Hi zusammen! Nach der Hausarbeit habe ich mal ein wenig Abwechslung gebraucht und herausgekommen ist das hier. Einen richtigen Titel gibt es noch nicht.
Tag 1
Ben Hunting, von Beruf eigentlich Schweißer, doch zur Zeit arbeitslos, bewegte sich langsam mit dem Zug seiner Leidensgenossen auf die Loki-Plaza. Dieser Platz im Herzen der Vannion-Makropole war weder besonders groß, noch auf eine andere Weise beeindruckend. Eigentlich war er nicht mehr als eine ausgedehnte, gepflasterte Fläche, in deren Zentrum sich ein großer Springbrunnen erhob. Selbst, wenn ihn die Sonne beschien, wie an diesem Vormittag, wirkte er einfach nur trostlos. Was ihn allerdings für Ben und die Bürger, die er begleitete, interessant machte, war die Tatsache, dass sich an seinem Nordrand das Arbeitsministerium, ein rechteckiger, an einen Bunker erinnernder Bau, befand.
Seit Monaten zahlte man den Arbeitslosen immer weniger Unterstützung, während die Unternehmen gleichzeitig immer mehr Stellen strichen. Die Makropole wand sich im Griff einer handfesten Wirtschaftskrise, was vor allem angehörige der Unter- und Mittelschicht betraf. Aufgrund der Neigung der imperialen Behörden, auf Kritik nicht besonders einfühlsam zu reagieren, kam es jedoch zu relativ wenig offenem Protest.
Auch jetzt, an dieser angemeldeten Demonstration, nahmen nur etwas über dreihundert Bürger teil. Zu groß war die Angst vor der möglichen Rektion der Sicherheitskräfte, die sich jedoch bisher darauf beschränkten, die Proteste zu überwachen und den kleinen Zug mit tragbaren Absperrungen auf seiner geplanten Route zu halten. Doch je länger dieser Zustand dauerte, desto mehr Menschen würden sich ihnen anschließen, da war Ben sich sicher. Es brodelte unter der Oberfläche und es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der ganze Ärger und Frust sich Bahn brechen musste. Von diesem Gedanken angespornt, skandierte Hunting noch ein wenig lauter.
Die Demonstranten hatten mittlerweile beinahe die Mitte der Plaza erreicht, als der Arbeitlose plötzlich in seinem Rufen innehielt und stutzte. Vielleicht zwei Reihen vor sich sah er eine Gruppe von Protestlern, die sich so unauffällig wie möglich bemühten, Eisenstangen und leere Flaschen unter ihren Jacken hervor zu ziehen. Ben zögerte keine Sekunde, sondern begann sofort, sich zu den Männern vor zu arbeiten. Sie durften es auf keinen Fall zu Gewalttätigkeiten kommen lassen, ansonsten konnten sie weitere Demonstrationen getrost vergessen. Man würde ihnen keine einzige mehr genehmigen. Ganz davon abgesehen, was die Sicherheitskräfte mit ihnen anstellen würden. Er erreichte den ihm am nächsten stehenden Mann, griff ihn am Kragen seiner Jacke und zog ihn zu sich herum.
„Hört auf damit, ihr handelt uns nur Ärger ein.“, sagte er so beschwörend wie möglich. Dann sah er die Augen des Kerls. Seine Pupillen waren geweitet, so als hätte er zuviel getrunken oder Drogen genommen. Doch was Ben wirklich aus der Fassung brachte, waren die gelb verfärbten Augäpfel. Er holte Luft, um noch etwas zu sagen, doch bevor er auch nur eine Laut herausbringen konnte, brach um ihn die Hölle los. Plötzlich schienen sich um ihn herum nur noch mit allerlei Alltagsgegenständen Bewaffnete aufzuhalten, die brüllend nach außen drängten und auf die Sicherheitsleute losgingen, die neben den Demonstranten herliefen. Hunting wurde mehrmals angerempelt und stürzte zu Boden. Panisch versuchte er, sich wieder aufzurichten, wurde jedoch sofort wieder hingeworfen. So schnell er konnte, krabbelte er auf allen Vieren los, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Er wollte einfach nur weg von hier, die Richtung spielte keine Rolle. Etwas Schweres fiel auf ihn und drückte ihn nach unten. Hektisch strampelt er sich frei, sah sich um und blickte in das völlig zerschlagene, blutüberströmte Gesicht eines Polizisten. Ben schrie auf und kroch weiter. Noch einmal versuchte er sich vergeblich aufzurichten. Dann krachte etwas wuchtig gegen seinen Hinterkopf und stieß ihn in den dunklen Abgrund der Bewusstlosigkeit.
Sergeant Philip Bittners Helmkom knackte lautstark, dann war die Stimme des Fahrers ihres gepanzerten Mannschaftswagens zu hören: „Noch etwa zwei Minuten, Sergeant. Sie können sich bereit machen.“
Bittner lockerte die Schultern unter seiner schweren, silbernen Oberkörperpanzerung und hob die Stimme, um das Dröhnen des Fahrzeugmotors zu übertönen: „In Ordnung, Leute, herhören!“ Neun von vager Nervosität gezeichnete Gesichter wandten sich ihm zu.
„Wie ihr wisst, soll unsere Hundertschaft eine gewalttätige Demonstration an der Loki-Plaza auflösen. Wir rechnen mit etwa zwei- bis dreihundert gewaltbereiten Bürgern. Es befinden sich jedoch auch Unbeteiligte in der Nähe, also werden wir keine Schusswaffen einsetzen, außer, es ist unumgänglich. Wir gehen genau nach Lehrbuch vor: geschlossene Reihe, Schilde nach vorn und Schlagstockeinsatz bei Schwierigkeiten. Aber niemand, ich wiederhole, niemand benutzt seine Pistole ohne meine Erlaubnis, verstanden?“
Allgemeines Nicken antwortete ihm.
„Gut. Cutter, laden Sie Ihren Werfer mit Tränengas. Und jetzt aufgepasst, sie fahren uns direkt rein.“
Wie aufs Stichwort hörten die Polizisten Wurfgeschosse von der Außenwand ihres Transporters abprallen. Unter das Knallen und die Motorengeräusche mischten sich noch andere Laute, die Philip nicht genau einordnen konnte. Plötzlich wurde ihm klar, dass es sich um schreiende Stimmen handelte. Doch sie schrieen nicht vor Schmerz oder Panik. Diese hier waren voller Wut.
Ruckend kam der Mannschaftswagen zum Stehen. Der Sergeant sprang wie von einer Feder getrieben hoch, baute sich vor der Heckklappe des Fahrzeuges auf und schrie über die Schulter: „Los, so schnell wie möglich raus und einen Schutzwall bilden!“
Dann stieß er die Tür auf. Der Lärm auf der Loki-Plaza traf ihn wie ein Hammerschlag, trotz des in seinen Helm integrierten Gehörschutzes. Brüllende Stimmen, aufschlagende Gegenstände, splitterndes Glas, das matte Krachen der Granatwerfer, die Tränengas verschossen, das Zischen der Wasserwerfer. All das vermischte sich zu einem einzigen, zähen Brei aus Lärm, der Bittner beinahe unter sich begrub. Nur seine jahrelange Erfahrung und seine Ausbildung sorgten dafür, dass er die Tür des Transporters nicht einfach wieder zu zog.
Stattdessen sprang er nach draußen, seinen Schlagstock in der rechten Hand, mit der linken seinen großen Schild vor sich haltend. Etwas Schweres, möglicherweise ein Pflasterstein, prallte beinahe sofort dagegen und ließ einen dumpfen Schlag durch seinen Arm fahren. Noch bevor er sich auch nur ansatzweise orientieren konnte, ging ein wahres Bombardement von Wurfgeschossen auf ihn und seine noch aussteigenden Leute nieder. Einer von ihnen wurde direkt an seinem Helm getroffen und kippte benommen in den Transporter zurück.
„Scheiße!“, schrie Bittner, ohne damit jemand bestimmten anzusprechen. „Kommt schon! Schildwall bilden! Schilde hoch!“ Langsam formierten sich die Männer zu einem stabilen, ans Heck des Mannschaftswagens gepressten Halbkreis. Das gab dem Sergeant einige Sekunden Gelegenheit, sich umzusehen. Reichlich Zeit für ein geübtes Auge wie seines. Die gesamte Loki-Plaza war in Aufruhr. Von den Sicherheitskräften, die die Demonstration ursprünglich abgesichert hatten, war nichts mehr zu sehen, obwohl die Einsatzzentrale sie noch als Kräfte vor Ort ausgewiesen hatte. Außerdem verriet der enorme Lärmpegel, dass hier deutlich mehr als dreihundert Menschen am Werk sein mussten. Da der gesamte Platz unter der Kontrolle der Demonstranten stand, hatten die zehn Transporter von Bittners Hundertschaft ihre menschliche Fracht dem ursprünglichen Plan zuwider an dessen Rand abgeladen. Hier bildeten die einzelnen Polizeitrupps nun isolierte Inseln, die sich einer unüberschaubaren Menge gewalttätiger Bürger gegenüber sahen. Ein katastrophaler Fehler der Organisation. Bei einer derart außer Kontrolle geratenen Lage hätte man sie nie so nahe heranfahren dürfen. Der Sergeant fluchte unanständig und blickte sich noch einmal um. Zu ihrer Rechten befand sich noch ein Transporter, dessen Mannschaft in ähnlichen Schwierigkeiten steckte wie sein eigener Trupp. Auf der linken Seite bemühte sich einer massiver, mit einem schweren Wasserwerfer ausgerüsteter Panzerwagen der Sicherheitsbehörde, den bedrängten Beamten ein wenig Luft zu verschaffen. Das Arbeitsministerium, das sie eigentlich sichern sollten, lag außer Reichweite auf der anderen Seite der Plaza. Rauch stieg davon auf.
Philip musste eine Entscheidung treffen. Hier konnten sie nicht bleiben. „Was ist mit Ghannen?“, erkundigte er sich nach seinem getroffenen Untergebenen.
„Sieht nach Gehirnerschütterung aus!“, schrie Corporal Smits, sein Stellvertreter, zurück. „Nicht mehr einsatzfähig!“
„Dann lassen Sie ihn im Wagen und sagen Sie dem Fahrer, er soll verschwinden! Hier nützt er uns nichts mehr. Sobald die Tür zu ist, behalten wir den Halbkreis bei und versuchen, uns nach rechts zu den anderen dort durchzuschlagen! Wir müssen die da raus holen!“
Bis jetzt wurden sie noch nicht direkt angegriffen. Scheinbar wollte sich die außer Kontrolle geratene Menge noch nicht auf eine Prügelei mit den schwer gepanzerten Polizisten einlassen und beschränkte sich darauf, sie mit allem zu bewerfen, was leicht genug dafür war. Aber das würde nicht lange so bleiben.
„Cutter, nebel die Bande ein! Die anderen, bereithalten!“
Der Granatwerfer hustete mehrfach, als sein Besitzer die Tränengasgeschosse auf die größten Konzentrationen wütender Bürger in Reichweite abfeuerte. Der Hagel an Wurfgeschossen ließ augenblicklich nach.
„In Ordnung, los, los!“, schrie Sergeant Bittner. Langsam und tief hinter ihre Schilde geduckt, arbeiteten er und seine Männer sich auf ihre Kollegen zu.
„Sagen Sie mir sofort, was bei allen Höllen hier vorgeht!“ Der Adressat dieser, nennen wir es Anfrage, ein Lieutenant der taktischen Abteilung, wäre vor Schreck und Überraschung ums Haar mit dem Kopf gegen seine eigene Arbeitsstation gestoßen. Er sah sich um und entdeckte in weniger als vierzig Zentimeter Entfernung ein glattrasiertes, aber zerfurchtes Gesicht fortgeschrittenen Alters, dessen braune Augen ihn förmlich zu durchbohren suchten.
„Ich weiß es nicht, Chief. Die Informationen sind bruchstückhaft und widersprüchlich.“, erwiderte der Lieutenant, redlich bemüht, nicht allzu schuldig dabei zu klingen.
„Vor etwa vierzig Minuten war Captain Dyran in meinem Büro und bat mich, eine Hundertschaft zur Unterdrückung eines Aufruhrs auf der Loki-Plaza entsenden zu dürfen, der sich anscheinend aus einer angemeldeten Demonstration entwickelt hat.“
„Äh...ja, Sir.“
Chief Vincent Ruger, Polizeichef der Vannion Makropole und damit Befehlshaber aller dort eingesetzten lokalen Sicherheitskräfte, richtete sich langsam zu seiner vollen Größe von zwei Metern und zehn auf. Aus der Perspektive seines sitzenden Untergebenen wirkte er wie eine grün uniformierte Wand.
„Und sehen Sie sich in der Lage mir zu vermitteln, warum ich vor etwa einer Minute zufällig erfahre, dass diese Hundertschaft sich mit einer Aggression konfrontiert sieht, der sie nicht mehr gewachsen ist?“
Diese Frage war nun ganz ruhig gestellt. Der Lieutenant schluckte, während sein Blick langsam nach oben wanderte, um wieder Blickkontakt zu Ruger herzustellen.
„Die....äh...Ereignisse haben uns förmlich überrollt. Vor einer Stunde meldeten die eingesetzten Sicherheitskräfte einzelne, sich ausweitende Ausschreitungen und baten um Verstärkung. Daraufhin wurde die Hundertschaft geschickt. Als die eintraf, waren die Kräfte vor Ort bereits überwältigt, ohne dass wir es registriert hatten. Als die Hundertschaft an der Loki-Plaza ankam, hatte sich die Situation schon dramatisch zugespitzt. Es lief einfach alles zu schnell ab.“
„Wie ist die Lage jetzt?“
„Die Hundertschaft sitzt auf der dem Arbeitsministerium gegenüberliegenden Seite der Plaza fest. Scheinbar sind inzwischen weit mehr Bürger an den Ausschreitungen beteiligt, als ursprünglich an der Demonstration selbst teilgenommen haben. Mehr wissen wir im Moment nicht, aber es sieht nicht gut aus.“
„Ich erinnere mich genau, dass diese Demonstration angemeldet war. Ein paar Arbeitslose, die gegen weitere Stellenstreichungen protestieren. Nichts gravierendes. Also wie konnte daraus ein solcher Ausbruch an Gewalt werden?“
„Das wissen wir nicht, Chief.“
„Holen Sie mir Deputy Chief Killian, und zwar sofort.“
„Er ist mit weiteren zwei Hundertschaften ausgerückt, um die Ordnung wieder herzustellen, Sir.“
Ruger atmete ein paar mal tief durch. „Dann holen Sie ihn mir ans Kom und stellen Sie ihn in mein Büro durch.“
„Ja, Sir. Sofort.“
„Danke, Lieutenant.“
Der Chief wandte sich um und stapfte zu seinem Büro zurück. Als aller erstes, noch vor der Ursache der Krawalle, musste er herausfinden, warum er von dieser Geschichte als letzter erfahren hatte. Gleich danach musste diese Situation bereinigt werden, bevor sie die Arbitratoren einsetzen mussten. Mit denen wollte er sich nicht auch noch auseinander setzen müssen.
Etwa eine Minute später begann das kleine Komgerät auf Chief Rugers massivem Holzschreibtisch eindringlich zu piepen. Ohne hinzusehen hieb der Polizeichef auf den Sendeknopf und knirschte umgehend: „Nett, mal von Ihnen zu hören, Deputy Chief Killian.“
„Wie immer hasse ich es, Sie zu enttäuschen, Chief.“, erwiderte eine Stimme, die definitiv nicht Killian gehörte. Ruger unterdrückte ein entnervtes Seufzen.
„Womit kann ich dienen, Marschall Arcette?“, erkundigte er sich liebenswürdig. Dem Kommandanten des Adeptus Arbites-Kontingents in der Vannion-Makropole war offensichtlich nicht nach derlei Höflichkeiten zumute.
„Was ist an der Loki-Plaza los, Chief?“
„Ein Aufruhr, Marschall, weiter nichts. Vor allem nichts, was ein Eingreifen Ihrerseits erforderlich machen würde.“
„Sie sagen das im Tonfall eines gut informierten Mannes, Chief.“, schnarrte Arcette im Tonfall eines besser informierten Mannes.
„Meine Leute versichern mir, dass wir die Lage in Kürze wieder unter Kontrolle haben werden.“
„Sind Sie sicher, dass Ihre Männer Ihnen alles erzählt haben?“
„Ich versuche zur Zeit noch, meinen Deputy Chief zu erreichen. Sollten Sie also zu meiner Erhellung beitragen können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht allzu lange um den heißen Brei herumreden würden.“, schoss Ruger zurück, dessen Geduldsfaden sich rapide seinem Ende näherte.
„Ich werde Ihnen Zugriff auf die Bilder eines unserer Überwachungssatelliten gestatten. Sie werden feststellen, dass es an der Loki-Plaza zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, an denen zur Zeit etwa fünfhundert bis sechshundert Personen beteiligt sind und die sich in die umliegenden Straßen ausweiten.“
„Vielen Dank, Marschall. Aber ich denke, dass wir Problemen dieser Größenordnung durchaus alleine gewachsen sind.“
„Das glaube ich auch, Chief. Ich wollte Sie lediglich darüber informieren, dass wir die Situation beobachten und nötigenfalls unterstützend eingreifen werden.“
„Ich weiß das zu schätzen, Marschall. Allerdings möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das hier meine Stadt ist und ich hier für Ruhe und Ordnung sorge.“
„Allerdings, Chief. Deshalb werden wir nur eingreifen, sollten Sie versagen. Ich werde Sie wieder kontaktieren.“
„Ich freue mich schon darauf, Marschall.“
Tag 1
Ben Hunting, von Beruf eigentlich Schweißer, doch zur Zeit arbeitslos, bewegte sich langsam mit dem Zug seiner Leidensgenossen auf die Loki-Plaza. Dieser Platz im Herzen der Vannion-Makropole war weder besonders groß, noch auf eine andere Weise beeindruckend. Eigentlich war er nicht mehr als eine ausgedehnte, gepflasterte Fläche, in deren Zentrum sich ein großer Springbrunnen erhob. Selbst, wenn ihn die Sonne beschien, wie an diesem Vormittag, wirkte er einfach nur trostlos. Was ihn allerdings für Ben und die Bürger, die er begleitete, interessant machte, war die Tatsache, dass sich an seinem Nordrand das Arbeitsministerium, ein rechteckiger, an einen Bunker erinnernder Bau, befand.
Seit Monaten zahlte man den Arbeitslosen immer weniger Unterstützung, während die Unternehmen gleichzeitig immer mehr Stellen strichen. Die Makropole wand sich im Griff einer handfesten Wirtschaftskrise, was vor allem angehörige der Unter- und Mittelschicht betraf. Aufgrund der Neigung der imperialen Behörden, auf Kritik nicht besonders einfühlsam zu reagieren, kam es jedoch zu relativ wenig offenem Protest.
Auch jetzt, an dieser angemeldeten Demonstration, nahmen nur etwas über dreihundert Bürger teil. Zu groß war die Angst vor der möglichen Rektion der Sicherheitskräfte, die sich jedoch bisher darauf beschränkten, die Proteste zu überwachen und den kleinen Zug mit tragbaren Absperrungen auf seiner geplanten Route zu halten. Doch je länger dieser Zustand dauerte, desto mehr Menschen würden sich ihnen anschließen, da war Ben sich sicher. Es brodelte unter der Oberfläche und es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der ganze Ärger und Frust sich Bahn brechen musste. Von diesem Gedanken angespornt, skandierte Hunting noch ein wenig lauter.
Die Demonstranten hatten mittlerweile beinahe die Mitte der Plaza erreicht, als der Arbeitlose plötzlich in seinem Rufen innehielt und stutzte. Vielleicht zwei Reihen vor sich sah er eine Gruppe von Protestlern, die sich so unauffällig wie möglich bemühten, Eisenstangen und leere Flaschen unter ihren Jacken hervor zu ziehen. Ben zögerte keine Sekunde, sondern begann sofort, sich zu den Männern vor zu arbeiten. Sie durften es auf keinen Fall zu Gewalttätigkeiten kommen lassen, ansonsten konnten sie weitere Demonstrationen getrost vergessen. Man würde ihnen keine einzige mehr genehmigen. Ganz davon abgesehen, was die Sicherheitskräfte mit ihnen anstellen würden. Er erreichte den ihm am nächsten stehenden Mann, griff ihn am Kragen seiner Jacke und zog ihn zu sich herum.
„Hört auf damit, ihr handelt uns nur Ärger ein.“, sagte er so beschwörend wie möglich. Dann sah er die Augen des Kerls. Seine Pupillen waren geweitet, so als hätte er zuviel getrunken oder Drogen genommen. Doch was Ben wirklich aus der Fassung brachte, waren die gelb verfärbten Augäpfel. Er holte Luft, um noch etwas zu sagen, doch bevor er auch nur eine Laut herausbringen konnte, brach um ihn die Hölle los. Plötzlich schienen sich um ihn herum nur noch mit allerlei Alltagsgegenständen Bewaffnete aufzuhalten, die brüllend nach außen drängten und auf die Sicherheitsleute losgingen, die neben den Demonstranten herliefen. Hunting wurde mehrmals angerempelt und stürzte zu Boden. Panisch versuchte er, sich wieder aufzurichten, wurde jedoch sofort wieder hingeworfen. So schnell er konnte, krabbelte er auf allen Vieren los, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Er wollte einfach nur weg von hier, die Richtung spielte keine Rolle. Etwas Schweres fiel auf ihn und drückte ihn nach unten. Hektisch strampelt er sich frei, sah sich um und blickte in das völlig zerschlagene, blutüberströmte Gesicht eines Polizisten. Ben schrie auf und kroch weiter. Noch einmal versuchte er sich vergeblich aufzurichten. Dann krachte etwas wuchtig gegen seinen Hinterkopf und stieß ihn in den dunklen Abgrund der Bewusstlosigkeit.
Sergeant Philip Bittners Helmkom knackte lautstark, dann war die Stimme des Fahrers ihres gepanzerten Mannschaftswagens zu hören: „Noch etwa zwei Minuten, Sergeant. Sie können sich bereit machen.“
Bittner lockerte die Schultern unter seiner schweren, silbernen Oberkörperpanzerung und hob die Stimme, um das Dröhnen des Fahrzeugmotors zu übertönen: „In Ordnung, Leute, herhören!“ Neun von vager Nervosität gezeichnete Gesichter wandten sich ihm zu.
„Wie ihr wisst, soll unsere Hundertschaft eine gewalttätige Demonstration an der Loki-Plaza auflösen. Wir rechnen mit etwa zwei- bis dreihundert gewaltbereiten Bürgern. Es befinden sich jedoch auch Unbeteiligte in der Nähe, also werden wir keine Schusswaffen einsetzen, außer, es ist unumgänglich. Wir gehen genau nach Lehrbuch vor: geschlossene Reihe, Schilde nach vorn und Schlagstockeinsatz bei Schwierigkeiten. Aber niemand, ich wiederhole, niemand benutzt seine Pistole ohne meine Erlaubnis, verstanden?“
Allgemeines Nicken antwortete ihm.
„Gut. Cutter, laden Sie Ihren Werfer mit Tränengas. Und jetzt aufgepasst, sie fahren uns direkt rein.“
Wie aufs Stichwort hörten die Polizisten Wurfgeschosse von der Außenwand ihres Transporters abprallen. Unter das Knallen und die Motorengeräusche mischten sich noch andere Laute, die Philip nicht genau einordnen konnte. Plötzlich wurde ihm klar, dass es sich um schreiende Stimmen handelte. Doch sie schrieen nicht vor Schmerz oder Panik. Diese hier waren voller Wut.
Ruckend kam der Mannschaftswagen zum Stehen. Der Sergeant sprang wie von einer Feder getrieben hoch, baute sich vor der Heckklappe des Fahrzeuges auf und schrie über die Schulter: „Los, so schnell wie möglich raus und einen Schutzwall bilden!“
Dann stieß er die Tür auf. Der Lärm auf der Loki-Plaza traf ihn wie ein Hammerschlag, trotz des in seinen Helm integrierten Gehörschutzes. Brüllende Stimmen, aufschlagende Gegenstände, splitterndes Glas, das matte Krachen der Granatwerfer, die Tränengas verschossen, das Zischen der Wasserwerfer. All das vermischte sich zu einem einzigen, zähen Brei aus Lärm, der Bittner beinahe unter sich begrub. Nur seine jahrelange Erfahrung und seine Ausbildung sorgten dafür, dass er die Tür des Transporters nicht einfach wieder zu zog.
Stattdessen sprang er nach draußen, seinen Schlagstock in der rechten Hand, mit der linken seinen großen Schild vor sich haltend. Etwas Schweres, möglicherweise ein Pflasterstein, prallte beinahe sofort dagegen und ließ einen dumpfen Schlag durch seinen Arm fahren. Noch bevor er sich auch nur ansatzweise orientieren konnte, ging ein wahres Bombardement von Wurfgeschossen auf ihn und seine noch aussteigenden Leute nieder. Einer von ihnen wurde direkt an seinem Helm getroffen und kippte benommen in den Transporter zurück.
„Scheiße!“, schrie Bittner, ohne damit jemand bestimmten anzusprechen. „Kommt schon! Schildwall bilden! Schilde hoch!“ Langsam formierten sich die Männer zu einem stabilen, ans Heck des Mannschaftswagens gepressten Halbkreis. Das gab dem Sergeant einige Sekunden Gelegenheit, sich umzusehen. Reichlich Zeit für ein geübtes Auge wie seines. Die gesamte Loki-Plaza war in Aufruhr. Von den Sicherheitskräften, die die Demonstration ursprünglich abgesichert hatten, war nichts mehr zu sehen, obwohl die Einsatzzentrale sie noch als Kräfte vor Ort ausgewiesen hatte. Außerdem verriet der enorme Lärmpegel, dass hier deutlich mehr als dreihundert Menschen am Werk sein mussten. Da der gesamte Platz unter der Kontrolle der Demonstranten stand, hatten die zehn Transporter von Bittners Hundertschaft ihre menschliche Fracht dem ursprünglichen Plan zuwider an dessen Rand abgeladen. Hier bildeten die einzelnen Polizeitrupps nun isolierte Inseln, die sich einer unüberschaubaren Menge gewalttätiger Bürger gegenüber sahen. Ein katastrophaler Fehler der Organisation. Bei einer derart außer Kontrolle geratenen Lage hätte man sie nie so nahe heranfahren dürfen. Der Sergeant fluchte unanständig und blickte sich noch einmal um. Zu ihrer Rechten befand sich noch ein Transporter, dessen Mannschaft in ähnlichen Schwierigkeiten steckte wie sein eigener Trupp. Auf der linken Seite bemühte sich einer massiver, mit einem schweren Wasserwerfer ausgerüsteter Panzerwagen der Sicherheitsbehörde, den bedrängten Beamten ein wenig Luft zu verschaffen. Das Arbeitsministerium, das sie eigentlich sichern sollten, lag außer Reichweite auf der anderen Seite der Plaza. Rauch stieg davon auf.
Philip musste eine Entscheidung treffen. Hier konnten sie nicht bleiben. „Was ist mit Ghannen?“, erkundigte er sich nach seinem getroffenen Untergebenen.
„Sieht nach Gehirnerschütterung aus!“, schrie Corporal Smits, sein Stellvertreter, zurück. „Nicht mehr einsatzfähig!“
„Dann lassen Sie ihn im Wagen und sagen Sie dem Fahrer, er soll verschwinden! Hier nützt er uns nichts mehr. Sobald die Tür zu ist, behalten wir den Halbkreis bei und versuchen, uns nach rechts zu den anderen dort durchzuschlagen! Wir müssen die da raus holen!“
Bis jetzt wurden sie noch nicht direkt angegriffen. Scheinbar wollte sich die außer Kontrolle geratene Menge noch nicht auf eine Prügelei mit den schwer gepanzerten Polizisten einlassen und beschränkte sich darauf, sie mit allem zu bewerfen, was leicht genug dafür war. Aber das würde nicht lange so bleiben.
„Cutter, nebel die Bande ein! Die anderen, bereithalten!“
Der Granatwerfer hustete mehrfach, als sein Besitzer die Tränengasgeschosse auf die größten Konzentrationen wütender Bürger in Reichweite abfeuerte. Der Hagel an Wurfgeschossen ließ augenblicklich nach.
„In Ordnung, los, los!“, schrie Sergeant Bittner. Langsam und tief hinter ihre Schilde geduckt, arbeiteten er und seine Männer sich auf ihre Kollegen zu.
„Sagen Sie mir sofort, was bei allen Höllen hier vorgeht!“ Der Adressat dieser, nennen wir es Anfrage, ein Lieutenant der taktischen Abteilung, wäre vor Schreck und Überraschung ums Haar mit dem Kopf gegen seine eigene Arbeitsstation gestoßen. Er sah sich um und entdeckte in weniger als vierzig Zentimeter Entfernung ein glattrasiertes, aber zerfurchtes Gesicht fortgeschrittenen Alters, dessen braune Augen ihn förmlich zu durchbohren suchten.
„Ich weiß es nicht, Chief. Die Informationen sind bruchstückhaft und widersprüchlich.“, erwiderte der Lieutenant, redlich bemüht, nicht allzu schuldig dabei zu klingen.
„Vor etwa vierzig Minuten war Captain Dyran in meinem Büro und bat mich, eine Hundertschaft zur Unterdrückung eines Aufruhrs auf der Loki-Plaza entsenden zu dürfen, der sich anscheinend aus einer angemeldeten Demonstration entwickelt hat.“
„Äh...ja, Sir.“
Chief Vincent Ruger, Polizeichef der Vannion Makropole und damit Befehlshaber aller dort eingesetzten lokalen Sicherheitskräfte, richtete sich langsam zu seiner vollen Größe von zwei Metern und zehn auf. Aus der Perspektive seines sitzenden Untergebenen wirkte er wie eine grün uniformierte Wand.
„Und sehen Sie sich in der Lage mir zu vermitteln, warum ich vor etwa einer Minute zufällig erfahre, dass diese Hundertschaft sich mit einer Aggression konfrontiert sieht, der sie nicht mehr gewachsen ist?“
Diese Frage war nun ganz ruhig gestellt. Der Lieutenant schluckte, während sein Blick langsam nach oben wanderte, um wieder Blickkontakt zu Ruger herzustellen.
„Die....äh...Ereignisse haben uns förmlich überrollt. Vor einer Stunde meldeten die eingesetzten Sicherheitskräfte einzelne, sich ausweitende Ausschreitungen und baten um Verstärkung. Daraufhin wurde die Hundertschaft geschickt. Als die eintraf, waren die Kräfte vor Ort bereits überwältigt, ohne dass wir es registriert hatten. Als die Hundertschaft an der Loki-Plaza ankam, hatte sich die Situation schon dramatisch zugespitzt. Es lief einfach alles zu schnell ab.“
„Wie ist die Lage jetzt?“
„Die Hundertschaft sitzt auf der dem Arbeitsministerium gegenüberliegenden Seite der Plaza fest. Scheinbar sind inzwischen weit mehr Bürger an den Ausschreitungen beteiligt, als ursprünglich an der Demonstration selbst teilgenommen haben. Mehr wissen wir im Moment nicht, aber es sieht nicht gut aus.“
„Ich erinnere mich genau, dass diese Demonstration angemeldet war. Ein paar Arbeitslose, die gegen weitere Stellenstreichungen protestieren. Nichts gravierendes. Also wie konnte daraus ein solcher Ausbruch an Gewalt werden?“
„Das wissen wir nicht, Chief.“
„Holen Sie mir Deputy Chief Killian, und zwar sofort.“
„Er ist mit weiteren zwei Hundertschaften ausgerückt, um die Ordnung wieder herzustellen, Sir.“
Ruger atmete ein paar mal tief durch. „Dann holen Sie ihn mir ans Kom und stellen Sie ihn in mein Büro durch.“
„Ja, Sir. Sofort.“
„Danke, Lieutenant.“
Der Chief wandte sich um und stapfte zu seinem Büro zurück. Als aller erstes, noch vor der Ursache der Krawalle, musste er herausfinden, warum er von dieser Geschichte als letzter erfahren hatte. Gleich danach musste diese Situation bereinigt werden, bevor sie die Arbitratoren einsetzen mussten. Mit denen wollte er sich nicht auch noch auseinander setzen müssen.
Etwa eine Minute später begann das kleine Komgerät auf Chief Rugers massivem Holzschreibtisch eindringlich zu piepen. Ohne hinzusehen hieb der Polizeichef auf den Sendeknopf und knirschte umgehend: „Nett, mal von Ihnen zu hören, Deputy Chief Killian.“
„Wie immer hasse ich es, Sie zu enttäuschen, Chief.“, erwiderte eine Stimme, die definitiv nicht Killian gehörte. Ruger unterdrückte ein entnervtes Seufzen.
„Womit kann ich dienen, Marschall Arcette?“, erkundigte er sich liebenswürdig. Dem Kommandanten des Adeptus Arbites-Kontingents in der Vannion-Makropole war offensichtlich nicht nach derlei Höflichkeiten zumute.
„Was ist an der Loki-Plaza los, Chief?“
„Ein Aufruhr, Marschall, weiter nichts. Vor allem nichts, was ein Eingreifen Ihrerseits erforderlich machen würde.“
„Sie sagen das im Tonfall eines gut informierten Mannes, Chief.“, schnarrte Arcette im Tonfall eines besser informierten Mannes.
„Meine Leute versichern mir, dass wir die Lage in Kürze wieder unter Kontrolle haben werden.“
„Sind Sie sicher, dass Ihre Männer Ihnen alles erzählt haben?“
„Ich versuche zur Zeit noch, meinen Deputy Chief zu erreichen. Sollten Sie also zu meiner Erhellung beitragen können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht allzu lange um den heißen Brei herumreden würden.“, schoss Ruger zurück, dessen Geduldsfaden sich rapide seinem Ende näherte.
„Ich werde Ihnen Zugriff auf die Bilder eines unserer Überwachungssatelliten gestatten. Sie werden feststellen, dass es an der Loki-Plaza zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, an denen zur Zeit etwa fünfhundert bis sechshundert Personen beteiligt sind und die sich in die umliegenden Straßen ausweiten.“
„Vielen Dank, Marschall. Aber ich denke, dass wir Problemen dieser Größenordnung durchaus alleine gewachsen sind.“
„Das glaube ich auch, Chief. Ich wollte Sie lediglich darüber informieren, dass wir die Situation beobachten und nötigenfalls unterstützend eingreifen werden.“
„Ich weiß das zu schätzen, Marschall. Allerdings möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das hier meine Stadt ist und ich hier für Ruhe und Ordnung sorge.“
„Allerdings, Chief. Deshalb werden wir nur eingreifen, sollten Sie versagen. Ich werde Sie wieder kontaktieren.“
„Ich freue mich schon darauf, Marschall.“