40k Der letzte Mann

Landsknecht

Erwählter
01. Februar 2007
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Hi zusammen!

Also ich hatte die Geschichte vor einiger Zeit schonmal in einem anderen Forum gepostet, musste aber dann eine erzwungene Schreibpause einlegen. Angefangen hat sie eigentlich als kleine Hintergrundstory zu meiner selbst gebauten IA (habe Fantasy-Bretonen mit Cadianerteilen kombiniert) wurde dann aber zu einem Selbstläufer, der jetzt endich fertig geworden ist und an die 100 Seiten umfasst. Der langen Rede kurzer Sinn: Hier ist eine Geschichte der "Gotfrieder Landsknechte":


Oberst Willbur Harden der 9. Taloner Sprungtruppen blickte missmutig den Hang hinunter und über die beiden Reihen Schützengräben der Frontlinie hinweg. Schmale Reserve- und Verbindungsgräben führten im willkürlichen Zickzack in die vordersten Stellungen und jenseits von diesen breitete sich eine von Kratern, Wracks, zerschmetterten Bäumen und Leichen übersäte freie Fläche aus. Auf der anderen Seite dieses wieder und wieder umgegrabenen Feldes lagen die Vororte der Stadt, in die sie die blauhäutigen Xenos, die sich die Tau nannten, zurückgedrängt hatten. Sie waren jetzt dort drinnen eingeschlossen und jeder ihrer zahlreichen Ausbruchsversuche war an den soliden imperialen Stellungen gescheitert. Die Tau waren auf mobile Kriegsführung spezialisiert und offensichtlich mit dieser Spielart des Krieges nicht sehr vertraut. Dennoch waren sie weit davon entfernt unfähig zu sein, denn sie verstanden es äußerst geschickt, die Imperialen Angreifer außerhalb der Stadtgrenzen zu halten. Sie mussten sich da drinnen gut eingerichtet haben. Die Artillerie und Bomber der Navy hatten die Stadt in Schutt und Asche gelegt und daraufhin mit weiterem Beschuss das, was davon übrig war, noch einmal umgewälzt. Dennoch war nicht zu spüren, dass der Widerstand der Verteidiger Gefahr lief zu erlahmen. Das ging jetzt schon seit fast zwei Monaten so. Harden verstand einfach nicht, warum die Navy das verdammte Loch nicht einfach von der Planetenoberfläche radierte. Irgendeinen Grund würde das Oberkommando schon dafür haben, da war er sich natürlich sicher. Die feinen Herren taten nichts ohne einen Grund. Sie taten nicht einmal etwas grundloses, ohne einen Grund dafür zu haben. Ihm konnte es eigentlich, nein, es sollte ihm sogar gleichgültig sein. Er hatte seine Befehle und an die würde er sich halten. Dafür würde Kommissar Rinkara schon sorgen.
Der Oberst ließ das Fernglas sinken. Er nahm sein rotes Barett ab und fuhr sich durch die stoppelkurzen schwarzen Haare. Dann ließ er langsam die Schultern kreisen und drehte seinen steifen, muskulösen Nacken in verschiedene Richtungen. Es knackte ungesund, dennoch fühlte er sich danach besser. Er stieß ein frustriertes Schnauben aus.
Obwohl Harden und seine Männer sich nichts hatten zu schulden kommen lassen, hatten sie sich an diesem Schauplatz erschöpft. Sie konnten einfach nicht mehr. Zu viele Angriffe, zu wenig Erholung, zu viele Verluste. Sie mussten abgelöst werden, denn so würden sie keine Entscheidung erzwingen können. Es mussten frische Kräfte herangeführt werden, sonst konnte es bis in alle Ewigkeit so weitergehen.
Im Moment herrschte eine Art unfreiwilliger Waffenstillstand. Die Imperialen konnten nicht mehr angreifen, und die Tau hatten sich schon eine ganze Weile nicht mehr blicken lassen. Nicht einmal ihre Artillerie feuerte, wie sie es in den letzten Wochen unablässig getan hatte. Harden gab sich nicht der Hoffnung hin, sie könnten die Geschütze irgendwie erwischt haben. Wahrscheinlich wollten die Xenos nur Munition sparen.
Der Oberst sah auf sein Armbandchronometer. Die Ablösung musste nun jeden Moment eintreffen. Er würde ihr die vordersten Linien übergeben und sich mit seinen Männern in die Reservestellungen zurückziehen. Und er würde hoffen, von dort nicht wieder hierher gerufen zu werden.
Willbur Harden musste sich eingestehen, dass er neugierig auf diese Verstärkungstruppen war. Oberst Rodan, sein Vorgesetzter, hatte verlauten lassen, es handele sich um Soldaten einer Feudalwelt. Wie sie hieß, hatte er schon wieder vergessen. Jedenfalls sollten sie diese Art der Kriegsführung bevorzugen, ja sie sogar selbst und absichtlich anwenden. Harden konnte sich nicht vorstellen, dass ein Kommandeur und seine Truppen den Stellungskrieg absichtlich herbeiführen wollten. Er hatte in seiner Zeit bei der Garde schon jede Menge mitgemacht und fast nichts war so dreckig und grausam wie ein Grabenkrieg. Wie konnte es jemand ernsthaft darauf anlegen?
Nun, er würde es sicher gleich herausfinden.
Während der Oberst in Gedanken versunken blicklos in die Leere starrte, merkte er plötzlich auf. Er nahm ein leises Geräusch war, konnte aber nicht genau sagen, was es war. Er wandte sich um, lief die paar Meter zum Rücken der Anhöhe hinauf und sah in das rückwärtige Gebiet hinunter. Eine lange Marschkolonne schlängelte sich über eine von Kratern und Schlaglöchern übersäte Straße. Einige Panzerfahrzeuge ratterten zwischen den einzelnen Infanteriegruppen vorwärts. Harden konnte das eigenartige Geräusch nun auch identifizieren. Es waren Trommeln und Hörner oder Trompeten. Nur, dass sie nicht zusammen spielten. Jede Einheit schien ihr eigenes Instrument zu haben und völlig unabhängig von den anderen ihren Krach zu veranstalten. Harden war entsetzt. Selbst auf diese Entfernung konnte er sehen, dass die gesamte Kolonne vor Dreck nur so strotzte. Sein eigener staubbedeckter schwarz-weißer Kampfanzug sah dagegen aus wie frisch aus der Reinigung. Es wirkte so, als hätten sich diese gebeugt marschierenden, in lange blaugraue Mäntel gehüllten Männer im Schlamm gesuhlt und danach ihre Ausrüstung und ihre Fahrzeuge damit beschmiert. Sie blickten alle zu Boden. Der Oberst konnte das Gesicht keines der Soldaten sehen, nur die Oberseite ihrer breitrandigen nicht lackierten Stahlhelme. Hals und ein Teil der unteren Gesichtshälfte wurden von starren Krägen aus dem selben Material geschützt.
Der Beginn der schlurfenden Kolonne hatte ihn nun fast erreicht. Aus der Nähe sahen sie noch schlimmer aus. Harden konnte, wenn er sich ein wenig bückte, ausgemergelte, vernarbte Gesichter erkennen, aus denen matte Augen hervorstachen. Er sah einige nahezu zahnlose Münder mit den letzten verfaulten Resten der ursprünglichen Zähne darin. Er hatte noch niemals zuvor imperiale Soldaten in so schlechtem Zustand gesehen, nicht mal nach einem jahrelangen Feldzug. Ihre Fahrzeuge sahen ebenso heruntergekommen aus. Sie stießen öligen, schwarzen Qualm in Massen aus und ihr blau-grau-bräunlich geschecktes Tarnmuster war reichlich mit Schlamm verkrustet. Sie basierten eindeutig auf dem Leman Russ, aber keiner der Panzer hatte einen Turm. Das Geschütz war vorne zwischen verstärkter Panzerung im Rumpf angebracht und die Unterstützungswaffen in den normalen Seitenkuppen und an Dachluken.
Harden musste eine ganze Weile so dagestanden und gegafft haben, als ihn eine blecherne Stimme von schräg hinten ansprach: „Oberst Harden, nehme ich an?“
Er fuhr überrascht herum und sah sich einer gerade aufgerichteten Gestalt im blaugrauen Mantel der Neuankömmlinge gegenüber. Ihr Überwurf war jedoch mit goldenen Abzeichen und rotem Stoff verziert. Außerdem wirkte die Uniform im Gegensatz zur breiten Masse der vorbeiziehenden Soldaten unerwartet sauber. Unter dem Stoff war an einigen Stellen ein Kettenhemd zu sehen. Sie trug an der linken Seite ein Schwert, einen unförmigen Metalltornister auf dem Rücken und in der linken Hand ein schildförmiges Metallgestell, das über einen Schlauch oder ein Kabel mit dem Tornister verbunden war. Eine Laserpistole steckte in einem Brusthalfter. Am befremdlichsten wirkte jedoch der Topfhelm mit den schmalen Augen und Belüftungsschlitzen, den die Gestalt auf dem Kopf trug.
„Ja, Sie nehmen richtig an.“, erwiderte Harden vorsichtig, wobei er versuchte, sein Gegenüber nicht allzu auffällig von oben bis unten zu mustern.
 
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Der andere nahm geübt mit einer Hand seinen Helm ab. Zum Vorschein kam ein gepflegtes und vor allem sauberes Gesicht, eingerahmt von eben so gepflegtem braunem langen Haar. Harden wäre sogar so weit gegangen zu sagen, dass die Gesichtszüge aristokratisch wirkten. Die Stimme des Neuankömmlings klang weich und angenehm, jetzt wo sie nicht mehr durch den Helm gedämpft wurde.
„Ich bin Hauptmann Graf Marcks von Weizenberg und befehlige die Rote Kompanie des 3. Gotfried. Wir sind zu ihrer Verstärkung entsandt worden. Sie wirken überrascht Oberst, sind Sie nicht informiert worden?“
„Doch…äh…natürlich. Ich hatte nur mit …naja…ich hatte mit …mit…frischen Truppen gerechnet.“
„Bitte?“
„Mit ausgeruhten Truppen, das wird ein hartes Stück Arbeit, die Stadt einzunehmen.“
„Meine Männer und ich kommen frisch aus den Quartieren und sind voller Tatendrang. Was ließ Sie zu dem Schluss kommen, wir seien nicht bereit?“
Harden musste sich kurz zusammennehmen. Er hatte den Grafen mit seiner Vermutung wahrscheinlich beleidigt, doch jetzt gab es da kein Zurück mehr.
„Ihre Männer wirken ein wenig…abgespannt.“, formulierte er so diplomatisch wie möglich.
„Ich darf Ihnen versichern, dass sie in bestem Zustand und hoch motiviert sind. Wir haben da so unsere Methoden, das sicher zu stellen. Nur wissen Sie, die meisten sind gewöhnliche Infanteristen und damit zwangsrekrutierte ehemalige Bauern und Arbeiter. Keine Soldaten adligen Geblüts. Diese müssten aber auch bald eintreffen. Sie haben die 30 Kilometer vom Quartier natürlich nicht zur Fuß sondern auf Lastwagen zurückgelegt und konnten deshalb etwas später ausrücken.“
„Ja, aber…“
„Ach, Sie stoßen sich wahrscheinlich daran, dass meine Männer etwas heruntergekommen wirken. Das ist völlig normal. Sie besaßen früher nichts und sind deshalb etwas anspruchsloser als andere Soldaten. Außerdem ist ihre Lebenserwartung nicht gerade die höchste, wenn man unsere Spezialisierung bedenkt. Aber ich darf Ihnen nochmals versichern, dass sie im Angesicht der Schlacht ihre Pflicht tun werden. Sollte dies nicht ausreichen, verfügen wir noch über genügend Reserven. In unserem Quartier stehen noch mehrere Kompanien bereit und meine Welt bietet einen nahezu unerschöpflichen Vorrat dieser…Leute. Aber so sehr ich es genieße mit Ihnen zu plauschen, Oberst Harden, so muss ich doch darauf verweisen, dass wir heute noch viel vorhaben. Hätten Sie deshalb die Güte, mir Ihre vorderen Stellungen zu zeigen? Ich möchte so schnell wie möglich einen kleinen Angriff einleiten, um die Stärke des Gegners zu testen.“
„Ja, natürlich.“, murmelte Harden verblüfft. So etwas hatte er bis jetzt noch nicht erlebt. „Bitte folgen Sie mir, Hauptmann Marcks.“
„Hauptmann Graf Marcks“, verbesserte ich dieser mit einem liebenswürdigen Lächeln.
„Ja, sicher.“


Hauptmann Graf Immanuel Florin Marcks von Weizenberg ging, nein, er schritt, hinter dem Oberst den Hang hinunter in die hintersten Ausläufer der imperialen Befestigungen. Wenn man ihn fragte, war dieser Oberst Harden ein typischer Vertreter der mittleren Befehlsebene ohne auch nur einen Funken Stil. Außerdem schien er einer jener Kommandierenden zu sein, die eine merkwürdige Art von Zuneigung für ihre Untergebenen verspürten. Marcks hatte das schon oft bei Fremdweltlern beobachtet. Und er hatte es nie auch nur ansatzweise verstanden. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, gemeine Infanteristen zu schätzen, geschweige denn sich großartig um sie zu sorgen. Das war auch mit Sicherheit der Grund, warum Oberst Harden hier versagt hatte. Er war einfach nicht bereit, seine Männer bis zum letzten Blutstropfen kämpfen zu lassen. Das war aber notwendig, wenn man einen Kampf wie diesen hier gewinnen wollte. Graf Marcks hatte solche Probleme nicht. Er würde an diesem Schauplatz immer wieder angreifen, bis der Sieg sein war. Und wenn es den letzten seiner Männer kostete. Obwohl das durch das ausgeklügelte Gotfrieder Ersatzsystem eigentlich gar nicht möglich war.
Sie hatten den hinteren der beiden Hauptgräben inzwischen erreicht und der Hauptmann warf einen prüfenden Blick über das Niemandsland, während er sich nachdenklich das lange Haar aus dem Gesicht strich. Ja, das waren gute Bedingungen. Die Erde war trocken, würde den Vormarsch der Truppen also nicht allzu sehr behindern, man konnte hervorragend sehen, wie der Feind auf einen Angriff reagierte und das Gelände verlief abschüssig bis zum Stadtrand. Wie aus dem Lehrbuch. Also konnte man auch danach vorgehen. Er wandte sich an Harden und sagte abgeklärt: „Vielen Dank, Oberst, ich würde jetzt gerne mit meinen Männern die Stellungen übernehmen. Wenn sie die Güte hätten, ihre Truppen aus der Linie herauszuziehen, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Selbstverständlich können Sie auch noch einen Moment bleiben, um unseren ersten Angriff zu begutachten.“
Der Oberst zog immer noch das selbe mürrische Gesicht, das er seit ihrem Zusammentreffen zur Schau trug.
„Sie wollen sofort angreifen?“
„Keine richtige Attacke, nur ein kleiner Test der Verteidigung unseres Gegners.“
„Dazu müssen sie nicht angreifen. Ich habe eine ziemlich genaue Karte der vermutlichen Stellungen des Feindes.“
„Wie Sie selbst sagten, der vermutlichen Stellungen. Ich würde mir da lieber ein genaues Bild machen.“, antwortete Marcks geduldig.
„Wie Sie meinen. Ich ziehe meine Männer in die Quartiere zurück und suche Sie danach wieder auf. Ich kann es kaum erwarten, ihre Truppen bei der Arbeit zu sehen.“
Der Oberst drehte sich um und marschierte den Graben entlang davon. Hauptmann Graf Marcks achtete ihn zwar nicht besonders, war aber dennoch froh, dass der Fremdwelt-Offizier bleiben würde. Er wusste jede gute Gelegenheit zu schätzen, die Fähigkeiten der Gotfrieder Offiziere unter Beweis zu stellen. Ere gestikulierte unwirsch mit der freien Hand. Kurz darauf kam sein Funker angelaufen, das Sprechgerät bereits in der Hand.
Der Hauptmann riss es förmlich an sich und schnauzte den schwer atmenden Infanteristen an: „Verbinden Sie mich mit Baron Flint!“
Der Funker nickte und begann, an den klobigen Reglern des altmodischen Komgeräts zu drehen. Kurz drauf hob er in einer bestätigenden Geste den Daumen. Marcks drückte den seitlich am Mikrofon angebrachten Sendeknopf und begann zu sprechen:
„Rot Eins an Rot Zwei. Zwei, können Sie mich hören?“
Das normale Rauschen und Knacken quoll eine Zeit lang aus dem Lautsprecher, dann kam die Stimme von Rot Zwei mit erstaunlicher Klarheit herein.
„Hier Oberleutnant Baron Flint, Hauptmann.“
„Bringen Sie Ihre Männer im vordersten Graben in Stellung. Wählen Sie zwei Züge, die in 30 Minuten einen kleinen Angriff über den Mittelabschnitt vortragen werden. Ich werde in der Zwischenzeit Hauptmann Portner darum ersuchen, dass die Blaue Kompanie ebenfalls zwei Züge zur Verfügung stellt. Das wären dann etwas unter 200 Mann und sollte so echt aussehen, dass der Feind es für einen ernstgemeinten Angriff hält und uns seine Positionen verrät.“
„Soll die Artillerie den Angriff vorbereiten?“
„Ich denke das wird nicht nötig sein. Wir wollen doch nicht über Gebühr Munition verschwenden. Achja, und sorgen Sie dafür, dass die Ablenkungstruppen nicht zu viele schwere Waffen mitnehmen. Die werden wir später noch brauchen und ich habe keine Lust, beim Divisionskommando Ersatz anzufordern.“
„Es wird vermutlich ein Totalverlust der eingesetzten Truppen, wenn wir sie ohne Vorbereitung und mit unzureichender Bewaffnung nach vorne schicken.“
„Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam machen. Aber sie sollen ja keinen Durchbruch erzielen, sondern mir einfach nur die Taktik des Gegners offenbaren. Das ist es auf jeden Fall wert. Sie, Oberleutnant, werden den Angriff aus dem vordersten Graben beobachten und mir ihre Schlüsse melden. Die Sicht ist gut, es besteht daher kein Grund, sich unnötig in Gefahr zu begeben.“
„Verstanden, Hauptmann Graf Marcks. Ende und aus.“
„Ende und aus.“
Marcks hängte das Sprechgerät wieder an seinen Platz zurück und machte sich auf, einen guten Beobachtungsplatz zu suchen.
 
Oberst Harden stand in einem getarnten Beobachtungsposten im zweiten Hauptgraben und blickte wahrscheinlich zum 10. Mal in den letzten drei Minuten auf sein Armbandchronometer. Diesmal nahm er den Blick nicht mehr von der Anzeige, denn nun liefen die letzten Sekunden bis zum festgesetzten Beginn des Scheinangriffs ab. Harden hatte sich entschieden, den Grafen nicht wieder aufzusuchen und den Angriff mit ihm zu beobachten. Er kante den anderen Offizier praktisch nicht, war sich jedoch jetzt schon mehr als sicher, dass er ihn nicht ausstehen konnte. Der Sprungsoldat konnte die Gegenwart des Hauptmannes nur schwer ertragen. Sein menschenverachtendes Benehmen gegenüber seinen Männern wollte er nicht länger ansehen, wenn er es nicht musste. Zugegeben, er hatte auch schon genügend Männer in den Tod geschickt. Darum kam man nicht herum, wenn man einen Führungsposten innehatte. Aber er war nie bereit gewesen, auch nur einen seiner Untergebenen mit solch einer Gleichgültigkeit zu opfern, die der Gotfrieder an den Tag zu legen schien. Zudem war sich Harden verdammt sicher, dass diese ganze Aktion nichts einbrachte. Die Tau hatten bis jetzt auf jeden Angriff mit ihrer üblichen mobilen Verteidigungstaktik reagiert. Ihre Stellungen ausfindig zu machen würde nicht helfen, weil sie beim nächsten mal schon an einem völlig anderen Ort sein würden. Die Tau hatten für feste Stellungen eben wenig übrig.
All das hatte er Graf Marcks noch einmal gesagt, als dieser mit seinen Angriffsplanungen fertig war. Er hatte betont, dass dabei nur wieder die gleichen ungefähren Positionen der Verteidiger herauskommen würden, über die sie bereits verfügten.
Natürlich hatte der Hauptmann nicht zugehört und Harden konnte es ihm trotz seines höheren Ranges nicht befehlen, denn seiner Order zufolge war er schon gar nicht mehr hier.
Es waren gerade 30 Minuten und 4 Sekunden seit Marcks Befehl verstrichen, als in der vordersten Linie das schrille Geräusch von Pfeifen ertönte. Knapp 200 Mann in schmutzig-blaugrauen Mänteln und mit schüsselförmigen Helmen geschützt kletterten über die Brustwehr und drangen ins Niemandland vor. Der Oberst konnte einen Offizier und mindestens einen Kleriker ausmachen, der den Männern irgendetwas zubrüllte, während er einen langen Stab, an dem vergilbte Schriftrollen klebten, wild hin und her schwenkte.
Eines musste er den Gotfriedern zugestehen. Sie waren pünktlich.
Harden beobachtete gespannt das weitere Vorgehen der Feudalweltler. Sie schienen ohne Widerstand voranzukommen und ihr Vormarsch beschleunigte sich allmählich. Der Oberst stellte mit Schrecken fest, dass die einzelnen Einheiten wirklich Schulter an Schulter gingen, ihre kurzläufigen Lasergewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten vor sich gestreckt. Sie hatten jetzt etwas die Hälfte des Niemandslandes überquert. Oberst Harden schloss die Augen. Er wusste, was nun geschehen würde. Es war bis jetzt jedes Mal geschehen.
Ohne Vorwarnung flogen den Imperialen von Stadtrand Salven blauen Pulsfeuers entgegen. Sie waren auf diese Entfernung nicht besonders genau gezielt, aber auf der anderen Seite war es auch nicht sehr anspruchsvoll, die dichtgeschlossenen Reihen der Angreifer zu treffen. Zu den kleinen Entladungen der Schnellfeuerwaffen der Tau gesellten sich nun auch noch die schmerzhaft hellen, größeren Geschossen ihrer Artillerie und einige Raketen. Durch seine wieder geöffneten Augen konnte Harden gerade noch erkennen, wie der Scheinangriff auseinanderbrach. Dann senkte sich dichter Qualm hinter den Soldaten herunter und nahm die Sicht.
Oberst Harden wandte sich ab. Er hatte ohnehin nicht den Wunsch, noch mehr zu sehen.
 
Veteranensergeant Eiken Rickers der Roten Kompanie des 3. Gotfried warf sich kopfüber in einen Granattrichter und landete mit dem Gesicht im Dreck. Pulsschüsse zischten über ihn hinweg und weitere klatschten in den Rand des Trichters, als der Schütze ihm folgte. Zwei weitere Mitglieder seines Zuges ließen sich neben ihn fallen. Einer war Soldat Lantz, der sich so tief wie möglich in den Krater drückte, damit die klobigen Promethiumtanks seines Flammenwerfers nicht aus der Deckung herausragten. Wer der andere war, konnte Rickers nicht sagen. Er lag mit dem Gesicht nach unten und ominöser Rauch quoll unter seinem Mantel hervor. Rickers hatte nicht den Wunsch ihn umzudrehen. Er wusste auch so, dass er ihm wahrscheinlich nicht helfen konnte. Die verdammten Energiewaffen dieser Xenos rissen Wunden, wie es sonst nur ein schwerer Bolter oder ein Maschinengewehr konnte. Außerdem hatten sie eine unglaubliche Reichweite. Der Sergeant hatte noch keinen der verdammten Schweinehunde zu Gesicht bekommen und sie hatten den „Angriff“ schon so gut wie zusammengeschossen. Angriff. Rickers musste unwillkürlich verbissen grinsen. Darauf lief es immer hinaus. Die Adligen liebten die Offensive und so bald die Stellungen angelegt waren, ließen sie pausenlos angreifen. Pausen- und vor allen Dingen rücksichtslos.
Veteranensergeant Rickers war so etwas wie eine Kuriosität in seinem Regiment. Es begann schon mit seinem Aussehen. Er war jetzt 38 Standardjahre alt, doch die beständige Belastung des Krieges hatte ihm rein äußerlich noch mindestens fünfzehn weitere auferlegt. Sein von Falten zerfurchtes Gesicht wurde zudem noch von einer Reihe alter und neuerer Narben gezeichnet. Von seinem ergrauten Haar war ihm nicht mehr viel geblieben. Nur noch ein relativ dünner Kranz um Hinterkopf und Schläfen, sowie ein Schnauz- und Kinnbart, der mehr oder weniger gekonnt eine alte großflächige Brandnarbe überdeckte.
Rickers hatte bis jetzt noch keinen der einfachen Landsknechte getroffen, der sein Alter oder seine Dienstzeit auch nur ansatzweise erreichte. Landsknechte wurden nicht sehr alt.
Doch jetzt hatte er keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Er war alt, er war erfahren und er war keinesfalls bereit, hier draufzugehen. Er presste sein kurzläufiges Lasergewehr an sich und dachte angestrengt nach. Diese Waffe besaß er nun schon seit fast zwanzig Jahren und sie hatte ihn nie enttäuscht. Aber sie hatte sich auch noch nie so nutzlos angefühlt.




Leutnant Freiherr von Ems der Blauen Kompanie schrie den Männern in seiner Nähe Befehle zu und versuchte nach Kräften, sie wieder zur Ordnung zu bringen. Aber er hatte keine Chance. Der Angriff war wie erwartet zu einem blutigen Gemetzel verkommen und hatte sich praktisch aufgelöst. Prediger Umbrecht war nirgends zu sehen und Kommissar Trianus war ebenfalls verschwunden. Ems glaubte am äußersten Rand des Sichtfeldes seines schweren Topfhelmes gesehen zu haben, wie einer der Landsknechte dem Kommissar in den Rücken geschossen hatte, nachdem dieser mit den Feldexekutionen begonnen hatte. Er konnte es ihm nicht einmal verübeln. Doch mit dem Fehlen des Predigers und des Politoffiziers war die gesamte Disziplin praktisch zusammengebrochen. Der Leutnant hatte keine Verbindung mehr zu seinen Trupps, er konnte kaum noch etwas sehen und hatte es mit Mühe und Not geschafft, seinen Funker, einen Soldaten mit Granatwerfer und einen Mann der Roten Kompanie um sich zu sammeln. Es kam jetzt nur noch darauf an, lebend hier herauszukommen. Der Auftrag war gewesen den Köder zu spielen und das hatten sie mehr als gut erledigt.
Er blickte auf die Ladeanzeige seines schweren Rückengenerators. Sie zeigte noch halbe Energie an. Das bedeutete, dass er seinen Schockschild noch etwas über fünfzehn Minuten erhalten konnte, bevor ihm die Energie ausging. Eigentlich war der Schild gemessen an den Modellen anderer Welten ein Witz. Das Feld war beschränkt auf einen Rahmen, der wie ein Schild aus festem Material getragen wurde und zog seine Energie aus einem sperrigen Rückengenerator, der nicht einmal besonders lange durchhielt. Aber er war das beste, das die Gotfrieder Waffenschmieden für den persönlichen Schutz herstellten. Freiherr von Ems bezweifelte allerdings, dass er gegen die schweren Energiewaffen der Xenos etwas nutzte.
Er lugte über den Rand des Kraters, in dem er und seine drei Begleiter Schutz gefunden hatten. Überall um sie herum flogen Pulsprojektile durch die Luft und die schwereren Geschosse warfen Fontänen von Erde in die Luft. Die Schreie der verwundeten und sterbenden Männer wurden von dem Lärm fast vollständig überdeckt, wofür Ems wirklich dankbar war.
Er wandte sich an seinen Funker: „Geben Sie das Rückzugssignal. Vielleicht empfängt es ja noch jemand. Dann versuchen wir uns abzusetzen.“
„Jawohl, Leutnant.“, antwortete der Mann atemlos und mit weit aufgerissenen Augen.
Ems wartete, bis er das Signal gegeben und zweimal wiederholt hatte, dann gab er das Handzeichen sich auf den Rückmarsch zu machen.
Die Gruppe hatte sich gerade erhoben, als plötzlich Schüsse von hinten zwischen sie fuhren. Der Funker wurde getroffen, bevor er überhaupt wusste was geschah und kippte rauchend nach vorn. Ems riss reflexartig seinen Schockschild hoch und konnte zwei der hellblauen Strahlen damit ablenken. Ein dritter und vierter durchschlugen den Energieschirm und trafen den Leutnant in Schulter und den linken Arm. Er schrie auf und fiel hintenüber, vom immensen Gewicht des Generators auf seinem Rücken nach unten gezogen. Während sich Freiherr von Ems noch benommen fragte, wie der Feind, den sie nie gesehen hatten, plötzlich hinter sie geraten war, spürte jemanden neben sich treten. Er drehte mühsam und vor Schmerzen stöhnend den Kopf und versuchte mit der rechten Hand seine Boltpistole aus ihrem Halfter zu ziehen. Eine verschwommene Gestalt kam in sein Blickfeld. Sie wirkte nicht real, irgendwie durchsichtig. Ein rotes Sensorauge starrte ihn an. Ems war zu langsam. Seine taube Hand hatte den Griff seiner Waffe nicht einmal gefunden, als der Geist seine Pulskanone auf ihn richtete und abdrückte
 
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Rickers lag noch immer in seinem Granattrichter und überlegte angestrengt, während pausenlos Einschläge von Pulsmunition kleine Erdbrocken auf ihn schleuderten. Er registrierte beiläufig, dass er sich schon wieder mit einer Hand die rechte Wange rieb. Der verfaulte Zahn, der einst an dieser Stelle gesessen hatte, war ihm nach einiger Qual bereits vor Monaten ausgefallen und hatte ihm als gehässige Erinnerung diese lästige Angewohnheit hinterlassen.
Der Veteranensergeant zwang sich, die Hand herunterzunehmen und überprüfte stattdessen seinen Grabenfeger. So nannten die Landsknechte ihre Variante des Serie-III-Lasergewehrs. Es unterschied sich von der Standardausgabe im Wesentlichen durch einen verkürzten Lauf und durch die Tatsache, dass es keine Schulterstütze hatte. Das ging zwar zulasten der Zielgenauigkeit, aber die Waffe konnte so in den beengten Verhältnissen eines Grabenkrieges besser gehandhabt und sogar einhändig abgefeuert werden. Der auffälligste Unterschied zwischen einem normalen Serie-III und einem Grabenfeger war jedoch, dass Letzterer schlicht und einfach heruntergekommen war. Kein Wunder, wenn man sich Wartungsartikel oder eine Ersatzwaffe von einem Teil des eigenen Soldes kaufen musste, damit dieser dann in die Tasche des leitenden Offiziers floss.
Doch so praktisch eine solche für den Grabenkrieg entwickelte Waffe auch war, jetzt nützte sie Rickers herzlich wenig. Dann kam ihm eine Idee. Sie war eigentlich hirnrissig und hatte wenig Aussicht auf Erfolg, aber sie war das beste und vor allen Dingen einzige, das er hatte. Und viel länger durften sie nicht warten, wenn sie es auf eigenen Beinen und nicht in einem Plastiksack zurück schaffen wollten. Dass er sich aus dem Staub machte, darauf verschwendete der Sergeant keinen Gedanken. Er war sich ziemlich sicher, dass der gesamte Angriff sonst wo geblieben war und wer noch nicht aus verschiedenen Löchern qualmte war entweder genauso festgenagelt wie er oder bereits auf dem Weg zurück. Bis jetzt hatte er auch noch keinen Politoffizier gesehen. Er versuchte den Kopf zu Soldat Lantz zu drehen, ohne ihn dabei allzu weit anzuheben. Der Flammersoldat hatte seine schmächtige Gestalt etwas weietr unten an die Wand des Granattrichters gepresst. Ein trauriges Grinsen zierte sein immer etwas leer wirkendes Gesicht.
„Hey, Lantz!“, rief Rickers in dem anderen zu.
„Was?“
„Was hältst du davon, wenn wir uns dünne machen?“
„Super Idee, warum bin ich da noch nicht drauf gekommen?“ Da war sie wieder; Lantz’ ekelhafte sarkastische Art.
„Gib mir deinen Flammenwerfer.“
„Was willst du damit anstellen? Willst du versuchen, die verfluchten Xenos auf die fast hundert Meter Entfernung zu treffen?“
„Stell keine dummen Fragen, gib mir lieber die Fackel!“
Lantz versuchte widerwillig das Geschirr des Flammenwerfer abzustreifen, ohne dabei zu weit hoch zu kommen. Er wirkte dabei wie eine Fliege, die in ein Saftglas gefallen war und sich nun mühte, nicht darin zu ertrinken. Dann schob er die Waffe zu seinem Sergeant an den Kraterrand. Der drehte das Ventil so weit wie möglich auf, überprüfte kurz den Schlauch und begann damit, das Promethium in einem großen Halbkreis über den Rand des Trichter zu sprühen.
„Du musst erst den Zünder anschalten, du Idiot, oder willst du die Kerle mit dem Treibstoff ersäufen?“, schrie Lantz mit sich überschlagender Stimme von unten.
„Halt endlich die Klappe und den Kopf unten!“, brüllte Rickers seinen Kameraden an, der daraufhin verstummte.
Der Veteranensergeant versprühte etwa zwei Drittel des Promethiums in das Niemandsland, dann löste er den Tank vom Werfer und schleuderte ihn hinterher. Er schnappte sich seinen Grabenfeger, zählte im Stillen bis drei, warf sich hoch und gab dabei Schnellfeuer auf den Promethiumtank ab. Er schaffte es mit viel Glück wieder in Deckung, bevor die Tau richtig auf ihn zielen konnten und der Tank in einer spektakulären Explosion in die Luft flog. Das zuvor verspritzte Promethium entzündete sich ebenfalls und hüllte Rickers Granattrichter in öligen schwarzen Rauch.
„Los, beweg dich!“, schnauzte er Lantz an, der die Zeichen der Zeit jedoch bereits erkannt hatte und dabei war, aus dem Krater zu klettern. Der Sergeant hetzte ihm hinterher und sie rannten so schnell sie konnten auf die eigenen Linien zu. Einige ungezielte Schüsse flogen ihnen nach, doch keiner kam nahe genug, um ihnen gefährlich zu werden. Einige Sekunden später verschwanden der Granattrichter und seine nähere Umgebung unter dem Einschlag einer Artillerieladung.



Shas’vre Vior’la Oni’Sho hatte das Treiben des Menschen mit Interesse verfolgt. Er war sich ziemlich sicher, dass die beiden Krieger ihn in seinem Geist-Kampfanzug nicht bemerkt hatten. Er sah, wie der Mensch einen Kanister über den Trichterrand warf, ihn mit seiner Waffe zur Explosion brachte und sich anschließend mit einem seiner Kameraden im Schutz des Feuers zurückzog.
Oni’Sho legte auf die beiden Flüchtenden an, zögerte dann jedoch und ließ seine Pulskanone wieder sinken. Er hatte heute schon genügend von ihnen getötet, sogar einen, der so etwas wie ein Anführer gewesen zu sein schien. Fliehende von hinten zu erschießen, brachte keinerlei Ehre oder Ruhm. Außerdem respektierte er den Einfallsreichtum des Menschen. Er würde ihm lieber wieder in einem ordentlichen Gefecht gegenübertreten.
Die beiden Menschen waren gerade im Rauch verschwunden, als er über sein Komgerät den Rückmarschbefehl erhielt. Der Angriff des Feindes war zusammengebrochen. Shas’vre Vior’la Oni’Sho machte sich auf den Weg zurück zu den eigenen Linien, während er bei sich noch rätselte, was die Menschen mit dieser Operation eigentlich bezweckt hatten. Dann rief er eine Geländekarte auf seinem HUD auf und suchte nach einer passenden Position. Seine Einheit würde eine neue Stellung einnehmen müssen, jetzt, da der Gegner ihre alte Ausgangsstellung kannte.
 
Sehr schöne Geschichte. Das Gefecht ist sehr spannend und die Beschreibung der Verstärkung gelungen.
Aber warum schreibst du das in einzelne Posts?
Es wäre doch viel besser gewesen, wenn du erstmal die Meinung der übrigen User zum ersten Teil abgewartet hättest, bevor du weitermachst. Außerdem ist die Schrift da viel zu klein, um das gut lesen zu können. Kannst du das vielleicht noch ändern?
Ansonsten: wann gehts weiter???
 
Danke, danke! Den ersten Post habe ich mittlerweile überarbeitet, müssste erstmal schauen, wie das geht. War wirklich sehr klein geschrieben...
Ich habe nicht erst abgewartet mit dem weitermachen, weil die Geschichte bereits fertig ist (natürlich ist sie Änderungen zugänglich und nicht "unantastbar").
Das mit den einzelnen Posts ist so ne Sache. Die einzelnen Beiträge haben eine bestimmte Zeichenobergrenze (ich glaube 10.000), deswegen mussten es so viele verschiedene Posts sein. Kann man da was tricksen?
 
Hauptmann Graf Marcks hatte es sich so gemütlich gemacht, wie das in dem stickigen Unterstand mit den schweren Schutzvorhängen möglich war. Es roch durchdringend nach trockener Erde. Der Offizier hatte die gestiefelten Füße auf den klapprigen Tisch aus Flakbrettern gelegt und hielt eine dampfende Tasse beinahe genießbaren Kaffeins in den Händen. Die zuvor dort liegenden Karten waren unordentlich zur Seite geschoben worden. Sein Topfhelm hing mitsamt seinem Pistolenhalfter an einem Haken neben dem Eingang, der Schockschild und der schwere Generatortornister lehnten darunter an der Wand. Er sah beiläufig auf seinen Armbandchronometer. Jeden Moment musste Oberleutnant Baron Flint eintreffen, um Bericht zu erstatten. Marcks selbst hatte den Angriff nicht bis zum Ende verfolgt. Der Qualm hatte sich zu schnell zwischen die Angriffstruppen und die imperialen Linien gesenkt und der Hauptmann hatte deswegen das Interesse verloren. Er hatte schließlich seine Untergebenen, um die erforderlichen Beobachtungen durchzuführen.
Graf Marcks hörte jemanden an den hölzernen Rahmen des Eingangs pochen.
„Herein!“, rief er ohne den Kopf zu drehen.
„Hauptmann!“, erklang die schneidige Stimme Baron Flints von außerhalb des Schutzvorhangs. Marcks konnte hören, wie die schweren Kunststoffbahnen zur Seite geschlagen wurde und der andere Offizier eintrat. Kettenglieder und Panzerplatten rieben aneinander, als er salutierte.
Der Hauptmann ließ ihn einige wohl abgemessene Sekunden stehen, dann schwang er die Beine vom Tisch und drehte sich ohne aufzustehen herum. Er salutierte lässig und bedeutete dem Baron sich zu rühren. Bei näherem Hinsehen konnte die Erscheinung des Oberleutnants nicht wirklich mit dem Klang seiner Stimme mithalten. Er war groß und stattlich, wie es sich für einen Adligen gehörte, aber er trug sein schwarzes Haar wild und ungeordnet, nur mit einem roten Band um den Kopf zusammengehalten. Fast sein ganzes Gesicht war von einem zotteligen Vollbart der gleichen Farbe verdeckt, nur an einer Stelle der rechten Wange zeigte sich eine längliche freie Stelle. Eine alte Narbe sorgte dafür, dass dort nie wieder Haare wachsen würden. Der Baron trug den gleichen blaugrauen Mantel wie alle Gotfrieder Soldaten, allerdings keines der typischen grauen, langärmligen Unterhemden, sodass seine muskulösen Unterarme nackt waren. Sein Helm baumelte an einer Kette von seinem Gürtel.
„Nanu, wo haben Sie denn ihr Schoßtierchen gelassen?“, fragte der Hauptmann im Plauderton und bezog sich dabei auf den kleinen schwarz-braunen Hund, der Baron Flint immer begleitete und sozusagen sein Markenzeichen war. Marcks konnte den räudigen Köter nicht ausstehen.
„Mit Rücksicht auf Ihre Einstellung zu ihm habe ich ihn bei meinen Männern gelassen.“, erwiderte der Oberleutnant glatt.
„Ah ja, sehr schön. Haben Sie die Auswertung des Angriffs abgeschlossen?“
„Ja. Wie erwartet erlitten wir fast einen Totalverlust unter den angreifenden Männern. Nur fünfundzwanzig haben es einigermaßen in einem Stück wieder zurückgeschafft. Leutnant von Ems wird vermisst, und Bruder Umbrecht sowie Kommissar Trianus kamen auch nicht zurück. Ich habe-„
„Ja, ja“, unterbrach Graf Marcks ungehalten. Das war eine wahrhaft enervierende Eigenschaft seines Stellvertreters. Er interessierte sich einfach zu sehr für die Soldaten. Es hieß, er unterhielte sogar eine Art kameradschaftliches Verhältnis zu ihnen. Hauptmann Marcks hatte für eine derartige Unprofessionalität keinerlei Verständnis. So konnte ein Offizier seiner Ansicht nach seine Arbeit nicht anständig erledigen. Aber solange der Baron nicht entscheidend versagte, konnte er nichts unternehmen.
„Die Ergebnisse, Oberleutnant, daran bin ich interessiert.“, fuhr er seinen Untergebenen harsch an.
Flint wirkte zerknirscht. „Ich habe die feindlichen Positionen, die wir ausmachen konnten, auf einer Feldkarte vermerkt.“ Er zog eine Datentafel aus seiner Manteltasche und reichte sie seinem Vorgesetzten. „Ich habe mir auch die Mühe gemacht, sie mit den letzten Positionen, die Oberst Harden verzeichnet hatte, zu vergleichen. Es gibt keine einzige Entsprechung. Sie haben ihre Stellungen völlig neu organisiert. Leider konnten wir den Angriff nicht bis zum Ende beobachten. Wenn Sie erlauben, würde ich Harden gerne um einige seiner Beobachtungsgeräte bitten, die sind wesentlicher effektiver als unsere eigenen.“
„Abgelehnt. Sie wissen genau, dass wir keine Geräte einsetzen, die nicht auf Gotfried hergestellt wurden. Das ist Tradition, wir verlassen uns nur auf das, was wir genau kennen und wir sind bis jetzt ausgezeichnet damit gefahren.“
„Jawohl, Hauptmann.“, bestätigte Flint müde und offensichtlich bemüht, sich seine Resignation nicht anmerken zu lassen. Eine weitere seiner hervorstechenden Eigenschaften. Was auch immer er denken mochte, er führte dennoch jeden Befehl aus, den man ihm gab.
„Hohlen Sie bitte alle Zugführer für eine Besprechung in einer Stunde zusammen. Ich möchte aufgrund der gewonnenen Daten so schnell wie möglich eine ernsthafte Offensive versuchen. Ich habe das mit dem Divisionskommando bereits abgestimmt.“
„Mit Verlaub, Graf, ich glaube nicht, dass uns diese Daten etwas nützen. Sie dürften nicht zuverlässig sein und-“
„Ich habe Sie in diesem Punkt nicht nach Ihrer Meinung gefragt, Oberleutnant. Wegtreten.“, fuhr Graf Marcks dazwischen.
„Jawohl, Hauptmann.“ Flint wandte sich um und wollte den Unterstand verlassen.
Immanuel Graf Marcks beschloss, noch etwas weiter zu gehen. „Baron Flint?“, pfiff er seinen Stellvertreter noch einmal zurück.
Dieser verharrte im halb geöffneten Schutzvorhang. „Hauptmann?“
„Lassen Sie einige der Überlebenden exekutieren. Versagen darf nicht toleriert und dadurch gefördert werden.“
„Versagen? Sie sollten doch nur auf sich schießen lassen! Das können wir nicht tun!“
„Sie haben sich zurückgezogen, oder? Rückzug ist keine Option. Lassen Sie ein paar erschießen, wen ist mir egal. Sie können sich das aussuchen. Aber bitte mindestens drei.“
„Hauptmann Graf Marcks, ich-“
„Das war ein Befehl, Oberleutnant.“
Der Baron ließ die Schultern hängen. „Jawohl, Hauptmann“
„Ach ja, ich werde Kommissar Villar vorbeischicken, um die Strafaktion zu überwachen. Das wäre alles. Wegtreten.“
„Jawohl, Hauptmann.“ Oberleutnant Baron Flint ließ den Vorhang hinter sich herunterfallen und verschwand außer Sicht.
Immanuel Graf Marcks von Weizenberg nippte entspannt an seiner Tasse Kaffein und widmete sich der Datentafel, die ihm der Baron übergeben hatte. Es lief alles genau nach Lehrbuch.
 
Eiken Rickers lehnte mit dem Rücken an der mit Flakbrettern verstärkten vorderen Grabenwand und versuchte zum fünften mal den verdammten Küchenflammer- oh, Verzeihung- das imperiale Standard-Feldkochgerät Serie II Typ VII aus bester Gotfrieder Produktion anzuwerfen. Der kleine Gaskocher gab jedoch nur ein deprimierendes Puffen von sich und spuckte ein trotziges blaues Flämmchen aus, wie um dem Sergeant zu zeigen, dass er zwar konnte, aber gerade einfach keine Lust hatte. Rickers beschloss, sich auf die Machtprobe einzulassen und gab dem Küchenflammer einen herzhaften Tritt, der diesen den Graben entlang beförderte und einen blauen Fleck auf dem großen Zeh des Veteranensergeants hinterließ. Einige andere Soldaten der Grabenbesatzung wandten sich kurz um, zeigten aber ansonsten keinerlei Interesse an Rickers Kampf mit den Tücken der Technik. Er schickte dem Gerät einige ausgewählte Flüche hinterher, fühlte sich dadurch jedoch kaum besser. Andere Regimenter, denen Rickers in seiner Zeit bei den Landsknechten begegnet war, hatten Kocher mit kleinen Fusionszellen, die länger hielten als ein imperialer Soldat jemals hoffen konnte zu überleben, oder sogar sich selbst erhitzende Nahrung, die einen solchen Ausrüstungsgegenstand gänzlich überflüssig machte. Doch den Landknechten war es untersagt, Ausrüstung oder Waffen von anderen Welten zu benutzen. Es hieß, bei Fremdwelt-Produkten könne man sich nie sicher sein, ob sie auch auf die Weise funktionierten wie sie sollten. Produkte aus Gotfrieder Herstellung hingegen seien zuverlässig und ihre Funktionstüchtigkeit durch Jahrhunderte des dauerhaften Einsatzes gesichert. Veteranensergeant Rickers grinste freudlos vor sich hin. Dass diese Behauptungen nicht gänzlich der Wahrheit entsprachen fand man schnell heraus, aber was war dümmer, als wegen des Besitzes eines Fremdwelt-Kochgeräts von einem übereifrigen Kommissar erschossen zu werden? Kein Wunder, dass die Soldaten jedes einzelnen Regiments, dem er bis jetzt begegnet war, die Landsknechte bestenfalls mit milder Verachtung betrachteten und nicht länger als unbedingt nötig mit ihnen kämpfen wollten. Das traf sich auch ganz gut, die Führungsebene des Gotfrieder Militärs betrachtete die Truppen anderer Welten mit dem gleichen Misstrauen wie ihre Ausrüstung.
Der Sergeant riss sich aus seinen düsteren Gedanken. Es war ohnehin zwecklos, darüber zu sinnieren. Erstens füllte es ihm jetzt nicht den Magen und zweitens brachte es nur Ärger ein. Es kam immer darauf an, das beste aus seiner Situation zu machen. Das hatte er immer getan und so bis jetzt außergewöhnlich lange überlebt. Er hatte es praktisch zu einer Kunst entwickelt, sowohl die Gefahren durch die Schlacht und den Feind, als auch die durch die eigenen Offiziere zu umgehen.
Rickers kramte in seinen Taschen nach einer Konservendose. Er wurde fündig und zog den silbrigen Zylinder heraus. Wie immer keine Aufschrift. Er hatte nie herausgefunden, was die Rationen eigentlich enthielten, aber er hatte sich irgendwann darauf festgelegt, dass es wohl Linsen mit pürierten Würstchen sein mussten, wobei die Linsen allerdings auch püriert waren. Es gab natürlich keinen wirklichen Beweis für diese Theorie, aber seit er sie aufgestellt hatte, schien der dickflüssige braune Inhalt der Konserven tatsächlich nach Linsen zu schmecken. In diesem Licht betrachtet erschien auch der Ausfall des Kochers nicht mehr schlimm, es verbesserte den Geschmack der Rationen nicht nennenswert, wenn sie heiß waren.
Brot hatte nicht zur letzten Essensausgabe gehört, also durfte Rickers seine Linsen heute pur genießen. Er zog den Deckel der Dose an der Blechlasche auf und begann damit, ihren Inhalt mit Zeige- und Mittelfinger auszulöffeln. Dabei schloss er die Augen; ja, Linsen, das war sicher.
Er hatte seine Mahlzeit vielleicht zu zwei Dritteln beendet, als er Bewegung ein wenig weiter nach links den Graben hinunter wahrnahm. Ohne aufzustehen spähte er mit zusammengekniffenen Augen in die entsprechende Richtung und konnte nach kurzer Zeit Oberleutnant Baron Flint ausmachen, der sich in seine Richtung vorarbeitete. Er klopfte den an der Brustwehr stehenden und auf dem Boden oder Ausrüstungskisten sitzenden Männern dabei auf die Schulter und wechselte mit jedem ein paar Worte. Rickers lächelte, und diesmal war die Regung echt. Er mochte den Oberleutnant. Er war der beste und bis jetzt einzige Offizier, den der Sergeant in seiner langen Laufbahn gesehen hatte, dem seine Männer nicht gleichgültig waren. Manchmal musste auch er Dinge tun, die er nicht wollte, wie zum Beispiel den Angriff heute morgen anzuordnen, aber auf diese Weise konnte er sein Kommando behalten. Und das war um einiges besser, als einen neuen Offizier zu bekommen. Das alles wirkte sich auch auf die Landsknechte unter Flints Befehl aus. Sie ertrugen ihren Dienst weit besser als ihre Kameraden aus anderen Einheiten, wussten sie doch, dass sie um einiges besser dran waren als diese.
Doch Rickers fiel auf, dass der Oberleutnant heute einen bekümmerten Gesichtsausdruck trug, den er mit viel Geschick zu verstecken suchte. Gegenüber den andern gelang ihm das auch, aber der Veteranensergeant kannte seinen Oberleutnant nun schon seit neun Jahren, eine weit längere Zeit, als die meisten Landsknechte überhaupt im Dienst überlebten. Für ihn war offensichtlich, dass in der Besprechung mit dem Kompaniekommandanten etwas geschehen war, das Baron Flint bedrückte.
Als sein Vorgesetzter bei ihm angelangte, sah er interessiert auf. „Stimmt etwas nicht, Baron Oberleutnant?“
„Vor Ihnen kann ich wohl gar nichts mehr verheimlichen, Sergeant.“
„Nein, Baron, ich glaube nicht mehr.“
Flint sah sich kurz um. „Kommen Sie mit.“
Rickers erhob sich und folgte dem Baron durch den Graben zu einem kleinen schlecht gegrabenen Unterstand, den dieser für sich in Beschlag genommen hatte. Es gab nicht einmal einen Gasschutzvorhang, stattdessen war der Eingang mit zwei Gardedecken abgehängt.
Drinnen war es dunkel und stickig. Auf einer umgedrehten Munitionskiste spendete eine kleine batteriebetriebene Lampe klägliches Licht. Baron Flint setzte sich auf ein in die Wand getriebenes Brett, das eine Art Bank darstellte und unter seinem Gewicht bedrohlich knarrte. Er bedeutete Rickers, sich ebenfalls zu setzen. Der Sergeant griff sich eine Verpflegungskiste und ließ sich darauf nieder.
„Also, Eiken.“, begann der Oberleutnant ohne Umschweife. Die vertrauliche Anrede mit dem Vornamen gebrauchte er nur, wenn sie unter sich waren. Und meistens war es dann ernst. „Der Graf möchte, dass ich wegen des Rückzuges heute Vormittag mindestens drei der daran Beteiligten Überlebenden exekutieren lasse. Als Exempel, dass Rückzug keine Option ist.“
„Das wäre ja nicht das erste mal.“, erwiderte Rickers ungerührt.
„Ja, aber diesmal wird er sich nicht mit meinem Wort zufrieden geben. Er will Kommissar Villar vorbeischicken, um mich zu kontrollieren. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich will keinen der Männer erschießen lassen und ich kann mich nicht einfach weigern.“
„Ich bin froh, dass Sie es so sehen, Oberleutnant.“, sagte der Sergeant gepresst. „Aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, werden Sie den Befehl ausführen müssen. Die Männer werden es Ihnen nicht übel nehmen. Besser so, als dass Sie versetzt werden.“
„Es geht nicht darum, dass die Männer mir es vielleicht verzeihen werden, wenn ich drei von ihnen exekutieren lasse. Ich kann und werde es mit meinen Methoden der Führung nicht vereinbaren.“, versetzte Flint kategorisch. Rickers musste einsehen, dass er seinen Offizier dazu wohl nicht überreden konnte. Er dankte im Stillen dem Gott-Imperator dafür, dass der Baron sich auch in dieser Situation für sie einsetzen würde. Nachdenklich strich er sich über den ergrauten Kinnbart. Dann kam ihm eine Idee.
„Wir haben fünf Soldaten, die schwer verletzt sind. Der Doktor meinte, sie werden es wahrscheinlich nicht schaffen. Ich habe sie gesehen. Ich wüsste auch nicht, wie man so große Löcher im Körper überleben könnte. Wir könnten sie verwenden.“
Baron Flint blickte seinen Sergeant überrascht an. „Du schlägst allen Ernstes vor, Verwundete erschießen zu lassen?“
„Wenn sie ohnehin sterben müssen, können sie so wenigstens noch andere retten.“
„Manchmal bin ich von deiner Gnadenlosigkeit überrascht.“
Der Veteranensergeant gestattete sich einen spöttischen Blick. „Ich kämpfe nun schon länger als jeder andere in diesem Regiment. Imperator, wahrscheinlich länger als irgendein anderer Landsknecht von Gotfried. Wenn ich inzwischen eines bin, dann realistisch. Ich weiß, wann etwas vermeidbar ist und wann nicht. Sie werden es nicht vermeiden können, drei Männer zu disziplinieren. Es kommt nur darauf an, es möglichst in Ihrem Sinne ablaufen zu lassen. Und am Besten, bevor unser geliebter Kommissar anwesend ist.“
Der Oberleutnant lehnte sich zurück. Eine unangenehme brütende Stille senkte sich über die beiden Soldaten im Unterstand. Nach einiger Zeit sagte er leise: „Du hast recht. Ich werde ins Lazarett gehen. Ich werde nur Männer auswählen, denen sicher der Tod bevorsteht. Wenn sie bei Bewusstsein sind, werde ich sie fragen, ob sie bereit sind, dieses Opfer zu bringen. Und dann werde ich beten, dass der allmächtige Imperator mir vergibt.“
„Das wird er sicher.“
 
Kommissar Villar stapfte mit schweren Schritten durch den mit Flakbrettern ausgelegten Graben. Sein mit Absicht stampfender Tritt sorgte dafür, dass die genagelten Sohlen seiner polierten hohen Armeestiefel ein weithin hörbares knallendes Geräusch erzeugten. Alle Soldaten, die er passierte, schauten schnell weg oder gaben sich bei ihrer jeweiligen Tätigkeit die größte Mühe. Villar genoss diese Wirkung, die er auf die Männer hatte. Das war wirkliche Macht. Einen Menschen mit einem bloßen Blick dazu bringen zu können, alles zu tun, was man von ihm verlangte. Der Kommissar achtete sehr darauf, dass seine Erscheinung diese Wirkung noch unterstützte. Von Natur aus war er groß und hager, er trug immer lange Ledermäntel, die seine Körpergröße noch betonten, und schritt grundsätzlich weit aus, um diesen Effekt zu unterstützen. Die Kommissarsmütze hatte er tief ins Gesicht gezogen, damit ein Großteil im Schatten lag. Dennoch blitzen seine stechenden Augen aus der Dunkelheit unter dem Schirm hervor. Das Bild wurde vollendet durch eine lange Narbe, die sich von hinter dem rechten Ohr quer über die Wange bis zu Halsansatz zog. Villar hatte sie seinerzeit absichtlich grob nähen lassen und jede kosmetische Behandlung abgelehnt, um sie gut sichtbar zu halten. Das war ihm sicherlich gelungen, denn niemand konnte ihn ansehen, ohne dass sein Blick wie magisch von dieser Entstellung angezogen wurde.
Jetzt war der Kommissar auf dem Weg, um dieses subversive Element Oberleutnant Baron Flint zu überwachen. Er konnte diesen Flint und seine weichen Methoden nicht ausstehen. Zugegeben, eigentlich konnte er keinen der Gotfrieder Offiziere und ihrer Untergebenen leiden. Sie waren geradezu himmelschreiend rückständig und die sogenannten Adligen auch noch stolz darauf. Das ergab sich wahrscheinlich, wenn man zu hause eine gewisse Allmachtstellung innehatte und diese im Militär weiter pflegte. Dennoch gaben die Gotfrieder Regimenter Personen mit einem leicht sadistischen Einschlag, zu denen auch der Kommissar gehörte, die Möglichkeit, ihre Vorlieben auszuleben. Wahrscheinlich hatte das Kommissariat ihn deshalb auch hierher versetzt. Er war zuvor oft gerügt worden, seine Methoden seien zu brutal, selbst für einen Angehörigen des Kommissariats. Das hatte einiges zu heißen, waren Kommissaren ansonsten nahezu alle Handlungen gestattet, die der Erhaltung der Disziplin in irgend einer Weise dienten. Seit er hier tätig war, hatte es keine einzige Beschwerde mehr gegeben.
Villar gestattete sich ein grässliches Lächeln. Er hoffte wirklich, Flint bei einer Pflichtvergessenheit oder gar Befehlsverweigerung zu erwischen, um sich eingehend mit ihm befassen zu können. Gleichzeitig war ihm aber auch klar, dass er darauf wahrscheinlich verzichten musste. Der Oberleutnant wies ein bestechendes Talent auf, seine Pflicht so zu erfüllen, dass es nichts auszusetzen gab, aber zugleich Befehle so zu biegen, dass sie ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllten. Doch diesmal hatte sich Graf Marcks etwas einfallen lassen, dass seinen Offizier zwingen würde, gegen seine Auffassung zu handeln.
Plötzlich zischten Laserschüsse nur ein Stück weit entfernt. Kommissar Villar merkte auf, dann rannte er los. Dieser Hund hatte die Strafaktion schon ohne ihn begonnen. Er bog um eine Ecke und fand sich in einer Lagergrube wieder, in der Material für die Besatzung der vorderen Gräben aufbewahrt wurde. Eine Wand war freigeräumt und drei grobe Pfähle in den Boden gerammt worden. Daran hingen die schlaffen Körper dreier Landsknechte, die gerade von einem Mann des Exekutionskommandos losgeschnitten wurden. Das Kommando selbst nahm eilig Haltung an, als es des Kommissars gewahr wurde. Außerdem waren noch Oberleutnant Flint und ein Kleriker anwesend.
„Baron Flint!“, schnauzte Villar aufgebracht.
„Ja, Kommissar?“
„Sie haben schon ohne mich angefangen!“
Das Gesicht des Offiziers blieb unter seinen Bart völlig ausdruckslos. „Ich wusste nicht, dass Sie auf Ihre Anwesenheit bei einer solch trivialen Aktion bestehen würden.“
Sein Gegenüber schnaubte abfällig und stapfte zu den Leichen hinüber, die inzwischen auf dem Boden vor den Pfählen lagen. Er untersuchte sie eilig. Dann wandte er sich wieder an den Baron.
„Diese Männer“, stieß er mühsam beherrscht hervor, “sind allesamt schwer verletzt. Ich wage sogar zu behaupten, tödlich.“
„Das ist bei einer Exekution so üblich.“, erwiderte Oberleutnant Flint ungerührt.
„Sie wissen genau, was ich meine!“, fuhr Villar auf. „Diese Soldaten haben Verletzungen aus dem Gefecht. Sie wären mit Sicherheit auch so gestorben, wenn sie nicht vor der Erschießung schon tot waren.“

Der Zugführer zog die Stirn unter seinem Wirren Haarschopf kraus, während er ruhig erwiderte: „Ihre Körper sind noch warm, folglich waren Sie noch am leben. Aber das haben Sie bei Ihrer Untersuchung zweifellos festgestellt. Des weiteren verlangte Hauptmann Graf Marcks, ich solle drei Männer, die an dem Angriff heute morgen beteiligt waren, erschießen lassen. Der Graf ließ zudem verlauten, es sei ihm gleich, welche meiner Soldaten ich dafür auswähle. Diese hier wurden verwundet, weil sie meine Befehle nicht ordnungsgemäß ausführten und sich so in die Lage brachten, der sie ihre Verletzungen verdanken. Ich war der Ansicht, Befehlverweigerung sei ein hervorragender Grund zur Disziplinierung. Ich habe meine Befehle buchstabengetreu ausgeführt.“
Kommissar Villar atmete ein paar Mal tief durch, um sich wieder zu beruhigen.
„Eines Tages, eines Tages werde ich Sie drankriegen, Oberleutnant. Und bei der dann folgenden trivialen Aktion werde ich mit Sicherheit auf meine Anwesenheit bestehen.“
„Kommissar!“
Der Politoffizier starrte den Baron noch einige Sekunden lang vernichtend in die Augen, ohne jedoch eine Reaktion in dessen versteinerter Miene hervorzurufen, dann fuhr er herum und rauschte durch den Graben davon.
 
Danke für die positiven Kommantare! Da will ich mich natürlich nicht lumpen lassen, hier der nächste Teil:

In dem tiefen Kellergewölbe war es wie immer feucht und muffig. Aber wer eine ganze Weile lang nur die eigene recycelte Atemluft vorgesetzt bekommen hatte, störte sich daran nicht sonderlich.
Shas’el Vior’la Korath eilte zielstrebig durch den angeschimmelten niedrigen Gang und versuchte dabei, die Unsicherheit seiner Bewegungen zu ignorieren. Tau brauchten nicht viel Schlaf und folglich hatte er seit Beginn der Kampfhandlungen seinen schweren Kampfanzug kaum verlassen. Wenn er ihn wie zur Zeit nicht trug, kam er sich unvollständig vor, so als sei sein Körper plötzlich kleiner, als seien die Proportionen der Gliedmaßen irgendwie verschoben und verändert. Deshalb hatte der Commander kurz nach dem Aussteigen leichte Koordinationsschwierigkeiten, was ihn mehr als nur ein wenig störte. Hinzu kam, dass sich sämtliche seiner Sinne merkwürdig „stumpf“ anfühlten, wenn sie nicht mehr mit der Sensorbank des Anzuges verbunden waren. Trotz der Unannehmlichkeiten war Korath weit davon entfernt sich zu beklagen. Nicht nur, weil so etwas für ein Mitglied der Feuerkaste seines Ranges ungebührlich war, er war davon abgesehen auch viel zu erregt, um solchen Kleinigkeiten Beachtung zu schenken.
Mittlerweile hatte er das Ende des Kellerganges erreicht. Ein schweres Schott versperrte den weiteren Weg, davor standen zwei Feuerkrieger in voller Schlachtrüstung Wache. Wegen des schlechten Lichts und ihrer an Stadtgebiete angepassten grau-schwarzen Rüstung waren sie von größerer Entfernung praktisch nicht zu sehen.
Die beiden Krieger präsentierten förmlich ihre Pulsgewehre, als ihr Commander sich näherte. Auf seine unwirsche Handbewegung hin öffneten sie eilig das Schott und machten Platz, um ihn möglichst nicht aufzuhalten. Es war kaum zu übersehen, dass ihr Befehlshaber noch schlechterer Laune war als gewöhnlich.
Hinter der Luke erstreckte sich die Kommandozentrale von Aun’Uivor, der den Oberbefehl bei der Verteidigung dieser Stadt führte. Der Shas’el kam oft hierher, da der Aun über alle Ereignisse regelmäßig einen persönlichen Bericht verlangte. Korath war der Ansicht gewesen, wieder zu diesem Anlass hierher zitiert worden zu sein, doch ihm wurde beim Betreten des Raums sofort klar, dass diesmal etwas anders war.
Der zentrale Bereich des Kommandostandes wurde von einem großzügigen Holofeld eingenommen, auf dem aktuell eine Übersicht der eingeschlossenen Stadt mit allen Fronten, den Positionen der einzelnen Verteidiger und den mutmaßlichen Stellungen der Angreifer flimmerte. Die Wände wurden von einer ungeheuren Ansammlung von Kommunikations-und Kontrollkonsolen gesäumt. Jedoch waren alle Stühle vor den Instrumententafeln leer und auch sonst war keiner der anderen Offiziere anwesend.
Aun’Uivor stand mit dem Rücken zum Schott vor dem Holofeld und schien seinen Untergebenen zunächst gar nicht wahrzunehmen.
Das Schott fiel mit einem lauten Knallen wieder ins Schloss. Korath rührte sich nicht von der Stelle, sondern wartete stumm, bis das Wort an ihn gerichtet wurde.
„Willkommen, Commander.“, eröffnete der Aun das Gespräch nach einigen zähen Sekunden der Stille, wobei er sich langsam umwandte. Seine zeremoniellen reich geschmückten Gewänder raschelten vernehmlich, als er die vierfingerigen Hände ein einer fast meditativen Geste verschränkte „Wie Sie sicher bemerkt haben, ist dies hier keine normale Lagebesprechung.“
Commander Korath sagte noch immer nichts. Noch war kein Satz gefallen, der ihm das Recht zubilligte, zu seinem Himmlischen zu sprechen.
„Ich möchte gleich klarstellen, dass dies eine Unterhaltung zwischen uns werden soll.“, fuhr Uivor fort. „Das bedeutet, Sie dürfen frei sprechen und müssen dazu nicht auf meine Erlaubnis warten.“
„Jawohl, Aun.“
„Ich habe Sie aus einem simplen Grund heute allein zu mir gebeten. Ich habe mich entschieden, unsere Strategie grundlegend zu ändern und beabsichtige, Sie umfassend darüber zu informieren. Sie werden dann die anderen Offiziere einweisen. Ich wünsche keine offene Beratung mit allen anderen, da meine Entscheidung grundsätzlich nicht mehr zur Disposition steht, nachdem wir beide hier fertig sind.“
Der Shas’el nickte nur steif. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Wollte der Himmlische ihn nur informieren, oder mit ihm noch über die Strategieänderung diskutieren? Er beschloss, zunächst vorsichtig abzuwarten und den anderen weiter ausführen zu lassen.
„ Mir ist bewusst, dass Sie meine bisherige Strategie nicht gerade gutheißen, auch, wenn Sie sorgfältig vermieden haben, dies durchblicken zu lassen.“
„Es entspricht nicht gerade dem Verhalten eines wahren Jägers, der Beute die Initiative bereitwillig zu überlassen.“, rutschte es dem Feuerkrieger heraus, bevor er den Satz unterdrücken konnte. Doch Aun’Uivor lächelte nur nachsichtig.
„Wir können unsere jetzige Situation auch nicht gerade mit einer Jagd vergleichen. Sie wissen sehr wohl, dass wir es den Gue’la nicht gestatten können, Hand an sie zu legen. Gleichwohl können wir so auch nicht fortfahren.“
„Ich würde niemals vorschlagen, sie in die Hände der Gue’la fallen zu lassen.“, erwiderte Korath nun wieder ruhig. „Zieht Ihr in Erwägung, die Ausbruchsversuche wieder aufzunehmen?“
„Zu einem sicheren Ausbruch verbunden mit einem Abtransport der Missionsziele sind wir nicht mehr in der Lage. Es würde uns auch nichts nützen, wenn wir erfolgreich wären. Die anderen Jagdkader unserer Koalition sind noch zu weit entfernt, als dass wir sie sicher erreichen könnten. Sie werden ebenfalls nicht so zeitig zu unserer Entsetzung eintreffen, wie man mir zugesichert hatte. Nein, wir müssen hier aushalten, und genau da stellen sich einige fundamentale Probleme.“
Der Aun schwieg einige Sekunden, und Korath fragte sich schon, ob er an diesem Punkt seine Meinung äußern sollte. Sein Vorgesetzter kam ihm zuvor.
„Wir sind mittlerweile zu geschwächt, um die Undurchlässigkeit unserer Linien an allen Fronten garantieren zu können. Die fortdauernden Kämpfe haben unseren Kader nahezu erschöpft. Jetzt, wo der Feind Verstärkungen herangeführt hat, ist dies entscheidender denn je.“
„Meinen Berichten zu Folge haben sich diese Truppen als nicht eben talentiert bei ihrem ersten Vorstoß erwiesen.“
„Das mag zutreffend sein, ich wage jedoch nicht, sie so schnell zu beurteilen und dabei möglicherweise zu unterschätzen. Hinzu kommt, dass wir die Kroot bald nicht mehr kontrollieren können. Es wäre vielleicht ihr sicherer Untergang, aber mit der Zeit gewinnt ihre barbarische Kampfeslust die Oberhand. Ich denke nicht, dass wir sie noch allzu lange in den Bunkern halten können. Zu guter letzt macht sich zwischen Ihren Kriegern Unmut breit, weil wir uns vor unserer Beute verkriechen.“
„Sie werden ihre Pflicht weiterhin erfüllen, dafür garantiere ich.“, schoss der Shas’el zurück.
„Daran zweifle ich nicht, die Frage ist lediglich, in welchen Geist sie das tun.“
„Und Euer Plan ist nun…?“
„Wir werden die äußeren Perimeter der Verteidigung aufgeben und dem Feind erlauben, in die Stadt einzurücken. Dann werden wir sie so nehmen, wie es sich für einen Jäger gehört. Sie werden Beute sein, die wir in den Straßen jagen. Ich habe einen detaillierten Aufstellungsplan ausgearbeitet, den wir im Anschluss durchgehen werden. Ich erwarte Ihre Hilfe bei der letztendlichen Positionierung. Wir dürfen nicht den kleinsten Teil unserer Kräfte verschwenden, wenn wir hier siegen wollen.“
„Wenn wir dem Feind gestatten, in die Stadt einzudringen, setzt das den Erfolg unserer Mission großer Gefahr aus.“
Die Miene Uivors verdüsterte sich: „Das ist mir klar, Commander. Aber wenn wir versuchen, sie weiterhin außerhalb zu halten, werden sie uns vollständig zermürben. Es scheint ohnehin eine ihrer Spezialitäten zu sein. Sie nehmen kaum Rücksicht auf die Höhe ihrer Verluste. Unsere Kräfte zu bündeln ist die einzige Möglichkeit, die Verteidigung in die Länge zu ziehen.“
„Wie lange werden wir auf die anderen Kader warten müssen?“
„Das wollte mir das Hauptquartier nicht sagen. Sie können offensichtlich keine sicheren Aussagen treffen.“
„Dann stimme ich Euch zu, dass Euer Plan die einzige Option darstellt.“
Aun’Uivor nickte flüchtig. „Dann zur Aufstellung Ihrer Krieger.“ Er beugte sich über das Holofeld und winkte Shas’el Vior’la Korath zu sich heran.