Secret Heretic - Der Teufel im Innern - //Eine Exorcists-Geschichte//
von Lasirius Bolrealis
Kapitel 2: Erwachen
Ich schlug keuchend die Augen auf.
Siedendes Blut pochte durch meine Adern, während sich meine verwirrten Sinne nach und nach neu entfalteten und begannen, sich scharfzustellten. Dieser Ort musste das schmucklose Apothecarium der Basilica Malefex sein. Es war ein altes Gemäuer; zugig und unerbittlich kalt. Durch die gebogenen, spitz zulaufenden Fenster brach die klare Nacht herein. Die gotische Festung wurde nur von dem matten Licht einzelner Kerzen und dem fahlen Schein der emsig arbeitenden Maschinen erhellt.
Schmerzen zuckten gedämpft durch einen Körper, der sich anfühlte, wie als hätte man ihn angezündet und dann brennend durch eine viel zu enge Öffnung gepresst. Ich spürte, dass sich in meiner geistigen Abwesenheit Eiskristalle unter meinen Augen gebildet hatten, deren Splitter nun lautlos an mir herunterrieselten.
„Sechs Tage. Sechs Stunden und Sechs Minuten. Wenn das mal kein Omen ist…“
Ich richtete mich auf und suchte die Quelle der Stimme, die klang, wie als würde man einen Felsbrocken in ein Mahlwerk werfen. Sie gehörte zweifelsfrei einem Astartes. Metallisches Werkzeug fiel scheppernd zu Boden und ein leises Fluchen ertönte in meiner Nähe. Dann bahnte sich der alte, humpelnde Krieger seinen Weg in meine Richtung und passierte eine Vielzahl von komplex verkabelten Maschinen, die surrten, piepten, klickten und blinkten. Der Medizintrakt glich eher dem Labor eines irren Wissenschaftlers als dem eines analytischen Heilers; Es war eine Werkstatt des Fleisches: Kein unnützes Gerümpel, keine Dekoration; Alles erfüllte einen Zweck. Auf der Pritsche neben mir lag ein grausam entstelltes Geschöpf, dessen ausgezehrter Körper hinter einem dünnen Sichtschutz verborgen war. Die Lichter auf der anderen Seite projizierten seine verdrehten Umrisse auf die Fläche zwischen uns; Eine Szenerie, die einem verkommenen Schattentheater gleich kam. Ich fokussierte das Zerrbild: Scheinbar hatte man das Wesen mit einem Tuch zugedeckt. Seine mutierten Umrandungen ließen seine Ähnlichkeit mit dem, was es einst wohl gewesen war, nur erahnen. Mein Blick glitt noch näher an das Ding heran. An manchen Stellen hatten lange, unkontrollierte Knochenauswüchse das Tuch durchstoßen, es besudelt und es rot gefärbt.
Moment, Woher wusste ich das?
Ich schreckte zurück, während meine schmerzenden Augen nach einem neuen halt suchten: Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Wesen berührt zu haben, ohne es anzufassen. Ein wahrhaft widerwärtiger Gedanke. Die Missgestalt stöhnte rasselnd und feucht. Das unnatürliche Geräusch hörte sich an, wie als würde etwas bei jedem Atemzug seine eingefallenen Lungen zerstechen. Es stank so erbärmlich, wie es aussah.
Tat mir das Wesen etwa leid?
Ich löste meinen Blick von der geschundenen Kreatur und richtete ihn stattdessen auf den Neuankömmling: Die massige Gestalt ächzte leise und trat hinter dem ratterndem Cogitator hervor, der meine Vitalfunktionen überwachte. Die dicken Kabel der Maschine waren an meinen Carapax-Anschlüssen angebracht, die eigentlich für die Verschmelzung mit einer Servo-Rüstung konzipiert worden waren. Der Apothecarius wischte eine riesige Säge an seiner ebenfalls blutverschmierten Schürze ab. Ihre Tropfen hatten eine dünne Spur hinter seinem Träger zurückgelassen. Er legte sie zur Seite, drückte einen Knopf und die Kabel sprangen zischend aus meinen Handgelenken heraus. Neben dem Space Marine schwebte ein Servoschädel, der gerade seine letzten Werkzeuge reinigte und einklappte, wie ein Insekt nach einem ausgedehnten Mahl. Er erbrach ununterbrochen knisternden Maschinencode, der zu dem immer länger werdendem Pergament passte, das unermüdlich aus seinem Oberkiefer quoll. Das restliche schwarze Blut in den Kabeln floss aus den sich windenden künstlichen Adern und verteilte sich auf dem Boden, wo es sofort verklumpte und dann gefror. Ein Servitor würde sich wohl bald darum kümmern müssen.
„Ich bin Bruder Asklepios, Apothecarius der 8. Kompanie. Dich hat es ganz schön zerlegt da unten, Bruder Lasirius.“
Er betonte das Wort mit einer gewissen Feierlichkeit, die mir gegenüber bestätigte, dass das Aufnahmeritual wohl erfolgreich gewesen war. Wir umgriffen unsere Handgelenke; Ein terranischer Kriegergruß, der so alt war, wie die Zeit selbst. Ich wollte ihn ebenfalls verbal begrüßen, doch mein Körper verweigerte den Versuch. Etwas stimmte nicht. Ich griff erschrocken an meinen Hals.
„Du hast keine Stimmbänder mehr. Sie sind einfach… weg. Das habe ich noch nie gesehen... Des Weiteren habe ich eine kraniale Exostose, unzählige Muskel- und Faserrisse, sowie zwei symmetrische Knochenwucherungen unter den Schulterblättern festgestellt. Selbst dein Skelett hat der Bastard durch die Mangel genommen… Siehst hübsch aus, kleiner.“
Sein Tonfall ließ offen, ob er den letzten Satz ernst meinte, oder nicht. Ich nickte gequält, wie als ob ich auch nur die Hälfte der Worte verstanden hätte und machte mir Gedanken, wie ich selbige nun meinem Gegenüber vermitteln konnte.
Ich entschied mich für die Schlachtfeld-Zeichensprache unseres Ordens, die ich nun beherrschte, ohne sie je aktiv gelernt zu haben. Meine ersten Worte waren eine wüste Geste, die sich scherzhaft auf den Dämon und das Hinterteil meines von ihm gepeinigten Körpers bezog. Asklepius, der mit einem solch derben Humor nicht gerechnet hatte, brach in schallendes Gelächter aus und schlug mit der flachen Hand eine Delle in den Cogitator, an den er sich prustend anlehnen musste, um nicht umzufallen:
„Ich mag dich mein Bursche! Aber lass das mal lieber nicht die Plutonianer sehen… Die ziehen dir die Hammelbeine lang.“
Ich schaute nervös an mir herab. Mein Unterkörper schien, von den Schmerzen abgesehen, noch relativ normal zu sein. Lediglich meine Muskeln waren auf unerklärliche Weise gewachsen.
„Weißt du, die meisten verlieren irgendwie ihren Sinn für Humor bei dem Ritus, aber du scheinst ihn ja behalten zu haben.“
Ich lächelte und fühlte, wie sich viel zu spitze Zähne in die Lippen bohrten. Er bemerkte meinen fragenden Blick:
„Um genauer zu sein, reagieren die meisten auf zwei Arten: Sie werden entweder extrem still oder extrem komisch… nicht wenige sogar beides um ehrlich zu sein. Möchtest du einen Spiegel?“
Ich nickte, fasste mir an den dröhnenden Kopf, und bereute diese Entscheidung sofort wieder, als ein scharfer Schmerz durch meine Hand zuckte. Ich blickte ungläubig auf den Schnitt, der binnen Sekunden verheilte.
„Ein üblicher Fehler der neuen.“
Murmelte der alte, vernarbte Krieger und nahm mich genauer in Augenschein. Mir fiel auf, dass sein Atem zu dicken Nebelschwaden wurde, die sich wenig später in der kalten Luft aufzulösen begannen. Mein Atem tat dies nicht. Er war kalt. Mein Gegenüber holte einen ovalen, mit Runen verzierten Spiegel hervor, der achtlos in eine Ecke gestellt worden war. Es war der einzige seiner Art in der gesamten Festung. Ich betrachtete die verzerrte Fratze, die mir nun an Stelle meines Gesichtes entgegenstarrte: Meine Haut war gräulich und fahl, mir wuchs eine kleine Krone aus Elfenbeinfarbenen Hörnern aus dem Haupt und meine kompletten Augen hatten jetzt den dunklen Schimmer von blankem Obsidian. Die Pupille und die Iris waren auf den ersten Blick kaum noch zu unterscheiden, aber sie waren da. Diese Augen irritierten mich am meisten. Mehr noch als die fledermausartigen Fangzähne. Der alte Krieger ging um mich herum und zeigte mir meinen Rücken. Hinter meinen Schulterblättern waren zwei eigenartige, hervorstehende Hubbel, wie als hätte man mir dort Flügel abgetrennt.
„Dein Geist und dein Körper haben erbitterten Widerstand geleistet und letzterer tut es immer noch. Trotzdem wird es mit der Zeit wahrscheinlich schlimmer werden. Vor allem, wenn du viel Zeit im Kampf verbringst. Ganz umkehren wirst du‘s nich können, aber vielleicht n bisschen im Zaum halten.“
Ich nickte stoisch. Verglichen mit dem stöhnenden Haufen Elend neben mir, war ich geradezu glimpflich davongekommen. Als ich Bruder Asklepios erneut ansah, bemerkte ich, dass er, abgesehen von dem bionischen Bein, der beispielhaften Blaupause eines Astartes entsprach: Er war vollständig befreit von dem Makel des Immateriums; den inneren Sünden, die der Warp nach außen kehrte und uns anderen so bildlich auf die Haut schrieb. Diese abnormale Gewöhnlichkeit machte ihn besonders.
„Hörma, Ich würde gerne noch weiter mit dir plaudern, aber es gibt wichtigere Leute, die dich gern sprechen wollen.“
Ich stand auf und bemerkte, dass ich meinen Ordensbruder jetzt um einen halben Kopf überragte. Er nahm diese Tatsache mit einem Hauch von Skepsis zur Kenntnis.
‚Mit wem habe ich die Ehre?‘
Er las meinen Blick anscheinend wie ein Buch, antwortete aber zögerlich:
„Captain Echnaton von der 8. Kompanie… und der oberste Scriptor Goetos. Weiß der Deibel was der von dir will. Vielleicht biste ja n Zauberer, Bruder Lasirius?“
Er lachte erneut und reichte mir meine Roben. Ich schmunzelte, nickte ihm dankend zu und machte mich unverzüglich auf den Weg zu meinen neuen Befehlshabern.
Das Strategium war unterhalb der Festung; Tief in seinem Herzen um genau zu sein. Sie war aufgebaut wie ein gewaltiges Pentagramm, in dessen fünf spitzen Ausläufern sich, unter anderem, das Apothecarium, die Schmiede und der Sitz der Inquisition befanden. Um den zackigen Stern herum, dessen obere Spitze gen Norden zeigte, hatte man vor Urzeiten eine gewaltige, runde Mauer errichtet, dessen Wehrgang von unzähligen Wachtürmen und Sendeanlagen unterbrochen wurde. Ich durchquerte das „Kloster der Narben“, das sich genau in der Mitte der Anlage erstreckte und das somit alle anderen Teile verband. In dessen bedeutungsvollem Atrium begrüßte mich bereits das opulente, blutorange Ordensbanner: Unter dem weißen, gehörnten Totenschädel, der uns stetig an unsere Aufgabe erinnerte, und der gleichzeitig das Siegel des Librariums in anderen Orden darstellte, befand sich eine goldene Stickerei, auf der akribisch jeder bedeutende Sieg der Exorcists verewigt worden war. Es war nicht alt; Scheinbar war es erst kürzlich erneuert worden. Seit dem 13. schwarzen Kreuzzug und dem Warp-Riss, der die Hälfte der Galaxie vom restlichen Imperium abgetrennt hatte, kam dies häufiger vor. Ich ließ meinen Blick durch die fünfeckige Halle wandern, deren Inneres einer gewaltigen, grob gemauerten Kathedrale mit fein gearbeiteten Verzierungen glich. Die steinernen Totenschädel, welche die turmhohen Wände zierten, hatten kunstvolle Steinmetze in minutiöser Handarbeit in den sedimenthaltigen Fels gehauen. Der Geruch von duftenden Ölen und geschmolzenem Wachs drängte sich in meine empfindliche Nase. Ich musste blinzeln. Dieser Ort war heller als jeder andere Ort im Kloster. Das lag daran, dass für jeden gefallenen Bruder, dessen Überreste hier zur letzten Ruhe gebettet lagen, eine immer brennende Kerze angezündet wurde. Der warme Schein des leuchtenden Orchesters wiegte sich sanft und tanzte melancholisch zu den heiligen Litaneien, die ein paar meiner Brüder mit ihren Dienern zusammen angestimmt hatten. Scheinbar betrauerten sie gerade einen frischen Verlust. Sie befanden sich allesamt noch in voller Rüstung, die vernarbt, verbeult und immer noch verschmiert von getrocknetem, unheiligem Blut war. Ein Ordenspriester in ihrer Mitte erwies dem Toten seine letzte Ehre und hatte sein Zepter, das heilige Crozius Arcanum, zu den von den Monden beleuchteten Buntglasfenstern emporgereckt. Auch in ihnen waren die bedeutendsten Meilensteine unseres Ordens verewigt worden: Rote, blaue, grüne und violette Nimmergeborene duellierten sich dort mit ihren Schlächtern, deren Häupter strahlende Heiligenscheine zierten. Ihre bunten Schatten bedeckten gleichzeitig in verschiedenen Winkeln den Boden. Weitere, vereinzelte Kampfbrüder befanden sich in den schummrigen, abgelegenen Ecken und waren im stillen Gebet versunken, nur von dem sanften Schein weniger Kerzen erhellt. Sie hatten das Keramit bereits gegen Roben der gleichen Farbe getauscht und wurden von den gigantischen Statuen der heiligen bewacht, die als die tragenden Säulen des Saales fungierten.
Ich schritt durch einen abzweigenden Gang in Richtung des Kommandozentrums. Der Geruch von Weihrauch und Schwefel wallte mir jetzt schleichend entgegen. Die Luft wurde feuchter, der Weg breiter und mein Gang verlangsamte sich. Die von mystischem Licht erhellten, schiefergrauen Seiten der Halle säumten lebensgroße, steinerne Gargoyles, von denen jeder einzelne einst ein mächtiger Dämon gewesen war, dessen unheimliche Schatten nun die dunklen Wände der Halle peinigten. In ihnen allen steckte ein schimmerndes Abbild von genau dem Relikt, mit dem ein nun legendärer Krieger sie einst endgültig zu Fall gebracht hatte. Das heilige Silber war an exakt der Stelle angebracht worden, an welcher es den Nimmergeborenen tödlich getroffen hatte. Hinter Ihnen, von der Dunkelheit halb verborgen, standen die riesigen, gerüsteten Abbilder ihrer Bezwinger, die überlebensgroß und stolz über ihre Beute wachten. Ich schlenderte ehrfürchtig an ihnen vorbei und las dabei die wahren Namen der Unheiligen. Man hatte sie in leuchtenden Runen, und zu ihrem Spott, in die Steinsockel unter ihnen gemeißelt. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Geist. Ich fühlte mich mit einem Male beobachtet und schaute mich um: Um einige der Statuen waren gewaltige, geschmiedete Ketten gelegt worden, die über und über mit Reinheitssiegeln und Schutzrunen versehen worden waren. Von den angeketteten Niegeborenen ging eine unerklärliche, bedrohliche Präsenz aus… Ich hatte sie schon immer latent wahrgenommen: Leise, wie ein Flüstern, das größtenteils von einem statischen Rauschen überlagert wurde. Nun aber war es so klar, wie als hätte man den Kanal eines alten Voxempfängers auf die gleiche Frequenz, mit der eines nahen Senderelais gebracht.
Es kündete unaufhörlich von Gefahr.
Ihre toten Augen glühten vor unterdrückter Gewalt, die Wände und der Boden um sie herum bedeckte formloser Ruß, wie als würde man sie verkohlen; So machtvoll war ihr immer noch verhallendes Echo. Ich betrachtete sie genauer: Namen und Bilder zuckten für einen Sekundenbruchteil durch meinen Geist:
Ein paar der Gestalten kamen mir mit einem Male auf groteske Weise vertraut vor…
Doch woher? Ich hatte lediglich mal hier und da von ihnen gelesen...
Ich spürte, wie ein Teil meiner Seele sich weigerte, sich den grausigen Statuen noch weiter zu nähern. Ich blickte wieder zu den Dämonenschlächtern auf: Langsam, wie rostige Zahnräder, die knirschend ihren Dienst wieder aufnehmen, erweckte sich in mir, genau wie beim ersten Mal als ich diesen Ort erblickt hatte, der kindliche Traum, einmal meine eigene Statur in diesen heiligen Hallen zu verdienen: Einmal Selbst ein Ungeheuer von einer so gewaltigen Bösartigkeit zur Strecke zu bringen, dass es auf ewig in die Annalen des Ordens eingehen würde.
Wie lang war es her, dass ich diese Bilder das letzte Mal vor meinem geistigen Auge gesehen hatte?
Ich bleib schließlich vor der letzten und größten bezwungenen Götzenstatue stehen. Sie thronte zwischen den zwei riesigen Türen, die beide weiter in das Innere des Heiligtums führen würden. Es war eine gewaltige, vogelhafte Kreatur mit einem kunstvoll gebogenem Schnabel und weit gespreizten Flügeln. Sie überragte mich um fast das Dreifache. Jemand hatte sich bei ihrem Erschaffen besonders Mühe gegeben und das hatte auch seinen Grund: Sie war unserem ersten Ordensmeister, dem sagenhaften Enoch Trismegistus gewidmet. Er war der erste Exorcist gewesen, welcher der unfreiwilligen Besessenheit durch einen mächtigen Dämon des Wandels, mit aller Tapferkeit, Würde und Entschlossenheit, die ein Space Marine aufbringen konnte, standgehalten hatte. Auf seiner schicksalhaften Erfahrung gründete sich nun die namensgebende Tradition des Aufnahmerituals unseres Ordens. Über seinem heroischen, steinernen Ebenbild prangte, in blank poliertem Gold, das weise Antlitz des göttlichen Imperators und schaute, eingerahmt von einem riesigen Heiligenschein aus goldenen Stäben, mit väterlicher Güte zu mir hinunter. Unter ihm befand sich ein nicht minder prunkvolles Banner, das in feierlichem Hochgotisch verkündete:
„Imperator Protegit“
Der Imperator beschützt.
Ich schaute zu ihm herauf und bedankte mich für seinen Beistand bei meiner eigenen Prüfung. Ich schlug das Zeichen der Aquila als Ehrerbietung und schritt durch die linke Tür. Auf meinem Weg durch den Irrgarten aus verzweigten Gängen, die von Fackeln, Kerzen und Maschinen erhellt wurden, betrachtete ich meine Umgebung genauer. Ich hatte mich noch nie so tief in die Eingeweide meiner Heimatfestung gewagt… bis jetzt.
Das Strategium, oder zumindest der Teil indem ich mich nun befand, war ein verdunkelter, ebenfalls fünfeckiger Raum. Seine Enden, die vollständig in den Schatten verborgen lagen, verband ein in den Stein eingelassenes Pentagramm. Der Raum glich aufgrund der Vielzahl an Schriftrollen und Büchern in den hohen Regalen schon fast einer kleinen Bibliothek. In seiner Mitte befand sich ein kreisrunder Tisch, dessen schwere Platte ebenfalls diverse Runen und Bannkreise zierten. Auf ihm standen genau fünf Kerzen in einem rituellen Muster. An seinem Ende saß eine einzige, hoch dekorierte Gestalt, gekleidet in die heilige Kriegerrüstung des Adeptus Astartes. Ein Engel des Todes, der einem Dämon in seinem eigenen Fleisch getrotzt hatte. Bei genauerem Hinsehen war er Bruder Asklepius nicht ganz unähnlich. Seine antike Rüstung war unzählige Male repariert, geflickt und neu lackiert worden. Dicke Narben zierten das Keramit, in das ebenfalls unzählige Bannkreise, heilige Verse und Schutzrunen geritzt, geätzt und gemeißelt worden waren. Ferner war sie mit dutzenden Talismanen geschmückt worden, die aus Steinen, Knochen und Schwur-Pergamenten bestanden.
„Setze dich, Bruder. Mein Name lautet Charon Echnaton. Ich bin der Captain der 8. Kompanie.“
Er hatte sich weder bewegt noch in meine Richtung gesehen. Seine Stimme war leise und dennoch so kraftvoll, wie als hätte er mich angebrüllt.
„Wisse dies, junger Akolyth: Der erste Schritt ist getan. Du bist nun ein Eingeweihter; einer der unseren und doch... befindest du dich gerade erst am Anfang deiner Reise.“
Er zögerte kurz und intelligente, tiefe Augen wandten sich den meinen zu, ohne auch nur im Geringsten von ihrer vom Warp berührten Verdorbenheit überrascht zu sein:
„Darf ich dir eine Frage stellen, Bruder?“
„Natürlich Captain!“
Versuchte ich zu antworten, abermals ohne Erfolg. Ich seufzte kaum merklich und wiederholte den Gedanken erneut, diesmal in Gebärdensprache.
„Wie hat es sich angefühlt? Es kommt nicht oft vor, dass jemand, dessen Körper so beschädigt wurde, so schnell wieder auf den Beinen ist. Nicht so stark. Nicht so… gefasst.“
Ich hielt seinem eisernen Blick stand, während meine Seele sich an einen Horror erinnerte, der meinem Geist dankenswerterweise verborgen blieb. In seine Augen zu blicken war, wie als würde man versuchen, etwas auf dem Boden eines beinahe unendlichen Abgrundes zu erspähen. Er nickte in einer Weise, deren Bedeutung ich nicht auszumachen vermochte.
Dies war ein verhör. Ich war der verdächtige.
Der Kommandant lehnte sich auf dem knarzenden Stuhl zurück und starrte gedankenverloren nach oben:
„Ich erinnere mich noch genau an meinen eigenen Aufnahmeritus… Es war… unbeschreiblich. Das Immaterium hat all meine schlimmsten Albträume aus meiner Seele gelesen, sie offenbart und sie dann anschließend wie ein Deck von Tarotkarten vor mir ausgebreitet. Es hat mir einen Arm genommen und mich verhöhnt, indem es mir die Fähigkeit gegeben hat, die Toten sprechen zu hören… Es hat mich für mein Leben lang verflucht, hat meine Seele und mein Fleisch geschändet... Was hat es dir angetan?“
Er spuckte aus und die aggressive Säure ätzte ein rauchendes, brodelndes Loch in den arkanen Stein. Er bemerkte, wie sich etwas in mir regte, als ich an die unerwünschten Veränderungen an meinem eigenen Körper dachte.
‚Es hat mir meine Stimme genommen… mein Skelett wie auf einer Streckbank gedehnt und meine Muskeln auseinandergerissen.“
Es war jenseits von einfach, diese Metapher mit Handzeichen zu verdeutlichen, die nicht für eine solche Art der Poesie geschaffen worden waren. Dennoch war es die zutreffendste Weise, die mir einfiel. Es war die einzig richtige Weise.
„Hasst du uns dafür, dass wir dir das angetan haben?“
Der Captain legte interessiert den Kopf schief und ließ seinen Blick über mein entstelltes Gesicht wandern. Ich zögerte verdutzt:
‚Nein! Ihr habt lediglich die ehrenwerte Tradition unseres Ordens befolgt. Ja, es war der Dämon, der mir dies antat, aber euch trifft keine Schuld. Es war meine Entscheidung!‘
Ich gestikulierte nun deutlich energischer. Captain Echnaton schüttelte den Kopf.
„Du solltest uns dafür hassen. Es wäre schlau, uns dafür zu hassen. Der Hass macht uns stark.“
Seine vorher so ruhige Stimme glich nun dem bedrohlichen Donnergrollen eines nahenden Sturmes. Ich saß senkrecht vor Schock bei dem Verhalten, das einem Manne solchen Ranges, so gänzlich unwürdig war: Er hatte wahrscheinlich mehr über die auf kalter Logik basierenden Doktrine des Codex vergessen, als ich Jeh wissen würde. Blinder Hass war auf keiner seiner vielen Seiten zu finden. Ich versuchte dennoch die Fassung zu behalten, ja bloß keine Miene zu verziehen. Er sprach weiter:
„Was siehst du, wenn du an die gebrochenen auf der fernen Reise denkst?“
Ich dachte zurück an das zerschmetterte Etwas und es kroch mir kalt den Rücken herunter, als ich an diejenigen dachte, denen es noch schlimmer ergangen war:
Denen, die ihre Dämonen nicht loslassen konnten und nun, auf ewig, ein Dasein als fleischlicher Kerker für die Biester in ihrem Innern in fristeten. Erst der Tod ihres Wirtes würde sie wieder in das Reich schicken, aus dem sie gekommen waren.
Wieso…? Dieses Wissen fühlte sich fremd an. Niemand im Orden hatte mir dies erzählt. Es war geheim. Es musste geheim sein. Das war nicht gut…
Ich hatte zu lange gezögert, um Unwissenheit vorzutäuschen. Der Captain grinste jetzt. Dann wurde er mit einem Male sehr ernst:
„Ich sehe Waffen. Waffen, die man entfesseln und auf den Feind werfen muss.“
Das hatte ich nicht erwartet. Der Satz traf meinen unvorbereiteten Geist wie ein Energiehammer den Kopf eines Häretikers auf der Schlachtbank der Ketzerei:
‚Das ist Häresie!‘
Brüllte ich so laut in meinen Gedanken, dass der Satz in meinem eigenen Kopf widerhallte. Echnaton schien die blanke Abscheu aus meinen unwirklichen Augen triefen zu sehen und schaute mich weiter belustigt an:
„Wir sind tote Männer, Bruder. Geister, die es nicht geben sollte. Jeder von uns steht mit einem Fuße schon im Grabe, sobald er überhaupt von unserer Existenz erfährt... Was bedeutet da noch ein weiterer Schritt auf einem unausweichlichen Weg, der so oder so in unsere Verdammnis führen wird? Der Orden muss stärker werden. Mächtiger. Größer. Wir dürfen keine Mittel scheuen! Kein Trick darf zu schmutzig sein, kein Opfer zu groß! -“
‚Was wollen Sie von mir?‘
Gestikulierte ich mit der plötzlichen Ruhe eines Totenpriesters, der gerade die letzte Messe für einen verstorbenen liest.
„Ich… will eine neue Ära erschaffen! Ich will Feuer mit Feuer bekämpfen! Ich will Blut für den Imperator, Schädel für den goldenen Thron! Der Feind muss mit allen Mitteln ausgelöscht werden! Ich brauche starke Krieger, wenn ich das durchsetzen will! Leute, die schlau sind; Jene, die die Wahrheit verstanden haben, die die Schwachen nicht akzeptieren wollen. Bist du einer von Ihnen?“
Ich schüttelte langsam den Kopf und spannte meine schmerzenden Muskeln an: Ich hatte genug. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würde ich ihm seinen gotteslästerlichen Hals auf links drehen und seinen gebrochenen, zappelnden Körper höchstpersönlich zum nächsten Ordenspriester schleifen, damit er das Werk vollenden konnte. Mir war egal, dass er eine Rüstung trug und ich nicht. Es war keine blinde Wut, die meine Geist überrannte, es war ein zielgerichteter, klarer Zorn, der wie eiskaltes Wasser durch meine Adern pumpte. Lieber würde ich bei dem Versuch ihn zu überwältigen sterben, als vor ihm das Knie zu beugen. Die Luft bebte förmlich vor Anspannung. Er zog schweigend sein Energieschwert, aktivierte es bedrohlich und richtete seine knisternde Klinge direkt auf meine Brust. Durch meinen Geist zuckten mechanisch sämtliche Kampfdoktrine, die man mir für eine genau solche Situation in den Schädel gebrannt hatte. Keiner von uns beiden bewegte sich. Dann blitzte das Schwert auf und sauste, in einem für menschliche Gelenke unmöglichem Winkel, genau auf meinen Hals zu. Ich verlagerte kampfbereit mein Gewicht und ließ meine Arme nach vorne schnellen, um die mechanische Hand, die das Schwert umklammerte, noch irgendwie abzufangen.
Doch ich sollte sie niemals berühren.
Mein Körper erstarrte urplötzlich; Er gefror. Der Körper meines Kontrahenten tat das gleiche. Mit einem Mal war es kalt um uns herum geworden. Die dampfende Luft roch nach Ozon. Das knisternde Schwert flog in hohem Bogen durch den Raum und blieb zischend in einem der Bücherregale stecken; Wie ein warmes Messer, das man in einen weichen Block Butter geworfen hatte. Das schwere Holzregal fing sofort an zu qualmen, bevor der Geist der Waffe die Energiezufuhr kappte und das heilige Schwert mit einem schweren Scheppern auf dem Boden aufschlug.
„Du gehst wirklich immer aufs Äußerste, Bruder Echnaton. Irgendwann wird dich das deinen hitzigen Kopf kosten!“
Ein Astartes in langen Roben gab sich in den Schemen der Dunkelheit zu erkennen.
Wie hatte ich ihn nicht bemerken können; War er die ganze Zeit schon da gewesen?
Ein langer Stab, dessen Ende der Kopf einer silbernen Schlange zierte, wurde als erstes von dem flackernden Kerzenlicht berührt, als er langsam und bedächtig nach vorne schritt. Die Reflektionen in den Augen des leblosen Tieres, die aus glatten Opalen bestanden, ließen es fast so aussehen, als ob in ihnen ein loderndes Feuer glühen würde. Es war der Stab des Sabazius. Das heilige Relikt, das den psionisch talentiertesten Krieger des Ordens verfolgte… Ob dieser es nun wollte oder nicht. Im Moment war es der Besitz des obersten Librarius, das wusste ich. Ich blinzelte irritiert, als er näher kam: Etwas stimmte nicht mit dem Psioniker: Obwohl er jetzt vollständig beleuchtet und eindeutig vor mir stand, fühlte es sich so an, wie als würde ich geradewegs durch ihn hindurchsehen. Als er meinen verwirrten Blick bemerkte, nickte er kurz. Mit einem Mal spürte ich eine gewaltige Aura den Raum ausfüllen; So, wie als hätte man das Schleusentor zu einer elementaren, unbekannten Macht geöffnet, um ihn vollends zu fluten. Gleichzeitig zog der mysteriöse Psioniker seine Kapuze von seinem Gesicht und entblößte ein zerfurchtes Relief, dass aussah, wie als hätten sich grobe Steinmetze und unzählige Witterungen abwechselnd daran zu schaffen gemacht. Ich hatte noch nie einen so alten Space Marine gesehen. Die Allerwenigsten hatten das.
„Ich nehme an, das heißt, der Bursche ist sauber?“
Der Magier hatte den Mund des Captains anscheinend wieder frei gegeben.
„Ja, in der Tat. Das heißt es. Ich konnte keine Korruption in ihm wahrnehmen.“
Mit diesen Worten löste er den mystischen Bann vollständig. Der Captain fing sich geschickt aus seiner Bewegung, während mein eigener Schwung mich stolpern ließ und fast auf den Boden katapultierte.
„Dann herzlichen Glückwunsch, Jungspund! Willkommen in der 8. Kompanie!“
Echnaton reichte mir die Hand zum Kriegergruß, den ich zögerlich erwiderte. Er klopfte mir auf die Schulter und baute sich vor mir auf. Er war ebenfalls kleiner als ich. Ich sah verwirrt zu dem alten Zauberer, der das Schauspiel mit offensichtlicher Belustigung betrachtete.
„Du warst einer der Kandidaten, wo wir uns nicht ganz sicher waren. Deswegen der Zirkus, verstehst du?“
Ich nickte, immer noch leicht skeptisch. Echnaton neigte sich zu mir herüber und flüsterte mir zu:
„Aber ich hatte keine Zweifel um ehrlich zu sein! Ich erkenne das sofort.“
Ich spürte, wie der Librarius kaum merklich den Kopf schüttelte. Das verbesserte Gehör eines Astartes konnte, auf einem tobenden Schaltfeld, eine Stecknadel in einem benachbarten Gebäude fallen hören. So vernahm ich zum Beispiel, dass das Voxrelais an Echnatons Kragen leise klickte, als er eine Nachricht erhielt:
„Hey Meister, leiste dem Burschen noch etwas Gesellschaft. Ich werde leider grad dringend woanders gebraucht.“
Der Magier nickte und Echnaton wandte sich stattdessen mir zu:
„Weitere Befehle folgen in Kürze. Halte dich bereit und nutze die Zeit für dein persönliches Studium... Ich persönlich würde dir ja ein Wörterbuch nahelegen!“
Er verließ in Windeseile den Raum, während sein schallendes Gelächter über seinen eigenen Witz im Gang verhallte. Der alte Skriptor hielt sich eine Handfläche vor das Gesicht und stöhnte leise. Ich starrte ihn erwartungsvoll an. Wie als hätte er meine Gedanken gelesen, sprach er mit langsamer, trockener Stimme:
„Du hast viele Fragen nehme ich an. Die einfachste davon will dir zuerst beantworten: Ich bin Goetos, der oberste Librarius des Ordens. Meister des Kultes des zerbrochenen Turms.“
Mir bleib die Luft weg. Wenn das stimmte, war er über Sieben Tausend Jahre alt. Das sollte ihn eigentlich zu einer Berühmtheit im in der gesamten Armee des Imperiums machen! Auch wenn Astartes rein biologisch so gut wie unsterblich sind, so kam es doch höchst selten vor, dass ihre Lebensspanne eine einstellige Anzahl an Jahrhunderten überschritt… Geschweige denn sieben Jahrtausende. Hatte er die gesamte Geschichte unseres Ordens miterlebt?
„Alles zu seiner Zeit. Lass mein Alter erst mal meine Sorge sein… Das bringt uns gleich zum nächsten Punkt: Wie du sicher bemerkt hast, ist dein Potential für die Kunst seit deinem Ritual exponentiell gestiegen. Du hast es wahrscheinlich noch gar nicht richtig gemerkt, aber deine Gedanken sprudeln förmlich aus deinem astralen Körper, obwohl deine Seele beinahe schwarz ist. Das ist sehr… ungewöhnlich. Zeig mir, was du hier siehst.“
Er streckte seine gepanzerte Hand aus und ein regenbogenfarbener Feuerball erschien darin. Anders als die Kerzen warf er keine Schatten in seiner Umgebung. Es war, wie als wäre das Licht nur in meiner eigenen Vorstellung da. Ich spürte einen sanften Druck auf meinem Geist und hinter meinen Augen. Das Feuer war geradezu hypnotisierend.
„Du kannst nicht nur das Feuer, sondern sogar die einzelnen Farben sehen… Faszinierend.“
Ich schaute überrascht zu ihm auf. Ich bemerkte jetzt erst, dass der Librarius seinen Mund seit der Flucht von Captain Echnaton nicht bewegt hatte, obwohl er sich schon eine ganze Weile mit mir unterhielt.
„Ich möchte dich gerne Unterweisen. Selbstverständlich steht es dir Frei, selbst zu wählen, welchem Kult, du dich anschießt. Ich denke jedoch, dass der gebrochene Turm wohl die spannendste Wahl seien dürfte…“
Ich konnte kaum fassen, welche Ehre man mir hier zu Teil werden ließ: Der gebrochene Turm verwahrte die dunkelsten Schriften des Ordens und bildete die fähigsten Psioniker aus. Wissen ist Macht; Und dieser Kult besaß am meisten von beiden; Das Librarium war angesehen, geschätzt, Bewundert. Mittlerweile war mir klar, dass er meine Begeisterung spüren konnte. Er nickte zustimmend:
„Triff mich um Mitternacht im Atrium des Librariums. Dort werde ich dir deine erste Lektion zuteilwerden lassen.“