Kapitel XI
Endlich wird mir eine neue Hose vorbeigebracht und ich ziehe mich kurz um.
"Wünscht mir Glück", wende ich mich an meine Brüder und will zum Fahrstuhl gehen.
"Viel Glück! Nicht das dies dir nutzen würde. Vater besteht übrigens darauf, dass du die Treppe der tausend Bußen nimmst", merkt mein ältester Bruder Quintus an.
"Das war jetzt ein schlechter Scherz, oder?", frage ich nach, da ich mir nicht vorstellen kann, wie ein Bittsteller behandelt zu werden.
"Nein, Flavion, dass ist bitterer Ernst und ich denke, die Treppe zu nehmen, dient dazu, dir das klar zu machen", erklärt Quintus im normalen Tonfall. Keine Spur von Häme ist da raus zu hören, aber auch kein Mitgefühl.
"Na dann, wir sehen uns", verabschiede ich mich zu meinen Brüdern und nehme schicksalsergeben die Tür zur Treppe. Natürlich könnte ich den "Wunsch" meines Vaters einfach ignorieren, aber ich schätze mal, ich habe ihn schon genug verärgert. Satte einhundertacht Stufen erwarten mich. Keine gleicht der anderen in Höhe und Länge. Die Wände des Aufganges sind von wuchtigen Gemälden aus der imperialen Geschichte geschmückt. Oder besser gesagt, von den Legenden. Da fliegt schon mal ein blonder Engel mit blau leuchtender Rüstung vom Himmel und mäht ganze Armeen von Renegaten mit ihrem flammenden Schwert nieder. Andere sind real, wie der Imperator, welcher die Schlange Horus mit seinem flammenden Speer aufspießt. Letztendlich geht es in den meisten Gemälden um Allegorien. Ich komme mir vor wie ein kleiner Scholajunge, der zum Zuchtmeister muss, weil er frecherweise Mädchen an den Haaren gezogen hat.
Schließlich stehe ich vor der Tür und betrete den Vorraum, der eher die Ausmaße einer Turnhalle hat. Hier arbeiten emsig einige Buchhalter an Cogitatoren, Lexikanuseinheiten sind teilweise direkt mit Speicherbänken verbunden. Die Luft wirkt wie elektrisch aufgeladen und auch etwas überhitzt für meinen Geschmack. Ständig ist ein klacken vom Anschlagen von Tasten zu hören, ebenso ein ständiges Gemurmel, weil einige Angestellte mit Außenstellen telefonieren. Eine junge dunkelhaarige Schuldmagd mit Rundungen an den richtigen Stellen fährt mit einem Servicewägelchen durch die Reihen und reicht den Angestellten frisch aufgebrühten Kaf oder durchaus lecker aussehende Snacks. Hinter einem Podest steht einer der direkten Vasallen meines Vaters, ein breitschulteriger Mann in den Mitte Sechzigern in einem Anzug, der eher im Schnitt einer Uniform gleicht.
"Ah, der junge Sünder hat sich endlich hier her bequemt. Dein Vater erwartet dich schon sehnsüchtig." Sein Tonfall hat durchaus etwas verärgertes an sich. Als würde er mit einem Lausbuben schimpfen, den er beim ausspähen der Mädchenumkleide erwischt hat. Ich könnte jetzt einen auf dicke Hose machen und ihn an seinen Vasallenstand erinnern, erachte dies aber als eher Kontraproduktiv.
"Kann ich mir vorstellen", meine ich kurz angebunden und gehe auf die gegenüberliegende Tür zu, die eher ein massives Panzerschott ist. Auf dem Weg dahin stibitze ich mir noch einen Snack vom Servicewägelchen, was die durchaus attraktive Schuldmagd mit einem süßen lächeln quittiert. Links und rechts stehen wie Stauten je vier Gardisten aus der persönlichen Leibwache meines Vaters, welche ihre reich verzierten Bolter, Melter, Plasmawerfer oder leichtes Maschinengewehr zum Gruß präsentieren. Ich grüße sie respektvoll zurück. Fast lautlos gleitet das Schott auf und ich betrete einen kurzen Gang. Ein weiteres Schott öffnet sich erst, als sich das hintere geschlossen hat. Dieser Gang ist eine Todesfalle, welche jederzeit mit wirklich effektiven Giftgas geflutet werden kann.
Nun betrete ich das Arbeitszimmer meines Vaters. Ein gewaltiges gotisches Buntglasfester ragt hinter dem wuchtigen Schreibtisch meines Vaters bis zur zwanzig Schritt hohen Decke hoch. Dies zeigt wieder den Gründer unseres Hauses mit gezogenen Schwert, auf das er sich wie der imperiale Engel stützt. Die anderen Wände sind voll mit Bücherregalen, welche die Familiengeschichte beinhalten. Und wo akribisch vermerkt ist, wer welche Apanage bekommt. Mein Vater hockt auf einem massiven Thron hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, der auf einem massiven Podest steht und schaut äußerst missmutig zu mir herab. Links und rechts stehen Bildschirme auf dem Schreibtisch und ich kann das reflektierende flackern von ihnen im Gesicht meines Vaters sehen. Ja, er ist wirklich sauer.
"Schön, dass du es hast einrichten können, hier zu erscheinen", begrüßt mich mein Vater in einem betont ruhigen Tonfall.
"Womit kann ich dienen?", frage ich ihn einfach mal frei heraus.
"Erleuchte mich!" Vater macht eine ausholende Geste nach oben, als wäre er ein Schauspieler in einem Drama, der um den Beistand des Imperators fleht.
"Ich kann nicht ganz folgen?", frage, ich da ich nicht weiß, auf welchen Punkt er nun genau anspielt.
"Genau das ist dein Problem, mein lieber Sohn. Was war meine oberste Order, als du in die St. Drusus Akademie eingetreten bist?" Sein Tonfall hat etwas lauerndes.
"Keine Vendetta anfangen oder hochkochen lassen?", antworte ich verhalten.
"Wie ich sehe, funktioniert wenigsten der Teil deines Gehirns noch rudimentär, welches für das Langzeitgedächtnis zuständig ist. Und darf ich fragen, warum du diese simple Anweisung ignoriert hast?" Seine Tonfall ist ziemlich schneidend, schon beinahe ätzend.
"Crestus Cascandor hat es darauf angelegt und es ist durchaus etwas komplexer als es den Anschein hat", verteidige ich mich etwas lahm.
"Mag sein, aber du hättest nur zur Tür hinaus gehen müssen, nicht wahr?" Offensichtlich hat einer seiner Emissäre oder Vasallen schon mit Kleist geredet. Oder mit Zeugen des Vorfalls.
"So einfach war das nicht", stelle ich klar.
"Einen Schritt nach dem anderen, dass hattest du, wenn mich mein durchaus noch funktionierendes Langzeitgedächtnis nicht täuscht, schon mit zwei Jahren ziemlich gut drauf. Tür auf, Flavion durch, Tür zu. Kein Duell, keine Vendetta, alle haben einen guten Tag. Also erleuchte mich, was war daran nun nicht so einfach?" Die Stimme meines Vater ist schneidend und ich denke, wir sind bei der Dreizehn angelangt, was den Grad seines Zornes anbelangt.
"Crestus hat es provoziert, weil er mich wegen gewissen Dingen bei der Großen Jagd loswerden musste." Ich selbst finde meine Entschuldigung ziemlich lahm, besonders da ich mich nicht gerade eloquent wiederhole.
"Dein ganze bisherige Existenz habe ich dich auf ein Leben an den Adelshöfen vorbereiten lassen. Provoziert zu werden ist da etwas ganz normales. Also mein Sohn, warum hast du eine Vendetta mit dem Haus Cascandor vom Zaun gebrochen. Von denen du wusstest, wie sehr sie die Güldenhand kontrollieren und damit einige nicht ganz so unwichtigen Einnahmequellen dieses Hauses, von dem übrigens auch deine überaus üppige Apanage bezahlt wird." Besonders die Worte "deine" und "Apanage" betont mein Vater mit ungewöhnlicher Schärfe.
"Crestus hat eine Grenze überschritten und ich musste reagieren", rechtfertige ich mein handeln ein weiteres mal und komme mir vor wie eine Schallplatte mit einem Knacks.
"Ah, der junge Crestus hat eine Grenze überschritten. Welche denn bitte schön, wenn ich fragen dürfte, mein lieber Sohn."
"In der "Goldenen Dose" gab es eine Dienstleisterin, die mir sehr zugetan war. Die ich sehr schätzte und die ihre neun Geschwister materiell unterstützte. Diese hat er nur aus dem Grund brutal gefoltert und heimtückisch ermordet, um mich in ein Duell zu zwingen, um mich so zum schweigen zu bringen, dass er diese verdammte Karte von der Verbotenen Zone selbst besorgt hat und nicht ich. Diesen Frevel konnte ich ihn nicht durchgehen lassen."
"So so, diesen Frevel, irgend ein vollkommen unwichtiges Habmädchen totzuschlagen, konntest du dem designierten Erben des Hauses Cascandor nicht durchgehen lassen. Ich wusste ja schon immer, dass du zu Größenwahn neigst, aber ich hätte nie gedacht, dass du es darauf anlegst, deine Schwester Zethania in Sachen Exzentrik zu überflügeln. Genau genommen hast du wohl auch gerade deine Tante Megera übertroffen und die ist wirklich verrückt mit ihren vollkommen abstrusen Ideen über Menschenrechte und Demokratie! Wenn du noch so weiter machst, erreichst du noch deinen Cousin Oliviero und der hat als stichhaltige Ausrede immerhin noch eine massive Kopfverletzung." Die Stimme meines Vaters ist deutlich lauter geworden. Besonders die Worte "Menschenrechte" und "Demokratie" speit er förmlich aus. Das er von einem "Habmädchen" spricht, zeigt, dass mein Vater schon einiges aus anderen Quellen von den Ereignissen in der Goldenen Dose erfahren haben muss. Wahrscheinlich hat mein Lebenswart schon einen Bericht verfasst oder gar mit meinem Vater direkt gesprochen.
"Wie schon gesagt, Vater, es ist durchaus etwas komplizierter", versuche ich mich zu rechtfertigen und setze ihm grob von dem Hinterhalt, in die uns diese verdammte Karte geführt hat, den daraus folgenden Kämpfen und was danach gekommen ist, ins Bild. Auch erwähne ich ausdrücklich, dass Kleist versucht hat, mich von dem ganzen Schlamassel abzuschirmen, was nicht geklappt hat. "Deswegen hat Crestus mich in ein Duell zwingen wollen und ich habe ihn dazu gebracht, dass er mich fordert. Ebenso habe ich im Vorfeld schon zwei von Crestus Vasallen von ihm selbst neutralisieren lassen. Also hat Crestus dann seine zwei verbliebenen Vasallen vorgeschickt, die Kleist und ich dann ausgeschaltet haben. Das anschließende Duell war sicherlich aufgrund seines Verhalten nicht konform, aber letztendlich war das alles noch im Rahmen des Gesetzes. Crestus hat mich gefordert, dann gefoult, Kleist wurde schwer verletzt und ich habe den Erben des Hauses Cascandor dafür tot geschlagen."
"Das war taktisch klug, aber strategisch gesehen war das die reine Katastrophe. Was hast du dir dabei nur gedacht? Du hast den Mistkerl doch neutralisiert und am Boden. Aber anstatt ihn zu fragen, woher er die thronverdammte Karte und wer ihn zu dieser Intrige angestiftet hat, schlägst du ihn einfach nur tot. Beim goldenen Thron von Terra, mein Sohn! Warum hast du diesen Groxdung nicht einfach verhört, bis er dir alle offenen Fragen beantwortet hat?", fragt nun mein Vater und schaut mich anklagend an.
"In dem Moment wollte ich ihn nur noch vernichten. An das habe ich gar nicht gedacht, dass war wohl ein Fehler", gebe ich zu, da ich von rechtschaffenen Zorn erfüllt gewisse Aspekte durchaus vernachlässigt habe.
"Ein Fehler mit großen Folgen für und alle und nicht nur für dich! Ich habe so viel mehr von dir erwartet und dann so was." Seine Stimme ist nun eher traurig und ich fühle mich durchaus von seinen Worten getroffen.
"Eventuell habe ich die Konsequenzen meiner Tat etwas unterschätzt", lenke ich durchaus zerknirscht ein.
"Ah, eventuell hast du das, ja, eventuell hast du das wirklich", mein Vater seufzt tief, fährt sich durch die Haare und hebt dann ein offiziell wirkendes Dokument hoch. "Eine Vorladung für eine Gerichtsverhandlung, dich betreffend."
"Aha, und was wirft man mir vor?", frage ich perplex.
"Lass mich mal kurz nachsehen", dabei schaut mein Vater mich zuerst prüfend an und mustert dann die Vorladung, als gebe etwas äußerst wichtiges dort zu entdecken. Ich denke, er hält mich für einen kompletten Idioten. "Ah, da steht es ja. Es geht da um so eine nichtige Kleinigkeit. Die behaupten doch tatsächlich vollkommen unverfroren, dass du ganz infam den zweiten Erben des Hauses Cascandor tot geschlagen hast. Wie kommen die nur auf eine solche Absurdität?" Ich hasse es wirklich, wenn mein Vater so mit Sarkasmus um sich wirft. Ich komme mir vor, als wäre ich Sieben und nicht schon fast neunzehn Jahre jung.
"Das war ein Duell, wenn auch sicherlich ein chaotisches, da Crestus mir zuerst seine Vasallen, so weit noch möglich, auf den Hals gehetzt hat. Dann hat er eine Digitalwaffe auf mich abgefeuert, die Kleist beinahe getötet hätte. Also habe ich ihn entwaffnet und anschließend mit dem Korb meines Breitschwertes tot geschlagen. Das war die von mir bestimmte Waffe, auch wenn ich sie wohl etwas ganz klein wenig zweckentfremdet habe."
"Ich sehe schon, ein Duell, dass wird sich ja dann klären lassen, wer Recht hat und wer nicht. Und zwar vor Gericht!" Die letzten Worte sind ziemlich leise und so langsam realisiere ich, was das Haus Cascandor hier versucht.
"Ich trete gegen Alphonsus den Herzensbrecher als deren Schiedsmann an", stelle ich fest. Genau das, was ich eigentlich hatte vermeiden wollen.
"Wie ich sehe, ist mein jüngster Sohn noch nicht gänzlich verblödet. Genau, du bist des Mordes angeklagt und ein Gottesurteil durch ein Duell wird entscheiden, ob du schuldig bist oder nicht. Und Mord an einen Adligen wird auch bei einem Adligen mit dem Tod oder im besten Fall, mit dem Eintritt in ein Strafbataillon geahndet. Es spielt also keine Rolle, ob ich einen unserer Schiedsmänner opfere, am Ende bist du früher oder später tot!" Den letzten Satz schreit man Vater heraus und hämmert mit der geballten Faust auf den Tisch.
"Selbstverständlich werde ich selbst kämpfen", stelle ich gleich mal klar, dass ich keinen Schiedsmann brauche.
"Gratulation zu deinem Tod, du thronverdammter Narr!", schimpft nun das Oberhaupt meiner Familie und zum ersten mal sehe ich ihn nun ohne seine Maske. Er wirkt müde, resigniert und traurig. Sieht so aus, als hätte er mich schon abgeschrieben.
"Ich habe den Rekord bei der Großen Jagd gebrochen und in beiden Jahrgängen das Fechtturnier der St. Drusus Akademie gewonnen. Auch habe ich schon vier andere Ehrenhändel siegreich überstanden. Noch ist nichts verloren", wiegle ich mit mehr Optimismus in der Stimme ab als ich wirklich habe. Mein Vater fährt sich wieder durch die Haare und schüttelt dann den Kopf.
"Da gratuliere ich dir, dass du in der Lage bist, ein paar ungezogenen Jungs etwas Manieren beizubringen und Muties im großen Stil abzuschlachten. Alphonsus Cascandor gilt nicht nur als der Beste Schwertkämpfer von Scintilla, sondern des ganzen Calixis Sektor. Seit gut fünfundzwanzig Jahren ist er ungeschlagen. Er hat vor Gericht 187 Duelle auf Leben und Tod absolviert. Daneben heißt es, er hätte so etwa zwei bis dreihundert weitere Ehrenhändel für sein Haus außergerichtlich geklärt und damit meine ich nicht die zum ersten Blut oder Aufgabe." Mein Vater stockt, nimmt einen Schluck Amasec aus einem geschliffenen Kristalglas mit dem Raben als Wappen und fährt dann mit müder Stimme fort. "Ich habe einen Bruder, einen Neffen und einen Cousin gegen ihn verloren. Dazu noch zwei wirklich fähige Schiedsmänner, jeder davon galt ihm seinerzeit als Ebenbürtig. Sie sind alle tot, alle! Und jeder einzelne von ihnen war ein sehr erfahrener Schwertkämpfer mit mindestens fünf Jahren Duellerfahrung vor Gericht. Ich habe einen imperialen Todeskult angeworben, um Alphonsus zu töten. Und sie sind ebenfalls gescheitert! Und jetzt willst du mir erzählen, du hättest eine Chance? Du dummer Junge! Was glaubst du, wer du bist. Der Auserwählte? Der eine unter einer Milliarde? Eine Romanfigur, welche die Schwachstelle entdeckt, die alle Deppen bisher übersehen haben? Thronverdammt! Ich hätte dich für klüger gehalten, Flavion. Für so viel klüger!" Er schüttelt den Kopf und fährt sich ein weiteres mal durch das Haar. Ich kann ihm jetzt durchaus ansehen, wie Nahe ihm das alles geht.
"Ich war auch mal jung, ich war auch mal dumm und ich habe auch einen Haufen Groxdung produziert. Menschen machen Fehler. Menschen haben Schwächen. Deine sind Stolz, eine überzogene Loyalität zu denen, die du meinst beschützen zu müssen und deine offensichtliche Unfähigkeit, die Folgen deiner Taten abzuschätzen. Dazu noch die Arroganz der Jugend zu glauben, all das auch überleben zu können. So ist bist du eben. Du bist mein Sohn. Und ich liebe dich, auch wenn du offensichtlich ein vollkommener Narr bist. Was soll ich sagen, Flavion. Wenn du vor Gericht antrittst, bist du tot! Da brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. In zwei Tagen geht ein Transfer nach Wandererhafen. Von dort nimmst du eine Passage durch den Schlund, triffst dich auf Bruch mit deinem Onkel Ravion und dienst unter ihm als Offizier auf der "Audacia". Hinter dem Schlund hört der Arm der Imperialen Rechtsprechung auf und du bist in Sicherheit. Verabschiede dich von der Familie, dann bringt dich einer unser Guncutter zum Schiff", erklärt mir mein Vater nun in einem ruhigen Tonfall, der mir zeigt, dass das Strafgewitter nun vorbei ist.
"Nein!", erwidere ich mit fester Stimme. Das ist nicht mein Weg. Ich will zwar eines Tages genau diese Route nehmen, aber als designierter Lordkapitän der "Audacia". Wenn ich jetzt gehe, werde ich niemals das Kommando übernehmen können, außer durch Meuterei.
"Nein, was?", fragt mich mein Vater perplex.
"Diesen Weg werde ich nicht gehen, Vater. Ich werde nicht fliehen, denn ich habe Crestus vollkommen legal getötet. Auch wenn ich mich wiederhole, er hat mich vor Zeugen gefordert. Ich habe, wie es mein Recht ist, Ort, Zeit und Waffe bestimmt. Das er dann gefoult hat, dafür kann ich nichts. Auch das dieses Duell so chaotisch ablief, ist nicht meine Schuld. Ich bin des Mordes nicht Schuldig und ich werde notfalls mit dem Schwert in der Hand bei einem Gottesurteil beweisen. Ganz abgesehen davon, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Ich bin nicht sicher, was auf der Großen Jagd passiert ist, aber ich denke, Crestus wurde von irgend jemand zu etwas angestiftet, dessen Komplexität ich nicht verstehe."
"Das wiederholen von Fakten ist in diesem Kontext nicht zielführend, Flavion. Wir beide wissen die Wahrheit. Aber aufgrund der chaotischen Umstände könnte ein neutraler Außenstehender durchaus zu dem Schluss kommen, dass du aus reiner Rache Crestus Cascandor totgeschlagen hast. Und du hast grandios die Möglichkeit verpasst, Licht ins Dunkel zu bringen. Natürlich ist da im Hintergrund etwas gelaufen. Was genau werden wir so wohl nicht erfahren, da du ja Crestus, ja ich wiederhole mich, tot geschlagen hast! Die einzige weitere Person, die in dieser Angelegenheit involviert ist, euer Jahrgangslehrer Oberst York ist seit Tagen verschwunden. Entweder ist er so gut untergetaucht, dass man ihn niemals finden wird oder er ist längst tot, weil auch er nur ein Mittelsmann war", erklärt mir mein Vater ruhig und zeigt, dass er sich nicht nur schon Gedanken über die Ereignisse gemacht hat, sondern schon einiges in Erfahrung gebracht hat. Ich frage mich, ob ich meinem Familienoberhaupt und Vater überhaupt was Neues habe sagen können.
"Und was meinst du, was dahinter steckt?", frage ich einfach mal neugierig.
"Wie ich schon sagte, dank dir ist die Faktenlage momentan sehr dünn. Aus dem Bauch heraus würde ich meinen, dass das Haus Cascandor versucht, einen offenen Krieg gegen das Haus Conari zu führen und dies durch die Ereignisse um die Große Jagd rechtfertigen wollte. Aber genau so gut kann irgend ein anderes Haus dahinter stecken, welches von einem Krieg zweier mächtiger Häuser profitieren würde. Oder die Celestische Allianz will uns wegen der Dominanz unseres Hauses auf dem Agrarsektor schwächen, um höhere Preise für ihre Produkte durchzusetzen. Aber wie gesagt, darüber zu spekulieren ist müßig, da zu viele Häuser, Gruppierungen und Parteien von diesen Ereignissen profitieren würden."
"Da habe ich wohl ziemlichen Mist gebaut, Vater", gebe ich zerknirscht zu, da ich viele Faktoren in dem Moment gar nicht bedacht habe und es dummerweise im Blutrausch unterlassen habe, die richtigen Fragen zu stellen. Diese Chance habe ich grandios vertan. "Es tut mir leid, Vater!"
"Mir auch, mein Sohn, mir auch. Manchmal muss man seinen Stolz herunterschlucken und akzeptieren, dass man sich im rückwärtigen Raum neu formieren muss. Sei kein Narr, wirf dein Leben nicht weg gegen einen Gegner, der seit fünfundzwanzig Jahren unbesiegt ist", versucht mein Vater mich mit Worten zur Vernunft bringen.
"Genau seit fünfundzwanzig Jahren. Alles hat ein Ende, auch ein Alphonsus Cascandor wird nicht jünger. Ich möchte zuerst noch meine Chancen selber analysieren", meine ich mit mehr Optimismus in der Stimme, als wie ich wirklich empfinde.
"Wenn du bleibst, brichst du deiner Mutter das Herz."
"Das ganze war ihre Idee, nicht wahr?"
"Es war unsere gemeinsame Idee, dich weit weg in Sicherheit zu schaffen. Aber du bist erwachsen, du bist volljährig. Noch ist Zeit, überlege es dir in Ruhe."
"Gut, ich werde mir zuerst ein eigenes Bild von der Situation machen, Vater!"
"Nun gut, dann sage das deiner Mutter auch selber. Sie ist im Wintergarten", sagt mein Vater nach einem tiefen Seufzer. Vielleicht hat er die Hoffnung, dass meine Mutter mich umstimmen kann. "Komm dann wieder her, dann besprechen wir alles weitere, so oder so."
"Gut, Vater, wir sehen uns", erwidere ich und bin entlassen.
Im Wintergarten, quasi der zentrale Innenhof hinter dem Arbeitszimmer, finde ich meine Mutter auf einem Liegestuhl, umgeben von mehreren eher leicht bekleideten Frauen, von denen ihr eine die bloßen Füße massiert.
"Hallo Mutter", begrüße ich die schwarzhaarige Frau, die nicht älter als fünfundzwanzig aussieht. Sie trägt skandalös wenig, aber das bin ich von ihr gewohnt.
"Meine Lieben, seid doch so lieb und geht doch eine kleine Runde in diesem schönen Garten spazieren und bringt mir einen Strauss wohlriechender Blumen mit." Die Damen knicksen artig und schweben von dannen, wo sie zwischen den Pflanzen des weitläufigen Wintergartens verschwinden, der sich über mehrere Ebenen zieht. Ein Wasserfall, der über jede Ebene fließt, ist neben den Treppen das landschaftlich verbindende Element des Gartens, den meine Mutter selbst entworfen hat. Es riecht wenig überraschend nach Dschungel in dieser grünen Oase. Meine Mutter verbringt meistens hier ihre freie Zeit mit ihren "Hofdamen". Man könnte meinen, wir wären unter freiem Himmel, dabei sind wir mehrere Kilometer unter der Oberfläche.
"Ich werde erst wieder ruhig schlafen, wenn ich dich in der Koronusweite weiß", fängt sich mir auch gleich an ein schlechtes Gewissen einzureden.
"Momentan werde ich mich vor dem Duell nicht drücken, Mutter", meine ich mit fester Stimme.
"Du willst dich doch nicht allen ernstes diesem brutalen Tier stellen!" Ihre Tonlage ist viel zu hoch.
"Ich werde meinen Kontrahenten erst einmal in aller Ruhe analysieren und wenn der Gottimperator will, werde ich einen Weg finden, ihn zu besiegen."
"Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, deine Schwester Zethania in puncto Exzentrik zu übertreffen. Sei ein kluger Junge und hör auf deine Mutter. Gehe zu deinem Onkel Ravion und auf der "Audacia" bist du in Sicherheit!", ihre Stimme hat etwas sehr entschiedenes.
"Nein, dass ist nicht die Lösung dieses Problems. Ich habe diese Vendetta reaktiviert und ich werde es zu Ende bringen."
"Beim Licht des Imperators! Du musst in der Untermakropole giftige Dämpfe eingeatmet haben, die deinen Sinn für die Realität vollkommen eintrüben. Das einzige, was in der Arena des hohen Gerichtes passieren wird, ist dein Tod!"
"Dinge können sich ändern, Mutter. Hab etwas vertrauen in meine Fähigkeiten. Ich weiß, was ich tue."
"Nein mein Sohn, dass weißt du nicht. Ich habe schon viele gute Männer vor Gericht sterben sehen. Und sie waren alles sehr erfahrene Kämpfer. Es gibt immer einen, der stärker als man selbst ist. Und steht in deinen vielen Büchern über Krieg nicht irgendwo, dass man keine Schlachten schlagen soll, wenn man weiß, dass man nur verlieren kann?"
"Doch, so was steht unter anderem drin. Aber auch, dass man die Schwachstellen seines Feindes suchen und ausnutzen muss."
"Das haben schon andere versucht und alle sind gescheitert. Ich frage mich, was mit dir passiert ist, mein lieber Junge. Du warst früher so ein liebes Kind. Das macht mich jetzt richtig traurig." Damit zündet meine Mutter ihre letzte Waffe, ihre Tränen. Ich habe gerade meine Mutter zum weinen gebracht.
"Helden sterben jung, Feiglinge sterben tausende Tode. Ich werde mich vor meiner Verantwortung nicht drücken! Bete für lieber für einen Weg zu meinen Sieg, Mutter!" Ich küsse sie auf die Stirn und lasse sie zurück. So leicht lasse ich mich jetzt doch nicht manipulieren.
Nakagos wirre Gedanken
Dieses mal ein ziemlich langes Kapitel, da ich es nicht sinnvoll habe trennen können. Vielen Dank für Likes!