Ladies & Gentlemen: Der Chef
Zunächste stelle ich - noch wenig spektakulär - Bashrak den Blutigen, den Boss meiner Horde, vor. Er ist noch nicht bemalt, wir aber hoffentlich demnächst ein wenig Farbe abbekommen.
Rüdiger Krummholtz hatte schon öfter Siedlungen von Grünhäuten zu Gesicht bekommen, und sie alle hatten eines gemeinsam: Diesen fürchterlichen, scharfen, für menschliche (und viele andere) Nasen beinahe unerträglichen Gestank. Dieser Geruch gab sich nicht damit zufrieden, Ekel zu erregen. Nein, dieser Geruch griff die Nasenschleimhäute an und schien sich durch die Nebenhöhlen direkt ins Gehirn zu ätzen.
Dennoch war dieses Lager hier anders als alle, die Rüdiger bisher gesehen hatte. Für die Verhältnisse der barbarischen Grünhäute wirkte es außergewöhnlich stabil und organisiert errichtet. Eine gut drei Meter hohe Palisade verlief in einem weiten Ring um die Ansiedlung und schützte die Hütten und Gehege dahinter. Innerhalb dieses Ringes gab es noch einen weiteren Verteidigungsgürtel, bestehend aus einer hohen Holzmauer und kruden Wachtürmen, die zum Großteil aus grob behauenen, angespitzten Baumstämmen bestanden.
Angewidert und bemüht flach atmend, versuchte Rüdiger seinen Blick von abgeschlagenen Köpfen, Skalps und anderen grausigen Trophäen abzuwenden, die an den Türmen befestigt waren. Stattdessen konzentrierte er sich auf das wuselnde Treiben, das im gesamten äußeren Ring der Siedlung herrschte. Breitschultrige Orks lümmelten um zwischen den Hütten brennende Feuerstellen, schärften ihre Waffen oder brüllten einander an. Ein Stück abseits standen sich zwei Orks gegenüber und trugen einen krachenden Kopfnusswettbewerb aus, angefeuert von den kehligen Stimmen der umstehenden Grünhäute. Kleinere Goblins hetzten mit allerhand Material beladen scheinbar ziellos umher, Wölfe heulten, riesige Schweine grunzten und von weiter entfernt war das Hämmern einer primitiven Schmiede zu hören.
Krummholtz’ Knie wurden weicher, je näher er dem starken Holztor der Innenmauer kam, das einem zahnbewehrten Maul gleich auf ihn zu warten schien. Einer der hinter ihm gehenden Orkwächter verabreichte ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter, der ihn beinahe Nase voran zu Boden geschickt hätte.
„Tschuldigung.“, grunzte der Ork, zog Rüdiger wieder zu sich heran und stupste ihn weiter auf das Tor zu. Auf der Mauer postierte Wachen beäugten ihn gelangweilt oder mit mäßigem Interesse.
Hinter der Holzmauer befand sich ein kleiner Innenhof, der nicht mehr enthielt als eine lang gestreckte Hütte und ein Gehege, in dem zwei besonders wüst aussehende Wildschweine hausten. So freundlich, wie es ihnen möglich war, dirigierten seine grünhäutigen Begleiter Krummholtz durch die große Tür der Hütte.
Das Innere der Behausung war weitgehend schlicht eingerichtet und wurde von dem durch die wenigen Fensterschlitze hereinfallenden Tageslicht nur mäßig erhellt. Rüdiger sah zwei Feuerstellen, über denen Fleisch an primitiven Spießen briet und deren Rauch durch Löcher im Dach abzog. Schwerer Bratgeruch hing in der Luft und ihm wurde augenblicklich schlecht. Eines der Fleischstücke hatte ziemliche Ähnlichkeit mit einem menschlichen Torso.
Hastig zwang er sich, den Blick abzuwenden. Jetzt, da sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte er sehen, dass an den Wänden der Hütte eine Unzahl an Trophäen lehnte. Waffen, Schilde und Fahnen der verschiedensten Völker waren dort drapiert, von den dreieckigen, farbenfrohen Schilden bretonischer Ritter über schlanke Elfenspeere bis hin zu den Totems, unter denen Tiermenschen in die Schlacht zu ziehen pflegten.
Dann fiel Rüdiger Blick auf das Kopfende der Hütte, wo er den größten Ork entdeckte, den er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Das Ungetüm saß auf eine Art Holzthron gelümmelt, umgeben von Rüstungen, Waffen und Schilden, die er zweifellos anderen unglücklichen Kreaturen abgenommen hatte. Er trug den Pelz eines riesigen Wolfes um seine massigen Schultern, und sämtliche Teile seiner zusammen geschusterten Rüstung waren blutrot lackiert. Stechende, rote Augen funkelten Krummholtz an, der immer weiter auf den Ork zu getrieben wurde. Um den Thron herum stand noch eine Handvoll anderer Grünhäute, sämtlich Orks von beeindruckender Statur.
Unwillkürlich begann Rüdiger sich nach einem Fluchtweg umzusehen, doch von hier gab es kein Entkommen. Aber er hätte ohnehin nicht nach hause zurückkehren können, wenn er sich jetzt davon machte.
„Wer biste, und was willste?“, grollte der Ork auf dem Thron, als der Mensch von ihm zum Stehen kam.
„Ich bin Rüdiger Krummholtz, Gesandter des Fürsten von Bruchwald…“
„Bruchwald, kenn’ ich.“, unterbrach ihn der Ork und deutete auf einen verbeulten Schild zu seinen Füßen. Er trug dieselben Farben wie Rüdigers Uniform „War aber nur’n kurzes Treffen.“
Die Grünhaut lachte kehlig, und die Umstehenden fielen mit ein.
„Also, was willste?“
„Er hat gesagt, er is’ als Pol…Perl…Parle…zum verhandeln gekomm’n.“, sagte einer der Orks, die Rüdiger hergebracht hatten, und wedelte mit der weißen Fahne herum, die er bei sich gehabt hatte.
„So, verhandeln willste.“, gluckste der riesige Ork auf dem Thron belustigt. „Dann fang’ mal an.“
„Ich…äh…also der Fürst, er will…er will dich anheuern.“
Die Grünhaut zog ihre wulstigen Augenbrauen in die Höhe.
„Klar will er das. Aber wir arbeit’n schon für wen anders.“
Das wusste Rüdiger natürlich. Die Grenzgrafschaften, in denen auch das Fürstentum Bruchwald lag, waren eine wilde Region, die von ständigen Kriegen unter den vielen Herrschern heimgesucht war. Die meisten von ihnen hatten nicht ausreichend Einwohner, um einen größeren Krieg zu führen, und heuerten deshalb Söldner an, die die Messerarbeit erledigen sollten. Nicht alle dieser Söldner waren menschlich, und diese Orks hier gehörten zu den schlimmsten unter ihnen. Dummerweise arbeiteten sie im Augenblick für den Grafen Holscheidt, und der wiederum lag mit Rüdigers Herrn im Krieg.
„Ich weiß“, erwiderte er. „Aber wir würden dich besser bezahlen.“
Der Ork antwortete, ohne zu nachzudenken. Scheinbar hatte er sich über diese Möglichkeit schon seine eigenen Gedanken gemacht.
„Ich will Eis’n, für die Rüstungen und Waff’n meiner Jungs, und zwar nich’ weniger als vier Wagen. Und Fress’n, am best’n Kühe und Schweine. Aber nich’ die mickrig’n Viechers, sondern schön fette. Und Münz’n will ich auch, aber lass dir bloß nich’ einfall’n, eure wertlos’n glänzend’n Dinger einzupack’n. Gold und Silbermünz’n will ich, und zwar ne schöne Kiste voll.“
„Das ist ein unverschämter Preis, du verfluchte Grünhaut!“, fuhr Rüdiger auf und bereute seinen Ausbruch sofort, als sein Gegenüber ihm seine beeindruckenden Hauer zeigte.
„An deiner Stelle würd’ ich nich’ frech werd’n, Mensch. N’ paar von’nen Jungs hab’n schon länger nix mehr Richtiges gegess’n.“
Krummholtz hob die Hände und nickte. Mit Grünhäuten konnte man nicht wirklich verhandeln.
„In Ordnung, du sollst bekommen, was du willst. Werdet ihr dann für uns kämpfen?“
Der Ork lehnte sich nach vorne, was seinem Thron ein gequältes Knirschen entlockte, und grinste Rüdiger an. Sein fauliger Atem schlug dem Menschen ins Gesicht.
„Ich schwöre dir, dass wir kämpf’n wer’n.“, sagte die Kreatur und streckte eine Pranke aus, mit der er den Kopf des Anderen mühelos hätte zerquetschen können. „Bis zu unserem Tod…oder bis einer besser bezahlt.“
Einer der hinter ihm stehenden Orks versetzte Rüdiger einen Stoß zwischen die Schulterblätter.
„Schlag ein.“, knurrte er. „Sonst beleidigst du den Boss. Und den Boss darf man nich’ beleidig’n.“
Mit zitternden Fingern tat Krummholtz wie ihm geheißen, dann wurde er auch schon von einem der Wächter gepackt und in Richtung Ausgang gezerrt.
Orkhäuptling Bashrak der Blutige lehnte sich auf seinem Sitz zurück und starrte dem Menschen einige Sekunden hinterher. Dann winkte er einen der umstehenden Orks heran, ein muskelbepacktes Exemplar, das seinen roten Helm mit eindrucksvollen Hörnern dekoriert hatte.
„Buzzgnob, komm her.“
„Ja, Boss?“
„Wer is’ grad im Lager von’nen Menschens?“
„Äh…Vorgar, Boss.“
„Und hab’n die Menschens uns schon bezahlt?“
„Ne, Boss, hab’n se nich’.“
Ein diabolisches Grinsen stahl sich auf Bashraks Gesicht.
„Dann nimm Skinny und seine flohverseuchte Bande, und deine Jungs. Geh zum Lager von’nen Menschens, und wart’, bis se euch bezahlt hab’n. Dann macht ihr das Lager platt.“
Buzzgnob brauchte einen Moment, um den Plan seines Häuptlings zu begreifen, doch dann begann auch er zu feixen. Sich erst von seinem alten Auftraggeber bezahlen zu lassen, ihm anschließend in den Rücken zu fallen und dafür von seinem neuen Herrn zu kassieren, das war geradezu genial – zumindest für einen Ork. Ja, Bashrak war nicht umsonst der Boss.