@Galatea:
Außerdem gab es mal eine Zeit in der die Araber den Europäern sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich WEIT voraus waren - die Araber haben die moderne Mathematik begründet (auch wenn sie dabei viel auf den Errungenschaften der Griechen aufgebaut haben), sie haben u.a. die Gabel erfunden und hatten über einen sehr langen Zeitraum ein wesentlich moderneres Gesellschaftsmodell und sogar eine sehr viel differenzierte Sicht auf ihren Glauben als die Westeuropäer und ihre Ableger.
Das stimmt auch nur teilweise.
Zunächst einmal haben die Araber nicht die Gabel erfunden, die kannten schon die Römer.
Dass die mathematischen Kenntnisse der Muslime im Mittelalter deutlich besser waren, stimmt, nur sollte man nicht unterschlagen, dass es parallel dazu bedeutsame mathematische Traktate christlicher Gelehrte gab, die großteils in Vergessenheit geraten sind (Roger Bacon, Nicolaus Cusanus, sogar Pius II. soll heute verschollene Texte herausgegeben haben) - und epistemologisch waren die christlichen Gelehrten in der Mathematik weit voraus. Wirklich revolutionär waren die Inder, die die Infinitesimalrechnung wenigstens 300 Jahre vor Leibniz und Newton entwickelten.
Ansonsten gilt es, die politischen nicht mit den intellektuellen und Verhältnissen zu verwechseln sowie die intraspezifischen Konflikte nicht kleinzureden: Ende des 12. Jhdt. beispielsweise konnten sich die radikalen malikitischen Rechtsgelehrten durchsetzen, sodass ein Edikt erlassen wurde, das Schriften philosophischen Inhalts verbat und sogar eine Bücherverbrennung zur Folge hatte. Es gab eben nicht nur aufgeklärte Gelehrte des Schlages Ibn Tufayl und Ibn Rushd; abgesehen davon waren die zahlreichen Eklektiker aristotelischen (und nachher folgerichtig auch "averroesistischen") Gedankenguts ziemlich elitär. Religiöse Texte sollen nur philosophisch vorgeschulte Leser auch interpretieren dürfen (diejenigen, "die ein gründliches Wissen haben"), da die breite Masse lediglich rhetorische (einige wenige noch dialektische, aber nur die Gelehrten apodiktische) Argumente verstehe.
Davon, dass Apostasie im Islam zu allen Zeiten mit dem Tode bestraft wurde, brauchen wir wohl auch nicht zu reden - nicht unbedingt das liberalste aller Merkmale bei der Religionspolitik.
(Hat hier eigentlich mal einer die Erzählungen aus tausendundeiner Nacht gelesen? Von hohem literarischen Wert zwar, aber ein übleres Propagandawerk für die Sunna muss man erst einmal finden).
Das sage ich übrigens als sehr großer Freund der philosophischen (in dem weiten ehemaligen Sinn) Tradition im Islam, gerade Avicenna, Averroes und al-Ghazali halte ich für sträflich unterschätzte Denker. Aber während man zurecht heute dazu neigt, das arabische Mittelalter gewogen zu beurteilen, womöglich mit einer Tendenz zur Schönfärbung (davon zeugt auch Dein letzter Satz im Beitrag), wird bei uns noch immer das finstere Mittelalter beschworen, das es faktisch (so) nicht gab (zumal in der frühen Neuzeit der Zustand oftmals schlimmer war).
@Cywor:
Es ist halt einfacher, alles in einen Topf zu werfen und draufzuschlagen, als sachlich auseinander zu halten.
[...]
Da haben uns die kollektiv "kinderlieben" Geistlichen und diverse kirchliche Einrichtungen, Nein zu Kondomen und Ignoranz gegenüber AIDS leider was ganz anderes gelehrt.
Aha. Da wir das Thema schon besprachen, zitiere ich mich einfach selbst:
Die tatsächliche Gefährdung durch katholische Geistliche ist im Verhältnis zur Normalbevölkerung in der Tat auch gering. Einer Rechnung des "Spiegels" zufolge, die Anfang 2010 aufgestellt wurde (also nach der Erkenntnis um die Missbrauchsfälle im Canisius-Kolleg und anderswo), gab es seit 1995 rund 100 aufgeklärte Fälle von Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen, aus allen anderen Quellen zusammengerechnet 210.000. Hohe Dunkelziffern wird es in beiden Umfeldern geben. Da es aber nur 60.000 männliche Mitarbeiter in der katholischen Kirche gibt, die über 21 Jahre alt sind (unter diesem Täteralter finden kaum Übergriffe statt), bundesweit aber 33 Millionen Männer dieses Alter aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit, von einem katholischen Priester misshandelt zu werden, gleich 36-mal kleiner als bei einem Normalbürger.
Soviel zur Ausdifferenzierung.