[Archiv] [Storywettbewerb II 2011] [WHFantasy] "Der Duellist" — PLATZ 2
Ich erwachte und krallte meine Linke in die zerwühlten Laken, während ich gleichzeitig die Rechte zu dem Dolch in meinem Gürtel schnellen ließ. Erst Momente später realisierte ich, dass ich weder Gürtel, noch Dolch geschweige denn eine Hose trug. Einige Herzschläge später begriff mein vom Schlaf benebelter Geist erst, dass keine Gefahr drohte. Es waren nur meine aufgewühlten Nerven, die nach den Anstrengungen des letzten Tages noch nicht wieder zur Ruhe gekommen waren. Der Blick meiner laubgrünen Augen wanderte an der gekalkten Wand entlang, bis ich plötzlich die Person neben mir bemerkte. Sie war ein hübsches junges Ding, vielleicht achtzehn Jahre alt und mit den scharf gezeichneten, südlichen Gesichtszügen, die ich so sehr schätzte. Die Erinnerungen an die letzten Stunden kamen nur langsam zurück, während ich mich vorsichtig aufrichtete.
Oh ja, einmal mehr zu viel von dem schweren, tileanischen Wein getrunken.
Mit einem schiefen Lächeln dachte ich daran, dass genau dieser vergorene Rebensaft einer der Gründe war, wegen denen ich dieses Land als meine Heimat gewählt hatte, damals, vor all den Jahren. Die anderen beiden Gründe waren viel pragmatischer: Aussicht auf Geld und das eine oder andere Kopfgeld, dass in den Kurfürstentümern des Imperiums auf mich ausgesetzt worden war. Bis heute verstand ich nicht, wieso ich als Gesetzesbrecher galt. Konnte es ein Verbrechen sein, wenn ein Mann seine Ehre mit der Klinge verteidigte? Ich schüttelte wie so oft, wenn ich daran dachte, den Kopf. Beinahe zwanzig Jahre war es nun her gewesen, seit ich die regnerischen, kalten Lande des Imperiums gegen die sonnigen Ebenen Tileas eingetauscht hatte.
Ich sah mich um und fand meine Sachen auf einem geschmackvoll gezimmerten Holzstuhl: die feste Wollhose, der Gürtel aus Orkleder, an dem Schwert und Dolch hingen, die hohen Stiefel, wie sie bei hohen Herren gerade Mode waren, mein beiges Leinenhemd und mein fester Lederpanzer. Suchend blickte ich mich um, bis ich meinen langen, dunkelroten Mantel mit dem schwarzen Schlangenemblem fand, der achtlos in eine Ecke geworfen worden war. Sehnsüchtig betrachtete ich das Symbol, denn es erinnerte ich an meine jungen Tage.
Ein Geräusch ließ mich herumfahren, doch es war nur das Mädchen, das sich neben mir regte und ihre dunklen, verführerischen Augen öffnete.
Ja, jetzt weiß ich wieder, weshalb ich hier gelandet bin und nicht im Heerlager vor den Toren.
„Willst du schon gehen, Samuel?“, fragte sie mit dem gleichzeitig melodiösen und harten Akzent, den ich so an den Frauen Tileas liebte.
„Von wollen kann keine Rede sein, doch ich muss“, antwortete ich mit einem entschuldigenden Lächeln. Trotz meiner mehr als vierzig Winter gelang mir dieser Gesichtsausdruck offensichtlich noch so gut wie eh und je.
„Der Krieg…“, schmollte die junge Frau beleidigt, als sie zum Fenster hinaus starrte. Erst jetzt wurde mir klar, dass es erst später Abend war.
Früher wäre ich nie einfach so eingeschlafen, ärgerte ich mich, auch wenn es höchstens eine Stunde gewesen sein konnte. Dann beugte ich mich zu ihr hinüber und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich mit entschuldigender Stimme sagte: „Ja, der Krieg. Ich muss mich um meine Männer kümmern.“
„Sind sie nicht alt genug, um auf sich selbst aufzupassen?“, versuchte sie es erneut und wandte mir ihr ansprechendes Gesicht zu. Unwillkürlich musste ich über die Frage lächeln, während ich in meine Hose stieg. Dann schüttelte ich den Kopf.
„Ich fürchte, dass sie irgendwas Dummes anstellen. Du weißt nicht, wie junge Kämpfer nach einer gewonnen Schlacht sind.“
Und du weißt nicht, wie alt ich mich neben dir fühle.
„Aber ich weiß, wie ein erfahrener Krieger ist. Das heißt, eigentlich… Möchte ich meine Erinnerung noch einmal auffrischen“, wisperte sie und strich sich dabei durch die dunklen Haare.
Mit dieser einfachen Geste hatte sie mich fast schon wieder zu sich ins Bett gelockt, doch dann dachte ich erneut an meine Männer. Es war keine hohle Ausrede gewesen, ich musste tatsächlich nach ihnen sehen. Wenn nur der verdammte Kopfschmerz endlich aufgehört hätte.
„Zuviel der Ehre. Später vielleicht aber ich muss meinen Pflichten nachgehen.“ Das Gespräch war für mich beendet, da ich inzwischen Stiefel und Hemd angezogen hatte und das schien die junge Tileanerin auch zu verstehen, denn anstatt einen erneuten Versuch zu wagen, raffte sie die Decke um sich zusammen und trat verärgert ans Fenster, um auf die Straße hinabzusehen. Anscheinend war sie es nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden.
Doch was kümmerte mich das schon? Während ich mir mein Schwertgehänge umband und ihren schmalen Rücken betrachtete, der sich gegen das von draußen kommende Licht abzeichnete, erinnerte ich mich an eine Aussage meines Lehrers und Kumpanen Marco. Damals hatten wir beide in einer rauchigen Spelunke irgendwo in Miragliano gesessen und der Schankmaid hinterher gesehen.
„Frauen sind etwas Wundervolles. Noch besser sind nur Frauen, die gerne mit Männern das Lager teilen. Doch das Beste sind die, die gleichzeitig auch noch das Aussehen und das Selbstvertrauen haben, sich einen Mann zu nehmen, wenn es ihnen danach gelüstet. Das nimmt dir eine Menge Arbeit ab…Aber hüte dich vor zwei Sachen, Junge: Diese Frauen zu verärgern…Und jene, die dafür Geld nehmen. Beides bringt dich sonst irgendwann ins Grab.“ Mit einem vielsagenden Zwinkern war Marco damals aufgestanden und der Magd gefolgt. Seit diesen Tagen hielt ich mich an diesen Ratschlag und so trat ich hinter die junge Frau und umarmte sie noch einmal, um ihr einen sanften Kuss auf den Nacken zu geben. Ich fühlte sie unter meiner Berührung erschauern.
„Lass mich meine Pflicht gegenüber meinen Männern tun, und ich werde auch meine Schuldigkeit dir gegenüber nicht vergessen.“
„Davvero?“, fragte sie wenig zuversichtlich.
„Natürlich“, antwortete ich überzeugend, küsste sie noch einmal und verließ dann mit festen Schritten die Kammer. In Wahrheit kümmerte es mich relativ wenig, doch Marcos Beispiel, der sich einmal nicht an seinen Ratschlag gehalten hatte, war Warnung genug gewesen.
Auf der Straße angekommen sah ich mich noch einmal um. Die Tochter des Hausherrn stand immer noch am Fenster und blickte auf mich hinab, also winkte ich ihr einmal kurz, bevor ich die Kapuze meines Mantels hochschlug und mich auf den Weg durch die Straßen von Varieno zum Heerlager von General Allessandro da Fiore machte. Der schweigsame Söldnerführer im Dienste Trantios war ebenso alt wie ich und mindestens genauso besonnen. Er verstand es, seine Leute, auch wenn es teilweise nur dreckiger, geldgieriger Abschaum war, nicht zu verheizen - wahrscheinlich war das der Grund, weshalb ich und meine Duellanten seit mehreren Jahren in seinem Heer dienten.
Eine Gestalt schälte sich aus dem Schatten einer Seitengasse und folgte mir im Abstand weniger Schritte. Ich blieb alsbald stehen, legte die Hand auf den Schwertgriff und sah mit bedrohlich funkelnden Augen über meine Schulter, denn ich war nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Hauptmann“, grüßte mich Ludwig ruhig, als er zu mir aufschloss langsam entspannte sich der Griff um mein Schwert.
„Schleich dich nicht so an, ich werde nicht jünger“, rügte ich ihn, bevor ich freundlich lächelte. „Was machen unsere Jungs?“
„Die meisten sind im ‚Eichenfass‘ und betrinken sich“, antwortete mein Leutnant.
„Und der Rest?“, fragte ich. Ich wusste, dass es immer „der Rest“ war, um den ich mir Sorgen machen musste.
„Tja, nach Einigen suche ich bereits“, brummte Ludwig ausweichend in seinen struppigen, dunklen Bart. Sein Blick wanderte unruhig umher, eine nervöse Angewohnheit, wenn er mir irgendetwas nicht sagen wollte.
„Einige? Wer?“, schnarrte ich.
„Edoardo…Und Gustav“, gab er kleinlaut zur Antwort. Ich schnaubte. Es hätte mich nicht wundern sollen, dass Gustav mal wieder Ärger machte und Edoardo zu irgendetwas anstiftete, einen milchgesichtigen Tileaner und gleichzeitig das jüngste Mitglied meiner Truppe. Aus irgendeinem Grund war das Gustavs Steckenpferd. Ich straffte die Schultern und sah meinem Leutnant, der einen Kopf größer war als ich, in die dunklen Augen.
„Gehen wir“, sagte ich und fühlte mich viel zu alt für all diesen Mist. Es wurde eigentlich Zeit, mein Amt an einen Jüngeren abzugeben…Doch die Jugend erschien mir nicht dazu in der Lage, klar zu denken. Sie erinnerte mich viel zu sehr an meine eigenen, frühen Jahre.
Aus einer Gasse hörten wir laute Stimmen und ich warf einen kurzen Blick auf die Streithähne, einen schmächtigen Tileaner und einen hochaufgeschossenen Norse. Ludwigs Hand wanderte bereits zu seinem Schwertgriff. Der tileanische Pikenier versuchte, einen Dolch zu ziehen, doch der Nordmann rammte ihm mit solcher Wucht seine riesige Pranke ins Gesicht, dass der kleinere Mann gegen die nächste Wand geschmettert wurde und dort zusammensank. Blut lief über den kalkweißen Putz. Geringschätzig sah ich noch einen Moment länger in die Gasse und stellte wieder einmal fest, dass ich solche Szenen schon viel zu oft gesehen hatte.
Es interessierte mich einfach nicht mehr.
Mit einem Kopfnicken befahl ich Ludwig, mir weiter zu folgen, während ich unter meiner Kapuze dunklen Gedanken nachhing. Der Tileaner hätte ebenso gut Edoardo sein können.
Auf dem gepflasterten Marktplatz trafen wir auf Harald, unseren Schatzmeister. Er war ein Hüne mit einem geflochtenen, roten Bart.
Ein absolutes Gegenbeispiel für einen der barbarischen Nordmänner.
Ich ging auf den Mann zu, der aufgrund seiner Zähigkeit ebenso wie seiner legendären Sturheit zum Hüter unserer Zahlkasse gemacht worden war.
Natürlich hilft es, dass er untypischerweise rechnen kann.
Er stand mit seinen breitschultrigen Leibwächtern in einem Halbkreis um eine Mauer herum, an die ein gerüsteter Ork gekettet war. Er hatte mehrere oberflächliche Schnitte in Armen und Gesicht, doch seine kleinen Augen funkelten nach wie vor gewaltbereit. Es waren diese vermaledeiten Grünhäute, die wir im Hügelland Trantios gejagt hatten, bis wir sie schließlich hier in Varieno stellen konnten. Es war ein guter Sieg gewesen, mit wenigen Verlusten auf unserer Seite. Ein Grund zum Feiern, den die Männer nur allzu gerne nutzten. Der Haufen vor mir hatte offensichtlich einen Gefangenen gemacht und schloss jetzt Wetten darauf ab, wer von ihnen das Biest töten würde. Bestialisch, aber nichtsdestotrotz typisch für die hartgesottenen Veteranen unter uns Söldnern. Man gewährte Bestien keine Gnade!
„Harald“, grüßte ich den Schatzmeister mit einem knappen Nicken. Lachend schlug er mir kräftig auf die Schulter, als er mich erkannte. Ich zuckte schmerzhaft zusammen.
„Samuel! Willst du dich versuchen, eh?“, fragte er gut gelaunt mit seiner knarrenden Stimme und begann, mich in den Kreis zu schieben, doch ich schüttelte seine Hand ab.
„Nicht jetzt, Harald. Ich muss zwei meiner Männer suchen. Du hast sie nicht zufällig gesehen?“, fragte ich ihn leise, während ich ihn etwas von der brüllenden Menge und dem stinkenden Ork wegbugsierte.
„Zwei deiner Schlangen, eh? Torkelten vor einiger Zeit hier lang. Richtung Stadtmauer, will ich meinen“, antwortete der Hüne mit in Falten gelegter Stirn. Seine Hand wies auf einen der hohen Türme in der Nähe. Ich nickte ihm dankend zu und ging mit Ludwig im Schlepptau auf die sich gegen den Nachthimmel schwarz abzeichnende Stadtmauer zu, die dem Marktplatz am nächsten war.
„Was wollen die Schwachsinnigen dort?“, fragte ich knurrend.
„Eine Mutprobe? Du kennst doch Gustav“, riet mein Leutnant nach einigem Zögern.
Ich sollte den Bastard einfach töten, bevor er weiter Ärger macht.
Auf der anderen Seite war Gustav einer der zuverlässigsten meiner Männer. Früher an diesem Tag hatte er die Flanke einiger Pikeniere geschützt, indem er den Anführer einer Horde Goblins köpfte und so den ganzen, feigen Haufen in Angst erstarren ließ.
Hinter uns johlten und pfiffen der Schatzmeister und seine Leibwächter. Einer von ihnen musste es gewagt haben, sich in die Reichweite des Orks zu begeben und ihm einen Faustschlag in das ledrige Gesicht versetzt haben.
Die Kopfschmerzen ließen endlich ein wenig nach, dafür begann mein ganzes Rückgrat zu kribbeln.
Ärger, schoss es mir durch den Kopf und ich lockerte mein Schwert. Ludwig überraschte es nicht, denn er zog seinen Malchus sofort zwei Finger breit aus der Scheide, um es sofort ziehen zu können.
Vor uns schälte sich die sandsteinerne Stadtmauer aus der Dunkelheit. Wir folgten ihr nach rechts auf einen weitläufigen Platz.
Was ich sah, ließ Ludwigs Vermutung ziemlich abwegig erscheinen. Edoardo stand mit dem Rücken zur Stadtmauer, die Hand am Griff seines Floretts, während Gustav sich hinter ihm an die behauenen Felssteine kauerte und seinen blutenden Kopf hielt. Es dauerte einige Herzschläge lang, bis mir die Seltsamkeiten dieser Szene auffielen: Edoardos Klinge war abgebrochen und vor ihm trieben sich drei grinsende Gestalten mit auffälligen, purpurnen Umhängen herum. Sie wirkten siegessicher, als sie langsam einen immer enger werdenden Kreis um meine Männer zogen.
„Hauptmann?“, fragte Ludwig mich, die Hand um das Heft seines Schwertes verkrampft, doch ich schüttelte den Kopf. Ich kannte diese purpurgewandeten Gestalten. Oder besser gesagt, ich kannte ihren Anführer.
„Diego!“, brüllte ich mit vor Wut dröhnender Stimme.
Der junge Estalianer drehte sich ruckartig um und das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch breiter, als er mich aus den Schatten treten sah.
„Ah, la Serpiente beehrt uns mit seiner Anwesenheit“, zischelte er höhnisch. „Willst du Zeuge sein, wie dein kleiner Schoßhund sein Duell verliert?“
„Edoardo, was ist passiert?“, rief ich, als ich auf halber Strecke zwischen Diego und dem im Schatten wartenden Ludwig angekommen war.
„Er hat sich in das Duell zwischen Juan und dem blutenden Feigling da hinten eingemischt“, warf Diego hämisch feixend ein. Hass brodelte in mir, denn der Estalianer war in meinen Augen ein treuloser Hundesohn. Er war einst mein Schüler gewesen, bis er zu arrogant wurde und seinen eigenen Haufen zusammensuchte.
„Halt den Mund, Diego!“, brüllte ich ihn an, was ihn herablassend die Schultern zucken ließ.
Ich nickte Edoardo zu, der mir mit zitternder Stimme und nervös zuckenden Augen antwortete: „Gustav sagte, hier gäbe es ein besonders gutes…Hurenhaus.“ Die drei Estalianer lachten spöttisch.
Es war wieder typisch für die Jungen, dass sie sich die Hörner nicht genug abstoßen konnten. Sie erinnerten mich an meine Jugend.
„Und dann?“
„Wir suchten es…Und dann griffen sie uns an. Hinterrücks, keine Aufforderung zu einem Duell“, stotterte er weiter, doch Diego unterbrach ihn kreischend: „Lügner!“
„Gerade du bezichtigst meine Männer der Lüge?“, fragte ich ihn mit mühsam unterdrücktem Zorn. Ich konnte ihn nicht ansehen, da ich fürchtete, dabei die Beherrschung zu verlieren.
„Was willst du damit andeuten, alter Mann?“, schnappte er und seine vielen Goldketten klimperten bei der Bewegung.
„Ich habe dich aus den Ruinen deines Heims gerettet. Ich habe dir alles beigebracht und du dankst es mir, indem du mir den Rücken gekehrt hast“, zählte ich langsam auf.
„Und ich soll dir auch noch dankbar sein? Ich stand immer nur in deinem Schatten, immer hieß es nur ‚der große Samuel‘. Ich habe für dich gekämpft und geblutet! Nie habe ich dafür etwas bekommen!“
So war das also. Er konnte nicht genug Ruhm bekommen und ich stand ihm im Weg.
„Dann gibt es wohl nur einen Weg“, sagte ich, plötzlich müde von all dem. Oh, wie ich mir wünschte, wieder jung zu sein. Es war zu schwer, einen Schüler und Freund zu verlieren, doch noch schwerer, wenn ein solcher sich gegen einen wendete.
„So ist es, alter Mann. Ich will sehen, ob la Serpiente noch zubeißen kann!“
Ich nickte. Es gab nur diesen Weg, denn die Herausforderung war schon ausgesprochen.
Diego ließ die Spitze seines Rapiers über das Kopfsteinpflaster streichen und grinste mich siegessicher an. Er hatte endlich, wonach er sich so lange gesehnt hatte. All seine Taten hatten hierhin geführt.
Verräter.
Ich zog mein imperiales Breitschwert, drei Fuß lang und immer ein beruhigendes Gewicht in meiner Hand. Eine untypische Waffe für einen Duellisten, ja, doch ich war noch nie der Gewandteste gewesen, jetzt noch weniger. Ich musste meine Schwäche ausgleichen, also nutzte ich ein Schwert, das schwer und brutal genug war, den Gegner mit einem Hieb zu töten. Ich war nie schlecht damit gefahren.
Diego warf sich auf mich, ein Brüllen wie ein Stier aus den Grubenkämpfen seiner Heimat auf den Lippen. Er war schnell, doch nicht schnell genug, um mich mit dem ersten Streich zu treffen. Ich wich aus, parierte den Zweiten, konterte, ließ seine Klinge über meine gleiten und hieb mit dem schweren Knauf zu. Er sprang zurück, landete sicher und beobachtete mich, den Rapier leicht gesenkt, um mich zum Angriff zu verführen.
Ein alter Trick. Zu alt für einen alten Mann.
Ich täuschte links an, machte einen Ausfallschritt nach rechts und stieß meine Klinge gerade nach vorn. Es war mein Markenzeichen, von meinen Männern liebevoll „Schlangenbiss“ genannt. Früher hatte ich damit immer Erfolg.
Dieses Mal war ich zu langsam. Ich verfluchte mich innerlich für meine alten Knochen, noch während seine Schwertspitze die Seite meines Lederpanzers aufriss. Dennoch wirbelte ich herum und begegnete seinem erneut vorzuckenden Schwert frontal. Seine Augen glänzten vor Siegesgewissheit.
Zu früh, Jungspund.
Ich drehte mein Handgelenk, um seine Klinge aus dem Weg zu drücken und hieb ihm meine linke Faust ins Gesicht. Blut spritzte aus Diegos Nase, als er zurücktaumelte. Doch er war gut, denn er duckte sich schon unter meinem nächsten Schlag hinweg und rollte sich dann über das Pflaster, um meinen folgenden Angriffen zu entgehen. Ich stürmte auf ihn zu und führte einen brutalen Abwärtshieb.
Und dann geschah es. Er schleuderte seinen Umhang nach mir und fing meine Klinge in den schweren Falten, zog sie zur Seite und rammte seine Schwertspitze nach vorn.
Ein alter Trick.
Und ich war auf ihn hereingefallen.
Alter Narr, du hättest es kommen sehen müssen!
Ich hatte mehr Glück als Verstand, denn durch seine Schmerzen abgelenkt, stieß Diego zu tief zu und durchbohrte nur meinen Oberschenkel.
Ich knickte ein, als mein Bein mein Gewicht nicht mehr tragen wollte.
Auf den Knien und meinen Schmerz herausbrüllend, spürte ich, wie meine Klinge wieder frei kam. Ich sah nur noch rot.
Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, riss ich mein Schwert herum und spürte, wie es in etwas Festem stecken blieb.
Diego keuchte.
Lansam sank er ebenfalls auf die Knie, die Augen ungläubig geweitet. Mein Breitschwert steckte zur Hälfte in seinem Brustkorb.
„Wie…“, begann er, doch anstelle von Worten bekam er nur noch Blut über die Lippen.
„Die Schlange hat noch Zähne“, zischte ich schmerzverzerrt. Ich wünschte, wieder Jung zu sein. Damals hätte ich mich nicht so einfach treffen lassen.
„Aber…“, brachte er noch einmal hervor und schluckte schwer.
„Du warst zu überheblich. Du wolltest zu viel Ruhm“, flüsterte ich müde und schloss die Augen.
Ludwig trat hinter mich.
Es dauerte noch einige Zeit, bis ich hörte, wie Diegos Oberkörper auf das Pflaster schlug.
Erst dann ließ ich mir von Ludwig aufhelfen.
Ich werde zu alt für diesen Mist!
Ich erwachte und krallte meine Linke in die zerwühlten Laken, während ich gleichzeitig die Rechte zu dem Dolch in meinem Gürtel schnellen ließ. Erst Momente später realisierte ich, dass ich weder Gürtel, noch Dolch geschweige denn eine Hose trug. Einige Herzschläge später begriff mein vom Schlaf benebelter Geist erst, dass keine Gefahr drohte. Es waren nur meine aufgewühlten Nerven, die nach den Anstrengungen des letzten Tages noch nicht wieder zur Ruhe gekommen waren. Der Blick meiner laubgrünen Augen wanderte an der gekalkten Wand entlang, bis ich plötzlich die Person neben mir bemerkte. Sie war ein hübsches junges Ding, vielleicht achtzehn Jahre alt und mit den scharf gezeichneten, südlichen Gesichtszügen, die ich so sehr schätzte. Die Erinnerungen an die letzten Stunden kamen nur langsam zurück, während ich mich vorsichtig aufrichtete.
Oh ja, einmal mehr zu viel von dem schweren, tileanischen Wein getrunken.
Mit einem schiefen Lächeln dachte ich daran, dass genau dieser vergorene Rebensaft einer der Gründe war, wegen denen ich dieses Land als meine Heimat gewählt hatte, damals, vor all den Jahren. Die anderen beiden Gründe waren viel pragmatischer: Aussicht auf Geld und das eine oder andere Kopfgeld, dass in den Kurfürstentümern des Imperiums auf mich ausgesetzt worden war. Bis heute verstand ich nicht, wieso ich als Gesetzesbrecher galt. Konnte es ein Verbrechen sein, wenn ein Mann seine Ehre mit der Klinge verteidigte? Ich schüttelte wie so oft, wenn ich daran dachte, den Kopf. Beinahe zwanzig Jahre war es nun her gewesen, seit ich die regnerischen, kalten Lande des Imperiums gegen die sonnigen Ebenen Tileas eingetauscht hatte.
Ich sah mich um und fand meine Sachen auf einem geschmackvoll gezimmerten Holzstuhl: die feste Wollhose, der Gürtel aus Orkleder, an dem Schwert und Dolch hingen, die hohen Stiefel, wie sie bei hohen Herren gerade Mode waren, mein beiges Leinenhemd und mein fester Lederpanzer. Suchend blickte ich mich um, bis ich meinen langen, dunkelroten Mantel mit dem schwarzen Schlangenemblem fand, der achtlos in eine Ecke geworfen worden war. Sehnsüchtig betrachtete ich das Symbol, denn es erinnerte ich an meine jungen Tage.
Ein Geräusch ließ mich herumfahren, doch es war nur das Mädchen, das sich neben mir regte und ihre dunklen, verführerischen Augen öffnete.
Ja, jetzt weiß ich wieder, weshalb ich hier gelandet bin und nicht im Heerlager vor den Toren.
„Willst du schon gehen, Samuel?“, fragte sie mit dem gleichzeitig melodiösen und harten Akzent, den ich so an den Frauen Tileas liebte.
„Von wollen kann keine Rede sein, doch ich muss“, antwortete ich mit einem entschuldigenden Lächeln. Trotz meiner mehr als vierzig Winter gelang mir dieser Gesichtsausdruck offensichtlich noch so gut wie eh und je.
„Der Krieg…“, schmollte die junge Frau beleidigt, als sie zum Fenster hinaus starrte. Erst jetzt wurde mir klar, dass es erst später Abend war.
Früher wäre ich nie einfach so eingeschlafen, ärgerte ich mich, auch wenn es höchstens eine Stunde gewesen sein konnte. Dann beugte ich mich zu ihr hinüber und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich mit entschuldigender Stimme sagte: „Ja, der Krieg. Ich muss mich um meine Männer kümmern.“
„Sind sie nicht alt genug, um auf sich selbst aufzupassen?“, versuchte sie es erneut und wandte mir ihr ansprechendes Gesicht zu. Unwillkürlich musste ich über die Frage lächeln, während ich in meine Hose stieg. Dann schüttelte ich den Kopf.
„Ich fürchte, dass sie irgendwas Dummes anstellen. Du weißt nicht, wie junge Kämpfer nach einer gewonnen Schlacht sind.“
Und du weißt nicht, wie alt ich mich neben dir fühle.
„Aber ich weiß, wie ein erfahrener Krieger ist. Das heißt, eigentlich… Möchte ich meine Erinnerung noch einmal auffrischen“, wisperte sie und strich sich dabei durch die dunklen Haare.
Mit dieser einfachen Geste hatte sie mich fast schon wieder zu sich ins Bett gelockt, doch dann dachte ich erneut an meine Männer. Es war keine hohle Ausrede gewesen, ich musste tatsächlich nach ihnen sehen. Wenn nur der verdammte Kopfschmerz endlich aufgehört hätte.
„Zuviel der Ehre. Später vielleicht aber ich muss meinen Pflichten nachgehen.“ Das Gespräch war für mich beendet, da ich inzwischen Stiefel und Hemd angezogen hatte und das schien die junge Tileanerin auch zu verstehen, denn anstatt einen erneuten Versuch zu wagen, raffte sie die Decke um sich zusammen und trat verärgert ans Fenster, um auf die Straße hinabzusehen. Anscheinend war sie es nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden.
Doch was kümmerte mich das schon? Während ich mir mein Schwertgehänge umband und ihren schmalen Rücken betrachtete, der sich gegen das von draußen kommende Licht abzeichnete, erinnerte ich mich an eine Aussage meines Lehrers und Kumpanen Marco. Damals hatten wir beide in einer rauchigen Spelunke irgendwo in Miragliano gesessen und der Schankmaid hinterher gesehen.
„Frauen sind etwas Wundervolles. Noch besser sind nur Frauen, die gerne mit Männern das Lager teilen. Doch das Beste sind die, die gleichzeitig auch noch das Aussehen und das Selbstvertrauen haben, sich einen Mann zu nehmen, wenn es ihnen danach gelüstet. Das nimmt dir eine Menge Arbeit ab…Aber hüte dich vor zwei Sachen, Junge: Diese Frauen zu verärgern…Und jene, die dafür Geld nehmen. Beides bringt dich sonst irgendwann ins Grab.“ Mit einem vielsagenden Zwinkern war Marco damals aufgestanden und der Magd gefolgt. Seit diesen Tagen hielt ich mich an diesen Ratschlag und so trat ich hinter die junge Frau und umarmte sie noch einmal, um ihr einen sanften Kuss auf den Nacken zu geben. Ich fühlte sie unter meiner Berührung erschauern.
„Lass mich meine Pflicht gegenüber meinen Männern tun, und ich werde auch meine Schuldigkeit dir gegenüber nicht vergessen.“
„Davvero?“, fragte sie wenig zuversichtlich.
„Natürlich“, antwortete ich überzeugend, küsste sie noch einmal und verließ dann mit festen Schritten die Kammer. In Wahrheit kümmerte es mich relativ wenig, doch Marcos Beispiel, der sich einmal nicht an seinen Ratschlag gehalten hatte, war Warnung genug gewesen.
Auf der Straße angekommen sah ich mich noch einmal um. Die Tochter des Hausherrn stand immer noch am Fenster und blickte auf mich hinab, also winkte ich ihr einmal kurz, bevor ich die Kapuze meines Mantels hochschlug und mich auf den Weg durch die Straßen von Varieno zum Heerlager von General Allessandro da Fiore machte. Der schweigsame Söldnerführer im Dienste Trantios war ebenso alt wie ich und mindestens genauso besonnen. Er verstand es, seine Leute, auch wenn es teilweise nur dreckiger, geldgieriger Abschaum war, nicht zu verheizen - wahrscheinlich war das der Grund, weshalb ich und meine Duellanten seit mehreren Jahren in seinem Heer dienten.
Eine Gestalt schälte sich aus dem Schatten einer Seitengasse und folgte mir im Abstand weniger Schritte. Ich blieb alsbald stehen, legte die Hand auf den Schwertgriff und sah mit bedrohlich funkelnden Augen über meine Schulter, denn ich war nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Hauptmann“, grüßte mich Ludwig ruhig, als er zu mir aufschloss langsam entspannte sich der Griff um mein Schwert.
„Schleich dich nicht so an, ich werde nicht jünger“, rügte ich ihn, bevor ich freundlich lächelte. „Was machen unsere Jungs?“
„Die meisten sind im ‚Eichenfass‘ und betrinken sich“, antwortete mein Leutnant.
„Und der Rest?“, fragte ich. Ich wusste, dass es immer „der Rest“ war, um den ich mir Sorgen machen musste.
„Tja, nach Einigen suche ich bereits“, brummte Ludwig ausweichend in seinen struppigen, dunklen Bart. Sein Blick wanderte unruhig umher, eine nervöse Angewohnheit, wenn er mir irgendetwas nicht sagen wollte.
„Einige? Wer?“, schnarrte ich.
„Edoardo…Und Gustav“, gab er kleinlaut zur Antwort. Ich schnaubte. Es hätte mich nicht wundern sollen, dass Gustav mal wieder Ärger machte und Edoardo zu irgendetwas anstiftete, einen milchgesichtigen Tileaner und gleichzeitig das jüngste Mitglied meiner Truppe. Aus irgendeinem Grund war das Gustavs Steckenpferd. Ich straffte die Schultern und sah meinem Leutnant, der einen Kopf größer war als ich, in die dunklen Augen.
„Gehen wir“, sagte ich und fühlte mich viel zu alt für all diesen Mist. Es wurde eigentlich Zeit, mein Amt an einen Jüngeren abzugeben…Doch die Jugend erschien mir nicht dazu in der Lage, klar zu denken. Sie erinnerte mich viel zu sehr an meine eigenen, frühen Jahre.
Aus einer Gasse hörten wir laute Stimmen und ich warf einen kurzen Blick auf die Streithähne, einen schmächtigen Tileaner und einen hochaufgeschossenen Norse. Ludwigs Hand wanderte bereits zu seinem Schwertgriff. Der tileanische Pikenier versuchte, einen Dolch zu ziehen, doch der Nordmann rammte ihm mit solcher Wucht seine riesige Pranke ins Gesicht, dass der kleinere Mann gegen die nächste Wand geschmettert wurde und dort zusammensank. Blut lief über den kalkweißen Putz. Geringschätzig sah ich noch einen Moment länger in die Gasse und stellte wieder einmal fest, dass ich solche Szenen schon viel zu oft gesehen hatte.
Es interessierte mich einfach nicht mehr.
Mit einem Kopfnicken befahl ich Ludwig, mir weiter zu folgen, während ich unter meiner Kapuze dunklen Gedanken nachhing. Der Tileaner hätte ebenso gut Edoardo sein können.
Auf dem gepflasterten Marktplatz trafen wir auf Harald, unseren Schatzmeister. Er war ein Hüne mit einem geflochtenen, roten Bart.
Ein absolutes Gegenbeispiel für einen der barbarischen Nordmänner.
Ich ging auf den Mann zu, der aufgrund seiner Zähigkeit ebenso wie seiner legendären Sturheit zum Hüter unserer Zahlkasse gemacht worden war.
Natürlich hilft es, dass er untypischerweise rechnen kann.
Er stand mit seinen breitschultrigen Leibwächtern in einem Halbkreis um eine Mauer herum, an die ein gerüsteter Ork gekettet war. Er hatte mehrere oberflächliche Schnitte in Armen und Gesicht, doch seine kleinen Augen funkelten nach wie vor gewaltbereit. Es waren diese vermaledeiten Grünhäute, die wir im Hügelland Trantios gejagt hatten, bis wir sie schließlich hier in Varieno stellen konnten. Es war ein guter Sieg gewesen, mit wenigen Verlusten auf unserer Seite. Ein Grund zum Feiern, den die Männer nur allzu gerne nutzten. Der Haufen vor mir hatte offensichtlich einen Gefangenen gemacht und schloss jetzt Wetten darauf ab, wer von ihnen das Biest töten würde. Bestialisch, aber nichtsdestotrotz typisch für die hartgesottenen Veteranen unter uns Söldnern. Man gewährte Bestien keine Gnade!
„Harald“, grüßte ich den Schatzmeister mit einem knappen Nicken. Lachend schlug er mir kräftig auf die Schulter, als er mich erkannte. Ich zuckte schmerzhaft zusammen.
„Samuel! Willst du dich versuchen, eh?“, fragte er gut gelaunt mit seiner knarrenden Stimme und begann, mich in den Kreis zu schieben, doch ich schüttelte seine Hand ab.
„Nicht jetzt, Harald. Ich muss zwei meiner Männer suchen. Du hast sie nicht zufällig gesehen?“, fragte ich ihn leise, während ich ihn etwas von der brüllenden Menge und dem stinkenden Ork wegbugsierte.
„Zwei deiner Schlangen, eh? Torkelten vor einiger Zeit hier lang. Richtung Stadtmauer, will ich meinen“, antwortete der Hüne mit in Falten gelegter Stirn. Seine Hand wies auf einen der hohen Türme in der Nähe. Ich nickte ihm dankend zu und ging mit Ludwig im Schlepptau auf die sich gegen den Nachthimmel schwarz abzeichnende Stadtmauer zu, die dem Marktplatz am nächsten war.
„Was wollen die Schwachsinnigen dort?“, fragte ich knurrend.
„Eine Mutprobe? Du kennst doch Gustav“, riet mein Leutnant nach einigem Zögern.
Ich sollte den Bastard einfach töten, bevor er weiter Ärger macht.
Auf der anderen Seite war Gustav einer der zuverlässigsten meiner Männer. Früher an diesem Tag hatte er die Flanke einiger Pikeniere geschützt, indem er den Anführer einer Horde Goblins köpfte und so den ganzen, feigen Haufen in Angst erstarren ließ.
Hinter uns johlten und pfiffen der Schatzmeister und seine Leibwächter. Einer von ihnen musste es gewagt haben, sich in die Reichweite des Orks zu begeben und ihm einen Faustschlag in das ledrige Gesicht versetzt haben.
Die Kopfschmerzen ließen endlich ein wenig nach, dafür begann mein ganzes Rückgrat zu kribbeln.
Ärger, schoss es mir durch den Kopf und ich lockerte mein Schwert. Ludwig überraschte es nicht, denn er zog seinen Malchus sofort zwei Finger breit aus der Scheide, um es sofort ziehen zu können.
Vor uns schälte sich die sandsteinerne Stadtmauer aus der Dunkelheit. Wir folgten ihr nach rechts auf einen weitläufigen Platz.
Was ich sah, ließ Ludwigs Vermutung ziemlich abwegig erscheinen. Edoardo stand mit dem Rücken zur Stadtmauer, die Hand am Griff seines Floretts, während Gustav sich hinter ihm an die behauenen Felssteine kauerte und seinen blutenden Kopf hielt. Es dauerte einige Herzschläge lang, bis mir die Seltsamkeiten dieser Szene auffielen: Edoardos Klinge war abgebrochen und vor ihm trieben sich drei grinsende Gestalten mit auffälligen, purpurnen Umhängen herum. Sie wirkten siegessicher, als sie langsam einen immer enger werdenden Kreis um meine Männer zogen.
„Hauptmann?“, fragte Ludwig mich, die Hand um das Heft seines Schwertes verkrampft, doch ich schüttelte den Kopf. Ich kannte diese purpurgewandeten Gestalten. Oder besser gesagt, ich kannte ihren Anführer.
„Diego!“, brüllte ich mit vor Wut dröhnender Stimme.
Der junge Estalianer drehte sich ruckartig um und das Grinsen in seinem Gesicht wurde noch breiter, als er mich aus den Schatten treten sah.
„Ah, la Serpiente beehrt uns mit seiner Anwesenheit“, zischelte er höhnisch. „Willst du Zeuge sein, wie dein kleiner Schoßhund sein Duell verliert?“
„Edoardo, was ist passiert?“, rief ich, als ich auf halber Strecke zwischen Diego und dem im Schatten wartenden Ludwig angekommen war.
„Er hat sich in das Duell zwischen Juan und dem blutenden Feigling da hinten eingemischt“, warf Diego hämisch feixend ein. Hass brodelte in mir, denn der Estalianer war in meinen Augen ein treuloser Hundesohn. Er war einst mein Schüler gewesen, bis er zu arrogant wurde und seinen eigenen Haufen zusammensuchte.
„Halt den Mund, Diego!“, brüllte ich ihn an, was ihn herablassend die Schultern zucken ließ.
Ich nickte Edoardo zu, der mir mit zitternder Stimme und nervös zuckenden Augen antwortete: „Gustav sagte, hier gäbe es ein besonders gutes…Hurenhaus.“ Die drei Estalianer lachten spöttisch.
Es war wieder typisch für die Jungen, dass sie sich die Hörner nicht genug abstoßen konnten. Sie erinnerten mich an meine Jugend.
„Und dann?“
„Wir suchten es…Und dann griffen sie uns an. Hinterrücks, keine Aufforderung zu einem Duell“, stotterte er weiter, doch Diego unterbrach ihn kreischend: „Lügner!“
„Gerade du bezichtigst meine Männer der Lüge?“, fragte ich ihn mit mühsam unterdrücktem Zorn. Ich konnte ihn nicht ansehen, da ich fürchtete, dabei die Beherrschung zu verlieren.
„Was willst du damit andeuten, alter Mann?“, schnappte er und seine vielen Goldketten klimperten bei der Bewegung.
„Ich habe dich aus den Ruinen deines Heims gerettet. Ich habe dir alles beigebracht und du dankst es mir, indem du mir den Rücken gekehrt hast“, zählte ich langsam auf.
„Und ich soll dir auch noch dankbar sein? Ich stand immer nur in deinem Schatten, immer hieß es nur ‚der große Samuel‘. Ich habe für dich gekämpft und geblutet! Nie habe ich dafür etwas bekommen!“
So war das also. Er konnte nicht genug Ruhm bekommen und ich stand ihm im Weg.
„Dann gibt es wohl nur einen Weg“, sagte ich, plötzlich müde von all dem. Oh, wie ich mir wünschte, wieder jung zu sein. Es war zu schwer, einen Schüler und Freund zu verlieren, doch noch schwerer, wenn ein solcher sich gegen einen wendete.
„So ist es, alter Mann. Ich will sehen, ob la Serpiente noch zubeißen kann!“
Ich nickte. Es gab nur diesen Weg, denn die Herausforderung war schon ausgesprochen.
Diego ließ die Spitze seines Rapiers über das Kopfsteinpflaster streichen und grinste mich siegessicher an. Er hatte endlich, wonach er sich so lange gesehnt hatte. All seine Taten hatten hierhin geführt.
Verräter.
Ich zog mein imperiales Breitschwert, drei Fuß lang und immer ein beruhigendes Gewicht in meiner Hand. Eine untypische Waffe für einen Duellisten, ja, doch ich war noch nie der Gewandteste gewesen, jetzt noch weniger. Ich musste meine Schwäche ausgleichen, also nutzte ich ein Schwert, das schwer und brutal genug war, den Gegner mit einem Hieb zu töten. Ich war nie schlecht damit gefahren.
Diego warf sich auf mich, ein Brüllen wie ein Stier aus den Grubenkämpfen seiner Heimat auf den Lippen. Er war schnell, doch nicht schnell genug, um mich mit dem ersten Streich zu treffen. Ich wich aus, parierte den Zweiten, konterte, ließ seine Klinge über meine gleiten und hieb mit dem schweren Knauf zu. Er sprang zurück, landete sicher und beobachtete mich, den Rapier leicht gesenkt, um mich zum Angriff zu verführen.
Ein alter Trick. Zu alt für einen alten Mann.
Ich täuschte links an, machte einen Ausfallschritt nach rechts und stieß meine Klinge gerade nach vorn. Es war mein Markenzeichen, von meinen Männern liebevoll „Schlangenbiss“ genannt. Früher hatte ich damit immer Erfolg.
Dieses Mal war ich zu langsam. Ich verfluchte mich innerlich für meine alten Knochen, noch während seine Schwertspitze die Seite meines Lederpanzers aufriss. Dennoch wirbelte ich herum und begegnete seinem erneut vorzuckenden Schwert frontal. Seine Augen glänzten vor Siegesgewissheit.
Zu früh, Jungspund.
Ich drehte mein Handgelenk, um seine Klinge aus dem Weg zu drücken und hieb ihm meine linke Faust ins Gesicht. Blut spritzte aus Diegos Nase, als er zurücktaumelte. Doch er war gut, denn er duckte sich schon unter meinem nächsten Schlag hinweg und rollte sich dann über das Pflaster, um meinen folgenden Angriffen zu entgehen. Ich stürmte auf ihn zu und führte einen brutalen Abwärtshieb.
Und dann geschah es. Er schleuderte seinen Umhang nach mir und fing meine Klinge in den schweren Falten, zog sie zur Seite und rammte seine Schwertspitze nach vorn.
Ein alter Trick.
Und ich war auf ihn hereingefallen.
Alter Narr, du hättest es kommen sehen müssen!
Ich hatte mehr Glück als Verstand, denn durch seine Schmerzen abgelenkt, stieß Diego zu tief zu und durchbohrte nur meinen Oberschenkel.
Ich knickte ein, als mein Bein mein Gewicht nicht mehr tragen wollte.
Auf den Knien und meinen Schmerz herausbrüllend, spürte ich, wie meine Klinge wieder frei kam. Ich sah nur noch rot.
Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, riss ich mein Schwert herum und spürte, wie es in etwas Festem stecken blieb.
Diego keuchte.
Lansam sank er ebenfalls auf die Knie, die Augen ungläubig geweitet. Mein Breitschwert steckte zur Hälfte in seinem Brustkorb.
„Wie…“, begann er, doch anstelle von Worten bekam er nur noch Blut über die Lippen.
„Die Schlange hat noch Zähne“, zischte ich schmerzverzerrt. Ich wünschte, wieder Jung zu sein. Damals hätte ich mich nicht so einfach treffen lassen.
„Aber…“, brachte er noch einmal hervor und schluckte schwer.
„Du warst zu überheblich. Du wolltest zu viel Ruhm“, flüsterte ich müde und schloss die Augen.
Ludwig trat hinter mich.
Es dauerte noch einige Zeit, bis ich hörte, wie Diegos Oberkörper auf das Pflaster schlug.
Erst dann ließ ich mir von Ludwig aufhelfen.
Ich werde zu alt für diesen Mist!