Der Ruck, der durch das Landeshuttle ging, als es auf der Plattform aufsetzte, war zwar nicht heftig, aber doch weitaus mehr, als viele Passagiere des zivilen Transporters gewöhnt waren. Man hatte sich bewusst gegen eine militärische Maschine entschieden, mit der der Flug noch um einiges unsanfter ausgefallen wäre, aber eines der fortschrittlichen Antigravitationsflugschiffe, die der Großteil der Delegation von ihrer Heimatwelt Rai Deva gewöhnt war, war ihr Fluggerät auch nicht. Am ungehaltensten von allen Insassen war mit Abstand die Frau des Obersten Direktors von Rai Deva, die sich dermaßen an ihren Gemahl klammerte, dass es schon beinahe dem Protokoll nicht angemessen erschien. Der Direktor selbst, der in seiner Uniform kerzengerade auf seinem Platz saß, ertrug die Turbulenzen des Fluges mit stoischer Ruhe, denn es hätte alles andere als gut ausgesehen, würde er sich vor den Offizieren und Beamten eine Blöße geben. Nur unmerklich wandte er seinen Kopf zu seiner ein Jahrzehnt jünger wirkenden Frau und flüsterte ihr etwas zu. Bestimmt etwas wie, dass der Flug ja jetzt vorbei sei. Inmitten all der imperialen Funktionsträger ging allerdings eine Gestalt fast unter. Zwischen der Frau des Direktors und dem stellvertretenden Kommandanten der Leibwache saß ruhig, aber wegen des Fluges nichtsdestotrotz ein wenig bleich, ein Junge von gut vierzehn Jahren. Der Sohn des Direktors. Er trug eine Uniform wie sein Vater und die anderen Männer von Rai Deva, doch ohne Rangzeichen an den Oberarmen. Seinem Vater folgend, saß er aufrecht da und blickte an die metallene Decke.
Ein letztes Mal seufzte die Hydraulik, mit einem Zischen vollzog sich die atmosphärische Angleichung, dann begann die Heckluke, sich in gebührender Langsamkeit zu öffnen, und helles Sonnenlicht strömte in den abgedunkelten Innenraum des Landeshuttles.
Als erstes erhob sich die Leibwache des Direktors, die sich sofort vor dem noch nicht ganz geöffneten Ausgang positionierte. Direkt dahinter stelle sich der Direktor selbst, der nochmal den Sitz seiner Uniform überprüfte und auch seine Frau trat an seine Rechte, dezent einen Blick in ihren Handspiegel riskierend. Beamte und Offiziere nahmen ihre Position gemäß dem Protokoll ein, die Luke war fast geöffnet. Der Sohn des Direktors, dem eigentlich ein Platz zur Linken seines Vaters bestimmt war, stellte sich allerdings auf einen der hinteren Plätze. Die Anwesenden nahmen diesen Protokollbruch mit einem Blinzeln zur Kenntnis und rückten alle eine Position auf, sodass es nun der Wirtschaftsdirektor war, der zur Linken des Direktors stand. Das war wahrscheinlich auch besser so, war doch der Grund des Besuchs dieser Delegation schlicht die Überprüfung, ob denn nicht noch weiterer Tribut aus dem Planeten gezogen werden konnte. Als die Luke den Boden berührte und eine von außen nicht sichtbare Lampe über dem Ausgang blau aufleuchtete, schritt die Leibgarde voran aus dem Transporter, sich schnell in Formation auf dem winzigen Landeplatz verteilend. Die Delegation folgte in getragenerem Tempo. Dem Protokoll folgend trat der planetare Verweser an den Direktor heran und grüßte ihm mit Aquila und Verbeugung. Der Reihe nach küsste er der Frau des Direktors den Handrücken, nickte dem Kommandanten der Leibwachen zu und reichte dem Wirtschaftsdirektor die Hand. Eigentlich hätte er jetzt diese Hand schütteln sollen, dachte sich Gaius, der gelangweilt dreinblickende Sohn des Direktors von Rai Deva, während er seinen Blick über die, sie in Empfang nehmende Gesellschaft schweifen ließ. Beamte in schlichten Roben, Adelige in peinlichen grünen und rosanen Aufmachungen, Soldaten mit polierter Armaplastpanzerung und mit verschlissenen Lasergewehren eines Schemas, welches er noch nie gesehen hatte.
Er musste kämpfen, ein Gähnen zu unterdrücken. Eine grausig langweilige Produktionswelt, die nichts außer Rohstoffen lieferte. Ohne Mittelschicht, nennenswerte Großstädte oder auch nur einer Möglichkeit, sich zu amüsieren. Und er musste hier ganze vier Tage zubringen. Wie oft hatte er seinen Vater gebeten, an Bord der Profitable Aussicht bleiben zu dürfen. Dort konnte er wenigstens seine Zeit mit Holospielen oder auf dem Schießstand totschlagen, bis er in knapp fünf Standardmonaten wieder zuhause sein würde. Die beiden nun vermischten Delegationen setzten sich in Bewegung und Gaius beobachtete, wie der Verweser vor seinem Vater katzbuckelte. Die Menschengruppe bewegte sich auf eine Treppe zu, die sie über einen schäbigen Platz in den Palast führen würde. Palast war ein höchst euphemistischer Ausdruck für die halbverfallene, spätfeudale Burg, die die Planetenherren bei der Wiederentdeckung durch das Imperium vor sieben Jahrhunderten zum Regierungssitz bestimmt hatten. Dieser Planet war ein weiteres Beispiel dafür, warum Gaius es hasste, aus den zivilisierteren Sektoren der Galaxis herauszufliegen.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte ein Leibwächter, der neben dem Jungen stehen geblieben war. Da er Helm und Kampfbrille trug, war sein Gesicht nicht zu erkennen.
„Weiß nicht.“, antwortete dieser, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Der Palast, so er denn diesen Namen verdient, sieht aus, als könne man darin jeden Moment an Langeweile krepieren.“
„Als Sohn des Direktors musst du ebenfalls auf den Planeten herunter. Etwas anderes wäre eine protokollarische Unhöflichkeit.“
Der Junge winkte ab.
„Klar, mein Vater hat mich dessen schon belehrt. Das heißt aber nicht, dass wir bis zum Bankett heute Abend unser Dasein in dieser überdimensionierten Bruchbude zu fristen haben.“
Er begann schelmisch zu grinsen.
„Arminius, was trägt denn die arbeitenden Schicht hier für eine Kluft?“
„Willst du dich in der Stadt umsehen?“, fragte sein Leibwächter.
„Klar. Mutter sieht das zwar nicht gerne, aber Vater hat dich mir nicht umsonst an die Seite gestellt. Du treibst Kleidung auf und ich gehe einige von der PVS aushorchen, was man hier so treiben könnte.“
„Zwei Stunden! Zwei Stunden sind wir jetzt hier und haben nichts Interessantes entdeckt.“, beschwerte sich Gaius, nachdem er einen Schluck des alkoholfreien Bieres probiert hatte.
„Du solltest vielleicht deine Erwartungen etwas zurücknehmen. Wir sind hier schließlich nicht auf Polis Utopia.“, versuchte sein Leibwächter zu beschwichtigen.
Gaius erinnerte sich. Polis Utopia war ein sauberer und weltoffener Planet am östlichen Rand des von seinem Vater beherrschten Raumes und ein wahres Paradies für Gelangweilte. Besonders da der Planet nur oberflächlich sauber war.
„Ist mir egal. Wenn wir hier nicht bald mal was Interessantes entdecken, beschaffen wir ein Fahrzeug und Gewehre und fahren in den Wald, der auf diesem Wanderstern in Unmengen vorhanden ist.“
„Wie sind denn die örtlichen Gesetze zu Jagd und Waffengebrauch?“, fragte Arminius.
„Ist doch schnuppe. Wenn einer fragt, geben wir unsere Identitäten preis.“ Der bleiche Junge erhob sich und ließ seinen Blick durch die Schankstube schweifen. Viel Holz und schlechte Glühlampen unterstrichen die Rückständigkeit des Planeten, aber die Jagdtrophäen an einer der Längswände des Schankraumes deuteten auf annehmbare Jagdvorschriften hin. Doch gerade, als er sich setzen und Arminius sagen wollte, dass sie die Idee mit dem Jagdausflug umsetzen sollten, öffnete sich die Tür zur Schenke und Neuzugang trat herein, der angenehmen Zeitvertreib implizierte. Der große bärtige Kerl, der mit einem Fass auf der Schulter hereintrat und sofort auf den Wirt zusteuerte, interessierte Gaius nicht im Geringsten. Doch dessen Anhängsel, ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, also in seiner Altersklasse, das einen Korb mit Brot und undefinierbaren Zeug hinter dem Mann hertrug, interessierte ihn umso mehr. Er zwinkerte Arminius zu, sodass dieser sich umwandte und nun seinerseits den Grund für Gaius Aufmerksamkeit in Augenschein nahm.
„Falls der Hüne mich anspricht, komm und sag, du seist mein Onkel.“
Ohne auf die Antwort seines Bewachers zu warten, der arme Mann hatte sowieso keine Wahl, als den Anweisungen seines Schützlings zu folgen, trottete Gaius in Richtung Tresen. Er brauchte nur noch einen lokal klingenden Namen.
„Hallo, mein Name ist Faust.“, sagte er, als er sie erreicht hatte. „Kann ich dir mit dem Korb helfen?“ Das Mädchen blickte ihn zunächst aus ihren dunkelblauen Augen verwirrt an, doch dann lächelte sie und drückte ihm den Korb in die Hand.
„Ich heiße Gretchen. Danke für die Hilfe. Der Korb soll dort hinten ins Lager.“ Sie deutete auf eine Tür. Gaius nickte und schleppte den überraschend schweren Korb am Tresen vorbei, die Blicke des Wirts und des Bärtigen auf ihm gerichtet, und platzierte seine Last in einem Regal. Auf dem Rückweg musterte Gretchen ihn von Kopf bis Fuß.
„Du bist nicht von hier, oder?“, fragte sie.
„Sicher. Woran hast du es gemerkt?“
„Die Männer, erst recht die Jungen hier, würden einem Mädchen nie helfen. Die Erwachsenen sind zu faul und die Jungen zu schüchtern.“
„Sieht ganz so aus, als wäre Konkurrenz praktisch nicht vorhanden.“, erwiderte er mit einem Lächeln.
„Wer ist der Junge?“, fragte plötzlich eine donnernde Stimme hinter ihm. Der Riese war zu ihnen getreten, allerdings sah er nicht verärgert aus. Freundlich wirkte er jedoch auch nicht, das konnte er sicher nicht mal, dachte sich der Direktorensohn schelmisch.
„Das ist Faust, er ist nicht von hier, wie du sicher sofort erkannt hast, Vater.“
„Allerdings.“ Dieser Typ, der wirkte, als würde er zum Vergnügen mit Bären ringen, war also ihr Vater.
„Gibt es ein Problem?“ Arminius war hinzugetreten.
„Sie sind?“, fragte Gretchens Vater.
„Herbert Fuchs, ich bin Fausts Onkel und habe ihn während meiner Geschäftsreise mitgenommen.“
„Wilhelm Bauer.“, kam die Antwort und sogleich streckte er seine Hand zum Gruß aus. „Mir gehört der größte Bauernhof der Stadt.“ Dass dieses Gesicht lächeln konnte. „Sie sagten Geschäftsreise, sind Sie Krämer?“
Arminius wollte zu einer Antwort ansetzen, wobei er zu Gaius blickte, der zufrieden grinste, doch er kam nicht dazu.
„Bevor sich hier wieder ein nicht enden wollendes Männergespräch entspinnt, erlaubst du, Vater, dass wir verschwinden?“, fragte Gretchen.
„Sicher, geht nur.“, entgegnete Wilhelm Bauer und war schon mit seiner Aufmerksamkeit ganz wo anders, denn er rief den Wirt zu sich und stellte seinen neuen Bekannten vor. Wegen des Nachnamens musste er Arminius allerdings noch einen Streich spielen. Einen deutlicheren Seitenhieb hätte sich der Leibwächter kaum erlauben können.
Die beiden traten aus der Schankstube hinaus. Das Wetter war mittlerweile diesig, die Sonne hinter einer homogenen Wolkendecke verschwunden. Auf den breiten Straßen der äußeren Stadtbezirke war um diese Uhrzeit, kurz nach Mittag, wenig Verkehr. Die Menschen waren entweder zu Hause, bei der Arbeit oder, wer momentan keine Arbeit hatte, in einer der zahlreichen verrauchten Tavernen. Brummend und wankend torkelte eine Droschke an den beiden Jugendlichen vorbei, Gaius wäre jede Wette eingegangen, dass dieses Pfuschwerk an Technik sicherlich keinem STK entsprungen sein konnte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite trotteten zwei Tagelöhner der nächsten Kneipe entgegen, und das zur Mittagszeit!
„Und? Was kann man hier so sehen? fragte Gaius.
„Ich dachte, du interessierst dich für mich und nicht die hiesigen Sehenswürdigkeiten. Nicht, dass wir hier viel hätten.“, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. Ob sie ahnte, dass er gar nicht Faust hieß? Doch ob sie einen Verdacht hatte oder nicht, sie fasste ihn an der Hand und zog ihn die Straße entlang. Schnell sorgte er dafür, dass es zumindest optisch so wirkte, als würde er sie führen, seine Eitelkeit ließ er sich auch nicht von diesem Mädchen nehmen, und folgte ihr weiter durch breite Hauptstraßen und dann mehr und mehr durch schmalere Nebenstraßen immer weiter vom Stadtzentrum mit dem hässlichen Verwaltungssitz weg. Die Gebäude begannen immer kleiner zu werden, schließlich waren sie nicht mehr denn bessere Hütten, und die Straßen veränderten sich von gepflasterten Wegen zu staubigem Boden. Die Bewohner sahen zwar immer noch recht sauber und gesund aus, aber der Direktorensohn war sich sicher, durch ein Wohnviertel von Tagelöhnern und deren Familien zu gehen. Nach einigem Weg passierten sie die letzte Hütte und hinter ihr erstreckte sich eine grüne, recht verwilderte Wiese gut einen halben Kilometer weit ins Land, ehe die ersten Baumgrüppchen den Wald ankündigten. Gretchen zog ihn völlig ungeniert weiter, ließ ihm kaum Zeit, die malerische Landschaft zu betrachten, und nötigte ihn sogar einen Hügel hinauf. Auf der Kuppe erst ließ sie von ihm und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den gegenüberliegenden See. Nur ein kleiner Teil des Seerandes tangierte die Lichtung. Der Großteil des Ufers war von strammen und dunklen Bäumen eingenommen, die ihre Äste weit übers Wasser streckten und Schatten auf der klaren Wasseroberfläche tanzen ließen.
„Komm, da unten kannst du mir gerne sagen, was du dir in der Schenke gedacht hast.“, sprach sie und lief auch schon die Erhebung wieder hinab. Gaius folgte ihr nicht sofort, sondern blickte ihr nach, wie ihre hellbraunen Haare im Wind wehten, wie sie leicht und geschickt den unwegsamen Untergrund überquerte, ihr hellgrünes Kleid. Nun gut, dachte er sich. Besser gekleidete Mädchen hatte er schon viele gesehen, aber wenigstens sollte es bei ihrer schlichten Garderobe keine Schwierigkeiten mit dem Ausziehen geben. Überheblich grinsend, sich seiner Eroberung schon sicher wähnend, lief er ihr nach.
Stunden vergingen in denen Gaius dem Mädchen ein Leben vorlog, das er nie geführt hatte und Geschichten, die ihm tatsächlich passiert waren, so modifizierte, dass sie ihm in seiner Rolle passiert sein konnten. Die Mädchengeschichten ließ er natürlich aus, ebenso wie die Schießerei, in die er und sein Leibwächter auf einer Makropolwelt gelangt waren. Seitdem erlaubte ihm sein Vater auch, der den Anlass für die Auseinandersetzung glücklicherweise nicht wissen wollte, eine Laserpistole zu tragen. Bei dem Gedanken an seine Waffe erinnerte er sich, dass er sie im Moment bei sich hatte und so passte er einen günstigen Moment ab, um sie von Gretchen unbemerkt hinter einer dicken Wurzel verschwinden zu lassen. Da seine falschen Lebensumstände sowieso egal waren, fragte er sie stattdessen aus. Nicht, dass ihre Lebensgeschichte ihn sonderlich interessiert hätte, aber er spürte, dass er dieses Mädchen sowieso nicht so leicht herumkriegen konnte. Und so hörte er zu, von dem Leben auf einem Bauernhof, dem frühen Tod ihrer Mutter, der Arbeitsmoral ihres Vaters, dass sie ein Einzelkind war. Zeitweise fragte sich Gaius, ob er es wirklich mit ihr wagen sollte, schließlich war sie keine dumme Schlampe aus einer unteren Makropolschicht. Mit Schrecken stellte er fest, dass er sich für sie zu interessieren begann. Dabei wollte er eigentlich nur ihr schönes Gesicht berühren und sie ihrer weniger schönen Kleider entledigen. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, denn zu viel hatte er bereits über sie gehört, die er ursprünglich nach dem heutigen Tag vergessen wollte.
Er wartete, bis sie wieder eine Pause einlegte. Er rückte näher an sie heran, womit er sofort ihre Aufmerksamkeit erregte. Geschickt, aber nicht zu schnell legte er einen Arm um sie und führte sein Gesicht ganz nahe an ihres. In ihren Augen tanzten Schrecken und Faszination. Sie leistete keinen Widerstand und so ging er einen Schritt weiter und küsste sie. Sie erwiderte den Kuss, obwohl es mit Bestimmtheit ihr erster war, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie schloss die Augen und ließ sich in Gaius Arm zurücksinken. Er wähnte sich erneut am Ziel, legte seine Hand auf ihre Schulter, um sie unmerklich an den Verschluss ihres Kleides auf ihrem Rücken gleiten zu lasen.
Im nächsten Moment aber riss sie sich los, blickte ihn mit tränennassen Augen an und sprang auf. Ehe er wusste, wie ihm geschah, rannte sie davon, den Weg, den sie gekommen waren und ihm blieb nichts, als ihr nachzublicken.
„Verdammt.“, zischte er. Er hätte sich nicht auf sie einlassen dürfen. Er hätte sich eine suchen sollen, die dümmer aussah. Schließlich wollte er nur ein bisschen Spaß haben, bis er sich am Abend auf dem Empfang zu Tode langweilen konnte. Doch das hatte er sich selbst verbaut. Er ließ sich ins Gras fallen und beschloss, einfach eine Weile liegen zu bleiben.
Auf seinem Rückweg traf er keinen einzigen Menschen.
In den Randbezirken hatte er sich noch nichts dabei gedacht, doch als er näher zum Stadtzentrum kam, ließ er seine Hand nicht mehr von der Laserpistole. Irgendwann machte er nicht mal den Versuch, die Waffe in der Jackentasche zu verstecken, sondern hielt sie demonstrativ in der Rechten, während er langsam weiterging. Arminius hatte er nicht in der Taverne angetroffen, obwohl er dort hätte warten sollen. Ein Geräusch vor ihm ließ ihn zusammenzucken.
Die Pistole schnellte vor und Gaius drehte am Regler die Feuerenergie auf. Zu seiner Überraschung zielte er auf einen imperialen Soldaten.
„Ah Soldat, Sie kommen mir recht. Was geht hier vor?“
Doch der Mann, der ihn erst jetzt bemerkte, richtete sein Hochenergie- Lasergewehr auf ihn und brüllte los:
„Waffe senken. Leiste keinen Widerstand.“ Hinter einer Hausecke erschien ein Zweiter.
„Sie wissen wohl nicht, wer ich bin? Ich heiße Gaius Flavius von Rai Deva, Sohn des obersten Direktors. Also runter mit der Waffe.“
Der Soldat, der merkwürdigerweise vollkommen in schwarz gekleidet und gerüstet war, senkte augenblicklich sein Gewehr.
„Junger Herr, wir haben Sie bereits gesucht. Ein Offizier der Leibwachen wartet am nächsten Kontrollpunkt und hat uns aufgetragen, Sie zu ihm zu führen.“
Na bitte, dachte Gaius. Er folgte den beiden Grenadieren, solche mussten sie bei ihrer Ausrüstung sein, einige Straßen weiter bis zu einem großen Platz. Der Anblick verblüffte ihn sofort. Menschen waren in Gruppen zu mehreren Dutzend zusammengefasst und von weiteren schwarzgewandeten Soldaten bewacht. Arminius war sofort bei ihm.
„Ich hatte mir bereits Sorgen gemacht.“
„Um mich?“, winkte er ab. „Was geht ab?“
„Die Inquisition hat eine Sperre über den Planeten verhängt.“
In diesem Moment entdeckte er Gretchen, die neben ihrem Vater in einer der Menschengruppen stand.
„Was!“, schauspielerte er. „Aber dann müssen wir Lucretia finden.“
Arminius verstand sofort und spielte mit.
„Bei der Suche nach dir habe ich sie vollkommen vergessen.“ Er wandte sich an den Hauptmann der Inquisitionsgarde.
„Wer ist Lucretia?“, fragte dieser.
„Meine Dienerin.“, sagte Gaius. „Wir haben uns am Stadtrand getrennt, weil ich mir den Wald ansehen wollte...“ Jetzt schien ihm ein guter Zeitpunkt. „Da steht sie!“ Er deutete in ihre Richtung und rannte los, gefolgt von den Soldaten.
„Da bist du ja.“, sagte Gaius und nahm sie bei der Hand. „Warum hast du denen nicht einfach deinen Namen genannt?“
Zum Glück folgte sie ihm ohne zu protestieren. Auch ihr Vater griff nicht ein. Gaius konnte sehen, dass sie den Tränen nahe war.
„Bitte fasse dich. Ich erkläre alles, wenn wir in Sicherheit sind.“, flüsterte er. Danach sagte er zum Hauptmann. „Danke für Ihre Zeit. Bitte fahren Sie nun mit Ihren Befehlen fort.“
Der Hauptmann nickte. Gaius, Arminius und das verloren wirkende Mädchen gingen in Richtung Palast davon.
Ein letztes Mal seufzte die Hydraulik, mit einem Zischen vollzog sich die atmosphärische Angleichung, dann begann die Heckluke, sich in gebührender Langsamkeit zu öffnen, und helles Sonnenlicht strömte in den abgedunkelten Innenraum des Landeshuttles.
Als erstes erhob sich die Leibwache des Direktors, die sich sofort vor dem noch nicht ganz geöffneten Ausgang positionierte. Direkt dahinter stelle sich der Direktor selbst, der nochmal den Sitz seiner Uniform überprüfte und auch seine Frau trat an seine Rechte, dezent einen Blick in ihren Handspiegel riskierend. Beamte und Offiziere nahmen ihre Position gemäß dem Protokoll ein, die Luke war fast geöffnet. Der Sohn des Direktors, dem eigentlich ein Platz zur Linken seines Vaters bestimmt war, stellte sich allerdings auf einen der hinteren Plätze. Die Anwesenden nahmen diesen Protokollbruch mit einem Blinzeln zur Kenntnis und rückten alle eine Position auf, sodass es nun der Wirtschaftsdirektor war, der zur Linken des Direktors stand. Das war wahrscheinlich auch besser so, war doch der Grund des Besuchs dieser Delegation schlicht die Überprüfung, ob denn nicht noch weiterer Tribut aus dem Planeten gezogen werden konnte. Als die Luke den Boden berührte und eine von außen nicht sichtbare Lampe über dem Ausgang blau aufleuchtete, schritt die Leibgarde voran aus dem Transporter, sich schnell in Formation auf dem winzigen Landeplatz verteilend. Die Delegation folgte in getragenerem Tempo. Dem Protokoll folgend trat der planetare Verweser an den Direktor heran und grüßte ihm mit Aquila und Verbeugung. Der Reihe nach küsste er der Frau des Direktors den Handrücken, nickte dem Kommandanten der Leibwachen zu und reichte dem Wirtschaftsdirektor die Hand. Eigentlich hätte er jetzt diese Hand schütteln sollen, dachte sich Gaius, der gelangweilt dreinblickende Sohn des Direktors von Rai Deva, während er seinen Blick über die, sie in Empfang nehmende Gesellschaft schweifen ließ. Beamte in schlichten Roben, Adelige in peinlichen grünen und rosanen Aufmachungen, Soldaten mit polierter Armaplastpanzerung und mit verschlissenen Lasergewehren eines Schemas, welches er noch nie gesehen hatte.
Er musste kämpfen, ein Gähnen zu unterdrücken. Eine grausig langweilige Produktionswelt, die nichts außer Rohstoffen lieferte. Ohne Mittelschicht, nennenswerte Großstädte oder auch nur einer Möglichkeit, sich zu amüsieren. Und er musste hier ganze vier Tage zubringen. Wie oft hatte er seinen Vater gebeten, an Bord der Profitable Aussicht bleiben zu dürfen. Dort konnte er wenigstens seine Zeit mit Holospielen oder auf dem Schießstand totschlagen, bis er in knapp fünf Standardmonaten wieder zuhause sein würde. Die beiden nun vermischten Delegationen setzten sich in Bewegung und Gaius beobachtete, wie der Verweser vor seinem Vater katzbuckelte. Die Menschengruppe bewegte sich auf eine Treppe zu, die sie über einen schäbigen Platz in den Palast führen würde. Palast war ein höchst euphemistischer Ausdruck für die halbverfallene, spätfeudale Burg, die die Planetenherren bei der Wiederentdeckung durch das Imperium vor sieben Jahrhunderten zum Regierungssitz bestimmt hatten. Dieser Planet war ein weiteres Beispiel dafür, warum Gaius es hasste, aus den zivilisierteren Sektoren der Galaxis herauszufliegen.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte ein Leibwächter, der neben dem Jungen stehen geblieben war. Da er Helm und Kampfbrille trug, war sein Gesicht nicht zu erkennen.
„Weiß nicht.“, antwortete dieser, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Der Palast, so er denn diesen Namen verdient, sieht aus, als könne man darin jeden Moment an Langeweile krepieren.“
„Als Sohn des Direktors musst du ebenfalls auf den Planeten herunter. Etwas anderes wäre eine protokollarische Unhöflichkeit.“
Der Junge winkte ab.
„Klar, mein Vater hat mich dessen schon belehrt. Das heißt aber nicht, dass wir bis zum Bankett heute Abend unser Dasein in dieser überdimensionierten Bruchbude zu fristen haben.“
Er begann schelmisch zu grinsen.
„Arminius, was trägt denn die arbeitenden Schicht hier für eine Kluft?“
„Willst du dich in der Stadt umsehen?“, fragte sein Leibwächter.
„Klar. Mutter sieht das zwar nicht gerne, aber Vater hat dich mir nicht umsonst an die Seite gestellt. Du treibst Kleidung auf und ich gehe einige von der PVS aushorchen, was man hier so treiben könnte.“
„Zwei Stunden! Zwei Stunden sind wir jetzt hier und haben nichts Interessantes entdeckt.“, beschwerte sich Gaius, nachdem er einen Schluck des alkoholfreien Bieres probiert hatte.
„Du solltest vielleicht deine Erwartungen etwas zurücknehmen. Wir sind hier schließlich nicht auf Polis Utopia.“, versuchte sein Leibwächter zu beschwichtigen.
Gaius erinnerte sich. Polis Utopia war ein sauberer und weltoffener Planet am östlichen Rand des von seinem Vater beherrschten Raumes und ein wahres Paradies für Gelangweilte. Besonders da der Planet nur oberflächlich sauber war.
„Ist mir egal. Wenn wir hier nicht bald mal was Interessantes entdecken, beschaffen wir ein Fahrzeug und Gewehre und fahren in den Wald, der auf diesem Wanderstern in Unmengen vorhanden ist.“
„Wie sind denn die örtlichen Gesetze zu Jagd und Waffengebrauch?“, fragte Arminius.
„Ist doch schnuppe. Wenn einer fragt, geben wir unsere Identitäten preis.“ Der bleiche Junge erhob sich und ließ seinen Blick durch die Schankstube schweifen. Viel Holz und schlechte Glühlampen unterstrichen die Rückständigkeit des Planeten, aber die Jagdtrophäen an einer der Längswände des Schankraumes deuteten auf annehmbare Jagdvorschriften hin. Doch gerade, als er sich setzen und Arminius sagen wollte, dass sie die Idee mit dem Jagdausflug umsetzen sollten, öffnete sich die Tür zur Schenke und Neuzugang trat herein, der angenehmen Zeitvertreib implizierte. Der große bärtige Kerl, der mit einem Fass auf der Schulter hereintrat und sofort auf den Wirt zusteuerte, interessierte Gaius nicht im Geringsten. Doch dessen Anhängsel, ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, also in seiner Altersklasse, das einen Korb mit Brot und undefinierbaren Zeug hinter dem Mann hertrug, interessierte ihn umso mehr. Er zwinkerte Arminius zu, sodass dieser sich umwandte und nun seinerseits den Grund für Gaius Aufmerksamkeit in Augenschein nahm.
„Falls der Hüne mich anspricht, komm und sag, du seist mein Onkel.“
Ohne auf die Antwort seines Bewachers zu warten, der arme Mann hatte sowieso keine Wahl, als den Anweisungen seines Schützlings zu folgen, trottete Gaius in Richtung Tresen. Er brauchte nur noch einen lokal klingenden Namen.
„Hallo, mein Name ist Faust.“, sagte er, als er sie erreicht hatte. „Kann ich dir mit dem Korb helfen?“ Das Mädchen blickte ihn zunächst aus ihren dunkelblauen Augen verwirrt an, doch dann lächelte sie und drückte ihm den Korb in die Hand.
„Ich heiße Gretchen. Danke für die Hilfe. Der Korb soll dort hinten ins Lager.“ Sie deutete auf eine Tür. Gaius nickte und schleppte den überraschend schweren Korb am Tresen vorbei, die Blicke des Wirts und des Bärtigen auf ihm gerichtet, und platzierte seine Last in einem Regal. Auf dem Rückweg musterte Gretchen ihn von Kopf bis Fuß.
„Du bist nicht von hier, oder?“, fragte sie.
„Sicher. Woran hast du es gemerkt?“
„Die Männer, erst recht die Jungen hier, würden einem Mädchen nie helfen. Die Erwachsenen sind zu faul und die Jungen zu schüchtern.“
„Sieht ganz so aus, als wäre Konkurrenz praktisch nicht vorhanden.“, erwiderte er mit einem Lächeln.
„Wer ist der Junge?“, fragte plötzlich eine donnernde Stimme hinter ihm. Der Riese war zu ihnen getreten, allerdings sah er nicht verärgert aus. Freundlich wirkte er jedoch auch nicht, das konnte er sicher nicht mal, dachte sich der Direktorensohn schelmisch.
„Das ist Faust, er ist nicht von hier, wie du sicher sofort erkannt hast, Vater.“
„Allerdings.“ Dieser Typ, der wirkte, als würde er zum Vergnügen mit Bären ringen, war also ihr Vater.
„Gibt es ein Problem?“ Arminius war hinzugetreten.
„Sie sind?“, fragte Gretchens Vater.
„Herbert Fuchs, ich bin Fausts Onkel und habe ihn während meiner Geschäftsreise mitgenommen.“
„Wilhelm Bauer.“, kam die Antwort und sogleich streckte er seine Hand zum Gruß aus. „Mir gehört der größte Bauernhof der Stadt.“ Dass dieses Gesicht lächeln konnte. „Sie sagten Geschäftsreise, sind Sie Krämer?“
Arminius wollte zu einer Antwort ansetzen, wobei er zu Gaius blickte, der zufrieden grinste, doch er kam nicht dazu.
„Bevor sich hier wieder ein nicht enden wollendes Männergespräch entspinnt, erlaubst du, Vater, dass wir verschwinden?“, fragte Gretchen.
„Sicher, geht nur.“, entgegnete Wilhelm Bauer und war schon mit seiner Aufmerksamkeit ganz wo anders, denn er rief den Wirt zu sich und stellte seinen neuen Bekannten vor. Wegen des Nachnamens musste er Arminius allerdings noch einen Streich spielen. Einen deutlicheren Seitenhieb hätte sich der Leibwächter kaum erlauben können.
Die beiden traten aus der Schankstube hinaus. Das Wetter war mittlerweile diesig, die Sonne hinter einer homogenen Wolkendecke verschwunden. Auf den breiten Straßen der äußeren Stadtbezirke war um diese Uhrzeit, kurz nach Mittag, wenig Verkehr. Die Menschen waren entweder zu Hause, bei der Arbeit oder, wer momentan keine Arbeit hatte, in einer der zahlreichen verrauchten Tavernen. Brummend und wankend torkelte eine Droschke an den beiden Jugendlichen vorbei, Gaius wäre jede Wette eingegangen, dass dieses Pfuschwerk an Technik sicherlich keinem STK entsprungen sein konnte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite trotteten zwei Tagelöhner der nächsten Kneipe entgegen, und das zur Mittagszeit!
„Und? Was kann man hier so sehen? fragte Gaius.
„Ich dachte, du interessierst dich für mich und nicht die hiesigen Sehenswürdigkeiten. Nicht, dass wir hier viel hätten.“, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. Ob sie ahnte, dass er gar nicht Faust hieß? Doch ob sie einen Verdacht hatte oder nicht, sie fasste ihn an der Hand und zog ihn die Straße entlang. Schnell sorgte er dafür, dass es zumindest optisch so wirkte, als würde er sie führen, seine Eitelkeit ließ er sich auch nicht von diesem Mädchen nehmen, und folgte ihr weiter durch breite Hauptstraßen und dann mehr und mehr durch schmalere Nebenstraßen immer weiter vom Stadtzentrum mit dem hässlichen Verwaltungssitz weg. Die Gebäude begannen immer kleiner zu werden, schließlich waren sie nicht mehr denn bessere Hütten, und die Straßen veränderten sich von gepflasterten Wegen zu staubigem Boden. Die Bewohner sahen zwar immer noch recht sauber und gesund aus, aber der Direktorensohn war sich sicher, durch ein Wohnviertel von Tagelöhnern und deren Familien zu gehen. Nach einigem Weg passierten sie die letzte Hütte und hinter ihr erstreckte sich eine grüne, recht verwilderte Wiese gut einen halben Kilometer weit ins Land, ehe die ersten Baumgrüppchen den Wald ankündigten. Gretchen zog ihn völlig ungeniert weiter, ließ ihm kaum Zeit, die malerische Landschaft zu betrachten, und nötigte ihn sogar einen Hügel hinauf. Auf der Kuppe erst ließ sie von ihm und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den gegenüberliegenden See. Nur ein kleiner Teil des Seerandes tangierte die Lichtung. Der Großteil des Ufers war von strammen und dunklen Bäumen eingenommen, die ihre Äste weit übers Wasser streckten und Schatten auf der klaren Wasseroberfläche tanzen ließen.
„Komm, da unten kannst du mir gerne sagen, was du dir in der Schenke gedacht hast.“, sprach sie und lief auch schon die Erhebung wieder hinab. Gaius folgte ihr nicht sofort, sondern blickte ihr nach, wie ihre hellbraunen Haare im Wind wehten, wie sie leicht und geschickt den unwegsamen Untergrund überquerte, ihr hellgrünes Kleid. Nun gut, dachte er sich. Besser gekleidete Mädchen hatte er schon viele gesehen, aber wenigstens sollte es bei ihrer schlichten Garderobe keine Schwierigkeiten mit dem Ausziehen geben. Überheblich grinsend, sich seiner Eroberung schon sicher wähnend, lief er ihr nach.
Stunden vergingen in denen Gaius dem Mädchen ein Leben vorlog, das er nie geführt hatte und Geschichten, die ihm tatsächlich passiert waren, so modifizierte, dass sie ihm in seiner Rolle passiert sein konnten. Die Mädchengeschichten ließ er natürlich aus, ebenso wie die Schießerei, in die er und sein Leibwächter auf einer Makropolwelt gelangt waren. Seitdem erlaubte ihm sein Vater auch, der den Anlass für die Auseinandersetzung glücklicherweise nicht wissen wollte, eine Laserpistole zu tragen. Bei dem Gedanken an seine Waffe erinnerte er sich, dass er sie im Moment bei sich hatte und so passte er einen günstigen Moment ab, um sie von Gretchen unbemerkt hinter einer dicken Wurzel verschwinden zu lassen. Da seine falschen Lebensumstände sowieso egal waren, fragte er sie stattdessen aus. Nicht, dass ihre Lebensgeschichte ihn sonderlich interessiert hätte, aber er spürte, dass er dieses Mädchen sowieso nicht so leicht herumkriegen konnte. Und so hörte er zu, von dem Leben auf einem Bauernhof, dem frühen Tod ihrer Mutter, der Arbeitsmoral ihres Vaters, dass sie ein Einzelkind war. Zeitweise fragte sich Gaius, ob er es wirklich mit ihr wagen sollte, schließlich war sie keine dumme Schlampe aus einer unteren Makropolschicht. Mit Schrecken stellte er fest, dass er sich für sie zu interessieren begann. Dabei wollte er eigentlich nur ihr schönes Gesicht berühren und sie ihrer weniger schönen Kleider entledigen. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, denn zu viel hatte er bereits über sie gehört, die er ursprünglich nach dem heutigen Tag vergessen wollte.
Er wartete, bis sie wieder eine Pause einlegte. Er rückte näher an sie heran, womit er sofort ihre Aufmerksamkeit erregte. Geschickt, aber nicht zu schnell legte er einen Arm um sie und führte sein Gesicht ganz nahe an ihres. In ihren Augen tanzten Schrecken und Faszination. Sie leistete keinen Widerstand und so ging er einen Schritt weiter und küsste sie. Sie erwiderte den Kuss, obwohl es mit Bestimmtheit ihr erster war, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie schloss die Augen und ließ sich in Gaius Arm zurücksinken. Er wähnte sich erneut am Ziel, legte seine Hand auf ihre Schulter, um sie unmerklich an den Verschluss ihres Kleides auf ihrem Rücken gleiten zu lasen.
Im nächsten Moment aber riss sie sich los, blickte ihn mit tränennassen Augen an und sprang auf. Ehe er wusste, wie ihm geschah, rannte sie davon, den Weg, den sie gekommen waren und ihm blieb nichts, als ihr nachzublicken.
„Verdammt.“, zischte er. Er hätte sich nicht auf sie einlassen dürfen. Er hätte sich eine suchen sollen, die dümmer aussah. Schließlich wollte er nur ein bisschen Spaß haben, bis er sich am Abend auf dem Empfang zu Tode langweilen konnte. Doch das hatte er sich selbst verbaut. Er ließ sich ins Gras fallen und beschloss, einfach eine Weile liegen zu bleiben.
Auf seinem Rückweg traf er keinen einzigen Menschen.
In den Randbezirken hatte er sich noch nichts dabei gedacht, doch als er näher zum Stadtzentrum kam, ließ er seine Hand nicht mehr von der Laserpistole. Irgendwann machte er nicht mal den Versuch, die Waffe in der Jackentasche zu verstecken, sondern hielt sie demonstrativ in der Rechten, während er langsam weiterging. Arminius hatte er nicht in der Taverne angetroffen, obwohl er dort hätte warten sollen. Ein Geräusch vor ihm ließ ihn zusammenzucken.
Die Pistole schnellte vor und Gaius drehte am Regler die Feuerenergie auf. Zu seiner Überraschung zielte er auf einen imperialen Soldaten.
„Ah Soldat, Sie kommen mir recht. Was geht hier vor?“
Doch der Mann, der ihn erst jetzt bemerkte, richtete sein Hochenergie- Lasergewehr auf ihn und brüllte los:
„Waffe senken. Leiste keinen Widerstand.“ Hinter einer Hausecke erschien ein Zweiter.
„Sie wissen wohl nicht, wer ich bin? Ich heiße Gaius Flavius von Rai Deva, Sohn des obersten Direktors. Also runter mit der Waffe.“
Der Soldat, der merkwürdigerweise vollkommen in schwarz gekleidet und gerüstet war, senkte augenblicklich sein Gewehr.
„Junger Herr, wir haben Sie bereits gesucht. Ein Offizier der Leibwachen wartet am nächsten Kontrollpunkt und hat uns aufgetragen, Sie zu ihm zu führen.“
Na bitte, dachte Gaius. Er folgte den beiden Grenadieren, solche mussten sie bei ihrer Ausrüstung sein, einige Straßen weiter bis zu einem großen Platz. Der Anblick verblüffte ihn sofort. Menschen waren in Gruppen zu mehreren Dutzend zusammengefasst und von weiteren schwarzgewandeten Soldaten bewacht. Arminius war sofort bei ihm.
„Ich hatte mir bereits Sorgen gemacht.“
„Um mich?“, winkte er ab. „Was geht ab?“
„Die Inquisition hat eine Sperre über den Planeten verhängt.“
In diesem Moment entdeckte er Gretchen, die neben ihrem Vater in einer der Menschengruppen stand.
„Was!“, schauspielerte er. „Aber dann müssen wir Lucretia finden.“
Arminius verstand sofort und spielte mit.
„Bei der Suche nach dir habe ich sie vollkommen vergessen.“ Er wandte sich an den Hauptmann der Inquisitionsgarde.
„Wer ist Lucretia?“, fragte dieser.
„Meine Dienerin.“, sagte Gaius. „Wir haben uns am Stadtrand getrennt, weil ich mir den Wald ansehen wollte...“ Jetzt schien ihm ein guter Zeitpunkt. „Da steht sie!“ Er deutete in ihre Richtung und rannte los, gefolgt von den Soldaten.
„Da bist du ja.“, sagte Gaius und nahm sie bei der Hand. „Warum hast du denen nicht einfach deinen Namen genannt?“
Zum Glück folgte sie ihm ohne zu protestieren. Auch ihr Vater griff nicht ein. Gaius konnte sehen, dass sie den Tränen nahe war.
„Bitte fasse dich. Ich erkläre alles, wenn wir in Sicherheit sind.“, flüsterte er. Danach sagte er zum Hauptmann. „Danke für Ihre Zeit. Bitte fahren Sie nun mit Ihren Befehlen fort.“
Der Hauptmann nickte. Gaius, Arminius und das verloren wirkende Mädchen gingen in Richtung Palast davon.
Zuletzt bearbeitet: