Sirius atmete aus und konzentrierte sich. Sein Gewehr lag auf dem zu einem Wall aufgeschüttetem Erdreich seines Schützenloches auf, der durch die Kälte hart wie Beton geworden war, im Visier einen feindlichen Soldaten. Das Knistern der Energieentladung war zu hören, als Sirius seinen Finger zucken ließ. Der Gegner landete mit dem Gesicht voran auf dem eisigen Boden, mit einer klaffenden, in der Kälte dampfenden Wunde im Hinterkopf. Das Terrain um Sirius Stellung war mit den Leichen der Angreifer übersäht.
Sirius zog sein Gewehr zurück hinter den Erdwall und prüfte den Ladestatus seiner Energiezelle. Sie zeigte 18% der ursprünglichen Kapazität an. Seine Finger waren steifgefrohren und jede Bewegung schmerzte in den Knöcheln. Der ekelhaft, süßliche Geruch von frisch vergossenem Blut wallte über die Stellung hinweg, durchsetzt von dem beißendem Gestank brennendem Promethiums, das Flammenwerfer über das Schlachtfeld versprüht hatten. Er sammelte einige am Boden liegende Kiesel auf, die der Anzahl der von ihm getöteten Feinde entsprach und steckte sie zu der in den letzten Tagen zu beachtlicher größe angewachsenen Sammlung in seiner Brusttasche. Die Steine fühlten sich schwer an, doch Sirius fühlte sich dazu verpflichtet, sich in diesem Schlachthaus an die zu erinnern, deren Leben er genommen hatte. Ein letztes, wenn auch geringes Zugeständins an die Menschlichkeit, die an Orten wie diesen verblasste.
Jetzt erst prüfte Sirius, was von seinen eigenen Kameraden geblieben war. Der Mann neben ihm, ein langjähriger Freund, war tot. Er und Sirius hatten sich schon Schützenlöcher auf vielen Welten geteilt. Sie hatten zusammen getrunken und gelacht, und vor wenigen Monaten, worauf Sirius wenig stolz war, nach einer durchzechten Nacht sturzbetrunken die selbe Frau gevögelt.
Rückwärts kroch Sirius aus dem Loch hinaus, entlang der Vertiefungen die man nur schwerlich als Graben identifizieren konnte. Er suchte nach weiteren Überlebenden der letzten Angriffswelle, der sie sich entgegengestemmt hatten und letzten Endes auch abwehren konnten. Der kommandierende Offizier lag auf dem Boden des provisorischen Befehlsstandes, alle Viere von sich gestreckt, regungslos. Seine Wunden hatte bereits aufgehört in der Eiseskälte zu dampfen, ein gezielter Schuss hatte ihn bereits zu Beginn der Schlacht in der Brust getroffen. Neben ihm lag sein Adjutant, getötet bei dem Versuch, den Verblutenden hinter eine Barrikade zu zerren. Sirius wagte eine kniende Haltung einzunehmen. Auch wenn der aktuelle Angriff abgewehrt wurde musste er sich vor Scharfschützen und gelegentlich einfliegenden Granaten in acht nehmen.
Plötzlich hörte er eine Gurgeln, ganz in der Nähe. Er kroch, auf Händen und Knien, in Richtung eines nahegelegenen Schützenloches aus dessen Richtung er das Geräusch gehört hatte.
Dort traf Sirius drei Menschen an. Einer war tot, Blut strömte aus einer dem Erdboden zugewandten Wunde in eine gefrierende, rote Lache. Er trug als einziger die Uniform des Feindes. Der zweite, eine Soldatin lag offensichtlich im sterben, ein verzweifelter Kamerad, der durch seinen Helm als Angehöriger des Sanitätskorps ausgewiesen wurde, presste eine handvoll Kompressen auf die offen liegenden Gedärme der Verwundenten. Das Sanitätszeug schien aber eher in den tiefen Wunden zu versinken, als dass sie eine blutstillende Funktion erfüllten. Sirus legte seine Hand auf den Arm des Sanitäters, in der Hoffnung diesen zu beruhigen, doch der junge Soldat wandte seinen starren Blick nicht von der tiefen Wunde im Körper der tödlich verwundeten Frau ab. Sirius flüsterte:
"Kamerad. Es ist vorbei. Lass sie gehen."
Der Sanitäter schluchzte, Tränen rannen ihm die Wangen hinab.
"Aber... aber... ich kann doch nicht..."
Sirius wollte etwas sagen, der größer werdende Kloß in seinem Hals verhinderte dies jedoch.
Mit zitternden Händen zog er seinen Dolch aus der Lederscheide und rammte ihn der verwundeten Kammeradin ins Herz. Ihre Augen verklärten sich während sie einen Punkt im Nirgendwo fixierten.
Schließlich verschwand der Schmerz von ihren Gesichtszügen und die Frau war tot.
Der Sanitäter ließ ab von ihr und ließ sich auf den Rücken fallen. Er presste sich die Hände auf den Mund und brüllte hinein. Sirius überlegte, ober er für die eigenen Leute ebenfalls eine Kieselsteinsammlung anlegen sollte, ließ dann jedoch ab von dem Gedanken.
Der Wind pfiff über die verwüstete Stellung hinweg und brachte die ersten Krähen und Raben mit sich, die fetter und fetter wurden seit der Krieg begann. Sirius fragte sich warum es ihnen hier nicht zu kalt war. Ein Vogel landete auf einem der zerfledderten, blattlosen Büsche und krächzte. Sirius hätte schwören können, in den Augen des Vogels eine unstillbare Gier zu erkennen, die das maßlose Angebot an Nahrung ausgelöst hatte. Reichte das kalte Fleisch der Toten den frisch gewachsenen Ansprüchen der Aasfresser nicht mehr aus? Spielte der Vogel mit dem Gedanken, auf die am Boden kauernden herabzustoßen und ihnen die Augen auszupicken, um sie nachher mit seinen Artgenossen zu verspeißen? Sirius hatte schon immer mehr Fantasie als es für einen Soldaten gut war.
"Ich dachte immer es sei anders." Der Sanitäter hatte seine Sprache wieder gefunden.
Sirius erwiederte:
"Schäm dich nicht. Nichts kann einen auf das hier vorbereiten, auch wenn viele das anders sehen."
Die beiden Männer schwiegen, während ihr Atem vor ihren Gesichtern zu Eis gefror und in feinen Flöckchen zu Boden rieselte. Schließlich meldete sich Sirius erneut zu Wort.
"Wir müssen weg hier. Es wird nicht lange dauern bis sie wieder anrücken. Ich hab auf den Weg hierher nur Tote gesehen und ich war auf der ganz anderen Seite eingesetzt. Hast du ein Fernglas?"
Der Sanitäter deutete auf die eben verstorbene Kameradin, unter deren zerfetztem Mantel eines hervorblitzte. Sirius nahm es an sich und kroch mit dem jungen Mann zurück zum zerstörten Befehlsstand. Dies war der einzigste Standort, von dem aus man eine uneingeschränkte Sicht auf das Gelände hatte. Auf dem Weg dorthin fragte er:
"Wie heißt du eigentlich, Junge?"
"Danilius Fawke, Sanitätskorps, 3. Kohorte."
In Sirius Kopf klickte es.
"Fawke? Dan Fawke? Der durchtriebene Dan?"
"Derselbe."
Trotz der misslichen Lage, in der sich die Beiden befanden, konnte sich Sirius ein herzliches Lachen nicht verkneifen. Dan hatte sich in den Monaten nach seiner Zuteilung vom Ausbildungsregiment zur regulären Truppe einen Namen im gesamten Batallion gemacht. Er soll es gewesen sein, der dem stellvertretenden Kommandeur eine mit Haluzinogenen versetzte Infusion angelegt haben soll, worauf hin dieser im Patientenkittel bei der Offizierskonferenz erschien. Zuerst begrüßte die Anwesenden auf die Weise, wie es der Feind zu tun pflegte. Anschließend forderte er wohl seine Kameradinnen dazu auf, sich vollständig zu entblößen und ging dabei mit gutem Beispiel voran. Die Offiziere, weiblich wie männlich, sollen nicht nur über dieses Verhalten aufgebracht, sondern auch über die geringe Größe des majorschen Gemächtes amüsiert gewesen sein, das sich ihnen trotzig entgegenstreckte. Der Major war ausser sich vor Zorn, als er am nächsten Morgen an ein Bett gefesselt in der Sanitätsstation erwachte und sogleich nach dem zuständigen Mediziner verlangte. Dan konnte sich aber aus der Situation winden, indem er dem Major glaubhaft mache, der für die Versorgung des Lazaretts zuständige Sergeant hätte die Infusionen falsch etikettiert. Dieser bei der Truppe wegen seines Jähzorns und der Neigung zu unbarmherziger und unnötiger Bestrafung verachtete Mann, wurde letzten Endes strafversetzt und durfte nun irgendwo anders einen undankbaren Dienst verrichten. Wieviel von dieser Geschichte wahr und welcher Teil hinzugedichtet wurde lässt sich wie immer schwer sagen, doch in den Offiziersrängen herrschte seither betretenes Schweigen über diesen Vorfall, während Dan bei der Truppe wie ein Held gefeiert wurde.
"Der durchtriebene Dan, wer hätte das Gedacht. Ich bin übrigens Sirius." Er drehte sich mühsam um und streckte Dan seine Hand hin. Dieser ergriff sie mit einem schwachen Lächeln.
"Freut mich Sirius." Sirius viel auf wie blass Dan war. Der Kampf schien ihm seinen berühmten schwarzen Humor weitestgehend ausgetrieben zu haben.
Im Befehlsstand angekommen, oder zumindest in dem was davon übrig geblieben war, lugte Sirius mit seinem Fernglas über die Barrikade hinaus.
"Da rührt sich nichts."
Die feindlichen Stellungen waren erheblich besser ausgebaut und ragten in einiger Entfernung aus der verschneiten Tundra.
"Wir haben Glück, die lecken sich wohl noch die Wunden. Ich glaub nicht, dass sie sich schon wieder sammeln." Er betrachtete die Berge toter Menschen.
"Kaum zu glauben, dass wir beide überlebt haben."
Sirius brummte zustimmend. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen.
Ihre Position war etwas vorgeschoben, da der Kampf mit einem Angriff ihrerseits begonnen hatte, und Sirius Truppe die Spitze des Keils bilden sollte. Doch der Feind war zu tief eingegraben, zu groß war seine Zahl und so gruben sich Sirius und seine Kameraden ebenfalls ein. Vier Tage war das her.
Sein Blick blieb auf der benachbarten Stellung ruhen. Etwa zweihundert Meter, vielleicht auch etwas weiter entfernt, wehte darüber noch immer das fürstliche Banner. Rege Betriebsamkeit herrschte dort, Sirius sah Schaufelblätter durch die Luft sausen, die das harte Erdreich aushoben und als Barriere vor den Löchern aufschütteten. Der feindliche Angriff hatte diese Glücklichen bei weitem nicht so hart getroffen wie Sirius und Dans Truppe.
"Dan, nimm das Fernglas, aber pass auf dass du nicht gesehen wirst. Siehst du das Banner? Das Lager dort drüben gehört noch zu uns."
Sirius sah angestrengt über das Schlachtfeld.
"Ja ich sehs. Meinst du wir schaffen das?"
Sirius zögerte einen Moment.
"Wir müssen. Wir können zu zweit keinem Angriff standhalten, das wäre unser sicherer Tod. Wir laufen rüber und melden, dass diese Position hier verloren ist."
"Laufen? Wir kommen keine zehn Meter weit! Die knallen uns ab!"
Sirius dachte nach.
"Die haben auch gerade erst schwere Verluste erlitten. Wir müssen darauf hoffen, dass noch nicht alle Schützen hinter ihren Scharten sitzen. Bist du dabei?"
"Bleibt mir was anderes übrig?"
Dan und Sirius gingen wieder auf alle Viere und krochen durch den Graben, an Leichen und zerstörter Ausrüstung vorbei. Als sie den äussersten Rand ihres Grabensystems erreicht hatten hielten sie inne und beobachteten. Es hatte leicht zu schneien begonnen und die Schneeflocken schmolzen schnell auf Sirius durch die Aufregung gerötetem Gesicht.
"Alles klar bei dir Dan?"
"Alles klar. Bringen wirs hinter uns." Brachte er hervor.
Gerade wollte Sirius aufspringen, hielt aber doch noch einen Moment inne.
"Dan?"
"Ja?"
"Wie schwer muss man eigentlich Verwundet werden um die Front verlassen zu dürfen?"
"Wenn du es schaffst lebend drüben anzukommen hast du gute Chancen es herauszufinden."
"Und sind die Schwestern in den Hospitälern wirklich so scharf wie man sagt?"
"Nein Sirius. Sie sind heißer als du dir überhaupt vorstellen kannst." antwortete Dan, mit einem gut gemeinten Lächeln auf den Lippen.
Sirius atmete tief durch, sein Herz pochte wie wild.
"Gut."
Dann sprang er auf und rannte los.
Die Stiefel der beiden Männer knirschten laut auf der schneebedeckten Fläche. Bei der Kälte strengte die plötzliche Bewegung zusätzlich an und die eisige Luft schnitt schmerzend in ihre Lungen. Sirius Atem ging schon nach zehn oder zwanzig Schritten keuchend, während er im Lauf den Schnee zu seinen Füßen aufwirbelte. Weiße, dicke Flocken wehten ihm in die Augen was ihn blinzeln ließ und die Sicht erschwerte.
Etwa ein Viertel der Strecke hatten die beiden bereits zurückgelegt. Dan erwies sich als schnellerer Spurter als Sirius und überholte ihn, die kalte Luft machte seiner Kondition aber ebenfalls zu schaffen. Ihr Ziel, die befreundete Stellung, war nun schon sichtlich näher gerückt. Bisher schien niemand die beiden einsamen Gestalten bemerkt zu haben und in Sirius keimte Hoffnung auf. Der Wind, der gnadenlos über die Ebene peitschte, dröhnte in Sirius Ohren und stach ihm in die Haut.
Plötzlich fraß sich ein Strahl aus rot leuchtendem Licht direkt vor Dan in Boden, ließ den Schnee augenblicklich verdampfen und schleuderte Erdreich und Asche in die Höhe. Der Feind hatte die Flüchtenden bemerkt und das Feuer eröffnet. Sie hatten nun etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die erwachende Gefahr mobilisierte in Sirius zusätzliche Kräfte und er machte schnell Boden gut. Das Feuer auf Dan und ihn verstärkte sich, noch war es unkoordiniert und verfehlte sein Ziel, doch die Schützen schienen sich schnell einzuschießen. Die Kameraden in der vorausliegenden Stellung erkannten die Situation und feuerten ihrerseits in Richtung der feindlichen Barrikaden, ohne Hoffnung auf diese Entfernung entscheidende Treffer landen zu können.
Die schneidende Kälte war spätestens vergessen, als ein schwerer Bolter in das Geschehen eingriff und mit schwerem, explosivem Kaliber den Boden um Sirius und Dan umpflügte. Ein Laserstrahl durchbohrte Dans Schulter und eine rote Wolke brach aus ihr hervor, doch er wurde nicht langsamer. Völlig in Panik flüchtete er weiter und Sirius war sich nicht einmal sicher, ob er den Treffer überhaupt bemerkte.
Die Stellung war nun beinahe erreicht, nur wenige Meter trennten sie von Händen, die sich ihnen aus dem Schutz der Erdwälle entgegenstreckten. Die Männer waren am Ende ihrer Kräfte doch der drohende Tod ließ sie weitersprinten. Dan erreichte den Graben, er wurde an der Uniform gepackt und in Deckung gezerrt. Jubel brandete auf. Sirius war hinter Dan zurückgeblieben und musste die letzten Schritte noch hinter sich bringen. Er sah die Hände die sich ihm entgegentstreckten, hörte die Soldaten schreien. Eine Stimme kam ihm bekannt vor, sie schrie:
"Sirius! Lauf! Lauf! Du schaffst es!"
Doch Sirius war nicht mehr in der Lage klar zu denken, er konnte die Stimme nicht zuordnen. Fünf Sätze trennten ihn noch von der Rettung, der schwere Bolter streute sein Feuer über die Gräben und beharkte die Deckung suchenden Männer, die sich zu weit aus der Stellung gewagt hatten. Ein Schuss bohrte sich in Sirius Oberschenkel und brannte sich bis zum Knochen durch. Er ignorierte den Schmerz und lief. Noch ein weiteres Mal trug das Bein das Gewicht des Mannes bis er einknickte. Er stützte sich auf das Knie, das seine Funktion noch nicht verweigert hatte und ein Kamerad streckte sich ihm entgegen. Er wurde in dem selben Moment am Gürtel gepackt, als ihn ein Laserstrahl unter dem linken Schulterblatt traf. Der Schuss bohrte sich durch beide Lungenflügel und trat rechts vorne aus Sirius Brust wieder aus. Durch die zerfetzte Uniform spritze dem Retter ein Sprühregen aus warmem Blut und dutzenden Kieseln aus Sirius Tasche entgegen. Der Jubel verebbte so jäh, wie er aufgekeimt war.
Die Schützin legte eine neue Energiezelle ein, lud durch und blickte wieder durch das Visier. Sie hatte getroffen. Ein Lächeln glitt ihr über die Lippen, bis sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie gehörte zu einem in Ledermantel gekleideten Mann.
"Berichten Sie, Soldat."
"Ich habe sie erwischt, äh einen, also ich meine es waren zwei. Entschuldigen Sie bitte. Zwei der Rebellen haben versucht von Position 13A zu Position 12C zu verlegen. Einen habe ich getroffen, der andere hat sein Ziel erreicht."
Der Mann in dem schwarzen Ledermantel blickte ungnädig auf die Soldatin hinab.
"Nur einen?"
Die Frau blickte zu Boden, und antwortete:
"Jawohl. Sie waren schnell, bewegten sich seitwärts zu u..."
Die Hand auf ihrer Schulter drückte so fest zu, dass sie vor Schmerz keuchte. Dann ließ der Mann ab von ihr und ließ seinen Blick in die Runde der anwesenden Soldaten schweifen, welchen das Unbehagen über die Anwesenheit des Mannes ins Gesicht geschrieben stand.
Er zögerte kurz. Schließlich sprach er:
"Gut gemacht Männer. Lasst die Schweine bluten. Für den Imperator!"
Die Antwort erschallte einstimmig:
"Jawohl Herr Komissar! Für den Imperator!"
Sirius zog sein Gewehr zurück hinter den Erdwall und prüfte den Ladestatus seiner Energiezelle. Sie zeigte 18% der ursprünglichen Kapazität an. Seine Finger waren steifgefrohren und jede Bewegung schmerzte in den Knöcheln. Der ekelhaft, süßliche Geruch von frisch vergossenem Blut wallte über die Stellung hinweg, durchsetzt von dem beißendem Gestank brennendem Promethiums, das Flammenwerfer über das Schlachtfeld versprüht hatten. Er sammelte einige am Boden liegende Kiesel auf, die der Anzahl der von ihm getöteten Feinde entsprach und steckte sie zu der in den letzten Tagen zu beachtlicher größe angewachsenen Sammlung in seiner Brusttasche. Die Steine fühlten sich schwer an, doch Sirius fühlte sich dazu verpflichtet, sich in diesem Schlachthaus an die zu erinnern, deren Leben er genommen hatte. Ein letztes, wenn auch geringes Zugeständins an die Menschlichkeit, die an Orten wie diesen verblasste.
Jetzt erst prüfte Sirius, was von seinen eigenen Kameraden geblieben war. Der Mann neben ihm, ein langjähriger Freund, war tot. Er und Sirius hatten sich schon Schützenlöcher auf vielen Welten geteilt. Sie hatten zusammen getrunken und gelacht, und vor wenigen Monaten, worauf Sirius wenig stolz war, nach einer durchzechten Nacht sturzbetrunken die selbe Frau gevögelt.
Rückwärts kroch Sirius aus dem Loch hinaus, entlang der Vertiefungen die man nur schwerlich als Graben identifizieren konnte. Er suchte nach weiteren Überlebenden der letzten Angriffswelle, der sie sich entgegengestemmt hatten und letzten Endes auch abwehren konnten. Der kommandierende Offizier lag auf dem Boden des provisorischen Befehlsstandes, alle Viere von sich gestreckt, regungslos. Seine Wunden hatte bereits aufgehört in der Eiseskälte zu dampfen, ein gezielter Schuss hatte ihn bereits zu Beginn der Schlacht in der Brust getroffen. Neben ihm lag sein Adjutant, getötet bei dem Versuch, den Verblutenden hinter eine Barrikade zu zerren. Sirius wagte eine kniende Haltung einzunehmen. Auch wenn der aktuelle Angriff abgewehrt wurde musste er sich vor Scharfschützen und gelegentlich einfliegenden Granaten in acht nehmen.
Plötzlich hörte er eine Gurgeln, ganz in der Nähe. Er kroch, auf Händen und Knien, in Richtung eines nahegelegenen Schützenloches aus dessen Richtung er das Geräusch gehört hatte.
Dort traf Sirius drei Menschen an. Einer war tot, Blut strömte aus einer dem Erdboden zugewandten Wunde in eine gefrierende, rote Lache. Er trug als einziger die Uniform des Feindes. Der zweite, eine Soldatin lag offensichtlich im sterben, ein verzweifelter Kamerad, der durch seinen Helm als Angehöriger des Sanitätskorps ausgewiesen wurde, presste eine handvoll Kompressen auf die offen liegenden Gedärme der Verwundenten. Das Sanitätszeug schien aber eher in den tiefen Wunden zu versinken, als dass sie eine blutstillende Funktion erfüllten. Sirus legte seine Hand auf den Arm des Sanitäters, in der Hoffnung diesen zu beruhigen, doch der junge Soldat wandte seinen starren Blick nicht von der tiefen Wunde im Körper der tödlich verwundeten Frau ab. Sirius flüsterte:
"Kamerad. Es ist vorbei. Lass sie gehen."
Der Sanitäter schluchzte, Tränen rannen ihm die Wangen hinab.
"Aber... aber... ich kann doch nicht..."
Sirius wollte etwas sagen, der größer werdende Kloß in seinem Hals verhinderte dies jedoch.
Mit zitternden Händen zog er seinen Dolch aus der Lederscheide und rammte ihn der verwundeten Kammeradin ins Herz. Ihre Augen verklärten sich während sie einen Punkt im Nirgendwo fixierten.
Schließlich verschwand der Schmerz von ihren Gesichtszügen und die Frau war tot.
Der Sanitäter ließ ab von ihr und ließ sich auf den Rücken fallen. Er presste sich die Hände auf den Mund und brüllte hinein. Sirius überlegte, ober er für die eigenen Leute ebenfalls eine Kieselsteinsammlung anlegen sollte, ließ dann jedoch ab von dem Gedanken.
Der Wind pfiff über die verwüstete Stellung hinweg und brachte die ersten Krähen und Raben mit sich, die fetter und fetter wurden seit der Krieg begann. Sirius fragte sich warum es ihnen hier nicht zu kalt war. Ein Vogel landete auf einem der zerfledderten, blattlosen Büsche und krächzte. Sirius hätte schwören können, in den Augen des Vogels eine unstillbare Gier zu erkennen, die das maßlose Angebot an Nahrung ausgelöst hatte. Reichte das kalte Fleisch der Toten den frisch gewachsenen Ansprüchen der Aasfresser nicht mehr aus? Spielte der Vogel mit dem Gedanken, auf die am Boden kauernden herabzustoßen und ihnen die Augen auszupicken, um sie nachher mit seinen Artgenossen zu verspeißen? Sirius hatte schon immer mehr Fantasie als es für einen Soldaten gut war.
"Ich dachte immer es sei anders." Der Sanitäter hatte seine Sprache wieder gefunden.
Sirius erwiederte:
"Schäm dich nicht. Nichts kann einen auf das hier vorbereiten, auch wenn viele das anders sehen."
Die beiden Männer schwiegen, während ihr Atem vor ihren Gesichtern zu Eis gefror und in feinen Flöckchen zu Boden rieselte. Schließlich meldete sich Sirius erneut zu Wort.
"Wir müssen weg hier. Es wird nicht lange dauern bis sie wieder anrücken. Ich hab auf den Weg hierher nur Tote gesehen und ich war auf der ganz anderen Seite eingesetzt. Hast du ein Fernglas?"
Der Sanitäter deutete auf die eben verstorbene Kameradin, unter deren zerfetztem Mantel eines hervorblitzte. Sirius nahm es an sich und kroch mit dem jungen Mann zurück zum zerstörten Befehlsstand. Dies war der einzigste Standort, von dem aus man eine uneingeschränkte Sicht auf das Gelände hatte. Auf dem Weg dorthin fragte er:
"Wie heißt du eigentlich, Junge?"
"Danilius Fawke, Sanitätskorps, 3. Kohorte."
In Sirius Kopf klickte es.
"Fawke? Dan Fawke? Der durchtriebene Dan?"
"Derselbe."
Trotz der misslichen Lage, in der sich die Beiden befanden, konnte sich Sirius ein herzliches Lachen nicht verkneifen. Dan hatte sich in den Monaten nach seiner Zuteilung vom Ausbildungsregiment zur regulären Truppe einen Namen im gesamten Batallion gemacht. Er soll es gewesen sein, der dem stellvertretenden Kommandeur eine mit Haluzinogenen versetzte Infusion angelegt haben soll, worauf hin dieser im Patientenkittel bei der Offizierskonferenz erschien. Zuerst begrüßte die Anwesenden auf die Weise, wie es der Feind zu tun pflegte. Anschließend forderte er wohl seine Kameradinnen dazu auf, sich vollständig zu entblößen und ging dabei mit gutem Beispiel voran. Die Offiziere, weiblich wie männlich, sollen nicht nur über dieses Verhalten aufgebracht, sondern auch über die geringe Größe des majorschen Gemächtes amüsiert gewesen sein, das sich ihnen trotzig entgegenstreckte. Der Major war ausser sich vor Zorn, als er am nächsten Morgen an ein Bett gefesselt in der Sanitätsstation erwachte und sogleich nach dem zuständigen Mediziner verlangte. Dan konnte sich aber aus der Situation winden, indem er dem Major glaubhaft mache, der für die Versorgung des Lazaretts zuständige Sergeant hätte die Infusionen falsch etikettiert. Dieser bei der Truppe wegen seines Jähzorns und der Neigung zu unbarmherziger und unnötiger Bestrafung verachtete Mann, wurde letzten Endes strafversetzt und durfte nun irgendwo anders einen undankbaren Dienst verrichten. Wieviel von dieser Geschichte wahr und welcher Teil hinzugedichtet wurde lässt sich wie immer schwer sagen, doch in den Offiziersrängen herrschte seither betretenes Schweigen über diesen Vorfall, während Dan bei der Truppe wie ein Held gefeiert wurde.
"Der durchtriebene Dan, wer hätte das Gedacht. Ich bin übrigens Sirius." Er drehte sich mühsam um und streckte Dan seine Hand hin. Dieser ergriff sie mit einem schwachen Lächeln.
"Freut mich Sirius." Sirius viel auf wie blass Dan war. Der Kampf schien ihm seinen berühmten schwarzen Humor weitestgehend ausgetrieben zu haben.
Im Befehlsstand angekommen, oder zumindest in dem was davon übrig geblieben war, lugte Sirius mit seinem Fernglas über die Barrikade hinaus.
"Da rührt sich nichts."
Die feindlichen Stellungen waren erheblich besser ausgebaut und ragten in einiger Entfernung aus der verschneiten Tundra.
"Wir haben Glück, die lecken sich wohl noch die Wunden. Ich glaub nicht, dass sie sich schon wieder sammeln." Er betrachtete die Berge toter Menschen.
"Kaum zu glauben, dass wir beide überlebt haben."
Sirius brummte zustimmend. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen.
Ihre Position war etwas vorgeschoben, da der Kampf mit einem Angriff ihrerseits begonnen hatte, und Sirius Truppe die Spitze des Keils bilden sollte. Doch der Feind war zu tief eingegraben, zu groß war seine Zahl und so gruben sich Sirius und seine Kameraden ebenfalls ein. Vier Tage war das her.
Sein Blick blieb auf der benachbarten Stellung ruhen. Etwa zweihundert Meter, vielleicht auch etwas weiter entfernt, wehte darüber noch immer das fürstliche Banner. Rege Betriebsamkeit herrschte dort, Sirius sah Schaufelblätter durch die Luft sausen, die das harte Erdreich aushoben und als Barriere vor den Löchern aufschütteten. Der feindliche Angriff hatte diese Glücklichen bei weitem nicht so hart getroffen wie Sirius und Dans Truppe.
"Dan, nimm das Fernglas, aber pass auf dass du nicht gesehen wirst. Siehst du das Banner? Das Lager dort drüben gehört noch zu uns."
Sirius sah angestrengt über das Schlachtfeld.
"Ja ich sehs. Meinst du wir schaffen das?"
Sirius zögerte einen Moment.
"Wir müssen. Wir können zu zweit keinem Angriff standhalten, das wäre unser sicherer Tod. Wir laufen rüber und melden, dass diese Position hier verloren ist."
"Laufen? Wir kommen keine zehn Meter weit! Die knallen uns ab!"
Sirius dachte nach.
"Die haben auch gerade erst schwere Verluste erlitten. Wir müssen darauf hoffen, dass noch nicht alle Schützen hinter ihren Scharten sitzen. Bist du dabei?"
"Bleibt mir was anderes übrig?"
Dan und Sirius gingen wieder auf alle Viere und krochen durch den Graben, an Leichen und zerstörter Ausrüstung vorbei. Als sie den äussersten Rand ihres Grabensystems erreicht hatten hielten sie inne und beobachteten. Es hatte leicht zu schneien begonnen und die Schneeflocken schmolzen schnell auf Sirius durch die Aufregung gerötetem Gesicht.
"Alles klar bei dir Dan?"
"Alles klar. Bringen wirs hinter uns." Brachte er hervor.
Gerade wollte Sirius aufspringen, hielt aber doch noch einen Moment inne.
"Dan?"
"Ja?"
"Wie schwer muss man eigentlich Verwundet werden um die Front verlassen zu dürfen?"
"Wenn du es schaffst lebend drüben anzukommen hast du gute Chancen es herauszufinden."
"Und sind die Schwestern in den Hospitälern wirklich so scharf wie man sagt?"
"Nein Sirius. Sie sind heißer als du dir überhaupt vorstellen kannst." antwortete Dan, mit einem gut gemeinten Lächeln auf den Lippen.
Sirius atmete tief durch, sein Herz pochte wie wild.
"Gut."
Dann sprang er auf und rannte los.
Die Stiefel der beiden Männer knirschten laut auf der schneebedeckten Fläche. Bei der Kälte strengte die plötzliche Bewegung zusätzlich an und die eisige Luft schnitt schmerzend in ihre Lungen. Sirius Atem ging schon nach zehn oder zwanzig Schritten keuchend, während er im Lauf den Schnee zu seinen Füßen aufwirbelte. Weiße, dicke Flocken wehten ihm in die Augen was ihn blinzeln ließ und die Sicht erschwerte.
Etwa ein Viertel der Strecke hatten die beiden bereits zurückgelegt. Dan erwies sich als schnellerer Spurter als Sirius und überholte ihn, die kalte Luft machte seiner Kondition aber ebenfalls zu schaffen. Ihr Ziel, die befreundete Stellung, war nun schon sichtlich näher gerückt. Bisher schien niemand die beiden einsamen Gestalten bemerkt zu haben und in Sirius keimte Hoffnung auf. Der Wind, der gnadenlos über die Ebene peitschte, dröhnte in Sirius Ohren und stach ihm in die Haut.
Plötzlich fraß sich ein Strahl aus rot leuchtendem Licht direkt vor Dan in Boden, ließ den Schnee augenblicklich verdampfen und schleuderte Erdreich und Asche in die Höhe. Der Feind hatte die Flüchtenden bemerkt und das Feuer eröffnet. Sie hatten nun etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die erwachende Gefahr mobilisierte in Sirius zusätzliche Kräfte und er machte schnell Boden gut. Das Feuer auf Dan und ihn verstärkte sich, noch war es unkoordiniert und verfehlte sein Ziel, doch die Schützen schienen sich schnell einzuschießen. Die Kameraden in der vorausliegenden Stellung erkannten die Situation und feuerten ihrerseits in Richtung der feindlichen Barrikaden, ohne Hoffnung auf diese Entfernung entscheidende Treffer landen zu können.
Die schneidende Kälte war spätestens vergessen, als ein schwerer Bolter in das Geschehen eingriff und mit schwerem, explosivem Kaliber den Boden um Sirius und Dan umpflügte. Ein Laserstrahl durchbohrte Dans Schulter und eine rote Wolke brach aus ihr hervor, doch er wurde nicht langsamer. Völlig in Panik flüchtete er weiter und Sirius war sich nicht einmal sicher, ob er den Treffer überhaupt bemerkte.
Die Stellung war nun beinahe erreicht, nur wenige Meter trennten sie von Händen, die sich ihnen aus dem Schutz der Erdwälle entgegenstreckten. Die Männer waren am Ende ihrer Kräfte doch der drohende Tod ließ sie weitersprinten. Dan erreichte den Graben, er wurde an der Uniform gepackt und in Deckung gezerrt. Jubel brandete auf. Sirius war hinter Dan zurückgeblieben und musste die letzten Schritte noch hinter sich bringen. Er sah die Hände die sich ihm entgegentstreckten, hörte die Soldaten schreien. Eine Stimme kam ihm bekannt vor, sie schrie:
"Sirius! Lauf! Lauf! Du schaffst es!"
Doch Sirius war nicht mehr in der Lage klar zu denken, er konnte die Stimme nicht zuordnen. Fünf Sätze trennten ihn noch von der Rettung, der schwere Bolter streute sein Feuer über die Gräben und beharkte die Deckung suchenden Männer, die sich zu weit aus der Stellung gewagt hatten. Ein Schuss bohrte sich in Sirius Oberschenkel und brannte sich bis zum Knochen durch. Er ignorierte den Schmerz und lief. Noch ein weiteres Mal trug das Bein das Gewicht des Mannes bis er einknickte. Er stützte sich auf das Knie, das seine Funktion noch nicht verweigert hatte und ein Kamerad streckte sich ihm entgegen. Er wurde in dem selben Moment am Gürtel gepackt, als ihn ein Laserstrahl unter dem linken Schulterblatt traf. Der Schuss bohrte sich durch beide Lungenflügel und trat rechts vorne aus Sirius Brust wieder aus. Durch die zerfetzte Uniform spritze dem Retter ein Sprühregen aus warmem Blut und dutzenden Kieseln aus Sirius Tasche entgegen. Der Jubel verebbte so jäh, wie er aufgekeimt war.
Die Schützin legte eine neue Energiezelle ein, lud durch und blickte wieder durch das Visier. Sie hatte getroffen. Ein Lächeln glitt ihr über die Lippen, bis sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie gehörte zu einem in Ledermantel gekleideten Mann.
"Berichten Sie, Soldat."
"Ich habe sie erwischt, äh einen, also ich meine es waren zwei. Entschuldigen Sie bitte. Zwei der Rebellen haben versucht von Position 13A zu Position 12C zu verlegen. Einen habe ich getroffen, der andere hat sein Ziel erreicht."
Der Mann in dem schwarzen Ledermantel blickte ungnädig auf die Soldatin hinab.
"Nur einen?"
Die Frau blickte zu Boden, und antwortete:
"Jawohl. Sie waren schnell, bewegten sich seitwärts zu u..."
Die Hand auf ihrer Schulter drückte so fest zu, dass sie vor Schmerz keuchte. Dann ließ der Mann ab von ihr und ließ seinen Blick in die Runde der anwesenden Soldaten schweifen, welchen das Unbehagen über die Anwesenheit des Mannes ins Gesicht geschrieben stand.
Er zögerte kurz. Schließlich sprach er:
"Gut gemacht Männer. Lasst die Schweine bluten. Für den Imperator!"
Die Antwort erschallte einstimmig:
"Jawohl Herr Komissar! Für den Imperator!"