Ein hoher Preis
Die Sonne ging über den Hügeln auf, und ein roter Schleier legte sich über das Land, als die Nachricht der Allianz verkündet wurde. In den Straßen der Hauptstadt herrschte Unruhe. Händler tuschelten, Soldaten schärften ihre Waffen, und die Bürger spürten die Last der Entscheidung, die König Elior getroffen hatte. Doch während sich die Menschen auf die kommenden Tage vorbereiteten, zog sich Elizar in seine Gemächer zurück, um seine Gedanken zu ordnen.
Er hatte Wisal versprochen, an der Seite seiner Männer zu kämpfen, doch Zweifel nagten an ihm. Die Worte des mysteriösen Fremden, die Essenz von Celestium und Wisals durchdringender Blick – all das fühlte sich zu glatt an, zu perfekt. Als Prinz war Elizar geschult, Lügen von Wahrheit zu unterscheiden, doch diesmal schien die Grenze verwischt.
Zwei Tage später brach eine Delegation auf. Elizar, begleitet von drei seiner treuesten Gefährten – Hauptmann Deyron, der kluge Strategin Myra und dem stoischen Waldläufer Thalrik – führte eine Abordnung in die Grenzlande, um die Stärke von Wisals Truppen zu prüfen. Der Plan war klar: sich in Wisals Lager ein Bild machen und gleichzeitig die Allianz symbolisch stärken. König Elior hatte darauf bestanden, dass Elizar wachsam blieb, und so war der Prinz entschlossen, die Wahrheit zu ergründen.
Die Reise war beschwerlich. Der Schnee, der aus dem Norden kam, hatte die Wege vereist, und feindliche Banditen lauerten in den Wäldern. Doch es war nicht die Kälte, die Elizar beunruhigte, sondern die Stille. Die Grenzlande waren wie ausgestorben. Wo sonst die Schreie von Bauern oder die Geräusche von Patrouillen erklangen, herrschte jetzt eine unnatürliche Ruhe.
„Es ist, als würde die Welt den Atem anhalten,“ sagte Myra leise, während sie durch die karge Landschaft ritten.
Elizar nickte. „Oder als würde etwas auf uns lauern.“
Am dritten Tag erreichten sie Wisals Lager. Es war gewaltig: Hunderte Zelte erstreckten sich über eine Ebene, die an den Rand eines tiefen Waldes grenzte. Banner mit dem Wappen eines goldenen Löwen flatterten im Wind, und die Luft war erfüllt von den Geräuschen von Schmieden, die Waffen herstellten, und Soldaten, die trainierten. Wisal selbst stand auf einem Podest und sprach zu einer Gruppe von Anführern.
Als Elizar sich ihm näherte, wandte sich Wisal mit einem breiten Lächeln zu ihm. „Prinz Elizar! Ihr seid gekommen, wie ich es erhofft hatte.“
Elizar neigte leicht den Kopf. „Ich musste sehen, wie Ihr Euch auf den Krieg vorbereitet.“
Wisal nickte. „Und wie Ihr sehen könnt, bereiten wir uns gut vor. Unsere Männer sind entschlossen, unsere Waffen sind stark, und unsere Verbündeten sind zahlreich. Doch ich nehme an, Ihr habt noch immer Fragen.“
„Das habe ich,“ entgegnete Elizar kühl. „Ihr habt gesagt, die Essenz von Celestium sei ein Mittel, um die Dunkelheit zu bannen. Doch was genau ist diese Dunkelheit? Und warum scheinen Eure Feinde so besessen davon, Euch zu bekämpfen?“
Wisal zögerte, seine grünen Augen schienen für einen Moment auf den Wald hinter Elizar zu blicken. „Die Dunkelheit ist keine bloße Metapher, Prinz. Sie ist eine Macht, die die Seelen der Lebenden verderben kann. Sie schickt Kreaturen, Albträume aus Fleisch und Schatten, um uns zu vernichten. Unsere Feinde – die sogenannten Dunklen Jäger – haben sich ihr aus Verzweiflung oder Gier angeschlossen.“
Elizar prüfte Wisals Gesicht, suchte nach einem Anzeichen von Täuschung. Doch Wisal wirkte ehrlich, beinahe bedauernd. „Ich verstehe Eure Zweifel. Vielleicht kann ich Euch überzeugen.“ Er deutete auf einen nahegelegenen Hügel. „Kommt mit mir.“
Wisal führte Elizar und seine Gefährten in eine Höhle, die unter dem Hügel verborgen lag. Das Innere war dunkel, bis auf ein schwaches, schimmerndes Licht, das von einem Sockel in der Mitte der Höhle ausging. Dort lag ein Gefäß, identisch mit dem, das Elizar zuvor gesehen hatte. Die Essenz von Celestium leuchtete in einem tiefen Blau, pulsierend wie ein Herzschlag.
„Das ist die Essenz,“ sagte Wisal. „Die letzte Hoffnung unserer Welt. Mit ihr können wir die Dunkelheit vertreiben, die Grenze sichern. Doch es gibt einen Preis.“ Seine Stimme wurde leiser. „Um sie zu nutzen, müssen wir uns opfern.“
Elizar blinzelte. „Was meint Ihr?“
Wisal sah ihn an, seine Augen ernst. „Die Essenz ist rein, doch sie verbraucht jene, die sie einsetzen. Jeder Tropfen, den wir verwenden, kostet das Leben eines unserer eigenen.“
Die Worte schlugen wie ein Donnerschlag ein. Elizar starrte auf das Gefäß. Es war wunderschön, doch jetzt sah er es als das, was es war: eine Waffe mit einem unvorstellbaren Preis.
„Warum habt Ihr das nicht gesagt?“ fragte Myra scharf.
„Weil die Wahrheit nicht jeden motiviert,“ antwortete Wisal ruhig. „Doch Ihr, Prinz, habt den Mut, sie zu ertragen.“
Zurück im Lager zog sich Elizar mit seinen Gefährten zurück. „Was denkt Ihr?“ fragte er schließlich.
Deyron, der pragmatische Hauptmann, sprach zuerst. „Wenn das stimmt, dann ist dies eine mächtige Waffe. Aber der Preis ist hoch, zu hoch vielleicht.“
Myra war anderer Meinung. „Die Dunkelheit bedroht uns alle. Wenn das der einzige Weg ist, sie zu besiegen, müssen wir ihn gehen.“
Thalrik schwieg lange, ehe er sagte: „Die Wahrheit ist nie einfach. Aber wir müssen sicher sein, dass Wisal wirklich die Kontrolle über die Essenz hat.“
Elizar wusste, dass sie Recht hatten. Die Entscheidung lag nun bei ihm.
Am nächsten Morgen trat er erneut vor Wisal. „Ich habe eine Bedingung,“ sagte er.
Wisal hob eine Augenbraue. „Und die wäre?“
„Ich will mit eigenen Augen sehen, wie Ihr die Essenz einsetzt. Ich will wissen, dass Ihr bereit seid, den gleichen Preis zu zahlen wie Eure Männer.“
Wisal lächelte langsam. „Das werdet Ihr, Prinz. Doch seid gewarnt: Was Ihr seht, könnte Euch verändern.“
Mit diesen Worten führte er Elizar zu einem Ort, an dem die Dunkelheit lauerte – und wo das wahre Ausmaß des Krieges offenbart werden sollte.