---------------------------------------------------
M3 – N1.2 - Invictus
---------------------------------------------------
Was sollte er tun ? Dasselbe wie beim letzten Desaster ? Aber ohne Funkgerät konnte er keinen Airlift anfordern. Ohnehin waren vermutlich alle Frequenzen überwacht. Zurück zu den imperialen Linien durchschlagen? Das mussten dutzende, wenn nicht hunderte von Kilometern durch feindliches Gebiet sein. Er wusste nicht mal die Richtung.
Man hielt ihn bestimmt für tot. Das einzig Gute war dass dies für beiden Seiten galt. Für einen winzigen Moment war er ein freier Mann. Zumindest wenn er irgendwie am Leben blieb. Ziellos wanderte er los.
„Zehntausend Schritte pro Tag fördern die Gesundheit und halten Herz und Kreislauf in Schuss !“ rief die Roboterstimme ihm nach.
Sollte er einfach desertieren ? Was zahlten die Menturi für einen Imperialen Major ? Vielleicht konnte er sich der nächsten Streife ergeben ? Möglicherweise hatten die ja gerade eine Position frei.
Andererseits hatten die Menturi hatten gerade einen Vice Admiral in ihre Gewalt bekommen und er selbst hatte nicht die geringste Ahnung was die Strategie des Oberkommandos war. Wie lange würde es wohl dauern bis er aufflöge ? Und was wenn er an die falsche Streife geriet und in die Hände von blutrünstigen Kultisten oder wahnsinnigen Mutanten fiel ?
Oh mann, oh mann oh mann, wie geriet er immer in solche Situationen ?
Mallory war gerade etwa fünfzig Schritte gekommen und hatte neue Höhen des Selbstmitleids erreicht als er unversehens in einen Gewehrlauf starrte.
„Halt !“
Das Lasergewehr feuerte in seine Richtung, verfehlte ihn aber um ein paar Meter. Mallory hastete in Deckung. Zwei weitere Schüsse zischten durch die Luft.
„Ich krieg euch ! Ich krieg euch alle, verdammt ! Glaubt ja nicht dass ihr euch verstecken könnt ! Ich werd euch allen den Garaus machen !“
Zwei weitere Schüsse zischten.
Mallory lugte über die Schulter hinaus und sah einen Mann in der Uniform der Acheron durch das Trümmerfeld tasten.
„Ich werd euch alle verbrennen ! Ihr werdet brennen ! Ihr werdet büssen hierfür ! In der Hölle ! “
„Hören Sie auf zu schiessen ! Ich bin´s, Major Mallory !“
Der Mann sah auf, blickte suchend in seine Richtung.
„Lügner ! Mallory ist tot ! Er ist beim Absprung gegen eine Mauer geknallt ! Sein Grav Chute war nicht aktiviert. Ich habe es selbst gesehen.“ Der Mann feuerte wieder in seine Richtung, verfehlte ihn aber ein weiteres Mal um einige Meter.
Wo lernten diese Leute schiessen ?
Mallory sah dass der Mann sich unsicher im Gelände bewegte, immer vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzend und sich dabei mit den Händen vortastend. Er war blind.
Mallory ging wieder in Deckung. Oje, was tun ? Er tastete nach seiner Plasmapistole. Die Waffe war immer noch warm und sirrte. Ein Schuss und der Mann wäre in seine Atome zerlegt, blind wie er war hätte er keine Chance.
Dann verwarf er die Idee.
„Das wüsste ich aber ! Der Grav Chute war nur auf das falsche Gewicht eingestellt !“ rief er dem Mann stattdessen entgegen.
Keine Antwort.
„Was war der Name Ihres Squads ?“ fragte Mallory weiter von hinter der Mauer.
Wieder keine Antwort.
„Die Hitze ! Das Licht ! Der Lärm ! Ich kann nichts sehen ! Sie sind alle tot !“
Nicht alle, dachte Mallory. Er beobachtete den Mann und sah dass er noch ziemlich jung war, vielleicht halb so alt wie er.
Als in der Entfernung der Lichtstrahl eines Scheinwerfers kurz die Wolken erleuchtete, sah Mallory dass der Kopf des Mannes kurz dorthin ruckte.
Aha. Seine Blindheit war also wahrscheinlich nur psychosomatisch. Mallory hatte von solchen Fällen gehört. Das Gehirn war so traumatisiert dass es sich weigerte irgendwelche weiteren Signale zu verarbeiten. Nun gut, dachte Mallory, zumindest kann er mich so nicht treffen.
Wie auf ein Stichwort sah er wie der Mann eine Handgranate in die Hand nahm.
„Komm her ! Komm her wenn Du ein Mann bist und kämpfe !“
Der Soldat entsicherte die Granate.
Oh Mann. Der Einsatz hatte sich gerade erhöht. Mallory schwitzte. Was sollte das nun jetzt ?
Irgendwas musste er sagen.
Oder sollte er einfach warten bis der Mann sich selbst in die Luft spengte ? Das würde das Problem auch beseitigen, aber wie würde er dann nach Hause kommen ?
Er war nie besonders gut in Ansprachen gewesen. Die Kampfdisziplin in seiner Kompanie schwankte meistens zwischen kompletter Verwirrung und milchkuhartiger Apathie.
An den meisten Tagen marschierten sie einfach los, Mallory führte sie ein paar Mal in Kreis und fand dann irgendwie den Weg zurück ins Lager, manchmal mit einigen Stunden Verspätung. Die Soldaten waren frustriert, aber das war ihm egal. Jeder Tag den man überstand ohne erschossen oder in die Luft gesprengt zu werden war ein Punkt für ihn, so wie er es sah.
Und jetzt das. Er war nicht vorbereitet auf eine solche Situation. Das war eine Aufgabe für einen Psychologen. Oder für eine echte Führungspersönlichkeit, nicht jemanden wie ihn. Er wollte eigentlich nur zurück in seine Stube, unter die Decke kriechen, Gedichte lesen und alles andere vergessen. Was wollten die alle von ihm ?
Dann fiel ihm auf einmal eine Zeile ein die er irgendwo gelesen hatte. Ein Echo aus einer anderen Welt, klar wie ein Lichtstrahl hinter Wolken.
„Aus finstrer Nacht die mich umragt“ sagte er in die Richtung des irrenden Soldaten.
„Durch Dunkelheit mein Geist ich quäl”
Wie ging es weiter ? Ah ja.
“Ich dank welch Gott es geben mag
Fuer meine unbezwungne Seel”
Mallory atmete tief durch. Die Zeilen kamen ihm zurück.
“Trotz Pein die mir das Leben war
Man sah kein Zucken, sah kein Toben
Des Schicksals Schlag in grosser Schar
Mein Haupt voll Blut, doch stets erhoben”
Mallory sprach die Worte langsam und deutlich, wie in einem Theatersaal. Ohne Pathos aber mit fester Stimme.
Im Publikum sah er die Gesichter der unzähligen Toten vor sich, all die Kameraden und Freunde die er in den letzten zwanzig Jahren gekannt und wieder verloren hatte. Tomlin, Larsson, Vendetti, Watkins , Carlos, Veneus, Fenwick, Silverston, Jagger, Bodie …
Die Reihen von Toten blickten ihn mit ihren dunklen Augen an, manche zornig, manche voll Wohlwollen, manche gleichgültig. Sie schienen ihn aufzufordern weiter zu sprechen.
“Jenseits dies Orts voll Zorn und Tränen
ragt auf der Alp der Schattenwelt
Stets finden mich der Welt Hyänen
doch die Furcht an meinem Ich zerschellt”
“Egal wie schmal das Tor, wie bloss
Wieviel Bestrafung ich auch zähl
Ich bin der Meister meines Los
Ich bin der Captain meiner Seel”
Mallory blickte auf. Es war still.
Er sah dass der junge Mann zusammengebrochen war und leise schluchzte.
Er sass auf einem Haufen Geröll und hatte immer noch Granate in der Hand die er wie ein Baby liebkoste.
Mallory erster Impuls war sich dazuzuhocken und mitzuschluchzen, so allein fühlte er sich in diesem Moment.
Aber dann ging er ungelenk vorwärts und legte dem Soldaten eine Hand auf die Schulter.
So, Lektion Eins, Pokerface bewahren.
„Wie heisst Du, Trooper ?“
Die tränenüberströmten himmelsblauen Augen schauten zu ihm auf.
„Bluestar. Jesse Bluestar, Sir. Oh Sir, es tut mir so leid , Sir.“
„Mir tut es leid, Jesse. Die ganze Sache ist meine Schuld. Warum sagst Du mir erstmal nicht was hier geschehen ist ? Meldung machen, Bericht erstatten und so. Ich war leider nach dem Handgemenge für einige Zeit weggetreten.“
Jesse schien zu überlegen, rang sichtlich mit sich, sagte dann mechanisch:
„Ich war Teil des Sprungteams in Valkyrie White. Wir hatten den Auftrag die Laserstellung im Westen anzugreifen und sind aus der schwebenden Valkyrie abgesprungen, direkt auf die feindliche Stellung. Aber die Bastarde waren auf uns vorbereitet.“
Mallory seufzte. Ja das war das immer das Problem im Krieg. Der Feind machte nie mit bei den Plänen die man so vorbereitet hatte
„Das Feuer war so dicht dass er kein Durchkommen gab. Autokanonen, Granatwerfer, Flammenwerfer, alles. Frontman und Sharper hat es gleich erwischt. Ich weiss nicht was dann passiert ist. Ich konnte einfach nicht mehr. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich habe die Beine in die Hand genommen und bin weggerannt, gerannt so weit ich konnt. Sir. Sir, bitte erschiessen Sie mich.“
Der junge Airborne Soldat wollte gerade wieder nach der Granate greifen und machte Anstalten den Ring zu ziehen. Mallory sah es und griff hektisch nach dem Sprengkörper.
„Nein, Corporal, nein. Das geht nicht. Ich kann Sie nicht erschiessen. Ich habe nämlich keine Ahnung wo ich bin.“
„Sir, ich verdiene es nicht weiter zu leben.“
„Sie müssen aber weiterleben. Und vor allem müssen Sie nicht mich mit in die Luft sprengen. Ich für meinen Teil würde gerne etwas weiter leben. Und ja, das ist ein Befehl. Im Namen des Imperators und so weiter. Ich brauche jemanden der mir sagt wo ich bin.“
Mit sanfter Gewalt nahm er ihm die Granate ab und sicherte sie wieder. Puh.
„Aber Sir, wie soll ein wertloser Feigling wie ich von irgendeinem Nutzen sein ? Haben Sie nicht gehört , Sir ? Ich bin weggerannt ! Im ersten Gefecht ! Ich habe meine Kameraden im Stich gelassen ! Sie sind tot, meinetwegen ! Ich bin kein Held wie Sie, Sir.“
Mallory zwinkerte.
„Äh, ich glaube Sie unterliegen hier einem Missverständnis.“
„Jeder im Bataillon weiss dass Sie alleine aus nächster Nähe einen Monoloi Dune Crawler mit einer Sprenggranate zerstört haben. Haben Sie nicht von Lord Galmon persönlich den Sanguinius Orden verliehen bekommen während zwei Kompanien Space Marines im Grossen Festsaal Spalier standen ?“
Mallory rollte mit den Augen. Wer dachte sich diese Geschichten aus ? Held ! Auch das noch.
„Da hatte ich keine Wahl. Ich hab nur getan was nötig war. Und nein, ich habe keinen Orden bekommen, sondern nur ein Stück Papier mit einem datierten Stempel als Unterschrift. Und Lord Galmon kenne ich nur aus dem Pict Feed.“
„Genauso spricht ein wahrer Held, Sir ! Ein wahrer Held des Imperiums. Aber ich bin ein Feigling ! Auf Acheron gilt mein Name nichts mehr. Ich habe meine Ehre verloren.“
Mallory schüttelte den Kopf.
„Aber wir sind nicht auf Acheron, sondern auf Beltrice. Und hier ist Krieg und Sie werden gebraucht. Helfen Sie mir. Strengen Sie sich an, denn erstmal müssen wir am Leben bleiben. Über Ehre reden wir später.“ Mallory klopfte sich den Staub und Russ von der Uniform und fügte dann mit einem schiefen Lächeln hinzu
„Das ist ein Befehl.“