Macht Spaß zu lesen
Danke 🙂
Ich weiß, dass die Spannungskurve flach ist. Aber wer wird denn gleich mit der Tür ins Haus fallen wollen 🙂
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Eine halbe Stunde später saßen sie wieder im Auto. Sie hatten sich entschieden zuerst nach München hinein zu fahren um noch ein paar Sachen aus ihrer Wohnung zu holen. Auch Seymon brauchte noch einige Dinge bevor man sich für die nächsten Tage - oder Wochen, gestand sich Anton ein - bei seiner Mutter einquartieren würde. Sie hatten im stillen Einverständnis beschlossen, dass es auf dem Land sicherer sein würde falls irgendetwas passieren würde,.
„Aber was hat er damit gemeint, dass sie auf alles vorbereitet sein wollen?“, Anna ließ nicht locker. „Ich meine, das sind Soldaten. Mit Maschinengewehren! Auf was wollen sie im kleinen Domborn denn schießen, bitte schön?“. Ihre Stimme gewann immer mehr Spitze, je mehr sie sich in die Situation hineinsteigerte.
„Siche' ist siche'!“, schaltete sich Seymon mit ernster Miene ein. „Du weis' nie, wann kommt de Angriff von Kuh mit Rinde'wahnsinn.“. Kurz blieb er todernst, dann strahlte er über das ganze Gesicht über den gelungenen Witz. Niemand lachte.
„Anna, du hast es doch selbst gesagt. Das sind Soldaten. Die denken anders! Die denken an Sachen, die uns vermutlich nicht einmal im Traum einfallen würden.“, er sah sie genervt an. „Lass die Männer mal machen. Solange sie uns nichts tun kann es uns doch egal sein. Und warum sollten sie?! Die sollen uns beschützen!“.
Anna schnaubte höhnisch und Anton wurde wütend. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf die Fahrt.
„Ich vertraue keinem Menschen der eine Waffe braucht, um sich stark zu fühlen!“, sagte sie selbstgefällig.
Anton knurrte tatsächlich ein wenig bei diesen Worten. Zum Glück waren das Radio und die Fahrtgeräusche zu laut als das es jemand gehört hätte.
Es dämmerte bereits, als sie an Seymons Wohnung ankamen. Sie selbst hatten nur wenige Minuten gebraucht um die nötigsten Sachen zusammen zu suchen. Das lag aber auch daran, dass er und Anna nicht wirklich damit rechneten mehr als ein paar Tage auf dem Dorf zu bleiben. Bei ihrer Fahrt durch das geschäftige München hatten sie nur wenig gesehen, das auf das Chaos der letzten Nacht - war das wirklich erst letzte Nacht gewesen?! - hingedeutet hatte. Der deutlichste Hinweis waren die schwarzen Silhouette zweiter niedriger, herunter gebrannter Gebäude gewesen und eine Seitenstraße war mit Absperrband trassiert gewesen, von Polizisten war hier aber aber keine Spur zu sehen. Immer wieder waren ihnen Fahrzeuge der Bundeswehr begegnet und einmal hatten sie an einer großen Kreuzung halten müssen, als Soldaten mit vorgehaltener Waffe einen Lkw durchsucht hatten. Anton las in den Gesichtern der Soldaten, dass sie selbst nicht so wirklich wussten, was sie eigentlich suchten.
Den gesamten Weg wurden sie von zuckendem Blaulicht begleitet, das in den Straßenzügen umher geisterte, aber nur selten sahen sie ein Polizeifahrzeug und die dazu gehörigen Beamten.
Ein Polizist wies gerade einige Soldaten ein, zeigte auf Straßen und Gebäude – aber niemand beachtete ihn.
Neben einem Einkaufszentrum standen gleich zwei Streifenfahrzeuge und eine handvoll Polizisten überwachten den Abtransport von weißen, und verdächtig menschengroßen Säcken. An der Fassade des Gebäudes prangte noch der rote Schriftzug „Lange Einkaufsnacht!“.Anton wurde übel und er blickte wieder stur geradeaus.
Zwei Straßen vor Seymons Wohnung stand ein ausgebranntes Auto. Das Fahrzeug war ein rußgeschwärztes Wrack aber man erkannte noch deutlich den geschmolzenen Aufbau des Blaulichts. Eine Horde Jugendlicher saß darauf, ihre Haltung drückte Überheblichkeit und Arroganz aus und sie tuschelten leise miteinander. Anton hatte die klamme Befürchtung, dass es eine Weile dauern würde, bis sich in diesem schäbigen, randseitigen Teil Münchens die nächste Polizeistreife verirren würde.
Kurz darauf stieg Seymon aus und ging ins Haus. Es war ein herunter gekommener Block, mit einem Verputz der grau war von den Abgasen und der nicht nur an einer Stelle großflächig abbröckelte. In den untersten Fenstern brannten schwache Lichter und beleuchteten von innen die nikotingelben Vorhänge.
Anton und Anna blieben im Auto sitzen, geschützt vor der liederlichen kalten Witterung.
Die Dunkelheit kam jetzt mit großen Schritten und hier in den Häuserschluchten war es doppelt dunkel. Anton sah eine Gruppe Männer auf der Straße gehen. Sie waren gerade um eine Straßenecke gebogen und ihr Gang stach ihm sofort ins Auge. Die Männer fühlten sich sicher, und unangreifbar.
Es waren vermutlich mehr als zehn, die breitschultrig und O-beinig die Straße herab kamen. Anton sah einen Baseballschläger, und eine Machete. Neben ihm stieß Anna ein leises Wimmern aus und versuchte, sich auf ihrem Sitz unsichtbar zu machen. Anton lief ein eisiger Schauer über den Rücken aber er bewegte sich keinen Milimeter.
Die Männer kamen näher. Gemächlich. Selbstsicher.
Eine einzige Nacht voller Chaos und Gewalt, dachte Anton, und die Ordnung ist schon so weit zusammen gebrochen? Das waren keine irren Amokläufer, wie sie sie gestern überall gesehen hatten. Die hier waren grobe Typen, Mitglieder irgendeiner Gang, ohne Zweifel. Gefährlich, ganz sicher sogar sehr gefährlich wenn man sich ihnen widersetzte. Aber es waren am Ende nur Kriminelle, die die neu gewonnene Freiheit ausnutzten, um ihr Revier zu vergrößern und dabei offen Waffen bei sich trugen. 'Nur Kriminelle'.
Sie hatten den Wagen gegenüber auf der anderen Straßenseite von Seymons Wohnhaus aus geparkt und so war es ihr Glück, dass sie weit genug weg und im Schatten standen, als die Gruppe an ihnen vorbei lief. Niemand bemerkte sie.
Doch Seymon hatte nicht so viel Glück. Der Knall, mit dem die Haustüre ins Schloss fiel, war noch auf der anderen Straßenseite, und durch die geschlossene Tür des Autos zu hören. Einige der Schläger zuckten leicht zusammen, einige griffen tief in ihre Taschen, aber alle drehten sich Seymon zu. Der stand jetzt vor dem Haus, wie erstarrt, und glotzte.
Anton konnte nicht hören, was gesprochen wurde. Aber einer der Männer, ein glatzköpfiger Hüne mit einer Tätowierung auf dem blanken Schädel, grölte etwas. Es klang, als mache er sich über den Schwarzen lustig und Anton meinte, auch Seymons Namen gehört zu haben.
Er sah, wie die Hand seines Freundes unwillkürlich zu der langen Messernarbe auf seinem Bauch wanderte.
Wieder grölte der Riese etwas. Etwas Böses. Aggressives.
Dann hämmerte er seinen Baseballschläger gegen eine Mülltonne, die neben ihm am Straßenrand stand. Anton konnte die Tonne drei Meter weit fliegen sehen, bevor sie hohl und dröhnend auf der Straße aufschlug.
Die Schläger johlten und Anton sah vereinzelt Messer aufblitzen. Die Menge rückte zusammen, näher auf Seymon zu, der sich jetzt anspannte, einen Ausdruck fatalistischer Entschlossenheit auf dem Gesicht und einen alten ledernen Koffer in der Faust.
Anton hatte gerade den Türgriff in der Hand als Scheinwerfer über die Szenerie gleißten. Ein Geländewagen kam um die Kurve gefahren, zusätzliche Scheinwerfer auf dem Dach strahlten die Straße aus als er gemächlich näher kam. Unsicher, ob der vielen Personen auf der Straße, wurde das Fahrzeug langsamer, fuhr eine unbeholfene leichte Schlangenlinie und kam dann zum Stillstand.
Die Schläger hatten die Arme gegen das Licht erhoben aber Anton konnte auch schon die ersten sehen, die sich herausfordernd vor dem Neuankömmling aufzubauen begannen.
Jetzt oder nie!
Er fiel geradezu aus seinem Auto als er die Tür aufriss. Taumelnd kam er wieder auf die Beine und sah aus den Augenwinkeln Köpfe in seine Richtung zucken. Doch offenbar waren die Brutalos noch mit der Situation überfordert, denn niemand unternahm etwas, als er auf das Licht zu stolperte und die Arme schwenkte.
Bitte, lass mich richtig geraten haben!, betete er inständig. Bitte! Bitte! Bitte!
„Hilfe!“, schrie er aus vollem Hals. „Helfen Sie uns!“. Er stand jetzt mitten im Lichtkegel und sah selbst kaum noch etwas. „Bitte! Hilfe!“, jammerte er. Ein Klacken ertönte. Eine Autotür! Dann traten Schatten vor den Jeep. Zwei, drei, vier, fünf Mann. Er sah Flecktarn.
Oh Gott! Danke! Bundeswehr.
„Was ist hier los?“, bellte eine befehlsgewohnte, dunkle Stimme. Einer der Schattenrisse bewegte auffordernd die Hand. „Wer hat um Hilfe gerufen?“.
„Das war ich.“. Anton war sich der bohrenden Blicke der Schläger im Rücken mehr als bewusst.
„Also was ist los, junger Mann! Sie sollten wissen, dass man nicht einfach zum Spaß um Hilfe ruft!“.
Bevor Anton antworten konnte kam ihm jemand zuvor. Es war der große Glatzkopf und er tat das, was er am Besten konnte. Und damit das Falscheste, das ihm in dieser Situation einfallen konnte: Er drohte.
Grimmig grollte seine Stimme über die Straße zu den Soldaten: „Verpisst euch! Ihr seid keine Bullen. Ihr habt hier nix zu melden, ihr Pisser!“, leises Gelächter aus den eigenen Reihen stärkte ihm den Rücken. „Holt doch die Bullen! Wenn noch genug davon übrig sind!“. Lauteres Gelächter diesmal. Die Schläger holten ihre Messer und Knüppel wieder hinter den Rücken hervor.
„Hören Sie mir jetzt mal sehr gut zu.“, der Soldat klang weder beeindruckt noch wütend. „Wir haben ein Mandat erhalten, für Ordnung zu sorgen. Wir sind jetzt hier die Polizei! Also verpisst euch selbst! Eine zweite Chance bekommt ihr nicht.“. Seine Stimme hatte einen leicht erheiterten Unterton, als gäbe es da einen Witz, den nur er verstand. Anton hielt die Luft an.
„Ein Mandant also, was? Wir haben ein Mandant erhalten!“, äffte der Glatzkopf ihn nach. „Was faselst du für einen Scheiss! Haut ab jetzt! Wir haben hier ...“, er drehte sich wieder Seymon zu, „... zu tun.“.
Ein Soldat sagte etwas Unverständliches zu dem Sprecher.
Anton fragte sich, was jetzt wohl passieren würde. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und das Blut rauschte in seinen Ohren.
Das metallische Schnappen, als fünf Sturmgewehre gleichzeitig durchgeladen wurden, hallte wie Donnerschlag durch die Straße. Die Wirkung war ähnlich. Jede Bewegung erstarrte und Anton hörte, wie hinter ihm irgendwo ein Fenster zu geschlagen wurde. Der neugierige Nachbar flüchte gerade vermutlich hinter die Couch.
Die Stimme des Soldaten war kälter, als Anton es jemals gehört hatte.
„Mein Oberst,“, sagte der Mann gedehnt, „hat mir den Befehl gegeben die öffentliche Ordnung zu erhalten.“. Etwas rasselte, und Anton sah, wie einer der Schatten das Gewehr in Anschlag brachte. Die anderen Schatten verteilten sich und einer oder zwei legten ebenfalls an.
„Du Wurm, wirst nicht verstehen wovon ich spreche.“, seine Stimme triefte vor ätzender Abscheu, „Aber ich schwöre dir, dass ich dich und deine Freunde in eurem eigenen Blut hier zurück lassen werde wenn IHR EUCH NICHT SOFORT VERPISST!“.
Anton taumelte. Die letzten Worte waren so laut heraus gebrüllt worden, dass ihm die Knie weich wurden. Er sah, dass sogar einer der Soldaten leicht taumelte, bevor er wieder Haltung annahm.
„He, komm mal wieder runter..“, kam es unsicher von den Schlägern. Der peitschende Knall eines Schuss fetzte ihre letzte Courage hinweg und wenige Sekunden später war die Straße und der Platz vor dem Wohnblock leer. Rennende Schritte verloren sich in der Dunkelheit. Nur Seymon stand noch da, wie erstarrt.
Anton hockte auf dem Boden. Er fröstelte. Hinter sich konnte er Anna im Auto leise schluchzen hören.
Die Soldaten aber waren entspannt.
„Ich glaub ich hab nen Hörsturz.“, murmelte einer und leises Lachen aus der Runde antwortete ihm. Einer der Schatten löste sich aus der Gruppe und kam zu Anton hinüber. Der Mann kniete sich neben ihn und er erkannte an der Stimme, dass es der Truppführer dieses Haufens Soldaten war. Der Mann war die Ruhe selbst. Ein angegrauter Schnauzbart ließ sein Gesicht väterlich erscheinen.
„Ich habe ihnen hoffentlich keine Angst gemacht.“, sein Plauderton passte so gar nicht dazu, wie er gerade eben noch geklungen hatte.
„Wissen Sie: es tut mir Leid, wenn es so wäre. Aber manchmal gehört ein bisschen … Show … einfach dazu.“, er wartete, bekam aber keine Antwort. Er klopfte Anton leicht auf die Schulter und stand wieder auf. „Packen Sie besser ihre Sachen und machen sich vom Acker! Wer weiß, wann die Kerle ihren Mut wieder finden. Und ich möchte nicht wirklich jemanden erschießen müssen.“.
Anton zitterte, als er aufstand. Er nickte dem Soldaten stumm zu, dann ging er zum Auto zurück.