Leutnant Freiherr Fritz von Schurenstein hörte das hochfrequente Jaulen, dann ein saugendes Geräusch und warf sich zu Boden, noch bevor er wirklich registriert hatte, was geschah. Wer stehen blieb und versuchte, zuerst die ganze Situation einzuschätzen, kam nicht besonders weit. Er war jetzt lange genug bei der Artillerie, um das zu wissen und hatte dabei schon ausreichend Artillerieduelle erlebt. Irgendwie glichen sich die Anzeichen jedes Beschusses durch schwere Geschütze, völlig gleich, welches verabscheuungswürdige Xeno-Pack sie auch konstruiert hatte.
Dem Saugen folgte ein kurzer Moment gespannter Stille, dann erschütterte eine Detonation die Batteriestellung der Roten Kompanie. Es war nicht einfach eine Explosion wie von Sprengstoff. Ihr war ein tiefes Brummen beigemischt, ein Basston, der das Trommelfell und jedes einzelne Organ im Leib vibrieren ließ. Für einen Moment blieb dem Leutnant die Luft weg, da seine Brust so sehr zitterte, dass er keinen Atemzug nehmen konnte. Das Geschoss war zu weit gezielt gewesen. Eine Welle blauen Plasmafeuers fegte über die rückwärtige Wand der Geschützstellung und überschüttete sie mit zu Glas geschmolzenen Erdbrocken.
Schurenstein fand seinen Atem wieder und brüllte so laut er konnte: „Deckung! In Deckung gehen!“
Er konnte die Mannschaften durcheinander rufen und rennen hören, während er sich selbst so nah wie möglich an die vordere Verschanzung drückte. Mehr der merkwürdigen Geschosse schlugen in der Nähe oder direkt in die Geschützgrube der Gotfrieder Feldartillerie ein. Irgendetwas flog mit einem lauten Knall in die Luft, Rauch vernebelte die Sicht und das Schreien von verwundeten und sterbenden Männern drang zwischen den Detonationen an seine Ohren. Weiter links schrie jemand panisch nach einem Sanitäter.
Nach vielleicht einer Minute, die dem flach am Boden kauernden Freiherr wie eine Stunde vorkam, wurden die Einschläge leiser, als der Beschuss abwanderte und sich einen anderen Abschnitt der imperialen Linien vornahm. Er hob den Kopf und versuchte sich umzusehen. Der Qualm machte es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Da waren die Schemen von Artilleristen, die verstört aus ihrer Deckung auftauchten und andere, die sich am Boden wanden oder überhaupt nicht mehr bewegten. Die Luft war erfüllt von einem stechenden Geruch und dem Jammern der Verletzten. Ein leichtes Geschütz war zusammengebrochen und brannte langsam aus.
Freiherr von Schurenstein fing sich wieder, als seine Erfahrung und Ausbildung die Oberhand über das Erlebte gewannen. Eine unbändige Wut begann sich durch seinen kleinen, drahtigen Körper zu brennen.. Nicht umsonst sagte man ihm nach, sein Temperament entspreche was Instabilität und Explosivität anging, eins zu eins der üblichen Gotfrieder Artilleriemunition.
„Los, an die Geschütze! Auf Feuererwiderung vorbereiten! Wo ist der verdammte Beobachter, ich brauche eine Peilung!“
Er sah Sergeant Olhoff, der sich gerade um den Abtransport der Verwundeten bemühte, und packte ihn grob an der Schulter. „Wir können die später wegbringen. Räumen Sie sie aus dem Weg, wohin ist mir egal und sorgen Sie dafür, dass meine Batterie gefechtsklar wird. Los!“
Um seine Worte zu unterstreichen, gab er dem Sergeant noch einen Tritt. Der eilte davon beorderte ein paar Männer zu sich, die damit begannen, die verwundeten Artilleristen an die hintere Wand der Stellung zu ziehen, und sammelte die noch kampffähigen zusammen.
Mit vor Erregung zitternden Händen strich sich Schurenstein seinen sauber gestutzten Schnurrbart glatt und stülpte sich dann den schweren Tophelm auf, der an seinem Gürtel baumelte. Er musste sich ein wenig beruhigen. Er machte sich auf einen Rundgang durch seine Batterie. Die Verwüstung, die er nun sah, ließ seine Wut wieder hoch kochen.
Die verdammten Aliens sollten ihn kennen lernen. Niemand schoss Fritz von Schurenstein einfach so zusammen, ohne es zu bereuen. Gerade stellte er zufrieden fest, dass seine Mannschaften damit begannen, ihre Geschütze feuerbereit zu machen, als er beinahe über einen am Boden liegenden Soldaten stolperte. Zuerst dachte er, der Mann sei tot, doch bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass der Lump einfach nur am Boden kauerte und versuchte, sich nicht zu rühren. Mit einem erbosten Schnauben riss der Leutnant ihn auf die Beine, packte ihn am hohen Kragen seines blaugrauen Mantels und brüllte ihm aus kürzester Entfernung ins Gesicht: „Was soll das werden? Willst du vielleicht Urlaub machen, du Nichtsnutz? Zurück an dein Geschütz!“
Der Mann deutete mit einem zitternden Finger und schreckgeweiteten Augen auf die inzwischen fast völlig ausgebrannte Kanone.
„D-…D-…Das ist mein Geschütz!“
Sein Offizier schleuderte ihn brutal wieder zu Boden
„Dann such dir verdammt nochmal ein anderes, es stehen hier ja genug herum!“, herrschte Schurenstein den gebeutelten Soldaten an und versetzte ihm obendrein noch einen Tritt in den Magen. „Mach schon!“
Der Geprügelte krabbelte so schnell er konnte auf allen Vieren davon. Der Freiherr sah ihm nicht nach, er hatte wichtigeres zu tun. Von seinem Beobachter war nichts zu sehen, aber dort, wo er gesessen hatte, befand sich ein ziemlich großes Loch in der Verschanzung. Von dem speziellen Periskop, das die Gotfrieder Artillerie für gewöhnlich als Zielgerät verwendete, war ebenfalls keine Spur zurückgeblieben. Schurenstein zückte seinen Feldstecher, zog sich zur Brustwehr hoch und suchte den Rand der Stadt ab. Die feindlichen Geschütze erhielten ihren brutalen Beschuss aufrecht, hatten inzwischen aber andere Abschnitte der imperialen Stellungen im Visier. Ohne ein anständiges Zielgerät war eine saubere Peilung unmöglich, aber er konnte schätzen. Er fummelte hektisch seine Karte des Gebiets aus der Manteltasche, verglich sie mit der ungefähren Richtung, in der er die feindliche Artillerie aufgrund ihres Beschusses vermutete und nahm eine grobe Zielpeilung vor. Ihm war natürlich klar, dass er so gut wie keine Chance hatte, den korrekten Standort der Kanonen der Tau auszumachen, aber darauf kam es ihm nicht an. Er wollte sie Stahl fressen sehen, und wenn das befriedigende Krachen der eigenen Geschütze zu vernehmen war, dann würde er das Kompaniekommando anrufen und um weitere Befehle bitten. In dem momentan herrschenden Durcheinander konnte er ohnehin nicht mit anständigen Anweisungen rechnen.
Leutnant von Schurenstein wandte sich zu den wartenden Mannschaften um.
„Zielpeilung 2.58, Entfernung 3,4 Kilometer. Feuern nach Belieben! Macht sie fertig!“
Die Geschützcrews begannen umgehend, an den Stellrädern ihrer Waffen zu hantieren. Kurz darauf eröffneten die ersten Kanonen das Feuer. Der Freiherr grinste verbissen, als das vertraute Donnern seine Trommelfelle und seinen Körper erschütterte. Schon besser.