Fantasy Kurzgeschichten aus Epion

Akktok

Blisterschnorrer
20 März 2020
397
569
1.681
Hi.
Eins vorweg, hier handelt es sich nicht um ein Projekt zum Thema Warhammer, sondern um ein eigenständiges Projekt. Wenn solche Projekte nicht erwünscht sind, bitte ich es, dies zu entschuldigen.
Selbstverständlich werde ich es dann in Zukunft lassen und bereits erstellte umgehend löschen.

Zwei Projekte sind geplant. Also keine Sorge, es wird hier nicht zu einen Spam kommen.
1. Eine Kurzgeschichtensammlung aus meiner Fantasywelt Epion.
2. Einen Roman Namens Epion.

Wie der eine oder andere von euch vielleicht weiß, schreibe ich an meiner eigenen Fantasywelt Namens Epion. Ab Januar 2022 werde ich vorraussichtlich damit beginnen, in regelmäßigen Rhythmus (vermutlich einmal in der Woche) ihn hier zu posten.

Doch aufgrund einer Gruppenchallenge einer anderen Seite, habe ich den Entschluss gefasst hier in diesem Threed, meine Geschichten aus Epion hier zu posten.
Das heißt, hier werden in unregelmäßigen Abständen, neue Kurzgeschichten gepostet. (Unterschiedlicher länge)

Wie immer freue ich mich sehr über Feedback, und möchte mich bei allen bedanken, die sich die Zeit nehmen meine Geschichten zu lesen.

1. Erste Geschichte
Der erste Tote- Insgesamt 2 Kapitel
Scythia wurde auserwählt, um eine Akolythin zu werden. Eine Anwenderin der Nekromantie. Obwohl in ihr viel Macht schlummert, ist sie bereits neun Mal durch die letzte Prüfung gefallen. Sooft wie keiner vor ihr. Dies ist ihre letzte Chance. Verängstigt durch die zahlreichen Gerüchte, die schreckliche Konsequenzen prophezeien, wagt sich die junge Anwärterin erneut in die Kammer des Erschaffens, um sich ein letztes Mal der entscheidenden Prüfung zu stellen.
Wird ihr es dieses Mal gelingen oder wird sie die Erste sein, die den Zorn ihres Gottes zu spüren bekommen wird?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
  • Like
Reaktionen: Yardis

Akktok

Blisterschnorrer
20 März 2020
397
569
1.681
Der erste Tote

Eine Kurzgeschichte aus Epion
Kapitel 1/2
Scythias Herz raste immer schneller, als sie vor dem Eingang zur Kammer des Erschaffens stand. So schnell und heftig, dass sie befürchtete, dass es ihr die Brust zerreißen würde. Sie schloss ihre Augen und zwang ihr überdrehtes Herz mit der Hilfe uralter Atemübungen, die ihre Meister ihr im Laufe der Zeit gelehrt hatten, zu Ruhe. Es beruhigte sich ein wenig. Umso mehr rasten ihre Gedanken.

Zehn Jahre. Zehn lange Jahre, die letzten zehn Jahre ihres Lebens hatte sie auf diesen Moment hingearbeitet. Sie hatte gelernt, so viel gelernt. Doch all die Mühen, die Anstrengungen, all dies war beinahe vergebens, denn es war ihr zehnter Versuch und letzter Versuch. Sollte sie heute scheitern, wäre ihr Leben…?

Sie überlegte. Was wäre ihr Leben? Verwirkt? Würde sie den Platz derer auf der anderen Seite einnehmen? Scythia dachte angestrengt nach. Suchte in ihren Erinnerungen sowohl aus diesem als auch aus denen ihrer früheren Leben nach Antworten auf diese Frage.

Doch so sehr die junge Frau auch darüber nachdachte, es viel ihr nichts ein. Wäre sie vielleicht die Erste, die vollends scheiterte? Scythia wusste, dass es einige Akolythen gab, die auch mehrere Versuche benötigten, ehe Sie die Prüfung bestanden hatten. Darunter waren auch Mächtige Akolythen im Rang der siebenhundert Seelen und darüber, deren Namen in ganz Yami bekannt waren.

Aber so sehr sie sich auch bemühte, sich an einen zu erinnern, viel ihr doch kein einziger ein, der vollends gescheitert war.

Klar, es gab unzählige Gerüchte über solch unglückseligen. Die, die versagten, wurden Kami geopfert, als Testobjekte missbraucht, ihre Seelen zerschmettert, die Existenz vollständig ausgelöscht, den Zerfleischern als Rohmaterial übergeben. Dies waren nur einige der zahlreichen Gerüchte. Eins grausamer und schauriger als das andere.Vielleicht stimmte eins davon. Vielleicht aber auch keins. Oder es war eine Mischung aus allen, je nach Lust und Laune ihrer Meister?

Sie hatte Meister Yarn, einen freundlichen Akolythen im Rang der siebenhundert Seelen vom Orden des Saphirs, mal gefragt, als sie zum vierten Mal gescheitert war, was aus denen wurde, die vollständig versagten. Ihr Lehrmeister hatte sie mit seinem aschfahlen ausdruckslosen Gesicht einen Moment angestarrt. Dabei wurde das Glühen seiner saphirblauen Augen immer intensiver. Es war ein Zeichen, dass er verärgert war.

Scythia hatte sich darauf tief verbeugt und sich entschuldigt. Langsam war sie einige Schritte rückwärtsgegangen, ehe sie sich umgedreht hatte. Sie wollte gerade gehen, als sie die freundliche Stimme Meister Yarns hörte. „Sei unbesorgt junge Scythia. Du wirst nicht scheitern, ich glaube fest an dich.“ Sie hatte sich wieder zu ihm umgedreht. “Denn Kami hat dich auserwählt. Du erinnerst dich an deine früheren Leben. Somit kannst du gar nicht scheitern. Du wurdest geboren, um eine Akolythin zu werden. Es ist dein Schicksal, dein Privileg und deine Pflicht, Yami auf diese Weise zu dienen.“

Übers ganze Gesicht strahlend hatte sie sich abermals vor ihrem Meister verbeugt. „Ich werde euch nicht enttäuschen.“

Doch dieses Versprechen war nach fünf weiteren Versuchen noch immer nicht erfüllt. Doch dieses Mal würde es funktionieren, dieses Mal würde sie nicht scheiterten.

Dabei hatte sie großes Potenzial.

Scythia wurde im kleinen Königreich Psur geboren, das seit etwa zweihundert Jahren eine unbedeutende Provinz des Yamiatischen Großreichs war. Es war Yami freiwillig beigetreten, nach dem das Großreich es vor wilden, plündernden Nomadenstämme gerettet hatte, die das kleine Reich in regelmäßigen Abständen auf der Such nach Sklaven überfielen. Wie es üblich in Yami war, blieb die Autonomie Psur größtenteils gewahrt. Lediglich ihre Gottheiten, eine Anzahl kleiner Naturgötter, mussten den Herren der Götter Kami untergeordnet werden. Aber ansonsten musste das Königreich lediglich einen kleinen jährlichen Tribut zahlen. Dies konnte beliebig sein. Seltene Edelstein, Metalle, Nahrungserzeugnisse oder im Falle Psurs, das reich an seltenen Hölzern war, war sein Tribut Holz.

So überraschte es nicht, dass Scythia in einem kleinen Dorf, das von zahlreichen Wäldern umgeben war, geboren und bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr auch dort aufgewachsen war.

Ihre ersten Jahre verliefen für das blonde Mädchen mit den grünen Augen, für wie so viele andere Kinder in Psur auch, friedvoll. Dies änderte sich alles nach ihren zwölften Geburtstag.

Denn da begannen die Träume. Die anders als die Üblichen, die nach dem Erwachen langsam wie Morgennebel immer mehr zerfransten, bis schließlich nichts mehr von ihrer kurzweiligen Existenz kündete. Auch wenn Scythia noch ein Kind war, wusste sie noch alles ganz genau. Genauso wie sie sich auch heute, sechzehn Jahre später, noch genau daran erinnerte, genauso wie an jeden der unzähligen anderen Träume.

Zwar weiß sie heute, dass es keine Träume, sondern Erinnerungen aus ihrem beziehungsweise aus ihren vorherigen Leben waren, doch damals wusste weder sie noch ihre Eltern, um was es sich handelte.

Begeistert hatte Scythia ihren Eltern am Morgen von ihrem ersten Traum berichtet. Er war so herrlich. Sie sah ein kleines Fischerdorf am Meer, idyllisch und bezaubernd. Sie schien alles aus den Augen einer anderen Person zu haben. Es war eine Frau mit langen schwarzen Haaren, braunen Augen und einem hübschen, schmalen Gesicht. Alle im Dorf hatten die Frau, die auf den Namen Mara hörte, freundlich behandelt und angelächelt.

„Du hattest aber einen schönen Traum, mein Schatz“, hatte ihr Mutter am Frühstückstisch lächelnd gesagt.

Der Traum kam in der nächsten Nacht wieder. Sie sah zwar andere Bilder, doch es war wieder das Dorf am Meer, das Scythia aus der Sicht Maras sah.

Und in der nächsten Nacht träumte sie wieder davon. Und in der darauf und in der darauf. Jede einzelne Nacht sah sie durch die Augen Maras. Mal flickte sie Fischernetze, mal fischte sie oder lief einfach am Strand spazieren oder schwamm im Meer.

Nach einigen Monaten, vielleicht war es auch ein Jahr, hatten ihre Eltern genug davon und verboten ihr davon zu sprechen. Doch Scythia hatte protestiert.

„Es sind keine Träume“, hatte sie gesagt und trotzig ihre Arme vor der Brust verschränkt.

„Doch sind es mein kleiner Waldgeist.“ Meinte ihr Vater gereizt. „Und ich will auch nichts mehr davon hören.“

„Nein. Es sind keine Träume. Ich roch und schmeckte die salzige Meeresluft, als ich Sie in meine Lungen sog. Unter meinen nackten Füßen spürte ich den Sand und die kühle Meeresbrise, wie sie durch meine rabenschwarzen Haare strich und mir eine angenehme Gänsehaut über meinen Körper jagte.“

„Mein unbezahlbarer kleiner Schatz, deine Haare sind genauso blond wie die meinen“, sagte ihre Mutter und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Nein, sie sind so schwarz wie ein Rabe“, protestierte Scythia und strich sich durch ihr Haar. Erschrocken hatte das junge Mädchen auf die blonden Haare geschaut, die sie in der Hand hielt.

„Scythia, mein Kind, was hast du?“ Ihre Mutter hatte sie besorgt angestarrt.

„Mama“, lachte Scythia. „Du weißt doch, dass ich Mara heiße.“

Von da an ging es nur noch bergab mit ihr.

Scythia hielt sich immer öfter für Mara. Doch es war nicht nur Mara, so kamen weitere Persönlichkeiten hinzu. Jasmin, die in einem tristen Wüsten Ort lebte und ihren Körper für Geld an Männer verkaufte. Yaril, eine gebildete adlige Frau die in einer gewaltigen Stadt wohnte. Sura ein einfaches Dorfmädchen. Mira. Ani und Tiri. Sie alle schienen sich abzuwechseln. Manchmal wechselten sie ständig, manchmal auch nur alle paar Tage.

Scythia schien immer wieder einzelne Tage sowohl gut wie auch schreckliche Tage aus den Leben der Frauen zu durchleben.

Als ihre eigne Persönlichkeit immer seltener zum Vorschein kam, konnten ihre Eltern dies nicht länger vor der Gemeinschaft verbergen. Die Dorfbewohner, die eigentlich ihre Freunde und Familie waren, begannen die Familie zu meiden. Sie wurden zu Aussätzigen.

Ihre Eltern taten alles, um Scythias Persönlichkeit zu bewahren. Sie wanden sich an Heiler, Priester der verschiedenen Naturgottheiten und an Gelehrte. Doch weder Gebet noch Ritual oder heilende Tinkturen und Salben brachten Erfolg.

An ihren dreizehnten Geburtstag warf sich ihr Vater von einer Klippe in die Tiefe, er hatte es nicht länger ertragen, so ein Leben zu führen. Doch ihre Mutter gab nicht auf. Liebevoll, wie es auch nur eine Mutter konnte, kümmerte sie sich um ihre Tochter.

Einige Wochen nach Scythias fünfzehnten Geburtstag kamen ihre Mutter Gerüchte zu Ohren, die besagten, dass es in der Hauptstadt ihres kleinen Königreiches eine Yamijatischen Priesterin gäbe.

So machte sich ihre Mutter mit ihrer leider gefesselten Tochter auf den langen und beschwerlichen Weg. Ihre Fesseln waren leider nötig gewesen, da einige Persönlichkeiten des Mädchens, zu weilen gewalttätig und unberechenbar waren.

In der Hauptstadt angekommen, brauchte ihre Mutter nicht lange, um die Priesterin aufzuspüren. Sie war ein hochrangiges Mitglied des Smaragdordens im Rang der tausend Seelen.

Schnell erkannte diese die Ursache der verschiedenen Persönlichkeiten. Scythia war gesegnet. Sie war von Kami auserwählt wurden, um zwischen den Welten zu wandeln.

„Es ist keine Segnung, sondern ein Fluch!“, hatte ihre Mutter die Priesterin angeschrien. „Mein geliebtes Kind ist wahnsinnig!“

„Ihr irrt euch gute Frau“, war die ruhige Antwort. „Sie ist auserwählt. Ich kann euch versichern, dass es kein Fluch ist. Zu mindestens wird es keiner mehr sein, sobald sie mit mir kommt.“

Ihre Mutter war entsetzt. „Ihr wollt mir mein Kind nehmen?“

„Nein, das will ich nicht und das tue ich auch nicht. Kami, Herr aller Götter, ist gütig und so verlangen es auch seine Lehren von uns, seinen Akolythen. Ich werde Scythia nur mit mir nehmen, wenn es euer Wunsch ist. Doch eins sei euch gesagt; wenn Scythia bei euch bleibt, ist euere Tochter verloren. Ihre alten Persönlichkeiten werden ihren Geist irgendwann zerschmettern wie ein Spiegel, sodass sie nur noch eine geistlose Hülle ist. Sie wird sabbernd in ihren eigenen Unrat sitzen und mit leerem Blick vor sich hinstarren, bis sie ihr Ende findet. Nur wenn ihr eure Tochter mit mir schickt, ikann ihr Leben und ihr Geist gerettet werden. Wir werden ihr zeigen, wie sie die Persönlichkeiten ihrer früheren Leben für sich nutzen kann. Scythia wird wieder die Herrin ihres Körpers sein.“

Ein tiefes Grollen riss Scythia aus ihren Gedanken.
 

Akktok

Blisterschnorrer
20 März 2020
397
569
1.681
Der erste Toter
Kapitel 2

Erschrocken blickte die angehende Akolythin auf. Im steinernen Tor aus Obsidian, in den zehn Edelsteine in unterschiedlichen Farben, die die Größe einer menschlichen Faust hatten, eingelassen waren, bildete sich ein langsam, aber stetig breiter werdenden Spalt.

Ihr Herzschlag begann sich wieder zu beschleunigen. Sie wartete, bis die dicken Torflügel vollständig polternd zur Ruhe kamen und den Blick auf einen breiten, nur spärlich erleuchteter Korridor freigaben.

Ich schaffe das. Ich werde Meister Yarn und Meisterin Milfia nicht enttäuschen. Genauso wenig wie ich Kami enttäuschen werde. Ich werde heute meinen Ersten erwecken. Scythia schlug sich leicht auf die Wangen. Autsch. Der Schmerz ließ die junge Frau zusammenzucken. Anschließend atmete sie einige Male tief ein und aus, ehe sie sich in Bewegung setzte.

Sie hatte zwanzig Schritte gemacht, als sich das Tor wieder polternd hinter ihr in Bewegung setzte. Erschrocken fuhr Scythia herum. Wie erstarrt blieb sie stehen, bis es vollständig geschlossen war. Angst breitete sich in ihr aus und die Dunkelheit im Korridor schien nach den Flamen der Fackeln zu greifen, Sie langsam zu ersticken, bis sie nur noch schwach flackerten.

Ihre Augen brauchten einige Moment, ehe sie sich an das nur noch spärliche Licht des Korridors gewöhnt hatten.

Wieder schlug sich die Psuranerin einige Male auf die Wangen, sodass diese rot wurden. Autsch! Bewege endlich deinen Arsch, Mädchen! Ich bin auserwählt! Ich bin auserwählt! Ich bin auserwählt! Nur die Albe sind ähnlich gesegnet wie die Akolythen und ab heute werde ich endlich zu ihnen gehören!

Nachdem sie sich nun genug Mut zugesprochen hatte, setzte sie sich in Bewegung. Ihre weichen Lederstiefel verursachten keine Geräusche auf den steinernen Boden. Umso lauter war dafür das Rascheln ihrer dunklen, beinahe schwarzen Robe zu hören.

Der scheinbare gerade Korridor schien kein Ende nehmen zu wollen. Fast unsichtbar für das menschliche Auge war er leichtabschüssig und schraubte sich in die Tiefe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit war der Korridor dann doch plötzlich zu Ende und Scythia stand vor einem weiteren aus Obsidian gefertigten Tor. Anders als das Vorherige war es schmucklos und schlicht. Dabei verbarg sich doch hinter diesem Tor einer der wichtigsten Räume der Zitadelle.

Vorsichtig streckte die Anwärterin ihre Hand aus und berührte das Vulkangestein genauso, wie sie es immer tat. Obwohl das Gestein schon seit Jahrhunderten, wenn nicht sogar schon seit Jahrtausenden abgekühlt war, spürte sie doch noch immer ein wenig, die Rest wärme des Vulkans. Umso länger sie ihre Hand auf der Tür ließ, desto wärmer wurde es. Die Kammer des Erschaffens, Geburtsstätte der Akolythen!

Unvermittelt hörte sie das Knirschen und Grollen sich bewegenden Gesteins. Hastig zog sie ihre Hand zurück. Es dauerte nicht lange, bis es sich vollständig geöffnet hatte.

Zaghaft betrat Scythia die Kammer des Erschaffens. Sie hörte, wie sich hinter ihr langsam das Tor wieder schloss. Dieses Mal schaffte es die Psurianerin nicht zusammen zu zucken, als es sich polternd schloss.

Die Kammer war in Dunkelheit getaucht, sodass die Sicht nur wenige Meter betrug. Daher konnte die Anwärterin unmöglich sagen, wie groß die Kammer war. Scythia wagte einen Blick nach oben. In schier unendlicher Höhe funkelten Myriaden kleine, vielfarbige Edelsteinsplitter, die die Illusion eines klaren Nachthimmels erweckte.

Plötzlich stolperte sie über ein Hindernis. Instinktiv versuchte sie sich an etwas festzuhalten. Tatsächlich gelang es ihr. Sie blickte auf. Hastig, als ob sie gebissen wurde, zog sie ihre Hand weck, als sie erschrocken erkannte, dass ihre Hand den ebenfalls aus Vulkangestein bestehenden Altar berührte.

Sie wich einige Schritte zurück.

Die glatte Oberfläche des zwei Meter langen Altars war mit unzähligen goldenen und silbernen Runen übersät, die zusammen verschlungene und komplizierte Muster bildeten.

„Und bei diesem ängstlichen Ding soll es sich tatsächlich um eine Anwärterin handeln?“ Die Stimme war kalt aber klang sehr amüsiert.

Erschrocken fuhr Scythia herum und ein leiser Schrei entfuhr ihre Kehle. Drei Dutzend Schritte von ihr entfernt glühten zwei kleine, violette Irrlichter auf. Wie durch Magie wurde die Dunkelheit um die Irrlichter immer weniger und eine Gestalt nahm immer mehr Konturen an, bis Scythia alle Einzelheiten dieser erkennbar waren.

Die Irrlichter entpuppten sich als die glühenden Augen der Gestalt. Der Rest des Gesichtes blieb weiterhin in absoluter Finsternis verborgen. Gekleidet war Sie in einer polierten, amethystfarbenen leichten Eisenrüstung, die bis auf ein silberneres Flammensymbol auf der Höhe des Herzens keine Verzierungen aufwies.

Ein Sklave des Amethystordens!

„Sie verschwendet nur unsere Zeit“, erklang eine weitere Stimme. Diese klang wie das Fauchen einer Feuersbrunst. Einige Meter neben dem Sklaven leuchten plötzlich zwei blutrote Augen auf. Wie beim Ersten lichtete sich auch um diesem die Dunkelheit. Der einzige Unterschied war, dass er eine rubinrote Rüstung trug.

Ein Sklave des Rubinordens!

„Schön dich zu sehen, junge Scythia“, erklang eine weiblich klingende Stimme. Anders als die anderen beiden war die Stimme sanft wie das Rascheln von unzähligen Blättern im Wind. Dieses Mal kam die Stimme von Links. Wieder stand da ein Sklave, dessen smaragdgrüne Rüstung beinahe so leuchtete, wie es die Augen der versklavten Seele taten.

Meisterin Milfia!

Auch wenn Scythia wusste, dass kein Akolyth sich in der Kammer des Erschaffens befand, sondern nur durch ihre Sklaven miteinander und ihrer Umgebung agierten. So freute sie sich doch, dass ihre Retterin und Mentorin bei ihr war. Auch wenn es nur in Form eines ihre Sklaven war.

„Genug!“, donnerte eine neue Stimme, die wie eine das Einstürzen eines Bergers klang. „Sie hat bereits genug unserer Zeit verschwendet!“

Zur rechten Seite der Anwärterin erschien ein weiter Sklave, dessen Augen in einen dreckigen braun, bösartig glühten.

Der Hercynitorden!

Aus irgendeinen ihr unerfindlichen Grund fürchtete sie sich vor den Mitgliedern dieses Edelsteinordens. Nach und nach erschienen jetzt auch die übrigen Vertreter der verschiedenen Edelsteinorden. Diamant, Obsidian, Saphir, Citrin, Iolith und Sodlith.

„Unser Bruder hat recht.“ Ertönte die Stimme eines weiteren Akolythen. Anders als alle zuvor, hatte diese keinen besonderen Klang. „Anwärterin Scythia, ihr seid hier, um euren ersten Sklaven zu erschaffen. Da dies bereits euer zehnter Versuch ist, wisst ihr was ihr zu tun habt. Beginnt unverzüglich.“

Scythia schluckte schwer. „Ja, Meister.“ Da sich die Akolythen um sie herum befanden, verzichtete sie darauf sich zu verbeugen. Schnell schritt sie zum Kopfende des Altars.

Kaum hatte sie ihren platzt eingenommen, als drei Sklaven des Diamantordens aus der Dunkelheit auftauchten. Die Rüstungen des Trios waren nicht weiß, wie es die des Vertreters des Diamantordens war, der sie beobachtete, sondern waren in einem dunklen mitternachtsblau lackiert.

Zwei von ihnen trugen eine Trage zwischen sich, auf der ein lebloser Körper lag. Der andere ein großes Tablett. Vorsichtig legten die zwei Sklaven die Leiche auf dem Altar. Scythia betrachtete den Toten. Bei diesem handelte es sich um einen Mann mittleren Alters, mit langen braunen Haaren und gut proportionierten Muskeln, der nur mit einem weißen Lendenschurz bekleidet war.

Rein äußerlich gefiel er ihr sehr. Doch die Tatsache, dass sich der Körper dieses Mannes vor ihr auf dem Altar befand, zeigten ihr, dass es sich um einen Verbrecher der Stufe drei handelte. Vermutlich ein Schmuggler oder ein Betrüger. Auf jeden Fall war dieser Mann zu seinen Lebzeiten Krimineller Abschaum, der es nicht verdient hatte, unter der gütigen Führung Kamis zu leben. Doch war er nicht zu verdorben, um ihn den Zerfleischern zu übergeben. Wo er unter unvorstellbaren Qualen sein Ende gefunden hätte.

Scythia wand ihre Aufmerksamkeit von der Leiche ab und betrachtete die Utensilien, die auf dem Tablet lagen. Es war ein feiner Pinsel, ein geschlossenes Glasgefäß, in der eine tiefschwarze Flüssigkeit schwappte und ein Tongefäß, dessen Oberfläche mit arkanen Symbolen überzogen war.

Also dann wollen wir mal. Scythia nah sich den Pinsel und das Glasgefäß vom Tablet und stellte beides vorsichtig auf den Altar. Mit ihren Daumennagel durchstieß sie die dünne Membrane, die den Inhalt luftdicht verschloss.

Augenblicklich begann die Flüssigkeit an zu dampfen und ein beißender, süßlicher Duft stieg ihr in die Nase. Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Vorsichtig, stets darauf bedacht, nicht mit dem Inhalt in Berührung zu kommen, entfernte sie den Rest der Membrane vom Gefäß. Langsam stellte sie es zurück auf den Altar und nahm den feinen Pinsel in die Hand.

Sachte tauchte Scythia die Spitze in die Flüssigkeit. Nachdem sie die überschüssige Flüssigkeit am Glasrand abgestrichen hatte, beugte sie sich etwas vor und berührte mit den Borsten die Stirn des Toten. Es zischte und qualmte. Sie führte den Pinsel weiter über die Haut runter bis zur Nasenspitze, ehe sie den Pinsel von der Haut nahm und ihr Werk betrachtet.

Eine feine, gleichmäßige Verbrennungsnarbe verlief genau da entlang, wo die Anwärterin den Pinsel geführt hatte.

Bei der schwarzen Flüssigkeit handelte es sich um eine extrem potente Säure, die in der Lage war, beinahe alles innerhalb kürzester Zeit aufzulösen. Normale Pinselborsten würden sofort aufgelöst werden. Daher werden diese aus dem Unterfell von Chimären gewonnen. Es sind bösartige dreiköpfige Mischwesen, die in den Heimatbergen der Shan de Haizi leben. Keiner weiß, wie diese grotesken Kreaturen entstanden sind. Eine von vielen Theorien spricht davon, dass diese Wesen mit den Greifen von der Allianz der Kuppel verwandt sind. Da sowohl Greife wie auch Chimären den Vorderkörper eines Adlers und den Hinterleib eines Löwen haben. Auch hat eine Chimäre neben einem Ziegen- und einem Löwenkopf auch den Kopf eines Adlers.

Scythia schüttelte ihren Kopf. Sie brauchte einen klaren Kopf und über die Herkunft diese unzähmbaren Bestien zu sinnieren, würde ihr nichts bringen.

Sie nahm den Pinsel wieder in die Hand und tauchte ihn abermals in die Säure, strich die überschüssige am Glasrand ab und zeichnete eine weitere Line auf die Stirn der Leiche.

Die nächsten Stunden verbrachte die Anwärterin damit Symbole, deren Bedeutung außerhalb der Edelsteinorden unbekannt waren, auf den Körper zu ätzen. Die ganze Zeit über schwieg sie bis auf ein; „Dreht ihn um.“, Befehl um weitere Symbole auf den Rücken ätzen zu können. Als sie zufrieden war, befahl, sie den beiden Sklaven die Leiche wieder auf den Rücken zudrehen.

Scythia legte den Pinsel und das fast leere Glas zurück auf das Tablet. Nun nahm sie die Tonflasche vom Tablet. Unvermittelt drehten sich die drei Sklaven um und marschierten davon. Nach nur wenigen Schritten waren sie von der Dunkelheit verschluckt wurden.

Die Anwärterin drehte dem Toten den Rücken zu und schloss ihre Augen und atmete einige Male tief ein und aus. Denn jetzt kam der heikelste Teil des Rituals. Scythia öffnete ihre Hände. Die Tonflasche fiel zu Boden und zerschellte klirrend. Ein blauschimmernder Rauch stieg langsam von den Scherben auf und formte nach wenigen Momenten ein exaktes, halbdurchsichtiges Ebenbild des Menschen.

Scythia betrachtete kurz die Seele des Mannes, die sich panisch und verwirrt umsah. Der Anblick von Seelen faszinierte die junge Anwärterin stets. Nur diejenigen, die die Fähigkeiten der Nekromantie erlernten, konnten die Seelen von verstorbenen sehen. Plötzlich begann sich die Seele aufzulösen. Mehr und mehr von schimmernden Partikel lösten sich aus dem Astralkörper und verblassten.

Verdammt! Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Sie hatte bereits genug Zeit vertrödelt und musste sich beeilen, bevor zu viel der Seele ins Totenreich gesogen wird. Die Anwärterin streckte ihre rechten Hand aus, sodass ihr Handrücken nach unten zeigte und ihre gespreizten Finger nach oben.

Stumm begann sie mit dem Rezitieren komplizierter Formeln. Indes hatte sich die Seele bereits zur Hälfte aufgelöst. Schnell streckte sie ihre linke Hand mit ebenfalls gespreizten Finger aus und richtete sie auf die Reste der Seele. Scythia begann ihren linken Arm kreisen zu lassen. Erst langsam, dann immer schneller und schneller.

Der Astralkörper hörte auf sich aufzulösen. Das panische und verwirrte Gesicht starrte sie einige Augenblicke an, ehe dass was von der Seele noch übrig war, wieder zu Rauch wurde. Dieser begann sich um die eigene Achse zu drehen.

Schimmernde Partikel tauchten in der Luft auf und geriet schnell in den Sog des sich immer schneller drehenden Nebels, der jetzt ein kleiner Tornado war. Mehre Wimpernschläge vergingen, als Scythia unvermittelt ihren linken Arm zu sich zog. Der Tornado aus blauschimmernden Seelenpartikeln folgte der Bewegung und rast auf sie zu. Kurz bevor er sie erreichte, hob die Anwärterin ihren rechten Arm und presste ihre Hände mit ineinander verhakten vor ihrem Gesicht zusammen.

Scythia, die inzwischen ihre Augen geschlossen hatte, spürte ein warmes Kribbeln in ihren Handflächen, als die Seele zwischen ihren Händen strömte. Die Wärme wanderte langsam ihre Arme herauf bis in die Schultern, kroch anschließend ihren Rücken herab, bis ihr gesamter Körper von diesem warmen Kribbeln erfasst wurde.

Sie liebte dieses fast schon sinnliche Gefühl, diese Wärme, die sich beinahe wie die Liebkosungen eines Geliebten anfühlten. Doch ehe sie sich zu sehr diesem Gefühl hingab und damit das Ritual gefährdet, drehte sie ihre Hände, sodass ihr rechter Handrücken wieder zum Boden zeigte.

Sachte hob sie ihre linke Hand und öffnete ihre Augen. Scythia grinste breit, als sie die leuchtende Seelenkugel sah, die knapp über ihrer rechten Handfläche schwebte. Der Kern der Kugel strahlte in dem intensiven, weiß blau von weit entfernten Gletschern, während die Außenhülle in dem türkisblau von klaren Ozeanen erstrahlte.

Wie ein kleines Mädchen, das eine neue Puppe bekommen hatte, freute sie sich über ihren Erfolg. Kurz drifteten ihre Gedanken dahin zurück, als sie noch ein kleines Kind war, bevor Mara in ihr erwachte.

Plötzlich begann die Seelenkugel zu flackern, wie eine Kerze kurz vor dem Erlöschen. Schnell verdrängte sie alle Gedanken aus ihren Kopf und konzentrierte sich wieder auf das Ritual. Sie hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft, die Seele zu stabilisieren.

Bevor noch etwas schiefging, wand sich Scythia der Leiche zu. Sie trat neben den Altar und ohne weitere Verzögerungen drehte die Anwärterin ihre Hand, sodass der Handrücken nun nach oben zeigte.

Erst passierte nichts, die Seele schien an ihrer Hand zukleben. Doch dann löste sie sich doch von ihr. Langsam wie eine Feder fiel die Seelenkugel. Mehrere Augenblicke vergingen, ehe die Kugel auf der Höhe des Herzens die Haut des Toten erreichte und in den Körper eindrang.

Die blasse Haut der Leiche begann in einem Weißenlicht zu strahlen. Ich habe es fast geschafft. Scythia öffnete die kalten Lippen des Toten ein wenig und holte ein aus Obsidian gefertigten Dolch aus einer versteckten Tasche ihrer Robe und schnitt sich mit diesem in die Handfläche. Autsch! Die Anwärterin verzog vor Schmerz kurz das Gesicht und hob ihre blutende Hand über dessen Mund.

Die ersten Tropfen ihres Lebenssaftes verfehlten den Mund. Scythia führte die Hand näher an den Mund des Toten, sodass ihr Blut schließlich das Ziel traf.

Scythia trat vom Altar zurück. Gleich würde sich herausstellen, ob sie alle Runen richtig gezeichnet und alle Formeln richtig rezitiert hatte. Sie nutzte den kurzen Moment des Wartens, um den Ritualdolch wieder in ihre Robe zu stecken und ihre Hand zu verbinden.

Auch wenn es sich für die Anwärterin wie Stunden angefühlt hatte, musste sie nicht lange warten. Das Weiße licht, das von der Leiche ausging, verblasste schnell und nur einen Wimpernschlag später kam Bewegung in den toten Körper.

Zuerst zuckten nur die Finger, dann bewegte sich der rechte Arm. Plötzlich drang ein lang gezogenes, dunkles Stöhnen aus der Kehle. Schlagartig richtete sich die Leiche auf und starrte Scythia mit glasigen, leblosen Augen an.

Die reanimierte Leiche schwang ungeschickt ihre Beine vom Altar und stolperte auf Scythia zu.

„St…stopp“, befahl die Anwärterin mit unsicherer Stimme. Schwankend hielt der wiederbelebet Tote an und starrte mit leeren Blick geradeaus.

Ein tiefes, hungriges Stöhnen drang aus dessen Kehle.

„Seih.. seih still“, sagte Scythia selbstsicherer. Die Leiche verstummte augenblicklich. Er hört tatsächlich auf mich. Soweit zu gut. Jetzt fehlt nur noch…

Die Anwärterin lächelte, trat zur Seite und gab so den Blick auf den Sklaven des Diamantordens frei und zeigte auf diesem. „Hör zu, du gehst jetzt zu den Sklaven des Diamantordens und bleibst vier Schritte vor ihm stehen. Anschließend wirst du im Uhrzeigersinn an jeden der Sklaven vorbeigehen, bis du bei dem des Diamantordens wieder angekommen bist. Und jetzt geh los.“

Auf unsicheren Beinen stolperte die wandelnde Leiche auf den Sklaven zu. Scythia sah zufrieden, wie ihr vorübergehender Sklave kurz vor dem des Diamantordens stehen blieb und sich anschließend nach links wendete.

Es war wichtig, dass sie ihre Anweisungen so präzise und deutlich wie möglich ausdrückte, da es ansonsten zu Missverständnissen kommen konnte. Später, wenn sie mehr Erfahrung und Macht hatte, brauchte sie es nicht mehr zu tun. Denn dann würde bereits ein Gedanke ausreichen, um ihren Sklaven Befehle zu erteilen. Doch dies lag noch in weiter Ferne.

Der Sklave war gerade an dem siebten Vertreter der Edelsteinorden vorbeigeschritten, als er unvermittelt ins Wanken geriet und auf ein Knie sank. Scythia spürte wie ihre spirituelle Energie nachließ. Nein! Nein, ich habe es fast geschafft, nur noch ein bisschen. Noch bleibt mir Zeit, noch kann ich es schaffen.

Wenn sie nicht schnell handelte, würde sie die Verbindung zu ihrem Sklaven verlieren und er wäre nicht mehr als ein normaler Toter. Doch das schlimmste wäre, sie hätte damit ein weiteres Mal versagt. Sie musste die Verbindung unter allen Umständen aufrechterhalten, doch dafür fehlte ihr die nötige Kraft.

Eine letzte Möglichkeit blieb der Anwärterin noch. Scythia könnte die Energie eines der chaotischen Ströme, die das Totenreich durchzogen, durch sich kanalisieren und ihren Sklaven zuführen. Dazu musste sie nur in die urtümlichen Fluten eintauchen.

Jedoch war dies äußerst gefährlich, denn die Energie würde sie wie Wasser, dass durch einen geborstenen Damm strömte, durch sie hindurchfließen und ihre Seele sehr wahrscheinlich ausbrennen.

Der Gefahr zum trotz blieb ihr keine andere Wahl. Scythia schloss ihre Augen und entsandt ihren Geist in die andere Ebene.

Anders als die Seelen der Verstorbenen war es nichts schwer, einen der zahlreichen chaotischen Flüsse in der unendlichen nebelverhangenen Ebene zu finden. Zu mindestens sah das Totenreich für sie so aus. Denn jeder Akolyth sah es anderes. Doch egal wie man das Totenreich auch sah, es war stets von zahlreichen Strömen reiner spiritueller Energie durchzogen.

Kami, Herr aller Götter und ihren Schöpfungen, ich bete zu dir, schenke mir die Kraft diesen, unbändigen Energien standzuhalten, damit ich dir noch lange dienen kann.

Nachdem sie ihr kleines Gebet beendet hatte und sich gerade in einen der chaotischen Ströme stürzen wollte, hörte sie eine sanfte Stimme, die aus ihren tiefsten Inneren ihren Namen flüsterte.

Die Anwärterin haderte mit sich. Sollte sie in den reißenden Strom eintauchen oder der Stimme folgen? Da die Wahrscheinlichkeit hoch war, bei diesem Unterfangen zu scheitern, klammerte sich die angehende Akolythin an den Gedanken, dass ihr die Stimme vielleicht helfen konnte. So zog sich Scythia aus der Welt der Toten zurück und tauchte dafür tief in ihren eigenen Geist ein.

Sie öffnete ihre geistigen Augen und fand sich an einem wunderschönen Strand wieder. Sanft schwappten die Wellen an den Strand, kuschlig aussehende Wolken zogen träge am klaren blauen Himmel vorbei.

Als sie sich in Bewegung setzte, spürte sie den weichen, feuchten Sand unter ihren nackten Füßen. Sie folgte dem Strand. Irgendwann nach Äonen der Wanderschaft umrundete sie eine sanfte Biegung und blieb unvermittelt stehen, als sie eine Frau mit langen schwarzen Haaren sah, die auf das Meer hinausblickte.

Vorsichtig nährte sich die Anwärterin der Frau. Diese bemerkte sie und drehte sich zu ihr um.

„Mara!?“, entfuhr es Scythia erschrocken und wich vor ihr zurück. „Wie… wie kann das sein? Du und die anderen sollten doch versiegelt sein.“

Ein sanftes Lächeln erhellte Maras Mine. „Das sind wir auch, doch dadurch, dass ich die Erste war, die in dir erwachte, teilen wir beide eine besondere Verbindung.“ Ihre vorherige Persönlichkeit trat einen Schritt auf sie zu, was Scythia veranlasste weiter zurückzuweichen. Sie fürchtete sich vor Mara.

Mit einem traurigem Blick blieb die schwarzhaarige Frau stehen. „Du fürchtest dich. Du fürchtest dich vor mir.“, stellte sie niedergeschlagen fest.

„Natürlich!“, rief ihr die Anwärterin entgegen. „Du bist wie die andern! Ihr wollt alle meinen Körper, damit ihr wieder leben könnt. Was dann mit mir passiert ist euch egal!“

„Nein“, widersprach Mara. „Einige von uns wollen es gewiss. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht danach sehnen würde, wieder den feuchten Sand und die salzige Luft auf meiner nackten Haut zu spüren.“ Ein hungriges Funkeln blitzte in den Augen der schwarzhaarigen Frau auf, dass gleich wieder verschwand.

„Nein, meine liebe Scythia, mir kannst du vertrauen. Ich habe mein Leben gelebt. Es war ein gutes und langes Leben. Ich wurde mit einem guten Mann und wundervollen Kindern gesegnet, die mir noch mehr Enkelkinder schenkten.“ Das Lächeln kehrte in Maras Gesicht zurück. „Ich verspüre nicht den Wunsch dir deinen Körper zu stehlen. Außerdem… nur so unter uns zwei Frauen. Deine Brüste, sie sind mir zu klein. Dadurch würde ich mit Sicherheit keine Erregung spüren.“

Scythia war sprachlos und irritiert. Mit leicht geöffneten Mund stand sie einfach da und starrte die andere Frau an.

Unbewusst griff sich die Anwärterin an ihre Brüste, die wirklich um einiges kleiner waren als Maras.

„Du wirst sogar rot.“ Mara kicherte und hob eine Hand vor dem Mund. Ein neckisches Funkeln ließen die Augen der schwarzhaarigen Frau aufleuchten. „Kann es sein, dass… dass du noch eine Jungfrau bist?!“ Jetzt kicherte die Fischerin nicht mehr, sondern brach in schallendes Gelächter aus. „Wenn du dein Gesicht nur sehen könntest, du siehst aus wie eine Tomate.“ Mara krümmte sich vor Lachen und brauchte etwas, um sich zu beruhigen.

Als sie wieder zur Ruhe gekommen war, musste sie einige Tränen wegwischen.

„Es ist ja nicht so, dass es meine Schuld ist.“ Versuchte sich Scythia zu rechtfertigen. „Ich... ich hatte nur bis…“

„Ach Kindchen, du…“, ein neuer Lachanfall bahnte sich an und Mara schloss ihre Augen um nicht wieder zulachen und atmete einige Male Tief ein. „Du brauchst dich doch nicht zu verteidigen. Diesen Umstand ändern wir später, doch zuerst müssen wir dafür sorgen, dass du diese Prüfung bestehst.“

„Ich verteidige mich ja ga…“, Scythia stutzte. „Wir müssen dafür sorgen, dass ich die Prüfung bestehe? Was meinst du damit?“

„Genau das, was ich sage“, meinte die Fischerin und machte einige Schritte auf die Anwärterin zu. Dieses Mal blieb diese auch stehen. „Ich kann und möchte dir helfen, du musst mir nur vertrauen.“

„Wie könnte ich? Ihr, du, habt meinen Körper übernommen und meinen Geist eingesperrt.“

„Das habe ich in der Tat. Doch so wie es für dich neu war, so war es auch das für uns, meine liebe Scythia. Ich wusste nicht, was ich dir antat. Und ich kann mich nur bei dir aufrichtig entschuldigen.“

Scythia sah die andere Frau eindringlich an, suchte in ihren Augen nach einem Anzeichen der Lüge. Gleichwohl fand sie keine. Sollte Mara tatsächlich die Wahrheit sagen?

Sie hatte nichts zu verlieren. „Also gut, ich glaube dir. Wie kannst du mir helfen?“

Mara hob ihre Hände und streckte sie der Blonden entgegen. „Komm her und ergreife meine Hände.“

Die Anwärterin tat was Mara ihr sagte und reichte ihr zögernd die Hände. Diese nahm die zierlichen Hände in die ihren.

„Was soll ich tun?“

„Schließ die Augen und öffne mir deinen Geist. Den Rest wirst du dann schon verstehen.“

Die Anwärterin schloss die Augen und öffnete ihren Geist für Mara. Augenblicklich spürte sie eine mächtige Kraft, die in sie hineinströmte und ihr selbst immer weiter zurückdrängte. Scythia hatte einen Fehler gemacht. Ich hätte ihr nicht vertrauen dürfen, diese elende Körperräuberin! schrie die junge Frau innerlich.

Unvermittelt veränderte sich die Kraft, passte sich Scythias Geist an und schmiegte sich eng an ihn. Sie spürte, wie ihre Kräfte zu ihr zurückkehrten, stärker denn je.

Mit ihrer neuen Kraft kehrte die Anwärterin in die sterblichen Welt zurück und öffnete ihre Augen. Obwohl sie eine lange Zeit im Reich der Toten und in ihrem Geist verbracht hatte, waren in der sterblichen Welt nur wenige Herzschläge vergangen.

Scythia sah, wie weißes Licht aus den Poren ihres Sklaven drang. Sie konzentrierte sich, kanalisierte die Macht, die ihr Mara zur Verfügung gestellt hatte und entsandt einen Teil davon in ihrem Sklaven.

Das Licht verblasste und der wandelnde Tote erhob sich wieder um seinen Weg fortsetzte.

Er schritt an dem achten Sklaven vorbei an dem neunten. Gleich nur noch einige Schritte und ich habe es geschafft! Die Zeit schien zähflüssig wie Honig zu verstreichen. Doch dann hatte es ihr Sklave geschafft. Mit schlurfenden Schritten passierte er schließlich den Vertreter des Diamantordens.

Unvermittelt fühlte Scythia wie eine riesige Last von ihr viel. Gleichzeitig jedoch war sie am Ende ihrer Kräfte, sodass sie in sich zusammensackte, dabei fielen ihr ihre langen blonden Haare ins Gesicht. Dadurch sah die Anwärterin nicht, wie ihr Sklave von smaragdfarbenen Flammen verzehrt wurde, die sich spontan selbst entzündet hatten.

„Bestanden“, vernahm die frischgebackene Akolythin die Stimme des Akolythen, der ihr befohlen hatte zu beginnen.

„Das hast du gut gemacht, meine liebe Scythia.“

Meisterin Milfa! Scythia strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und blickte mit einem schwachen, aber freudigen lächeln auf. Sie war mehr als überrascht, als sie nicht den verhüllten Sklaven des Smaragdordens sah, sondern das Gesicht ihrer Retterin, das sie freundlich anlächelte.

„Meisterin, ihr seid tatsächlich hier! Ich dachte, ihr seid im Süden im Kampf gegen die Insektula, die unsere Grenzen bedrohen!“

Milfa lachte und reichte ihr die Hand. Scythia ergriff die Hand der anderen Akolythin und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen. „Ich konnte mir doch nicht das Privileg nehmen lassen, dir als erstes gratulieren zu dürfen, mein liebes Kind.“ Antwortete Milfa und zog sie in eine Umarmung. „Und herzlich willkommen kleine Schwester, im Edelsteinorden des Smaragds.“

Scythia konnte sich nicht mehr länger beherrschen. Alle Dämme brachen und das neuste Mitglied konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Scythia weinte aus einer Mischung aus Erleichterung und Freude. Sie hatte es endlich geschafft und nicht nur dass Kami hatte sie auch für den Orden bestimmt, denn sie sich insgeheim über alles gewünscht hatte.

Doch dies war nur der erste Schritt, der einfachste Schritt. Vor ihr lag ein langer und schwerer Weg. Doch zum Glück würde dieser erst Morgen beginnen.

 
Zuletzt bearbeitet:
  • Like
Reaktionen: Natas und Dragunov 67

Dragunov 67

Tabletop-Fanatiker
14 Juni 2020
12.217
16.598
41.876
Okay,dann hier.Ich lese deine Geschichten deshalb so gerne,weil du dich ständig verbessert hast,was Sti,Ausdruck, Orthographie und Grammatik angeht.Bei deinen Storys konnte man gut nachvollziehen, wie du langsam von jemandem,der aus dem Kopf auf Papier abschreibt (was an sich ja nicht schlecht sein muss), deinen Rahmen immer weiter ziehst und die Erzählung, die Welt und die Akteure lebendiger werden lässt.Weiter so.
 
  • Liebe
Reaktionen: Akktok