Bin endlich mal wieder zum Schreiben gekommen.
Chern fluchte, als ihm ein dicker Tropfen eiskalten Wassers in den Kragen tropfte.
„ Drecksloch, elendes“, murmelte er vor sich hin, während er den Lichtstrahl der Lampe über die nackten Steinwände wandern ließ.
Hanick konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. Chern neigte dazu, unfreiwillig komisch zu wirken, wenn er schlechte Laune hatte. Seine gedrungene Gestalt und seine übertrieben finstere Miene, die er immer dann aufsetzte, wenn ihm etwas nicht paßte, ließen ihn wie einen mißmutigen Bären aussehen...in der Uniform der imperialen Armee, was die Komik vervollständigte.
Allerdings war Chern das bewußt und als sein bester Freund ließ Hanick es sich nicht anmerken, wie komisch er mitunter wirkte.
Davon abgesehen...es war wirklich ein Drecksloch. Die nasskalte Luft ließ ihn frösteln und einige der Höhlen waren so eng, daß er und Chern nur mit Mühe hindurchgekommen waren.
Von den scharfkantigen Steinformationen, die an jeder Ecke nur darauf warteten, sich in das Fleisch armer unschuldiger Soldaten zu bohren, brauchte man erst gar nicht zu reden.
Er hörte Chern vor sich grummeln:„ Was machen wir hier nochmal?“
„ Wir schauen, ob das hier alles sicher ist, weil uns da draußen der Arsch auf Grundeis geht, schon vergessen?“
Sie hatten dieses Gespräch in den vergangenen sechs Stunden bestimmt ein dutzendmal geführt, größtenteils, um sich selbst vom Sinn ihres Unternehmens zu überzeugen.
„ Ach ja, stimmt...unser großartiger Hauptmann hat uns da ja reingeritten...sag mal, warum macht er das denn hier nicht?“
Hanick schnitt eine Grimasse. Der unterdrückte Zorn in Cherns Stimme war neu. Und in Anbetracht ihrer Situation ziemlich gefährlich.
„ Weil dann eine Hohlbirne wie du das ganze koordinieren müßte?“
Hanick war lange genug Soldat, um zu wissen, wie Desertierung begann. Die Situation mußte entschärft werden. Jetzt.
„ Du weißt genau, was ich meine. Ich könnte jetzt bei ner Tasse Kaffein sitzen und hätte zumindest eine warme Decke. Stattdessen turnen wir durch Höhlen und frieren uns den Arsch ab. Wieso mußte er auch den Kommissar abknallen? Hat ihm die Nase des Kerls nicht gepaßt?“
Das klang schon wieder besser. Mißmutig zwar, aber das war Chern fast andauernd. Auch mit Tasse und Decke hätte er sich über irgendetwas beschwert.
„ Komm, du hättest doch auch nichts anderes getan. Der Mann ist rumgerannt und hat sich aufgeführt wie ein tollwütiger Grox. Wenn jemand Schuld an der Sache hat, dann er. Oder das Oberkommando, immerhin haben die uns diesen Frischling vor die Nase gesetzt.“
„ Trotzdem...“, entgegnete Chern, wobei der Rest seiner Worte in lautem Ächzen unterging, als er sich durch eine Felsspalte schob.
„ Nichts trotzdem...du hättest ja auch dableiben können. Die hätten dir garantiert nen Orden für besondere Loyalität verliehen.“
Wenn Ironie wirklich ätzend wäre, hätte man mit Hanicks Worten den Gang um zwei Meter verbreitern können.
„ Mich kotzt das hier nur aaaaaaa...“, kam von vorn und dann verschwand die untersetzte Gestalt Cherns plötzlich aus dem Lichtstrahl der Lampe. Cherns eigene Lampe zuckte nach oben, als der Mann schrie und stürzte.
„ Scheiße!“ fluchte Hanick und mühte sich ab, um durch die Felsspalte zu kommen.
Irgendwo vor sich hörte er rumpeln und das Aufprallen eines schweren Körpers auf Stein, gefolgt von einem schmerzerfüllten Keuchen.
„ Chern!“Hanick fluchte, blieb mit dem Gewehrgurt an einem Vorsprung hängen, fluchte weiter.
„ Paß auf...“, hörte er Cherns Stimme von weiter unten. Sie klang mühsam, gepreßt, so als habe sein Freund starke Schmerzen.
Aber die Warnung war genau zur richtigen Zeit efolgt. Kaum hatte er das Gewehr losgerissen, da stolperte Hanick nach vorn...und sah im Schein der Lampe, daß der Boden nur eine Schrittlänge hinter der Spalte aufhörte.
Schnell hielt er sich an einem der Felsen fest und leuchtete nach unten.
Es offenbarte sich ihm kein steiler Abgrund, vielmehr ein Abhang aus Geröll, gespickt mit scharfkantigen Steinen. Jeder einzelne sah aus, als könne er zumindest Knochen zerschmettern und mit Leichtigkeit durch Fleisch schneiden.
Von neuer Besorgnis erfüllt, leuchtete er weiter. Chern lag ein paar Meter vom Fuß des Abhangs entfernt auf dem Boden und umklammerte sein Bein.
Sogar von hier oben war klar erkennbar, daß es keine natürliche Stellung mehr einnahm.
Der Rückweg würde ein Albtraum werden.
„ Rühr dich nicht!“ Noch während das Echo seiner Worte in der Ferne verhallte, machte Hanick sich daran, vorsichtig den Abhang hinunterzusteigen, bemüht, nicht auf lose Steinchen zu treten.
„ Wie denn auch“, stöhnte Chern, bevor er begann, leise vor sich hin zu fluchen. Dafür reichte seine Kraft zumindest noch, stellte Hanick befriedigt fest.
Sein Abstieg zog sich quälend lang hin, immerhin wollte er nach Möglichkeit mit allen Knochen unten ankommen. Mehrmals schnitt er sich die Finger an scharfen Felsspitzen auf, an denen er sich festhalten mußte, sodaß seine Hände sich wie gehäutet anfühlten, als er endlich unten ankam.
Hanick ließ sich neben seinem Kameraden nieder, ließ das Licht über das verletzte Bein gleiten. Das Schienbein sah selbst durch die Uniform klumpig und unförmig aus. Schienen war keine Option.
„ Siehts so übel aus, wie's sich...anfühlt?“ zischte Chern schmerzerfüllt und Hanick nickte.
„ Na...toll...“, war Cherns einzige Reaktion.
Hanick wußte, daß Reden jetzt nicht viel brachte. Sie brauchten Lösungen und das schnell. Chern konnte an der Verletzung sterben, wenn er keine Hilfe erhielt. Wer wußte schon, was man sich hier alles zuziehen konnte, wenn sich Wunden entzündeten?
„ Ich werde versuchen, eine Krücke zu basteln...“, sagte Hanick, bevor er erneut aufstand und sich umsah.
„ Mach...hin...“, grummelte Chern.
Hanick nickte, bevor er den Strahl durch die Kammer wandern ließ. Seltsam...die Wände hier wirkten weit weniger unregelmäßig als in den Passagen hinter ihnen.
Irrte er sich, oder waren dort Muster in die Wand geritzt?
Er runzelte die Stirn, wenngeich auch Hoffnung in ihm aufkeimte. Sie hatten bereits vereinzelt Rückstände von Minenausrüstung gesehen, uralte Gerätschaften, die bereits auseinanderfielen, wenn man sie nur schief ansah. Aber vielleicht konnte man damit eine Krücke oder besser eine Trage bauen....
Wenn das hier ein alter Schacht war, fand sich vielleicht etwas Nützliches.
Gerade wollte er die Muster näher in Augenschein nehmen, als er hinter sich einen schmerzerfüllten Schrei hörte.
Er wirbelte herum...und sein Blut gefror.
Da war etwas bei Chern. Etwas großes, schattenhaftes. Beständig in Bewegung, sich sanft im Takt unhörbarer Musik wiegend.
Es berührte Chern nicht, sah ihn nur an. Und Chern versuchte, offenbar zum zweiten Mal, sich zu erheben. Knochen knirschten, Fleisch riß. Chern schrie, doch er stand. Blut rann aus dem Hosenbein. Und nun begann der Tanz. Langsam drehte sich Chern, das Gesicht bleich vor Anstrengung und Schmerz, drehte den Körper in irgendeiner wirren Verrenkung, der er dann die Beine nachfolgen ließ. Ein hohles Stöhnen entwich seinen Lippen, als sein Bein weiter zerstört wurde, die Knochensplitter Muskeln und Arterien zerfetzten. Doch dabei blieb es nicht. Die Bewegung wurde fortgesetzt, spiegelte den geisterhaften Tanz des Schattens, Wieder und wieder und wieder zuckte und ruckte der Körper seines Freundes, schrie in Agonie, als etwas ihn zwang sich mit seiner Verletzung zu Grunde zu richten.
Hanick starrte wie gebannt auf dieses bizarre und entsetzliche Bild. Er konnte sich nicht rühren, auch wenn sein Magen rebellierte, auch wenn seine Seele schrie.
„ Im...Namen des...Imperators....“, flüsterte er noch in einem letzten Akt des Widerstands.
Dann sah das Wesen ihn an.
Und auch er begann zu tanzen.
Und in den letzten Minuten, bevor sein Geist unter dem Klang nie gehörter, unmenschlicher Melodien zerbrach, beneidete er Chern.
Denn sein Freund war schneller gestorben.