alles verloren!
Plötzlich übertönte lautes Krachen den Kampflärm und blaues Licht blitzte auf. Hieronymus rechnete mit dem Schlimmsten, als er sich umblickte. Dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, als er die Krieger erkannte, die inmitten des Hofes aus gleißenden Lichtsäulen traten. Sie waren deutlich größer als ein gewöhnlicher Mensch und trugen goldene Rüstungen. Glänzende Kriegshämmer schwingend warfen sie sich in den Kampf gegen die überraschten Tiermenschen. Immer mehr von ihnen fuhren in blauen Blitzen herab.
Hieronymus sah neuen Mut in den Augen seiner verbliebenen Kämpfer. Mit aller Kraft trieb er sein Schwert in die Brust des nächsten Gegners. "Boten des Morgens!", schrie er und warf sich zwischen die zurückweichenden Tiermenschen. "Sigmar hat unsere Gebete erhört und seine Sturmgeschmiedeten Ewigen entsandt, um uns beizustehen. Macht die Bestien nieder. Kämpft tapfer und vielleicht werden auch eure Seelen eines Tages neu geschmiedet werden! FÜR SIGMAR!"