WHFB Questritter- Das Leben des Jerome de Montfort

Scaevola

Codexleser
22. Mai 2012
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Grüß euch, Leute!
Ich hab ins W40k-Forum einige Geschichten reingestellt und doch positives Echo dafür erhalten.
Seit einier Zeit arbeite ich an einem Roman, eher einen Ketteroman über einen bretonischen Ritter namens Jerome de Montfort.

Ich werde immer wieder einige Abschnitte reinstellen und wünsche nun viel Spaß beim Lesen :lol::lol::lol:

Anbei ein Personenverzeichnis:

Bertrand: 17 ein Bauer und Knappe

Jean: sein Onkel

Jerome de Montfort: Neffe des Herzogs und sein Schwertträger

Baron Rambert: sein Vater und Bruder des Herzogs Folcard

Reynald le Durie: junger, unerfahrener Ritter

Herzog Folcard de Montfort: Herzog

Sir Wilguric, Sohn Herzog Folcards

Sir Beldane, Sohn und Erbe Herzog Folcards

Graeme Zwergenfreund: Ritter aus dem persönlichen Gefolge Herzog Folcards

Seneschall Claude de Sanguine: „die hölzerne Hand“

Volker Rainheim: Zauberer und Berater des Herzogs

Lady Marie Levaliere: Mündel des Herzogs, die Herzensdame Jeromes, begehrt von Claude de Sanguine

Meister Gilbert: Der Schmied des Herzogs

Blondel: Hofnarr auf Burg Montfort

Sir Gervaise Haughey: Veteran und Ausbilder aller Knappen und Pagen in Montfort, zu deren Leidwesen

Sir Berrick de Ursins: Freund und Waffengefährte von Jerome de Montfort seit Knappenzeit.

Yves Leguerrand: Freund von Marie Levaliere, Gefolgsmann der Levalieres

Khentauron: Chaos-Krieger, Anführer

Schlächter: Chaos-Krieger, Champion des Slaanesh

Gaston de Foix: Ritter des Marquis de Vingtiennes

Sir Philippe: Ritter des Marquis de Vingtiennes
 
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[h=1]Einleitung:[/h]„Ich sage, gebe es die Herrin vom See, das wir den nächsten Tag überleben“, wiederholte der alte Pierre und nahm zur Bekräftigung noch einen langen Zug aus seinem Weinschlauch. Bertrand betrachtete zweifelnd den alten Mann, der in den letzten Minuten zu ihnen geredet hatte. Pierre war ein Mann, der seine besten Jahre schon hinter sich gebracht hatte. Sein fülliger Leib und die knollige, rote Nase ließen auch darauf schließen, dass er dem Alkohol zugetan war, und das reichlich. Sein Gesicht war über und über mit Pockennarben besät. Sein Atem stank nach billigem Fusel, den er in seinen Weinschlauch immer mit sich trug. Der alte Pierre beendete gerade seinen ausgiebigen Zug aus selbigem und begann wieder zu reden.
„Ich sage Euch, meine Freunde …“
Das war seine Lieblingsredewendung. Der alte Pierre hob seine Hände wie einer der Gaukler am jährlich stattfindenden Jahrmarkt in Montfort. „Wir benötigen allen Schutz, den wir kriegen können. Die Herrin des Sees möge uns morgen wahrhaftig beistehen. Der Feind ist zahlreich. Wenn man den Meldungen glauben darf, kommen auf einen von den Unsren mehr als drei feindliche Krieger. Und die barbarischen Orks sind ein Feind, den man schon schwer besiegen kann, wenn wir gleichstark wären.“
„Woher willst du wissen, wie viele Gegner uns erwarten. Hast du etwa hellseherische Fähigkeiten?“, warf einer der Männer unsicher in die Runde ein. Mit dem alten Pierre und Bertrand stand um die fünfzehn Männer am Feuer, in ihre Umhänge gehüllt, um sich warm zu halten. Mehr als hundert Feuer brannten im ganzen Lager. Um jedes davon standen ebenfalls Männer die auf den morgigen Tag warteten. Bertrand konnte ihre Angst förmlich in der Luft riechen, neben dem Rauch der Feuer und dem Geruch der Schlachtrösser. In der Mitte des Lagers stand das große Zelt des Herzogs von Montfort, in dem der Kriegsrat der edlen Herren gerade tagte. Bertrand konnte durch eine Spalte am Eingang den Lichtschein sehen, der hinaus drang. Dort drinnen wurden über Wohl und Wehe der versammelten Streitmacht entschieden.
Der alte Pierre antwortete auf die Frage des Mannes und Bertrand widmete ihm wieder seine Aufmerksamkeit.
„Der Neffe meines Schwagers ist bei den berittenen Knappen unseres Herzogs Folcard. Er war auf Kundschaft und hat den Feind beobachtet. Heute Abend kam er zurück, und da hat er mir gesagt, dass …“
Bertrand hörte nicht weiter zu. Obwohl er selbst bei weitem nicht so alt war, wie der alte Pierre, konnte er sich das Ende denken. Es war immer der Schwager eines Oheims, der Neffe eines Schwagers, oder der Oheims des Neffen. Gerüchte! Bertrand war keine siebzehn Winter alt und doch glaubte er zu wissen, wie die Geschichte des alten Pierre weiterging. Der Feind war zahlreich, natürlich! Jeder der Orks war mindestens so hoch wie eines der Häuser in ihrem Heimatdorf und so stark, dass er die alten Eichen im Wald mit einer Hand ausreißen konnte. Und natürlich ritt jeder der Orks auf einem Lindwurm, der bei jedem Atemzug Feuer spie. Dies war Bertrand erster Feldzug, doch er hielt den alten Pierre bereits jetzt für einen Aufschneider. Er stützte sich auf seinen langen Eibenbogen und beobachtete die Männer die rund um das Feuer standen oder saßen. In ihren Augen fand er Angst. Welchen Sinn machte es, wenn ein erfahrener Kämpe wie der alte Pierre diesen verängstigten Bauern mit seinen Schauermärchen noch mehr Furcht machte? Es wäre besser, der alte Pierre würde seinen Mund halten!
Doch Bertrand wusste, dass es sich für einen Jüngeren nicht geziemte, einen älteren Mann zum Schweigen zu bringen. Er hoffte nur, der alte Pierre würde bald selbst ein Einsehen haben.
„Was ist hier los?“, fragte eine scharfe Stimme. Lucien trat aus dem Schatten in den Schein des Feuers. Lucien war der Anführer ihrer Einheit. Ein Landsknecht aus dem Gefolge des Herzogs. Vor etlichen Jahren war Lucien selbst ein Bauer gewesen, so wie sie alle hier. Jedes Jahr, zur Sommersonnenwende, brachten die Familien ihre kräftigsten Söhne zur Begutachtung in die Burg. Niemand geringerer als die Ritter selbst inspizierten dann die Kandidaten und wählten nur die Stärksten und Gesündesten zum Dienst aus. Bertrand selbst war einmal ein verheißungsvoller Kandidat gewesen, doch dann war alles anders gekommen.
Lucien war das, was Bertrand einmal gehofft hatte zu werden. Er stand jetzt in den Diensten des Herzogs Folcard de Montfort und tat Dienst in der Burgwache. Er bekam Unterkunft und Verpflegung, sowie einen geringen Sold. Zwar war die Unterkunft nur eine grobe Strohmatratze in einem zugigen Teil der Burg, und auch Sold und Verpflegung waren oft mehr als dürftig. Aber trotzdem war es immer noch besser als die harte Arbeit auf den kargen Feldern. Lucien ließ sie das jedenfalls wissen. Was ihn anging, war er etwas Besseres als diese Bauern, die er nun anführen musste. Stolz trug er seinen Wappenrock. Darauf zu sehen war ein weißes Torhaus von zwei hohen Türmen eingeschlossen, auf schwarzem Hintergrund. Das Wappen des Herzogs. Lucien war Teil seiner Wachmannschaft. Er sah den Herzog jeden Tag, der den Ruf hatte, ein harter, aber gerechter Herrscher zu sein.
Bertrand sah den Herzog nur selten. Wenn er seine Steuern am Burgtor ablieferte und bei einigen der wenigen bretonischen Feiertage. Lucien hingegen lebte in der Burg seines Lehnsherrn.
Es war still geworden, auf die Frage des Landsknechts. Die Männer schauten betroffen weg. Keiner wollte sich mit Lucien anlegen. Er hatte in den letzten Tagen schon oft bewiesen, dass er einen Hang zur Grausamkeit hatte.
„Also, ihr dämlichen Bauernschädel. Bekomme ich eine Antwort, oder seid ihr zu blöde, um zu antworten?“, wollte Lucien wissen. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Selbst der alte Pierre, der noch wenige Minuten vorher so redegewandt gewirkt hatte, blickte verlegen zur Seite.
„Das habe ich mir doch gedacht“, sagte Lucien hämisch. “Aber bei Euch Bauernschädeln ist ohnehin Hopfen und Malz verloren. Ich gebe Euch jetzt einen Rat. Ihr haltet besser euer Maul! Denken bekommt Euch nicht! Die richtige Strategie ist eine Angelegenheit der hohen Herren. Wenn ich noch einmal etwas höre, dass auch nur ansatzweise wie eine Verschwörung klingt, lasse ich Euch alle ans Rad flechten. Verstanden?“
Einige der Männer murmelten ein schwaches „Ja“ oder „Jawohl“. Lucien verließ das Feuer wieder. Die Männer standen betroffen um das Feuer. Bertrand schluckte. Er hatte gehofft, dass irgendetwas den alten Pierre zum Schweigen bringen würde. Auf keinen Fall hatte er damit gerechnet, dass es Lucien sein würde. Und wenn er sich die zerknirschten Gesichter seiner Kameraden ansah, hätte er ein anderes Ende bevorzugt. Sein Blick wanderte wieder zum großen Zelt in der Mitte des Lagers. Der helle Schein darin war verloschen. Der Kriegsrat war beendet. Bertrand hoffte und betete, dass die Adeligen des Herzogtums Montfort die richtige Strategie für die morgige Schlacht gefunden hatten. Um ihrer aller Leben willen!
 
Hauptteil:

1.) Gefolgschaft

1.1 Vor der Schlacht

Das erste, was Bertrand an diesem Tag zum Staunen brachte nachdem er sich schwerfällig aus seiner Decke gewickelt hatte, war der schiere Umfang des bretonischen Heerlagers. Sie alle hatten rund um das Feuer geschlafen. Zelte waren ein Luxus, den sich nur die adeligen Herren leisten konnten. Und dennoch standen über vierhundert Zelte in einiger Entfernung von ihm. Farbenfroh und bunt, in den Farben ihres jeweiligen Herren. An den Spitzen wehten kleine Wimpel mit den Wappen der Ritter beschmückt um die Wette. Bertrand sah Löwen, Schwerter, Drachen, Fleur de Lilles, und andere Symbole auf rotem, blauen, weißen oder goldenen Hintergrund. Er starrte mit offenem Mund diese Farbenpracht an, bis er hinter sich Geräusche vernahm. Auch die anderen Männer waren endlich aufgewacht. Schlagartig war Bertrand wieder in der Gegenwart.
Die Gerüche des Lagers drangen unwiderstehlich auf ihn ein. Der Geruch der Schlachtrösser, des schlammigen Bodens und des Rauchs der wieder angezündeten Feuer. Die Männer setzten sich um das Feuer. Da sie nur nasses Holz hatten, produzierte es mehr Rauch als Feuer. Aber es würde reichen. Sie packten ihr hartes Brot aus, als Lucien an ihr Feuer kam. In der einen Hand hielt er ein großes Stück Fleisch, in der anderen einen Weinschlauch.
„Hier“, sagte er verächtlich. „Mit besten Wünschen von Herzog Montfort.“ Dann ging er wieder, nachdem er Wein und Fleisch einem der Männer zugeworfen hatte.
Bertrand lief das Wasser im Mund zusammen, als er das Fleischstück betrachtete. Echtes Fleisch! Wie lange war es her? Beim Frühlingsfest vor über zwei Monaten.
Doch dann sah er die betroffenen Blicke der Männer. Er wollte schon fragen, als einer der Männer ihm zuvorkam und antwortete.
„Wir bekommen nur Fleisch und unverdünnten Wein, wenn die Schlacht bevorsteht.“
Bertrand spürte, wie ihn diese Nachricht die Kehle zuschnürte. Die Schlacht! Das namenlose Grauen. Einer der Männer nahm das Fleisch, spießte es auf und hielt es über das Feuer. Die anderen Männer ließen den Weinschlauch im Kreis umhergehen. Bertrand war wie gelähmt. Dieser Fatalismus der anderen verblüffte ihn. Sie waren vielleicht nur wenige Stunden von ihrem gewaltsamen Tod entfernt, und hatten nichts Besseres zu tun, als zu essen und zu trinken!
Ihm wurde klar, dass er frische Luft brauchte. Der schwärende Rauch und der sich verbreitende Fleischgeruch verursachten bei ihm Übelkeit. Er nahm seinen Langbogen in die Hand und entfernte sich vom Feuer, ohne auf die Rufe der Männer zu achten, die ihm seinen Anteil von Wein und Fleisch anboten. Bertrand eilte durch das Lager. Er achtete nicht auf die Vorbereitungen, die überall getroffen wurden. Die Feldschmiede, vor der sich lange Schlangen bildeten, um ihr Schwert ein letztes Mal zu schärfen. Die Knappen und Pagen, die die Rüstung ihrer Herren polierten und sich um die mächtigen Streitrösser kümmerten. Die Bogenschützen, die sorgfältig ihre Pfeile begutachteten. Bertrand wurde plötzlich klar, dass er für die Schlacht in keiner Weise angemessen vorbereitet war. Er betrat den Rand des Lagers, dort wo es sich am Talrand an die dunklen Tannenwälder schmiegte.
Der Wachtposten achtete nicht auf den jungen Bauern, der ihn passierte. Nur ein unerfahrener Leibeigener, der Nervenflattern hatte, entschied er. Bertrand ging einige Schritte in den Wald hinein. Sofort umfing in die kühle des Waldes und der harzige Geruch der Nadeln. Es war so still hier, im Gegensatz zum Lärm des Lagers, wo sich tausende auf die Schlacht vorbereiteten. Bertrand merkte, wie die Stille des Waldes auch seinen eigenen Puls ruhiger werden lies. Langsam nahm er den ersten Pfeil aus seinem Köcher. Der fingerdicke Pfeil aus Hartholz mit seiner metallischen Spitze und weißen Federkielen an seinem Ende. Bertrand hob den Boge, als er den Pfeil einlegte. Die gespannte Sehne streifte seine rechte Wange, er konnte die weichen Federn spüren. Die Sehne aus gedrehtem Tierdarm schnellte vorwärts, als Bertrand den Pfeil losließ. Bertrand konnte den Luftzug spüren, während der Pfeil mit unmenschlicher Geschwindigkeit dem Ziel entgegen strebte. Zitternd blieb der Pfeil in einem Baumstamm stecken. Bertrand gelangen noch zwei weitere Treffer.
Danach verließ ihn das Glück. Pfeil Nummer Vier verfehlten den 20 Schritt entfernten Zielbaum knapp und flog einige Meter weiter, bis er in der Erde stecken blieb. Schuss Nummer fünf war katastrophal und traf stattdessen einen anderen Baum der fünf Schritt weiter links stand. Bertrand korrigierte und traf mit dem sechsten Pfeil stattdessen ein rechts vom Ziel stehenden Baum.
„Du solltest deine Atmung besser kontrollieren“, sagte eine Stimme hinter ihm. Bertrand drehte sich um und sah Jean, seinen Onkel. Schon von weitem konnte man die Ähnlichkeit der Beiden erkennen. Genau wie Bertrand hatte sein Onkel einen Potthaarschnitt, nur dass seine Haare nicht dunkelblond, sondern grau waren. Jean war die ältere Version von Bertrand, nur mit mehr Falten. Hohe Stirn, buschige Augenbrauen, darunter graublaue Augen und eine Reihe gesunder Zähne im Mund, dazu Ohren, die eine Spur zu groß geraten waren. Für Bauern waren sie beide hoch gewachsen, die harte Arbeit im Frondienst hatte weder an Bertrand noch an seinem Onkel ihre verräterischen Spuren hinterlassen.
Jean stand auf seinen Bogen gestützt und blickte ihn an. Seine Haltung verriet, dass er ihn schon längere Zeit beobachtet hatte. Jean war der Bruder seiner Mutter. Wie er selbst, bewirtschaftete er eine Parzelle Land, das ihm vom Herzog übergeben wurde. Als Gegenleistung mussten sie Abgaben und Frondienst verrichten. In Notfällen wurden sie sogar zum Kriegsdienst einberufen. Jean hatte zwei Söhne, einer davon in Bertrands Alter.
Jean hatte eine Wahl gehabt.
Entweder folgte sein Junge dem Aufruf des Herzogs, oder er selbst. Wie die meisten Bauern hatte er sich selbst der Armee angeschlossen. In gewisser Weise beneidete Bertrand seinen Cousin. Er hatte keine Wahl gehabt. Es gab keinen Vater mehr. Seine Mutter war alleine auf dem Bauernhof zurückgeblieben.
„Es ist deine Atmung. Ein guter Schuss gelingt nur, wenn deine Atmung ruhig und flach ist.“
Jean kam näher und nahm den Bogen aus Bertrand Händen. Er betrachtete den Langbogen aufmerksam. „Eine gute Waffe. Du kannst sehr stolz auf sie sein.“
Jean gab Bertrand seinen eigenen Bogen und holte einen Pfeil aus seinem Köcher.
„Sieh zu und lerne“, sagte er. Mit geübten Bewegungen spannte er den Bogen und zielte. Der Schuss traf den Baumstamm in der Mitte. Genau zwischen die drei Treffer von Bertrands Versuchen.
Jean senkte den Bogen uns sah Bertrand an. Ein sanftmütiger Blick, tief in die Augen, ein väterlicher Schulterklopfer. Plötzlich wurde Bertrand bewusst, warum sich Jean der Armee angeschlossen hatte. Jean war hier, um auf ihn aufzupassen.
Komm“, sagte sein Onkel. „Lass uns deine Pfeile holen.“ Gemeinsam sammelten sie die Pfeile ein und gingen zum Lager zurück.
Am Rand des Waldes hörte Bertrand das Getrappel von Hufe. Am freien Grasstreifen zwischen Lager und Wald bot sich den beiden ein eindrucksvolles Schauspiel. Ein Reiter auf einem mächtigen braunen bretonischen Streitross der in vollem Galopp im Sattel stehend, Runden ritt. Bertrand betrachtete den Reiter eingehend, der in meisterlicher Beherrschung sein Pferd in die gewünschte Bahn lenkte, wobei Erdbrocken von dessen Hufen wegspritzten.
Der Reiter war groß gewachsen. Größer als jeder Mann, den Bertrand zuvor gesehen hatte. Ein durchtrainierter, muskulöser Körper der in einem gestepptem, gefütterten Wollgewand, einem Gambeson, steckte. Der Kopf trug keinerlei Bedeckung. Es war ein hartes, kantiges Gesicht. Dunkelblonde Harre, dunkelblonder, kurz gehaltener Vollbart und tief sitzende, dunkle Augen. Die Haare waren kurz geschnitten, sodass sie dem Mann das Tragen eines Vollvisierhelmes erlaubten. Doch selbst ohne seine Rüstung bewies jeder Zoll, dass dieser Mann ein Krieger war.
Der Reiter beendete seine letzte Runde und kam in schnellen Trab an Bertrand und Jean vorbei. Er würdigte die beiden eines kurzen Blickes. Ein kurzer Blick, der den sprachlosen Bertrand aber eindrücklich musterte. Jean hingegen hatte seinen Kopf gesenkt, so als würde er es nicht wagen, den Reiter anzusehen.
„Hoher Herr“, sagte Jean demütig. Der Reiter verschwand, und die beiden Bauern setzten ihren Weg weiter fort.
„Wer war das, Onkel?“, wollte Bertrand wissen.
„Das war Jerome de Montfort, Neffe und Schwertträger des Herzogs“, sagte Jean ehrfürchtig, bei der Erwähnung dieser Namen.
„Was ist ein Schwertträger?“
„Ein Schwertträger ist ein Repräsentant des Herzogs, oder des Königs. Er ist der erste Verteidiger des Lehens. Er verteidigt die Ehre seines Herren, sei es bei Duellen oder im Kampf.“
 
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Hallo? Ich hoffe yinx, Du bist nicht verschollen 😉 (kleiner Spaß, ich verstehe, dass wir alle noch etwas anderes zu tun haben. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn jemand einen Kommentar zur Geschichte verfassen würde)

So und jetzt weiter mit dem Reigen.
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1.2 Marsch zum Schlachtfeld

Das bretonische Heer benötigte weniger als eine Stunde nach der Rückkehr von Jean und Bertrand, um sich in Marsch zu setzen. Ein langer, schwerfälliger Zug aus Menschen und Tieren, mehr als eine halbe Meile. Wie die Tage zuvor ging es ostwärts, tiefer in das Graue Gebirge hinein. Diese Gebirgskette begann im bretonischen Herzogtum Gisoreux und zog sich dann entlang der gesamten Ostgrenze des Herzogtums Montfort bis nach Tilea.
Die Kundschafter folgten weiter den Pfaden des Axtschartenpasses, eine der wenigen gangbaren Routen in dieser Gebirgskette. Der Axtschartenpass war eine direkte Verbindung zum östlichen Nachbarn des Königreichs Bretonia, dem Imperium wo Kaiser Karl Franz I. über ein gewaltiges Reich gebot, dem Stolz der Menschen. Doch die Bretonen waren nicht minder stolz auf ihr Reich, gegründet unter Gilles dem Einiger vor mehr als tausendfünfhundert Jahren. Und ihr jetziger König Louen de Couronne, oder Leoncoeur, konnte sich durchaus mit Kaiser Karl Franz I. messen. So wie Gilles le Breton mit dem legendären Sigmar, Begründer des Imperiums. Dies war Bretonia, das Land der Ritterlichkeit. Stolze Ritter auf nicht minder stolzen Schlachtrössern zogen durch die vierzehn Herzogtümer wie es Gilles le Breton mit seinen legendären Gefährten getan hatte, um alle Gefahren vom Königreich abzuwehren. Viele der Soldaten erinnerten sich an die Legende von Gilles dem Einiger, als sie die hochgewachsenen Ritter in der Marschkolonne sahen. In ihren funkelnden Rüstungen, die Lanze am Sattel befestigt und den Helm am Sattelknauf eingehakt, die sich vorne in der Marschkolonne einreihten. Und vielen von ihnen wurde bei diesem Anblick das Herz wieder leicht. Dies war die Elite des Königreichs, die sich hier zum heldenhaften Kampf versammelt hatte.
Die Stimmung wurde allmählich besser. Einige Witze wurden erzählt, über manche wurde sogar gelacht. Die Soldaten und Bauern begannen wieder miteinander zu reden. Irgendwo wurde sogar ein Lied angestimmt. Die Ballade vom fahrenden Ritter, zwar falsch intoniert, aber immerhin stimmte der Text. Auf Bertrand hatte dies keine Auswirkung. Die Angst hatte ihn immer noch in ihrem eisigen Griff. Für einige Momente, als er mit seinem Onkel geredet hatte, war es ihm besser gegangen. Jetzt war sie wieder da. Die Furcht. Er war auf dem Weg zu seiner ersten Schlacht. Sein Onkel schien es bemerkt zu haben. Onkel Jean war ihm seit dem Wald nicht mehr von der Seite gewichen. Er ging auch in diesem Moment neben ihn, den Bogen geschultert zwinkerte er ihm zu, wenn es zu Blickkontakt kam und pfiff leise die Melodie des Liedes mit. Die Anwesenheit seines Onkels beruhigt ihn, bis eine neue Welle von Angst seinen Körper durchströmte. Bertrand dachte, dass sich so das Meer anfühlen musste, dass er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Er hatte nur alte Männer davon in der Dorfschenke reden gehört. Das einzige große Wasser, das er selbst kannte, war der Dorfweiher und der Burgraben der Herzogsburg. Im Dorfweiher waren sie als Jungen im Sommer immer Schwimmen gegangen. Oder auch in den herzoglichen Fischteichen, obwohl dies verboten war und man bei einer Entdeckung eine Tracht Prügel bekommen hatte. Im Burggraben waren sie nie Schwimmen gegangen. Roderic, der Sohn des Dorfschmiedes hatte gesagt, dass im Burggraben ein Hecht hause, der sich von unvorsichtigen kleinen Kindern ernährte. Was waren das nur für Zeiten, als sein schlimmster Feind noch ein Fisch gewesen war! Die Angst kam wieder hoch und wollte Bertrands Kehle zuschnüren.
Letzten Endes zeigten die Schauermärchen des alten Pierres vom gestrigen Abend ihre Wirkung. Vielleicht war es auch besser so, denn so bemerkte Bertrand nicht die verstärkte Aktivität an den Flanken des Heerzuges. Die Schwadronen von berittenen Knappen, die an der Flanke der Fußsoldaten entlang nach vorne ritten. Oder den Ritter, den Bertrand am Morgen so bewundert hatte, wie er die Reihe entlang ritt und vorne zur Besprechung des Herzogs stieß. Auch dass sich das Wetter geändert hatte, registrierte Bertrand nicht. Das graue Gebirge machte seinem Namen alle Ehre. Ein Tag, der mit Sonnenschein begonnen hatte, endete Wolkenverhangen. Von all dem bekam Bertrand nichts mit. Der Rest der Armee, allesamt erfahrene Veteranen registrierte jedoch die kleinen Anzeichen. Allmählich verstummte die gewaltige Marschformation.
Die Armee hatte ihr Ziel erreicht. Ein Windumtostes Hochplateau mit Moos und niedrigem Heidegestrüpp bewachsen. Die gewaltigen Nadelbäume, die im gesamten Axtschartenpass so charakteristisch waren, kapitulierten hier vor den für sie feindlichen Lebensbedingungen. Nur hier und da waren verkrüppelte Versuche einer Landgewinnung durch Bäume zu sehen. Ihre kümmerliche Gestalt sprach jedoch eindeutig von der Fruchtlosigkeit dieses Unterfanges. Dem Heer der Bretonen bot sich dennoch ein eindrucksvolles Panorama. Das Hochplateau fiel sanft in ein wildes Tal ab. Dies war das Wildland. Das unbesiedelte Grenzland zwischen Bretonia und dem Imperium, das allen Besiedelungsversuchen bisher getrotzt hatte. Dies war Orkland. Von hier fielen die Horden der Grünhäute in die Reiche der Menschen ein.
Heute waren sie hier, um diesen Versuchen ein Ende zu bereiten. Es ging das Gerücht im bretonischen Heer umher, dass dieser Feldzug nur aufgrund einer Prophezeiung durch den mysteriösen Zauberer Volker Rainheim durchgeführt wurde. Die Bretonen waren ein abergläubisches Volk. Wenn es nach den meisten ginge, hätte man Zauberer Rainheim sofort wieder ins Imperium jagen sollen! Am besten durch dieses Tal. Doch Rainheim war Teil des Gefolges von Herzog Montfort und damit Tabu.
Die Männer begannen rasch mit der Aufstellung. Herzog Folcard hatte vorausschauend Pfähle mittransportieren lassen. Die Bogenschützen, darunter Bertrand und sein Onkel Jean rammten die angespitzten Pfähle schräg in die Erde und bezogen hinter dieser provisorischen Abwehr Stellung. Die Bataillone der Landsknechte nehmen hinter und neben den Bogenschützen ihre Position ein. Die Ritter knieten zum Gebet nieder, bestiegen dann ihre Pferde und begaben sich zu den Flanken der Linie. Das Heer der Bretonen wartete.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Ihre Ankunft war registriert worden. Bertrand, der aufgrund seines Alters noch gute Augen hatte, registrierte tief im Tal kleine Punkte die aus Öffnungen in entlang der Längsseiten des Tals strömten und sich zu größeren Haufen zusammenrotteten. Ein dumpfer lang gezogener Klang breitete sich dem rasch von mehreren Punkten in der gleichen Weise geantwortet wurde. Das Signal aus einem Blasinstrument, das jedoch nicht von einem Menschen gespielt wurde. Der Wind trug es zum wartenden Heer der Bretonen und auch das Schlagen der Trommeln sowie Fetzen von Gebrüll in einer unmenschlichen, grobschlächtigen Sprache. Die Haufen setzen sich in Bewegung. Bertrand Herz schlug bei Anblick dieser Szenerie höher. Ein einzelner Gedanke schoss in seinen Kopf.
Sie kommen!
 
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Okay, okay ich habs ja schon gelesen! 😉
Deine einzelnen Teile sind äußerst kurz, was mir in der jetzigen Situation gerade zuträglich war, aber dauerhaft eher negativ auffällt, wenn man (beim dauerhaften Lesen) immer ein paar Tage warten muss und dann nur ein paar Zeilen zu lesen bekommt.
Also gut - erstmal das Formale, von hinten nach vorne:

Sie kommen! - Ach komm schon... 😉
Dann: Wortwiederholung: registriert. Auch eine etwas hochgestochene Ausdrucksweise für einfache Leute... man könnte nehmen "ihm fiel auf", "er bemerkte" etc.
Cousin ist ebenfalls ein sehr modernes Wort, ich hätte hier Vetter gewählt.
Fatalismus finde ich auch unpassig, schließlich sind es die Gedanken eines siebzehnjährigen Bauernjungen.
Insgesamt sehr wenig Fehler, nur ein paar Vertipper.

Okay, nun zum Inhalt und Stil, von vorne nach hinten! 😉
Deine Beschreibungen sagen mir sehr zu, auch wenn es recht wenige davon gibt. Du schmückst Umgebungen, Menschen, Gesichter, Kleidung, Sprache etc. nur sehr wenig aus, da würde ich mir ein klein wenig mehr Detailverliebtheit wünschen. Aber man muss sagen, auch wenn du es etwas knapp hältst, ich finde deine Darstellung sehr stimmungsvoll und intensiv. Direkt am Anfang schlug die bedrückende Atmosphäre auf mich ein, das Feuer, die Leute, die Kälte... und das nur durch ein paar knappe Worte.
Ich hätte es sogar noch besser gefunden, wenn Bertrand (mein Namensvetter 😉 ) den Worten von Pierre Glauben geschenkt hätte, sich hätte davon beeinflussen lassen. Zum einen wäre dadurch alles noch intensiver und bedrohlicher geworden, zum anderen hätte es seine Angst am nächsten Tag nicht so aus der Luft gegriffen wirken lassen.
Lucien ist auch ein sehr typischer Name für Antagonisten, da könnte man ein wenig mehr Kreativität an den Tag legen 😛
Prinzipiell wirkt deine gesamte Darstellung sehr informiert und schlüssig, du bündelst in deinen wenigen Worten alle benötigten Informationen... das Ranggefüge der Bretonen, die Herkunft vom Ollen Gilles etc. etc.
Auch der nächste Tag im Lager gefällt mir gut, ich habe direkt ein Gefühl davon bekommen, wie sie erst in der Nacht alle da angekommen sind, mehr überstürzt als geplant, sich am nächsten Morgen erst die ganze Größe des Heerlagers vor ihm offenbart. Ein klein wenig mehr Dreck hätte hier noch gut gewirkt, ein paar kleine Details mehr (nicht zu hart, das wirkt schnell aufgesetzt und zu gewollt), aber nur ein paar kleine Müs mehr, dann wäre es wahrlich fast perfekt gewesen.
In einem Burggraben hätte ich übrigens auch nicht gebadet, nicht wegen dem Hecht, sondern weil dort aller Abfall der Burg hinwandert! 😉

Am Ende könnte das Auftauchen der Orks ebenfalls ein paar mehr Zeilen vertragen, das passiert alles sehr schnell. Ein paar mehr Stimmungen, Reaktionen des bretonischen Heers... erste gebrüllte Befehle, das Beziehen der Formationen, Geklapper von Schwert und Schild, Hektik, Angst etc. etc. (ich mag etc. gerade sehr, ich habe atm nicht allzu viel Zeit, wollte deine Story aber doch noch würdigen 😛 ).

Abschließend gesagt:
1x mehr Kontrolllesen würde dem ganzen den letzten fehlerfreien Schliff verleihen, aber insgesamt auf jeden Fall überdurchschnittlich.
Dein Stil gefällt mir sehr gut, deine Erzählweise ist sehr dicht und intensiv, auch wenn ich mir, wie schon erwähnt, noch ein klein bisschen mehr Dark & Dirty Details wünschen würde.
Die Story bietet pauschal nichts neues und greift das klassische Prä-Schlacht-Setting auf, inszeniert dieses aber außergewöhnlich gut und atmosphärisch. Ich muss sagen, ich bin ehrlich gefesselt und durch die bisherige Darstellung sehr gespannt darauf, wie du das mit der Schlacht jetzt löst. Ich erwarte da viel!
Bloß kein Überspringen und nach der Schlacht wieder einblenden! Dann gibts einen Satz heiße Ohren! 😉 Die Story ist noch nicht dicht genug, um so einen Spannungsriss jetzt zu verkraften und vertreibt sicher potentielle Leser. Also sei gewarnt!

Bisher ist also alles spannend dargestellt, aber es fehlt noch an Handlung und Inhalt, aber klar - so was entsteht über einen längeren Zeitraum, dennoch bin ich gespannt, was sich da eigenes und episches aus diesem etwas klischeebehafteten Orks gegen Menschen Schlacht Thema entwickelt.

Good Luck!

Grüße
yinx
 
Hey, Servus!
Danke für deine ausführliche Replik. Ja, die Umgebungsbeschreibung ist nicht so meine Sache (wird von anderen im W40k-Geschichtenforum auch bemängelt).
Ich hab das Wort "Cousin" verwendet, weil es französisch klingt. :happy:
Keine Sorge, ich hab schon über 200 Seiten geschrieben, aber ich werde immer kleine Teile reinstellen, weil es leichter zu lesen ist und für den Computer einfacher, da große Datenblöcke schwieriger zu handhaben sind.
Danke für dein Lob bezüglich der Atmosphäre. Ich habe im Hinterkopf Heinrich V. gehabt. Vielleicht ist deshalb die Sprache zu hochgestochen, aber ich denke, die Sprache ändert sich, und ist heute banaler, als sie es früher war( klar Warhammer ist nicht unsere Vergangenheit)
 
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Okey, dann leg ich auch mal los.
Also zum ersten teil: ich finde es sehr gelungen wie du einen alten versoffenen Käpen beschreibst. Nur fag ich mich wie der zu Wein kommt. Als Betronischer Bauer ist soetwas schon Wohlstand 😉
Auch Lucien kommt gut rüber obwohl ich irgendwie gehofft hätte er würde Perre etwas härter zur Brust nehmen. Schließlich zerstört er ja die motivation der Truppen.
Zum zweiten teil: Das der einfach so einen Ritter anglotzn darf und sich nicht mal verneigt und keine rüge kassiert?😀
Zum dritten teil: Gut beschrieben, auch die eigene panik des Jungen die snscheinend nur ihn erfasst. was die orks angeht hat Yinx ja schon alles gesagt. So eine art: "Speere nach vorn, Bogenschützen dahinter!" ect. oder villeicht auch ein ordentliches, aus der ferne gegrölltes Warrrrrrghh!

Fazit: echt gute geschichte und bitte präsentier uns etwas bisschen größere lesehäppchen 🙂
 
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Bitteschön, hier kommt er (hatte nur Probleme damit, den Text hochzuladen) :angry:

1.3 Die Schlacht

Was folgte war ein Schauer. Allerdings nicht aus den grauen Wolken, die den Himmel bedeckten soweit das Auge reichte. Es war ein Schauer aus Pfeilen. Die Grünhäute hatten sich beeilt. Sie hatten sich schnell organisiert in ihrem Tal da unten. Dann waren sie einigermaßen geordnet vorgerückt. Nun waren sie weniger als hundert Schritt entfernt und Bertrand konnte erkennen, dass sich die kleinen klobigen Punkte zu erstaunlich großen Körpern verändert hatten. Wie hunderte andere Bauern hatte Bertrand auf den Befehl den Bogen gespannt und einen Pfeil abgefeuert. Und wieder und wieder. Einen Moment stand Bertrand da wie ein kleines Kind und betrachtete verzückt diesen Schwarm aus langstieligen Geschossen die in hohen Bogen den Himmel überquerten. Ihre schiere Anzahl verdunkelte die Erde während sie ihren Zielen entgegen flogen. Für einen kurzen Moment war Bertrand wieder ein Kind und betrachtete den Flug der Pfeile, bis ihn ein grober Stoss und ein scharfer Verweis von Lucien wieder in die Realität zurückholten. Bertrand spannte den Bogen erneut. Er spürte das Ziehen in seinem Arm, als sich der Bogen spannte. Er hörte das leichte Surren, als er den Pfeil losließ, und das Rauschen der nächsten Pfeilsalve, darunter sein eigener. Bertrand betete inbrünstig zur Herrin vom See, dass sein Pfeil einen der elendigen Grünhäute fällen würde. Einen möglichst Großen, fügte er in seinen Gedanken hinzu.
Die erste Salve richtete unter den Orks nur wenig Schaden an. Die Bretonen hatten zu früh gefeuert, bevor das Gros der feindlichen Horde in Reichweite war. Nur einige wenige trafen tollkühne Grünhäute die in Erwartung des Kampfes vor ihre eigenen Reihen gerannt waren. Die Befehlshaber der Bogenschützen erkannten ihren Fehler und ließen ihre Männer warten. Angesichts der geringen Trefferquote ertönte von Seiten der Orks Spott und Hohn über die kümmerlichen „Menschänz“ die es gewagt hatten, sich mit so gewaltigen Kriegern zu messen. Von ihren Schamanen und Bossen aufgestachelt und im Glauben dass Gork und Mork auf ihrer Seite seien, stürmten die Grünhäute los.
Auf diesen Moment hatten die Bretonen jedoch gewartet. In Wahrheit war die erste Salve nicht nur eine Fehlkalkulation gewesen. Sie hatte auch zur Abschätzung gedient. Die zweite, und die kurz darauf folgende dritte Salve trafen mit verheerender Präzision ihr Ziel. Der wilde Ansturm der Orks geriet ins Stocken als ein Pfeilhagel auf sie niederging. Die Pfeile durchschlugen Schilde und Rüstungen, die Widerhaken bohrten sich in Grünhautfleisch. Obwohl Orks weitaus schmerzresistenter als Menschen waren, brüllten nicht wenige vor Wut und Schmerz, als sie sich die Pfeile aus dem Fleisch rissen. Andere hingegen war in solch einem Blutrausch, dass sie die Treffer gar nicht mitbekamen und weiter auf die Schlachtreihe der Bretonen zu rannten. Die wenigsten kamen weit. Zauberer Volker Rainheim hatte die Pfeilspitzen mit einer besonderen Tinktur bestreichen lassen. Die Ork –Konstitution wurde mit vielen fertig, den Tricks eines Absolventen der imperialen Zauberakademien war sie jedoch nicht gewachsen. Oft reichte allerdings die Aufprallwucht der Pfeile um den Feind zu töten, bevor das Gift seine Wirkung entfalten konnte. Einer der Ork –Bosse brüllte seinen Untergebenen Befehle zu, als ein Pfeil die Lücke in seiner Rüstung aus erbeuteten Teilen fand. Der Pfeil bohrte sich tief in den Hals des Bosses, genau in die Schnittstelle zwischen Halsberge und dem groben Kettenhemd. Rotes Blut sprudelte heraus und der Ork sank zu Boden, wobei ihn zwei weitere Pfeile in Hand und Bauch trafen. Ein unmöglicher Schuss, den kein Scharschütze der Alten Welt vorausberechnen hätte können. Ein Treffer unter vielen.
Zu hunderten starben die Orks in den ersten drei Salven. Durch den Beschuss geriet der Ansturm ins Stocken, er führte jedoch nicht zu seiner Auflösung. Die Zahl der Orks war so zahlreich, dass für jeden Gefallenen zwei weitere in die Bresche sprangen. Die grüne Flut floss weiter unaufhaltsam den Reihen der Bretonen entgegen. Von seinem Aussichtspunkt betrachtete Herzog Folcard besorgt diese Entwicklung. Volker Rainheim hatte ihn vor der großen Anzahl der Feinde gewarnt. Doch wie zahlreich der Feind wirklich war, wurde erst jetzt klar. Sein Griff verstärkte sich unwillkürlich um sein Schwertheft. Sie würden es auf die bewährte Art beenden. Für den König und die Herrin vom See! Sein Gefolge blickte den Herzog erwartungsvoll an. Sein Neffe Jerome de Montfort, Schwertträger des Herzogtums, Baron Rambert, Seneschall Claude de Sanguine, auch die hölzerne Hand genannt, weil er im Kampf gegen Tiermenschen einst seine linke Hand verloren hatte, und viele mehr. Eine hölzerne Prothese verzierte nun den Arm, die den Schild führte. Dies war sein erlesenes Gefolge. Die Elite der bretonischen Ritterschaft. Und noch viele mehr warteten dahinter. Die Ritter Bretonias, bereit, ihr Land zu verteidigen. Doch noch gab Folcard seinen ungeduldig wartenden Adeligen nicht den Befehl zum Angriff. Die Grünhäute stürmten auf die Reihen der bretonischen Regimenter zu, mit unverminderter Geschwindigkeit und angestachelt vom Beschuss der Bogenschützen. Tödliche Wut brannte in ihren kleinen, roten Augen und ihr markantes, lautes Gebrüll lag in der Luft, als sie, angestachelt vom Beschuss und ihren Anführern, der feindlichen Armee entgegen strebten. Unaufhaltsam, ohne auf ihre Verluste zu achten..
Beide Schlachtreihen begegneten sich auf einem von Pfeilen übersäten Feld. Es gab einen gewaltigen Aufprall als sie sich endlich trafen. Das Geräusch von Stahl auf Stahl und von brechenden Knochen. Das Geräusch der Sterbenden und Verwundeten, die zu Boden gingen wo sie rücksichtslos niedergetrampelt wurden. Die Orks waren in ihrem Element. Sie waren Nahkämpfer, keine Distanzschützen. Mit ihren grob geschmiedeten Spaltas und Äxten trafen sie auf die entschlossenen Reihen der Landsknechte die sich vor den sich zurückziehenden Bogenschützen formiert hatten. Ein wildes Handgemenge entbrannte, wobei sich die Orks gegenseitig wegstießen, um nur ja als Erster den Feind zu bekämpfen. Viele bezahlten ihre Tollkühnheit mit dem Leben, da die Landsknechte ihnen einen undurchdringlichen Schildwall und einen Wald aus Speeren und Schwertlanzen entgegenhielten.
Bertrand sah diese Explosion von Gewalt aus einiger Distanz. Ungläubig starrte er auf den Nahkampf, das Hin- und Herwogen des Gemenges. Die Geräusche stürmten auf ihn ein. Das bestialische Gebrüll der Orks, der Kampfschrei seiner Landsleute, die kläglichen Rufe der Verwundeten und Sterbenden. In seinen schlimmsten Albträumen hätte er sich ein solches Bild nicht vorstellen können. Der leibhaftig gewordenen Hass manifestierte sich vor seinen Augen. Abgetrennte Gliedmaßen, Blut das in Strömen floss, Männer die sterbend nach ihre Mutter riefen. Es war zu viel. Bertrand sank auf die Knie.
Erst im Nachhinein wurde ihm klar, dass der Grund dafür ein Schlag gewesen war. Lucien hatte ihm mit der Breitseite seines Schwerts einen Schlag auf den Kopf versetzt. Eine Hand packte ihn grob an der Schulter und zog ihn hoch.
„Das ist das zweite Mal, Bürschchen, das ich dich heute verwarne“, brüllte ihn Lucien an. Er hatte Bertrand so nah an sein eigenes Gesicht gezogen, dass Bertrand den faulen Mundgeruch Luciens mehr roch, als all die anderen eindringlichen Gerüche eines Schlachtfeldes.
„Das reicht“, sagte eine Stimme hinter ihm. Es war die Stimme seines Onkels. Jean stand schützend hinter ihm. Einen Augenblick lang standen sich Lucien und Jean von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Ihre Blicke begegneten sich.
„Er ist dein Problem, Bauer“, schnauzte Lucien schließlich und wandte sich ab. Bertrand konnte noch hören, wie er seinen Frust an zwei anderen Bogenschützen abreagierte. Irgendetwas mit störrischen Bauernschädeln die zu dumm zum Atmen wären.
Jean stellte sich neben seinen Neffen. Und blickte ihn tief in die Augen. Wie es Väter mit ihren Söhnen taten, oder in diesem Fall, ein Onkel zu seinem Neffen, um den er sich kümmerte.
„Achte auf deine Atmung, Neffe.“
Wie zum Beweis schoss Jean einen Pfeil direkt in den Hals eines Orks, der gerade mit erhobener Axt einem bretonischen Landsknecht den Gnadenstoß hatte versetzen wollen. Ermutigt von diesem Beispiel griff auch Jean wieder zum Bogen. Seine Versuche wirkten lächerlich im Vergleich zu Jeans Abschüssen, aber immerhin beteiligte er sich wieder an der Schlacht. In der Tat war Bertrand so vertieft, dass er den Donner zuerst gar nicht wahrnahm.
Wie zuvor der Pfeilregen so hatte auch der Donner keine meteorologischen Ursachen. Endlich, nach einer halben Ewigkeit für die kämpfenden bretonischen Fußsoldaten, griffen die gepanzerten Ritter in den Kampf ein.
Geübter Feldherr der er war, hatte Herzog Folcard auf den geeigneten Zeitpunkt gewartet, um seine stärkste Waffe zum Einsatz zu bringen. Dann schließlich, als weiteres Zurückhalten nur noch Zaudern bedeutete hatte, gab er den Befehl für die Hundertschaft an bereit stehenden Rittern. Seneschall Claude de Sanguine hatte das Credo Montforts angestimmt und hunderte Kehlen waren in den Spruch eingefallen:
„Auf ihr Männer, in den Krieg!
Zu ruhmvollen Tod, oder dem Sieg!“
„Für Montfort, für den König und die Herrin vom See“, brüllten die Ritter zum Abschluss. Hunderte Schwerter wurden aus ihren Scheiden gezogen und gen Himmel gestreckt, wie ein Meer aus stählernen Getreideähren. Wie zur Bestätigung brach die Sonne durch das graue Wolkenband und spiegelte sich tausendfach an den polierten Schwertern und Rüstungen. Die Ritter gaben ihren Pferden die Sporen und formierten sich zur Attacke.
Die Erde erbebte unter den Hufen der schweren bretonischen Schlachtrosse. Erst im Trab, dann, immer schneller werdend, zu ungestümen Galopp. Voran die jungen, heißblütigen fahrenden Ritter, die Ruhm und Bestätigung suchten. Dahinter und in ihrer Formation die Ritter des Königs. In ihrem Kern das persönliche Gefolge des Herzogs, darunter Herzog Folcard selbst. Seine Lehnsmänner hatten ihn angefleht sich nicht diesem Risiko auszusetzen. Doch Herzog Folcard hatte nur lachend erwidert, dass er nicht bereit war, einen anderen Mann etwas zu befehlen, dass er nicht selbst erledigen könne.
Von der linken und rechten Flanke fielen die Ritter über die Orks her. In Keilformation, die Lanzen zum Stoß gesenkt. Lackiertes Holz splitterte, Lanzen brachen, Pferde wieherten, als die Ritter in die Reihen der Orks einfielen. Wie Schnitter bei der Ernte so bahnten sich jetzt die gepanzerten Reiter ihre blutige Bahn.
Von der rechten Seite kamen die jungen fahrenden Ritter, die ungestüm die Schlachtreihe der Orks aufbrachen. Fahrende Ritter mussten erst ihren Wert beweisen, bevor sie in die Ränge der vollwertigen Kämpen aufgenommen wurden. Die wenigsten unter ihnen hatten bereits die feierliche Zeremonie, inklusive des Ablegens des Rittergelübdes hinter sich. Diese Schlacht war ihre Chance, sich einen Namen zu machen und die Sporen, das traditionelle Zeichen der Angehörigkeit zum Ritterstand, zu verdienen. Ihr Kommandant, Baron Bertelis de Byreux, gab sich keinerlei Mühe, den Übermut der jungen Anwärter zu bremsen. Dementsprechend ungeordnet fand der Aufprall der Reiter auf die Grünhäute statt. Viele Hoffnungen von Heldentaten und Ruhm zerbrachen aufgespießt am Wall der feindlichen Speere. Doch die weitaus zahlreicheren Überlebenden rächten den Tod ihrer Kameraden hundertfach, als sie durch die feindlichen Krieger ritten und mit ihren Schwertern und Streitkolben einen hohen Blutzoll eintrieben. Baron Bertelis de Byreux fügte mit seinem gewaltigen Morgenstern den Feinden links und rechts von ihm gewaltige Wunden zu. Mehr als dreißig Grünhäute waren am Ende dieser Schlacht seinem Zorn zum Opfer gefallen. Bertelis ermutigte seine Männer, den Angriff weiter fortzuführen. Nur so konnte die Attacke zum Erfolg werden.
An der linken Flanke trafen die Ritter des Königs auf die feindliche Linie. Sie stellten die Masse der bretonischen Adeligen und bildeten die Eliteeinheiten der bretonischen Armee. Unter ihnen waren einfache Landritter, Barone, Grafen. Sie waren alle Lehensmänner des Herzogs, die seinem Ruf zu den Waffen augenblicklich Folge geleistet hatten. Sie waren die Söhne Bretonias, jederzeit bereit ihr Land gegen jeden Feind zu verteidigen. Und nun, da Bretonia sich einem unbarmherzigen Feind gegenüber sah, kamen sie zu dessen Verteidigung. Wie Gilles le Breton und seine Gefährten. Gebunden an den Kodex der Ritterlichkeit und der Tatsache, dass ihr eigener Herrschaftsanspruch über ihr Lehen vom Bestehen des Herzogtums Montfort abhing. Außerdem hatte jeder der Ritter seine eigene Truppe an Landsknechten zum Heer beigesteuert. Die wogende Reihe von Fußsoldaten die dort vor ihnen kämpfte und starb, waren ihre eigenen Soldaten. All dies waren Gründe, warum die Ritter derart erbittert gegen den Feind vorgingen. Am stärksten wirkte jedoch die Erinnerung an den Eid, den sie vor langer Zeit geschworen hatten und der seit damals ihr Leben bestimmte.
Geübt nahmen die Ritter die Keilformation ein. Mehr als hundert gepanzerter Ritter bildeten einen Stoßkeil, die entschlossenen Gesichter hinter ihren Visieren verborgen, die Lanze gesenkt, den Schild gehoben. In ihrer Mitte ritt Herzog Folcard mit seinem persönlichen Gefolge, darunter seinem Seneschall und dem Schwertträger Jerome de Montfort. Ein schrecklicher Anblick, der allen Feinden Bretonias das Fürchten lehrte. Ohne ein Anzeichen von Angst oder Zaudern brach eine Lawine aus Stahl und bretonischem Eifer auf die Orks nieder. Wo der Ansturm der jungen fahrenden Ritter nur zwei Reihen tief gedrungen war, kamen die routinierten Ritter Montforts fast durch die gesamte Schlachtlinie der Grünhäute. Die ersten Reihen der Orks wurden anstandslos überrannt und niedergetrampelt. Ihre verzweifelte Gegenwehr prallte harmlos an Schilden und Brustpanzern ab. Erfahren ließen die Ritter ihre nun nutzlos gewordenen Lanzen, die meisten steckten ohnehin in den Leibern von getöteten Orks, fahren und zogen ihre Nahkampfwaffen.
Bevor der Effekt des Ansturms verbraucht war, teilte sich wie auf ein Kommando der Keil in zwei Hälften und bildete eine Linie, die sich nach links und rechts wandte. Das Gefolge des Herzogs brach aus der Mitte aus und brachte Tod und Verderben über alle, die sich ihm in den Weg stellten. Herzog Folcards Schwert färbte sich schnell rot vom Blut der Erschlagenen. Nicht minder gewaltig wütete Seneschall Claude de Sanguine „die hölzerne Hand“. Viele Orks mussten erkennen, dass der Seneschall trotz seiner Handprothese einem Löwen glich, der über eine Herde hilfloser Schafe herfiel. Der rote Drache auf seinem Wappen, der Feuer spie, entpuppte sich nicht als leere Drohung. Nur wenige von Seneschall de Sanguines Gegnern entkamen seiner Streitaxt.
Angestachelt vom Erfolg ihrer Herren gingen auch die Landsknechte zum Angriff über. Im Angesicht der feindlichen Reiter, die wie eine stählerne Beißzange ihre Flanken aufriss, zogen sich die Orks zurück. Ritter und Fußsoldaten verfolgten gleichermaßen den geschlagenen Feind. Bertrand stand sprachlos da und beobachtete die Szenerie, ohne sich über seine eigenen Gefühle im Klaren zu sein. Fühlte sich so ein Sieg an? Der sich langsam verziehende Staub enthüllte ein Schlachtfeld. Zerbrochene Waffen, Haufen toter Menschen und Orks, die Körper in unmöglichen Stellungen verdreht, der leere Blick in den kalten Augen. Ströme von Blut und das herzergreifende Geräusch sterbender und verwundeter Menschen. Irgendwo wieherte erbärmlich ein Pferd, bis nichts mehr zu hören war.
Eine Gruppe berittener Knappen galoppierte an Bertrands eigener Einheit vorbei um sich den Angriff anzuschließen. Erst da realisierte der junge Bogenschütze, dass der Kampf noch nicht völlig zu Ende war. Die Orks hatten sich, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, zum Rand des Hochplateaus zurückgezogen. Immer dicht verfolgt von den Bretonen, die den finalen Sieg vor Augen hatten, und unter den Fliehenden einen hohen Blutzoll forderten. Doch der feindliche Kriegshäuptling hatte sich eine letzte Reserve vorbehalten. Brüllend und unter der Anfeuerung orkischer Kriegshörner brach eine Rotte von Wildschweinreitern aus ihrem Versteck hervor. Die Landsknechte des Barons von Beleaux warfen sich zwar verzweifelt entgegen, doch der Ansturm fegte über sie hinweg und ließ nur Sterbende und Verwundete zurück. Ausrufe des Entsetzten ertönten bei den zurückgeblieben Bogenschützen die sich einer Linie von mehr als fünfzig rasch näher kommenden Orkreitern gegenüber sahen.
Bertrand schnürte der Anblick die Kehle zu. Zwar hatte sich von der bretonischen Armee, deren Gros weiter die fliehenden Orks verfolgte, Berittene in Bewegung gesetzt. Allerdings war die Entfernung zu groß, um sie rechtzeitig einzuholen. Und so wie die Orks ihren Reittieren die Peitsche gaben, waren ihnen dass auch klar. Sie wollten Rache, selbst um den Preis ihres eigenen Lebens. Selbst die Gruppe berittenere Knappen, die erst kurz zuvor an Bertrand vorbeigeritten war, konnte den Ansturm der Orks nicht aufhalten und wurde zusammen gehauen. Achtundvierzig Orks stürmten immer noch auf die Linie der nahezu wehrlosen Bauernbogenschützen zu. Sie mussten etwas tun, die Zeit war knapp.
„Formiert Euch!“, schnauzte Lucien den Bauern zu. Doch Bertrand konnte selbst aus Luciens Tonfall die Besorgnis heraushören.
„Wir sind verloren!“, schrie der alte Pierre schrill, warf seinen Bogen weg, und wandte sich zur Flucht. Luciens Schwerknauf, der auf Pierres Kopf niedersauste, machte dem Vorhaben ein Ende.
„Formiert Euch, habe ich gesagt“, brüllte Lucien.
„Womit denn?“, wollte einer der Bauern wissen.
„Was weiß ich? Da! Nehmt diese Speere!“
Keine fünfzehn Fuß entfernt lagen Speere und Hellebarden. Die Waffen der Gefallenen und Verwundeten. In dem Wissen, dass ihre Bogen nun nutzlos waren, eilten die Bauern nach vorne und sammelten die verwendbaren Exemplare ein. Auch Bertrand war noch vorne gegangen. Mit einem Auge immer in Richtung der anstürmenden Grünhäute, als ihn ein Stöhnen aufhorchen ließ. In der Nähe eines toten weißen Schlachtrosses bewegte sich etwas. Den eingesammelten Spies von sich gestreckt umrundete Bertrand den Kadaver, bereit einem Feind mit einem Stoß seiner Waffe zu erledigen. Doch es war kein Vetter der immer noch heranstürmenden Gegner, es war ein Ritter der sich mühsam auf seine Arme stützte.
Bertrand erkannte, dass es ein sehr junger Ritter war, ungefähr in seinem Alter. Er hatte keinen Helm, die schwarzen Haare fielen ihm fast bis zu den Schultern und bildeten einen Vorhang für sein Gesicht. Der Ritter erblickte Bertrand und hob zum Boden gesenkten Kopf um Bertrand ins Gesicht zu blicken. Erst da erkannte Bertrand, dass er mit seiner Vermutung betreffs des Alters richtig gelegen hatte. Eher war der junge Adelige sogar noch jünger, in dessen Gesicht der Ausdruck von Schmerz und adeliger Hochnäsigkeit um die Vorherrschaft rangen. Am Ende gewann die Hochnäsigkeit, immer noch am Boden liegend streckte der junge Ritter eine Hand aus. Es war keine Geste der Bitte, sondern ein Befehl. Verärgert, doch ohne dass Bertrand dies dem frechen Verwundeten gegenüber zeigte, warf er seinen Spies zur Seite und zog den jungen Ritter hoch. Dabei erblickte Bertrand eine Vielzahl von Schäden an Rüstung und Kettenhemd des jungen Ritter, jede davon mit einer blutenden Wunde. Gemeinsam humpelten sie der sich bildenden Linie der Bauern zu.
„So gebt doch Acht, Bauer“, schnauzte der junge Verwundete. Gerade noch rechtzeitig erreichten sie die Linie und passierten sie. Keine vier Schritte weiter lies Bertrand den jungen Adeligen fallen, ohne auf dessen protestierenden Schreie zu hören. Er eilte zur Linie der Bogenschützen zurück und nahm einen großen Speer aus der Hand eines Kameraden entgegen.
„Stemme deinen Fuß gegen den Speer“, raunte ihm sein Nachbar zu. Bertrand folgte augenblicklich der Aufforderung. Dann blickte er auf die anstürmenden Feinde die schon sehr nahe waren. Bertrand konnte die Orks jetzt deutlicher sehen als vorher. Sie waren allesamt groß, weitaus stämmiger als Menschen und fast doppelt so breit. Über und über mit Muskeln bepackt, lange Arme und vergleichsweise kurze Beine. Doch das am meisten erschreckende an ihrem Körperbau war ihr Gesicht. Vernarbte grüne Haut bedeckte einen dicken Schädel, gekrönt von einer wuchtigen Stirn, spitzen Ohren und tief sitzenden, rot glühenden Augen. Die untere Hälfte bildete ein gewaltiges Maul, an dessen vorstehendem Unterkiefer gewaltige Hauer an den Enden hervortraten. Es war ein Anblick zum Fürchten.
Jeder der Orks hatte eine Unzahl von Ketten, Piercings und Einkerbungen im bemalten Gesicht. Bertrand vermutete, dass die dunkelrote Farbe Blut war. Er mochte nicht daran denken, welch bedauernswertes Geschöpf als Spender gedient hatte. Die Reittiere der Orks waren nicht weniger erschreckend. Es waren unnatürlich große Wildschweine mit borstigem Fell und gewaltigen Hauern die ebenfalls mit Ketten und Bemalung übersät waren. Als Bertrand diesen Anblick sah, fragte er sich, was diese kümmerliche Linie aus unerfahrenen Bogenschützen gegen solch gewaltige Kreaturen ausrichten konnte. Vielleicht hatte der alte Pierre mit seinem Fluchtversuch Recht gehabt?
Doch Bertrand kam nicht mehr dazu, es dem alten Bauern gleich zu tun. Als Kind hatte Bertrand manchmal gesehen, wie sich im Winter Schneemassen von den Flanken der mächtigen Grauen Berge lösten und gen Tal donnerten. Er hatte sich immer gefragt, wie stark die Kraft hinter solch einer Lawine war. Er fand es in dem Moment heraus, als die Rotte der Wildschweinreiter auf die Abwehrstellung der Bogenschützen traf.
Bertrand spürte noch, wie sich sein Speer und einer enormen Last bog. Er fühlte die Belastung in der Maserung des Holz-Schafts und das Splittern der Spitze, bevor ihn eine unwiderstehliche Kraft mehrere Schritte nach hinten warf. Bertrand landete auf dem Boden, der Zusammenprall hatte alle Luft aus seiner Lunge gepresst und schnappte verzweifelt nach Luft. Eine Gestalt verdunkelte sein Blickfeld. Er roch nichtmenschlichen Schweiß, einen leichten Algengeruch, und getrocknetes Blut. Ein Orkfratze grinste ihn boshaft an, die roten Augen voller Hass. Bertrand sandte sein letztes Stoßgebet zur Herrin vom See, als der Ork seine schartige Klinge zum Gnadenstoß ausholte.
Unerwartet begann der Ork zu quieken und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse aus Schmerz.
Eine zweite Gestalt drängte sich in Bertrands Blickfeld. Es war sein Onkel Jean, der das Ende eines langen Speers in Händen hielt, dessen Spitze tief im Bauch der Grünhaut ragte. Mit all seiner Kraft rammte Jean den Speer tiefer in die feindliche Kreatur und warf ihn zu Boden. Bertrand stand auf und griff ebenfalls nach einer Waffe. Er fand das geborstene Ende seines Speers und rammte es mit aller Wucht in das Gesicht des feindlichen Kriegers.
Plötzlich drangen alle Geräusche wieder an Bertrands Ohren. Das wütende Quieken der riesigen Wildschweine, das gewaltige Brüllen der Orks und die entsetzten Schreie der Menschen. Ein Blick in die Runde ließ Bertrand erkennen, dass der Feind die Überhand erlangte. Die Orks wüteten in den Reihen der Bogenschützen, die im Nahkampf gegen solch gewaltige Krieger keine Chance hatten. Zehn Orks waren beim Ansturm gefallen, doch der Rest hatte sich durch ihre Linie gehackt und begann ein wahres Blutbad unter den bretonischen Bauern. Bertrand sah Lucien, der sich mit gezogenem Schwert verzweifelt gegen zwei Orks zu Wehr setzte, die ihn immer mehr in die Defensive drängten. Bertrand hob einen am Boden liegenden Speer auf, und warf ihn mit aller Wucht in den Rücken eines der Zwei. Der Speer drang zwischen den Schulterblättern ein, doch der Ork riss ihn hinaus und setzte seinen Angriff fort. Er achtete nicht einmal auf den Blutschwall aus der Rückenwunde.
Wie konnten sie gegen einen Feind bestehen, der sich nicht einmal von Wunden stoppen ließ?
Ein verzweifelter Schrei, ließ Bertrand herumfahren. Ein Ork hatte sich dem Verletzten jungen Ritter genähert, hämisch grunzend. Dieser hatte sein Schwert gezogen, in einer hilflosen Geste hielt er es zwischen sich und dem Ork. Der erste Schlag des Orks mit seinem Spalta, einem groben, schartigen Breitschwert orkischer Machart, schlug dem Ritter die Klinge aus der Hand. Sie fiel einige Schritt weit außerhalb der Reichweite des verletzten Ritters. Der Ork holte zum Schlag aus.
Mit aller Kraft warf sich Bertrand auf den Ork. Gemeinsam fielen sie durch die Wucht des Aufpralls zu Boden. Bertrand kam als erster wieder auf die Beine. Schnell griff er nach dem Schwert des Ritters. Er hatte nur wenig Zeit, sich mit der unbekannten Waffe vertraut zu machen. Der Ork erhob sich und kam bedrohlich auf Bertrand zu. Dem ersten Schlag, konnte Bertrand ausweichen. Es war ein Seitwärtshieb, der seinen Kopf vom Rest des Körpers abgetrennt hätte, wenn Bertrand nicht augenblicklich zurückgesprungen wäre. Der Ork nützte den Schwung für eine zweite Attacke, indem er sich drehte. Bertrand führte das Schwert mit beiden Händen nach unten und begegnete dem Angriff. Der Aufprall fuhr ihm durch Mark und Bein. So, als wäre ein Hammer auf einen Amboss getroffen. Mit seinen letzten Kraftreserven verhinderte Bertrand, dass die Attacke dennoch durch die Abwehr ging und seine Seite traf. Der Ork brüllte aus Wut darüber, dass seine beiden ersten Angriffe den kümmerlichen, schwachen Menschen noch nicht getötet hatten. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit hob er seinen Spalta über den Kopf und ließ ihn niedersausen.
Bertrand gab sich nicht der Illusion hin diesen gewaltigen Angriff mit einer Parade abwehren zu können. Stattdessen sprang er in einer Hechtrolle an dem Ork vorbei. Die Wucht des Angriff lies den Spalta tief in die Erde dringen. Bertrand schnellte herum und setzte seine ganze Kraft in einen schnellen Seitwärtshieb. Das bretonische Langschwert drang tief in die rechte Armmuskulatur des feindlichen Orks ein. Die Grünhaut brüllte vor Schmerz und Wut und versetzte Bertrand mit seiner linken Pranke einen Schlag gegen den Brustkorb. Vom Hieb wurde Bertrand zur Seite geschleudert, das Schwert entfiel seiner Hand. Der Ork zog seinen Spalta aus der Erde und warf sich brüllend auf Bertrand.
Bertrand tastete in seiner Not nach etwas hilfreichem. Seine Hand fand einen langen, stabilen Gegenstand, und der junge Bogenschütze hielt ihn schützend vor seinen Körper. Der Angriff des Orks fand ein jähes Ende als die Wucht seines eigenen Angriffes ihn in einen Speer trieb. Immer tiefer und tiefer drängte die stählerne Spitze vor, bis sie das Orkherz erreichte und dieses durchstach. Der leblose Körper, mehre hundert Pfund Muskelmasse, Knochen, Sehnen und Organe, sackte zu Boden. Ungläubig öffnete Bertrand die Augen und sandte ein Stoßgebet des Dankes zur Herrin vom See. Er erhob sich und sah ein Wunder.
 
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Und der nächste Teil :lol:

1.4 Der mysteriöse Ritter

Seit jeher gab es eine Legende in Bretonia, die jedes kleine Kind schon auswendig kannte. Der grüne Ritter war eines der mysteriösesten Wesen Bretonias. Der Wächter des Landes der in seinem efeuumrankten Harnisch, Rüstung und grünem Wappenrock den Bedrohten zur Hilfe eilt. Der leibhaftige Zorn des Landes, der die Feinde Bretonias vernichtet.
Etwas Ähnliches sah Bertrand bei seinen Kampf gegen den Ork. Ein einzelner Ritter kam praktisch aus dem Nichts auf die Kämpfenden zugeritten. Ein Krieger in voller Rüstung mit einem Topfhelm an dessen Seite rote Federn wie die Schwingen eines Schwanes im Wind flatterten. Die schmalen Augenschlitze waren direkt auf die Feinde gerichtet. Über Brustpanzer und Kettenhemd trug der Ritter einen braunen Wappenrock. Auf Wappenrock wie Schild prangte sein Emblem. Die Vorderansicht einer weiß gehaltenen Burg mit Torhaus, flankiert von zwei mächtigen Türmen mit Zinnen. Quer darüber ein Schwert. Ein roter Streifen umrahmte das Wappen auf blauem Hintergrund. Bertrand kam das Wappen eigenartig bekannt vor.
Es war, als würde eine der alten Legende lebendig werden. Wie ein Reiter aus längst vergangenen Zeiten kam der Reiter auf die kämpfenden Orks zu, die immer noch die sich verzweifelt wehrenden Bogenschützen abschlachteten.
Der Reiter kam in gestrecktem Galopp näher, das Schwert zum Schlag nach unten gesenkt. Im Sattel leicht nach vorne gebeugt, bot er einen beeindruckenden Anblick. Der Ritter erreichte die ersten Orks und fällte sie mit gezielten Hieben. Vier Feinde fielen mit gespaltenen Schädeln beim ersten Durchritt des Ritters. Gekonnt wendete er sein Pferd und erledigte weitere drei Gegner. Allmählich wurden die Orks auf ihn aufmerksam. Nach seiner zweiten Wende gelang es einer Grünhaut, das Pferd durch einen Speer zu Fall zu bringen, dass mächtige Ross strauchelte, als der Speer zwischen seine Beine fiel. Der Ritter sprang aus seinem Sattel und rollte sich ab, während sich sein Pferd unbeschadte erhob und davon rannte. Der mächtige Schild des Rtters fiel krachend zur Seite. Darauf hatten die Orks gewartet. Mehr als zehn der gerüsteten Gestalten fielen über den Ritter her, der sich ihnen entgegenstellte, das Schwert in beidhändigem Griff.
Der erste Ork sprang den Ritter brüllend an, sein Brüllen ging jedoch in einem Gurgeln über, als ein schneller Hieb des Langschwerts seinen Hals öffnete und eine Fontäne aus widerlichem Orkblut heraussprudelte. Das Schwert fuhr in einem blitzenden Bogen herum und parierte die Axt einer weiteren Grünhaut. Der Ritter schlug mit seiner gepanzerten Faust in das Gesicht seines Angreifers, der mit gebrochener Nase zurücktaumelte. Bevor sich dieser fangen konnten, drang das Schwert des Ritters in einem Abwärtshieb tief in die Schulter seines Gegners ein. Zwei weitere Orks wurden Opfer ihre ungestümen Attacken, die an der Abwehr des Ritters ein jähes Ende fanden.
Die Orks umkreisten den Ritter, änderten ihre Strategie. Ein riesiger Orkbulle, mehr als zweihundertfünfzig Pfund schwer und fast genauso groß wie sein Kontrahent, sprang brüllend auf den Ritter zu. Beim Anblick der muskelbepackten Arme, die jede eine gewaltige Streitaxt hielten, wurde Bertrand mulmig zu Mute. Doch dann geschah das wahre Wunder. In einer Reihe von Angriffen und Paraden, die so schnell waren, dass sie Bertrand nicht vollständig erfassen konnte, schien der Ritter zu wachsen. Zuerst war sich Bertrand nicht sicher, ob ihm seine Augen nicht einen Streich spielten. Doch mit jeder Sekunde, die der Kampf andauerte, schien die Gestalt des Ritters zu wachsen. War er schon vorher hünenhaft gewesen, so erreichte am Ende des Zweikampfes der Ritter dieselbe Größe wie der Orkbulle. Auch die Grünhäute schienen dies zu bemerken. Bertrand glaubte, Anzeichen von ungläubiger Angst in ihren kleinen, roten Augen wahrzunehmen. Selbst der Orkbulle realisierte die Veränderung. Seine Schläge wurden immer verzweifelter. Ein schneller Hieb des Langschwertes machte der verzweifelten Gegenwehr schließlich ein Ende.
Trotz ihrer Furcht griffen die Orks an, als ihr Anführer zu Boden sank. Bertrand suchte und fand das Schwert und eilte dem Ritter zu Hilfe. Dieser schien nun alle an Größe zu überragen. Sein Schwert hob und senkte sich. Jedes Mal fiel eine Gestalt zu Boden und stand nicht mehr auf. Bertrand erreichte das Gemenge und schlug mit aller Kraft zu. Der schlecht gezielte Hieb fand glücklicherweise eine Lücke in der groben Panzerung des Orks und trat in dessen Schulterblatt ein. Der Ork fiel quiekend zu Boden und hauchte sein Leben aus. Der Ritter blickte Bertrand kurz an. Zwei dunkle Augenschlitze in einem Helm. Dann drehte sich der Ritter um und begegnete einem weiteren Angriff einer Grünhaut. Bertrand stellte sich schützend hinter den Rücken des Ritters, bereit alle Angriffe abzuwehren. Es waren nicht mehr viele.
Ermutigt von dem Beispiel des Ritters hatten die bretonischen Bogenschützen wieder Mut gefasst. Das und der Umstand, dass endlich Verstärkung ankam, beendete den Kampf relativ schnell. Die letzten Orks fanden ihr Ende unter den Hufen der herbeieilenden Ritter. Der Ritter drehte sich Bertrand zu, auf sein Schwert gestützt.
„Gut gemacht“, tönte es aus dem Helm. „Wie ist dein Name?“
„Bertrand, Herr“, erwiderte Bertrand pflichtgemäß. Bei näherer Betrachtung schien der Ritter doch nicht so riesenhaft, wie er zuvor gedacht hatte. Zwar war er immer noch der größte Mann, den Bertrand gesehen hatte, doch war er nur eineinhalb Köpfe größer als er selbst. Zuvor hatte es den Anschein gehabt, als wäre der Ritter mehr als drei Köpfe größer als Bertrand.
„Ich denke, da will jemand sein Schwert zurück“, sagte der Ritter leicht belustigt und zeigte mit seiner Gepanzerten Faust hinter Bertrands Rücken. Bertrand sah sich um und erblickte den jungen Ritter, der humpelnd näher kam. Bertrand sah den Ausdruck von Verärgerung auf dem Gesicht des jungen Mannes als er sein Schwert in den Händen eines Bauern erblickte. Der junge Ritter entriss ihm das Schwert und hielt es in beiden Händen, als müsste es getröstet werden. Bertrand erwiderte nichts, er hatte andere Sorgen. Ihm war eingefallen, dass er seinen Onkel Jean seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte. Voller Sorge machte er sich auf die Suche. So registrierte er die Szenerie kaum, die sich hinter ihm abspielte.
Der junge Ritter ging mühsam auf die Knie und bot sein Schwert mit dem Knauf dem mysteriösen Ritter, während er feierlich einen Eid ablegte. Der Ritter nahm das Heft des dargebotenen Schwertes und setzte seinen Helm ab. Die Sonne, die sich nun endgültig gegen die Wolken durchsetzte, fiel auf kurz geschnittene dunkelblonde Haare und einen ebensolchen Vollbart, der ein kantiges Gesicht einrahmte. Jerome de Montforts Aufmerksamkeit galt weniger dem vor ihm knienden jungen Ritter, als vielmehr dem ebenso jungen bretonischen Bauern, der in so tapferer Weise an seiner Seite gefochten hatte. Seine dunklen Augen folgten dem Bauern, der sich rasch von ihm entfernte. In Gedanken versunken grübelte der Schwertträger des Herzogtums Montfort über diesen bewundernswerten jungen Mann und Pläne nahmen in seinem Kopf Gestalt an.
 
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1.5 Der Rückmarsch

Die bretonische Armee lies das Tal in Flammen aufgehen. Als sich der lange Zug von Männern wieder auf den Heimweg machte, loderten an unzähligen Stellen immer noch gewaltige Feuersäulen in den Himmel empor. Es war ein schrecklicher und schöner Anblick zugleich, das Inferno belEuchtete den Himmel und vermischte sich mit den Farben der untergehenden Sonne. Noch lange, nachdem die Sonne untergegangen war, diente der helle Schein im Rücken als Lichtquelle. Die Soldaten entzündeten Fackeln und marschierten in die Dunkelheit der Nacht weiter, wo Morrslieb und Mannslieb, die beiden Monde, einen dürftigen Schein auf die Erde warfen. Doch die Bretonen marschierten weiter. Herzog Folcard hatte eindeutige Befehle erteilt. Er wollte keinen Moment länger als notwendig im Orkland verbringen. Sie hatten zwar einen großen Sieg errungen, aber der Herzog wusste aus bitterer Erfahrung, dass dort, wo ein Ork war, zwei andere nicht weit entfernt waren. Die Nacht war das Element der Orks und ihrer kleinen Vettern, der Goblins. Ungeachtet der Strapazen und Risiken ging die bretonische Armee weiter bis sie im Basislager ankam. Eine Stunde nach Mitternacht erreichte das Gros der Armee das Lager. Müde, ausgelaugte Krieger ließen sich auf an den Feuern nieder, die vom zurückgebliebenen Tross vorsorglich geschürt worden waren und nahmen dankbar die angebotenen Stärkung an.
Leise, fast zaghaft begannen an einem der Feuer die Männer zu reden. Dann konnte man das erste Gelächter hören. Schließlich kippte die Stimmung und die Männer freuten sich offen über die Tatsache, noch am Leben zu sein. Schon bald konnte man Musik hören und Männer die sangen oder es zumindest versuchten. Lachen und Musik wischten die Anspannung weg und ließen die Überlebenden das Erlebte vergessen. Zumindest für den heutigen Tag. Wein und Fleisch wurden wieder an die Männer ausgegeben. Und im Gegensatz zum gestrigen Tag wurde die Gabe dieses Mal freudig begrüßt. Die Hochrufe auf das Wohl des Herzogs hallten durch das ganze Lager.
Der erste Trunk galt den Gefallenen, um sie zu ehren. Vierhundertachtundzwanzig Bauern, achtundneunzig Landsknechte und zweiundzwanzig Ritter, einundzwanzig davon junge fahrende Ritter. Und, von seinen Männern tief betrauert, Sir Hugo de Vailos, Graf von Bitrèaux. Ein gerechter Herrscher und Ritter, der seinem Stand zu Ehre gereichte. Der Hauptmann seiner Landsknechte hatte ihm am Schlachtfeld gefunden. Die Brust gespickt mit schwarz gefiederten Pfeilen der Goblins. Die Zahl der Verwundeten überstieg die der Toten um das Doppelte. Viele davon würden die heutige Nacht nicht überleben. Welche Laune des Schicksals war es, die den Einen sterben lies, während sein nächster Nachbar die Schlacht überlebte? War es Zufall oder Fügung?
Diese Gedanken gingen Bertrand durch den Kopf, als er am selben Feuer saß, wie am Tag zuvor. Neben ihm, und dafür dankte er der Herrin des Sees saß sein Onkel. Nur eine Stirnwunde, die von einem Verband bedeckt wurde zeigte, in welcher Gefahr sich sein Onkel noch vor wenigen Stunden befunden hatte. Sie hatten viele gute Männer beim Angriff der Wildschweinreiter verloren. Bertrand hatte viele sterben sehen und er war sich nicht sicher, ob er diesen Anblick jemals vergessen könnte. Die ganze Zeit während des Anmarsches hatte er sich versucht, die Schlacht vorzustellen. Die Realität hatte ihn wie ein Schmiedehammer getroffen und ihn gelähmt angesichts ihrer schieren Brutalität. Der Geruch und Geschmack von Blut und Fleisch, die Schreie der verwundeten Tiere und Menschen. Die schiere Rohheit des Nahkampfs Mann gegen Ork. All das waren Eindrücke, die seine Vorstellungskraft bei weitem überstiegen. Bertrand kam sich betrogen vor. Jahrelang war er in dem Glauben aufgewachsen, dass der Krieg eine heldenhafte Angelegenheit war. Sie hatten als Kind immer Ritter und Drache gespielt. Die heroische Bezwingung der Bestie. Heute war er etwas weniger gefährlicherem als einem Drachen begegnet, und das Ergebnis war dennoch erschütternd. All die Lieder der Troubadoure waren eine Verharmlosung und Schönfärbung dessen, das Bertrand am Schlachtfeld gesehen hatte. Krieg führte dazu, dass zwei Armeen hasserfüllt aufeinander prallten, bis eine davon nicht mehr existierte.
Er wunderte sich darüber, wie friedvoll die Männer am Feuer saßen, die noch vor wenigen Stunden mit aller Kraft und Hass getötet hatten. Und wie sie den Fleischgeruch ertrugen. Noch vor wenigen Stunden hatten sie die getöteten Orks zu riesigen Bergen aufgetürmt und dann angezündet. Es gab nicht grauenerregendes, als den Geruch von verbranntem Fleisch. Und dennoch, und das war das widersprüchlichste in Bertrand innerem Disput, konnte er seine Kameraden verstehen. Er hasste die Grünhäute mit ganzer Kraft. Er hasste sie dafür, dass sie ihn zu kämpfen gezwungen hatten.
Am Feuer stand der alte Pierre und schwang wieder eine seiner großen Reden. Darüber, dass er als Erster den Sieg hatte kommen sehen. Nachdem ihn Lucien bewusstlos geschlagen hatte, war er ohne eine weitere Schramme davongekommen. Die Orks hatten sich um den am Boden liegenden alten Narren nicht weiter gekümmert. Offenbar überlebten im Krieg nur die Feigen, während die Mutigen starben. Der alte Pierre redete in einer Tour, doch keiner schien ihm zuzuhören. Offenbar gab es wenigsten einen Hauch von Gerechtigkeit, befand Bertrand.
Sein Blick wanderte über das Feuer und blieb bei einer kuriosen Szenerie hängen. Ihm gegenüber saß Lucien, den Arm in einer Schlinge und einen Verband über den Bauch gewickelt mit mehreren Bauern. Der feindselige Lucien war in einer ausgelassenen Stimmung. Er lies sich Wein einschenken und prostete jedermann. Sein Lachen übertönte alle anderen mit denen er zur Musik schaukelte.
„Was ist den mit dem los?“, wollte Bertrand von seinem Onkel wissen.
„Das weißt du noch gar nicht. Diese Männer sind Lucien zu Hilfe gekommen, als ihn die zwei Orks bedrängt haben. Offenbar hat Lucien seine Meinung über die dummen Bauernschädel geändert.“
„Ob man das glauben soll?“, zweifelte Bertrand. Jean blickte seinem Neffen direkt in die Augen. Da war er wieder, der ehrliche, väterliche Blick.
„Mein Junge. Jeder, der dem Tod ins Auge geblickt hat, ist danach ein anderen Mann.“
Jean lies es bei dieser Lebensweisheit und nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher. Bertrand folgte dem Beispiel. Er spürte, wie der kühle, köstliche Saft der feinen bretonischen Weintrauben seine Kehle hinab rannte. Die Wandlung Luciens war ein kleines Wunder. Du er hatte an diesem Tag viele Dinge gesehen. Wie so oft seit der Schlacht, erinnerte sich Bertrand an den mysteriösen Ritter. War er wirklich während der Schlacht gewachsen? Hatten ihm seine Augen einen Streich gespielt? Bertrand wusste sich darauf keinen Reim zu machen. Ein Mensch, der so groß wie ein riesiger Ork war? Unmöglich! Bertrand hatte einmal in der Dorftaverne Geschichten über Riesen gehört, die in fernen Länder im Osten gewohnt hatten und deren Reich durch einen Meteoriteneinschlag zerstört worden war. Aber das waren unglaubliche Geschichten. Zwerge, ja, Elfen, ja, die gab es. Einige wohnten sogar im geheimnisvollen Wald von Loren. Doch Bertrand hatte bis jetzt weder Elfen noch Zwerge gesehen. Besagter Wald lag weit im Süden und Bertrand war bisher noch nie aus dem Herzogtum Montfort hinaus gekommen.
Die legendären, geheimnisumwitterten Königreiche der Zwerge lagen noch weiter entfernt. So weit, dass sich Bertrand die Reise dorthin nicht vorstellen konnte. Wo diese ominösen Riesen jetzt lebten hatte nicht einmal der weishaarige Imperiumsmann berichten können. Wahrscheinlich hatte sich der Mann einen Spaß aus Bertrands Unkenntnis gemacht und ihm einen Bären aufgebunden. Bertrand hatte schon als kleines Kind gerne Geschichten von fernen Ländern gehört. Bertrand kannte die Geschichten von den plündernden Chaosbarbaren, die weit oben im Norden wohnten. Von den Nordmännern, die mit ihren Langschiffen die Küsten heimsuchten. Die Tiermenschen, die in den dunklen Wäldern hausten und dort ihren nicht weniger dunklen Göttern huldigten. Er hatte jede Geschichte über Elfen und Zwerge in sich aufgesogen. Auch jeden Bericht über das Imperium, den östlichen Nachbarn Bretonias. Von den südlichen Nachbarn Estalia und Tilea kannte er dagegen wenig mehr als deren Name.
Wein und Fleisch zeigten schlussendlich ihre Wirkung. Ein gut gesättigter Magen lies Bertrand müde werden. Zufrieden schlief Bertrand schließlich ein und träumte immer noch von Abenteuern in fernen Ländern, während die Männer am Feuer immer noch sangen und lachten. Bertrand konnte sich nicht im Traum vorstellen, wie bald seine imaginären Abenteuer Wirklichkeit werden sollten.
 
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Juhu, mehr stoff :geil:

Gut dann will ich gleich mal den kritiker aus mir herraus holen.
Zum ersten und größten teil: Die gnadenlose macht der schweren Kavallerie was? 😉
Zum zweiten: Also die Wilschweinreiter kommen herran und anstatt das die Bogenschützen noch schnell eine Salve auf den Gegner niederprasseln lassen um wenigstens die feinde auszudünen nehmen sie gleich die Lanzen zu hand und warten? Ist für mich einfach etwas unschlüssig:huh:
ansonsten kommt alles gut rüber, auch das ein paar versuchen zu fliehen.
bei der Totenzahl bin ich durcheinander gekommen. Viehundert Bauern die rein im Fernkampf sind werden von den fünzig Wilschweinreitern niedergeritten und gemetzelt, aber die ansich im Nahkampf befindlichen Landsknechte verlieren nur knapp ein hundert?
Zum dritten teil: Der Fahrende Ritter ist sicherlich odentlich angepisst auf den jungen bauernheld 🙂

Fazit: Eine ordentlich gute Geschichte die ich sehr gelungen finde 😀
 
Servus!
Danke für die Kritik. Vielleicht sind mir einige Fehler unterlaufen, ich habe nur leider niemanden, der das Ganze Korrektur liest.
Ich habe mich an die wesentliche Taktik des Mittelalters gehalten. Das Fußvolk hält die Kampflinie, und der Adel fällt dem Gegner in die Flanke.
Vielleicht hätten die Bogenschützen noch eine Salve abgeben können. Aber ich hatte eine Einheit Bauern im Sinn, nicht alle, und wollte auch einen dramatischen Moment erzeugen, wo man auf einen Angriff warten muss, und nichts dagegen tun kann.
Die Opferzahlen sollten nur verdeutlichen, wer das eigentliche Opfer in einer Schlacht zu erbringen hat.
 
1.6 Das Turnier

A
m nächsten Morgen hatte der Wind seine Richtung gewechselt. Eine frische Brise kam von den schneebedeckten Gipfeln der Grauberge. Die Sonne schien, die Wolkendecke war verschwunden, es sprach alles für einen angenehmen Tag. Das Wetter schien wie bestellt für die Zeremonie, die der Herzog abzuhalten gedachte. Das große Versammlungsfeld war dafür vorbereitet worden. Seit den ersten Morgenstunden waren die Knechte des Trosses mit dem Aufbau der Tribüne beschäftigt. Das geschäftige Pochen der Hämmer hallte durch das bretonische Heerlager und weckte selbst die größten Langschläfer. Bertrand hatte einige Zeit damit verbracht den Männern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Alle Männer, die am gestrigen Kampf teilgenommen hatten, waren für heute von jeglichem Dienst entbunden. Denn heute wurde gefeiert.
Die Knechte kamen mit dem Aufbau gut voran. Erfahrung und Routine ließ sie schnell das Gerüst der Tribüne zurechtzimmern. Vorgefertigte Stämme wurden ineinander gelegt, und mit großen Bolzen verbunden. Innerhalb einer Stunde stand die Tribüne, auf denen später der Herzog und seine Ehrengäste Platz nehmen würden. Andere Arbeiter steckten das Feld zum Tjosten ab. Sie markierten die Spuren und errichteten zwischen den beiden Spuren einen hüfthohen Zaun, der die Kontrahenten voneinander trennen sollte. Außerdem errichteten sie kleine Arenen, in denen Schwertkämpfe stattfinden würden. Bertrand konzentrierte sich jedoch auf ein längliches Feld das direkt neben dem Tjost-Feld errichtet wurde. Dort würden die Bogenschützen eine Probe ihres Geschicks ablegen. Auch Bertrand hatte sich für diesen Bewerb gemeldet, wie sein Onkel und einige Männer seines Dorfes.
Schließlich hatte sich Bertrand satt gesehen am Anblick der arbeitenden Trossknechte und schlenderte zurück zum Lager. Dort angekommen setzte er sich neben seinen Onkel und begann damit, seine Ausrüstung für die bevorstehenden Wettkämpfe zu inspizieren.
„Nein, nimm nicht diesen Pfeil!“, sagte sein Onkel. Bertrand ließ den Pfeil sinken, den er gerade prüfend vor sein Gesicht gehalten hatte.
„Warum nicht Onkel?“
Jean nahm den Pfeil aus Bertrands Händen und fuhr sorgfältig mit seiner Hand entlang des Pfeilschafts. Mit dem Blick eines Kenners fand er den Fehler sofort.
„Siehst du diese kleine Unebenheit im Schaft?“
„Ja, was ist damit?“
„Er sorgt für eine Luftverwirbelung, die den Pfeil von seinem Ziel ablenkt.“ Er nahm einen Pfeil aus seinem eigenen Köcher, und gab ihm seinen Neffen. „Nimm lieber diesen.“
Bertrand betrachtete den Pfeil. Der gerade Schaft, die stählerne Spitze und die perfekt angeordneten Federkiele. Es war ein vollkommener Pfeil. Es war offensichtlich, dass ihm sein Onkel seinen besten Pfeil gegeben hatte.
„Wie weit wirst du kommen?“, fragte Bertrand seinen Onkel, der sich wieder der Inspektion seiner eigenen Pfeile widmete. Als sein Onkel nicht antwortete, fragte ihn Bertrand noch einmal dieselbe Frage.
Jean zog die Luft durch seine Zähne, bevor er nach einer kurzen Pause antwortete.
„Wenn die Herrin mir gesonnen ist, komme ich vielleicht in die zweite Runde. Und wer weiß?,“ und dabei zwinkerte Jean Bertrand zu. „ Von da an, ist mit etwas Glück alles möglich.“
„Nur die zweite Runde!“, stieß Bertrand ungläubig hervor. „Aber du bist doch der beste Bogenschütze den ich kenne. In unserem Dorf gibt es keinen, der sich mit dir messen kann!“
Jean legte freundlich seinen Arm um Bertrand. „Das stimmt“, lachte er. „Aber hier sind die besten Schützen des Herzogtums versammelt. Warte einmal ab, bis du Brendel gesehen hast! Er ist der oberste Jäger des Herzogs. Es heißt, das während einer Jagd noch nie einer seiner Pfeile ihr Ziel verfehlt hat. Oder Jacques Scharfauge aus Cherannè. Er hat die Augen eines Kriegsfalken aus dem Athel Loren. Nein, ein Sieg gegen solche Konkurrenten wäre ein kleines Wunder.“ Und dabei knuffte er Bertrand spielerisch in die Seite. Bertrand ging darauf ein und bald rauften sie spielerisch im Gras bis sie lachend und außer Atem ihren eigenen Wettkampf beendeten. Die anderen Männer hatten das Ganze amüsiert beobachtet und dabei mit Wehmut an ihre eigenen Familien gedacht, die sie in ihrer Heimat zurückgelassen hatten. Doch sie fanden Trost darin, dass sie noch am nächsten Tag die Heimreise antreten würden. Aber heute nicht, denn heute wurde gefeiert!
Herzog Folcard hatte mit einem langwierigen Feldzug gerechnet. Als ihm sein Zauberer Volker Rainheim seine beunruhigende Vision über die Grünhäute mitgeteilt hatte. Rainheim hatte die Anzahl der feindlichen Orks und Goblins nicht in Zahlen fassen können. Vorausplanend wie Herzog Folcard war, hatte er daraufhin eine Sondersteuer erlassen, um große Vorräte anzulegen. Folcard hatte nicht auf die Beschwerden der Bauernvertreter gehört, die einwarfen, dass sie kaum die regulären Steuern bezahlen konnten. Auch manche Adelige hatte in der großen Ratsversammlung eingeworfen, dass dieser Schritt zu hart wäre, und dem Volk unnötig harte Bürden auferlegen würde. Im Herzen hatte Folcard zugestimmt. Herzog Folcard war nicht wie andere Adelige, die in den Bauern nur eine Einkommensquelle sahen. Er glaubte mit ganzen Herzen an die Aufgabenverteilung in Bretonia. Die Bauern bestellten die Felder und ernteten, die Ritter trainierten und verteidigten das Land gegen jedweden Feind. Der Eine konnte ohne den Anderen nicht bestehen. Als Herzog in einem Grenzfürstentum mit Sitz am Axtschartenpass wurde einem diese Tatsache häufig vor Augen geführt.
Doch Folcard hatte seinem Volk diese Belastung zugemutet. Die Alternative wäre der sichere Tod durch die Orks gewesen, die alles geplündert und vernichtet hätte auf einem ihrer Waaghs, das Wort in der Ork-Sprache für ihre Feldzüge. Doch nun stand der Herzog aufgrund des schnellen Sieges vor einem angenehmen Problem. Sie hatten Proviant im Übermaß. Folcard verwarf den Einwurf einiger Ratgeber, wie Baron Grame Zwergenfreund, diese Vorräte an Händler zu verkaufen, und so die herzogliche Schatzkasse zu füllen. Er wusste, wem diese Vorräte zustanden, wer sie sich verdient hatte.
Das große Fest übertraf das abendliche Gelage bei weitem. Dem Heereszug waren Artisten gefolgt, Schausteller und Künstler in ihren farbenfrohen Kostümen. Nun bot sich die Gelegenheit, eine Probe ihre Fertigkeiten abzuliefern. Die Soldaten drängten sich um die Gaukler und Tänzer. Eine Truppe hatte sogar einen kislevtischen Tanzbären. Staunend betrachteten die Bretonen die riesige zahme Bestie, die auf ihren Hinterbeinen stehend, sich zum Takt der Musik bewegte. Feuerschlucker prusteten riesige Feuersäulen in den Himmel und ernteten dafür Applaus. Jongleure zeigten ihre Leistungen, indem sie Bälle, Schwerter, und sogar Fackeln durch die Luft wirbelten. Grill der Tänzer zeigten seinen Tanz mit verbundenen Augen durch eine Reihe rohe Eier, wobei er kein einziges der zerbrechlichen Eier dabei berührte, geschweige denn beschädigte. Tosender Applaus krönte seine Leistung, wobei er sich virtuos verbeugte und von neuem ansetzte, da sich andere Neugierige herandrängten.
Die Anderen suchten einen der weiteren Stände auf. Die Herrin vom See schien dem Fest gewogen zu sein. Eine warme Sonne schien auf sie herab. In der Ferne glitzerten die schneebedeckten Gipfel der Grauberge im Sonnenlicht und eine angenehme Brise ließ die zahlreichen bunten Fahnen und Wimpeln um die Wette flattern. Der Geruch von frisch gebratenem Fleisch und Wein lag in der Luft. Überall waren Feuer, wo sogar halbe Ochsen am Spies zubereitet wurden. Jedermann konnte sich soviel nehmen, wie er wollte. An den Ständen, wo Ale und Wein ausgeteilt wurden, drängten sich so viele Männer, dass die Diener kaum mit dem Ausschenken nachkamen. Der Herzog hatte sogar noch eine zusätzliche Überraschung vorbereiten lassen. Der Tribut der Bauern aus den westlichen Dörfern hatte unter anderem auch im Honig ihrer berühmten Bienen bestanden. Die ganze Nacht hindurch hatte der Leibkoch des Herzogs mit seinem emsigen Gefolge gebacken. Und so wurden den Soldaten eingezogenen Bauern ein seltener Luxus zuteil: Honigkuchen. Mehr als einer verdarb sich mit der ungewohnten Süßigkeit den Magen.
Bertrand hatte nur eines der kleinen Küchlein probiert, dazu einen Becher Met, bevor er sich vom Strom der herumwandernden Männer hatte mitreißen lassen. Gelächter und Musik lagen in der Luft. Doch der klang der silbernen Fanfaren übertönte sie mühelos. Die berittenen Herolde verkündeten, dass die Spiele zur Feier der Siege nun beginnen würden. Wie auf Befehl drängten die Männer zum Feld, auch Bertrand der sich inzwischen eine herrlich duftende Gänsekeule organisiert hatte.
Viertausend Männer drängten sich um das Feld, auf der anderen Seite befand sich die errichtete, mit einer Plane überdachten, Tribüne mit dem Herzog und seinem Gefolge. Bertrand sah die Wappen, die Namen und Herkunft der Adeligen verriet. Jeder, der Rang und Nahmen hatte, war versammelt. Herzog Folcard, Baron Rumpert, Graf Childeric, Sir Graeme Zwergenfreund, Sir Elgar, und Sir Wilguric, Sohn des Herzogs. Nur Sir Beldane, Sohne und Erbe des Herzogs, war als Stellvertreter im herzoglichen Schloss geblieben. Auch das Wappen des Seneschalls, Claude de Sanguine, konnte Bertrand erblicken. Und ein Wappen, bei dessen Anblick Bertrand der Atem stockte. Es war das Wappen des mysteriösen Ritters, der Bertrand das Leben gerettet hatte. Bertrand konnte jedoch aufgrund der Entfernung nicht das Gesicht des Ritters erblicken, der außerdem eine Reihe hinter dem Herzog Platz nahm.
Dann begann der feierliche Einmarsch. Hinter einer Reihe von berittenen Fanfarenspielern begann der Einmarsch der Aspiranten. Bertrand konnte sogar den eitlen Geck sehen, dem er in der Schlacht das Leben gerettet hatte. Er erkannte das Wappen wieder. Der schwarze Wachturm auf lindgrünem Hintergrund auf dem weißen Wappenrock. Wie jeder andere Anwärter auf die Ritterschaft war auch er in weiß gekleidet, ein Zeichen das er noch ein Bewerber war, und unbehelmt. Für einen kurzen Moment glaubte Bertrand, dass sich ihre Blicke kreuzten und ihn der junge Anwärter erkannte, während der Zug der zu Fuß gehenden jungen Adeligen seinen Platz passierte. Doch wenn dem so war, so ließ es sich der junge Adelige nicht anmerken. Die Fanfaren erklangen hell und endeten mit einem letzten Signal, als die Prozession schließlich vor der Tribüne eine Formation einnahm. Herzog Folcard erhob sich von seinem Sitz und sein Gefolge tat es ihm gleich. Das leise Gemurmel unter den Zusehern verstummte als der Herzog zu einer kurzen Ansprache ansetzte. Bertrand konnte sich später nicht mehr an die Worte erinnern, da sein Blick wie magisch vom mysteriösen Ritter angezogen wurde. Doch obwohl er sich scharfer Augen rühmte, konnte er das Gesicht des Ritters nicht erkennen, das im Schatten des Baldachins verborgen blieb. Nur beiläufig registrierte Bertrand, wie der Herzog seine Rede beendete und der Abt vom Orden des Grals vortrat um ein Dankgebet an die Herrin vom See zu sprechen. Wie ein Mann ging jeder Mann im bretonischen Heer auf die Knie, vom Herzog bis zum einfachsten Bauern.
Während die ehrfürchtigen Wortes des Abts über den Platz hallten und ein Chor sie wiederholte, kreisten Bertrand Gedanken um die Erlebnisse des gestrigen Tages. Erst das Ende des Gebets riss ihn aus seinem Grübeln. Mit einigem Interesse verfolgte Bertrand nun den Rest der Zeremonie.
Am Turnierfeld begann nun die feierliche Einsetzung der Aspiranten in den Ritterstand. Knappen in der herzoglichen Livree verteilten unter den jungen Adeligen, die immer noch knieten, reich verzierte Pergamente, auf denen das Rittergelübde stand. Bertrand traute seinen Augen kaum, als ausgerechnet der eilte Geck zu den Stufen der Tribüne zitiert wurde, um das Gelübde laut zu verlesen. In der jugendlichen Stimme war sowohl Stolz als auch ein Hauch Nervosität als der junge Adelige den Schwur vorlas:
„Wenn der Fanfare Ruf erklinget,
Reite ich hinaus und kämpfe für die Herrin und Lehnsherr.
Solange Atem ich noch hole, das Land vererbet mir
Wird bleiben unberühret von jeglich Übel.
Ehre ist alles, Ritterlichkeit ist alles.“

Ein Chor junger Stimmen wiederholte feierlich das Gelübde. Ob jemand von ihnen an die einundzwanzig Altersgenossen dachte, die am gestrigen Tag gefallen waren? Bertrand musste an das Gelübde denken, dass ihnen bei jeder Versammlung vorgelesen wurde. Es nannte sich des Bauern Pflicht:
„Du sollst geben Deinem glorreichen Lehnsherr,
an etwas es ihm Noth tuet.
Du sollst arbeiten einen jeden Tag, es sei denn, er sein ein Festtag.
Und nicht mehr denn den zehnten Teil,
behalte zurück für Haus und Hof.
Frohlocke! Denn ein Ritter Bretonias ist dein Schild.“

Für einen kurzen Moment stieg Wut in Bertrand hoch. Wie viele solcher eitlen Pfaue, wie dieses junge Milchgesicht von einem Adeligen, dessen Leben er ohne die geringste Danksagung gerettet hatte, musste er noch ertragen? In seinem Gelübde stand nichts davon, den Großteil der eigenen Arbeit an einen anderen abzugeben! Doch dies war die Ordnung der Dinge, wie seine Mutter immer zu sagen pflegte. Immerhin stimmte auch die Rechnung nicht ganz. Denn im harten Grenzgebiet waren es nur acht von zehn Teilen, die man an den Lehnsherrn abliefern musste. Immerhin! Obwohl sich auch das relativiert hatte, als die Sondersteuer des Herzogs eingefordert worden war.
Auf dem Feld hatte inzwischen der Herzog jeden der jungen Adeligen mit dem Ritterschlag in den Stand eines Ritters des Königs erhoben, die unter tosenden Applaus der Zuseher als vollwertige Mitglieder der Ritterschaft aufstanden. Sie waren nun fahrende Ritter. Wenn sie ein Leben gemäß ihres Eides und Kodex führten, würden sie sich Ruhm und Ehre verdienen, und ihr Zeichen würde man in allen Ländern Bretonias erkennen! Es war dieser Wunsch, der die frisch geweihten Ritter erfüllte. Eines Tages vielleicht sogar ein Ritter des Königs zu werden, sich auf die Suche nach dem heiligen Gral zu begeben als Questritter und nach unseligen Mühen als würdig befunden, und von der Herrin zum Gralsritter erwählt zu werden. Ein Weg, der Bertrand verwehrt blieben würde.
Nach dem Ende der Zeremonie begann das eigentliche Turnier. Die jungen Ritter eilten zu ihren Zelten am westlichen Ende des Turnierfeldes, um sich für die Schaukämpfe zu wappnen. Der erste Durchgang war alleine den Aspiranten beschieden. Die erfahrenen Kämpen würden erst später in das Turnier einsteigen. Herolde entrollten Listen, wo sie die adeligen Stammbäume der Kämpfer vorlasen. Die meisten waren Adelige aus dem Herzogtum Montfort und dem benachbarten Parravon. Doch auch Anwärter aus Gisoreux, Bastonne, oder dem entfernten Artois waren vertreten. Jeweils zwei Teilnehmer nahmen ihre Position an den Enden des Tjost-Feldes ein. Mit der Miene von Kenner beobachtete das Publikum den ersten Durchgang des Turniers und die Kombattanten, taxierten ihre Fähigkeiten, und wetteten unter der Hand auf den Ausgang des Wettbewerbes. Die Teilnehmer lieferten ein prächtiges Bild. Wie sie ihren Körper vor dem Start anspannten, den rechten Arm mit der eingelegten Lanze zum entscheidenden Stoss angehoben. Die Zügel locker in der linken Schildhand, da die klugen Streitrösser darauf trainiert waren, die Bahn zu halten. Den Schild im perfekten Winkel, nicht zu flach, sodass er der gegnerischen Lanze ein Ziel bot, und dennoch stark genug, um einen etwaigen Treffer von den sensiblen Zonen der Rüstung und des Helmes abzulenken. Ein herrliches Bild boten die Turnierkämpfer, wenn der Herold mit dem silbernen Klang seiner Fanfare das Signal gegeben hatte, und sie die Sporen in die Flanken ihrer gewaltigen Streitrösser trieben um ihren Gegner aus dem Sattel zu werfen. Die Menge hielt wie gebahnt den Atem an, wenn die beiden Kontrahenten aufeinander zu stieben, wobei die Hufe ihre Rösser Erdklumpen aufschleuderten. Die Reiter wurden schneller, bis sie mit unwiderstehlicher Kraft aufeinander trafen, einer Naturgewalt gleich. Ein ohrenbetäubendes Krachen war die Folge, wobei meist einer der beiden aus dem Sattel gehoben wurde. Lanzen zersplitterten, Schilde und Helme verbeulten, und mehr als einer der geschlagenen Teilnehmer musste mit einer Bahre vom Feld getragen wurden. Jeder Abwurf lies die Menge jubeln. Die gerade erst zu Rittern geschlagenen Teilnehmer waren mit Feuereifer bestrebt, sich vor der versammelten Armee und den Augen des Herzogs zu präsentieren, sie ließen keinerlei Zurückhaltung erkennen. Es war ihre Chance, sich Ruhm und Ehre zu erwerben. Die Menge war guter Stimmung. Der erste Durchgang hatte bis jetzt mehr gehalten, als er versprochen hatte. Jeder kleinste Fehler der unerfahrenen Teilnehmer wurde von den Kontrahenten ausgenützt. So mancher Traum von einer persönlichen Auszeichnung des Herzogs als Turniersieger endete jäh blauen Flecken auf dem weichen Turnierboden, was die Stimmung der Zuseher im Gegenteil jedoch keinen Abbruch tat. Zahlreiche Ausfälle lies die Menge auf ihre Kosten kommen.
Bertrands Aufmerksamkeit galt dem frischgebackenen Ritter, mit dem schwarzen Wachturm als Wappen. In seinem ersten Durchgang hielt er den Schild zu niedrig, weshalb ihn der Stoß seines Gegners fast aus dem Sattel geworfen hätte. Die eigene Lanze verfehlte den Gegner völlig. Die Menge hielt den Atem an, doch irgendwie schafft es der junge Ritter, sich im Sattel zu halten. Nachdem sich sein Gegner eine neue Lanze besorgt hatte, kam es zum zweiten Versuch. Mit donnernden Hufen ritten die beiden aufeinander zu. Dieses Mal hatte der junge Adelige aus seinem Fehler gelernt. Die Lanze zersplitterte an seinem Schild, seine eigene Lanze fand jedoch einen Weg durch die gegnerische Deckung und hebelte den Konkurrenten aus dem Sattel. Scheppernd fiel dieser zu Boden, und der junge Ritter stolzierte vom Feld unter tosendem Applaus der Menge. Offenbar zeigten die Verletzungen der gestrigen Schlecht keinerlei Auswirkungen bei dem jungen Adeligen, befand Bertrand. Auch sein Verhalten war ganz dasselbe geblieben.
Etliche weitere Durchgänge, etliche leichte Blessuren, mehrere Knochenbrüche und unzählige in ihrem Stolz gekränkte Verlierer später, standen die zehn Gewinner des ersten Durchganges fest. Auch der junge Ritter mit dem schwarzen Wachturm als Wappen war darunter. Unter Applaus der Zuseher wurden ihre Namen von einem Herold verlesen. Und so erfuhr auch Bertrand, wem er das Leben gerettet hatte: Reynald le Durie.
Der silberne Klang der Fanfare des Herolds verkündete der Menge, dass der erste Durchgang zu Ende war. Das Publikum zerstreute sich und eilte wieder zu den Ständen mit den Speisen und Getränken. Einige Männer jedoch, darunter auch der langsam nervös werdende Bertrand, widmeten sich ihrer Ausrüstung. In weniger als einer Viertelstunde begann der Wettbewerb der Bogenschützen. Jean fand seinen Neffen im Schatten eines großen Zeltes, wo er sich in den Rasen gekniet, und Bogen und Pfeile vor sich ausgebreitet hatte. Mehr oder weniger freiwillig lies sich Bertrand von seinem Onkel an der Hand nehmen und zum Feld führen auf dem der Wettbewerb stattfinden sollte, und sich bereits eine beachtliche Anzahl von Teilnehmern eingefunden hatte.
Inzwischen waren auch die Mägen des Publikums wieder gefüllt und die Menge, brandeten an die Umrandung des Feldes heran, begierig keinen Moment des sich anbahnenden Spektakels zu versäumen. Die Trossknechte hatten beim Aufbau ganze Arbeit geleistet. Das für diesen Wettkampf vorgesehene Feld grenzte direkt an das Turnierfeld, auf den noch vor weniger als einer Stunde die jungen Ritter ihr Können zur Schau gestellt hatten. Doch wo dort die Hufe der bretonischen Schlachtrösser die Grasfläche in eine Ackerlandschaft verwandelt hatten, lag hier die Grasnarbe unberührt da und lEuchtete in saftigen Grün. Und es würde auch so bleiben, immerhin würden hier keine schwer gepanzerten Reiter samt Ross in vollem Galopp entlang jagen. Weiß bemalte Steine unterteilten das längliche Feld in Bahnen an deren Ende, in achtzig Fuß Entfernung, große, aufrecht stehende Weidekörbe, mit roten, immer kleiner werdenden Kreisen, als Zielscheiben standen. Jeweils zehn Bahnen gab es auf dem Feld.
Mit seinem Onkel ging Bertrand zu einem Herold, der auf einem Fass saß, und in einem Pergament auf einem behelfsmäßigen Tisch, bestehend aus zwei weiteren Fässern und einem darauf liegenden Brett, Name und Herkunftsort der Teilnehmer eintrug. Bertrand versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, als er dem Herold, auf dessen Wappenrock das herzogliche Wappen prangte, seinen Namen mitteilte: Bertrand von Villaux. Schließlich hatte der Herold alle Namen aufgeschrieben und das obligatorische Fanfarensignal kündigte den Beginn des Bogenschützenturniers an. Der Herold, inzwischen beritten, trabte in die Mitte des Feldes und entrollte feierlich die Liste, Er las feierlich jeden einzelnen Teilnehmer vor, sowie die Gruppe, der er zugeteilt war. Bei den Namen der Favoriten, wie Brendel den herzoglichen Jäger, oder Jacques Scharfauge aus musste er ein Pause einlegen, da er von tosendem Applaus unterbrochen wurde. Eigentlich musste der Herold andauernd Pausen machen, da jedes Dorf seine eigenen Vertreter in einem Anflug von Lokalpatriotismus lauthals unterstützte. Das gemeine Volk grölte, pfiff, und trommelte mit den Handflächen auf den Holzzaun, der als Begrenzung diente, sogar ihre Lehnsherren ließen sich davon anstecken, wenngleich ihre Beifallsbekundung in vornehmer Zurückhaltung nur aus leichten Händeklatschen bestand. Nach Beendigung der Namensliste verkündete der Herold noch das weitere Prozedere. Da es mehr als fünfzig Teilnehmer gab, würde das Turnier mit sechs Grunddurchgängen beginnen, wobei die jeweils besten zwei Wettstreiter einer Gruppe in die nächste Phase aufsteigen würden. Die besten vier Schützen würden schlussendlich das Finale bestreiten, der Sieger würde dann vom Herzog seinen Preis empfangen.
Bertrand hatte Losglück, in seiner Gruppe war keiner der Favoriten. Er musterte seine Konkurrenten. Ein alter Mann mit großen Tränensäcken, ein korpulenter Typ der der Zwillingsbruder vom alten Pierre hätte sein können, drei dutzendgesichtige Bauern mit stumpf drein blickenden Augen, und zwei Söldner, einer klein und stämmig, der andere ein Riese von einem Mann. Beide Söldner waren in ihre dunkelgrüne Ledermontur gekleidet, hatten eine Federkappe auf dem Kopf und ihre Langbögen in der Hand. Sein Onkel war da schon weniger von der Herrin gesegnet. Ausgerechnet Brendel, war in seine Gruppe gelost worden. Dazu kamen noch mehrere junge, kräftige Männer die aussahen, als wüssten sie mit ihren Bögen umzugehen. Bertrand war niedergeschlagen. Er hatte sich für sich selbst keine großen Chancen ausgerechnet, weiterzukommen. Doch er hatte insgeheim gehofft, dass sein Onkel wenigstens das Finale erreichen, und so die Familienehre hochhalten würde. Nun, da einer der Favoriten in derselben Gruppe stand, war seine Hoffnung jäh zerplatzt. Sein Onkel begegnete seinem niedergeschlagenen Blick und blinzelte ihm aufmunternd ihm zu.
„Lass den Kopf nicht hängen, mein Junge“, sagte Jean, der sich an die Seite von Bertrand stellte. Das Turnier hatte schon mit der ersten Gruppe begonnen, Jean war jedoch in der dritten und Bertrand kam sogar als letzter dran. Es war also noch ein wenig Zeit für ein kleines Schwätzchen unter Familienangehörigen.
„Du hast eine schwere Gruppe erwischt. Ausgerechnet Brendel!“, meinte Bertrand niedergeschlagen. Jean knuffte ihn als Antwort spielerisch in die Seite bevor er ihm wirklich antwortete:
„Ich habe dir doch schon vorher gesagt, dass es wirklich schwierig werden kann. Dann muss ich halt Zweitbester werden. Doch du solltest dir nicht darüber den Kopf zerbrechen. Siehst du die Wimpel auf den Zelten?“
„Ja“, antwortete Bertrand. Die angesprochenen Wimpel befanden sich auf den Zelten des Tjost-Feldes, wo sich die Ritter auf ihren eigenen zweiten Durchgang vorbereiteten, seitlich und hinter den Zielscheiben für die Bogenschützen.
„Wenn du zum Schießen dran bist, betrachte sie genau. Sie werden dir Richtung und Stärke des Windes verraten. Halte deine Atmung ruhig und konzentriere dich auf dein Ziel.“ Bei diesen Ratschlägen beließ es Jean, nicht ohne vorher noch Bertrand Frisur zu zerzausen. Dann ging er zu seiner Gruppe wartete auf seinen Auftritt.
Bertrand widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Turnier. Die erste Gruppe hatte ihre fünf Versuche bereits hinter sich gebracht. Erwartungsgemäß hatte Jaques Scharfauge, ein spindeldürrer Mann mit einem breitkrempigen Hut, den Durchgang gewonnen. Dreimal hatte er ins Schwarze getroffen, in diesem Fall ein handbreiter roter Farbkreise, seine zwei weiteren Pfeile waren innerhalb des zweiten Kreises gelandet, was zu großen Jubel bei den Männern aus Cherannè gesorgt hatte. Die anderen Teilnehmer verblassten angesichts dieser Leistung. Zweiter wurde, ebenfalls unter dem Jubel der zahlreichen Bewohner des Marktes Montfort, ein Bauer aus selbigen Ort mit zwei Treffern innerhalb des zweiten, und zwei innerhalb des dritten Kreises. Sogar der Herzog lies sich zu einen anerkennenden Nicken und moderaten Applaus herab, immerhin war der Mann sein Bewohner seines persönlichen Lehens. Bertrand bezweifelte, dass Herzog Folcard, obwohl ein gütiger und gerechter Herrscher, jemals vorher von diesem Glückspilz Notiz genommen hatte. Der zweite Durchgang, ohne einen der großen Favoriten, bot noch schlechtere Ergebnisse als der erste. Mit einem Treffer, mehr Zufall als Können, gewann ein Bauer aus Perpileon mit einem Treffer ins Schwarze und zwei in den vierten Kreis. Anscheinend kamen die meisten Teilnehmer mit den Bedingungen nur schwer zurecht. Bertrand schöpfte wieder ein wenig Mut, der kleine Tipp seines Onkels könnte sich als sehr hilfreich entpuppen. Nach dem, was er bisher gesehen hatte, registrieren nur die Wenigsten, darunter natürlich alle Favoriten, die zusätzliche Informationsquelle durch die im Wind flackernden Wimpel der Zelte. Oder ihre Augen waren nicht scharf genug, um die in hundert Schritt Entfernung befindlichen Fähnchen zu erkennen.
Die Menge wurde langsam unruhig. Sie hatte sich in der Hoffnung versammelt, ein Spektakel zu sehen. Bisher jedoch waren die Leistungen gewöhnungsbedürftig. Inzwischen wurde sogar bei Treffern in den zweiten Kreis lauthals gejubelt. Gruppe Drei sollte dies jedoch ändern. Der erste Versuch brachte drei Treffer ins Schwarze. Natürlich von Brendel, als wäre dies eine kleine Trainingseinheit auf kurze Entfernung, und nicht ein Turnier vor den Augen des versammelten Heeres und dem Adel Montforts. Die anderen beidenVolltreffer kamen von zwei jungen, kräftigen Burschen, die lauthals von ihren Freunden und Verwandten im Publikum bejubelt wurde. Jeans erster Versuch landete weniger als einen Fingerbreit entfernt von einem Volltreffer im zweiten Kreis. Die Männer aus Villaux und Bertrand stöhnten verzweifelt auf. Der zweite Durchgang brachte wieder einen Volltreffer von Brendel, Applaus vonseiten der Tribüne mit dem Adel, einem Volltreffer von einem der jungen Burschen, und zur Freude von Bertrand einen Volltreffer von Jean.
Bertrand hatte vor Aufregung die Luft angehalten, als die Männer angelegt hatten. Als der Pfeil schließlich zitternd innerhalb des Farbkreises stecken geblieben war, hatte sich Bertrand nicht mehr zurückhalten können und war jauchzend vor Freude in die Luft gesprungen. Es war, wie man in Bretonia sagt, ein Tausend-Goldkronen-Schuss. Der Pfeil war mitten in der Zielscheibe gelandet, ein perfekter Schuss. Sogar Brendel hatte sich anerkennend zu Jean gewandt, und ihm gratuliert. Jean hatte etwas geantwortet, worauf Brendel gelacht hatte. Im tosenden Applaus der Menge hatte Bertrand jedoch kein Wort verstand. Er nahm sich vor, seinen Onkel darauf anzusprechen. Es kam immerhin nicht oft vor, den Jäger des Herzogs zum Lachen zu bringen. Versuch Drei und Vier führten schließlich dazu, dass Gruppe Drei mit einem Herzschlagfinale enden würde. Brendel versenkte jeden seiner Pfeile in der Mitte. Jeans härtester Konkurrent auf Platz Zwei traf im dritten Durchgang ebenfalls den innersten Kreis, obwohl der Pfeil schon hart am Rand auftraf. Jean hielt mit einem weiteren Volltreffer dagegen, was jeden anwesenden Leibeigenen aus Villaux, einschließlich Bertrand, zu lautstarken Jubelstürmen verleitete. Doch noch lag Jeans Konkurrent mit einem Volltreffer voran. Im vierten Durchgang verließ ihn jedoch sein Glück, der Pfeil landete knapp außerhalb der inneren Markierung. Jean gelang im Gegensatz dazu ein weiterer Volltreffer, womit er in der Wertung gleichzog. Die Menge tobte, ihre Hoffnung auf ein Spektakel war endlich aufgegangen. Als die Bogenschützen für den letzten, entscheidenden Versuch an die Linie gingen, war es so still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Niemand wollte die Konzentration der Teilnehmer stören, nicht einmal ein Husten war in der Menge zu hören. Sogar die hohen Herren auf der Tribüne beugten sich aus ihren Sitzplätzen nach vorne, um die Entscheidung besser zu sehen. Die Stimme des Turnierleiters hallte über den Platz.
„Bogenschützen, leeegt – an!“
Nach einer kurzen Atempause kam der Befehl: „Feuer!“
Fünf Pfeile schossen über das Feld und landeten zitternd in den Zielscheiben. Brendel hatte seinen fünften Volltreffer gelandet. Das abgeschlagene Feld kam über Treffer im dritten Kreis nicht hinaus. Die Konzentration aller galt jedoch dem Zweikampf um den zweiten Platz. Sowohl Jean, als auch sein Konkurrent hatten den inneren Kreis verfehlt. Ihre Pfeile waren beide im zweiten Kreis gelandet. Doch wer hätte besser getroffen? Atemlose Stille herrschte, als herzogliche Bedienste zu den Zielscheiben eilten und mit einer Messung begannen. Jedes Augenpaar im bretonischen Heer verfolgte die Bediensteten, die ihre Messung beendeten. Wer war der zweite Aufsteiger? Einer der Bediensteten rannte über das Feld, verfolgt von den blicken tausender und raunte dem Herold das Ergebnis ins Ohr. Mit klarer Stimme verkündete der Herold das Resultat. Die Spannung war fast körperlich spürbar, als der Herold zum Reden ansetzte. Bertrand hatte seine Augen geschlossen und betete zur Herrin vom See. Jean stand ungerührt da, den Kopf auf seinen Bogen gestützt.
„Sieger mit fünf Volltreffern und damit Aufsteiger der dritten Gruppe ist Brendel, Herzog des Jägers.“ Applaus ertönte und Brendel zog seinen Hut um sich in alle Richtungen, wobei er mit Tribüne begann. Der Herold, wie alle Männer seines Faches, erkannte, dass er die Menge nicht mehr länger auf die Folter spannen durfte.
„Zweiter und damit ebenso aufgestiegen, mit drei Volltreffern und zwei Treffern innerhalb des zweiten Kreises“, die Atempause des Herolds kam Bertrand wie eine kleine Ewigkeit vor. Jetzt würde er Gewissheit erlangen. Entweder Sieg, oder Niederlage. Die Menge war kurz vor dem Platzen und hing an den Lippen des Herolds, der diese unerwartete Macht über so viele Menschen zu genießen schien. „Zweiter mit einem Vorsprung von einem Fingerbreit ist“, – eine weiter unnötige und unendlich lange Pause. Sogar der Herzog schien unruhig auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen.
„Jean aus Villaux!“
Der tosende Jubel des Publikums schien keine Grenzen zu kennen. In seinen ganzen Leben hatte Bertrand noch nichts gehört, was an die Begeisterung der Menge auch nur annähernd rankam. Bertrand hatte das Gefühl, das bald seine Trommelfelle platzen müssten, als aus mehreren tausend Männerkehlen sich die Freude ihren Weg bahnte. Nicht nur die Männer aus Villaux, alle Versammelten schrien, jubelten vor Begeisterung. Die aufgestaute Spannung wurde von einer Welle aus Freudentaumel weggespült. Männer, die sich nicht kannten lagen sich in den Händen, sogar die sonst so zurückhaltenden Adeligen sprangen aus ihren Sitzen hoch. Onkel Jean fand sich in einer Traube von Gratulanten wieder und konnte gerade noch seinem unterlegenen Konkurrenten die Hand schütteln, bevor er von einer Gruppe Männer auf deren Schultern weggetragen wurde. Es bestand kein Zweifel, die einfachen Leibeigenen und Bauern hatten ihren Favoriten gerade gefunden.
 
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1.7 Das Bogenschießen

Es dauerte seine Zeit, bis sich die Zusehermassen wieder beruhigt hatten, und man mit dem Wettkampf fortfahren konnte. Schließlich war es soweit, und Bertrand wollte sich auf seinen baldigen Auftritt vorbereiten. Es kam jedoch anders.
„“Hey, bist du nicht mit dem Zweitplatzierten aus der letzten Runde verwandt?“, fragte eine schalkhafte Männerstimme. Bertrand drehte sich um, und die Quelle der Frage anzusehen. Vor ihm standen die zwei Söldner, die mit ihm in derselben Gruppe waren. Es war dieses ungleiche Paar, ein Riese und ein kleinwüchsiger Mann die ihn jetzt genauso eingehend betrachteten, wie er sie inspizierte.
Bertrand erhob sich, da er zum wiederholten Male seine Pfeile kontrolliert hatte. Und wie zuvor, war sein Vorhaben auch jetzt durchkreuzt worden.
„Und wer will das wissen?“, fragte Bertrand ebenso keck, wobei er versuchte, sich nicht von der imponierenden Gestalt des einen Söldners einschüchtern zu lassen. Mit wenig Erfolg.
Der Kleinere, der wohl der Wortführer des Gespanns war, zog seinen Hut und verbeugte sich, als würde er dem bretonischen König selbst die Aufwartung machen.
„Sire, ihr habt die Ehre mit Hugo le Petit und meiner Wenigkeit, Gui le Gros“, erwiderte er in gekünsteltem, näselnden Ton eines Höflings. Einzig sein Zwinkern verriet, dass er die Szene mit Humor nahm. Es wirkte, Bertrand musste glucksen und versuchte alles, um nicht sofort in ein schallendes Gelächter auszubrechen. Er fand diesen Gui le Gros, der sich selbst nicht ernst nahm, auf Anhieb sympathisch.
„Mein Name ist Bertrand und der Zweitplatzierte ist mein Onkel Jean“, gab sich Bertrand schließlich geschlagen. Er musste immer noch über die Namen der beiden Männer schmunzeln. Le Petit, „der Kleine“, war sicher das Gegenteil eines Zwerges, er war sogar der größte Mann, den Bertrand bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Der Name wäre für seinen Kompagnon Gui le Gros treffender gewesen, den Bertrand durch seine unkomplizierte, humorvolle Art auf Anhieb sympathisch fand. Bei der Erwähnung seines Namens warf Gui Hugo einen vielsagenden Blick zu, Hugo jedoch zog nur überrascht seine Augenbrauen, sagte jedoch wie vorher nichts.
„Dein Onkel also“, fuhr Gui fort und nahm Bertrand in die Mitte zwischen sich und Hugo, wodurch sie zu Dritt die Zone entlang schlenderten, in der sich die Teilnehmer des Bogenwettkampfs auf ihren Vortritt vorbereiteten. Bertrand wollte gerade einwerfen, dass auch er sich in Vorbereitung befunden hatte, doch Gui setzte seine Rede fort.
„Dein Onkel hat einen tollen Wettkampf geliefert. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu Hugo gesagt habe: „Hugo. Schau, dieser Mann ist einmal ein großartiger Schütze!“ Stimmt’s nicht Hugo?“
Der Gefragte gab nur ein Grunzen von sich. Bertrand wollte schon fragen, ob etwas mit Hugos Stimmbändern nicht stimmte, doch Gui lies sich in seinem Redeschwall nicht bremsen. Offenbar kompensierte Gui die Wortkargheit seines Partners, wie dieser Guis fehlende Größe ausglich. Das perfekte Paar.
„Wenn du nur halb so gut schießt, wie dein Onkel, werden Hugo und ich Schwierigkeiten haben uns nur für die nächste Runde zu qualifizieren. Das heißt, Hugo wird die Probleme haben, da ich der bessere Schütze bin.“ Gui lachte über seinen Scherz und hielt sich dabei sein kleines Bäuchlein. Hugo schwieg, wie üblich. Es war ein angenehmes Lachen. Das Lachen einer Person, die Humor hatte und gerne lachte, fand Bertrand. Und es hatte einen positiven Nebeneffekt, Gui war verstummt. Das war Bertrands Chance.
„Ich hätte eine Frage“, warf Bertrand vorsichtig ein.
„Du willst wissen, in welchem Regiment wir dienen“, schnitt ihm Gui das Wort ab. Soviel zur einmaligen Gelegenheit. Guis Stimme ahmte gekünstelt die Stimme eines Herolds nach, wobei er absichtlich viel mehr Pathos darin legte, als es die meist überheblichen Ausrufer selbst taten.
„Du hast die Ehre mit Angehörigen der Bogenschützen von Bergerac zu wandeln, mein junger Bertrand. Weist du, welch einmaliges Glück du damit hast? Die Bogenschützen von Bergerac sind die besten Schützen diesseits des Weltrandgebirges. Ein feiner Haufen von eisenharten Kämpen, die selbst der Chaoswüste trotzen würden. - Nicht dass wir jemals dorthin marschieren würden. Nur wenn man uns genug Gold verspräche, und selbst dann würden wir es uns zweimal überlegen.“ Das sollte wohl ein Witz werden. Bertrand gelang es, ein Lächeln aufzusetzen und auf Guis Gesicht schien darauf die Sonne aufzugehen. Nichtsdestoweniger setzte Gui seinen Monolog fort.
„Wie gesagt, bei den Bogenschützen von Bergerac dienen nur die edelsten und vornehmsten Männer aus den dreizehn Herzogtümern.“ Dabei wies Gui mit seiner Hand zum Publikum, wo eine Gruppe dunkelgrün gekleideter Männer direkt bei der Abgrenzung standen. Sie tranken Bier und grölten und schmetterten Soldatenlieder von sich und zwar so laut, dass dagegen eine Invasion der Norse wie ein Sommerkränzchen junger Burgfrauen gewirkt hätte. Nun musste Bertrand wirklich schmunzeln, da ihm aufging, dass Gui diesen Moment mit voller Absicht als Kontrapunkt zu seiner Rede verwendet hatte. Nach einigen weiteren Minuten über die Vorzüge der Bogenschützen von Bergerac, wobei sich Bertrand nie ganz sicher war, welche der unübertroffenen Eigenschaften der Söldner nur ironisch gemeint waren, gelang es ihm schließlich diese Frage zu stellen.
„Habt Ihr schon viel von der Welt gesehen?“ „Natürlich“, antwortete Gui mit der selbstsicheren Art eines Mannes, der viel gereist und dabei ebenso viel erlebt hatte. „Wir waren schon in allen Ländern Bretonias, haben an der Seite des Königs von Estalia gekämpft. In Tilea mit seinen vielen, ständig befehdeten Stadtstaaten und in den Grenzgrafschaften im Süden. Für die richtige Bezahlung haben wir auch schon im Imperium gekämpft, an seinen nördlichen und östlichen Grenzen. Junge, du solltest einmal nach Altdorf oder Nuln reisen. Das sind richtige Städte. Dagegen nimmt sich unser Quenelles wie ein Kuhdorf aus. Du weist doch, was man über Kuhdörfer sagt, mein Junge? Mehr Kühe als Bewohner:“ Gui le Gros musste bei diesem selbst erzählten Witz lachen.
„Im Ernst, mein junger Freund“, fuhr er schließlich fort, und schnitt damit Bertrand wieder einmal das Wort ab, dem schon wieder eine Frage auf der Zunge gelegen hatte. „Das Leben als Söldner mag zwar hart und entbehrungsreich sein. Und man bekommt vielen von denen hier.“ Dabei zog Gui seine Ärmel hoch und zeigte seine vernarbten Arme. „Aber dafür bekommt man etwas von der Welt zu sehen! Wie sagt mein guter Freund Hugo doch immer: „Man bekommt eben Nichts auf der Welt geschenkt.“ Doch die Erfahrungen, die du dabei machen kannst! Ich habe in den letzten Jahren als Söldner mehr Zwerge, Elfen und andere Wesen gesehen, als die Leute meines Heimatdorfes in den letzten hundert Jahren. Unser Anführer sagt immer, das Reisen bildet. Und wenn ich’s recht bedenke, hat er da wohl Recht.“
„Wer ist denn euer Anführer?“, wollte Bertrand wissen.
Gui zeigte mit seiner Hand auf einen ebenfalls dunkelgrün gekleideten, hoch gewachsenen Mann mit Federkappe an, der gerade im Wettbewerb stand und zielsicher einen Pfeil nach den anderen in den mittleren Ringen der Scheibe versenkte. Der Wettbewerb stand bereits im fünften Grunddurchgang und Bertrands, Hugos und Gui Gruppe würde gleich darauf in das Turnier einsteigen. Der Erfolg des Anführers der Söldner war wohl der Grund für den lautstarken Jubel seiner Gefährten. Gui lies sich davon anstecken, er formte seine beiden Hände zu einem Trichter, hielt sie vor den Mund und feuerte seinen Anführer ebenfalls lautstark an, wobei er eine nicht ernst gemeinte Stichelei am Ende hinzufügte. Wenn sie sein Anführer gehört hatte, so schien es ihn nicht aus der Konzentration zu bringen. Auch der vierte und vorletzte Schuss war gut platziert und erhöhte seine Führung vor seinen Konkurrenten. Wahrscheinlich konnte einem, wenn man Gui in der Truppe hatte, nichts aus der Ruhe bringen. Jubel brandete auf, von Seiten der Söldner erreichte er ohrenbetäubende Ausmaße.
„Wie heißt euer Anführer?“, brüllte Bertrand, damit er im tosenden Freudentaumel von Gui und Hugo gehört werden konnte.
Gui brüllte aufgrund des Lärms zurück: „ Bertrand le Brigand.“ Als er das erstaunte Gesicht des jungen Bauern sah lachte er.
„Ja, mein junger Freund, genau wie du. Wenn das kein Zeichen ist. Du solltest dich uns anschließen.“, fuhr Gui lachend fort, Hugo brachte es immerhin zu einem lautlosen Grinsen. Ein kräftiger Klaps auf Schultern bekräftige Guis Rede. Immer noch lachend ging das Söldnerpaar seine Wege, während der verdutzte Bertrand zurückblieb.Es dauerte seine Zeit, bis sich die Zusehermassen wieder beruhigt hatten, und man mit dem Wettkampf fortfahren konnte. Schließlich war es soweit, und Bertrand wollte sich auf seinen baldigen Auftritt vorbereiten. Es kam jedoch anders.
„“Hey, bist du nicht mit dem Zweitplatzierten aus der letzten Runde verwandt?“, fragte eine schalkhafte Männerstimme. Bertrand drehte sich um, und die Quelle der Frage anzusehen. Vor ihm standen die zwei Söldner, die mit ihm in derselben Gruppe waren. Es war dieses ungleiche Paar, ein Riese und ein kleinwüchsiger Mann die ihn jetzt genauso eingehend betrachteten, wie er sie inspizierte.
Bertrand erhob sich, da er zum wiederholten Male seine Pfeile kontrolliert hatte. Und wie zuvor, war sein Vorhaben auch jetzt durchkreuzt worden.
„Und wer will das wissen?“, fragte Bertrand ebenso keck, wobei er versuchte, sich nicht von der imponierenden Gestalt des einen Söldners einschüchtern zu lassen. Mit wenig Erfolg.
Der Kleinere, der wohl der Wortführer des Gespanns war, zog seinen Hut und verbeugte sich, als würde er dem bretonischen König selbst die Aufwartung machen.
„Sire, ihr habt die Ehre mit Hugo le Petit und meiner Wenigkeit, Gui le Gros“, erwiderte er in gekünsteltem, näselnden Ton eines Höflings. Einzig sein Zwinkern verriet, dass er die Szene mit Humor nahm. Es wirkte, Bertrand musste glucksen und versuchte alles, um nicht sofort in ein schallendes Gelächter auszubrechen. Er fand diesen Gui le Gros, der sich selbst nicht ernst nahm, auf Anhieb sympathisch.
„Mein Name ist Bertrand und der Zweitplatzierte ist mein Onkel Jean“, gab sich Bertrand schließlich geschlagen. Er musste immer noch über die Namen der beiden Männer schmunzeln. Le Petit, „der Kleine“, war sicher das Gegenteil eines Zwerges, er war sogar der größte Mann, den Bertrand bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Der Name wäre für seinen Kompagnon Gui le Gros treffender gewesen, den Bertrand durch seine unkomplizierte, humorvolle Art auf Anhieb sympathisch fand. Bei der Erwähnung seines Namens warf Gui Hugo einen vielsagenden Blick zu, Hugo jedoch zog nur überrascht seine Augenbrauen, sagte jedoch wie vorher nichts.
„Dein Onkel also“, fuhr Gui fort und nahm Bertrand in die Mitte zwischen sich und Hugo, wodurch sie zu Dritt die Zone entlang schlenderten, in der sich die Teilnehmer des Bogenwettkampfs auf ihren Vortritt vorbereiteten. Bertrand wollte gerade einwerfen, dass auch er sich in Vorbereitung befunden hatte, doch Gui setzte seine Rede fort.
„Dein Onkel hat einen tollen Wettkampf geliefert. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu Hugo gesagt habe: „Hugo. Schau, dieser Mann ist einmal ein großartiger Schütze!“ Stimmt’s nicht Hugo?“
Der Gefragte gab nur ein Grunzen von sich. Bertrand wollte schon fragen, ob etwas mit Hugos Stimmbändern nicht stimmte, doch Gui lies sich in seinem Redeschwall nicht bremsen. Offenbar kompensierte Gui die Wortkargheit seines Partners, wie dieser Guis fehlende Größe ausglich. Das perfekte Paar.
„Wenn du nur halb so gut schießt, wie dein Onkel, werden Hugo und ich Schwierigkeiten haben uns nur für die nächste Runde zu qualifizieren. Das heißt, Hugo wird die Probleme haben, da ich der bessere Schütze bin.“ Gui lachte über seinen Scherz und hielt sich dabei sein kleines Bäuchlein. Hugo schwieg, wie üblich. Es war ein angenehmes Lachen. Das Lachen einer Person, die Humor hatte und gerne lachte, fand Bertrand. Und es hatte einen positiven Nebeneffekt, Gui war verstummt. Das war Bertrands Chance.
„Ich hätte eine Frage“, warf Bertrand vorsichtig ein.
„Du willst wissen, in welchem Regiment wir dienen“, schnitt ihm Gui das Wort ab. Soviel zur einmaligen Gelegenheit. Guis Stimme ahmte gekünstelt die Stimme eines Herolds nach, wobei er absichtlich viel mehr Pathos darin legte, als es die meist überheblichen Ausrufer selbst taten.
„Du hast die Ehre mit Angehörigen der Bogenschützen von Bergerac zu wandeln, mein junger Bertrand. Weist du, welch einmaliges Glück du damit hast? Die Bogenschützen von Bergerac sind die besten Schützen diesseits des Weltrandgebirges. Ein feiner Haufen von eisenharten Kämpen, die selbst der Chaoswüste trotzen würden. - Nicht dass wir jemals dorthin marschieren würden. Nur wenn man uns genug Gold verspräche, und selbst dann würden wir es uns zweimal überlegen.“ Das sollte wohl ein Witz werden. Bertrand gelang es, ein Lächeln aufzusetzen und auf Guis Gesicht schien darauf die Sonne aufzugehen. Nichtsdestoweniger setzte Gui seinen Monolog fort.
„Wie gesagt, bei den Bogenschützen von Bergerac dienen nur die edelsten und vornehmsten Männer aus den dreizehn Herzogtümern.“ Dabei wies Gui mit seiner Hand zum Publikum, wo eine Gruppe dunkelgrün gekleideter Männer direkt bei der Abgrenzung standen. Sie tranken Bier und grölten und schmetterten Soldatenlieder von sich und zwar so laut, dass dagegen eine Invasion der Norse wie ein Sommerkränzchen junger Burgfrauen gewirkt hätte. Nun musste Bertrand wirklich schmunzeln, da ihm aufging, dass Gui diesen Moment mit voller Absicht als Kontrapunkt zu seiner Rede verwendet hatte. Nach einigen weiteren Minuten über die Vorzüge der Bogenschützen von Bergerac, wobei sich Bertrand nie ganz sicher war, welche der unübertroffenen Eigenschaften der Söldner nur ironisch gemeint waren, gelang es ihm schließlich diese Frage zu stellen.
„Habt Ihr schon viel von der Welt gesehen?“ „Natürlich“, antwortete Gui mit der selbstsicheren Art eines Mannes, der viel gereist und dabei ebenso viel erlebt hatte. „Wir waren schon in allen Ländern Bretonias, haben an der Seite des Königs von Estalia gekämpft. In Tilea mit seinen vielen, ständig befehdeten Stadtstaaten und in den Grenzgrafschaften im Süden. Für die richtige Bezahlung haben wir auch schon im Imperium gekämpft, an seinen nördlichen und östlichen Grenzen. Junge, du solltest einmal nach Altdorf oder Nuln reisen. Das sind richtige Städte. Dagegen nimmt sich unser Quenelles wie ein Kuhdorf aus. Du weist doch, was man über Kuhdörfer sagt, mein Junge? Mehr Kühe als Bewohner:“ Gui le Gros musste bei diesem selbst erzählten Witz lachen.
„Im Ernst, mein junger Freund“, fuhr er schließlich fort, und schnitt damit Bertrand wieder einmal das Wort ab, dem schon wieder eine Frage auf der Zunge gelegen hatte. „Das Leben als Söldner mag zwar hart und entbehrungsreich sein. Und man bekommt vielen von denen hier.“ Dabei zog Gui seine Ärmel hoch und zeigte seine vernarbten Arme. „Aber dafür bekommt man etwas von der Welt zu sehen! Wie sagt mein guter Freund Hugo doch immer: „Man bekommt eben Nichts auf der Welt geschenkt.“ Doch die Erfahrungen, die du dabei machen kannst! Ich habe in den letzten Jahren als Söldner mehr Zwerge, Elfen und andere Wesen gesehen, als die Leute meines Heimatdorfes in den letzten hundert Jahren. Unser Anführer sagt immer, das Reisen bildet. Und wenn ich’s recht bedenke, hat er da wohl Recht.“
„Wer ist denn euer Anführer?“, wollte Bertrand wissen.
Gui zeigte mit seiner Hand auf einen ebenfalls dunkelgrün gekleideten, hoch gewachsenen Mann mit Federkappe an, der gerade im Wettbewerb stand und zielsicher einen Pfeil nach den anderen in den mittleren Ringen der Scheibe versenkte. Der Wettbewerb stand bereits im fünften Grunddurchgang und Bertrands, Hugos und Gui Gruppe würde gleich darauf in das Turnier einsteigen. Der Erfolg des Anführers der Söldner war wohl der Grund für den lautstarken Jubel seiner Gefährten. Gui lies sich davon anstecken, er formte seine beiden Hände zu einem Trichter, hielt sie vor den Mund und feuerte seinen Anführer ebenfalls lautstark an, wobei er eine nicht ernst gemeinte Stichelei am Ende hinzufügte. Wenn sie sein Anführer gehört hatte, so schien es ihn nicht aus der Konzentration zu bringen. Auch der vierte und vorletzte Schuss war gut platziert und erhöhte seine Führung vor seinen Konkurrenten. Wahrscheinlich konnte einem, wenn man Gui in der Truppe hatte, nichts aus der Ruhe bringen. Jubel brandete auf, von Seiten der Söldner erreichte er ohrenbetäubende Ausmaße.
„Wie heißt euer Anführer?“, brüllte Bertrand, damit er im tosenden Freudentaumel von Gui und Hugo gehört werden konnte.
Gui brüllte aufgrund des Lärms zurück: „ Bertrand le Brigand.“ Als er das erstaunte Gesicht des jungen Bauern sah lachte er.
„Ja, mein junger Freund, genau wie du. Wenn das kein Zeichen ist. Du solltest dich uns anschließen.“, fuhr Gui lachend fort, Hugo brachte es immerhin zu einem lautlosen Grinsen. Ein kräftiger Klaps auf Schultern bekräftige Guis Rede. Immer noch lachend ging das Söldnerpaar seine Wege, während der verdutzte Bertrand zurückblieb.
 
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1.8 Bertrands Versuch

Die Mittagssonne stand bereits an ihrem Höhepunkt, als Bertrands Gruppe schließlich an die Begrenzungslinie trat, um endlich in den Bewerb einzugreifen. Endlich, das Ziel vor seinen Augen, konzentrierte sich Bertrand auf den Ratschlag, den ihm sein Onkel gegeben hatte.
Konzentriere dich nur auf dein Ziel.
Bertrand schloss für einen Moment die Augen, und stellte sich vor, wie er den Bogen spannte, den Pfeil anlegte und auf das Ziel feuerte. Vor seinem geistigen Auge konnte er es sehen. Er verdrängte all die anderen Gedanken. Die gestrige Schlacht, das Herzschlagfinale bei der Qualifikation seines Onkels, Gui und Hugo, das seltsame Gespann, oder, die neugierigen Blicke tausender Zuseher, welche die Schützen taxierten, um ihren persönlichen Favoriten zu küren. Wieder und wieder stellte sich Bertrand nur den Schussvorgang vor. Anlegen, zielen, schießen. Das einzige Geräusch, das er noch hörte, war das Pfeifen des Pfeils auf seiner Flugbahn und der dumpfe Hall, wenn er im Ziel einschlug. Als Bertrand seine Augen öffnete, war das stetige Murmeln der Menge ausgeblendet. Sein Gehör filterte es heraus. Einzig die Stimme des Sergeanten, der mit gezogenem Schwert den Schützen die Anweisungen gab, hörte Bertrand. Alles um ihn herum war plötzlich bedeutungslos. Wie von unsichtbarer Hand geführt, zog Bertrand den Pfeil und legte an. In der Ferne sah er die Wimpel im Wind wehen, automatisch berechnete er diese Information in die Flugbahn ein. Der Sergeant gab den Befehl und Bertrand feuerte seinen ersten Pfeil ab.



„Jetzt nimm es dir nicht so zu Herzen“, sagte Gui le Gros kumpelhaft und drückte Bertrand einen Humpen Met in die Hand. Beide standen sie am Rand des Turnierfelds, und sahen den Teilnehmern bei ihren Vorbereitungen zu, die in die nächste Runde aufgestiegen waren. Gui und Bertrand waren nicht darunter, weswegen der junge Bretone mit seinem Schicksal haderte. Am Ende hatte ihm ein einziger Punkt auf den zweiten Platz gefehlt. Dabei hatte er sich doch so im Einklang mit sich selbst gefühlt. Ein schwacher Nachklang davon spukte immer noch in seinem Gedächtnis herum, diese fast mechanische Abfolge von Bewegungen. Seine einfache Gruppe hatte sich als alles andere als leicht zu bewältigen erwiesen. Der alte Mann mit den Tränensäcken, dem Bertrand nicht einmal die Kraft zutraute den Bogen zu spannen, hatte sich als äußerst treffsicher erwiesen. Er war schließlich der Sieger der Gruppe, dicht gefolgt von Hugo le Petit. Der zweite Platz Hugo war keine so große Überraschung, obwohl Bertrand ursprünglich doch Gui als den stärkeren Schützen eingeschätzt hatte. Offenbar waren Guis Wortsalven präziser als seine Pfeile.
Immerhin konnte Bertrand, trotz seiner Enttäuschung, dem frühen Ausscheiden auch etwas Positives abgewinnen. Nun war er in der Lage, sich den weiteren Wettbewerb besser beobachten, Dazu war Gui ein vorzüglicher Unterhalter, aus dem geistreiche Sprüche und Witze nur so heraussprudelten. Bertrand lachte und musterte dabei weiterhin aufmerksam das Turnier. Er hatte sich schon einige geistige Vermerke angelegt. Die Art, wie Brendel der Jäger seinen Bogen anlegte. Nur ein kleines Stückchen höher als der Durchschnitt, doch es schien dem Bogen beim Abfeuern mehr Stabilität zu geben. Das Gleiche galt für die breitere Fußstellung von Bertrand le Brigand, dem Anführer von Guis Söldnerregiment. Jacques Scharfauge hingegen hielt die Augen geschlossen, bis kurz vor dem Feuerbefehl. Er blendete alles aus, bis zum entscheidenden Punkt. Nur Bertrands eigener Onkel blieb für ihn ein Rätsel. Sein Bogen wirkte bei weitem nicht so straff gespannt, wie der seiner Gegner. Seine Fußstellung schien kümmerlich, seine Körperhaltung unsicher. Doch jedes Mal kam Jean eine Runde weiter, da seine Pfeile treffsicher ihr Ziel fanden und von der Menge bejubelt wurden.
Runde um Runde vergingen, bis das Finale unter frenetischem Beifall der Menge und dem höflichen Applaus der anwesenden Adeligen. Nun waren alle großen drei Favoriten versammelt: Brendel der Jäger, Jacques Scharfauge und Bertrand le Brigand. Und ein Weiterer mischte im Konzert der Großen mit. Kein Geringerer als Jean, Bertrands Onkel. Mit jedem weiteren Treffer hatte sich die Begeisterung der Menge über diesen einfachen Bauern gesteigert, der sich so wacker hielt. Nun war er im Finale, und die zahlreichen Sprachchöre ließen keinen Zweifel aufkommen, wer der erwählte Favorit der einfachen Soldaten und Leibeigenen war.
Auch Bertrand war durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Seine ursprüngliche Niedergeschlagenheit war mit jeder weiteren bestandenen Runde seines Onkels Jean einer stetig wachsenden Freude gewichen, einem Stimmungsbarometer der mehr und mehr begeisterten Menge gleich. Seine Reaktion auf Guis Witze, der ihn immer noch mit Pointen und einem nie nachlassenden Nachschub an Met versorgte, war von höflichem Glucksen in herzhaftes Lachen umgeschlagen. Doch das Finale war zu viel für Bertrands Nerven. Es hielt ihn nicht mehr an seinen Platz. Gui, immer noch lässig an den Zaun gelehnt, der das Feld von den Zusehern trennte, rief ihm etwas nach, doch es ging im Lärm der Menge unter, die sich voller Vorfreude auf das bevorstehende Finale lautstark untereinander beratschlagte. Bertrand verließ eilig, fast rannte er, das Feld, bis er außerhalb das Lager anhielt. Hier, in einiger Entfernung, waren die Geräusche des Turniers schon gedämpft. Die Sonne brannte herunter, und Bertrand suchte Schutz im Schatten einer mächtigen Eiche, wo er sich an deren Stamm lehnte. Bertrand nutzte die eingetretene Ruhe, um über die Ereignisse der letzten Tage nachzudenken. So viel war in so kurzer Zeit erlebt, mehr als in all den Jahren zuvor. Das waren Umstände, mit denen ein Jugendlicher aus Bretonia, der bisher nur sein Heimatdorf gekannt hatte, erst einmal fertig werden musste. Und so hing Bertrand seinen Gedanken nach, während von Ferne Jubel und Raunen des Publikums an sein Ohr brandete. Wie das Geräusch der Wellen des großen Ozeans, das Bertrand noch nie in seinem Leben gehört hatte. Aber das sollte sich bald ändern.

Zwei Tage später, Villaux, Herzogtum Montfort
Wie schnell sich doch das Leben änderte, dachte Bertrand.
Noch vor wenigen Tagen war mit den mächtigen Herren Montforts in ihren strahlenden Rüstungen und auf ihren großen Streitrössern in eine ungewisse Zukunft gezogen. Und nun hatte ihn die eintönige Routine des Landlebens wieder. Vor ihm trotteten seine zwei Schlachtrösser, Fidèle und Fiable, die entgegen ihrer Rufnamen alles andere als treu und zuverlässig waren. Ihre breiten, vernarbten Rücken bewiesen, dass man oft zu härteren Maßnahmen als gutes Zureden hatte greifen müssen, damit sie wieder spurten. Bertrand verabscheute zwar grundsätzlich Gewalt gegen Tiere. Doch im Verlauf des heutigen Vormittags hatte er mehr als einmal daran gedacht, die Peitsche zu Hilfe zu nehmen. Doch so lässig, wie die zwei störrischen Ochsen vor sich hertrotteten, schien das Energieverschwendung. Die Beiden sahen so aus, als würden sie sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Ein weiterer Grund, warum die Peitsche keinerlei Erfolg haben würde. Besser, man arrangierte sich mit den beiden Zugtieren, selbst wenn man dadurch länger benötigte, als man ursprünglich eingeplant hatte. Immerhin hatten sie noch ein gutes Stück Arbeit vor sich.
Bertrand blickte hinter sich und betrachtete die bereits gezogenen Furchen. Gerade und gleichmäßig, dachte er stolz. Bei seinem ersten Mal hatte dien gezogene Spur noch so ausgesehen, als wäre ein völlig betrunkener Mann dafür verantwortlich. Es war schwierig, und bedurfte einiger Erfahrung, um den Pflug richtig zu handhaben. Erfahrung, die er sich auf die harte Tour beigebracht hatte, um seine Mutter und sich zu ernähren. Natürlich war er damals auch noch ein halbstarker Junge gewesen, keine dreizehn Sommer alt. Jetzt, einige Jahre, ging es dank gesammelter Erfahrung und gewonnener Stärke erheblich besser voran. Doch es lag immer noch genug Arbeit vor ihm, wenn er die Fläche des unberührten Ackers um sich herum sah. Obwohl es noch Sommer war, war Bertrand in Eile. Das Frühlingsgetreide war bereits abgeerntet und nun musste der Boden für die Wintersaat vorbereitet werden. Hier, an der Grenze zu den massiven Bergen des Grauen Gebirges waren Sommer und Herbst kurz, und der Winter kam früh. Er hatte es gemerkt, als er sich am Morgen aus seiner Decke geschält hatte. Diesen Rest von Kälte, der selbst von den warmen Strahlen der Sommersonne nicht gänzlich ausgemerzt werden konnte und als Nachhall noch durch Mark und Bein fuhr. In den letzten Tagen war dieser Kalte sein ständiger Morgengruß gewesen. Nachdem er sich am Feuer gewärmt und eine karge Mahlzeit aus Brei zu sich genommen hatte, war ihm auch schon Robert, der Dorfvorsteher, entgegen gekommen.
Robert war gleich zur Sache gekommen. Auch ihm war der Wetterwechsel nicht entgangen. Pflug und Ochsen würden für ihn bereitstehen. Er müsse sich gleich an die Arbeit machen. Bertrand war immer der Erste, wenn es um die Aussaat für das Wintergetreide ging, dem Pflug und Ochsen, beides Eigentum des Dorfes, gegeben wurden. Es gab nur einen Pflug, mehr konnten sich alle Bauern von Villaux nicht leisten. Deshalb wurde eingeteilt. Bertrand war der Erste, weil er nur sich und seine Mutter versorgen musste. Die anderen Bauern, würden später mit der Saat beginnen, und damit auch ihr Risiko verringern, sollte der Winter unerwartet länger anhalten. Bertrand musste jetzt aussehen, und die Gefahr eines Ernteverlusts hinnehmen. Wenn der Winter nur um eine Woche oder zwei länger im Land blieb, erfroren die aufkeimenden Getreidehalme in Schnee und Eis. Früher, als er noch jünger war, hatte er damit gehadert. Doch nun nahm Bertrand es hin. Ja, er konnte sich sogar in die Lage der Anderen hinversetzen. Sie alle hatten eine große Familie zu versorgen. Bertrand hatte nur sich und seine Mutter. Und die Herrin vom See wachte über ihn, wie Mutter im zu sagen pflegte. In all den Jahren war der Schnee rechtzeitig geschmolzen und die Ernte war nie in Gefahr. Seine Mutter sagte, das liege an den Gebeten, die jeden Winterabend vor dem Schlafengehen gesprochen hatte. Bertrand stimmte ihr immer zu, enthielt sich aber eines Kommentars. Es war sinnlos, mit seiner Mutter über solche Dinge zu streiten, vor allem über ihren Glauben.
Ein knirschendes Geräusch schreckte Bertrand aus seinen Gedanken auf. Der Pflug war aus der Bahn geraten und hatte sich verfangen. Die Schar, der massive Eisenteil, der die Erde pflügte, steckte fest und lies sich selbst mit allergrößter Kraftanstrengung nicht herausziehen.
„Wie kommt es, dass du dich immer in einer Notlange befindest, wenn ich nach dir sehe?“, fragte Bertrand eine Stimme. Bertrand blickte hoch, und lächelte seinen Onkel Jean verlegen an, während er Rot im Gesicht wurde. Doch bevor er etwas erwidern konnte, war sein Onkel bereits über die niedrige Steinumfriedung gestiegen und legte Hand an den aus der Spur geratenen Pflug.
„Auf drei“, sagte Jean. Bertrand musste dabei schmunzeln. Sein Onkel war einer der Wenigen im Dorf, die fehlerfrei bis Zehn zählen konnten. Sie benötigten vier Versuche, bis sie die Schar aus der festgefahrenen Erde befreien konnte. Jeans Hemd war wie Bertrands am Ende vom Schweiß durchnässt, seine Hände mit Erde verdreckt. Ein seltsames Bild für jemanden, der noch vor wenigen Tagen das Turnier der Bogenschützen gewonnen hatte, fand Bertrand. Doch Jean lachte herzhaft, als er seine schwieligen, verdreckten Hände ansah und sie kurzerhand an seiner ebenso verdreckten Hose abwischte.
„Deine Tante wird mir Saures geben, wenn Sie sieht, wie ich nach Hause komme“, sagte er und zwinkerte seinem Neffen zu. Es wirkte, den Bertrand lächelte. Gemeinsam ging die Arbeit schnell voran. Innerhalb einer Stunde war das Feld gepflügt, da ihm sein Onkel bei den schwierigen Stellen hilfreich unter die Arme griff. Noch bevor die Mittagssonne aus sie herab schien, waren die Beiden bereits wieder auf den Weg nach Villaux. Fidèle und Fiable trotteten vor ihnen her und zogen bereitwillig den Pflug der hinter ihnen auf seinen zwei großen Rädern den schmalen Pfad rumpelnd folgte. Bertrand hatte nur lose eine Hand auf einen Griff des Pfluges gelegt, da die beiden Ochsen den Weg nach Hause ohnehin selbst kannten. Sein Onkel Jean schritt neben ihm her und pfiff leise eine Melodie vor sich hin. Bertrands Blick glitt immer wieder unwillkürlich zu dem Mantel, den sich Jean fein säuberlich gefaltet auf die Schulter gelegt hatte.
„Willst Du ihn sehen?“, fragte Jean, der den Gedanken seines Neffen erraten hatte. Bertrand nickte. Mit einem Lächeln nah Jean den Mantel von seiner Schulter und breitete ihn aus. Das Sonnenlicht schien den Mantel erstrahlen zu lassen. Es war ein Meisterwerk der Webkunst. Ehrfurchtsvoll berührte Bertrand den Stoff. Feinste Wolle, weich und zugleich fest gewebt, der Kragen mit einem Pelzsaum umgeben. Noch nie in seinem Leben hatte Bertrand etwas Ähnliches gesehen, geschweige denn berührt. In kräftigem Blau, so wie die Farbe des Himmels an einem schönen Sommertag, war die Grundfarbe des Mantels. Jeder in Villeuax trug die einfachen, grauen und braunen Stoffe. Dieser Mantel hingegen war von einer Qualität, wie ihn sich selbst manche Adelige nicht leisten konnten. Das reich bestickte Wappen der Montforts prangte auf dem Rücken. Die weiße Burg mit zwei Türmen auf schwarzem Hintergrund, umrahmt von lEuchtend goldener Stickarbeit. Dazu eine silbern glänzende Spange mit dem Wappen Montforts und einer goldfarbenen Kordel, mit der man den Mantel schließen konnte.
Der Mantel passte so gar nicht zur restlichen Kleidung seines Onkels. Jean trug wie immer sein braunes, dünnes Lederwams, darunter das Leinenhemd, die einfache Leinenhose und das schlichte Schuhwerk eines bretonischen Bauern. Es war schwer, sich diese einfachen, abgetragenen Kleidungsstücke in Kombination mit einem solchen Mantel vorzustellen. Und dennoch war es so. Jean hatte diesen Mantel beim Turnier der Bogenschützen gewonnen. Der erste Preis für seine außergewöhnlichen Leistungen. Kein geringerer als Herzog Folcard de Montfort selbst, hatte Jean den Mantel überreicht und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Als sich Jean schließlich von seinen Knien erhoben hatte, stimmte die versammelte Menge schließlich einen Jubelschrei an bei dem Bertrand gedacht hatte, er würde die Grundfesten der Erde erschüttern. Er konnte sich noch daran erinnern. Kurz vor dem Finale hatte es ihn nicht mehr gehalten, und er war aufgrund der Anspannung dem Spektakel entflohen. Als der lautstarke Jubel anbrach war er neugierig zurück gekehrt. Gui le Gros hatte ihn in die Arme geschlossen und ihm versucht alles zu erklären. Doch der Jubel war so ohrenbetäubend laut, dass er Guis worte nicht verstehen konnte. Als er schließlich seinen Onkel neben dem Herzog gesehen hatte, wie er den Mantel in die Höhe hielt, da hatte er selbst vor Freude geschrien, bis er keine Stimme mehr hatte. Erst seit gestern war wieder im Besitz seiner Stimme und brachte mehr heraus, als ein heiseres Krächzen.
Bertrand gab seinem Onkel den Mantel zurück und gemeinsam steigerten sie ihr Tempo, um die Ochsen und den Pflug einzuholen. Das Gespann hatte bereits die Kuppe des sanften Hügels erreicht, der zwischen Bertrands Feld und dem Dorf Villaux lag. Fidèle und Fiable hatten ihren Kopf gesenkt und rupften mit ihren Mäulern Grashalme aus dem schmalen Saum zwischen der festgetretenen Erde des Pfads und der kleinen Steinmauer, die den Weg von den Feldern trennte. Das Stirnjoch klirrte auf ihren Nacken während die beiden Ochsen weiter auf der Suche nach grünem Futter waren. Bertrand war ein wenig außer Atem, als er die Anhöhe erreichte und hinab blickte, wo sich ein atemberaubendes Panorama vor ihm auftat. Die warme Sonne hatte endgültig den letzten Rest der Kälte vertrieben und beschien voller Kraft das Tal. Vor sich sah Bertrand den Pfad, wie er sich nach Villaux hinschlängelte. Dazwischen lagen die braunen Felder, die auf ihre Wintersaat warteten. Ein Gürtel von Reihen fein säuberlich gepflanzter Obstbäume. Noch waren die Bäume voller Laub, doch bald würden sie ihre Blätter verlieren, wenn der kalte Winterwind kam. Bertrand rannte das Wasser im Mund zusammen, wenn er an die süßen Äpfel und anderer Früchte dachten. Und mit Verdruss an die Mühen der Erntezeit der Obstbäume.
Villaux selbst war ein Dorf mit dreißig einfachen Hütten, viele davon so windschief, dass sie sich gegenseitig abstützen mussten, damit sie nicht vollends zur Erde krachten. Aus vielen davon kamen kleine Rauchfahnen, da die Frauen Brot buken oder die Bewohner versuchten, den letzten Rest der Morgenkälte zu vertreiben. Hinter Villaux erstreckte sich wieder ein Ring von Obstbäumen, dann der kleine Fischteich, auf dessen Oberfläche die Sonne glitzerte. Ein Meer von Feldern mit ihrer typischen niedrigen Steinumfriedung, oder Baumreihen als Begrenzung dahinter. Ein fest getretener, breiter Weg führte von Villaux nach Norden wo er sich in einer Kreuzung schließlich in alle vier Himmelsrichtungen aufteilte. In einigen Meilen Entfernung konnte Bertrand das Dorf Crecy wahrnehmen, und dahinter den Wald, in dem der Herzog zur Jagd ausritt. Der Wald füllte den Horizont aus, doch dahinter lagen ebenfalls weitere Dörfer und Weiler, die allesamt dem Herzog persönlich unterstanden.
Im Westen erstreckten sich Hügel und der Pfad schlängelte sich durch sie hindurch. Auf manchen der Hügel befanden sich Weiler und kleine Siedlungen, die Bertrand nur vom Namen her kannte, da er noch keine der Ortschaften jemals besucht hatte. Dahinter lagen die restlichen Herzogtümer Bretonias, die Bertrand auch nur dem Namen nach kannte: Lyonesse, L’Anguille, Couronne, Artois, Gisoreux, Bastonne, Bordeleuax, Aquitaine, Brionne, Quenelles, Carcasonne und das verfluchte Mousillon. Nur Parravon, der Nachbar Montforts lag in seinem Rücken, direkt im Süden. Der Weg, der durch Villaux ging, führte dorthin, doch auch dort war Bertrand nie gewesen. Wie alle anderen Regionen Bretonias kannte er nur die Namen aus den Erzählungen der Reisenden und Händler, die sie abends im Dorfwirt beim Kaminfeuer zum Besten gaben.
Im Osten lag die Burg Montfort selbst. Bertrand beschattete mit einer Hand seine Augen, da ihn sonst die tiefer stehende Sonne geblendet hätte. Kein Zweifel, der Winter würde bald kommen. Die ganze östliche Flanke entlang sah Bertrand die mächtigen Gipfel des Grauen Gebirges. Die schneebedeckten Gletscher lEuchteten Weiß in der Sonne und waren ein beeindruckendes Schauspiel von der Größe der Natur. Angesichts dieses mächtigen Höhenzuges kam das Ansinnen der Menschen, eine Verbindung zwischen den beiden Ländern Bretonia und dem Imperium durch dieses Massiv zu schaffen, töricht vor. Doch genau diese Verbindung gab es, den legendären Axtschartenpass. Vor Bertrands Augen öffnete sich dieser Pass, eine klaffende Lücke zwischen den mächtigen Bergen und mündete in das weite Tal, in dem Bertrand stand. Das Graue Gebirge mutete wie eine Reihe steinerner Wächter an, vom Alter ungebeugt aber weiß gefärbt. Am Fuß der Berge sah Bertrand die Umrisse der gewaltigen Festung, die hoch über dem Ort Jouinard thronte. Angesichts der Gipfel im Hintergrund mutete die Burg zwar an wie ein Zwerg im Größenvergleich mit einem Riesen. Doch Bertrand war schon mehrmals vor der Festung gestanden und hatte ihre, hohen, himmelwärts strebenden Ecktürme gesehen und die gewaltigen Ringmauern. Die Burg, Stammsitz des Herzogs und seiner Familie, war ein gewaltiges Bauwerk, bei dessen Anblick es Bertrand jedes Mal den Atem verschlug. Zu Füßen der Burg, die auf einer Anhöhe errichtet war, lag das kleine Städtchen Jouinard. Mehrere der dortigen Häuser waren sogar ganz oder teilweise aus Stein gebaut. Ein unerhörter Luxus, den sich in Villaux nicht einmal Robert, der Dorfvorsteher und Wirt, leisten konnte. Jouinard, die Stadt beherbergte die Händler und Handwerker, die wie Fliegen von dem herzoglichen Haushalt angezogen wurde. Eine hölzerne Palisade und ein Graben schützten Jouinard selbst. Doch der wirksamste Schutz war die mächtige Festung darüber und deren kämpferischen Bewohner.
Das war Bertrands Welt. Villaux, Crecy und Jouinard. Die drei Orte, die er kannte und die seinen Lebensinhalt gebildet hatten. Dieses Tal, in dem er groß geworden war, und das mit allem, Mann und Maus, persönliches Eigentum und Lehen des Herzogs war. Zumindest bis vor der Schlacht, erkannte Bertrand. Und angesichts der orkversEuchten Wildnis tief im Grauen Gebirge war das Tal allemal vorzuziehen.
Jean stand neben ihm und ließ sich genusvoll die Sonne in Gesicht scheinen. Dann schlug er mit seiner freien Hand so stark auf Bertrands Schulter, dass dessen Rücken krachte.
„Komm, mein Neffe!“, sagte er und ergriff die Zügel der Ochsen, die halbherzig Widerstand leisteten. Dann ging Jean voraus und pfiff wieder seine tonlose Melodie. Bertrand rieb sich noch kurz wehleidig die Schultern und blickte noch ein letztes Mal im Tal um. Dann folgte er seinem Onkel nach Villaux hinab. Es gab noch so viel zu tun. Gleich am Nachmittag würde er die Saat aussäen und dann musste er seinem Onkel helfen. Bertrand hatte keine Ahnung, wie bald sich sein Leben dramatisch verändern würde.
 
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1.9 Burg Montfort

Die nächsten Tage erwiesen sich als sehr geschäftig im Dorf Villaux. Der kommende Winter trieb die Bewohner dazu, ihre Felder vorzubereiten. Jeder, der sich auf den Beinen halten konnte, verbrachte nun den Großteil des Tages mit der Arbeit auf dem Feld. Der Pflug und die zwei Ochsen waren im Dauereinsatz und pflügten die Äcker, damit die Saat des Wintergetreides rechtzeitig eingesetzt werden konnte. Frauen und Kinder dagegen mühten sich auf den Wiesen mit Sensen um genug Heu für die Tiere zu mähen. Jeder legte Hand an, und Bertrand konnte sich des bitteren Gedankens nicht erwehren, dass ihm selbst außer seinem Onkel keine Hilfe zuteil geworden war.

An einem sonnigen Morgen stahl er sich deshalb ohne schlechtes Gewissens davon und nahm seine selbstgefertigte Angel. Er wählte den Weg in nördlicher Richtung bis er schließlich die halbe Strecke bis zur Kreuzung erreicht hatte. Neben dem Pfad plätscherte einer der zahllosen Bäche, die ihren Ursprung im grauen Gebirge hatten und die saftigen Flächen Bretonias durchzogen. Die Angel war der ganze Stolz Bertrands. Der biegsame Stecken war aus dem Holz der Weide, die gedrehte Schnur aus Rosshaaren und der Köder aus einem Stück Korken und einem daran befestigten Wurm. Bertrand setzte sich an seine Lieblingsstelle, unter die ausladenden Arme einer Weide, wo Weg und Fluss eine sanfte Rechtskurve machten und warf die Angel in das glitzernde, dahinfließende Wasser aus. Er lehnte sich an den Stamm der Weide und genoss die Natur und die Ruhe. Bertrand lauschte dem Murmeln des Baches und beobachtete die Verwirbelungen des Wassers an den unzähligen Steinen im Bachbett. Der Anblick der Steine entlockte Bertrand ein bitteres Lächeln. Im ganzen Tal gab es überall Steine. Man wusste die Wege davon befreien, man entdeckte sie im Feld beim Pflügen, und sogar in den Flussläufen lagen Hunderte. Es gab so viele, dass im Tal die Steine zu kleinen Mauern aufgeschichtet wurden, die die Felder begrenzten. Stein war im Tal am Axtschartenpass wirklich keine seltene Ressource. Man baute damit die Brücken über die unzähligen Bäche und Flüsse, die große Burg des Herzogs und die Häuser im Städtchen Jouinard waren daraus gebaut.

Das Einzige, das nicht aus Stein gebaut war, waren ihre Häuser. Bertrand war dieser Umstand eines Tages bewusst geworden, als Knabe von acht Jahren, während der Feldarbeit. Er hatte den nächsten Erwachsenen diese Frage gestellt. In diesem Fall war das der Dorfvorsteher Robert gewesen. Statt der Antwort hatte er jedoch zwei schallende Ohrfeigen bekommen und die Anweisung, weniger zu denken und dafür mehr zu arbeiten. Zehn Jahre waren vergangen und Bertrand konnte immer noch nicht anders, als mit Verbitterung daran zu denken. Die Erniedrigung vor Allen und den Schmerz, während sich die anderen Knaben hinter vorgehaltener Hand über ihn lustig machten. Aber das war das Schicksal von jemand, der ohne eigenen Vater aufwachsen musste. Darum hatte Bertrand auch keinerlei schlechtes Gewissen, sich an einem so herrlichen Tag davon zu machen, während die Anderen auf dem Feld arbeiteten. Niemand, außer seinem Onkel Jean und seiner Mutter hatte sich um ihn gekümmert, und jetzt revanchierte sich Bertrand mit gleicher Münze. Und jetzt, wo Bertrand zu einem starken, kräftigen Mann herangewachsen war, würde es sich jeder zweimal überlegen, ob er ihn deswegen zur Rede stellen würde. Er verdrängte die düsteren Gedanken und machte sich bereit, die Angel ein weiteres Mal auszuwerfen. Der erste Versuch hatte zwar keinen Erfolg gebracht, aber Bertrand war voller Zuversicht in sein Können als Angler. Ein weiteres Mal flog die Angelrute in hohem Bogen dem glänzenden Wasser entgegen und landete mit einem Platschen mitten im Bach. Nach wenigen Sekunden spürte Bertrand einen Ruck durch die Angel gehen und lächelte. Die erste Beute war im gerade ins Netz gegangen.

Bertrands Optimismus in seine Fähigkeiten war keineswegs übertrieben. Die Sonne erreichte gerade ihren höchsten Stand zu Mittag, als er gut gelaunt den Heimweg antrat. Über die rechte Seite die Angel geschultert, hielt die linke Hand das Ende einer Schnur. An deren anderem Ende baumelten fein säuberlich aneinander gereiht drei prachtvolle Fische, deren silbrige Schuppen Das Licht der Sonne spiegelten. Ein gelungener Fang der endlich wieder Abwechslung in ihren Speiseplan bringen würde. Wenn sie ihn sich richtig einteilten, könnten er und seine Mutter die nächsten beiden Tage Fisch essen. Bertrand war so guter Stimmung dass er die bösen Blicke der Dorfbewohner nicht registrierte, die sich zu Mittag eine kurze Pause von der schweren Feldarbeit gönnten und anhand Bertrands Fang durchaus erkannten, womit dieser seine letzten Stunden zugebracht hatte. Sorgfältig wählte Bertrand auf den schlammigen Straßen des Dorfes sein Schritte um nicht in eine der tiefen Pfützen oder in den Inhalt eines der entleerten Nachttöpfe zu treten.

„Mutter“, schrie er, nachdem Bertrand die Eingangstüre ihre kleine Hütte geöffnet, und die Fische auf den grob gezimmerten Tisch gelegt hatte.
„Mutter, ich bin wieder Zuhause!“
Die Stille wunderte Bertrand, der seiner Mutter gerne mit einigem Stolz seine Ausbeute gezeigt und sich dann ihre nachsichtige Schelte, wegen seines Fehlens bei der Feldarbeit angehört hätte.
Umso besser, befand Bertrand. Dann konnte er sich noch einen guten Einwand überlegen, warum seine Mutter nicht den dritten Fisch bei einem Nachbarn gegen eine Kerze eintauschen sollte. Seine Mutter war eine Frau ohne Fehler, immer gütig und liebevoll, die ihn alleine hatte aufziehen müssen. Ihr einziger Fehler, wenn man das so sagen konnte, war ihr Glaube an die Herrin vom See, der sogar einen Gralsritter wie einen ungläubigen Heiden aussehen ließ. Seine Mutter Kristin war die gläubigste Person, die Bertrand je kennen gelernt hatte. Sie verbrachten den Großteil ihrer ohnehin nicht üppigen Freizeit in der kleinen Kapelle, die direkt an die Seite des Gasthauses ihres Vorstehers gebaut war. Selbst wenn sie im Haus mit ihrer Arbeit beschäftigt war, murmelte sie oft lautlos ein Gebet. Kein Zweifel, der dritte Fisch würde bald eine Verwandlung in eine Kerze nehmen, die ebenso bald in der Kapelle landen würde. Bertrand wusste, dass seine Mutter dies zum Gedenken an seinen Vater tat. Sie konnte die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen und klammerte sich deshalb an ihren Glauben mit ihrer ganzen verbliebenen Kraft.

Als die Tür knarrte, drehte sich Bertrand um in der Hoffnung, seine Mutter zu erblicken. Stattdessen sah er seinen Onkel Jean der im Türrahmen stehen geblieben war und ihn mit einem seltsamen Blick in seinen graublauen Augen betrachtete. Auf der vom Alter zerfurchten Stirn schienen sich zusätzliche Sorgenfalten breit zu machen. Bertrands Herz blieb bei diesem Anblick jäh stehen und er spürte, wie kalte Furcht ihn mit ihren eisigen Fängen packte. Er erinnerte sich an eine ähnliche Begebenheit vor mehr als zehn Jahren, als man ihm sein Onkel über den Verbleib seines Vaters aufgeklärt hatte. Mit genau demselben Ausdruck in seinen Augen wie heute. Sein einziger Trost war seine Mutter gewesen, die ihn selbst schluchzend in den Arm genommen hatte. Innerlich betete Bertrand nun zur Herrin, dass ihm die Götter nun nicht auch seine Mutter genommen hatten.
„Was ist mit meiner Mutter?“, fragte er bang und seine Stimme klang genauso angstvoll, wie er sich fühlte.
Jean hob beschwichtigen seine Hand und ging langsam auf seinen Neffen zu: „Kristin geht es gut. Sie ist bei uns im Haus und wartet auf dich.“
„Warum siehst du dann so betroffen aus, Onkel“, erwiderte Bertrand, der langsam wieder Herr über seine Gefühle wurde.
Jean seufzte. „Sehe ich wirklich so schrecklich aus?“ Er ging zu dem kleinen Bronzespiegel, der Kristin gehörte und blickte hinein. „Herrin, du hast Recht, mein Neffe.“
„Also, was ist dann der Grund für deinen dramatischen Auftritt?“, spöttelte Bertrand. Seltsamerweise ging sein Onkel jedoch nicht wie gewohnt auf den Scherz ein.
„Ein Bote des Herzogs kam heute Vormittag ins Dorf. Ungefähr zu der Zeit, als du damit beschäftigt warst, diese hier zu fangen.“ Jean zeigte auf die Fische, die immer noch aufgereiht auf dem Tisch lagen. Bertrand war jedoch zu verwirrt, um die Rüge seines Onkels zu registrieren.
„Ich verstehe nicht“, war Alles, was er herausbrachte.
Jean sah ihm noch mal tief in die Augen. Wieder mit diesem seltsamen, traurigen Ausdruck.
„Ein Bote des Herzogs war heute im Dorf. Er hat uns befohlen dich morgen nach Jouinard zu bringen. Du wirst an den Hof von Herzog Folcard berufen.“


Das Schwert seines Gegners blitzte in der Morgensonne und Bertrand blinzelte, damit ihn das reflektierende Licht auf der Klinge nicht blendete. Es war sein vorletzter Fehler in einer Reihe von falschen Entscheidungen, die schließlich zu seiner Niederlage führen sollten. In hohem Bogen sauste die Waffe seines Gegners herab und als Bertrand seine Augen öffnete, konnte er gerade noch den Schild in seiner Linken hochreißen, um den Angriff abzuwehren. Seine Verteidigung war hektisch und daher schlecht vorbereitet. Das Schwert traf auf seinen Schild und der Klang dröhnte, wie die ehernen Glocken des Tempels am Marktplatz der Stadt Jouinard. Das Geräusch war so laut, dass Bertrand einen Moment lang dachte, dass er sein Gehör verlieren würde. Schlimmer jedoch als der ohrenbetäubende Lärm war jedoch die Wucht des Aufpralls, die er bis in die Knochen seines Armes spürte und der bis in sein Schlüsselbein ausstrahlte. Zwei, drei Schritte taumelte Bertrand, bevor er wieder sein Gleichgewicht fand und sein Vertrauen in die eigene Stärke. Seine Stärke, die im Verlauf der letzten Minuten allerdings immer rapider gesunken war. Der Schweiß rann über Bertrands Stirn, er keuchte, und seine gesamte Armmuskulatur protestierte heftig gegen die Überbeanspruchung. Ernüchternd erkannte Bertrand, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb, bevor seine Arme ihm den Dienst versagen würden. Er hatte keine Wahl, sein nächster Angriff musste die Entscheidung bringen. So oder so.

Mit dem Mut der Verzweiflung ging Bertrand zum Angriff über und schwang sein Schwert. Ein Hieb nach dem anderen landete auf dem Schild seines Gegners und das Dröhnen hallte über den Platz. Doch diese Dinge registrierte Bertrand nicht, der sich vollständig auf seinen Angriff konzentrierte. Unter dem Ansturm wich sein Gegner langsam zurück. Bertrand folgte ihm und deckte seinen Gegner dabei mit einem Hagel von Schlägen ein. Dennoch hatte er bis jetzt keinen Weg durch die gegnerische Abwehr gefunden und das immer stärker werdende Gefühl der Taubheit in seinen Armen waren ein alarmierendes Indiz dafür, den Kampf mit der nächsten Attacke zu beenden. Bertrand wirbelte sein Schwert über den Kopf und ging zum Angriff über. Sein Gegenüber hob den Schild zur Parade. Darauf hatte Bertrand gewartet. Blitzschnell senkte er seine Waffe in einem seitlichen Bogen, bereit, die ungeschützte Seite seines Gegners mit einem furchtbaren Hieb in die Rippen zu treffen.
Das war sein letzter Fehler.
Für dieses Manöver musste Bertrand einen Ausfallschritt nach vorne machen, um unter der gegnerischen Verteidigung hindurchzutauchen.

Als er seinen Gegner durch dessen Helm höhnisch lachen hörte, weiteten sich Bertrands Augen vor Entsetzten doch es war zu spät. Scheinbar mühelos parierte sein Gegner den Angriff mit seiner eigenen Klinge. Das Geräusch von geschmiedetem Stahl der auf sein Pendant traf, ertönte über den Platz und schmetterte Bertrands Angriff ab.
Das Nächste, das Bertrand sah und gleich darauf hörte war ein Schild der sich herab senkte, und den Schrei der unmittelbar seinen Lippen entwich als ihm die harte Schildkante das Schwert aus der Hand schlug.
Dann das Schwert, das klirrend zu Boden fiel. Die letzte Aktion, sah Bertrand aufgrund seiner eingeschränkten Sicht durch den Topfhelm mit Nasenschutz nicht. Dafür gellte sie umso mehr in seinen Ohren. Mit voller Wucht traf ihn die Breitseite eines Schwertes am Kopf und Bertrand dachte, er selbst sei nun die Glocke des Tempels von Montfort. Die Wucht des Angriffes beraubte ihn seines ohnehin nicht sicheren Standes und Bertrand fiel zu Boden. Kraftlos, halb taub und voller blauer Flecken blieb Bertrand am Boden liegen und wartete auf den Gnadenstoß seines Gegners. Doch der kam nicht. Die Klinge bohrte sich vielmehr direkt vor seinen Augen in die Erde. Starke Hände fassten ihn an den Schultern und richteten ihn in sitzende Position auf. Bertrands Lunge denen, beim Aufprall kurz die Luft weg geblieben war, meldete protestierend ihre Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit und belegte damit auf Bertrands Prioritätenliste den aktuellen Führungsplatz. Nach einigen tiefen, hektischen Atemzügen stellten sich jedoch auch die anderen Gebrechen wieder ein und erinnerten Bertrand, warum man einen Kampf niemals verlieren sollte. Sogar das Gellen in seinen Ohren verging als er den Helm abnahm und so konnte Bertrand auch die letzten Lektionen seines Gegners hören.

„… und das mir ja niemand auf die Idee kommt, wie unser junger Held hier seinen sicheren Stand aufzugeben. Die Herrin alleine weiß, was unseren Helden dazu verleitet hat. Ihr Alle habt ja gesehen wohin das führt. Im Kampf ist ein sicherer Stand der halbe Sieg“, beendete Sir Gervais Haughey, der ebenfalls seinen Helm abgenommen hatte, damit ihn die im Kreis stehenden Knappen besser hören konnten.
Sir Haughey, wie ihn jedermann auf Montfort respektvoll nannte, war ein kampferprobter, gestählter Veteran unzähliger Schlachten deren Andenken er in Form von Narben und verheilten Verletzungen er am ganzen Körper trug. Die Offensichtlichste darunter war seine gebrochene, inzwischen aber verheilte Nase, die nie wieder ihre alte Form gefunden hatte und nun wie ein Berghang nach einem Erdrutsch aussah. Zu solcher einer Bemerkung hätte sich jedoch niemand in Gegenwart von Sir Haughey hinreißen lassen. Nein, solche Beschreibungen seiner Nasenform tauschten die Knappen nur an verstohlenen Winkeln der Burg und nur hinter vorgehaltener Hand aus. Denn Sir Haughey, den nur Herzog Folcard beim Vornamen nannte, war einer der abgehärteten Haudegen im ganzen Herzogtum, der respektiert und gleichermaßen gefürchtet wurde. Er war auch ein alter Kampfgefährte des Herzogs. Die Geschichten besagten, dass sie einander unzählige Male gegenseitig das Leben in höchster Not gerettet hatten. Aber die Geschichten neigten wie immer zu Übertreibungen obwohl ein wahrer Kern darin lag. Sir Haughey war aber vor allem derjenige auf Schloss Montfort, der mächtigen Feste am Axtschartenpass, dem die Ausbildung der jungen Pagen und Knappen oblag. Eine Aufgabe die er, wie seine Schützlinge fanden, viel zu ernst nahm und der es scheinbar genoss, sie mit Übungen und hartem Drill an den Rand der Erschöpfung zu bringen. Dabei war Sir Haughey kein Menschenschinder. Er sparte mit den Schlägen, wo Andere davon großzügig Gebrauch machten. Ebenso verzichtete er darauf seine Untergebenen zu demütigen und keiner der Knappen konnte ihm eine ungerechte Behandlung vorwerfen.

Das Problem war, zumindest aus der Sicht seiner Knappen, dass Sir Haughey seine Aufgabe mit demselben Feuereifer in Angriff nahm, wie seine Übungskämpfe. Seitdem Bertrand vor zwei Monaten dazu gestoßen war, war kein Tag ohne Übungen vergangen. Waffendrill, Reiten, Waffen putzen, Pferde versorgen und ähnliche Dinge füllten den Tag der Knappen aus, wenn sie vor dem ersten Hahnenschrei geweckt wurden und spät abends ausgelaugt in ihre Betten fielen. Sofern man ein Lager aus Stroh in einer engen, zugigen Kammer überhaupt als Bett bezeichnen konnte.
Diese Dinge gingen Bertrand durch den Kopf während er sich mit schmerzverzehrter Miene die zahlreichen blauen Flecken rieb und dabei versuchte, Sir Haugheys Anweisungen zu folgen. Sein Blick wanderte über die im Halbkreis um ihren Lehrer stehenden Knappen. In den Blicken der einen Hälfte lag Schadenfreude, in der anderen jedoch Mitgefühl und die Erinnerungen an eigene schmachvolle, nicht minder schmerzvolle Niederlagen gegen ihren Ausbildner. Bertrand spürte, wie ihm der Schweiß langsam die Kleider hinunter rannte, die er unter seiner Trainingsrüstung trug. Stumpfe Schwerter und ausgepolsterte Gambesons verhinderten bei den täglichen Übungskämpfen zwar die schlimmsten Verletzungen, ersparten einem aber nicht die obligatorischen blauen Flecken, mit der jede kleinste Unachtsamkeit oder Fehler bestraft wurde. Vor allem sorgte die Schutzkleidung aber dafür, dass man ordentlich ins Schwitzen kam. Das war jedoch angesichts der immer stärker werdenden beißenden Kälte, einem Vorboten eines harten Winters jedoch kein so unangenehmer Nebeneffekt. Außer, den Bächen von Schweiß natürlich. Noch war zwar kein Schnee gefallen, aber Bertrand der bereits 17 harte Winter am Rand des Grauen Gebirges erlebt hatte, wusste, dass es sich bestenfalls um Wochen handeln konnte, bis sie mit Schneemassen zugedeckt waren.
Vielleicht war das der Grund, warum Sir Haughey einen derartigen Eifer an den Tag legte, und die letzten Tage sie mit noch mehr Übungen zugeschüttet hatte, als ohnehin üblich. Und vor allem war es gut, fand Bertrand, denn die Übungskämpfe sorgten für Abwechslung und hielten sie warm, im Gegensatz zu der zugigen Kammer direkt unter dem Dach des Ostflügels des Schlosses, wo die Knappen untergebracht waren.

„Also, merkt Euch meine Worte, und ihr werdet in eurem nächsten Zweikampf eine bessere Figur abgeben, als unser junger Held heute. Und jetzt ab mit Euch zum Waffenputzen und vergesst mit den Stall ja nicht! Wenn er dieses Mal wieder so dreckig ist bei der Inspektion werde ich Euch die Ohren langziehen. Bei Ranald, zu dem ihr kleinen Halunken wohl betet, wenn ihr versucht wieder versucht mich übers Ohr zu hauen, werde ich Euch selbige langziehen.“ Die Knappen goutierten die Ansprache ihres Lehrers mit einem Stöhnen als sie die Aufgaben hörten und eilten los, wobei sie die Waffen von Sir Haughey mitnahmen. Bertrand erhob sich ebenfalls und wollte seinen Leidensgenossen folgen, als ihn jedoch Sir Haughey am Arm festhielt.
„Du nicht Bertrand“, sagte Sir Haughey und blickte ihn streng an. Bertrand rechnete schon mit einem scharfen Verweis, doch Sir Haughey klopfte ihm stattdessen lobend auf die Schulter.
„Du hast dich tapfer geschlagen, Bertrand.“ Sir Haughey nickte anerkennend und nahm die Hand von Bertrands Schulter.
„Danke, Sir“, war alles, was Bertrand aus sich heraus brachte, während er verlegen auf den Boden starrte.
„Du musst jedoch noch an deiner Kondition arbeiten. Heute sind dir die Kräfte ausgegangen, weswegen du einen unüberlegten Angriff gewagt hast. Teile deine Kräfte besser ein, dann wirst du das nächste Mal gewinnnen. Und nun geh, und gib den Anderen deine Waffen. Der alte Schreiberling erwartet Dich.“
„Jawohl Sir“, sagte Bertrand freudestrahlend aufgrund des seltenen Kompliments seines gestrengen Waffenmeisters und eilte über den Platz zu Waffenkammer.

Sir Haugheys Blick folgte dem Jungen, während eine Gestalt neben ihn trat und seinen Blick ebenfalls auf den dahineilenden Bertrand richtete.
„Wie macht er sich, Sir Haughey?“, wollte die Gestalt wissen.
„Euer Schützling?“, fragte Sir Haughey und rieb sich die Spitze seiner deformierten Nase. Eine Geste, die er immer machte, wenn er seine Worte sorgfältig abwägte.
„Er hat Talent, euer Protege, keine Frage. Und er lernt sehr schnell. In den wenigen Wochen, seitdem er seine Ausbildung begonnen hat, konnte er sehr viel aufholen. Er verlässt sich nicht mehr nur auf seine Kraft, sondern nützt immer mehr auch technische Fähigkeiten. Sein Stil ist inzwischen individuell und wird unberechenbarer. Wenn er so weitermacht, könnte eines Tages ein ausgezeichneter Schwertkämpfer aus ihm werden.“
„Und auf dem Pferd?“, wollte sein Gegenüber wissen.
Sir Haughey rieb sich wieder die Nase und sein Gesprächspartner konnte an der Miene erkennen, dass der Waffenmeister sehr sorgfältig überlegte, wie er seinem Gegenüber die Wahrheit schonend beibringen konnte.
„Bertrand kann sich auf einem Pferd halten, aber die anderen Knappen sind ihm weit voraus. Dafür, dass er zuvor noch nie auf einem Pferd geritten ist, reitet er ganz passabel. Aber für das Tjosten und den richtigen Einsatz der Lanze vom Pferd fehlt ihm die jahrelange Übung, die die anderen Knappen haben, die seit Kindesbeinen darauf vorbereitet wurden. Ich befürchte, ohne jahrelanges Training, wird aus ihm niemals ein Ritter werden. Noch dazu, wo ihr ihn kostbare Stunden bei diesem Bücherwurm verbringen lasst, anstatt auf einem Pferderücken.“
„Sir Haughey, Ihr wisst so gut wie ich, dass Bertrand niemals Ritter werden kann“, sagte sein Gegenüber und überhörte die leichte Anklage in Sir Haugheys letzter Bemerkung. "Bertrand soll nur eine gute Schule in Waffenkunde durchlaufen, und jedermann weiß, dass Ihr der beste Waffenmeister in ganz Montfort seit.“
„Habt Dank, Milord“, erwiderte Sir Haughey geschmeichelt. „Doch warum befasst Ihr Euch mit einem einfachen Bauernjungen, wie Bertrand?“
„Weil ich meine Pläne mit ihm habe“, sagte Jerome de Montfort und verschränkte seine Arme vor der Brust, während er sein Blick weiter Bertrand folgte, der im Eingang zur Waffenkammer verschwunden war. „Ich habe meine Pläne.“
 
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ja, es geht weiter!😀

Zwei gute Kapitel über das durchschnittliche Betronische Bauern Leben.
Es gibt auch einblicke in Bertrand selbst, doch dafür das er zum ungebildeten Landvolk gehört hat er einen guten Wortschatz.😉
Das er schließlich einfach eingezogen wird um Knappe zu werden ist ziemlich überraschend.
Ansonsten gibt es nicht viel zu sagen, zwei interessante teile, am meisten das ende des zweiten Kapitels.
Ich selbst hab ja die Vermutung das der Herzog versucht eine neue Infanterie Einheit auszubilden, da die alte (Landsknechte, Bogenschützen) im grunde nur billiges Kanonenfutter sind. Ist ja auch die größte Schwäche der Betronen.


Hoffe das die auflösung bald kommt also halt dich ran am schreiben.