Es hatte Monate an Vorbereitung gekostet, aber nun war sie vollendet. Die Bühne.
Ihre stolze Höhe von fünfundzwanzig Metern ließ sie dennoch winzig erscheinen zwischen den riesigen Wänden der Habitate. Oder vielmehr Habitatsruinen. Denn Diresas, funkelndes Kleinod der Kunst, die Makropole der Musik, lag in Trümmern und die Überreste der einst so mit Leben überfluteten Häuser ragten wie ausgeblichene Gebeine in den Himmel. In denselben Himmel, an dem schillernde Farben des Warps verderben Meeren gleich Wellen schlugen und den Boden mit ihren Reflektionen in farbige Lichter tauchte. Wie überdimensionierte Scheinwerfer beleuchteten sie die Bühne und für Antoine sah es aus, als probte der Himmel für den großen Auftritt. Um Antoine herum rannten Menschen herum und schlossen Kabel an, schleppten Gerätschaften herum oder justierten ihre Instrumente. Ihre Waffen. Er selbst sah an sich herunter auf sein eigenes Instrument, seine eigene Waffe. Der volle, leicht geschwungene Korpus war aus Nalholz gefertigt, das Griffbrett mit feinsten Adamantit beschlagen. Und obwohl sie aus den besten Materialien gefertigt worden war, vor kurzem gesalbt und geweiht wurde – für Antoiné fühlte sie sich unendlich schmutzig an. Einst war sie sein gewesen, seit Generationen Erbstück seiner Familie und ihm kostbarer als Geld oder Liebe. Nun wünschte er sich nichts mehr als sie zu verbrennen. Sie war besudelt, unrein, wenn nicht gar besessen. Doch er musste sich überwinden, er musste es akzeptieren. Es war seine Idee gewesen.
Als er den Blick wieder hob, lies ihn eine Bewegung im Augenwinkel den Kopf drehen. Es war Tar, sein Freund und Bassist, der vor seinem Instrument nervös auf und ab lief, unwillig es anzusehen. Er zierte sich und Antoiné konnte es ihm nicht verübeln. Doch er musste sich zusammenreißen, er durfte nicht so kurz vor dem Ziel die Nerven verlieren. Jeder von ihnen hatte Zweifel, Antoiné wohl am meisten von allen. Aber bevor er sich ein Herz gefasst hatte um Tar anzusprechen, kam ihm dieser zuvor:
„Es ist nichts Anto, ehrlich. Ich mache mir nur ständig Gedanken, ob es funktionieren wird.“ Und nach ein paar Momenten fügte er unsicher hinzu: „Und ob wir das Richtige tun.“
„Ob es funktionieren wird weiß keiner, Tar. Aber im kleinem Maßstab hat es das sehr wohl, du warst dabei.“
Beide waren sie da gewesen, als die kleine Werkstatt in der Kanalisation in ihre Einzelteile zerlegt worden war, beide trugen sie Narben davon, als Werkzeuge und Möbel wie Geschosse durch den Raum geflogen waren. Aber es war fragwürdig, ob es für mehr reichen würde. Die Umbauten waren allesamt Provisorien und ohne die Hilfe eines ausgebildeten Techpriesters installiert worden. Was nur zu verständlich war, da keiner der Priester mehr lebte. Es hatte allein zwei Monate gedauert, genügend Adepten von seinem Vorhaben zu überzeugen, denn niemand wollte Hand an die Werkzeuge des Chaos legen. In diesem Fall waren es Instrumente – verderbt bis ins Mark, aber Instrumente. Denn die Plage, die Diresas befallen hatte, war eine grauenhafte Pointe im intergalaktischen Cabaret. Als sich die ersten Kultisten in den unteren Bevölkerungsschichten offenbarten, war den Arbites und den PVS nicht klar, wie groß das Übel wirklich war. Nach einen riesigen, blutigen Ritual öffnete sich ein Riss im Warp und spuckte eine unvergleichliche Geißel aus: die Marines der Emperors Children – die Noise Marines.
Mit ihrem Erscheinen wurden die schönen Klänge Diresas von widernatürlichen Parodien ihrer selbst heimgesucht. Grauenhaft entstellte Melodien und Stücke aus der Jahrhunderte alten Geschichte der Makropole dröhnten von den Panzern und aus getragenen Lautsprechern durch die Straßen und über die Plätze. Die ebenso über- wie unmenschlichen Marines führten einen ungleichen Krieg gegen die demoralisierten Verteidiger. Arbites und PVS fochten verzweifelt gegen einen Gegner, der ihnen haushoch überlegen war und mit ihnen spielte, um sein überirdisches Verlangen nach Schmerzen und Lust zu befriedigen. Der Krieg war schnell verloren. Weder die Moral der Arbites noch die Waffen der Kommissare konnten die Armee vor dem Zerfall bewahren. Diresas und seine Bevölkerung zerbrachen daraufhin an der blutigen Orgie der Gewalt und der akustischen Vergewaltigung in ihrem Kielwasser.
Die kläglichen Reste der Gegenwehr verschwanden schnell im Untergrund der Makropole und starben in den Monaten der Besatzung einer nach dem anderen aus. Bis nur noch die wenigen da waren, die um diese Bühne verteilt waren. Die Bühne ihres Schicksals. Wie viele waren wohl noch übrig? Wie viele hatten sie gefunden? Vielleicht fünfzig? Über die ganze Makropole hinweg hatten sie nicht mehr finden können. Und auch diese wenigen würden vergehen– niemand konnte etwas dagegen tun. Sie konnten nur die Art bestimmen, wie es zu Ende gehen würde.
Ein Knistern und Rauschen in seinem Ohr kündigte einen Funkspruch an und Antoiné versteifte sich unwillkürlich. Mit klopfendem Herzen betätigte er sein Kom:
„Anto.“
„Sie kommen. Das Zielobjekt sowie zweiundzwanzig weiter Fahrzeuge. Fußtruppen werden auf dreihundert Ungerüstete sowie über hundert Verräter geschätzt. G.A.Z. liegt bei neunzig Minuten. Ich wiederhole: Das Zielobjekt sowie zweiundzwanzig …“
Antoiné lauschte der Wiederholung mit einem Ohr, während sich sein Herz, sein Hirn und seine Blase alle Mühe gaben, gleichzeitig zu versagen. Dreiundzwanzig Panzer und Transporter, dreihundert wahnsinnige Zivilisten und einhundert Verräter der PVS und der Arbites. Lord Tribore hatte ein großes Henkerkommando für sie zusammengestellt. Das übertraf alle seine Erwartungen. Einem solchen Ansturm würden sie nie und nimmer standhalten können. Zum Glück wollten sie das auch nicht.
Unheilvolles Grummeln und ein widernatürliches Blubbern aus den Eingeweiden der dämonischen Maschine bildete den Unterton, welcher die Basis der Geräuschkulisse innerhalb des Landraiders bildete. Darüber lagen keuchende Atemgeräusche der Insassen und das Rattern der dutzenden Ketten der Kolonne. Als untermalende Begleitung brüllten, seufzten und sangen die degenerierten außerhalb des Landraiders unheilige, pervertierte Heimatlieder. Und über all dem thronte die Sinfonie des Wahnsinns. Verzerrte, unwillkürliche Tonabfolgen in den absurdesten Höhen und Frequenzen, bar jeglicher Melodie, frei von jedem Rhythmus – das perfekte Chaos.
Und er nahm sie alle war, jeden noch so geschändeten Ton, jegliches Geräusch wurde von seinen unglaublichen Sinnen aufgefangen, verarbeitet und letzten Endes in reine Lust umgewandelt. Unendliche Stimulierungen ließen seine Nerven in jedem Moment erbeben. Dennoch quälte ihn Langeweile. Solch simple Stimuli brachten ihm schon seit tausenden von Jahren keine Befriedigung mehr. Er war der Günstling der Götter, ein Lakai der Lust unter dem Herrn der Häresie. Slaanesh, sein Gott, stand ihm den Tagen des großen Verrats des Imperators zur Seite und er hatte für ihn die köstlichsten Sinnesverzerrungen erfahren, Schmerzen gespürt und verbreitet. Er war Lord Tribore, einst Sergeant der Emperors Children, nun war er ein Lord, bald würde er in den Rang eines Dämonen aufsteigen. Und er war gekommen, den letzten Widerstand in Diresas zu brechen und alles und jeden auszuradieren.
Die Kolonne hatte gerade die Allee der Sänger passiert und war auf dem Platz der heiligen Stimme des Imperators zum Stehen gekommen. Wo früher Statuen von Komponisten und Sängern Schulter an Schulter mit Heiligen und Herrschern Diresas gestanden hatten, erhoben sie heute nur noch hier und da ein paar zerbrochene Extremitäten aus den verkohlten Trümmern. Der Rest war in unzähligen Gewaltausbrüchen der verderbten Bevölkerung zerstört worden, meist gefolgt von blutigen Orgien der Lust und des Schmerzes. Antoiné hörte die Standortmeldung äußerlich ungerührt, obwohl er sich fühlte, als würde er innerlich zerbersten. Innerlich kämpften Angst, Unsicherheit, Wut und Hass einen aufwühlenden Kampf um die Vorherschaft seiner Sinne. Die Bühne war leer bis auf die Band, die Maschinen waren gesalbt, die Riten gesprochen. Vor wenigen Minuten hatte der Priester der Ekklesiarchie die Instrumente ein letztes Mal gesegnet. Die Show konnte losgehen. Antoiné blickte in die Runde, fasste jeden einzelnen ins Auge und vergewisserte sich, das sie bereit waren. Tar war wie ausgewechselt und erwiderte seinen Blick mit grimmiger Entschlossenheit. Antoine nickte ihm zu, holte tief Luft und flüsterte: „Note um Note, Ton um Ton“, bevor er die Seiten anschlug und somit den Anfang vom Ende einläutete.
Etwas störte die Sinfonie. Eine Melodie, ein Rhythmus, eine Stimme… Gehasste Huldigungen an den Imperator fraßen sich durch seine Ohren in sein Hirn, versengten seine Nerven und ließen ihn erzürnt aufschreien. Zuletzt hatte er diese Worte in einer kleinen Kapelle am anderen Ende des Universums gehört, als eine kleine Tempeldienerin vor ihm auf die Knie gefallen war und in ihrer Verzweiflung gesungen hatte. Die Worte so rein wie Warp, die Stimme klar wie Wasser. Unvergesslich war für ihn der Moment, indem er ihren kleinen Kopf in die Hand genommen hatte, um ihn in einem Ruck von ihren Schultern zu reißen. Wie konnte es sein, dass jemand hier dieses Lied spielte? Wer wagte es, ihn so zu provozieren? Vor Wut biss er die Zähne so fest zusammen, dass sie knackten. Das Lied erklang weiterhin, in seinen Nerven tobte ein Sturm, den er nicht unter Kontrolle bekam. Der Sturm manifestierte sich in einem Schrei, hochfrequent und nichtmenschlich ließ er die Trommelfelle der Menschen draußen platzen oder sorgte dafür, dass sie sich in rasender Wut gegenseitig anfielen und zerfleischten. Bis die Marines eingreifen konnten, wanden sich dutzende unter Qualen am Boden oder lagen zerrissen zwischen den Trümmern. Doch Lord Tribore kümmerte dies nicht. Er brüllte seinem Fahrer Befehle zu und der Landraider fuhr mit rumpelnden Ketten an. Ohne auf diejenigen zu achten, die in seinem Weg waren, walzte sich das Fahrzeug seinen Weg zur Musik frei. Hinter ihm setzte sich die Kolonne hastig in Bewegung, keiner wollte das Gemetzel verpassen.
Seine Finger spielten mit den Saiten, nicht auf ihnen. In vollkommener Harmonie erklangen die Töne, umschmeichelten sein Gehör und verbanden sich mit dem Rest der Musik. Sie spielten göttlich, als wären sie nicht mehr Teils eines Körpers, als ob der Imperator selbst sie lenkte. Antoiné schloss die Augen und genoss das Spielen. Er machte seinen Frieden mit sich, er hatte keine andere Möglichkeit, er würde auch keine weitere bekommen. Als er die Augen öffnete, sah er gerade noch, wie eine Maschine aus manifestierter Bosheit hinter den Ruinen eines Habitats hervorschnellte. Riesig, mit blassrosa, schwärendem Fleisch bedeckt mutete sie fast lebendig an. An ihren Seiten sah er riesige, doppelläufige Laserkanonen und er wusste, dass in ihrem Inneren die Geißel Diresas lauerte. Antoine umfasste sein Instrument fester und hoffte, dass niemand Panik bekam und aussetzte. Er hoffte, dass alle den Einschlag überstehen würden.
Eine der Laserkanonen richtete sich auf die Bühne aus und er sah wie in Zeitlupe, wie die Luft um den Lauf zu flimmern begann.
Im gleichen Moment, indem Licht ins Innere des Landraiders fiel, feuerte die Laserkanone. Doch der Schuss blieb ohne den erhofften Erfolg, denn kurz vor der Bühne traf der Strahl auf ein unsichtbares Hindernis in der Luft – einen Energieschirm. Der Schuss prallte harmlos daran ab und der nun ausgestiegene Lord Tribore brüllte seine Wut ein weiteres Mal hinaus, diesmal jedoch ohne Verheerungen. Denn die Musik der Bühne übertönte ihn, seine Stimme und die Sinfonie des Wahnsinns aus den Lautsprechern der Landraiders.
Sie verspotteten ihn. Sie wagten es, ihm zu trotzen und damit Slaanesh höchstpersönlich. Der Lord registrierte weder das Erscheinen des Konvois noch das Rattern der Transporterluken. Während die Marines ausstiegen, verließ ihn das letze bisschen Beherrschung und er stürmte der Bühne entgegen. Seine Leibgarde in den uralten taktischen Cybotrüstungen gab sich alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten, doch seine Wut ließ ihn schneller laufen als alle anderen. Hinter ihnen begannen die Predatoren und Havocs mit brutalem Beschuss in Richtung Bühne, der jedoch nur auf den flackernden Schirm hämmerte. Die schweren Salven würden den Schirm bald zusammenbrechen lassen. Die heiligen Töne von der Bühne ließen die degenerierten Menschen durchdrehen, so dass sie hinter ihrem Herrn zur Bühne stürmen.
Der Sturmangriff auf die Bühne war für Antoine der Moment, indem er auf das Pedal trat. Jetzt hieß es alles oder nichts. Früher hatte er mit dem Pedal einen Verzerrer hinzu geschaltet, jetzt aktivierte er unheilige Vorrichtungen. Während der Besatzung war es den Verteidigern gelungen, mehrere der Marines zu töten. Einige hatten seltsame Schallwaffen dabei gehabt und Antoine somit auf seine Idee gebracht. Unter der Bühne schaltete sich nun eine Vorrichtung zwischen Instrument und Lautsprecher. Aus mehreren dieser Schallwaffen gebaut verstärkte sie die Musik bis sie die Gewalt eines Orkans erhielt. In der Kanalisation hatte ein einzelnes Teil aus einer der Waffen Verheerungen angerichtet, die für Antoine immer noch unvorstellbar waren – jetzt war alles anders. Mit dem Treten des Pedals explodierten mehrere Boxen, da sie der Gewalt nicht standhalten konnten. Der Schirm fiel vom einen auf den anderen Moment aus, doch keiner der Schüsse traf die Bühne. Vor den Boxen flimmerte die Luft in einem unwirklichen Stakkato aus Licht und Bewegung, dann brach eine Druckwelle gigantischen Ausmaßes daraus hervor und raste der anstürmenden Horde entgegen. Energie und Projektile wurden von der schieren Gewalt der Welle zurückgeworfen und schnitten durch Panzerung und Haut gleichermaßen. Als die Welle auf gerüstete und ungerüstete Körper traf, unterschied sie nicht zwischen ihnen. Keine Servorüstung hielt der Gewalt stand, kein Körper blieb ganz. Als die Welle über den Konvoi hinweg gezogen war, offenbarte sich das Ausmaß der Zerstörung. Es hatten nur wenige Marines überlebt, keiner der Menschen hatte dieses Glück gehabt. Die Überlebenden rafften sich auf und wahren Übermenschen gleich, schüttelten sie die Treffer ab und schossen mit ihren Boltern auf die Bühne. Antoine und die anderen auf der Bühne waren von der Gewalt umgeworfen worden, obwohl sie nur einen winzigen Bruchteil der Gewalt gespürt hatten. Tar rappelte sich auf, wurde dann aber von einem Boltgeschoss getroffen und zerstob in einer Blutwolke. Antoine dachte an Flucht, verwarf den Gedanken aber wieder. Wohin sollte er fliehen? Außerdem war es noch nicht vorbei. Er kroch auf dem Bauch zu seinem Instrument, welches zerschmettert auf der Bühne lag. Auf dem Weg spuckte er mehrmals Blut – offenbar hatte er innere Verletzungen. Es kümmerte ihn nicht. Ob die Vorrichtung noch funktionierte? Egal, er brauchte sie nicht mehr. Jetzt musste er nur noch das zweite Pedal erreichen und hoffen, dass die Leitungen nicht gekappt worden waren. Mit letzter Kraft schleppte er sich nach vorne durch den Hagel an Boltgeschossen und hämmerte mit all seiner verbliebenen Kraft mit der Faust auf das Pedal.
Nichts geschah. Mit dem Wissen versagt zu haben, hauchte Antoine seinen letzten Atemzug aus.
Seine Hände durchbrachen die Schuttdecke und mit Mühe schaufelte er sich frei. Jegliche Musik hatte aufgehört, es war still bis auf gelegentliches Rumpeln der Schuttreste. Um ihn herum lagen die zerfetzten Körper seiner Garde und der jämmerlichen Menschen. Aber er lebte, die Menschen hatten versagt. Lord Triboche lachte. Slaanesh hatte ihn vor dem Ende bewahrt, das Chaos war unbesiegbar. Er war unbesiegbar.
Lord Triboche lachte immer noch, als die Sprengsätze in der Kanalisation verspätet zündeten und die Straße, die Bühne und die Ruinen in einem Kilometer Umkreis absacken ließen. Der gesamte Konvoi, alle Leichen und alle Überlebenden sackten in einen tieferen Teil der Makropole ab und begruben alles und jeden unter ihren Trümmern.
Ihre stolze Höhe von fünfundzwanzig Metern ließ sie dennoch winzig erscheinen zwischen den riesigen Wänden der Habitate. Oder vielmehr Habitatsruinen. Denn Diresas, funkelndes Kleinod der Kunst, die Makropole der Musik, lag in Trümmern und die Überreste der einst so mit Leben überfluteten Häuser ragten wie ausgeblichene Gebeine in den Himmel. In denselben Himmel, an dem schillernde Farben des Warps verderben Meeren gleich Wellen schlugen und den Boden mit ihren Reflektionen in farbige Lichter tauchte. Wie überdimensionierte Scheinwerfer beleuchteten sie die Bühne und für Antoine sah es aus, als probte der Himmel für den großen Auftritt. Um Antoine herum rannten Menschen herum und schlossen Kabel an, schleppten Gerätschaften herum oder justierten ihre Instrumente. Ihre Waffen. Er selbst sah an sich herunter auf sein eigenes Instrument, seine eigene Waffe. Der volle, leicht geschwungene Korpus war aus Nalholz gefertigt, das Griffbrett mit feinsten Adamantit beschlagen. Und obwohl sie aus den besten Materialien gefertigt worden war, vor kurzem gesalbt und geweiht wurde – für Antoiné fühlte sie sich unendlich schmutzig an. Einst war sie sein gewesen, seit Generationen Erbstück seiner Familie und ihm kostbarer als Geld oder Liebe. Nun wünschte er sich nichts mehr als sie zu verbrennen. Sie war besudelt, unrein, wenn nicht gar besessen. Doch er musste sich überwinden, er musste es akzeptieren. Es war seine Idee gewesen.
Als er den Blick wieder hob, lies ihn eine Bewegung im Augenwinkel den Kopf drehen. Es war Tar, sein Freund und Bassist, der vor seinem Instrument nervös auf und ab lief, unwillig es anzusehen. Er zierte sich und Antoiné konnte es ihm nicht verübeln. Doch er musste sich zusammenreißen, er durfte nicht so kurz vor dem Ziel die Nerven verlieren. Jeder von ihnen hatte Zweifel, Antoiné wohl am meisten von allen. Aber bevor er sich ein Herz gefasst hatte um Tar anzusprechen, kam ihm dieser zuvor:
„Es ist nichts Anto, ehrlich. Ich mache mir nur ständig Gedanken, ob es funktionieren wird.“ Und nach ein paar Momenten fügte er unsicher hinzu: „Und ob wir das Richtige tun.“
„Ob es funktionieren wird weiß keiner, Tar. Aber im kleinem Maßstab hat es das sehr wohl, du warst dabei.“
Beide waren sie da gewesen, als die kleine Werkstatt in der Kanalisation in ihre Einzelteile zerlegt worden war, beide trugen sie Narben davon, als Werkzeuge und Möbel wie Geschosse durch den Raum geflogen waren. Aber es war fragwürdig, ob es für mehr reichen würde. Die Umbauten waren allesamt Provisorien und ohne die Hilfe eines ausgebildeten Techpriesters installiert worden. Was nur zu verständlich war, da keiner der Priester mehr lebte. Es hatte allein zwei Monate gedauert, genügend Adepten von seinem Vorhaben zu überzeugen, denn niemand wollte Hand an die Werkzeuge des Chaos legen. In diesem Fall waren es Instrumente – verderbt bis ins Mark, aber Instrumente. Denn die Plage, die Diresas befallen hatte, war eine grauenhafte Pointe im intergalaktischen Cabaret. Als sich die ersten Kultisten in den unteren Bevölkerungsschichten offenbarten, war den Arbites und den PVS nicht klar, wie groß das Übel wirklich war. Nach einen riesigen, blutigen Ritual öffnete sich ein Riss im Warp und spuckte eine unvergleichliche Geißel aus: die Marines der Emperors Children – die Noise Marines.
Mit ihrem Erscheinen wurden die schönen Klänge Diresas von widernatürlichen Parodien ihrer selbst heimgesucht. Grauenhaft entstellte Melodien und Stücke aus der Jahrhunderte alten Geschichte der Makropole dröhnten von den Panzern und aus getragenen Lautsprechern durch die Straßen und über die Plätze. Die ebenso über- wie unmenschlichen Marines führten einen ungleichen Krieg gegen die demoralisierten Verteidiger. Arbites und PVS fochten verzweifelt gegen einen Gegner, der ihnen haushoch überlegen war und mit ihnen spielte, um sein überirdisches Verlangen nach Schmerzen und Lust zu befriedigen. Der Krieg war schnell verloren. Weder die Moral der Arbites noch die Waffen der Kommissare konnten die Armee vor dem Zerfall bewahren. Diresas und seine Bevölkerung zerbrachen daraufhin an der blutigen Orgie der Gewalt und der akustischen Vergewaltigung in ihrem Kielwasser.
Die kläglichen Reste der Gegenwehr verschwanden schnell im Untergrund der Makropole und starben in den Monaten der Besatzung einer nach dem anderen aus. Bis nur noch die wenigen da waren, die um diese Bühne verteilt waren. Die Bühne ihres Schicksals. Wie viele waren wohl noch übrig? Wie viele hatten sie gefunden? Vielleicht fünfzig? Über die ganze Makropole hinweg hatten sie nicht mehr finden können. Und auch diese wenigen würden vergehen– niemand konnte etwas dagegen tun. Sie konnten nur die Art bestimmen, wie es zu Ende gehen würde.
Ein Knistern und Rauschen in seinem Ohr kündigte einen Funkspruch an und Antoiné versteifte sich unwillkürlich. Mit klopfendem Herzen betätigte er sein Kom:
„Anto.“
„Sie kommen. Das Zielobjekt sowie zweiundzwanzig weiter Fahrzeuge. Fußtruppen werden auf dreihundert Ungerüstete sowie über hundert Verräter geschätzt. G.A.Z. liegt bei neunzig Minuten. Ich wiederhole: Das Zielobjekt sowie zweiundzwanzig …“
Antoiné lauschte der Wiederholung mit einem Ohr, während sich sein Herz, sein Hirn und seine Blase alle Mühe gaben, gleichzeitig zu versagen. Dreiundzwanzig Panzer und Transporter, dreihundert wahnsinnige Zivilisten und einhundert Verräter der PVS und der Arbites. Lord Tribore hatte ein großes Henkerkommando für sie zusammengestellt. Das übertraf alle seine Erwartungen. Einem solchen Ansturm würden sie nie und nimmer standhalten können. Zum Glück wollten sie das auch nicht.
Unheilvolles Grummeln und ein widernatürliches Blubbern aus den Eingeweiden der dämonischen Maschine bildete den Unterton, welcher die Basis der Geräuschkulisse innerhalb des Landraiders bildete. Darüber lagen keuchende Atemgeräusche der Insassen und das Rattern der dutzenden Ketten der Kolonne. Als untermalende Begleitung brüllten, seufzten und sangen die degenerierten außerhalb des Landraiders unheilige, pervertierte Heimatlieder. Und über all dem thronte die Sinfonie des Wahnsinns. Verzerrte, unwillkürliche Tonabfolgen in den absurdesten Höhen und Frequenzen, bar jeglicher Melodie, frei von jedem Rhythmus – das perfekte Chaos.
Und er nahm sie alle war, jeden noch so geschändeten Ton, jegliches Geräusch wurde von seinen unglaublichen Sinnen aufgefangen, verarbeitet und letzten Endes in reine Lust umgewandelt. Unendliche Stimulierungen ließen seine Nerven in jedem Moment erbeben. Dennoch quälte ihn Langeweile. Solch simple Stimuli brachten ihm schon seit tausenden von Jahren keine Befriedigung mehr. Er war der Günstling der Götter, ein Lakai der Lust unter dem Herrn der Häresie. Slaanesh, sein Gott, stand ihm den Tagen des großen Verrats des Imperators zur Seite und er hatte für ihn die köstlichsten Sinnesverzerrungen erfahren, Schmerzen gespürt und verbreitet. Er war Lord Tribore, einst Sergeant der Emperors Children, nun war er ein Lord, bald würde er in den Rang eines Dämonen aufsteigen. Und er war gekommen, den letzten Widerstand in Diresas zu brechen und alles und jeden auszuradieren.
Die Kolonne hatte gerade die Allee der Sänger passiert und war auf dem Platz der heiligen Stimme des Imperators zum Stehen gekommen. Wo früher Statuen von Komponisten und Sängern Schulter an Schulter mit Heiligen und Herrschern Diresas gestanden hatten, erhoben sie heute nur noch hier und da ein paar zerbrochene Extremitäten aus den verkohlten Trümmern. Der Rest war in unzähligen Gewaltausbrüchen der verderbten Bevölkerung zerstört worden, meist gefolgt von blutigen Orgien der Lust und des Schmerzes. Antoiné hörte die Standortmeldung äußerlich ungerührt, obwohl er sich fühlte, als würde er innerlich zerbersten. Innerlich kämpften Angst, Unsicherheit, Wut und Hass einen aufwühlenden Kampf um die Vorherschaft seiner Sinne. Die Bühne war leer bis auf die Band, die Maschinen waren gesalbt, die Riten gesprochen. Vor wenigen Minuten hatte der Priester der Ekklesiarchie die Instrumente ein letztes Mal gesegnet. Die Show konnte losgehen. Antoiné blickte in die Runde, fasste jeden einzelnen ins Auge und vergewisserte sich, das sie bereit waren. Tar war wie ausgewechselt und erwiderte seinen Blick mit grimmiger Entschlossenheit. Antoine nickte ihm zu, holte tief Luft und flüsterte: „Note um Note, Ton um Ton“, bevor er die Seiten anschlug und somit den Anfang vom Ende einläutete.
Etwas störte die Sinfonie. Eine Melodie, ein Rhythmus, eine Stimme… Gehasste Huldigungen an den Imperator fraßen sich durch seine Ohren in sein Hirn, versengten seine Nerven und ließen ihn erzürnt aufschreien. Zuletzt hatte er diese Worte in einer kleinen Kapelle am anderen Ende des Universums gehört, als eine kleine Tempeldienerin vor ihm auf die Knie gefallen war und in ihrer Verzweiflung gesungen hatte. Die Worte so rein wie Warp, die Stimme klar wie Wasser. Unvergesslich war für ihn der Moment, indem er ihren kleinen Kopf in die Hand genommen hatte, um ihn in einem Ruck von ihren Schultern zu reißen. Wie konnte es sein, dass jemand hier dieses Lied spielte? Wer wagte es, ihn so zu provozieren? Vor Wut biss er die Zähne so fest zusammen, dass sie knackten. Das Lied erklang weiterhin, in seinen Nerven tobte ein Sturm, den er nicht unter Kontrolle bekam. Der Sturm manifestierte sich in einem Schrei, hochfrequent und nichtmenschlich ließ er die Trommelfelle der Menschen draußen platzen oder sorgte dafür, dass sie sich in rasender Wut gegenseitig anfielen und zerfleischten. Bis die Marines eingreifen konnten, wanden sich dutzende unter Qualen am Boden oder lagen zerrissen zwischen den Trümmern. Doch Lord Tribore kümmerte dies nicht. Er brüllte seinem Fahrer Befehle zu und der Landraider fuhr mit rumpelnden Ketten an. Ohne auf diejenigen zu achten, die in seinem Weg waren, walzte sich das Fahrzeug seinen Weg zur Musik frei. Hinter ihm setzte sich die Kolonne hastig in Bewegung, keiner wollte das Gemetzel verpassen.
Seine Finger spielten mit den Saiten, nicht auf ihnen. In vollkommener Harmonie erklangen die Töne, umschmeichelten sein Gehör und verbanden sich mit dem Rest der Musik. Sie spielten göttlich, als wären sie nicht mehr Teils eines Körpers, als ob der Imperator selbst sie lenkte. Antoiné schloss die Augen und genoss das Spielen. Er machte seinen Frieden mit sich, er hatte keine andere Möglichkeit, er würde auch keine weitere bekommen. Als er die Augen öffnete, sah er gerade noch, wie eine Maschine aus manifestierter Bosheit hinter den Ruinen eines Habitats hervorschnellte. Riesig, mit blassrosa, schwärendem Fleisch bedeckt mutete sie fast lebendig an. An ihren Seiten sah er riesige, doppelläufige Laserkanonen und er wusste, dass in ihrem Inneren die Geißel Diresas lauerte. Antoine umfasste sein Instrument fester und hoffte, dass niemand Panik bekam und aussetzte. Er hoffte, dass alle den Einschlag überstehen würden.
Eine der Laserkanonen richtete sich auf die Bühne aus und er sah wie in Zeitlupe, wie die Luft um den Lauf zu flimmern begann.
Im gleichen Moment, indem Licht ins Innere des Landraiders fiel, feuerte die Laserkanone. Doch der Schuss blieb ohne den erhofften Erfolg, denn kurz vor der Bühne traf der Strahl auf ein unsichtbares Hindernis in der Luft – einen Energieschirm. Der Schuss prallte harmlos daran ab und der nun ausgestiegene Lord Tribore brüllte seine Wut ein weiteres Mal hinaus, diesmal jedoch ohne Verheerungen. Denn die Musik der Bühne übertönte ihn, seine Stimme und die Sinfonie des Wahnsinns aus den Lautsprechern der Landraiders.
Sie verspotteten ihn. Sie wagten es, ihm zu trotzen und damit Slaanesh höchstpersönlich. Der Lord registrierte weder das Erscheinen des Konvois noch das Rattern der Transporterluken. Während die Marines ausstiegen, verließ ihn das letze bisschen Beherrschung und er stürmte der Bühne entgegen. Seine Leibgarde in den uralten taktischen Cybotrüstungen gab sich alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten, doch seine Wut ließ ihn schneller laufen als alle anderen. Hinter ihnen begannen die Predatoren und Havocs mit brutalem Beschuss in Richtung Bühne, der jedoch nur auf den flackernden Schirm hämmerte. Die schweren Salven würden den Schirm bald zusammenbrechen lassen. Die heiligen Töne von der Bühne ließen die degenerierten Menschen durchdrehen, so dass sie hinter ihrem Herrn zur Bühne stürmen.
Der Sturmangriff auf die Bühne war für Antoine der Moment, indem er auf das Pedal trat. Jetzt hieß es alles oder nichts. Früher hatte er mit dem Pedal einen Verzerrer hinzu geschaltet, jetzt aktivierte er unheilige Vorrichtungen. Während der Besatzung war es den Verteidigern gelungen, mehrere der Marines zu töten. Einige hatten seltsame Schallwaffen dabei gehabt und Antoine somit auf seine Idee gebracht. Unter der Bühne schaltete sich nun eine Vorrichtung zwischen Instrument und Lautsprecher. Aus mehreren dieser Schallwaffen gebaut verstärkte sie die Musik bis sie die Gewalt eines Orkans erhielt. In der Kanalisation hatte ein einzelnes Teil aus einer der Waffen Verheerungen angerichtet, die für Antoine immer noch unvorstellbar waren – jetzt war alles anders. Mit dem Treten des Pedals explodierten mehrere Boxen, da sie der Gewalt nicht standhalten konnten. Der Schirm fiel vom einen auf den anderen Moment aus, doch keiner der Schüsse traf die Bühne. Vor den Boxen flimmerte die Luft in einem unwirklichen Stakkato aus Licht und Bewegung, dann brach eine Druckwelle gigantischen Ausmaßes daraus hervor und raste der anstürmenden Horde entgegen. Energie und Projektile wurden von der schieren Gewalt der Welle zurückgeworfen und schnitten durch Panzerung und Haut gleichermaßen. Als die Welle auf gerüstete und ungerüstete Körper traf, unterschied sie nicht zwischen ihnen. Keine Servorüstung hielt der Gewalt stand, kein Körper blieb ganz. Als die Welle über den Konvoi hinweg gezogen war, offenbarte sich das Ausmaß der Zerstörung. Es hatten nur wenige Marines überlebt, keiner der Menschen hatte dieses Glück gehabt. Die Überlebenden rafften sich auf und wahren Übermenschen gleich, schüttelten sie die Treffer ab und schossen mit ihren Boltern auf die Bühne. Antoine und die anderen auf der Bühne waren von der Gewalt umgeworfen worden, obwohl sie nur einen winzigen Bruchteil der Gewalt gespürt hatten. Tar rappelte sich auf, wurde dann aber von einem Boltgeschoss getroffen und zerstob in einer Blutwolke. Antoine dachte an Flucht, verwarf den Gedanken aber wieder. Wohin sollte er fliehen? Außerdem war es noch nicht vorbei. Er kroch auf dem Bauch zu seinem Instrument, welches zerschmettert auf der Bühne lag. Auf dem Weg spuckte er mehrmals Blut – offenbar hatte er innere Verletzungen. Es kümmerte ihn nicht. Ob die Vorrichtung noch funktionierte? Egal, er brauchte sie nicht mehr. Jetzt musste er nur noch das zweite Pedal erreichen und hoffen, dass die Leitungen nicht gekappt worden waren. Mit letzter Kraft schleppte er sich nach vorne durch den Hagel an Boltgeschossen und hämmerte mit all seiner verbliebenen Kraft mit der Faust auf das Pedal.
Nichts geschah. Mit dem Wissen versagt zu haben, hauchte Antoine seinen letzten Atemzug aus.
Seine Hände durchbrachen die Schuttdecke und mit Mühe schaufelte er sich frei. Jegliche Musik hatte aufgehört, es war still bis auf gelegentliches Rumpeln der Schuttreste. Um ihn herum lagen die zerfetzten Körper seiner Garde und der jämmerlichen Menschen. Aber er lebte, die Menschen hatten versagt. Lord Triboche lachte. Slaanesh hatte ihn vor dem Ende bewahrt, das Chaos war unbesiegbar. Er war unbesiegbar.
Lord Triboche lachte immer noch, als die Sprengsätze in der Kanalisation verspätet zündeten und die Straße, die Bühne und die Ruinen in einem Kilometer Umkreis absacken ließen. Der gesamte Konvoi, alle Leichen und alle Überlebenden sackten in einen tieferen Teil der Makropole ab und begruben alles und jeden unter ihren Trümmern.
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