Mein "Problem", wenn ich das so unverfänglich schreiben darf, ist, dass die Definition von "Kunst" im Vergleich zur Literatur (das scheint mir das beste Beispiel) einen Widerhaken enthält, der dazu führt, dass dauernd Debatten über den Seinsstatus gewisser Objekte ausgefochten werden: er ist durchgehend positiv konnotiert.
"Literatur" ist ziemlich
beliebig, das "geschriebene Wort" beinhaltet Lyrikbände und Novellen, kann von der Autobiographie Günter Jauchs bis hin zum umfassenden Romans Thomas Pynchons alles aufbewahren, was dann erst attributiv belegt wird. So schlecht ein Buch auch ist, es käme keiner auf die Idee, zu sagen: "Das ist keine Literatur!", sondern er riefe aus: "Das ist ein wertloses Stück Literatur!" oder ähnlich.
"Kunst" leitet sich sinnverwandt von der
sollertia ab, also der Kunst
fertigkeit. Der subjektive Erwartungsrahmen erlaubt es dem Betrachter, das
Beliebige von z.B. einem Heiligengemälde, das offensichtlich Kunstfertigkeit abverlangt, zu unterscheiden. "Kunst" ist nie ein wertfreier Begriff gewesen, wie es "Literatur" ist. Da es nun keinen allgemeingültigen Gradmesser für Kunstfertigkeit gibt, obliegt es zwingend den subjektiven Auffassungen von Kritikern oder Laien, mit sich selbst die Kunstfertigkeit und damit den Kunststatus zu vereinbaren, den ein Exponat offenbart.
Hier öffnet sich nun die Grube: der Literaturrezensent kann ein Buch zum Teufel wünschen, es des schlechtesten Stils und Inhalts zeihen, aber unmöglich das Anathema der Literatur selbst ausrufen. Dagegen scheint es wohl möglich, dass ein Kunstkritiker ein Exponat nicht nur als "schlechte Kunst" tadelt, sondern ihm das Existenzrecht selber abspricht und schließt, es gehöre nicht in diesen Kanon (wie es den Impressionisten anfangs ergangen ist - und bevor wir die Ignoranz der Zeitgenossen rügen, sollten wir uns bewusst machen, dass auch das legitim war, "Kunstchauvinismus" aus moderner Sicht heraus ist keine Errungenschaft).
Nun zum Loszierten der Kunst:
Wenn etwas in einem Museum oder in einer Ausstellung steht, wird es Kunst in den Augen der Menschen, weil erwartet wird, dass in einem Museum Kunst ausgestellt ist.
Wie gesagt, ich erwarte in einem Zoo auch Tiere, es mag aber sein, dass ich auf andere Lebensformen stoße. Musealität ist keine Durchlaufstür der künstlerischen Heiligsprechung. Erstbesucher eines Museums für moderne Kunst ohne theoretisches Vorwissen werden wohl auch nicht selten die Frage stellen, ob das denn überhaupt Kunst sei, was sie da sehen. Attributiv ist noch nichts entschieden. Und wie kann ich Kunst "als Kunst" betrachten? Heißt das, dass, wenn ich die chemische Verbindung der Farbzusammensetzung auf dem "Tod des Sokrates" von Jacques-Louis David untersuche, notwendigerweise keine Kunst betrachte, sondern solange ein lebloses Objekt, bis ich es anders betrachte? Und wie sieht es mit technischen Methodiken aus? Zählt der forschende Blick nach Fluchtpunkten, Lichtverhältnissen, Allegorien als kühle Methodologie oder als Kunstbetrachtung? Das erschließt sich mir nicht. Nach meinem Empfinden müssen substantielle (aristotelisch verstanden) ontische Zustände unabhängig vom Betrachter sein, eine Quantentheorie der Kunst ist mir suspekt.