Der Leman Russ, seines Zeichens seit undenklich langer Zeit das Rückgrat der imperialen Panzerstreitkräfte, war das Symbol uneingeschränkter imperialer Macht.
Mit einem Kampfgewicht von gut sechzig Tonnen und den Ausmaßen eines kleinen Squiggofanten gehörte das an allen Fronten des Menschreiches eingesetzte Ungetüm zu den furchteinflößendsten Anblicken, die sich einem auf dem Schlachtfeld bieten konnten – sah man einmal von den superschweren Leviathanen ab, wie etwa dem Valdor oder dem Baneblade.
Allein die aufragenden, unverwüstlich erscheinenden Rümpfe der Leman Russ, ihre vor Waffen starrende Front und die röhrenden Motoren, mit denen sich die Panzer auf ihren Gleisketten vorwärts schoben, brachten mehr als oft genug ganze Abschnitte der feindlichen Armeen zum Zusammenbruch.
Und wer im Gefecht gegen die schwer gepanzerten Ungetüme stand, wurde zumeist von ihren Waffen zerrissen oder unter ihren Ketten zermahlen.
Doch es gab Orte, an denen die Ungetüme mit der gleichen Hilflosigkeit zu kämpfen hatten, mit der Infanteristen ihnen gegenüberstanden.
Wer schon einmal den Kamerion hinaufgefahren war, konnte das bezeugen. Durch die geografischen Gegebenheit zu einem Nadelöhr verengt, nur drei Baneblade-Längen breit und in den Flanken von Erhebungen eingefasst, sah man sich auf dem Pass, der den Höhenrücken hinaufkletterte, mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, stets in einen Hinterhalt geraten zu können.
Der Kommandant des vierten Panzers der Kampfgruppe Aleph, von seinen Männern lediglich »Lieutenant« genannt, lehnte über dem Rand des Turmluks und beobachtete die lange Kolonne aus Fahrzeugen, die sich in einem dröhnenden Stakkato aus Motorenlärm und Kettenrasseln den Memal-Pass hinaufschob.
Eine beeindruckende Formation aus gut fünfzig Panzerkampfwagen des Typs Leman Russ, begleitet von Schützenpanzern des Typs Chimäre, rollte dem Feind entgegen, der sie unter dem Gipfel des Mittelgebirges erwartete.
Und sie war bitter nötig.
Die Imperiale Armee hatte bereits einige Angriffe auf das vor ihnen liegende Gebirge gestartet, war bisher jedoch durchweg an der verbissenen Verteidigung der derzeitigen ‚Besitzer‘ abgeprallt wie der Schuss einer Laserpistole an Plastonid T-Stahl.
Sogar eine Luftlandeoperation der berüchtigten Warhawks war ohne Erfolg und unter hohen Verlusten zurückgeschlagen worden.
Nun lag es an den Panzertruppen, den Feind niederzuringen. Mochte der Imperator Seine schützende Hand über sie halten.
Nach einem einleitenden Artilleriebombardement hatten sie sich auf den Weg gemacht, die elenden Rebellen zu eliminieren, die an diesem Ort ihr Unwesen trieben. Doch bisher hatte keine der eingesetzten Einheiten einen Feindkontakt gemeldet. Der Morgen war ruhig geblieben. Zu ruhig.
Nachdenklich lehnte sich der Panzerkommandant zurück und fragte sich, welche Teufelei der Feind wohl ausheckte, um die mächtigen imperialen Panzer zu bekämpfen.
Er kam nicht dazu, diesem Gedanken mehr Platz in seinen Überlegungen einzuräumen. Ein helles Summen drang an sein Ohr. Ein Geräusch, so charakteristisch und penetrant, dass man es an jedem Ort dieser Galaxis erkannt hätte. Deutlich hob sich das Herannahen eines schweren Geschosses gegen den Hintergrund der rollenden Fahrzeuge ab, überquerte die erste Gruppe Panzer zielsicher und tauchte hinter ihnen in die Tiefe. Artillerie!
Unvermittelt zerplatzte eine der hinter ihnen rollenden Chimären in einem rot-orangen Feuerball. Körper- und Fahrzeugteile wirbelten in die Luft. Eine Hitzewelle rollte über die Kolonne hinweg.
Fassungslos starrte der Lieutenant auf das Panzerwrack, das eben noch ein Schützenpanzer mit drei Mann Besatzung und zehn Soldaten gewesen war.
Der externe Funkkreis erwachte mit dem Knacken statischer Entladungen zum Leben. »An alle Aleph Victors von Aleph Eins!«, erreichte sie der erste Befehl dieser Schlacht. »Klar zum Gefecht!«
Panzerkommandanten bestätigten die Order, tauchten in ihre Fahrzeuge ab und schlossen die Einstiege ihrer Kampfräume.
Der Lieutenant tat es ihnen gleich, packte seine Luke und zog sie über sich zu. Mit einem dumpfen Geräusch rastete die Zugangssperre ein und verriegelte ordnungsgemäß. Alle Umgebungsgeräusche verstummten, wichen dem von Dröhnen erfüllten Halbdunkel des Kampfraums.
»Luken sind dicht«, hörte er die Meldung des Richtschützen.
»Verstanden.« Der Panzerführer ließ sich in seinen Sitz sinken. »Test im inneren Funkkreis«, ordnete er an. »Kommandant – in Ordnung!«
»Richtschütze – in Ordnung!«
»Ladeschütze – in Ordnung!
»Fahrer – in Ordnung!«
Aelph Vier war ein Vanquisher, ein zur Panzerjagd modifizierter Leman Russ. Statt der schweren Kampfgeschütze, Bombarden oder Sturmkanonen, wie sie von den meisten anderen Bauschemata der Leman Russ getragen wurden, besaß der Kampfwagen ein Vanquisher-Panzerabwehrgeschütz. Mit diesem konnte er feindliche Panzerfahrzeuge auf riesige Entfernungen bekämpfen – wenn auch weit weniger effektiv als der für diese Aufgabe prädestinierte, ab viel seltener anzutreffende Destroyer-Jagdpanzer.
Allerdings bedingte seine Aufgabe, dass ihm ein bestimmtes Charakteristikum des Leman Russ fehlte: Seitenkuppeln. Zwar sparte er dadurch zwei Mann Besatzung, konnte im Gegenzug allerdings auch nur schwerlich gegen Infanterie im Nahkampf bestehen.
Der Lieutenant nickte. »Verstanden. Besatzung, klar machen zum Gefecht!«
Er lehnte sich vor und sah durch die Winkelspiegel, welche in diesem Moment seine einzige Verbindung zur Außenwelt darstellten. Acht starre, einem Periskop ähnliche Ausbuchtungen auf dem Turm seines Panzers, durch die er sein Umfeld beobachten konnte.
Ein weiteres Manko dieses Fabrikats: außer dem Turmschwenkwerk gab es keinerlei elektrische Sicht- und Kommandohilfen.
Aber in Anbetracht der unterschiedlichen Fahrzeugbaumuster im Imperium – wen hätte es da gewundert, dass sein Kampffahrzeug mit derart einfachen Ausrüstungsgegenständen in den Kampf fuhr, während viele andere manuell oder elektrisch zu bedienende Sichtperiskope verwendeten?
Man musste sich eben arrangieren.
Vor ihnen bliesen die angreifenden Panzerkampfwagen dunkle Abgaswolken in den glasklaren Himmel von Tavion, verpesteten die frische Luft mit dem Gestank ihrer Motoren.
»Wer hat ein Ticket in die Hölle bestellt?«, brummte die schnoddrige Stimme des Fahrers.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Halt’s Maul«, knirschte der Richtschütze zurück. »Konzentrier dich auf den Weg.«
»An alle Aleph Victors von Aleph Eins! Gefechtsgeschwindigkeit!«, ordnete der Führungspanzer an.
Der Kommandant bestätigte die Nachricht. »Gefechtsgeschwindigkeit«, gab er weiter.
»Verstanden!«
Der Motor des Leman Russ heulte auf, als das Fahrzeug beschleunigte. Die vorausfahrenden Panzer warfen Staub in die Luft, verteilten ihn gleich einer dünnen Decke über die nachfolgenden Einheiten.
»An alle Aleph Victors von Aleph Eins!«, tönte die Stimme des Zugführers. »Neuer Kontakt auf elf Uhr! Feindpan-«
Die linke Seite des Kommandopanzers flammte auf wie ein Feuerspucker, der mitten in der Aufführung einen Hustenanfall bekam.
»Aleph Eins ist getroffen! Panzer brennt!«, tönte eine ungläubige Stimme im Funkkreis.
»Aleph Zwo übernimmt! Rechts vorbeischwenken und Feind bekämpfen!«
»Aleph Drei, verstanden!«
Der Lieutenant war so perplex, dass er sich nicht rühren konnte. Der erste Leman Russ ihrer Einheit, abgeschossen wie hilfloses Wild! Er konnte es nicht fassen.
»Aleph Vier, hier Aleph Zwo – haben Sie verstanden?«, riss ihn die Frage des neuen Führungspanzers aus seinen Gedanken.
»Ja«, antwortete er abwesend, bevor er sich bewusst wurde, dass er gar nicht auf dem externen Funkkreis sendete. Schnell wechselte er die Frequenz. »Aleph Vier, verstanden!«
Schwerfällig, aber dennoch unbeeindruckt vom Schicksal ihres Kommandanten, schoben sich die vorausfahrenden Panzer an dem vernichteten Fahrzeug vorbei.
Ihre Türme schwenkten bereits auf die Stelle, von der aus der Zug angeschossen worden war. »An alle Aleph Victors von Aleph Zwo – Feindpanzer auf elf Uhr! Bekämpfen!«
»Turm – elf Uhr!«, befahl der Kommandant, den Blick unverwandt auf den brennenden Panzer vor sich gerichtet. »Panzerwrack vorausnehmen und rechts vorbeifahren.«
»Turm – elf Uhr!«, wiederholte der Richtschütze. Das keuchende Sirren belasteter Servomotoren klang an, als der Panzer seinen Turm langsam in die angegebene Richtung drehte.
Der Fahrer ließ sich länger Zeit mit der Bestätigung. »Panzerwrack vorausnehmen und rechts vorbeifahren.«
Widerwillig schwang der Vanquisher herum, erschauderte wegen der Leistung, die ihm abverlangt wurde.
Für einen kurzen Moment konnte der Lieutenant einen Blick auf den abgeschossenen Führungspanzer erhaschen, an dessen Seite sie vorbeizogen.
Das Wrack des Leman Russ stand lichterloh in Flammen. Durch die Explosion in seinem Innern waren sämtliche Luken des Fahrzeugs aufgesprengt worden. Man konnte sogar noch sehen, wo der Fahrzeugkommandant versucht hatte, dem Inferno zu entkommen. Seine kohlende Leiche hing über der verbrannten Bordwand.
Grelles Dröhnen echote metallen durch den Kampfraum. gefolgt von einem Nieselregen aus Erde und grob gemahlenem Stein. Hitze presste sich durch Ritzen und schlecht gewartete Dichtungen in das Innere des Vanquishers.
Das Fahrzeug geriet ins Schwanken.
Ein auf sie abgefeuertes Geschoss hatte sie nur um wenige Zentimeter verfehlt.
Aleph Zwo hatte nicht so viel Glück. Nur fünf Sekunden, nachdem die gegnerische Granate vor Aleph Vier eingeschlagen war, erhielt der vorausfahrende Leman Russ-Kampfpanzer einen Treffer in den Turm. Wie bei Spielzeug, das in die Ecke geworfen wurde, sprang der Aufbau von seinem Drehring und wirbelte, durch eine gewaltige Detonation in die Höhe getrieben, zur Seite weg.
Das Funkgerät meldete den Verlust von Aleph Zwo.
»Aleph Drei nimmt das Gefecht auf!« Lautes Krachen dröhnte trocken in den Innenraum des Vanquishers, als das neue Führungsfahrzeug den ersten Schuss abgab.
Angestrengt blickte der Lieutenant durch die Winkelspiegel, versuchte in der von Qualm und aufgewirbeltem Staub vernebelten Luft etwas zu erkennen.
Ein weiterer Mündungsblitz erhellte den Turm von Aleph Drei. Aufgeschreckter Sand wirbelte zu den Seiten fort, als der Leman Russ ein grell leuchtendes Geschoss in die feindlichen Stellungen blies.
Eine beeindruckende Fontäne aus Erde und klein gemahlenem Gestein schnellte in die Luft.
Jetzt erst erkannte der Lieutenant, worauf der andere Panzer geschossen hatte: ein Halbkettenfahrzeug, mit den Insignien des Makels überhäuft, stand, nur dürftig getarnt, zwischen zwei hoch aufragenden Felsnadeln und nahm die imperiale Streitmacht von dort unter Beschuss.
Verdammte Rebellen!, dachte er, bevor seine Ausbildung überhandnahm.
»Richtschütze, neues Ziel!«, informierte er die Besatzung, »Elf Uhr, fünfhundert, feindlicher Transporter – Feuer frei!«
Unvermittelt stoppte der Panzer, wippte ob der plötzlichen Bremsbewegung nach.
Ein Gyroskop, also ein System zum Ausgleich der Panzerbewegungen beim Ausrichten des Rohres, besaßen die meisten imperialen Panzerfahrzeuge nicht.
Die Besatzungen mussten sich auf die leitende Hand des Imperators oder das Können ihres Richtschützen verlassen, um während der Fahrt einen treffsicheren Schuss abgeben zu können.
Und auf diese Entfernung einen Panzer aus voller Fahrt heraus zu treffen, war für Panzerjäger eine schiere Unmöglichkeit.
Befehle und Bestätigungen beherrschten den Funkkreis, während Fahrer, Richtschütze und Ladeschütze sich abstimmten. Jaulend kam der Turm herum. Das Rohr wurde gesenkt, und nur eine Sekunde später erklang die Stimme des Richtschützen. »Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!«, wiederholte die Besatzung, um den beim Schuss entstehenden Druck im Fahrzeug auszugleichen.
Der Rückschlag des Geschützes erschütterte den Panzer in seinen Grundfesten. Weißlich-grauer Korditrauch drang ins Fahrzeug, biss den Männern in Augen und Nasen.
Die Granate ging ins Leere. Von einer der Felsnadeln abgelenkt, sprang das Geschoss in die Höhe und verschwand über den Grat des Kamerion.
»Panzer marsch!«, befahl der Lieutenant eilig, nur um im nächsten Augenblick von einem Hustenanfall überwältigt zu werden.
»Lade panzerbrechend!«, meldete der Ladeschütze.
Selbst durch die Kopfhörer konnte man hören, wie die leere Geschosskartusche mit dem metallenen Hallen eines leeren Körpers auf den Boden des Innenraumes schlug.
»Feindinfanterie«, gellte es im Funkgerät. Heftiges Laserfeuer zischte im Hintergrund, das bösartige Flüstern eines blutrünstigen Dämons, der sich Krieg nannte. Dem Lieutenant ging auf, dass es sich um einen Infanteriefunkspruch handelte. »Drei Uhr – rechte Seite!«
Nein!, schoss es durch seinen Kopf. Das ist eine Falle!
Das helle, an ein Glockenspiel erinnernde Schlagen von kleinen Geschossen auf Plastonid T drang an seine Ohren.
»Herr auf dem Thron«, flüsterte die Stimme des Fahrers. »Jetzt beschießen sie uns schon mit Boltern!«
Der Panzerkommandant kam nicht dazu, eine Antwort zu geben. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit ein.
Ein neues Fahrzeug schob sich über den Kamm zu ihrer Linken. Ihm blieb das Herz stehen: ein Leman Russ!
Durch seine Stärke und seine Unverwüstlichkeit war der Kampfpanzer nicht nur für das Imperium, sondern auch für seine Feinde das ideale Kriegsgerät. Und wo immer sie ihn erbeuten konnten, setzten ihn die Feinde der Menschheit in Stand, um gegen seine früheren Besitzer in die Schlacht zu ziehen.
»Neues Ziel!«, rief der Lieutenant, vom Kordit heiser, »Elf Uhr, fünfhundert, Feindpanzer – Feuer frei!«
Wieder bremste der Vanquisher in den Schießhalt.
Durch die Winkelspiegel konnte der Panzerkommandant beobachten, wie der vom Makel behaftete Kampfpanzer Aleph Drei ins Visier nahm.
»Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!« Ein hallender Schlag lief durch Aleph Vier, als das Geschütz ein tödliches Geschoss auf den Angreifer abgab.
Eine gewaltige Fontäne spritzte in die Höhe. Wieder hatten sie den Gegner verfehlt – aber wenigstens gelangte er so auch nicht zu einem sauberen Schuss. Seine Granate schlug weit hinter dem Führungspanzer in die Bergflanke.
»Zu kurz!«, rief der Lieutenant aus. »Zwo höher!« Er meinte die Strichskala, mit der die Besatzung ihr Rohr in die Tiefe eines Schlachtfelds ausrichten konnte. »Panzer marsch!«
»Zwo höher!«, wiederholte der Richtschütze.
»Lade panzerbrechend!«
»Aleph Vier!«, tönte es im externen Funkkreis. »Vorsicht auf Ihrer Rechten! Raketenwerfer!«
Der Lieutenant riss die Augen auf und fuhr herum. Zu spät!
Ein deutlich vernehmbarer Schlag ging durch den Panzer, ein grelles Reißen, das sich bis in Mark und Bein fortpflanzte. Heiße Luft wehte dem Lieutenant in den Nacken. Langsam wandte er sich um.
Die gelblich-grüne Spitze eines Raketenprojektils grinste ihn augenzwinkernd an. Das Geschoss war in der Turmwand stecken geblieben und, dem Imperator war Dank, nicht explodiert.
Warme Feuchtigkeit ergoss sich in die dunkle Kampfhose des Lieutenants.
Im nächsten Augenblick riss es ihn herum. Er schlug mit dem Kopf gegen das Sichtgerät eines Winkelspiegels, verlor dabei seine Kopfhörer.
Der Vanquisher schrie auf, wandte sich vor Schmerzen.
»Fahrer!«, rief der Panzerkommandant. »Wo wollen Sie hin?!«
»Ich kann nichts tun, Sir!«, bekam er zur Antwort. »Die Kette läuft ab!«
Auch das noch!
»Panzer halt!«, schrie der Lieutenant, um sich über den Lärm des verwundeten Fahrzeugs hinweg verständlich zu machen. Augenblicklich stoppte der Leman Russ.
Der Lieutenant federte regelrecht hinter die Winkelspiegel, nur um erkennen zu müssen, dass sie dem Feindpanzer nun ihr Heck zuwandten. Und der Angreifer drehte seinen Turm auf sie ein.
Neben ihm tauchte ein zweiter Panzer auf, eine Chimäre mit Lasergeschütz.
»Thronverdammt!«, entwich es dem Offizier, bevor er schnell anfügte. »Richtschütze, acht Uhr, fünfhundert, Feindpanzer – Feuer frei!«
Elektronisches Sirren erklang. Ruckend schwenkte der Turm des Leman Russ in Richtung Gegner.
Schnell wechselte der Panzerkommandant zwischen den Spiegeln. Wenn sie Glück hatten, dann würden sie den Feind noch vor seinem eigenen Schuss erwischen.
Schon hörte er die Stimme des Richtschützen. »Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!«, wiederholte die Besatzung. Das Geschütz hingegen blieb stumm.
»Was ist?«, wollte der Lieutenant alarmiert wissen. »Warum schießen wir nicht?«
»Ladehemmung!«, erhielt er zur Antwort. »Kartusche löst nicht aus!«
Nein! Das konnte nicht wahr sein! »Nachladen!«, schrie der Panzerkommandant.
»Scheiße!« Das Fluchen das Ladeschützen war selbst ohne die Verstärker des Funkkreises deutlich zu vernehmen. Eilig hieb der Mann nach der Verriegelung, welche die Geschosskartusche im Rohr verankerte, schaffte es in der Aufregung allerdings nicht mehr, die ihm entgegenkommende Granate ordentlich aufzufangen. Mit dem dumpfen Geräusch eines gefüllten Metallkörpers rutschte das Geschoss aus dem Geschosslager und krachte dröhnend auf den Boden.
Für einen Moment blieb die Zeit stehen. Die Besatzung vergaß zu atmen.
Eine Panzergranate, gefüllt mit Kordit, das sie eigentlich über eine Strecke von gut drei Kilometern vorwärts treiben konnte und einem panzerbrechenden Geschosskopf, gehörte nicht zu den Dingen, die man in einem Panzer fallen lassen wollte.
Wieder war es die Stimme des Ladeschützen, die sich zuerst aus der Starre löste: »Scheiße!«
Mit einer vorsichtigen Bewegung des Fußes schob er den Blindgänger zur Seite, bevor er nach dem nächsten Geschoss im Munitionslager langte.
»Lade panzerbrechend!«, meldete er.
Schnell ließ der Lieutenant seinen Blick für eine letzte Feinabstimmung durch die Winkelspiegel gleiten. Er sah den Mündungsblitz eines Abschusses zu sich herüberwinken.
»Zu spät«, brachte er hervor.
Zwei gefühlte Unendlichkeiten vergingen, dann machte der Vanquisher einen kräftigen Satz, der den Lieutenant aus seinem Sitz hob.
Neben ihm ging der Ladeschütze zu Boden, von der Erschütterung und der Schwere der Granate in seinen Armen aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Mann schrie, als das große Geschoss auf seinen Brustkorb prallte und ihm die Rippen zertrümmerte.
Augenblicklich füllte sich der Kampfraum mit dunklem, beißendem Rauch und Hitze.
»Wir sind getroffen!«, bellte der Richtschütze entsetzt.
»Der Motor brennt!«, fügte der Fahrer an.
Schweren Herzens begriff der Lieutenant, dass sein Fahrzeug nicht zu retten war. Es gab nur noch eines, das er tun konnte. »Raus!«, rief er. »Ausbooten!«
Das metallene Dröhnen einer abprallenden Granate sprang durch in den Innenraum des Panzers, gleich einer Prise Mehl, die jemand durch eine Seitenluke in den Leman Russ blies.
Dicker, schwarzer Rauch drängte in den Kampfraum, drückte alle Luft aus dem Panzer.
Nach Sauerstoff röchelnd versuchte der Lieutenant, die Luke der Kommandantenkuppel wieder zu öffnen.
Es gelang ihm nicht. Tatsächlich war der Stahl so glühend heiß, dass das Fleisch seiner Hände daran festbackte und gegart wurde.
Er schrie vor Schmerzen, kämpfte gegen die Ohnmacht. Und dann, ganz plötzlich, gab die Verriegelung nach. Die Luke schwang auf.
Vor Schmerzen und vom giftigen Rauch betäubt, kämpfte sich der Lieutenant über die Kommandantenkuppel ins Freie. Dichte Schwaden aus Qualm begleiteten ihn dabei.
»Lass mich nicht zurück, Kameraden!« Der eingeklemmte Ladeschütze im Kampfraum heulte verzweifelt. »Helft mir! Lieutenant!«
Die Rufe verhallten ungehört.
Heftiges Waffenfeuer donnerte über den Panzer hinweg. Imperiale Soldaten stürmten unter Rufen und Schreien zu beiden Seiten des Passes auf die Anhöhen, um den Feind von dort zu vertreiben.
In Strahlen fokussierte Energieentladungen sprangen als blitzartige Lichter über die umgebenden Höhenzüge. Schemenhafte Gestalten tanzten aufeinander zu, fielen hin, standen wieder auf. Das trockene Krachen von Handgranaten hallte weit über das Plateau.
Patronen und Bolts prallten mit metallenem Geräusch an der Panzerung des Leman Russ ab. Infanteristen gingen in Deckung.
Ein nachfolgender Panzer mit einer am Bug montierten Räumschaufel dröhnte auf klirrenden Gleisketten heran, näherte sich den abgeschossenen Panzerkampfwagen. Ohne Frage sollte er die zerstörten Fahrzeuge zur Seite schieben, damit die anderen Kampffahrzeuge sie passieren konnten.
Mit letzter Kraft zog sich der Lieutenant aus dem fackelnden Wrack. Sein Körper fühlte sich an, als würde er brennen. Seine Hände waren inzwischen schwarz geworden, und seine Beine wollten ihm auch nicht mehr gehorchen.
Die Schmerzen drohten, ihn zu übermannen, und eigentlich hätte er dem quälenden Verlangen, einfach die Augen zu schließen und einzuschlafen, am liebsten stattgegeben. Aber das konnte er nicht. Noch nicht.
Gierig sog er Luft in seine Lungen, rollte sich über das Dach des Kommandoturms und ließ sich von der Schwerkraft an der Flanke des Vanquishers herabziehen.
Der Aufprall war heftig. Luft floh so explosionsartig aus seinen Lungen, dass der Lieutenant eine Ewigkeit ohne Atem zurückblieb. Schmerzen tobten vor seinen Augen, gingen in wohlige Dunkelheit über.
Unfähig sich zu erheben, blieb der Panzerkommandant liegen, schloss die Augen und ließ sich von der Hitze seines brennenden Kommandos erfassen.
Über ihm erhoben sich die Reste des Leman Russ, dieses gewaltigen Symbols uneingeschränkter imperialer Macht.
Er hatte nicht einen Feind vernichtet.
Mit einem Kampfgewicht von gut sechzig Tonnen und den Ausmaßen eines kleinen Squiggofanten gehörte das an allen Fronten des Menschreiches eingesetzte Ungetüm zu den furchteinflößendsten Anblicken, die sich einem auf dem Schlachtfeld bieten konnten – sah man einmal von den superschweren Leviathanen ab, wie etwa dem Valdor oder dem Baneblade.
Allein die aufragenden, unverwüstlich erscheinenden Rümpfe der Leman Russ, ihre vor Waffen starrende Front und die röhrenden Motoren, mit denen sich die Panzer auf ihren Gleisketten vorwärts schoben, brachten mehr als oft genug ganze Abschnitte der feindlichen Armeen zum Zusammenbruch.
Und wer im Gefecht gegen die schwer gepanzerten Ungetüme stand, wurde zumeist von ihren Waffen zerrissen oder unter ihren Ketten zermahlen.
Doch es gab Orte, an denen die Ungetüme mit der gleichen Hilflosigkeit zu kämpfen hatten, mit der Infanteristen ihnen gegenüberstanden.
Wer schon einmal den Kamerion hinaufgefahren war, konnte das bezeugen. Durch die geografischen Gegebenheit zu einem Nadelöhr verengt, nur drei Baneblade-Längen breit und in den Flanken von Erhebungen eingefasst, sah man sich auf dem Pass, der den Höhenrücken hinaufkletterte, mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, stets in einen Hinterhalt geraten zu können.
Der Kommandant des vierten Panzers der Kampfgruppe Aleph, von seinen Männern lediglich »Lieutenant« genannt, lehnte über dem Rand des Turmluks und beobachtete die lange Kolonne aus Fahrzeugen, die sich in einem dröhnenden Stakkato aus Motorenlärm und Kettenrasseln den Memal-Pass hinaufschob.
Eine beeindruckende Formation aus gut fünfzig Panzerkampfwagen des Typs Leman Russ, begleitet von Schützenpanzern des Typs Chimäre, rollte dem Feind entgegen, der sie unter dem Gipfel des Mittelgebirges erwartete.
Und sie war bitter nötig.
Die Imperiale Armee hatte bereits einige Angriffe auf das vor ihnen liegende Gebirge gestartet, war bisher jedoch durchweg an der verbissenen Verteidigung der derzeitigen ‚Besitzer‘ abgeprallt wie der Schuss einer Laserpistole an Plastonid T-Stahl.
Sogar eine Luftlandeoperation der berüchtigten Warhawks war ohne Erfolg und unter hohen Verlusten zurückgeschlagen worden.
Nun lag es an den Panzertruppen, den Feind niederzuringen. Mochte der Imperator Seine schützende Hand über sie halten.
Nach einem einleitenden Artilleriebombardement hatten sie sich auf den Weg gemacht, die elenden Rebellen zu eliminieren, die an diesem Ort ihr Unwesen trieben. Doch bisher hatte keine der eingesetzten Einheiten einen Feindkontakt gemeldet. Der Morgen war ruhig geblieben. Zu ruhig.
Nachdenklich lehnte sich der Panzerkommandant zurück und fragte sich, welche Teufelei der Feind wohl ausheckte, um die mächtigen imperialen Panzer zu bekämpfen.
Er kam nicht dazu, diesem Gedanken mehr Platz in seinen Überlegungen einzuräumen. Ein helles Summen drang an sein Ohr. Ein Geräusch, so charakteristisch und penetrant, dass man es an jedem Ort dieser Galaxis erkannt hätte. Deutlich hob sich das Herannahen eines schweren Geschosses gegen den Hintergrund der rollenden Fahrzeuge ab, überquerte die erste Gruppe Panzer zielsicher und tauchte hinter ihnen in die Tiefe. Artillerie!
Unvermittelt zerplatzte eine der hinter ihnen rollenden Chimären in einem rot-orangen Feuerball. Körper- und Fahrzeugteile wirbelten in die Luft. Eine Hitzewelle rollte über die Kolonne hinweg.
Fassungslos starrte der Lieutenant auf das Panzerwrack, das eben noch ein Schützenpanzer mit drei Mann Besatzung und zehn Soldaten gewesen war.
Der externe Funkkreis erwachte mit dem Knacken statischer Entladungen zum Leben. »An alle Aleph Victors von Aleph Eins!«, erreichte sie der erste Befehl dieser Schlacht. »Klar zum Gefecht!«
Panzerkommandanten bestätigten die Order, tauchten in ihre Fahrzeuge ab und schlossen die Einstiege ihrer Kampfräume.
Der Lieutenant tat es ihnen gleich, packte seine Luke und zog sie über sich zu. Mit einem dumpfen Geräusch rastete die Zugangssperre ein und verriegelte ordnungsgemäß. Alle Umgebungsgeräusche verstummten, wichen dem von Dröhnen erfüllten Halbdunkel des Kampfraums.
»Luken sind dicht«, hörte er die Meldung des Richtschützen.
»Verstanden.« Der Panzerführer ließ sich in seinen Sitz sinken. »Test im inneren Funkkreis«, ordnete er an. »Kommandant – in Ordnung!«
»Richtschütze – in Ordnung!«
»Ladeschütze – in Ordnung!
»Fahrer – in Ordnung!«
Aelph Vier war ein Vanquisher, ein zur Panzerjagd modifizierter Leman Russ. Statt der schweren Kampfgeschütze, Bombarden oder Sturmkanonen, wie sie von den meisten anderen Bauschemata der Leman Russ getragen wurden, besaß der Kampfwagen ein Vanquisher-Panzerabwehrgeschütz. Mit diesem konnte er feindliche Panzerfahrzeuge auf riesige Entfernungen bekämpfen – wenn auch weit weniger effektiv als der für diese Aufgabe prädestinierte, ab viel seltener anzutreffende Destroyer-Jagdpanzer.
Allerdings bedingte seine Aufgabe, dass ihm ein bestimmtes Charakteristikum des Leman Russ fehlte: Seitenkuppeln. Zwar sparte er dadurch zwei Mann Besatzung, konnte im Gegenzug allerdings auch nur schwerlich gegen Infanterie im Nahkampf bestehen.
Der Lieutenant nickte. »Verstanden. Besatzung, klar machen zum Gefecht!«
Er lehnte sich vor und sah durch die Winkelspiegel, welche in diesem Moment seine einzige Verbindung zur Außenwelt darstellten. Acht starre, einem Periskop ähnliche Ausbuchtungen auf dem Turm seines Panzers, durch die er sein Umfeld beobachten konnte.
Ein weiteres Manko dieses Fabrikats: außer dem Turmschwenkwerk gab es keinerlei elektrische Sicht- und Kommandohilfen.
Aber in Anbetracht der unterschiedlichen Fahrzeugbaumuster im Imperium – wen hätte es da gewundert, dass sein Kampffahrzeug mit derart einfachen Ausrüstungsgegenständen in den Kampf fuhr, während viele andere manuell oder elektrisch zu bedienende Sichtperiskope verwendeten?
Man musste sich eben arrangieren.
Vor ihnen bliesen die angreifenden Panzerkampfwagen dunkle Abgaswolken in den glasklaren Himmel von Tavion, verpesteten die frische Luft mit dem Gestank ihrer Motoren.
»Wer hat ein Ticket in die Hölle bestellt?«, brummte die schnoddrige Stimme des Fahrers.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Halt’s Maul«, knirschte der Richtschütze zurück. »Konzentrier dich auf den Weg.«
»An alle Aleph Victors von Aleph Eins! Gefechtsgeschwindigkeit!«, ordnete der Führungspanzer an.
Der Kommandant bestätigte die Nachricht. »Gefechtsgeschwindigkeit«, gab er weiter.
»Verstanden!«
Der Motor des Leman Russ heulte auf, als das Fahrzeug beschleunigte. Die vorausfahrenden Panzer warfen Staub in die Luft, verteilten ihn gleich einer dünnen Decke über die nachfolgenden Einheiten.
»An alle Aleph Victors von Aleph Eins!«, tönte die Stimme des Zugführers. »Neuer Kontakt auf elf Uhr! Feindpan-«
Die linke Seite des Kommandopanzers flammte auf wie ein Feuerspucker, der mitten in der Aufführung einen Hustenanfall bekam.
»Aleph Eins ist getroffen! Panzer brennt!«, tönte eine ungläubige Stimme im Funkkreis.
»Aleph Zwo übernimmt! Rechts vorbeischwenken und Feind bekämpfen!«
»Aleph Drei, verstanden!«
Der Lieutenant war so perplex, dass er sich nicht rühren konnte. Der erste Leman Russ ihrer Einheit, abgeschossen wie hilfloses Wild! Er konnte es nicht fassen.
»Aleph Vier, hier Aleph Zwo – haben Sie verstanden?«, riss ihn die Frage des neuen Führungspanzers aus seinen Gedanken.
»Ja«, antwortete er abwesend, bevor er sich bewusst wurde, dass er gar nicht auf dem externen Funkkreis sendete. Schnell wechselte er die Frequenz. »Aleph Vier, verstanden!«
Schwerfällig, aber dennoch unbeeindruckt vom Schicksal ihres Kommandanten, schoben sich die vorausfahrenden Panzer an dem vernichteten Fahrzeug vorbei.
Ihre Türme schwenkten bereits auf die Stelle, von der aus der Zug angeschossen worden war. »An alle Aleph Victors von Aleph Zwo – Feindpanzer auf elf Uhr! Bekämpfen!«
»Turm – elf Uhr!«, befahl der Kommandant, den Blick unverwandt auf den brennenden Panzer vor sich gerichtet. »Panzerwrack vorausnehmen und rechts vorbeifahren.«
»Turm – elf Uhr!«, wiederholte der Richtschütze. Das keuchende Sirren belasteter Servomotoren klang an, als der Panzer seinen Turm langsam in die angegebene Richtung drehte.
Der Fahrer ließ sich länger Zeit mit der Bestätigung. »Panzerwrack vorausnehmen und rechts vorbeifahren.«
Widerwillig schwang der Vanquisher herum, erschauderte wegen der Leistung, die ihm abverlangt wurde.
Für einen kurzen Moment konnte der Lieutenant einen Blick auf den abgeschossenen Führungspanzer erhaschen, an dessen Seite sie vorbeizogen.
Das Wrack des Leman Russ stand lichterloh in Flammen. Durch die Explosion in seinem Innern waren sämtliche Luken des Fahrzeugs aufgesprengt worden. Man konnte sogar noch sehen, wo der Fahrzeugkommandant versucht hatte, dem Inferno zu entkommen. Seine kohlende Leiche hing über der verbrannten Bordwand.
Grelles Dröhnen echote metallen durch den Kampfraum. gefolgt von einem Nieselregen aus Erde und grob gemahlenem Stein. Hitze presste sich durch Ritzen und schlecht gewartete Dichtungen in das Innere des Vanquishers.
Das Fahrzeug geriet ins Schwanken.
Ein auf sie abgefeuertes Geschoss hatte sie nur um wenige Zentimeter verfehlt.
Aleph Zwo hatte nicht so viel Glück. Nur fünf Sekunden, nachdem die gegnerische Granate vor Aleph Vier eingeschlagen war, erhielt der vorausfahrende Leman Russ-Kampfpanzer einen Treffer in den Turm. Wie bei Spielzeug, das in die Ecke geworfen wurde, sprang der Aufbau von seinem Drehring und wirbelte, durch eine gewaltige Detonation in die Höhe getrieben, zur Seite weg.
Das Funkgerät meldete den Verlust von Aleph Zwo.
»Aleph Drei nimmt das Gefecht auf!« Lautes Krachen dröhnte trocken in den Innenraum des Vanquishers, als das neue Führungsfahrzeug den ersten Schuss abgab.
Angestrengt blickte der Lieutenant durch die Winkelspiegel, versuchte in der von Qualm und aufgewirbeltem Staub vernebelten Luft etwas zu erkennen.
Ein weiterer Mündungsblitz erhellte den Turm von Aleph Drei. Aufgeschreckter Sand wirbelte zu den Seiten fort, als der Leman Russ ein grell leuchtendes Geschoss in die feindlichen Stellungen blies.
Eine beeindruckende Fontäne aus Erde und klein gemahlenem Gestein schnellte in die Luft.
Jetzt erst erkannte der Lieutenant, worauf der andere Panzer geschossen hatte: ein Halbkettenfahrzeug, mit den Insignien des Makels überhäuft, stand, nur dürftig getarnt, zwischen zwei hoch aufragenden Felsnadeln und nahm die imperiale Streitmacht von dort unter Beschuss.
Verdammte Rebellen!, dachte er, bevor seine Ausbildung überhandnahm.
»Richtschütze, neues Ziel!«, informierte er die Besatzung, »Elf Uhr, fünfhundert, feindlicher Transporter – Feuer frei!«
Unvermittelt stoppte der Panzer, wippte ob der plötzlichen Bremsbewegung nach.
Ein Gyroskop, also ein System zum Ausgleich der Panzerbewegungen beim Ausrichten des Rohres, besaßen die meisten imperialen Panzerfahrzeuge nicht.
Die Besatzungen mussten sich auf die leitende Hand des Imperators oder das Können ihres Richtschützen verlassen, um während der Fahrt einen treffsicheren Schuss abgeben zu können.
Und auf diese Entfernung einen Panzer aus voller Fahrt heraus zu treffen, war für Panzerjäger eine schiere Unmöglichkeit.
Befehle und Bestätigungen beherrschten den Funkkreis, während Fahrer, Richtschütze und Ladeschütze sich abstimmten. Jaulend kam der Turm herum. Das Rohr wurde gesenkt, und nur eine Sekunde später erklang die Stimme des Richtschützen. »Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!«, wiederholte die Besatzung, um den beim Schuss entstehenden Druck im Fahrzeug auszugleichen.
Der Rückschlag des Geschützes erschütterte den Panzer in seinen Grundfesten. Weißlich-grauer Korditrauch drang ins Fahrzeug, biss den Männern in Augen und Nasen.
Die Granate ging ins Leere. Von einer der Felsnadeln abgelenkt, sprang das Geschoss in die Höhe und verschwand über den Grat des Kamerion.
»Panzer marsch!«, befahl der Lieutenant eilig, nur um im nächsten Augenblick von einem Hustenanfall überwältigt zu werden.
»Lade panzerbrechend!«, meldete der Ladeschütze.
Selbst durch die Kopfhörer konnte man hören, wie die leere Geschosskartusche mit dem metallenen Hallen eines leeren Körpers auf den Boden des Innenraumes schlug.
»Feindinfanterie«, gellte es im Funkgerät. Heftiges Laserfeuer zischte im Hintergrund, das bösartige Flüstern eines blutrünstigen Dämons, der sich Krieg nannte. Dem Lieutenant ging auf, dass es sich um einen Infanteriefunkspruch handelte. »Drei Uhr – rechte Seite!«
Nein!, schoss es durch seinen Kopf. Das ist eine Falle!
Das helle, an ein Glockenspiel erinnernde Schlagen von kleinen Geschossen auf Plastonid T drang an seine Ohren.
»Herr auf dem Thron«, flüsterte die Stimme des Fahrers. »Jetzt beschießen sie uns schon mit Boltern!«
Der Panzerkommandant kam nicht dazu, eine Antwort zu geben. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit ein.
Ein neues Fahrzeug schob sich über den Kamm zu ihrer Linken. Ihm blieb das Herz stehen: ein Leman Russ!
Durch seine Stärke und seine Unverwüstlichkeit war der Kampfpanzer nicht nur für das Imperium, sondern auch für seine Feinde das ideale Kriegsgerät. Und wo immer sie ihn erbeuten konnten, setzten ihn die Feinde der Menschheit in Stand, um gegen seine früheren Besitzer in die Schlacht zu ziehen.
»Neues Ziel!«, rief der Lieutenant, vom Kordit heiser, »Elf Uhr, fünfhundert, Feindpanzer – Feuer frei!«
Wieder bremste der Vanquisher in den Schießhalt.
Durch die Winkelspiegel konnte der Panzerkommandant beobachten, wie der vom Makel behaftete Kampfpanzer Aleph Drei ins Visier nahm.
»Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!« Ein hallender Schlag lief durch Aleph Vier, als das Geschütz ein tödliches Geschoss auf den Angreifer abgab.
Eine gewaltige Fontäne spritzte in die Höhe. Wieder hatten sie den Gegner verfehlt – aber wenigstens gelangte er so auch nicht zu einem sauberen Schuss. Seine Granate schlug weit hinter dem Führungspanzer in die Bergflanke.
»Zu kurz!«, rief der Lieutenant aus. »Zwo höher!« Er meinte die Strichskala, mit der die Besatzung ihr Rohr in die Tiefe eines Schlachtfelds ausrichten konnte. »Panzer marsch!«
»Zwo höher!«, wiederholte der Richtschütze.
»Lade panzerbrechend!«
»Aleph Vier!«, tönte es im externen Funkkreis. »Vorsicht auf Ihrer Rechten! Raketenwerfer!«
Der Lieutenant riss die Augen auf und fuhr herum. Zu spät!
Ein deutlich vernehmbarer Schlag ging durch den Panzer, ein grelles Reißen, das sich bis in Mark und Bein fortpflanzte. Heiße Luft wehte dem Lieutenant in den Nacken. Langsam wandte er sich um.
Die gelblich-grüne Spitze eines Raketenprojektils grinste ihn augenzwinkernd an. Das Geschoss war in der Turmwand stecken geblieben und, dem Imperator war Dank, nicht explodiert.
Warme Feuchtigkeit ergoss sich in die dunkle Kampfhose des Lieutenants.
Im nächsten Augenblick riss es ihn herum. Er schlug mit dem Kopf gegen das Sichtgerät eines Winkelspiegels, verlor dabei seine Kopfhörer.
Der Vanquisher schrie auf, wandte sich vor Schmerzen.
»Fahrer!«, rief der Panzerkommandant. »Wo wollen Sie hin?!«
»Ich kann nichts tun, Sir!«, bekam er zur Antwort. »Die Kette läuft ab!«
Auch das noch!
»Panzer halt!«, schrie der Lieutenant, um sich über den Lärm des verwundeten Fahrzeugs hinweg verständlich zu machen. Augenblicklich stoppte der Leman Russ.
Der Lieutenant federte regelrecht hinter die Winkelspiegel, nur um erkennen zu müssen, dass sie dem Feindpanzer nun ihr Heck zuwandten. Und der Angreifer drehte seinen Turm auf sie ein.
Neben ihm tauchte ein zweiter Panzer auf, eine Chimäre mit Lasergeschütz.
»Thronverdammt!«, entwich es dem Offizier, bevor er schnell anfügte. »Richtschütze, acht Uhr, fünfhundert, Feindpanzer – Feuer frei!«
Elektronisches Sirren erklang. Ruckend schwenkte der Turm des Leman Russ in Richtung Gegner.
Schnell wechselte der Panzerkommandant zwischen den Spiegeln. Wenn sie Glück hatten, dann würden sie den Feind noch vor seinem eigenen Schuss erwischen.
Schon hörte er die Stimme des Richtschützen. »Zwo – eins – Feuer!«
»Feuer!«, wiederholte die Besatzung. Das Geschütz hingegen blieb stumm.
»Was ist?«, wollte der Lieutenant alarmiert wissen. »Warum schießen wir nicht?«
»Ladehemmung!«, erhielt er zur Antwort. »Kartusche löst nicht aus!«
Nein! Das konnte nicht wahr sein! »Nachladen!«, schrie der Panzerkommandant.
»Scheiße!« Das Fluchen das Ladeschützen war selbst ohne die Verstärker des Funkkreises deutlich zu vernehmen. Eilig hieb der Mann nach der Verriegelung, welche die Geschosskartusche im Rohr verankerte, schaffte es in der Aufregung allerdings nicht mehr, die ihm entgegenkommende Granate ordentlich aufzufangen. Mit dem dumpfen Geräusch eines gefüllten Metallkörpers rutschte das Geschoss aus dem Geschosslager und krachte dröhnend auf den Boden.
Für einen Moment blieb die Zeit stehen. Die Besatzung vergaß zu atmen.
Eine Panzergranate, gefüllt mit Kordit, das sie eigentlich über eine Strecke von gut drei Kilometern vorwärts treiben konnte und einem panzerbrechenden Geschosskopf, gehörte nicht zu den Dingen, die man in einem Panzer fallen lassen wollte.
Wieder war es die Stimme des Ladeschützen, die sich zuerst aus der Starre löste: »Scheiße!«
Mit einer vorsichtigen Bewegung des Fußes schob er den Blindgänger zur Seite, bevor er nach dem nächsten Geschoss im Munitionslager langte.
»Lade panzerbrechend!«, meldete er.
Schnell ließ der Lieutenant seinen Blick für eine letzte Feinabstimmung durch die Winkelspiegel gleiten. Er sah den Mündungsblitz eines Abschusses zu sich herüberwinken.
»Zu spät«, brachte er hervor.
Zwei gefühlte Unendlichkeiten vergingen, dann machte der Vanquisher einen kräftigen Satz, der den Lieutenant aus seinem Sitz hob.
Neben ihm ging der Ladeschütze zu Boden, von der Erschütterung und der Schwere der Granate in seinen Armen aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Mann schrie, als das große Geschoss auf seinen Brustkorb prallte und ihm die Rippen zertrümmerte.
Augenblicklich füllte sich der Kampfraum mit dunklem, beißendem Rauch und Hitze.
»Wir sind getroffen!«, bellte der Richtschütze entsetzt.
»Der Motor brennt!«, fügte der Fahrer an.
Schweren Herzens begriff der Lieutenant, dass sein Fahrzeug nicht zu retten war. Es gab nur noch eines, das er tun konnte. »Raus!«, rief er. »Ausbooten!«
Das metallene Dröhnen einer abprallenden Granate sprang durch in den Innenraum des Panzers, gleich einer Prise Mehl, die jemand durch eine Seitenluke in den Leman Russ blies.
Dicker, schwarzer Rauch drängte in den Kampfraum, drückte alle Luft aus dem Panzer.
Nach Sauerstoff röchelnd versuchte der Lieutenant, die Luke der Kommandantenkuppel wieder zu öffnen.
Es gelang ihm nicht. Tatsächlich war der Stahl so glühend heiß, dass das Fleisch seiner Hände daran festbackte und gegart wurde.
Er schrie vor Schmerzen, kämpfte gegen die Ohnmacht. Und dann, ganz plötzlich, gab die Verriegelung nach. Die Luke schwang auf.
Vor Schmerzen und vom giftigen Rauch betäubt, kämpfte sich der Lieutenant über die Kommandantenkuppel ins Freie. Dichte Schwaden aus Qualm begleiteten ihn dabei.
»Lass mich nicht zurück, Kameraden!« Der eingeklemmte Ladeschütze im Kampfraum heulte verzweifelt. »Helft mir! Lieutenant!«
Die Rufe verhallten ungehört.
Heftiges Waffenfeuer donnerte über den Panzer hinweg. Imperiale Soldaten stürmten unter Rufen und Schreien zu beiden Seiten des Passes auf die Anhöhen, um den Feind von dort zu vertreiben.
In Strahlen fokussierte Energieentladungen sprangen als blitzartige Lichter über die umgebenden Höhenzüge. Schemenhafte Gestalten tanzten aufeinander zu, fielen hin, standen wieder auf. Das trockene Krachen von Handgranaten hallte weit über das Plateau.
Patronen und Bolts prallten mit metallenem Geräusch an der Panzerung des Leman Russ ab. Infanteristen gingen in Deckung.
Ein nachfolgender Panzer mit einer am Bug montierten Räumschaufel dröhnte auf klirrenden Gleisketten heran, näherte sich den abgeschossenen Panzerkampfwagen. Ohne Frage sollte er die zerstörten Fahrzeuge zur Seite schieben, damit die anderen Kampffahrzeuge sie passieren konnten.
Mit letzter Kraft zog sich der Lieutenant aus dem fackelnden Wrack. Sein Körper fühlte sich an, als würde er brennen. Seine Hände waren inzwischen schwarz geworden, und seine Beine wollten ihm auch nicht mehr gehorchen.
Die Schmerzen drohten, ihn zu übermannen, und eigentlich hätte er dem quälenden Verlangen, einfach die Augen zu schließen und einzuschlafen, am liebsten stattgegeben. Aber das konnte er nicht. Noch nicht.
Gierig sog er Luft in seine Lungen, rollte sich über das Dach des Kommandoturms und ließ sich von der Schwerkraft an der Flanke des Vanquishers herabziehen.
Der Aufprall war heftig. Luft floh so explosionsartig aus seinen Lungen, dass der Lieutenant eine Ewigkeit ohne Atem zurückblieb. Schmerzen tobten vor seinen Augen, gingen in wohlige Dunkelheit über.
Unfähig sich zu erheben, blieb der Panzerkommandant liegen, schloss die Augen und ließ sich von der Hitze seines brennenden Kommandos erfassen.
Über ihm erhoben sich die Reste des Leman Russ, dieses gewaltigen Symbols uneingeschränkter imperialer Macht.
Er hatte nicht einen Feind vernichtet.
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