1.6 Das Turnier
Am nächsten Morgen hatte der Wind seine Richtung gewechselt. Eine frische Brise kam von den schneebedeckten Gipfeln der Grauberge. Die Sonne schien, die Wolkendecke war verschwunden, es sprach alles für einen angenehmen Tag. Das Wetter schien wie bestellt für die Zeremonie, die der Herzog abzuhalten gedachte. Das große Versammlungsfeld war dafür vorbereitet worden. Seit den ersten Morgenstunden waren die Knechte des Trosses mit dem Aufbau der Tribüne beschäftigt. Das geschäftige Pochen der Hämmer hallte durch das bretonische Heerlager und weckte selbst die größten Langschläfer. Bertrand hatte einige Zeit damit verbracht den Männern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Alle Männer, die am gestrigen Kampf teilgenommen hatten, waren für heute von jeglichem Dienst entbunden. Denn heute wurde gefeiert.
Die Knechte kamen mit dem Aufbau gut voran. Erfahrung und Routine ließ sie schnell das Gerüst der Tribüne zurechtzimmern. Vorgefertigte Stämme wurden ineinander gelegt, und mit großen Bolzen verbunden. Innerhalb einer Stunde stand die Tribüne, auf denen später der Herzog und seine Ehrengäste Platz nehmen würden. Andere Arbeiter steckten das Feld zum Tjosten ab. Sie markierten die Spuren und errichteten zwischen den beiden Spuren einen hüfthohen Zaun, der die Kontrahenten voneinander trennen sollte. Außerdem errichteten sie kleine Arenen, in denen Schwertkämpfe stattfinden würden. Bertrand konzentrierte sich jedoch auf ein längliches Feld das direkt neben dem Tjost-Feld errichtet wurde. Dort würden die Bogenschützen eine Probe ihres Geschicks ablegen. Auch Bertrand hatte sich für diesen Bewerb gemeldet, wie sein Onkel und einige Männer seines Dorfes.
Schließlich hatte sich Bertrand satt gesehen am Anblick der arbeitenden Trossknechte und schlenderte zurück zum Lager. Dort angekommen setzte er sich neben seinen Onkel und begann damit, seine Ausrüstung für die bevorstehenden Wettkämpfe zu inspizieren.
„Nein, nimm nicht diesen Pfeil!“, sagte sein Onkel. Bertrand ließ den Pfeil sinken, den er gerade prüfend vor sein Gesicht gehalten hatte.
„Warum nicht Onkel?“
Jean nahm den Pfeil aus Bertrands Händen und fuhr sorgfältig mit seiner Hand entlang des Pfeilschafts. Mit dem Blick eines Kenners fand er den Fehler sofort.
„Siehst du diese kleine Unebenheit im Schaft?“
„Ja, was ist damit?“
„Er sorgt für eine Luftverwirbelung, die den Pfeil von seinem Ziel ablenkt.“ Er nahm einen Pfeil aus seinem eigenen Köcher, und gab ihm seinen Neffen. „Nimm lieber diesen.“
Bertrand betrachtete den Pfeil. Der gerade Schaft, die stählerne Spitze und die perfekt angeordneten Federkiele. Es war ein vollkommener Pfeil. Es war offensichtlich, dass ihm sein Onkel seinen besten Pfeil gegeben hatte.
„Wie weit wirst du kommen?“, fragte Bertrand seinen Onkel, der sich wieder der Inspektion seiner eigenen Pfeile widmete. Als sein Onkel nicht antwortete, fragte ihn Bertrand noch einmal dieselbe Frage.
Jean zog die Luft durch seine Zähne, bevor er nach einer kurzen Pause antwortete.
„Wenn die Herrin mir gesonnen ist, komme ich vielleicht in die zweite Runde. Und wer weiß?,“ und dabei zwinkerte Jean Bertrand zu. „ Von da an, ist mit etwas Glück alles möglich.“
„Nur die zweite Runde!“, stieß Bertrand ungläubig hervor. „Aber du bist doch der beste Bogenschütze den ich kenne. In unserem Dorf gibt es keinen, der sich mit dir messen kann!“
Jean legte freundlich seinen Arm um Bertrand. „Das stimmt“, lachte er. „Aber hier sind die besten Schützen des Herzogtums versammelt. Warte einmal ab, bis du Brendel gesehen hast! Er ist der oberste Jäger des Herzogs. Es heißt, das während einer Jagd noch nie einer seiner Pfeile ihr Ziel verfehlt hat. Oder Jacques Scharfauge aus Cherannè. Er hat die Augen eines Kriegsfalken aus dem Athel Loren. Nein, ein Sieg gegen solche Konkurrenten wäre ein kleines Wunder.“ Und dabei knuffte er Bertrand spielerisch in die Seite. Bertrand ging darauf ein und bald rauften sie spielerisch im Gras bis sie lachend und außer Atem ihren eigenen Wettkampf beendeten. Die anderen Männer hatten das Ganze amüsiert beobachtet und dabei mit Wehmut an ihre eigenen Familien gedacht, die sie in ihrer Heimat zurückgelassen hatten. Doch sie fanden Trost darin, dass sie noch am nächsten Tag die Heimreise antreten würden. Aber heute nicht, denn heute wurde gefeiert!
Herzog Folcard hatte mit einem langwierigen Feldzug gerechnet. Als ihm sein Zauberer Volker Rainheim seine beunruhigende Vision über die Grünhäute mitgeteilt hatte. Rainheim hatte die Anzahl der feindlichen Orks und Goblins nicht in Zahlen fassen können. Vorausplanend wie Herzog Folcard war, hatte er daraufhin eine Sondersteuer erlassen, um große Vorräte anzulegen. Folcard hatte nicht auf die Beschwerden der Bauernvertreter gehört, die einwarfen, dass sie kaum die regulären Steuern bezahlen konnten. Auch manche Adelige hatte in der großen Ratsversammlung eingeworfen, dass dieser Schritt zu hart wäre, und dem Volk unnötig harte Bürden auferlegen würde. Im Herzen hatte Folcard zugestimmt. Herzog Folcard war nicht wie andere Adelige, die in den Bauern nur eine Einkommensquelle sahen. Er glaubte mit ganzen Herzen an die Aufgabenverteilung in Bretonia. Die Bauern bestellten die Felder und ernteten, die Ritter trainierten und verteidigten das Land gegen jedweden Feind. Der Eine konnte ohne den Anderen nicht bestehen. Als Herzog in einem Grenzfürstentum mit Sitz am Axtschartenpass wurde einem diese Tatsache häufig vor Augen geführt.
Doch Folcard hatte seinem Volk diese Belastung zugemutet. Die Alternative wäre der sichere Tod durch die Orks gewesen, die alles geplündert und vernichtet hätte auf einem ihrer Waaghs, das Wort in der Ork-Sprache für ihre Feldzüge. Doch nun stand der Herzog aufgrund des schnellen Sieges vor einem angenehmen Problem. Sie hatten Proviant im Übermaß. Folcard verwarf den Einwurf einiger Ratgeber, wie Baron Grame Zwergenfreund, diese Vorräte an Händler zu verkaufen, und so die herzogliche Schatzkasse zu füllen. Er wusste, wem diese Vorräte zustanden, wer sie sich verdient hatte.
Das große Fest übertraf das abendliche Gelage bei weitem. Dem Heereszug waren Artisten gefolgt, Schausteller und Künstler in ihren farbenfrohen Kostümen. Nun bot sich die Gelegenheit, eine Probe ihre Fertigkeiten abzuliefern. Die Soldaten drängten sich um die Gaukler und Tänzer. Eine Truppe hatte sogar einen kislevtischen Tanzbären. Staunend betrachteten die Bretonen die riesige zahme Bestie, die auf ihren Hinterbeinen stehend, sich zum Takt der Musik bewegte. Feuerschlucker prusteten riesige Feuersäulen in den Himmel und ernteten dafür Applaus. Jongleure zeigten ihre Leistungen, indem sie Bälle, Schwerter, und sogar Fackeln durch die Luft wirbelten. Grill der Tänzer zeigten seinen Tanz mit verbundenen Augen durch eine Reihe rohe Eier, wobei er kein einziges der zerbrechlichen Eier dabei berührte, geschweige denn beschädigte. Tosender Applaus krönte seine Leistung, wobei er sich virtuos verbeugte und von neuem ansetzte, da sich andere Neugierige herandrängten.
Die Anderen suchten einen der weiteren Stände auf. Die Herrin vom See schien dem Fest gewogen zu sein. Eine warme Sonne schien auf sie herab. In der Ferne glitzerten die schneebedeckten Gipfel der Grauberge im Sonnenlicht und eine angenehme Brise ließ die zahlreichen bunten Fahnen und Wimpeln um die Wette flattern. Der Geruch von frisch gebratenem Fleisch und Wein lag in der Luft. Überall waren Feuer, wo sogar halbe Ochsen am Spies zubereitet wurden. Jedermann konnte sich soviel nehmen, wie er wollte. An den Ständen, wo Ale und Wein ausgeteilt wurden, drängten sich so viele Männer, dass die Diener kaum mit dem Ausschenken nachkamen. Der Herzog hatte sogar noch eine zusätzliche Überraschung vorbereiten lassen. Der Tribut der Bauern aus den westlichen Dörfern hatte unter anderem auch im Honig ihrer berühmten Bienen bestanden. Die ganze Nacht hindurch hatte der Leibkoch des Herzogs mit seinem emsigen Gefolge gebacken. Und so wurden den Soldaten eingezogenen Bauern ein seltener Luxus zuteil: Honigkuchen. Mehr als einer verdarb sich mit der ungewohnten Süßigkeit den Magen.
Bertrand hatte nur eines der kleinen Küchlein probiert, dazu einen Becher Met, bevor er sich vom Strom der herumwandernden Männer hatte mitreißen lassen. Gelächter und Musik lagen in der Luft. Doch der klang der silbernen Fanfaren übertönte sie mühelos. Die berittenen Herolde verkündeten, dass die Spiele zur Feier der Siege nun beginnen würden. Wie auf Befehl drängten die Männer zum Feld, auch Bertrand der sich inzwischen eine herrlich duftende Gänsekeule organisiert hatte.
Viertausend Männer drängten sich um das Feld, auf der anderen Seite befand sich die errichtete, mit einer Plane überdachten, Tribüne mit dem Herzog und seinem Gefolge. Bertrand sah die Wappen, die Namen und Herkunft der Adeligen verriet. Jeder, der Rang und Nahmen hatte, war versammelt. Herzog Folcard, Baron Rumpert, Graf Childeric, Sir Graeme Zwergenfreund, Sir Elgar, und Sir Wilguric, Sohn des Herzogs. Nur Sir Beldane, Sohne und Erbe des Herzogs, war als Stellvertreter im herzoglichen Schloss geblieben. Auch das Wappen des Seneschalls, Claude de Sanguine, konnte Bertrand erblicken. Und ein Wappen, bei dessen Anblick Bertrand der Atem stockte. Es war das Wappen des mysteriösen Ritters, der Bertrand das Leben gerettet hatte. Bertrand konnte jedoch aufgrund der Entfernung nicht das Gesicht des Ritters erblicken, der außerdem eine Reihe hinter dem Herzog Platz nahm.
Dann begann der feierliche Einmarsch. Hinter einer Reihe von berittenen Fanfarenspielern begann der Einmarsch der Aspiranten. Bertrand konnte sogar den eitlen Geck sehen, dem er in der Schlacht das Leben gerettet hatte. Er erkannte das Wappen wieder. Der schwarze Wachturm auf lindgrünem Hintergrund auf dem weißen Wappenrock. Wie jeder andere Anwärter auf die Ritterschaft war auch er in weiß gekleidet, ein Zeichen das er noch ein Bewerber war, und unbehelmt. Für einen kurzen Moment glaubte Bertrand, dass sich ihre Blicke kreuzten und ihn der junge Anwärter erkannte, während der Zug der zu Fuß gehenden jungen Adeligen seinen Platz passierte. Doch wenn dem so war, so ließ es sich der junge Adelige nicht anmerken. Die Fanfaren erklangen hell und endeten mit einem letzten Signal, als die Prozession schließlich vor der Tribüne eine Formation einnahm. Herzog Folcard erhob sich von seinem Sitz und sein Gefolge tat es ihm gleich. Das leise Gemurmel unter den Zusehern verstummte als der Herzog zu einer kurzen Ansprache ansetzte. Bertrand konnte sich später nicht mehr an die Worte erinnern, da sein Blick wie magisch vom mysteriösen Ritter angezogen wurde. Doch obwohl er sich scharfer Augen rühmte, konnte er das Gesicht des Ritters nicht erkennen, das im Schatten des Baldachins verborgen blieb. Nur beiläufig registrierte Bertrand, wie der Herzog seine Rede beendete und der Abt vom Orden des Grals vortrat um ein Dankgebet an die Herrin vom See zu sprechen. Wie ein Mann ging jeder Mann im bretonischen Heer auf die Knie, vom Herzog bis zum einfachsten Bauern.
Während die ehrfürchtigen Wortes des Abts über den Platz hallten und ein Chor sie wiederholte, kreisten Bertrand Gedanken um die Erlebnisse des gestrigen Tages. Erst das Ende des Gebets riss ihn aus seinem Grübeln. Mit einigem Interesse verfolgte Bertrand nun den Rest der Zeremonie.
Am Turnierfeld begann nun die feierliche Einsetzung der Aspiranten in den Ritterstand. Knappen in der herzoglichen Livree verteilten unter den jungen Adeligen, die immer noch knieten, reich verzierte Pergamente, auf denen das Rittergelübde stand. Bertrand traute seinen Augen kaum, als ausgerechnet der eilte Geck zu den Stufen der Tribüne zitiert wurde, um das Gelübde laut zu verlesen. In der jugendlichen Stimme war sowohl Stolz als auch ein Hauch Nervosität als der junge Adelige den Schwur vorlas:
„Wenn der Fanfare Ruf erklinget,
Reite ich hinaus und kämpfe für die Herrin und Lehnsherr.
Solange Atem ich noch hole, das Land vererbet mir
Wird bleiben unberühret von jeglich Übel.
Ehre ist alles, Ritterlichkeit ist alles.“
Ein Chor junger Stimmen wiederholte feierlich das Gelübde. Ob jemand von ihnen an die einundzwanzig Altersgenossen dachte, die am gestrigen Tag gefallen waren? Bertrand musste an das Gelübde denken, dass ihnen bei jeder Versammlung vorgelesen wurde. Es nannte sich des Bauern Pflicht:
„Du sollst geben Deinem glorreichen Lehnsherr,
an etwas es ihm Noth tuet.
Du sollst arbeiten einen jeden Tag, es sei denn, er sein ein Festtag.
Und nicht mehr denn den zehnten Teil,
behalte zurück für Haus und Hof.
Frohlocke! Denn ein Ritter Bretonias ist dein Schild.“
Für einen kurzen Moment stieg Wut in Bertrand hoch. Wie viele solcher eitlen Pfaue, wie dieses junge Milchgesicht von einem Adeligen, dessen Leben er ohne die geringste Danksagung gerettet hatte, musste er noch ertragen? In seinem Gelübde stand nichts davon, den Großteil der eigenen Arbeit an einen anderen abzugeben! Doch dies war die Ordnung der Dinge, wie seine Mutter immer zu sagen pflegte. Immerhin stimmte auch die Rechnung nicht ganz. Denn im harten Grenzgebiet waren es nur acht von zehn Teilen, die man an den Lehnsherrn abliefern musste. Immerhin! Obwohl sich auch das relativiert hatte, als die Sondersteuer des Herzogs eingefordert worden war.
Auf dem Feld hatte inzwischen der Herzog jeden der jungen Adeligen mit dem Ritterschlag in den Stand eines Ritters des Königs erhoben, die unter tosenden Applaus der Zuseher als vollwertige Mitglieder der Ritterschaft aufstanden. Sie waren nun fahrende Ritter. Wenn sie ein Leben gemäß ihres Eides und Kodex führten, würden sie sich Ruhm und Ehre verdienen, und ihr Zeichen würde man in allen Ländern Bretonias erkennen! Es war dieser Wunsch, der die frisch geweihten Ritter erfüllte. Eines Tages vielleicht sogar ein Ritter des Königs zu werden, sich auf die Suche nach dem heiligen Gral zu begeben als Questritter und nach unseligen Mühen als würdig befunden, und von der Herrin zum Gralsritter erwählt zu werden. Ein Weg, der Bertrand verwehrt blieben würde.
Nach dem Ende der Zeremonie begann das eigentliche Turnier. Die jungen Ritter eilten zu ihren Zelten am westlichen Ende des Turnierfeldes, um sich für die Schaukämpfe zu wappnen. Der erste Durchgang war alleine den Aspiranten beschieden. Die erfahrenen Kämpen würden erst später in das Turnier einsteigen. Herolde entrollten Listen, wo sie die adeligen Stammbäume der Kämpfer vorlasen. Die meisten waren Adelige aus dem Herzogtum Montfort und dem benachbarten Parravon. Doch auch Anwärter aus Gisoreux, Bastonne, oder dem entfernten Artois waren vertreten. Jeweils zwei Teilnehmer nahmen ihre Position an den Enden des Tjost-Feldes ein. Mit der Miene von Kenner beobachtete das Publikum den ersten Durchgang des Turniers und die Kombattanten, taxierten ihre Fähigkeiten, und wetteten unter der Hand auf den Ausgang des Wettbewerbes. Die Teilnehmer lieferten ein prächtiges Bild. Wie sie ihren Körper vor dem Start anspannten, den rechten Arm mit der eingelegten Lanze zum entscheidenden Stoss angehoben. Die Zügel locker in der linken Schildhand, da die klugen Streitrösser darauf trainiert waren, die Bahn zu halten. Den Schild im perfekten Winkel, nicht zu flach, sodass er der gegnerischen Lanze ein Ziel bot, und dennoch stark genug, um einen etwaigen Treffer von den sensiblen Zonen der Rüstung und des Helmes abzulenken. Ein herrliches Bild boten die Turnierkämpfer, wenn der Herold mit dem silbernen Klang seiner Fanfare das Signal gegeben hatte, und sie die Sporen in die Flanken ihrer gewaltigen Streitrösser trieben um ihren Gegner aus dem Sattel zu werfen. Die Menge hielt wie gebahnt den Atem an, wenn die beiden Kontrahenten aufeinander zu stieben, wobei die Hufe ihre Rösser Erdklumpen aufschleuderten. Die Reiter wurden schneller, bis sie mit unwiderstehlicher Kraft aufeinander trafen, einer Naturgewalt gleich. Ein ohrenbetäubendes Krachen war die Folge, wobei meist einer der beiden aus dem Sattel gehoben wurde. Lanzen zersplitterten, Schilde und Helme verbeulten, und mehr als einer der geschlagenen Teilnehmer musste mit einer Bahre vom Feld getragen wurden. Jeder Abwurf lies die Menge jubeln. Die gerade erst zu Rittern geschlagenen Teilnehmer waren mit Feuereifer bestrebt, sich vor der versammelten Armee und den Augen des Herzogs zu präsentieren, sie ließen keinerlei Zurückhaltung erkennen. Es war ihre Chance, sich Ruhm und Ehre zu erwerben. Die Menge war guter Stimmung. Der erste Durchgang hatte bis jetzt mehr gehalten, als er versprochen hatte. Jeder kleinste Fehler der unerfahrenen Teilnehmer wurde von den Kontrahenten ausgenützt. So mancher Traum von einer persönlichen Auszeichnung des Herzogs als Turniersieger endete jäh blauen Flecken auf dem weichen Turnierboden, was die Stimmung der Zuseher im Gegenteil jedoch keinen Abbruch tat. Zahlreiche Ausfälle lies die Menge auf ihre Kosten kommen.
Bertrands Aufmerksamkeit galt dem frischgebackenen Ritter, mit dem schwarzen Wachturm als Wappen. In seinem ersten Durchgang hielt er den Schild zu niedrig, weshalb ihn der Stoß seines Gegners fast aus dem Sattel geworfen hätte. Die eigene Lanze verfehlte den Gegner völlig. Die Menge hielt den Atem an, doch irgendwie schafft es der junge Ritter, sich im Sattel zu halten. Nachdem sich sein Gegner eine neue Lanze besorgt hatte, kam es zum zweiten Versuch. Mit donnernden Hufen ritten die beiden aufeinander zu. Dieses Mal hatte der junge Adelige aus seinem Fehler gelernt. Die Lanze zersplitterte an seinem Schild, seine eigene Lanze fand jedoch einen Weg durch die gegnerische Deckung und hebelte den Konkurrenten aus dem Sattel. Scheppernd fiel dieser zu Boden, und der junge Ritter stolzierte vom Feld unter tosendem Applaus der Menge. Offenbar zeigten die Verletzungen der gestrigen Schlecht keinerlei Auswirkungen bei dem jungen Adeligen, befand Bertrand. Auch sein Verhalten war ganz dasselbe geblieben.
Etliche weitere Durchgänge, etliche leichte Blessuren, mehrere Knochenbrüche und unzählige in ihrem Stolz gekränkte Verlierer später, standen die zehn Gewinner des ersten Durchganges fest. Auch der junge Ritter mit dem schwarzen Wachturm als Wappen war darunter. Unter Applaus der Zuseher wurden ihre Namen von einem Herold verlesen. Und so erfuhr auch Bertrand, wem er das Leben gerettet hatte: Reynald le Durie.
Der silberne Klang der Fanfare des Herolds verkündete der Menge, dass der erste Durchgang zu Ende war. Das Publikum zerstreute sich und eilte wieder zu den Ständen mit den Speisen und Getränken. Einige Männer jedoch, darunter auch der langsam nervös werdende Bertrand, widmeten sich ihrer Ausrüstung. In weniger als einer Viertelstunde begann der Wettbewerb der Bogenschützen. Jean fand seinen Neffen im Schatten eines großen Zeltes, wo er sich in den Rasen gekniet, und Bogen und Pfeile vor sich ausgebreitet hatte. Mehr oder weniger freiwillig lies sich Bertrand von seinem Onkel an der Hand nehmen und zum Feld führen auf dem der Wettbewerb stattfinden sollte, und sich bereits eine beachtliche Anzahl von Teilnehmern eingefunden hatte.
Inzwischen waren auch die Mägen des Publikums wieder gefüllt und die Menge, brandeten an die Umrandung des Feldes heran, begierig keinen Moment des sich anbahnenden Spektakels zu versäumen. Die Trossknechte hatten beim Aufbau ganze Arbeit geleistet. Das für diesen Wettkampf vorgesehene Feld grenzte direkt an das Turnierfeld, auf den noch vor weniger als einer Stunde die jungen Ritter ihr Können zur Schau gestellt hatten. Doch wo dort die Hufe der bretonischen Schlachtrösser die Grasfläche in eine Ackerlandschaft verwandelt hatten, lag hier die Grasnarbe unberührt da und lEuchtete in saftigen Grün. Und es würde auch so bleiben, immerhin würden hier keine schwer gepanzerten Reiter samt Ross in vollem Galopp entlang jagen. Weiß bemalte Steine unterteilten das längliche Feld in Bahnen an deren Ende, in achtzig Fuß Entfernung, große, aufrecht stehende Weidekörbe, mit roten, immer kleiner werdenden Kreisen, als Zielscheiben standen. Jeweils zehn Bahnen gab es auf dem Feld.
Mit seinem Onkel ging Bertrand zu einem Herold, der auf einem Fass saß, und in einem Pergament auf einem behelfsmäßigen Tisch, bestehend aus zwei weiteren Fässern und einem darauf liegenden Brett, Name und Herkunftsort der Teilnehmer eintrug. Bertrand versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, als er dem Herold, auf dessen Wappenrock das herzogliche Wappen prangte, seinen Namen mitteilte: Bertrand von Villaux. Schließlich hatte der Herold alle Namen aufgeschrieben und das obligatorische Fanfarensignal kündigte den Beginn des Bogenschützenturniers an. Der Herold, inzwischen beritten, trabte in die Mitte des Feldes und entrollte feierlich die Liste, Er las feierlich jeden einzelnen Teilnehmer vor, sowie die Gruppe, der er zugeteilt war. Bei den Namen der Favoriten, wie Brendel den herzoglichen Jäger, oder Jacques Scharfauge aus musste er ein Pause einlegen, da er von tosendem Applaus unterbrochen wurde. Eigentlich musste der Herold andauernd Pausen machen, da jedes Dorf seine eigenen Vertreter in einem Anflug von Lokalpatriotismus lauthals unterstützte. Das gemeine Volk grölte, pfiff, und trommelte mit den Handflächen auf den Holzzaun, der als Begrenzung diente, sogar ihre Lehnsherren ließen sich davon anstecken, wenngleich ihre Beifallsbekundung in vornehmer Zurückhaltung nur aus leichten Händeklatschen bestand. Nach Beendigung der Namensliste verkündete der Herold noch das weitere Prozedere. Da es mehr als fünfzig Teilnehmer gab, würde das Turnier mit sechs Grunddurchgängen beginnen, wobei die jeweils besten zwei Wettstreiter einer Gruppe in die nächste Phase aufsteigen würden. Die besten vier Schützen würden schlussendlich das Finale bestreiten, der Sieger würde dann vom Herzog seinen Preis empfangen.
Bertrand hatte Losglück, in seiner Gruppe war keiner der Favoriten. Er musterte seine Konkurrenten. Ein alter Mann mit großen Tränensäcken, ein korpulenter Typ der der Zwillingsbruder vom alten Pierre hätte sein können, drei dutzendgesichtige Bauern mit stumpf drein blickenden Augen, und zwei Söldner, einer klein und stämmig, der andere ein Riese von einem Mann. Beide Söldner waren in ihre dunkelgrüne Ledermontur gekleidet, hatten eine Federkappe auf dem Kopf und ihre Langbögen in der Hand. Sein Onkel war da schon weniger von der Herrin gesegnet. Ausgerechnet Brendel, war in seine Gruppe gelost worden. Dazu kamen noch mehrere junge, kräftige Männer die aussahen, als wüssten sie mit ihren Bögen umzugehen. Bertrand war niedergeschlagen. Er hatte sich für sich selbst keine großen Chancen ausgerechnet, weiterzukommen. Doch er hatte insgeheim gehofft, dass sein Onkel wenigstens das Finale erreichen, und so die Familienehre hochhalten würde. Nun, da einer der Favoriten in derselben Gruppe stand, war seine Hoffnung jäh zerplatzt. Sein Onkel begegnete seinem niedergeschlagenen Blick und blinzelte ihm aufmunternd ihm zu.
„Lass den Kopf nicht hängen, mein Junge“, sagte Jean, der sich an die Seite von Bertrand stellte. Das Turnier hatte schon mit der ersten Gruppe begonnen, Jean war jedoch in der dritten und Bertrand kam sogar als letzter dran. Es war also noch ein wenig Zeit für ein kleines Schwätzchen unter Familienangehörigen.
„Du hast eine schwere Gruppe erwischt. Ausgerechnet Brendel!“, meinte Bertrand niedergeschlagen. Jean knuffte ihn als Antwort spielerisch in die Seite bevor er ihm wirklich antwortete:
„Ich habe dir doch schon vorher gesagt, dass es wirklich schwierig werden kann. Dann muss ich halt Zweitbester werden. Doch du solltest dir nicht darüber den Kopf zerbrechen. Siehst du die Wimpel auf den Zelten?“
„Ja“, antwortete Bertrand. Die angesprochenen Wimpel befanden sich auf den Zelten des Tjost-Feldes, wo sich die Ritter auf ihren eigenen zweiten Durchgang vorbereiteten, seitlich und hinter den Zielscheiben für die Bogenschützen.
„Wenn du zum Schießen dran bist, betrachte sie genau. Sie werden dir Richtung und Stärke des Windes verraten. Halte deine Atmung ruhig und konzentriere dich auf dein Ziel.“ Bei diesen Ratschlägen beließ es Jean, nicht ohne vorher noch Bertrand Frisur zu zerzausen. Dann ging er zu seiner Gruppe wartete auf seinen Auftritt.
Bertrand widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Turnier. Die erste Gruppe hatte ihre fünf Versuche bereits hinter sich gebracht. Erwartungsgemäß hatte Jaques Scharfauge, ein spindeldürrer Mann mit einem breitkrempigen Hut, den Durchgang gewonnen. Dreimal hatte er ins Schwarze getroffen, in diesem Fall ein handbreiter roter Farbkreise, seine zwei weiteren Pfeile waren innerhalb des zweiten Kreises gelandet, was zu großen Jubel bei den Männern aus Cherannè gesorgt hatte. Die anderen Teilnehmer verblassten angesichts dieser Leistung. Zweiter wurde, ebenfalls unter dem Jubel der zahlreichen Bewohner des Marktes Montfort, ein Bauer aus selbigen Ort mit zwei Treffern innerhalb des zweiten, und zwei innerhalb des dritten Kreises. Sogar der Herzog lies sich zu einen anerkennenden Nicken und moderaten Applaus herab, immerhin war der Mann sein Bewohner seines persönlichen Lehens. Bertrand bezweifelte, dass Herzog Folcard, obwohl ein gütiger und gerechter Herrscher, jemals vorher von diesem Glückspilz Notiz genommen hatte. Der zweite Durchgang, ohne einen der großen Favoriten, bot noch schlechtere Ergebnisse als der erste. Mit einem Treffer, mehr Zufall als Können, gewann ein Bauer aus Perpileon mit einem Treffer ins Schwarze und zwei in den vierten Kreis. Anscheinend kamen die meisten Teilnehmer mit den Bedingungen nur schwer zurecht. Bertrand schöpfte wieder ein wenig Mut, der kleine Tipp seines Onkels könnte sich als sehr hilfreich entpuppen. Nach dem, was er bisher gesehen hatte, registrieren nur die Wenigsten, darunter natürlich alle Favoriten, die zusätzliche Informationsquelle durch die im Wind flackernden Wimpel der Zelte. Oder ihre Augen waren nicht scharf genug, um die in hundert Schritt Entfernung befindlichen Fähnchen zu erkennen.
Die Menge wurde langsam unruhig. Sie hatte sich in der Hoffnung versammelt, ein Spektakel zu sehen. Bisher jedoch waren die Leistungen gewöhnungsbedürftig. Inzwischen wurde sogar bei Treffern in den zweiten Kreis lauthals gejubelt. Gruppe Drei sollte dies jedoch ändern. Der erste Versuch brachte drei Treffer ins Schwarze. Natürlich von Brendel, als wäre dies eine kleine Trainingseinheit auf kurze Entfernung, und nicht ein Turnier vor den Augen des versammelten Heeres und dem Adel Montforts. Die anderen beidenVolltreffer kamen von zwei jungen, kräftigen Burschen, die lauthals von ihren Freunden und Verwandten im Publikum bejubelt wurde. Jeans erster Versuch landete weniger als einen Fingerbreit entfernt von einem Volltreffer im zweiten Kreis. Die Männer aus Villaux und Bertrand stöhnten verzweifelt auf. Der zweite Durchgang brachte wieder einen Volltreffer von Brendel, Applaus vonseiten der Tribüne mit dem Adel, einem Volltreffer von einem der jungen Burschen, und zur Freude von Bertrand einen Volltreffer von Jean.
Bertrand hatte vor Aufregung die Luft angehalten, als die Männer angelegt hatten. Als der Pfeil schließlich zitternd innerhalb des Farbkreises stecken geblieben war, hatte sich Bertrand nicht mehr zurückhalten können und war jauchzend vor Freude in die Luft gesprungen. Es war, wie man in Bretonia sagt, ein Tausend-Goldkronen-Schuss. Der Pfeil war mitten in der Zielscheibe gelandet, ein perfekter Schuss. Sogar Brendel hatte sich anerkennend zu Jean gewandt, und ihm gratuliert. Jean hatte etwas geantwortet, worauf Brendel gelacht hatte. Im tosenden Applaus der Menge hatte Bertrand jedoch kein Wort verstand. Er nahm sich vor, seinen Onkel darauf anzusprechen. Es kam immerhin nicht oft vor, den Jäger des Herzogs zum Lachen zu bringen. Versuch Drei und Vier führten schließlich dazu, dass Gruppe Drei mit einem Herzschlagfinale enden würde. Brendel versenkte jeden seiner Pfeile in der Mitte. Jeans härtester Konkurrent auf Platz Zwei traf im dritten Durchgang ebenfalls den innersten Kreis, obwohl der Pfeil schon hart am Rand auftraf. Jean hielt mit einem weiteren Volltreffer dagegen, was jeden anwesenden Leibeigenen aus Villaux, einschließlich Bertrand, zu lautstarken Jubelstürmen verleitete. Doch noch lag Jeans Konkurrent mit einem Volltreffer voran. Im vierten Durchgang verließ ihn jedoch sein Glück, der Pfeil landete knapp außerhalb der inneren Markierung. Jean gelang im Gegensatz dazu ein weiterer Volltreffer, womit er in der Wertung gleichzog. Die Menge tobte, ihre Hoffnung auf ein Spektakel war endlich aufgegangen. Als die Bogenschützen für den letzten, entscheidenden Versuch an die Linie gingen, war es so still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Niemand wollte die Konzentration der Teilnehmer stören, nicht einmal ein Husten war in der Menge zu hören. Sogar die hohen Herren auf der Tribüne beugten sich aus ihren Sitzplätzen nach vorne, um die Entscheidung besser zu sehen. Die Stimme des Turnierleiters hallte über den Platz.
„Bogenschützen, leeegt – an!“
Nach einer kurzen Atempause kam der Befehl: „Feuer!“
Fünf Pfeile schossen über das Feld und landeten zitternd in den Zielscheiben. Brendel hatte seinen fünften Volltreffer gelandet. Das abgeschlagene Feld kam über Treffer im dritten Kreis nicht hinaus. Die Konzentration aller galt jedoch dem Zweikampf um den zweiten Platz. Sowohl Jean, als auch sein Konkurrent hatten den inneren Kreis verfehlt. Ihre Pfeile waren beide im zweiten Kreis gelandet. Doch wer hätte besser getroffen? Atemlose Stille herrschte, als herzogliche Bedienste zu den Zielscheiben eilten und mit einer Messung begannen. Jedes Augenpaar im bretonischen Heer verfolgte die Bediensteten, die ihre Messung beendeten. Wer war der zweite Aufsteiger? Einer der Bediensteten rannte über das Feld, verfolgt von den blicken tausender und raunte dem Herold das Ergebnis ins Ohr. Mit klarer Stimme verkündete der Herold das Resultat. Die Spannung war fast körperlich spürbar, als der Herold zum Reden ansetzte. Bertrand hatte seine Augen geschlossen und betete zur Herrin vom See. Jean stand ungerührt da, den Kopf auf seinen Bogen gestützt.
„Sieger mit fünf Volltreffern und damit Aufsteiger der dritten Gruppe ist Brendel, Herzog des Jägers.“ Applaus ertönte und Brendel zog seinen Hut um sich in alle Richtungen, wobei er mit Tribüne begann. Der Herold, wie alle Männer seines Faches, erkannte, dass er die Menge nicht mehr länger auf die Folter spannen durfte.
„Zweiter und damit ebenso aufgestiegen, mit drei Volltreffern und zwei Treffern innerhalb des zweiten Kreises“, die Atempause des Herolds kam Bertrand wie eine kleine Ewigkeit vor. Jetzt würde er Gewissheit erlangen. Entweder Sieg, oder Niederlage. Die Menge war kurz vor dem Platzen und hing an den Lippen des Herolds, der diese unerwartete Macht über so viele Menschen zu genießen schien. „Zweiter mit einem Vorsprung von einem Fingerbreit ist“, – eine weiter unnötige und unendlich lange Pause. Sogar der Herzog schien unruhig auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen.
„Jean aus Villaux!“
Der tosende Jubel des Publikums schien keine Grenzen zu kennen. In seinen ganzen Leben hatte Bertrand noch nichts gehört, was an die Begeisterung der Menge auch nur annähernd rankam. Bertrand hatte das Gefühl, das bald seine Trommelfelle platzen müssten, als aus mehreren tausend Männerkehlen sich die Freude ihren Weg bahnte. Nicht nur die Männer aus Villaux, alle Versammelten schrien, jubelten vor Begeisterung. Die aufgestaute Spannung wurde von einer Welle aus Freudentaumel weggespült. Männer, die sich nicht kannten lagen sich in den Händen, sogar die sonst so zurückhaltenden Adeligen sprangen aus ihren Sitzen hoch. Onkel Jean fand sich in einer Traube von Gratulanten wieder und konnte gerade noch seinem unterlegenen Konkurrenten die Hand schütteln, bevor er von einer Gruppe Männer auf deren Schultern weggetragen wurde. Es bestand kein Zweifel, die einfachen Leibeigenen und Bauern hatten ihren Favoriten gerade gefunden.