Die erste Schlacht um Karak Weißensee
„Meisssster...“
„Was gibt es denn schon wieder?“ Theodrich war wütend. Andauernd unterbrach ihn sein Lehrling bei dem Experiment. Jetzt hatte er schon wieder einen der filigranen Flügel zerbrochen und alles nur wegen diesem Nichtsnutz.
Mikael kam angehumpelt.
„Bleib da stehen!“ befahl der Nekromant. Der Lehrling gehorchte aufs Wort. Überhaupt war Mikael sehr zuverlässig, auch wenn er mit Verstand nicht gerade reich beschenkt wurde.
„Sprich!“ gestattete der Zauberer, während seine Aufmerksamkeit auf der Masse aus Flügeln, Körperteilen verschiedenster Tiere und blutigen Innereien haften blieb.
„Meissster, der Herr meinte, dass Ihr sofort zu ihm kommen sollt!“
„Wer ist dein Herr?“ fragte Theodrich, seine Stimme vor Zorn verzerrt.
„Ihr, Meissster!“ stotterte der arme Wurm.
„Merk es dir gefälligst, denn langsam bin ich es leid, dich immer wieder daran zu erinnern! Du bist mein Diener, nicht der des Grafen! Nur ich allein gebe dir Befehle, damit das ein für allemal klar ist!“ Wenn er erzürnt war, konnte der alte Nekromant wahrlich fürchterlich sein.
„Was will der Graf?“ fuhr der Zauberer seinen Lehrling an.
„Der Herr....ich meine, der Graf wünscht, Euch sofort zu sehen, Meissster!“
„Verdammt noch mal, wie soll ich hier arbeiten, wenn er ständig etwas von mir will?“ wetterte Theodrich. Natürlich würde er niemals so in Gegenwart des Grafen sprechen, denn die Vampire waren sehr eitel und duldeten keinen Widerspruch.
Er packte seinen Stab, jenes Symbol seines Standes und wollte bereits gehen. Dann besann er sich jedoch, dass er Mikael nicht unbeaufsichtigt in seinem Arbeitsraum zurücklassen konnte.
„Mikael, du wirst dich nicht von der Stelle rühren!“ brummelte der Zauberer mit einem scharfen Unterton.
„Ja, Meissster, ich bleibe da stehen, wo ich....“ Mehr konnte er nicht mehr sagen, da war er schon zu Stein erstarrt.
„Ich bin mir sicher, dass du dich nicht bewegen wirst!“ lächelte Theodrich zufrieden.
Der Weg erschien ihm endlos lang, obwohl er die Gänge der Schwarzen Festung schon viele Male entlang gelaufen war.
Die grausigen Ornamente von Totenschädeln und brutal verzerrten Gesichtern schreckten ihn längst nicht mehr, obwohl er wusste, dass viele dieser versteinerten Fratzen den besiegten Feinden seines Meisters gehörten. Manchmal, in der Nacht, wenn der Wind durch die gewaltigen Hallen pfiff, stöhnten die Grimassen aus Wut an die Erinnerung ihrer Niederlage. Vielleicht war es aber auch nur der Klang der scheidenden Seelen, geopfert in der mysteriösen Schwarzen Pyramide, dem Herzen der Festung.
Endlich erreichte er die große Eingangstür des Thronsaals. Die schwere Eiche schwang auf, wie von Geisterhand bewegt, regungslos standen zwei hochgewachsene Krieger der Schwarzen Garde vor ihm. Ein gewöhnlicher Sterblicher mochte sich bei ihrem Anblick zu Tode fürchten, doch für den Nekromanten waren sie nichts weiter als wandelnde Leichnahme ohne eigenen Willen.
Der Saal war genauso düster wie immer. Seit Jahrhunderten kamen die Vampire in dieser Gruft zusammen und doch sah es so aus, als sei seit langer Zeit niemand mehr hier gewesen. Die ungewöhnliche Kälte, die durch die Festung zog, musste hier ihren Ursprung haben.
„Bist du endlich gekommen, Theodrich?“ erklang die liebliche Stimme einer jungen Frau. Es war die Gräfin, jene schwarze Tulpe der Nacht, deren legendäre Schönheit selbst die Vampire der Lhamia alt und hässlich erscheinen ließ. Sie war irgendwo in diesem Raum, doch so sehr er sich anstrengte, konnte er seine Meisterin nicht sehen. Sie schien überall zu sein.
„Ja, Herrin!“ erwiderte der Nekromant und verbeugte sich.
„Mein Gemahl ließ dich rufen, denn großes Unheil nähert sich unseren Grenzen! Du bist dazu auserwählt, die Feinde der Schwarzen Festung zu zerschmettern!“
Obwohl ihre Stimme wie süßer Honig war, konnte der Zauberer eine unverhohlene Drohung nicht verkennen. Wenn er in seinem Dienst an den Untoten versagte, wäre sein Leben verwirkt.
„Herrin, Euer Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrt mich. Doch ich werde hier gebraucht!“
„Schweig, Wurm!“ herrschte sie ihn an. Als er seinen Kopf für einen kurzen Augenblick hob, sah er sie. Zart wie eine zerbrechliche Pflanze, glänzend wie blankpoliertes Silber und tödlich wie eine vergiftete Klinge stand Gräfin Elfi von Carstein vor ihm. Immer wieder fiel Theodrich auf, wie schön und doch so grausam diese Frau war.
„Eine Armee der Zwerge nähert sich unseren ungeschriebenen Grenzen. Ihre Existenz jenseits des Ödlandes beleidigt unsere Macht. Vielleicht wird sie ihre Gier nach unserem Gold bis vor die Tore der Schwarzen Festung führen. Du wirst sie aufhalten! Ich gebe dir noch zwei meiner Gefolgsleute mit. Sie werden dir helfen, deine Aufgabe zu erfüllen.“
„Meisterin, ich nehme Euren Auftrag an.“ fügte sich Theodrich in sein Schicksal.
„Warte!“ flüsterte die Gräfin, als sich der Zauberer erhob, um zu gehen.
„Ich gebe dir so viele Truppen, wie du brauchst. Nimm zwei Kohorten der Schwarzen Garde und die Ritter der Verdammnis mit dir und kehre siegreich zurück!“
„Ich höre und gehorche, Herrin.“
„Ach, noch etwas, Theodrich. Du weißt, welche Strafe du zu erwarten hast, wenn du versagst.“
„Wie könnte ich das vergessen, Herrin?“ murmelte Theodrich, mehr zu sich selbst.
Ja, wie konnte er das nur vergessen. Zu oft hatte er den Zorn der Vampirherrscher erlebt. Und immer wieder war es sehr blutig geworden.
Doch er konnte jetzt keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Jetzt hieß es, den Auftrag der Gräfin erfüllen und entweder siegreich und lebendig oder geschlagen und tot zurückzukehren.
Auf dem riesigen Platz der Vorburg standen bereits alle Truppen wie auf einen unsichtbaren Befehl zusammengerufen. Franz von Carstein, einer der niederen Vampire, kam auf ihn zu.
Der andere Baron, den man nur den „Schwarzen Sigmar“ nannte, starrte ihn mit einem Blick der Verachtung und des Hochmuts an. Für ihn war der Zauberer nur ein niederer Diener, ein Unwissender, der das Geschenk der Unsterblichkeit nicht wert war. Äußerlich war Theodrich die Ruhe selbst, doch innerlich kochte die Wut, die Wut über die Vampire und ihrem selbstherrlichen Lebenswandel. Er wollte zu ihrem Kreis gehören, wollte einer der Vampirherren sein und vielleicht sogar selbst eines Tages der Herrscher über die Schwarze Festung werden. Doch jetzt schienen seine Pläne zum Scheitern verurteilt...
...Die Reihen lichteten sich, als die ersten Salven aus der zwergischen Artillerie zwischen den Untoten einschlugen. Immer wieder spieen die Geschütze ihre verfluchten Kugeln aus, eine Flammenkanone verwandelte die angreifenden Truppen in leuchtende Fackeln und irgendwo zog eine ihrer Flugmaschinen ihre Kreise über dem Heer der Vampire.
Ohne auf ihre Verluste zu achten, wankten die belebten Leichnahme vorwärts. Eine bösartige Kraft verhinderte, dass Theodrich seine Kunst anwenden konnte. Die Winde der Magie hatten ihm ihre Gunst versagt und kaum mehr als ein paar Funken bekam er nicht zustande.
Mehr als einmal wandte sich die schwarze Magie gegen ihn und beraubte ihn seiner Kraft.
Theodrich war wütend auf diese halblangen Kerle, die einfach nicht vor der Macht seiner Herren kapitulieren wollten.
Es gab bereits die ersten Gefechte auf Schwertlänge. Doch der Angriff der verdammten Ritter brach zusammen. Zufrieden beobachtete der Nekromant, wie der Schwarze Sigmar im Zweikampf von einem Zwerg erschlagen wurde. Endlich hatte er das bekommen, was er verdiente. Franz kämpfte wie ein Berserker. Die meisten Geschütze schwiegen jetzt, während die Mannschaften verzweifelt um ihr Leben kämpften. Ein Zwergenkanonier wurde von verfaulten Armen in Stücke gerissen, Franz zerfetzte einen anderen mit bloßen Händen. Da war ein Zwerg, der einen Zombie der Länge nach spaltete, hier zertrümmerte ein weiterer blanke Knochen mit seiner Axt. Das Gemetzel war fürchterlich. Einige Krieger erhoben sich wieder vom Schlachtfeld, nur um wenige Augenblicke später erneut in einem Wirbelsturm aus Stahl und Fleisch zu verschwinden.
Die Piraten brachen unter dem Ansturm des Gegenangriffes zusammen. Diese nutzlosen Kerle hatten keine Chance gegen die beständig weitervorrückenden Zwerge. Nun trafen sie jedoch auf die Schwarze Garde, die Elite der Ödländer Armee. Wilde Nahkämpfe brachen aus und bald schon wusste Theodrich nicht mehr, wo er stand. Zwischen den Kämpfenden entdeckte er einen Zwerg in prunkvoll gearbeiteter Rüstung. Auf den goldenen Beschlägen liefen Blut und zerfetztes Fleisch ineinander. Sein furchterregender Blick verriet dem Zauberer, dass er nun die ganze Aufmerksamkeit dieses Kriegers hatte. Die auf ihn gerichtete Axt machte Theodrich klar, dass ihn dieser Held zum Zweikampf forderte.
Theodrich war kein Kämpfer, er war ein Zauberer. Seine zittrigen Hände suchten nach dem Schwert. Lange war es her, dass er die Klinge im Kampfe gezogen hatte. Die meisten Feinde waren vorher als Frösche geendet, deren Vernichtung nur einen kräftigen Fußtritt gekostet hatte. Nein, das durfte er sich jetzt nicht erlauben. Er versuchte es noch einmal, doch wiederum ließen ihn die Winde der Magie im Stich.
Flucht! Dieser Gedanke beseelte ihn und gab ihm wieder Kraft. Renne! sprach seine innere Stimme zu ihm. Er drehte sich um und versuchte, über gefallene Leiber zu entkommen. Der Zwerg war ihm dicht auf den Fersen. Kämpfende wurden beiseite geschleudert, flink wie ein Wiesel tauchte der Nekromant zwischen parierenden Klingen hindurch.
Einer der schwergerüsteten Gardisten packte seinen tödlich getroffenen Gegner und schleuderte ihn auf den Zwerg, der hinter Theodrich sprintete, so schnell seine kurzen Beine es erlaubten. Unter dem Gewicht stolperte dieser und schlug der Länge nach hin.
Theodrich lachte innerlich über diesen Tölpel. Es war jetzt ein leichtes für ihn, zu entkommen...
...Aus seinem Versteck sah er, dass die Schlacht zu Ende war. Die Reihen der Vampirarmee waren tief zerfurcht. Nicht einmal das Eingreifen der Schwarzen Garde hatte das Blatt noch wenden können. Franz war mit dem Rest seiner Krieger geflohen. Als er rannte, warf er einen bösartig funkelnden Blick auf die Baumgruppe, wo sich Theodrich versteckt hielt. Obwohl der Zauberer wusste, dass ihn der Vampir nicht gesehen haben konnte, bohrte sich dieser Blick der rot leuchtenden Augen tief in sein Fleisch.
Die Zwerge schlugen ihr Zeltlager nicht weit vom Schlachtfeld entfernt auf. Trotz der Entfernung konnte ihr Gelächter hören. Im Schatten entzündeter Feuer sah er sie. Einige der plumpen Gesellen führten Freudentänze auf, die aber bei dem gedrungenen Körperbau eher lächerlich wirkten. Riesige Fässer wurden an das Lagerfeuer gerollt, an riesigen Spießen brieten Schweine, Rinder und Ochsen. Die Zwerge feierten ihren Sieg, dann würden sie weiterziehen.
Vielleicht war die Schwarze Festung ihr nächstes Ziel, doch Theodrich hielt das für unwahrscheinlich. Zu klein war ihre Armee, sie würden bereits lange vor den dicken Wehrmauern zum Stehen gebracht werden.
Vielleicht nahmen sie auch den Weg nach Marienburg und nur zufällig hier vorbeigekommen. Am Ende spielte es keine Rolle, warum sie das Gebiet des Grafen unerlaubt passiert hatten. Er, Theodrich, hatte versagt und damit sein Leben verwirkt.
Es gab nur einen Ausweg für ihn. Nachdenklich betrachtete er das Schwert in seiner Hand. Wäre er doch im Zweikampf gegen diesen Zwergenheld gefallen, dann hätte er wenigstens seine Ehre bewahrt. Nun aber starb er als Feigling. Die Klinge blitzte silbern im aufziehenden Mondlicht. Bösartig funkelten die Zähne an der Schneide. Sie verursachten schreckliche Wunden und würden ihm einen unschönen Tod bereiten. Aber er hatte es nicht anders verdient.
Er schrie auf, als er sich mit voller Wucht in sein Schwert stürzte. Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten spürte er wieder den Schmerz des scheidenden Lebens.
Sein letzter Gedanke, bevor ihn Dunkelheit umfing, galt der Gräfin. Hoffentlich würde sie seinem gepeinigten Körper endlich den Frieden des ewigen Schlafes schenken...
...Die siegreichen Zwerge marschierten am nächsten Tag weiter. Einer der Krieger fand im Wald noch die vertrockneten Überreste eines Mannes, der wohl schon vor langer Zeit gestorben war. Nur sein Schwert war noch übrig geblieben. Die eingearbeiteten Edelsteine würden dem Menschenkönig gut gefallen und vielleicht sogar einen ordentlichen Batzen Gold einbringen.
Der Weg nach Marienburg war noch lang. Warum sie hier auf die Untoten trafen, konnten sich die Zwerge allerdings nicht erklären...