Dreimal klatschte Regina in die Hände, um den Imperator in der Inkarnation des Omnissiah auf sich aufmerksam zu machen. Ihre kleine Schwester Index machte es mit so großem Eifer nach, dass man sie bestimmt bis nach Terra hören musste. Dann falteten sie die Hände und senkten das Haupt vor dem Triptychon aus Zink, der auf einem roten Marmorsockel ruhte, in den ein fünfzackiger Stern mit den Buchstaben TM eingraviert war. Dies war das Firmenzeichen der Traktoren Manufaktur von Alunbatan. Im Zentrum des Altarbildes war der Imperator in einer goldenen Rüstung zu sehen, der einen roten Formula Primus Rennwagen steuerte. Darüber waren ein goldener Aquila und das eisern knöcherne Schädelsymbol des Mechanicus angebracht. Auf den Flügeln des Altarschreines waren alle Jahreszahlen geschrieben, in denen das Rote Team von TM die Formula Primus gewonnen hatte.
"Lieber lebendiger Gottimperator in deinem goldenen Cockpit auf Terra.
Erfülle die Luft dieser Rennstrecke mit dem Dröhnen der Rennmotoren und dem lieblichen Geruch von Petrochem.
Bitte schenke in deiner unendlichen Gnade einzig dem Roten Team von der Traktoren Manufaktur seinen verdienten Sieg in der Formula Primus Rennserie von Alunbatan.
Und bitte höre nicht auf die lästerlichen Gebete der Anhänger des Grünen, des Weißen und schon mal gar nicht auf die des Blauen Teams.", beteten die beiden Mädchen inbrünstig in der kleinen Kapelle für die TM unter der Nordwesttribüne. Die Jugendliche von knapp dreizehn Jahren stand in ihrer grauen Schreiberrobe, die sie als angehende Schreiberin des Adeptus Administratum im ersten Ausbildungsjahr auswies, auf und schüttete etwas geweihtes Petrochem aus einer Flasche aus gebürstetem Stahl in die Opferschale.
"Ich will anzünden! Du hast es versprochen!", forderte die sechs Jahre alte Index, die mit ihrer schwarzen Schola Uniform bekleidet war. In ihre Haare waren rote Schleifen eingeflochten, um zu zeigen, dass sie ein Anhänger des roten Teams war, während Regina eine rote Armbinde und einen ebenso roten Schal trug.
"Verbrenne dir aber nicht die Finger!", mahnte Regina und reichte ihrer Schwester eine kleine Schachtel mit Zündhölzern.
"Ja, ja, ich kann das!" Mit großer Konzentration zündete Index ein Streichholz an.
"Bitte, Gottimperator in deiner Funktion als Omnissiah des Maschinengottes, erhöre unser Gebet, denn das Öl war verdammt teuer!", wich die kleine Index etwas von der offiziellen Formel ab und zündete das Petrochem an.
"Kindermund tut Wahrheit kund!", murmelte ein anderer Gläubiger hinter ihnen und auch Regina musste ein Schmunzeln unterdrücken, während das wirklich sehr teure geweihte Öl mit einem stechenden Geruch in der Schale verbrannte. Sie befanden sich mit vielen weiteren Gläubigen und Rennbegeisterten in einer der roten Mannschaft gewidmeten Kapelle des Omnissiah unterhalb der Nordwesttribüne des Rennstadions von der Schwarmstadt Grünfeld. Grüne Felder gab es hier in Grünfeld schon lange nicht mehr. Riesige Habs streckten sich in den Himmel, der grau vom Nebel der Abgase unzähliger Bodenfahrzeuge war. Die Welt Alunbatan war berühmt für ihre vier großen Fahrzeugmanufakturen und stand kurz davor, zu einer richtigen Makropolwelt zu werden.
Die Kapelle war mit rotem Marmor ausgekleidet und vorne am Eingang konnte man bei einem Maschinenpriester verschiedene Opfergaben kaufen. Heute war Rennsonntag und das Finale der Formula Primus, der angesehensten Rennserie von Alunbatan, würde in den nächsten Stunden genau hier ausgetragen werden. Die Rote Mannschaft von TM führte ganz knapp vor der Blauen Mannschaft von AMM. Es versprach, sehr spannend zu werden.
Mit ihrer kleinen Schwester an der Hand ging sie aus der Kapelle hinaus in das Gewühl des Hauptganges. Von überall her waren rennbegeisterte Alunbataner angereist und jeder trug die Farbe seiner Mannschaft. Über eine breite Treppe betraten sie die Nordwesttribüne. Das Stadion hatte einen Durchmesser von drei Kilometern. Im Rund befanden sich mehrere Rennstrecken. Die ersten Vorrennen liefen schon auf der großen Hauptstrecke, die sich über mehrere verschlungene Kurven durch das Stadionrund zog. In zwei inneren abgetrennten Strecken kämpften in kleinen Motorwägen oder Bückeisen Jugendliche Nachwuchsfahrer um die vorderen Plätze. Auf der großen Strecke rasten gerade Werksfahrer in modifizierten Vierachsern um die Wette. Das Stadion war schon zur Hälfte gefüllt. Aufatmend ließ sich Regina auf dem Platz 42Delta neben ihren Vater in den Hartschalensitz aus Plast fallen.
Sie strich sich einige schweißverklebte schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht und richtete sich ihre Frisur. Index stand auf ihren Sitz und blickte sich mit großen Augen um, war das heute doch das erste Mal, dass sie mit Vater zum Rennstadion hatte mitdürfen. Ihr Vater, dessen Haare bis auf einen schütteren Kranz ausgefallen waren, trug ebenfalls eine graue Schreiberrobe des Adeptus Administratums und bediente den ganzen Tag ein Cogitatorterminal, wo er handgeschriebene Berichte eintippte. Eines Tages würde Regina genau die gleiche Arbeit verrichten, aber jetzt war sie erst im ersten Ausbildungsjahr auf der Administratums Schola. In der Hand hielt er ein paar Wettscheine und Regina hoffte, dass der Gottimperator und Omnissiah in Personalunion ihre innigen Gebete auch erhört hatte.
Die Familie saß recht nahe an der Strecke, in der drittuntersten Reihe. Mehr konnte sich ihr Vater nicht leisten. Je weiter oben, desto sicherer war der Platz und je mehr konnte man sehen. Sie sahen nur einen Teil der Piste und eine der zwei kleinen abgetrennten Bahnen. Hier und da waren große Bildtafeln zu sehen, die Rennergebnisse anzeigten, Bilder von nicht einsehbaren Bereichen zeigte oder die nächsten Rennen ankündigten. Zwischen den Tribünen für das Volk, welche unten noch mit bunten Reklametafeln zugepflastert waren, ragten die goldverspiegelten Türme der Reichen und Adligen auf. Jede der großen Manufakturen hatte ihren eigenen mächtigen Turm mit hunderten von Logen und dem großen Balkon für die Vorsitzenden der Magnatsfamilien. Auch der Gouverneur hatte seinen eigenen prunkvollen Aussichtsturm mit riesigem Balkon, auf dem bis jetzt nur ein paar Diener zu sehen waren, die alles für ihren Herrn vorbereiteten. Am Himmel kreisten einige Zeppeline mit Messingsegeln träge über der Strecke. Auch mehrere Schweber verschiedener Sicherheitsorgane waren zu sehen. Wohl weniger, um bei Ausschreitungen eingreifen zu können, sondern wohl, um selbst die Rennen kostenlos aus guter Perspektive betrachten zu können.
Die ersten Verkäufer mit Bauchläden liefen schon zwischen den Rängen, denn es war verboten, etwas zum Essen oder Trinken mitzunehmen. Jeder, der von den rotuniformierten Ordnungskräften mit nicht lizensierten Lebensmitteln erwischt wurde, musste gehen. Auf mehreren Sockeln standen Kameras mit Gehäusen aus gebürstetem Messing, welche das Geschehen auf der Strecke ins alunbataner Televidnetz einspeisten.
Aber schon bald hatte Regina alles um sich herum vergessen und konzentrierte sich auf die Vorläufe und das Nebenprogramm auf der von ihr einsehbaren Rennstrecke. Die Sonne versuchte ab und zu, durch den Smog zu dringen, scheiterte aber letztendlich kläglich daran.
Schließlich begann das Hauptprogramm, das große Abschlussrennen der Formula Primus der Saison 864. Als erste kam die Flaggenparade. Auf einem Tieflader war ein zwanzig Meter hoher Mast montiert, an dem ein mächtiges rotes Banner hing. Mit goldenen Fäden waren der fünfzackige Stern und die Buchstaben TM hinein gestickt. Auf einem weiteren gigantischen LKW mit zwölf Achsen spielte die Werkskapelle einen schmissigen Marsch und die Zuschauer standen auf und schmetterten die Hymne der TM mit, da diese Tribüne für den roten Block reserviert war. Auf einem weiteren Kraftwagen standen die Sieger der Vorrennen der roten Mannschaft mit goldenen Kränzen um den Hals und mit Pokalen voller Credits. Dann kam das blaue Team. Ihre Fahne war blau und mit weißen Elektrumfäden war ihr Wappen aufgestickt, ein AMM, für Alunbatan Motorenmanufaktur. Jeder Buchstabenstrich, der den Boden berührte, war mit einem Rad versehen, so dass der Buchstabenzug mit etwas Phantasie einem Achtachser ähnelte. Das A war die Fahrerkabine, die beiden M die Ladefläche. Aus Gründen der sportlichen Fairness wurde das blaue Team nicht ausgebuht, aber man quittierte im roten Block ihre Vorbeifahrt mit eisigem Schweigen. Dann kam das weiße Banner der GFS, dessen Schriftzug von einem schwarzen Kreis umgeben war. Das GFS stand für Gnadenvoll Fahrzeugschmiede, welche das gehobene Limousinenmarktsegment bediente. Als letztes fuhr das grüne Banner vorbei, welches die Metallwerke Alunbatans, kurz MWA genannt, repräsentierte. Ihr Schriftzug war von der Silhouette eines Kettenfahrzeugs umgeben, da die MWA hauptsächlich Kampffahrzeuge herstellte. Ursprünglich war Alunbatan während der Macharius Häresie der primäre Nachschubplanet für die imperiumstreuen Truppen des Generalfeldmarschalls Crassus gewesen.
Die Tieflader fuhren von der Strecke und die Qualifikation begann. Jedes Team hatte sechs Boliden, aber es gab nur sechzehn Startplätze. Jedes Fahrzeug konnte drei Runden fahren und die schnellste davon wurde gewertet, die sechzehn besten Fahrzeuge durften dann am eigentlichen Rennen teilnehmen. Das Kernstück eines jeden Boliden war sein Zwölfzylindertriebwerk auf Petrochembasis, das über tausend Groxstärken erzeugen konnte. Die ganze Kraft wurde über ein wuchtiges Getriebe auf die zwei gewaltigen Hinterräder übertragen. Über die zwei kleinen Vorderräder wurde der Formula Primus Bolide gelenkt. Der Pilot saß in einem engen, mit Adamantiumstreben verstärkten Cockpit rechts neben dem Triebwerk in einem der Seitenausleger. Die ganze Form des Fahrzeuges war so ausgelegt, dass der Fahrtwind das Vehikel auf den Boden presste. Es gab nichts Schlimmeres, wenn der Bolide angehoben wurde, dann flog er wie ein Geschoss unkontrolliert durch die Luft und bei Unfällen waren schon hunderte von Menschen umgekommen.
Jedes Mal, wenn ein roter Bolide vorbei donnerte, sprangen die Anhänger von TM auf und feuerten den Piloten an. Trotz Heimvorteil konnten sich nur fünf der sechs roten Fahrzeuge qualifizieren, die blauen stellten ebenfalls fünf, die weißen und die grünen ergatterten nur drei Startplätze. Aber das spielte keine Rolle mehr, da nur die Blauen den Roten noch gefährlich werden konnten, da diese wenigstens noch die Chance hatten, deren Vorsprung wett zu machen. Die Weißen und die Grünen, hatten nicht mal mehr eine rechnerische Chance auf den Saisonsieg.
Die Boliden rollten auf ihre Startplätze, zwei rote, ein blauer und ein weißer waren in der ersten Startreihe. Das ganze Stadion hielt den Atem an, als der inzwischen eingetroffene Gouverneur sein Vorrecht in Anspruch nahm, das Rennen zu starten. Seine Pistole knallte und die Rennwägen donnerten los. Motoren brüllten und Reifen quietschten, als die Fahrzeuge Fahrt aufnahmen. Der Weiße kam beim Start am besten weg und setzte sich erst einmal an die Spitze. Die Gnadenvoll Boliden waren immer beim Start gut, aber schon bald würde sich die höhere Endgeschwindigkeit der Blauen und Roten bemerkbar machen. Wie ein Wurm aus Metall bretterte die Korona der Rennwägen in die erste Kurve. Weiß war noch immer vorn, aber Crassus im führenden Roten kämpfte seinen blauen Konkurrenten nieder und setzte sich vor diesen. Jetzt kam eine lange Gerade, der Weiße behauptete sich. Nach mehreren Kurven näherten sich die Boliden dem Abschnitt, an dem ihre Tribüne stand. Der Weiße schoss herein. Zu schnell, wie Regina erkannte. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Zuschauer. Der Bolide schrammte an der Außenbegrenzung entlang, ein Teil der angebrachten Reklametafeln wurde abgerissen und Trümmer aus Plast prasselten auf die Bahn. Dann schoss Crassus heran, fuhr über eine der am Boden liegenden Tafeln mit dicker Haltestange und sein Bolide verlor die Bodenhaftung. Er hob ab, stieg auf, überschlug sich und zerschmetterte den Sicherheitszaun, welcher Tribüne und Strecke trennte. Regina sah, dass der Rennwagen genau auf sie zugeflogen kam. Das war ihr Ende, der Bolide würde Vater, Index und sie zermalmen.
"Stopp!", brüllte sie und streckte ihre Hände aus, als ob sie ihn auffangen wollte. Etwas löste sich in ihr. Mit großen Augen sah Regina zu, wie der Bolide auf einmal mitten in der Luft abbremste und sehr schnell langsamer wurde. Etwa zwei Meter über ihr stoppte der Flug und der Wagen stand einfach mit heulenden Motor mitten in der Luft. Die Leute schrien immer noch um sie herum, aber das Mädchen konnte sich nicht rühren.
"Regina! Komm!" Index zupfte an ihrem Arm.
"Lass Regina in Ruhe, ich glaube, sie ist für dieses Wunder verantwortlich." Um sie herum hatte sich eine Leere gebildet und die Schülerin spürte, wie ihr Blut aus der Nase lief. Über ihr flog einer der gepanzerten Schweber heran, der eine Säule mit einer schwarzweißen Waage als Hoheitszeichen hatte. Eine Seitentür ging auf und ein gerüsteter Mann mit einem großen Gewehr war zu sehen. Auf der anderen Seite wurden Seile zu Boden geworfen und mehrere Gestalten seilten sich ab. Die Leere um sie herum wurde größer.
"Hexe! Sie ist eine verdammte Hexe!", hörte Regina eine Frau keifen.
"Verbrennt die Hexe, denn die Hexe sollst du töten!", warf eine andere Frau ein.
"Das ist doch Wahnsinn! Das Mädchen hat uns alle gerettet!", konterte ein Mann, aber die allgemeine Stimmung war wohl eher gegen sie.
War sie eine Hexe? War sie dazu verdammt, auf dem Scheiterhaufen zu sterben? Das Mädchen blickte hoch zu dem Mann mit dem Gewehr, das er nun auf sie gerichtet hatte. Die Mündung schien riesengroß zu sein und jeden Moment konnte ihr Tod daraus hervorschießen. Von den abgeseilten setze sich eine kleine Gestalt an die Spitze und kam auf sie zu. Es handelte sich um eine blonde Frau, die unter einem langem schwarzen Groxledermantel eine dunkle Rüstung trug, auf der die gleiche Säule wie auf dem Schweber zu sehen war. Auf ihren Kopf trug sie einen großen Metallhelm, auf dessen Schirm sich ein doppelköpfiger Adler mit gespreizten Flügeln krallte. Die anderen Männer in ebenfalls dunklen Rüstungen mit Helmen verteilten sich, sie hatten große klobige Gewehre in den Händen, die alle drohend in ihre Richtung zeigten.
"Wie lautet dein Name, kleines Fräulein?", fragte die Frau mit sanfter beruhigender Stimme, die nun ganz nahe an sie heran gekommen war. Nur ihr Vater und ihre kleine Schwester standen in ihrer Nähe und auch die beiden rückten immer mehr von ihr ab. Musste sie nun sterben? Ihr wurde schwindlig und beinahe hätte sie die Kontrolle über sich verloren. Sie hustete, schluckte und musste sich die Kehle frei räuspern.
"Regina Schreiberstochter, Erste Ausbildungsklasse zur Administrationsgehilfin der Schola III in Grünfeld.", erwiderte das Mädchen unter Tränen.
"Guten Tag, Administrationsgehilfin Regina, ich bin Sonderermittlerin Sylar vom Adeptus Arbites. Ich nehme mal an, dieses Phänomen geht auf dich zurück?", stellte sich die Frau mit ruhiger Stimme vor.
"Ja, ich denke schon! Der Bolide kam auf uns zu und ich wollte nicht, dass er meinen Vater und meine Schwester zerschmettert. Und auf einmal konnte ich ihn aufhalten. Einfach so! Ich weiß gar nicht, was ich da überhaupt mache."
"Das hast du ganz toll gemacht, Regina. Aber ich glaube, du kannst ihn jetzt ganz vorsichtig wieder auf die Bahn stellen. Glaubst du, das bekommst du hin?"
"Ja!", schniefte Regina und wollte, dass der Bolide wieder auf der Bahn stand. Erstaunlicherweise konnte sie das Fahrzeug mit ihrer Gedankenkraft steuern. Leicht wie eine Feder setzte das Fahrzeug auf, dessen Motor inzwischen ruhig im Leerlauf tuckerte, und der Pilot, der berühmte Crassus, kletterte mit bleichem Gesicht heraus.
"So, das hast du prima gemacht, Regina Schreiberstochter. Tu mir einen großen Gefallen und leg das um deinen Hals, dass blockiert deine Kräfte." Nach einem kurzen Zögern legte Regina das komische Halsband mit einem großen Anhänger aus Gold an, auf dem ein Pentagramm eingraviert war. "Du weißt, was du bist?"
"Eine Hexe? Werde ich jetzt verbrannt?", fragte Regina mit zitternder Stimme und fuhr fahrig mit den Finger das Pentagramm auf dem Anhänger nach.
"Verbrennt die Hexe!", brüllte wieder die hysterische Frau, die als wahrer Fan ein komplett rotes Kleid trug.
"Fräulein Schreiberstochter ist keine Hexe! Regina ist eine angehende Psionikerin, dieses Mädchen ist nun ein Teil des Zehntes dieser Welt. Sie gehört nun dem Imperator! Jeder, der sich an den Besitz des Imperators vergreift, ist des Todes! Der nächste Aufruf wird umgehend mit der Auslöschung derjenigen Person beantwortet werden! Habe ich mich verständlich ausgedrückt?" Die Sonderermittlerin sah dabei die ganze Zeit die Frau im roten Kleid an, die mit jedem Wort merklich bleicher wurde. Dann wandte sich die Arbites wieder an Regina, die sich nun etwas entspannte. Dies war wohl nicht ihr Ende.
"Unsinn! Du bist eine Psionikerin, eine Auserwählte. Du wirst mit einem schwarzen Schiff nach Terra reisen, dort, wo der Gottimperator auf seinem goldenen Thron sitzt. Dort gibt es eine Schola für Psioniker, wo du lernen wirst, mit deiner Kraft dem Imperium zu dienen. Leider muss ich dich dafür mitnehmen und du wirst deine Familie verlassen müssen. Ist das in Ordnung für dich?" Die Frau hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt und gab ihr mit der anderen ein sauberes Taschentuch.
"Und wenn ich verspreche, nie wieder meine Kräfte zu benutzen, darf ich dann bleiben?"
"Das geht leider nicht, ich muss dich leider mitnehmen. Das ist auch zu deinem eigenen Besten, denn ich bringe dich an einen Ort, wo deine Kräfte keinen Schaden anrichten können, bis du in der Scholastica Psikana auf Terra gelernt hast, mit deiner wertvollen Gabe verantwortungsbewusst umzugehen. Verabschiede dich von deinem Vater und deiner Schwester." Die Frau führte sie mit einer Hand zu ihrem Vater, der sie kurz drückte und dann einen Kuss auf die Stirn hauchte. Ihre Schwester riss Regina beinahe um, so stürmisch drückte sich Index an sie.
"Bis das Schwarze Schiff den Zehnt abholt, können Sie Ihre Tochter in der Sicherheitsverwahrung der Arbitesfestung V besuchen.", mit diesen Worten überreichte die Sonderermittlerin ihrem Vater eine kleine Karte.
"So, kleines Fräulein, jetzt ist aber genug, der Imperator braucht deine große Schwester mit ungebrochenen Rippen." Mit sanfter Gewalt löste die Sonderermittlerin Reginas Schwester, die sich dann schniefend an Vater klammerte.
"Das ist Regina Schreiberstochter! Sie hat Ihnen allen mit der ihr von unserem Gottimperator verliehenen Gabe Ihr Leben gerettet! Ich denke mal, das ist ein herzliches Dankeschön wert!", rief die Sonderermittlerin in die Menge und Regina spürte, wie sie knallrot wurde. Zuerst kam nur verhaltener Jubel auf, der sich aber sekündlich steigerte, während die Sonderermittlerin Regina zum Schweber führe, der knapp über den Rängen schwebte. Unter begeisterten "Regina! Regina! Regina!"-Rufen stieg sie ein und die Arbites zeigte ihr einen freien Platz im Schweber, wo sie sich anschnallen konnte. Schnell stieg der Schweber auf und Regina starrte auf die immer kleiner werdenden Menschen unter ihnen, die ihr immer noch zuwinkten. Dann nahm der Gleiter Fahrt auf und sie schossen mit mehreren hundert Stundenkilometern über die Schwarmstadt in eine ungewisse Zukunft. Auf der einen Seite war sie froh, noch zu leben, auf der anderen Seite tat es jetzt schon weh, ihre Familie verlassen zu müssen.
Das Rennen wurde neu gestartet und Crassus führte das rote Team zum Saisonsieg. Noch am gleichen Tag errichteten Zuschauer auf dem Sitzplatz 42Delta einen kleinen Schrein zum Gedenken ihrer wundersamen Rettung und die Nordwesttribüne wurde in Regina Schreiberstochter Tribüne umbenannt.
"Lieber lebendiger Gottimperator in deinem goldenen Cockpit auf Terra.
Erfülle die Luft dieser Rennstrecke mit dem Dröhnen der Rennmotoren und dem lieblichen Geruch von Petrochem.
Bitte schenke in deiner unendlichen Gnade einzig dem Roten Team von der Traktoren Manufaktur seinen verdienten Sieg in der Formula Primus Rennserie von Alunbatan.
Und bitte höre nicht auf die lästerlichen Gebete der Anhänger des Grünen, des Weißen und schon mal gar nicht auf die des Blauen Teams.", beteten die beiden Mädchen inbrünstig in der kleinen Kapelle für die TM unter der Nordwesttribüne. Die Jugendliche von knapp dreizehn Jahren stand in ihrer grauen Schreiberrobe, die sie als angehende Schreiberin des Adeptus Administratum im ersten Ausbildungsjahr auswies, auf und schüttete etwas geweihtes Petrochem aus einer Flasche aus gebürstetem Stahl in die Opferschale.
"Ich will anzünden! Du hast es versprochen!", forderte die sechs Jahre alte Index, die mit ihrer schwarzen Schola Uniform bekleidet war. In ihre Haare waren rote Schleifen eingeflochten, um zu zeigen, dass sie ein Anhänger des roten Teams war, während Regina eine rote Armbinde und einen ebenso roten Schal trug.
"Verbrenne dir aber nicht die Finger!", mahnte Regina und reichte ihrer Schwester eine kleine Schachtel mit Zündhölzern.
"Ja, ja, ich kann das!" Mit großer Konzentration zündete Index ein Streichholz an.
"Bitte, Gottimperator in deiner Funktion als Omnissiah des Maschinengottes, erhöre unser Gebet, denn das Öl war verdammt teuer!", wich die kleine Index etwas von der offiziellen Formel ab und zündete das Petrochem an.
"Kindermund tut Wahrheit kund!", murmelte ein anderer Gläubiger hinter ihnen und auch Regina musste ein Schmunzeln unterdrücken, während das wirklich sehr teure geweihte Öl mit einem stechenden Geruch in der Schale verbrannte. Sie befanden sich mit vielen weiteren Gläubigen und Rennbegeisterten in einer der roten Mannschaft gewidmeten Kapelle des Omnissiah unterhalb der Nordwesttribüne des Rennstadions von der Schwarmstadt Grünfeld. Grüne Felder gab es hier in Grünfeld schon lange nicht mehr. Riesige Habs streckten sich in den Himmel, der grau vom Nebel der Abgase unzähliger Bodenfahrzeuge war. Die Welt Alunbatan war berühmt für ihre vier großen Fahrzeugmanufakturen und stand kurz davor, zu einer richtigen Makropolwelt zu werden.
Die Kapelle war mit rotem Marmor ausgekleidet und vorne am Eingang konnte man bei einem Maschinenpriester verschiedene Opfergaben kaufen. Heute war Rennsonntag und das Finale der Formula Primus, der angesehensten Rennserie von Alunbatan, würde in den nächsten Stunden genau hier ausgetragen werden. Die Rote Mannschaft von TM führte ganz knapp vor der Blauen Mannschaft von AMM. Es versprach, sehr spannend zu werden.
Mit ihrer kleinen Schwester an der Hand ging sie aus der Kapelle hinaus in das Gewühl des Hauptganges. Von überall her waren rennbegeisterte Alunbataner angereist und jeder trug die Farbe seiner Mannschaft. Über eine breite Treppe betraten sie die Nordwesttribüne. Das Stadion hatte einen Durchmesser von drei Kilometern. Im Rund befanden sich mehrere Rennstrecken. Die ersten Vorrennen liefen schon auf der großen Hauptstrecke, die sich über mehrere verschlungene Kurven durch das Stadionrund zog. In zwei inneren abgetrennten Strecken kämpften in kleinen Motorwägen oder Bückeisen Jugendliche Nachwuchsfahrer um die vorderen Plätze. Auf der großen Strecke rasten gerade Werksfahrer in modifizierten Vierachsern um die Wette. Das Stadion war schon zur Hälfte gefüllt. Aufatmend ließ sich Regina auf dem Platz 42Delta neben ihren Vater in den Hartschalensitz aus Plast fallen.
Sie strich sich einige schweißverklebte schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht und richtete sich ihre Frisur. Index stand auf ihren Sitz und blickte sich mit großen Augen um, war das heute doch das erste Mal, dass sie mit Vater zum Rennstadion hatte mitdürfen. Ihr Vater, dessen Haare bis auf einen schütteren Kranz ausgefallen waren, trug ebenfalls eine graue Schreiberrobe des Adeptus Administratums und bediente den ganzen Tag ein Cogitatorterminal, wo er handgeschriebene Berichte eintippte. Eines Tages würde Regina genau die gleiche Arbeit verrichten, aber jetzt war sie erst im ersten Ausbildungsjahr auf der Administratums Schola. In der Hand hielt er ein paar Wettscheine und Regina hoffte, dass der Gottimperator und Omnissiah in Personalunion ihre innigen Gebete auch erhört hatte.
Die Familie saß recht nahe an der Strecke, in der drittuntersten Reihe. Mehr konnte sich ihr Vater nicht leisten. Je weiter oben, desto sicherer war der Platz und je mehr konnte man sehen. Sie sahen nur einen Teil der Piste und eine der zwei kleinen abgetrennten Bahnen. Hier und da waren große Bildtafeln zu sehen, die Rennergebnisse anzeigten, Bilder von nicht einsehbaren Bereichen zeigte oder die nächsten Rennen ankündigten. Zwischen den Tribünen für das Volk, welche unten noch mit bunten Reklametafeln zugepflastert waren, ragten die goldverspiegelten Türme der Reichen und Adligen auf. Jede der großen Manufakturen hatte ihren eigenen mächtigen Turm mit hunderten von Logen und dem großen Balkon für die Vorsitzenden der Magnatsfamilien. Auch der Gouverneur hatte seinen eigenen prunkvollen Aussichtsturm mit riesigem Balkon, auf dem bis jetzt nur ein paar Diener zu sehen waren, die alles für ihren Herrn vorbereiteten. Am Himmel kreisten einige Zeppeline mit Messingsegeln träge über der Strecke. Auch mehrere Schweber verschiedener Sicherheitsorgane waren zu sehen. Wohl weniger, um bei Ausschreitungen eingreifen zu können, sondern wohl, um selbst die Rennen kostenlos aus guter Perspektive betrachten zu können.
Die ersten Verkäufer mit Bauchläden liefen schon zwischen den Rängen, denn es war verboten, etwas zum Essen oder Trinken mitzunehmen. Jeder, der von den rotuniformierten Ordnungskräften mit nicht lizensierten Lebensmitteln erwischt wurde, musste gehen. Auf mehreren Sockeln standen Kameras mit Gehäusen aus gebürstetem Messing, welche das Geschehen auf der Strecke ins alunbataner Televidnetz einspeisten.
Aber schon bald hatte Regina alles um sich herum vergessen und konzentrierte sich auf die Vorläufe und das Nebenprogramm auf der von ihr einsehbaren Rennstrecke. Die Sonne versuchte ab und zu, durch den Smog zu dringen, scheiterte aber letztendlich kläglich daran.
Schließlich begann das Hauptprogramm, das große Abschlussrennen der Formula Primus der Saison 864. Als erste kam die Flaggenparade. Auf einem Tieflader war ein zwanzig Meter hoher Mast montiert, an dem ein mächtiges rotes Banner hing. Mit goldenen Fäden waren der fünfzackige Stern und die Buchstaben TM hinein gestickt. Auf einem weiteren gigantischen LKW mit zwölf Achsen spielte die Werkskapelle einen schmissigen Marsch und die Zuschauer standen auf und schmetterten die Hymne der TM mit, da diese Tribüne für den roten Block reserviert war. Auf einem weiteren Kraftwagen standen die Sieger der Vorrennen der roten Mannschaft mit goldenen Kränzen um den Hals und mit Pokalen voller Credits. Dann kam das blaue Team. Ihre Fahne war blau und mit weißen Elektrumfäden war ihr Wappen aufgestickt, ein AMM, für Alunbatan Motorenmanufaktur. Jeder Buchstabenstrich, der den Boden berührte, war mit einem Rad versehen, so dass der Buchstabenzug mit etwas Phantasie einem Achtachser ähnelte. Das A war die Fahrerkabine, die beiden M die Ladefläche. Aus Gründen der sportlichen Fairness wurde das blaue Team nicht ausgebuht, aber man quittierte im roten Block ihre Vorbeifahrt mit eisigem Schweigen. Dann kam das weiße Banner der GFS, dessen Schriftzug von einem schwarzen Kreis umgeben war. Das GFS stand für Gnadenvoll Fahrzeugschmiede, welche das gehobene Limousinenmarktsegment bediente. Als letztes fuhr das grüne Banner vorbei, welches die Metallwerke Alunbatans, kurz MWA genannt, repräsentierte. Ihr Schriftzug war von der Silhouette eines Kettenfahrzeugs umgeben, da die MWA hauptsächlich Kampffahrzeuge herstellte. Ursprünglich war Alunbatan während der Macharius Häresie der primäre Nachschubplanet für die imperiumstreuen Truppen des Generalfeldmarschalls Crassus gewesen.
Die Tieflader fuhren von der Strecke und die Qualifikation begann. Jedes Team hatte sechs Boliden, aber es gab nur sechzehn Startplätze. Jedes Fahrzeug konnte drei Runden fahren und die schnellste davon wurde gewertet, die sechzehn besten Fahrzeuge durften dann am eigentlichen Rennen teilnehmen. Das Kernstück eines jeden Boliden war sein Zwölfzylindertriebwerk auf Petrochembasis, das über tausend Groxstärken erzeugen konnte. Die ganze Kraft wurde über ein wuchtiges Getriebe auf die zwei gewaltigen Hinterräder übertragen. Über die zwei kleinen Vorderräder wurde der Formula Primus Bolide gelenkt. Der Pilot saß in einem engen, mit Adamantiumstreben verstärkten Cockpit rechts neben dem Triebwerk in einem der Seitenausleger. Die ganze Form des Fahrzeuges war so ausgelegt, dass der Fahrtwind das Vehikel auf den Boden presste. Es gab nichts Schlimmeres, wenn der Bolide angehoben wurde, dann flog er wie ein Geschoss unkontrolliert durch die Luft und bei Unfällen waren schon hunderte von Menschen umgekommen.
Jedes Mal, wenn ein roter Bolide vorbei donnerte, sprangen die Anhänger von TM auf und feuerten den Piloten an. Trotz Heimvorteil konnten sich nur fünf der sechs roten Fahrzeuge qualifizieren, die blauen stellten ebenfalls fünf, die weißen und die grünen ergatterten nur drei Startplätze. Aber das spielte keine Rolle mehr, da nur die Blauen den Roten noch gefährlich werden konnten, da diese wenigstens noch die Chance hatten, deren Vorsprung wett zu machen. Die Weißen und die Grünen, hatten nicht mal mehr eine rechnerische Chance auf den Saisonsieg.
Die Boliden rollten auf ihre Startplätze, zwei rote, ein blauer und ein weißer waren in der ersten Startreihe. Das ganze Stadion hielt den Atem an, als der inzwischen eingetroffene Gouverneur sein Vorrecht in Anspruch nahm, das Rennen zu starten. Seine Pistole knallte und die Rennwägen donnerten los. Motoren brüllten und Reifen quietschten, als die Fahrzeuge Fahrt aufnahmen. Der Weiße kam beim Start am besten weg und setzte sich erst einmal an die Spitze. Die Gnadenvoll Boliden waren immer beim Start gut, aber schon bald würde sich die höhere Endgeschwindigkeit der Blauen und Roten bemerkbar machen. Wie ein Wurm aus Metall bretterte die Korona der Rennwägen in die erste Kurve. Weiß war noch immer vorn, aber Crassus im führenden Roten kämpfte seinen blauen Konkurrenten nieder und setzte sich vor diesen. Jetzt kam eine lange Gerade, der Weiße behauptete sich. Nach mehreren Kurven näherten sich die Boliden dem Abschnitt, an dem ihre Tribüne stand. Der Weiße schoss herein. Zu schnell, wie Regina erkannte. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Zuschauer. Der Bolide schrammte an der Außenbegrenzung entlang, ein Teil der angebrachten Reklametafeln wurde abgerissen und Trümmer aus Plast prasselten auf die Bahn. Dann schoss Crassus heran, fuhr über eine der am Boden liegenden Tafeln mit dicker Haltestange und sein Bolide verlor die Bodenhaftung. Er hob ab, stieg auf, überschlug sich und zerschmetterte den Sicherheitszaun, welcher Tribüne und Strecke trennte. Regina sah, dass der Rennwagen genau auf sie zugeflogen kam. Das war ihr Ende, der Bolide würde Vater, Index und sie zermalmen.
"Stopp!", brüllte sie und streckte ihre Hände aus, als ob sie ihn auffangen wollte. Etwas löste sich in ihr. Mit großen Augen sah Regina zu, wie der Bolide auf einmal mitten in der Luft abbremste und sehr schnell langsamer wurde. Etwa zwei Meter über ihr stoppte der Flug und der Wagen stand einfach mit heulenden Motor mitten in der Luft. Die Leute schrien immer noch um sie herum, aber das Mädchen konnte sich nicht rühren.
"Regina! Komm!" Index zupfte an ihrem Arm.
"Lass Regina in Ruhe, ich glaube, sie ist für dieses Wunder verantwortlich." Um sie herum hatte sich eine Leere gebildet und die Schülerin spürte, wie ihr Blut aus der Nase lief. Über ihr flog einer der gepanzerten Schweber heran, der eine Säule mit einer schwarzweißen Waage als Hoheitszeichen hatte. Eine Seitentür ging auf und ein gerüsteter Mann mit einem großen Gewehr war zu sehen. Auf der anderen Seite wurden Seile zu Boden geworfen und mehrere Gestalten seilten sich ab. Die Leere um sie herum wurde größer.
"Hexe! Sie ist eine verdammte Hexe!", hörte Regina eine Frau keifen.
"Verbrennt die Hexe, denn die Hexe sollst du töten!", warf eine andere Frau ein.
"Das ist doch Wahnsinn! Das Mädchen hat uns alle gerettet!", konterte ein Mann, aber die allgemeine Stimmung war wohl eher gegen sie.
War sie eine Hexe? War sie dazu verdammt, auf dem Scheiterhaufen zu sterben? Das Mädchen blickte hoch zu dem Mann mit dem Gewehr, das er nun auf sie gerichtet hatte. Die Mündung schien riesengroß zu sein und jeden Moment konnte ihr Tod daraus hervorschießen. Von den abgeseilten setze sich eine kleine Gestalt an die Spitze und kam auf sie zu. Es handelte sich um eine blonde Frau, die unter einem langem schwarzen Groxledermantel eine dunkle Rüstung trug, auf der die gleiche Säule wie auf dem Schweber zu sehen war. Auf ihren Kopf trug sie einen großen Metallhelm, auf dessen Schirm sich ein doppelköpfiger Adler mit gespreizten Flügeln krallte. Die anderen Männer in ebenfalls dunklen Rüstungen mit Helmen verteilten sich, sie hatten große klobige Gewehre in den Händen, die alle drohend in ihre Richtung zeigten.
"Wie lautet dein Name, kleines Fräulein?", fragte die Frau mit sanfter beruhigender Stimme, die nun ganz nahe an sie heran gekommen war. Nur ihr Vater und ihre kleine Schwester standen in ihrer Nähe und auch die beiden rückten immer mehr von ihr ab. Musste sie nun sterben? Ihr wurde schwindlig und beinahe hätte sie die Kontrolle über sich verloren. Sie hustete, schluckte und musste sich die Kehle frei räuspern.
"Regina Schreiberstochter, Erste Ausbildungsklasse zur Administrationsgehilfin der Schola III in Grünfeld.", erwiderte das Mädchen unter Tränen.
"Guten Tag, Administrationsgehilfin Regina, ich bin Sonderermittlerin Sylar vom Adeptus Arbites. Ich nehme mal an, dieses Phänomen geht auf dich zurück?", stellte sich die Frau mit ruhiger Stimme vor.
"Ja, ich denke schon! Der Bolide kam auf uns zu und ich wollte nicht, dass er meinen Vater und meine Schwester zerschmettert. Und auf einmal konnte ich ihn aufhalten. Einfach so! Ich weiß gar nicht, was ich da überhaupt mache."
"Das hast du ganz toll gemacht, Regina. Aber ich glaube, du kannst ihn jetzt ganz vorsichtig wieder auf die Bahn stellen. Glaubst du, das bekommst du hin?"
"Ja!", schniefte Regina und wollte, dass der Bolide wieder auf der Bahn stand. Erstaunlicherweise konnte sie das Fahrzeug mit ihrer Gedankenkraft steuern. Leicht wie eine Feder setzte das Fahrzeug auf, dessen Motor inzwischen ruhig im Leerlauf tuckerte, und der Pilot, der berühmte Crassus, kletterte mit bleichem Gesicht heraus.
"So, das hast du prima gemacht, Regina Schreiberstochter. Tu mir einen großen Gefallen und leg das um deinen Hals, dass blockiert deine Kräfte." Nach einem kurzen Zögern legte Regina das komische Halsband mit einem großen Anhänger aus Gold an, auf dem ein Pentagramm eingraviert war. "Du weißt, was du bist?"
"Eine Hexe? Werde ich jetzt verbrannt?", fragte Regina mit zitternder Stimme und fuhr fahrig mit den Finger das Pentagramm auf dem Anhänger nach.
"Verbrennt die Hexe!", brüllte wieder die hysterische Frau, die als wahrer Fan ein komplett rotes Kleid trug.
"Fräulein Schreiberstochter ist keine Hexe! Regina ist eine angehende Psionikerin, dieses Mädchen ist nun ein Teil des Zehntes dieser Welt. Sie gehört nun dem Imperator! Jeder, der sich an den Besitz des Imperators vergreift, ist des Todes! Der nächste Aufruf wird umgehend mit der Auslöschung derjenigen Person beantwortet werden! Habe ich mich verständlich ausgedrückt?" Die Sonderermittlerin sah dabei die ganze Zeit die Frau im roten Kleid an, die mit jedem Wort merklich bleicher wurde. Dann wandte sich die Arbites wieder an Regina, die sich nun etwas entspannte. Dies war wohl nicht ihr Ende.
"Unsinn! Du bist eine Psionikerin, eine Auserwählte. Du wirst mit einem schwarzen Schiff nach Terra reisen, dort, wo der Gottimperator auf seinem goldenen Thron sitzt. Dort gibt es eine Schola für Psioniker, wo du lernen wirst, mit deiner Kraft dem Imperium zu dienen. Leider muss ich dich dafür mitnehmen und du wirst deine Familie verlassen müssen. Ist das in Ordnung für dich?" Die Frau hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt und gab ihr mit der anderen ein sauberes Taschentuch.
"Und wenn ich verspreche, nie wieder meine Kräfte zu benutzen, darf ich dann bleiben?"
"Das geht leider nicht, ich muss dich leider mitnehmen. Das ist auch zu deinem eigenen Besten, denn ich bringe dich an einen Ort, wo deine Kräfte keinen Schaden anrichten können, bis du in der Scholastica Psikana auf Terra gelernt hast, mit deiner wertvollen Gabe verantwortungsbewusst umzugehen. Verabschiede dich von deinem Vater und deiner Schwester." Die Frau führte sie mit einer Hand zu ihrem Vater, der sie kurz drückte und dann einen Kuss auf die Stirn hauchte. Ihre Schwester riss Regina beinahe um, so stürmisch drückte sich Index an sie.
"Bis das Schwarze Schiff den Zehnt abholt, können Sie Ihre Tochter in der Sicherheitsverwahrung der Arbitesfestung V besuchen.", mit diesen Worten überreichte die Sonderermittlerin ihrem Vater eine kleine Karte.
"So, kleines Fräulein, jetzt ist aber genug, der Imperator braucht deine große Schwester mit ungebrochenen Rippen." Mit sanfter Gewalt löste die Sonderermittlerin Reginas Schwester, die sich dann schniefend an Vater klammerte.
"Das ist Regina Schreiberstochter! Sie hat Ihnen allen mit der ihr von unserem Gottimperator verliehenen Gabe Ihr Leben gerettet! Ich denke mal, das ist ein herzliches Dankeschön wert!", rief die Sonderermittlerin in die Menge und Regina spürte, wie sie knallrot wurde. Zuerst kam nur verhaltener Jubel auf, der sich aber sekündlich steigerte, während die Sonderermittlerin Regina zum Schweber führe, der knapp über den Rängen schwebte. Unter begeisterten "Regina! Regina! Regina!"-Rufen stieg sie ein und die Arbites zeigte ihr einen freien Platz im Schweber, wo sie sich anschnallen konnte. Schnell stieg der Schweber auf und Regina starrte auf die immer kleiner werdenden Menschen unter ihnen, die ihr immer noch zuwinkten. Dann nahm der Gleiter Fahrt auf und sie schossen mit mehreren hundert Stundenkilometern über die Schwarmstadt in eine ungewisse Zukunft. Auf der einen Seite war sie froh, noch zu leben, auf der anderen Seite tat es jetzt schon weh, ihre Familie verlassen zu müssen.
Das Rennen wurde neu gestartet und Crassus führte das rote Team zum Saisonsieg. Noch am gleichen Tag errichteten Zuschauer auf dem Sitzplatz 42Delta einen kleinen Schrein zum Gedenken ihrer wundersamen Rettung und die Nordwesttribüne wurde in Regina Schreiberstochter Tribüne umbenannt.