Da der vorherige Teil ein wenig kurz und mager ausgefallen ist, geht es direkt weiter:
Im Gegensatz zum herrlich warmen Abend wurde es in der Nacht unangenehm kalt. Ernst kauerte neben den schlafenden Schafen und umklammerte seine Flinte mit zittrigen Fingern. Er spähte in den nahe gelegenen Wald und ging in Gedanken jedes erdenkliche Szenario durch, in dem gierige Wölfe seine Schafe zu reißen versuchten. Um nicht einzuschlafen zielte er in kleinen Intervallen abwechselnd auf die Stellen, in denen das Gestrüpp lichter war und drückte in Gedanken ab.
Als er zum gefühlten tausendsten Male den Brombeerstrauch zu seiner Linken anvisierte, ertönte ein Ohrenbetäubender Krach, gefolgt von panischen Schreien. Ernst schreckte auf und war sofort hell wach. Er atmete verbrannte Luft ein, als er zu seinem Haus rannte. Die Schafe waren panisch und rannten ziellos in ihrem Gehege umher. Ein weiterer Knall. Gewaltige Trommeln, so schien es Ernst, erschütterten die hölzernen Dielen seiner Behausung. Frau und Sohn waren bereits aufgewacht und standen in Abendkleidern vor ihm. Sein Sohn weinte und seine Frau brachte kein Wort heraus.
,,Schnell, in den Keller!", keuchte Ernst.
Sie rannten um das Haus bis hin zu der gewaltigen Falltür , die unter einem Berg aus Heu versteckt im Boden verankert war. Ernst wühlte sich und seiner Familie einen Weg durch das trockene Gras und wuchtete die Tür weit genug auf, dass seine Frau und sein Sohn hindurch gelangen konnten.
,,Ich bin bald zurück, bleibt hier bis ich wiederkomme." Mit diesen Worten ließ Ernst die Falltür ins Schloss fallen und wandte sich um. Pferde näherten sich in schnellem Galopp. Ernst ging in die Hocke und richtete seine Flinte auf die Straße, die von der Kleinstadt Mehrlenheim an seinem Hof vorbei richtung Talabheim führte.
Das donnern der Hufe wurde immer deutlicher. Der Schweiß rann an seiner Stirn hinab und tropfte auf seine Hände. In der Ferne konnte er Merlenheim brennen sehen. Die Hitze war gewaltig und die Flammen blendeten ihn. Eine schwer gerüstete Gestalt erschien auf der Straße und Ernst drückte ab. Das Geschoss traf den Schild des Reiters, der überrascht vom Pferd stürzte. Ernst lud hektisch seine Flinte nach, als weitere Reiter auftauchten. Sie zügelten ihre Rösser und eine der Gestalten sprang aus dem Sattel. Ernst zielte auf den Ritter, der erhobenen Schwertes auf ihn zu stürmte. Er drückte erneut ab, doch seine Flinte gab nur ein leises Klackern von sich.
,,Ladehemmung! Jetzt ist alles aus." , schoss es Ernst durch den Kopf, als der Ritter zuschlug.
Ernst schloss die Augen und spürte, wie ihm die Flinte aus den Händen geschmettert wurde.
,,Ihr Narr. Könnt Freund von Feind wohl nicht mehr unterscheiden, was?".
Ernst öffnete seine Augen und sah den Hauptmann der Stadtgarde von Mehrlenheim auf ihn hinab blicken.
,,Steht auf und schafft eure Familie her, bevor es zu spät ist . Die Grünhäute haben Mehrlenheim überrannt.
Wir hatten nicht einmal Zeit mit der Wimper zu zucken, da hatten sie unsere Wälle schon durchbrochen. Wir können euch nach Talabheim mitnehmen, dort sind wir sicher".
Ernst war zugleich schockiert und erleichtert, als ihm klar wurde, was gerade passiert war. Er rannte zu der Falltür und wuchtete sie ein weiteres Mal auf. Seine Frau kauerte auf dem kalten Steinboden, ihren Sohn im Arm, der immer noch weinte.
,,Ernst, was geschieht hier?", schluchzte sie, als sie die Silhouette ihres Mannes auftauchen sah.
,,Keine Zeit für Erklärungen, gib mir den Jungen!", brüllte Ernst ungeduldig.
Er nahm sein schreiendes Kind und rannte auf die Reiterkolonne zu. Ein Ritter von kräftiger Statur nahm Ernsts Sohn entgegen und hievte ihn vor sich auf sein Schlachtross.
Der Schlachtenlärm schien näher zu kommen und der Hauptmann wurde ungeduldig.
,,Beeilen euch, verdammt, oder wollt ihr hier sterben?".
Ein ohrenbetäubender Lärm übertönte den tobenden Hauptmann, als Ernst zu Boden geschleudert wurde. Sein Kopf schmerzte und sein Blick war verschwommen. Gedämpft hörte er das wiehern von Pferden und das panische Meckern seiner Schafe. Auf eine merkwürdige Art und Weise fühlte sich Ernst geborgen, als sei dies alles nur ein Traum und er würde gleich in seinem Bett neben seiner Frau aufwachen. Doch dann wurde sein Blick klarer und der Traum ward wieder real. Ein brennender Krater war nun dort zu sehen, wo vorher der Hauptmann gestanden hatte. Männer und Pferde lagen verbrannt und verstümmelt auf dem Boden. Ernst suchte weinend nach seinem Sohn, doch dazu war es zu spät.
Er spürte, wie sich eine unnatürlich große Faust um seinen Kragen schloss und ihn schmerzhaft in die Luft hob. Ernst zappelte und wand sich, doch konnte er dem eisernen Griff nicht entfliehen. Die Kreatur drehte Ernst zu sich und schnaubte ihm ihren übel riechenden Atem stoßweise ins Gesicht.
,,Erbärmliche Mänschenz." , knurrte der riesenhafte Ork.
,,Erst sin' se zu feige zum Kämpf'n und dann sin' se auch noch zu lahm zum Wegrenn'."
Ernst hörte, wie die übrigen Orks in Gelächter ausbrachen , bevor er mit unfassbarer Wucht hinfort geschleudert wurde. Die steinerne Wand seines Hauses bremste ihn unsanft und das kreischen seiner Frau war das letzte, das er wahrnahm, als er ohnmächtig wurde.
Bei Sonnenaufgang schlugen die Turmwachen von Talabheim Alarm. Oberbefehlshaber Junghanns der Talabheimer Stadtgarde stürmte die Wendeltreppe des östlichen Wachturms hinauf. Keuchend kam er vor der Turmwache zum stehen.
,,Was geht hier vor sich? Ein Angriff?", japste er.
,,Nein, Oberbefehlshaber. Ein Reiter nähert sich den Stadttoren. Unsere Späher berichten, dass er das Wappen von Mehrlenheim auf seinem Harnisch trägt." , entgegnete die Turmwache.
,,Herr, er hat einen kleinen Jungen bei sich." , fügte die Turmwache mit besorgtem Blick hinzu.
,,Lasst den Mann hinein. Er wird Verpflegung brauchen. Ich werde mich persönlich um ihn kümmern. Er wird sicherlich wichtige Kunde bringen.", gebot Oberbefehlshaber Junghanns und machte auf dem Absatz kehrt.
Das Stadttor Talabheims öffnete sich unter den Fanfaren der Herolde. Oberbefehlshaber Junghanns half dem verwundeten Ritter vom Pferde und ließ die Feldärzte kommen.
,,Was ist mit euch geschehen? Sprecht, bevor ihr euer Wissen mit in den Tod nehmt.", fragte Junghanns.
Der Ritter keuchte unter der Last seines Harnischs. ,,Mehrlenheim wurde überrannt. Die Grünhäute kamen unerwartet und ließen niemanden am Leben. Ich konnte den Jungen von einem Bauernhof außerhalb der Stadt auflesen und mit ihm entkommen."
,,Versorgt diesen Mann, er muss schreckliches durchlebt haben.", befahl Junghanns seinen Feldärzten, die den Ritter daraufhin auf eine Trage hievten und ins Lazarett brachten.
Dann wandte er sich dem Jungen zu, der mit verweinten Augen zu dem groß gewachsenen Oberbefehlshaber aufblickte.
,,Und wie ist dein Name, kleiner Mann?"
,,Hermann...", schluchzte der Junge.