40k Verdammt - Die Geschichte eines unscheinbaren Mädchens.

Pad5di

Aushilfspinsler
9 Januar 2020
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Hi! Ich habe mit dieser Geschichte vor zwei Jahren an einem Wettbewerb von GW teilgenommen. Leider hat sie es nicht in die engere Auswahl geschafft. Ich wollte jedoch nicht, dass sie auf meiner Festpatte verstaubt, daher teile ich sie mit euch.
Die Grundidee war, dass ich zur Abwechslung mal keinen großen Helden als Hauptcharakter haben wollte, sondern einen ganz normalen Menschen. Einen beliebigen der
vielen Milliarden Einwohner des Imperiums. Die Normalität hielt allerdings nicht lange an, denn ganz so unscheinbar ist die Hauptperson dann doch nicht...

Ich würde mich über Feedback freuen und hoffe, meine Geschichte gefällt euch.

Verdammt

Für Anna begann der Tag, wie jeder andere auch. Um 05:00 Uhr morgens wurde sie von einem hellen, durchdringenden Ton aus dem Schlaf gerissen. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen und setzte sich in ihrer kleinen Koje auf. Ihr Vater und ihre Mutter erhoben sich bereits. “Guten Morgen mein Schatz.”, begrüßte der Vater sie, während er zu der Schalttafel an der Tür eilte, um den Wecker aus zu schalten. “Morgen.”, entgegnete sie zerknirscht und schwang die Beine über die Bettkante. Die Wohneinheit ihrer Familie war sehr klein. Es gab nur den Wohnraum, in dem gegessen, geschlafen und gelebt wurde, sowie ein kleines Bad. Mehr Platz wurde den Arbeitern der Fabrik nicht zugestanden. In Archaos Secundus, einer Makropole auf dem Planeten Archaos, gab es nicht genug Platz für die Milliarden von Menschen, man lebte auf engstem Raum zusammen und arrangierte sich mit den harten Lebensbedingungen, so gut es ging. Zumindest galt das für die einfachen Bewohner der mittleren Ebnen. Die Reichen und Schönen der Stadt lebten in den höheren Ebenen, nahe der Spitze der Makropole, so hatte Anna zumindest gehört. Angeblich ragten die Habitate der Regierung bis zu den Sternen hinauf, so dass die mächtigsten Männer des Planeten sie nach belieben betrachten konnten. Anna wusste nicht, ob das stimmte, denn sie hatte mit ihren 18 Lebensjahren noch nie eine andere Ebene von Archaos Secundus gesehen, als die, in der sie lebte. Genau genommen hatte sie noch nicht einmal das Viertel, in dem sich die Fabrik und ihre Wohneinheit befanden, verlassen.
Anna stolperte unbeholfen in das kleine Badezimmer und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die Flüssigkeit war trüb und brannte leicht auf der Haut, da die Wasseraufbereitungsanlagen der Stadt vollkommen überfordert waren. Mit einem Stück Seife wusch die junge Frau sich die schmutzigen Hände, eine Angewohnheit, an der sie nach wie vor festhielt. Morgens sowie abends schrubbte sie sich die Finger wund um wenigstens den gröbsten Schmutz, das Öl und andere schwarze Rückstände los zu werden, die sich in dem Arbeiterviertel unweigerlich über alles und jeden legten. Während sie mit der Seife zu werke war, kam ihr Vater hinzu und benetzte ebenfalls sein Gesicht mit Wasser. Er hatte den Traum von Sauberkeit schon vor langem aufgegeben. Nach jahrelangem Schuften in der Fabrik hatte sich jede Kerbe, jede Falte seiner zerfurchten Haut mit dunklen, hartnäckigen Rückständen gefüllt, die sich nicht mehr abwaschen ließen. Stumm verließ er das Bad um seinen Overall anzuziehen. Nach der Wäsche zog auch seine Tochter ihre Arbeitskleidung an; einen grauen Overall aus grobem, zerschlissenem Stoff mit unzähligen Taschen für Werkzeug. Seit ihrem 10. Lebensjahr arbeitete Anna in der selben Fabrik, wie ihre Eltern. Zunächst wurde sie nur damit beauftragt Werkzeuge und Arbeitsmaterialien von den Ausgabestellen zu den Arbeitsplätzen der Erwachsenen zu bringen. Wenn eine der größeren Maschinen eine Fehlfunktion hatte, musste sie in deren beengten und düsteren Bauch klettern um das Problem zu finden. Doch seit ihrem 15. Geburtstag war sie alt genug, um als vollwertige Arbeitskraft die Uniformen für die Soldaten der planetaren Verteidigungsstreitkräfte zu nähen. Ihre Schicht begann um sieben Uhr. Zeit genug, um noch etwas zu essen. Als die kleine Familie am Esstisch saß und ihren Protein-Kohlenhydrate-Brei löffelte, begann ihr Vater mit ihr über die Jungs der Nachtschicht zu reden. Das tat er in letzter Zeit immer häufiger. Er sprach es nicht aus, doch Anna wusste warum. Sie war erwachsen und es war an der Zeit, sich einen Ehemann zu suchen, selbst Kinder zu kriegen und somit dem Fortbestand der Fabrik zu dienen. Wenn die Arbeiter nicht genug Nachwuchs hätten, würde es irgendwann nicht mehr genug Arbeitskräfte geben und dann würden die tapferen Soldaten des Imperiums keine wärmende Kleidung mehr erhalten. Keine Stiefel um die Feinde der Menschheit zu zertreten. Keine Handschuhe mehr, um auf fernen, eisigen Welten ihr Gewehr halten zu können. Anna war im tiefen Glauben an den Imperator der Menschheit erzogen worden und wollte ihrer Pflicht seinem Imperium gegenüber nachkommen. Dass sie nicht viel von Männern hielt und keinen kannte, dem sie auch nur freundschaftliche Gefühle entgegen brachte, war nebensächlich. Sie wollte auf keinen Fall den Zorn des Imperators auf sich ziehen. Auch stand verheirateten Paaren etwas mehr Lohn zu. Geld, das sie und ihre Familie gut gebrauchen konnten.
Aus diesen völlig unromantischen Gründen hätte Anna morgen schon geheiratet, doch es waren die Jungs, die sie ablehnten. Es lag keineswegs an ihrem Äußeren, das war ihr klar. Ihre schwarzen, kinnlangen Haare umrahmten ein fein geschnittenes Gesicht, große, helle Augen, eine schmale Nase und volle Lippen. Anna kannte viele Frauen, die einen Mann hatten und unscheinbarer waren. Nein, niemand wollte Anna heiraten, weil alle Männer sie schon von klein auf kannten. Sie waren alle zusammen in die Schule gegangen und die meisten von ihnen arbeiteten später auch in derselben Schicht. Sie alle kannten die Gerüchte über sie, manche waren sogar bei den seltsamen Zwischenfällen dabei gewesen. Alle flüsterten sie hinter ihrem Rücken. Sie nannten sie Hexe, Mutant, Abschaum, Dämonenkind, Xenobrut. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nie Freunde gehabt. Schon in der Schule war sie den anderen nicht geheuer. Sie konnte irgendwie… spüren, wenn ihr jemand einen Streich spielen oder ihre Pausenration stehlen wollte. Noch bevor der Übeltäter zur Tat schreiten konnte, lief Anna ihm davon - manchmal schlug sie auch zu. Es hatte im Laufe der Jahre mehrere Knochenbrüche und blaue Flecken gegeben. Einmal hatte der Hausmeister der Schule sie allein in einem verlassenen Korridor getroffen und wollte sie in eine Ecke drängen. Die neunjährige Anna, von einer grauenvollen Vorahnung gepackt, schlug mit ihrer kleinen Faust auf den großen, massigen Mann ein. Mit einem einzigen Hieb brach sie zwei Rippen und prellte eine weitere. Einer der Heiler, der den Mann auf die Krankenstation bringen sollte, hatte gemurmelt: “Das kann unmöglich ein kleines Mädchen getan haben. Mit bloßen Händen.” Es dauerte nicht lange und niemand mehr wollte etwas mit Anna zu tun haben. Man ging ihr aus dem Weg, ignorierte oder beschimpfte sie. Dabei war es nie ihre Absicht gewesen, jemanden ernsthaft zu verletzen. Sie wusste selbst nicht, woher ihre Vorahnungen und ihre schnellen Reaktionen kamen. Das machte ihr Angst. Sie fürchtete sich vor sich selbst. Konnte es wirklich sein, dass sie ein Monster oder eine Hexe war? Ihre Eltern waren doch vollkommen normal, also konnte das doch unmöglich stimmen. Anna lernte, ihren Mitmenschen aus dem Weg zu gehen, sich nicht provozieren zu lassen und unterdrückte vehement jede Vorahnung und alles, was nicht normal zu sein schien. Doch die Kinder des Viertels vergaßen die unheimlichen Begebenheiten nicht und heute war Anna noch immer allein. Nur ihre Eltern hielten zu ihr, liebten sie und sorgten sich um sie. Jedes Mal, wenn Anna etwas seltsames passiert war, hatten ihre Eltern ihr den Kopf gestreichelt, ihr gesagt, dass es nicht ihre Schuld sei, sie es aber trotzdem verheimlichen musste. Vor jedem.
Ihr Vater fragte sie etwas und riss sie damit aus ihren Grübeleien. “Was?”, fragte sie durcheinander. “Derrek, Schatz, toller Kerl in der Nachtschicht. Arbeitet an der Linie für Rucksäcke. Kennst ihn nich’?” Womit ihr Vater ihr zu verstehen gab, dass er sie vielleicht heiraten würde, da er die Gerüchte über sie möglicherweise noch nicht gehört hatte. “Nein, ich kenn’ ihn nich.”, antwortete sie widerstrebend. “Solltest du - wir können ihn am Ruhetag zum Essen einladen.” “Ja.”, antwortete die junge Frau ohne Begeisterung. Die Schüssel vor ihr war geleert und es wurde Zeit, zur Arbeit zu gehen. Gemeinsam mit ihren Eltern verließ sie die kleine Unterkunft und trat hinaus auf die schmale Gasse davor. Zu beiden Seiten des Weges reihten sich die grauen, schmutzigen, rechteckigen Unterkünfte der Arbeiter aneinander. Um keinen Platz zu verschwenden, waren jeweils fünf Wohneinheiten übereinander gestapelt, die oberen Etagen waren durch schmale Treppen und Leitern erreichbar. Annas Familie wohnte ebenerdig und musste sich zunächst durch einige Müllsäcke kämpfen, die den Weg nach draußen versperrten. Es gab zwar einige Recyclinganlagen auf den unteren Ebenen der Stadt, doch die Müllabfuhr kam bei der schieren Menge an Abfällen einfach nicht hinterher. Den entsetzlichen Gestank nahm Anna schon gar nicht mehr wahr, ebenso wenig den dichten Smog, der die recycelte Luft verpestete. Ihre Mutter jedoch wurde von einem heftigen Hustenanfall erschüttert. Das geschah immer häufiger und die Anfälle wurden schlimmer. Der Vater hatte einen Heiler um Rat gefragt, doch der hatte nur mit den Achseln gezuckt und etwas von “Liegt an der Luft”, gemurmelt.
Die Fabrik war nur zwei Straßen entfernt und wie immer füllten sich die Wege mit Menschen, die alle das gleiche Ziel hatten. Durch ein großes Tor, welches zwei Mann hoch war und zehn breit, ging es zur Registrierung. Eine Reihe von Servitoren der Verwaltung stand rechts an der Wand und scannte die Ausweise jeden Mitarbeiters, registrierte die Uhrzeit und sendete die Informationen an die Verwaltung, ein paar Etagen weiter oben. Zur Linken sah Anna weitere Servitoren, die die Ausweise derjenigen scannten, die das Gebäude verließen. Wachmänner tummelten sich im Eingangsbereich und beobachteten gelangweilt das Kommen und Gehen. Um 06:50 Uhr ertönte ein lauter Gong aus den Lautsprechern der Eingangshalle und alle Arbeiter der Frühschicht lenkten ihre Schritte zu der Kapelle, die sich weiter hinten auf der rechten Seite an die Eingangshalle anschloss. Vor Beginn jeder Schicht wurde gebetet. Die Menschen drängten sich dicht an dicht, knieten ehrfürchtig vor dem Altar mit dem riesigen, vergoldeten Aquila und senkten andächtig die Köpfe. Ein Priester, in weite, helle Roben gehüllt, trat vor die Versammelten und gemeinsam beteten sie für einen weiteren, produktiven Tag im Dienste des Gott-Imperators. Durch die Erfüllung ihrer Pflicht, so der Priester, preisten sie alle seinen Namen und dienten ihm und damit der gesamten Menschheit.
Anna kniete mit geschlossenen Augen zwischen ihren Eltern und betete so inbrünstig, wie alle anderen. “Bitte, lass mich einen Mann finden, mit dem ich Kinder zeugen kann, so wie es dein Wille ist. Bitte, beschütze mich vor den seltsamen Kräften, die ich zu haben scheine. Schütze meine Seele, reinige mich von dem Unreinen.” Um Punkt sieben Uhr beendete der Priester die Andacht und scheuchte sie alle an ihre Arbeitsstationen.

Die Produktion der Uniformen lief Tag und Nacht. Nur am Ruhetag, einmal alle zwei Standard-Wochen, standen die Maschinen still. Die Armeen des Imperators waren ungezählt, genauso wie die Kriege, die sie zum Schutze der Menschheit führten. Der Bedarf an Ausrüstung war unvorstellbar groß. Deshalb achteten die Aufseher darauf, dass keine Zeit verschwendet wurde, es keine Unterbrechungen gab. Der Mann, der an Annas Platz saß und eine Feldjacke zusammen nähte, war aus der Nachtschicht und durfte erst gehen, wenn er von Anna abgelöst wurde. Sie begrüßte ihn leise und er stand wortlos auf und ging schlürfenden Schrittes hinaus. Anna setzte sich an ihren Platz. Prompt kam ein kleiner Junge angelaufen, einen großen Karren vor sich her schiebend. Anna nahm die vorgeschnittenen Stoffe aus dem Karren und begann sie mit geübten Fingern zusammenzunähen. Die Stunden zogen vorbei, während sie erst eine Feldjacke, dann eine Hose, dann einen Offiziersmantel nähte und in einen wartenden Karren rechts von sich legte. Alles war wie immer. Am Platz vor ihr saß Tim, ein ehemaliger Klassenkamerad. Offenbar wurde ihm mal wieder langweilig, denn er drehte sich zu ihr um und grinste höhnisch. “Na, haste kleine Kinder gefrühstückt, du Hexe?” Zorn kochte in Anna hoch, doch sie unterdrückte ihn. Sie kannte derlei Gemeinheiten von Tim, genauso wie von allen anderen. Es war inzwischen Teil ihres Alltags. Sie ignorierte ihn und arbeitete weiter. Im Gegensatz zu ihm nahm sie ihre Pflichten ernst. Doch ihr Schweigen stachelte ihn nur noch weiter an. Als der kleine Junge erneut mit Arbeitsmaterialien zu Annas Platz eilte, zog Tim die Nase hoch und spuckte auf den wertvollen Stoff im Karren. “Lass das!”, fauchte die junge Frau, griff widerwillig in den Karren und zog den beschmutzten Stoff heraus. Eine Offiziersjacke. Und der klebrige, graue Fleck war deutlich zu sehen. Anna konnte Tim für die Beschädigung der Ware melden. Aber das würde Arbeitszeit in Anspruch nehmen und die Aufseher konnten sie genauso wenig leiden, wie alle anderen. Den Stoff einfach zu entsorgen kam ebenfalls nicht in Frage, die Aufseher würden sie der Verschwendung von wertvollen Ressourcen bezichtigen. Es half nichts. Sie musste die Jacke fertig stellen. Wenn bei der Endkontrolle der Fleck auffiel, würde man ihr die Schuld geben. Sie konnte nur darauf hoffen, dass die Jacke in der Menge der Exemplare unter ging.
Ihre Passivität stachelte Tim nur noch weiter an. “Guckt mal, die näht Scheiße zusammen!”, krähte er. “Bist ‘ne schlechte Näherin, bist hochnäsig, bist’n scheiß Mutant, Hexe!” Viele Blicke wanderten zu ihnen herüber. Manche begannen zu murmeln oder nickten leicht in stiller Zustimmung. Niemand griff ein. Niemand machte sich für Anna stark. “Mach deine Arbeit, Tim!”, herrschte sie ihn an und ging mit gutem Beispiel voran. Ein Brennen erfasste ihr Herz und ließ sie leise aufkeuchen. Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf. Das starke Gefühl einer Bedrohung wallte ihn ihr auf. Stark, aufdringlich und unmissverständlich. Ihr war klar, dass Tim es heute nicht bei verbalen Attacken bleiben lassen würde, auch wenn sie keine Ahnung hatte, woher dieses Wissen so plötzlich gekommen war. Tim wollte Gewalt und Grausamkeit. Alles in ihr schrie danach, sich zu schützen, der Attacke zuvorzukommen. Nicht schon wieder!, dachte sie sich. Es durfte nicht noch einen seltsamen Vorfall geben. Sie durfte dem Verlangen in ihr nicht nachgeben. Ihre Seele stand auf dem Spiel. Mit aller Willenskraft, die sie aufbringen konnte, ignorierte die Frau das Brennen und Tosen in sich und führte eine zitternde Hand zur Nadel der Nähmaschine vor sich. Plötzlich bewegte Tim sich. Seine Hand fegte in Annas Blickfeld und traf auf die ihre. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Linke. Und noch einer und noch einer. Die Explosionen von Schmerz erfolgten rasch aufeinander. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, riss instinktiv ihre Hand zurück und presste sie schützend gegen ihren Körper. Die automatisierte Nadel war abgebrochen, der gezackte Stumpf fuhr noch immer auf und ab, auf und ab. Blut tropfte auf den Tisch und den Stoff darunter. Ihr Blut. Mit vor Schmerz tränenden Augen blickte Anna fassungslos auf ihre Hand. Eine Reihe von Einstichen zog sich quer über ihren Handrücken, die Spitze der Nadel steckte noch in ihrem Fleisch. Die Stiche gingen tief und der Schmerz gewann noch an Intensität, nachdem der erste Schock abgeklungen war. Ein Wimmern drang aus ihrem Mund. Zitternd griff sie mit der Rechten nach der Nadel und zog sie heraus. Ein Reißen im Innern. Noch mehr Blut. Der Schmerz wurde noch intensiver, raubte ihr für einen Moment den Atem. Als sie wieder Luft in ihre Lungen saugen konnte, hob sie den Blick und sah in das von Boshaftigkeit verzerrte Gesicht von Tim. Er saß verkehrt herum auf seinem Stuhl, sah sie an und lachte in sich hinein. Hass erfüllte Anna, bahnte sich den Weg durch ihren Verstand und verdrängte sogar den Schmerz. All die Gemeinheiten, all die Grausamkeiten, die ihr je widerfahren waren, durch Tim und durch viele andere Menschen, all das kochte in ihr hoch. Dieses bösartige Gesicht und dieses Lachen standen stellvertretend für alles Leid in ihrem Leben. Erneut richteten sich ihre Nackenhaare auf, die Luft schien zu vibrieren und es roch plötzlich intensiv nach Ozon. Dann zerplatzte Tims Kopf.
Im einen Moment lachte er sie noch aus, im nächsten war da nur noch eine rote Wolke, die auseinander stob und zahllose winzige Knochensplitter, wie Schrapnelle in alle Richtungen sausten. Einige bohrten sich Schmerzhaft in Annas Körper und auch ihre Kollegen wurden getroffen und schrien vor Schreck und Schmerz auf. Während der feuchte, rote Nebel sich langsam, wie in Zeitlupe auf Tims Körper, seinen Arbeitsplatz, auf Anna und alles in einem Umkreis von mehreren Metern herab senkte wurde es totenstill. Alle waren starr vor Schreck und das einzige Geräusch war das nasse Klatschen, mit dem Tims Körper von seinem Stuhl rutschte und auf dem Boden aufschlug. Dann war der Moment vorbei. Was folgte, war Chaos.

Die Leute schrien vor Entsetzen, brüllten nach den Aufsehern und wichen in Panik vor Anna zurück. Viele zeigten mit dem Finger auf sie und riefen Dinge wie “Mörderin!”, “Hexe!”, “Mutant!”, oder “Du hast ihn getötet!” Anna selbst saß regungslos auf ihrem Stuhl und starrte entsetzt auf das Blutbad. War das wirklich sie gewesen? Aber das hatte sie nicht gewollt! Es war keine Absicht! Trotz der Wut auf ihn, trotz allem, was sie hatte erdulden müssen - sie wollte nie jemanden verletzen. Sie konnte Tim unmöglich getötet haben. Oder doch? Hatte sie es vielleicht doch gewollt, tief im Innern? Plötzlich war da ihre Mutter neben ihr, ergriff ihren Arm und zog sie auf die Beine. “Los komm. Weg hier.”, sagte sie, doch Anna schien zu einer leblosen Puppe geworden zu sein. Mit sanftem Nachdruck zog ihre Mutter sie mit sich durch die Menge der panischen Arbeiter, die verängstigt zurück wichen als sie die blutgetränkte Anna auf sich zu kommen sahen. Anna bekam nicht mit, wie und wann sie die Fabrik verlassen hatten. Sie wusste nur, dass plötzlich ihr Vater zu ihrer Linken ging und fragte, was passiert war und dass sie sich vor der Tür ihrer Wohnung befand. Während die Mutter sie nach drinnen schob erzählte diese ihrem Ehemann von dem toten Tim. Anna stand in der Mitte des kleinen Raumes, tropfte Blut und Hirnmasse auf den Boden und begann haltlos zu zittern. “Zieh das aus und wasch dich.”, wies ihre Mutter sie an, doch ihr Körper bebte so stark, dass sie Hilfe benötigte. Nachdem sie das Gröbste von Tims Überresten los geworden und von ihrer Mutter in neue Kleider gesteckt worden war, ließ das Beben allmählich nach. Dafür kam die Angst. Diese stand auch ihren Eltern ins Gesicht geschrieben. “Du musst fliehen. Sie werden dich sonst holen.”, sagte ihre Mutter mit kummervollem Gesicht. Der Vater eilte in die Kochecke und stöberte in den den Schränken herum. “Fliehen?”, fragte Anna. “Ja, lauf weg, Kind. Sie werden dich suchen. Wenn sie dich finden, töten sie dich.” Ihr Vater kam mit einem kleinen Bündel zurück und drückte es ihr in die Hand. “Wir lieben dich. Aber du musst gehen.”, beharrte er. Tränen der Verzweiflung und der Angst stiegen Anna in die Augen. Ihre Mutter umarmte sie, drückte sie an sich und sah ihr danach in die Augen. Selbst den Tränen nahe, sagte sie: “Du bist nicht schlecht. Denk daran. Wir lieben dich. Lauf.” Auch der Vater umarmte sie zum Abschied, dann öffnete er die Tür. Anna wischte sich die Tränen mit einem Ärmel ihres zu langen Hemdes ab und versuchte mit den Ereignissen Schritt zu halten. Tim war tot. Wie sie es getan hatte und warum spielte keine Rolle. Sie kannte die Menschen. Sie würden sie dafür bestrafen. Also musste sie sich verstecken. “Ich komme wieder, sobald ich kann.”, versprach sie ihren Eltern. Dann rannte sie hinaus, in das kalte, graue Labyrinth der Makropole.

Zunächst achtete Anna überhaupt nicht darauf, wo sie lang ging. Sie wollte einfach nur weg, möglichst weit weg von den Menschen, die ihr böses wollten, weg von der Schuld und der kopflosen Leiche Tims. Sie rannte über riesige Straßen, auf denen Fahrzeuge unterschiedlichster Art unterwegs waren, drängte sich durch Gruppen von Fußgängern und kletterte in dunklen Gassen über Berge von Abfall. Irgendwann - sie hatte längst die Orientierung und das Zeitgefühl verloren - brach sie keuchend und mit hämmerndem Herzen zusammen, rollte sich ein wie ein verwundetes Tier und schluchzte hemmungslos. Sie lag inmitten eines riesigen Areals, ein vielfaches größer als die Fertigungshalle der Fabrik. Das ganze Gelände war mit Rohren und Leitungen überzogen, die sich in einem wirren Muster überkreuzten, verbanden, oder aufteilten. Manche stießen heißen Dampf aus, manche summten laut, in anderen war ein stetiges Rauschen zu hören. Anna hatte sich durch Lücken und Hohlräume gezwängt, war über Rohre hinweg gestiegen und unter ihnen durch gekrochen, bis ihre Kräfte sie verlassen hatten. Jetzt lag sie in einem der größeren Zwischenräume und versuchte verzweifelt, wieder zu Atem zu kommen. Allmählich ging ihr Atem ruhiger, das Herz hämmerte nicht mehr gegen ihren Brustkorb, als wolle es selbst davon rennen. Sie wusste nicht, wie lange sie zwischen all diesen Rohren lag. Eine Stunde? Zwei? Einen ganzen Tag? Es spielte keine Rolle. Irgendwann meldete sich ihr Magen und verlangte knurrend nach Nahrung. Ihr fiel das Bündel wieder ein, das ihr Vater ihr gegeben hatte. Ihre linke Hand umklammerte es noch immer. Ohne sich aufzusetzen packte Anna den Inhalt aus. Es waren ein Nahrungsriegel aus Kohlenhydraten und Proteinen sowie ein Ring aus einem Drahtgeflecht. Ihr Vater hatte ihn aus Altmetall gefertigt, sie erkannte seiner Hände Werk sofort. Wahrscheinlich hatte er ihn seiner Tochter zu ihrer Hochzeit schenken wollen… Erneut schluchzend, steckte sie sich das Andenken an den Ringfinger der linken Hand. Um ihren Magen zu beruhigend zwang sie sich, ein paar Bissen von dem Riegel zu essen. Irgendwann döste sie ein und träumte von explodierenden Menschen und dunklen, bösen Gestalten, die ihre Krallen nach ihr ausstreckten und sie hetzten wie ein wildes Tier.
Mit einem Schrei wachte Anna auf. Sie fuhr hoch und stieß sich den Kopf an einem heißen Rohr. Stöhnend rieb sie sich den Kopf, an dem sogleich eine große Beule entstand. “Lauf nicht weg, das wird dir nichts bringen.” Erschrocken fuhr Anna herum und sah sich nach der Herkunft der kalten, fremden Stimme um. Sie musste nicht lange suchen. Nur zwei Meter von ihr entfernt hockte ein Mann geduckt auf einem breiten Rohr und beobachtete sie wachsam. Er trug vorwiegend schwarze Kleidung von einer Qualität, wie sie in Annas Fabrik nirgends hergestellt wurde. Schwere Stiefel, in denen weite Hosen steckten, eine robust wirkende Weste aus einem Material, das sie noch nie gesehen hatte. Behandschuhte Hände, die auf den Oberschenkeln ruhten. Die Gestalt wurde von einem langen, ebenfalls schwarzen Umhang umrahmt. Das Gesicht war groß, kahl rasiert und vernarbt. Kalte, graue Augen starrten Anna durchdringend an. Sie hatte keine Ahnung, wer der Fremde war, aber instinktiv wusste sie, dass er eine Gefahr war. Eine Aura der Angst umgab ihn, wie ein zweiter Mantel. Wimmernd kroch Anna rückwärts um den Fremden dabei nicht aus den Augen zu lassen. “Du hast den Jungen getötet richtig? Hast seinen Kopf explodieren lassen?” Der Mann machte keinerlei Anstalten, Anna aufzuhalten und so kroch sie weiter. Als sie mit dem Rücken gegen eine bodennahe Leitung stieß musste sie sich von der Gestalt abwenden und darüber hinweg klettern. Sie hörte über sich das Rascheln von Kleidung, dann tauchte die Gestalt plötzlich auf einem anderen Rohr stehend vor ihr auf. Er zog eine glänzende, aus poliertem Metall bestehende Waffe hervor, eine Laserpistole. Völlig ruhig richtete er die Mündung auf die junge Frau. Diese hob die Hände und wimmerte, vor Angst erstarrt. Der Mann seufzte und sagte: “Du hast eine Begabung. Schade, dass wir dich nicht schon viel früher gefunden haben. Du hättest eine von uns werden können. Dem Imperator und der Menschheit treu dienen können. Aber jetzt…” Er räusperte sich und sprach dann in gleichgültigen, geschäftsmäßigen Ton weiter: “Du bist eine nicht sanktionierte Psionikerin und hast einen unschuldigen Menschen getötet. Du bist zum Tode verurteilt. Möge der Imperator Gnade mit deiner Seele haben.” Anna beobachtete hilflos, wie der Zeigefinger an der Pistole sich krümmte. Die Furcht hielt sie noch immer in ihren Krallen und so konnte sie nichts weiter tun, als ein Stoßgebet an den Gott-Imperator zu schicken. Eine Reihe ohrenbetäubender Schüsse ertönte. Den Bruchteil einer Sekunde später folgten noch lautere, markerschütternde Explosionen und aus dem Fremden stoben große Blutwolken hervor. Seine zerfetzten Überreste fielen von dem Rohr hinunter und auf den Boden. Anna fuhr heftig zusammen, die Hände immer noch unsinniger Weise vor dem Gesicht erhoben, welche erneut rot von Blut waren. Das ganze erinnerte sie zu sehr an Tim. Ein Schrei bahnte sich den Weg aus ihren Lungen und zerriss die Stille, die auf die Explosionen gefolgt war. Einmal begonnen, konnte sie gar nicht mehr aufhören, sich das Entsetzen und die Angst aus dem Leib zu brüllen. “Ist ja gut, Mädchen. Sei ruhig. Oder willst du, dass dich der Nächste findet?” Ertönte eine neue Stimme. Annas Kopf ruckte nach rechts und erblickte einen weiteren Mann, der sich mühsam durch das Gewirr von Leitungen zwängte um sich ihr zu nähern. Auch vor ihm fürchtete sie sich. In diesem Moment fürchtete sie sich vor allem und jedem und so schrie sie einfach weiter, hoffte, ihn mit ihrer Stimme auf Abstand halten zu können. Der Mann war korpulenter als der erste, dessen Gedärme nun auf Boden verteilt waren. Er trug wertvoll aussehende, auffällige Kleidung in rot und gold. In einer Hand jedoch hielt er eine übertrieben große, klobige Pistole gegen die die Laserpistole des Toten sich winzig ausnahm. Die riesige, schwarze Mündung zeigte zu Boden und Rauch stieg aus ihr hervor.
“Ich tue dir nichts, bitte hör auf zu schreien, Kind.” Der Mann steckte seine Waffe weg und streckte Anna beide Hände entgegen, die Handflächen nach außen. “Ich will dir helfen. Ich bin wie du.” Das ließ Anna verstummen. Er wirkte wie ein reicher Kaufmann, er drückte sich sehr vornehm und gebildet aus. Seine Worte waren so unvertraut, dass Anna Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen. Was meinte er damit, dass er so sei, wie sie? Konnte er Menschen mit bloßen Gedanken töten? Während sie ihn betrachtete spürte sie… Etwas… Etwas, das sie noch bei keinem anderen Menschen wahrgenommen hatte. Behutsam trat er näher, die Hände noch immer beschwichtigend erhoben. “Komm mit mir. Ich kann dir helfen.” Als Anna zögerte, sagte der Mann mit einem schiefen Grinsen: “Ich habe dir gerade das Leben gerettet. Du schuldest mir etwas. Du kannst mir vertrauen.” Anna wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre ganze Welt fiel auseinander, sie wurde gejagt, hatte kein Versteck und dieser Mann war offensichtlich reich und klug - sie traf die Entscheidung, ihm zu vertrauen. Mit zittrigen Knien erhob sie sich und kletterte durch die Rohre auf den Kaufmann zu. Als sie ihn erreichte, lächelte er zufrieden, wandte sich um und ging voraus. “Ich heiße Markus und du?” “Anna.”, antwortete sie mit heiserer, brüchiger Stimme. “Du kommst aus dieser Gegend, nicht wahr?” Stumm nickte sie. “Ich fürchte, du kannst nicht mehr nach Hause, Anna. Sie suchen dich. Du musst dein altes Leben hinter dir lassen.” “Meine Eltern…”, begann Anna verzweifelt, doch Markus schnitt ihr das Wort ab. “Du kannst ihnen nicht mehr helfen. Sie verhören sie bereits.” Anna blickte den Mann verständnislos an. “Ver...hören?” “Sie fragen deine Eltern über dich aus. Wo du bist, wen du kennst. Wenn sie keine zufriedenstellenden Antworten bekommen, wenden sie Gewalt an.” Neues Entsetzen erfüllte Anna. “Wer? Wer tut Gewalt an?” “Die Inquisition - Die Kollegen des Inquisitors da hinten.”, sagte Markus und deutete mit dem Daumen über die Schulter in Richtung der Leiche, die sie zurück ließen. Anna wusste nicht, was die Inquisition war, aber wenn sie ihre gläubigen, braven Eltern quälten, dann mussten es Feinde der Menschheit sein. “Das wird der Imperator nicht zulassen! Er wird sie retten. So wie ich gerettet bin. Der Imperator beschützt!” Daraufhin brach Markus in Gelächter aus. “Anna… Die Inquisitoren sind die Diener des Imperators. Deine bloße Existenz ist eine Blasphemie! Psioniker, wie dich und mich töten sie und sie schrecken nicht davor zurück, auch anderen Leid anzutun, wenn es ihrer Sache nützt.” “Nein! Der Imperator beschützt! Bin keine Blasphemie, habe immer gebetet. Immer meine Arbeit gemacht!” “Das spielt keine Rolle. Du bist mit diesen Fähigkeiten geboren worden. Sie können dich nicht kontrollieren also fürchten sie dich. Und sie wollen alles töten, was sie fürchten.” Anna öffnete den Mund, wollte dagegen halten, ihren Glauben verteidigen und diesen Markus der Blasphemie bezichtigen. Doch ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Eigentlich sollte sie sich von ihm fern halten, ihm gar nicht zu hören, wenn er solch schreckliche Dinge behauptete. Doch er hatte ihr das Leben gerettet. Er wollte ihr helfen, das spürte sie deutlich. Außerdem hatte sie furchtbare Angst, wusste nicht, wo sie war oder wo sie hin sollte. Dieser Markus strahlte eine selbstbewusste Ruhe aus, die ihr einen Halt gab. Da ihr nichts besseres Einfiel, folgte sie ihm. Einem Häretiker, der einen - angeblichen - Diener des Imperators erschossen hatte und dabei keinerlei Anzeichen von Bedauern gezeigt hatte. Dafür würde sie in die ewige Verdammnis gestoßen werden. Andererseits würde sie das sowieso. Anna blieb eine ganze Weile lang still, damit beschäftigt, den zusammenbruch ihrer Weltanschauung zu verarbeiten.

Markus führte sie aus dem Labyrinth hinaus auf eine Straße und ging unbeirrt weiter in Richtung eines Aufzuges, der in andere Ebenen führte. “Ich nehme dich mit zu mir. Dort bist du sicher. Für deine Eltern ist es zu spät und du hättest sie sowieso nicht retten können. Du hast eine Begabung, außergewöhnliche Kräfte, doch du beherrscht sie noch nicht.” Viele Wörter, die er benutzte, kannte Anna nicht und die Gedankengänge waren ihr zu fremd, um ihnen folgen zu können. Sie bekam jedoch den Eindruck, dass er ihr helfen wollte. Als die beiden den Aufzug betraten, betätigte Markus einen Knopf und ein beunruhigendes Gefühl verknotete Annas Eingeweide. Sie hielt die Hände schützend vor den Bauch und schaute zu Markus, der vollkommen ruhig blieb. “Du fährst zum ersten Mal mit einem Aufzug oder? Wir fahren sehr schnell nach oben. Zehn Ebenen weiter nach oben. Das Gefühl ist normal.” Annas Augen wurden groß. Zehn Ebenen über ihrem Zuhause! Dieser Mann musste wahrhaft reich sein. Die Türen öffneten sich und Anna war, als wäre sie in einer anderen Welt gelandet. Die Plätze, Straßen und Tunnel waren noch immer ein in sich geschlossenes Labyrinth, doch alles wirkte viel… sauberer und... ordentlicher. Ein seltsames Licht erfüllte den Platz, auf den sie trat, es schmerzte in den Augen und sie schirmte sie mit einer Hand ab. Markus schmunzelte. “Was du siehst und fühlst ist Sonnenlicht. Halte dich nicht zu lange darin auf, deine Haut ist das nicht gewöhnt und kann verbrennen.” Geblendet von den ersten Strahlen, natürlichen Lichts in ihrem Leben stolperte die junge Frau ihrem Retter hinterher und sah nicht viel von den anderen, erstaunlichen Dingen, die im Wohnbereich der Reichen und Mächtigen zu sehen waren.
“Ich kam gerade noch rechtzeitig zu deiner Rettung.”, sagte Markus unvermittelt. “Ich halte immer die Augen nach anderen Psionikern offen. Als ich hörte, dass ein Inquisitor in die Stadt gereist war, ließ ich ihn beschatten.” Schließlich führte er Anna in das Innere eines Habitates, dass sich in jeder Hinsicht von ihrem alten Zuhause unterschied. Es war groß, es war hell, es war sauber und schön. Der Eingangsbereich war rund und mit einem dicken, gewebten Stoff bedeckt. Gegenüber des Eingangs war eine große Fensterfläche, durch die dasselbe, grelle, warme Licht viel. Links und rechts des Fensters gingen Treppen nach oben - das Habitat verfügte über mehrere Ebenen in sich, wie die Fabrik! “Du kannst hier wohnen. Oben habe ich ein Gästezimmer.” Überwältigt wusste Anna nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht, was ein “Gästezimmer” war, aber sie verstand, dass Markus ihr ein Dach über dem Kopf bot. Unwillkürlich kniete sie sich hin und fuhr mit den Fingern über den Stoff, der den Boden bedeckte. Er war weich, flauschig. Der Stoff und die Webart waren ihr fremd. Die flauschigen Fasern waren mit einer festeren Bodenschicht verbunden. Wie gerne würde sie etwas so schönes nähen! “Du musst am Verhungern sein. Ich kann mir vorstellen, dass es dir dein ganzes Leben lang so ging. Komm mit in die Küche und iss etwas. Dann kannst du dich ausruhen. Morgen früh fangen wir an, dich zu trainieren.” Anna hob den Kopf und sah ihn fragend an. “Trai...nieren…?” “Das heißt, wir bereiten dich vor und üben.” Anna runzelte die Stirn. Sie fühlte sich hoffnungslos überfordert. “Worauf vorbereiten?”, hakte sie nach. Markus grinste und es war kein gütiger Ausdruck. Es war das gefährliche Lächeln eines Raubtieres. “Darauf, Rache für deine Eltern und dein Leben im Elend zu nehmen.”, sagte er. “Wenn du lernst deine Fähigkeiten zu kontrollieren und vor anderen zu verbergen, dann können du und ich die Welt verändern. Wir zahlen es dem Imperium heim.”
Anna brauchte einen Moment um die fremden Worte zu interpretieren. Ein Wort jedoch verstand sie mühelos: Rache. Zähnebleckend grinste sie zurück.
 

Pad5di

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So, ich hatte jetzt ein bisschen Luft zwischendurch und habe ein bisschen weiter geschrieben. Hier ist, was ich bislang habe:

Anna erwachte zum ersten Mal in ihrem Leben in völliger Stille. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen und versuchte, zu erfassen, was nicht stimmte. Sie lag nicht in ihrem Bett. Die Unterlage war viel zu weich und warm. Und dann war da diese Stille. Schlagartig war sie hellwach, als die schrecklichen Ereignisse vom Vortag wieder an die Oberfläche trieben. Markus hatte sie bei sich aufgenommen. Und sie hatte direkt am ersten Morgen verschlafen! Sie hatte kein Chronometer zur Hand, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass es schon lange nach Morgengrauen sein musste. Hastig kletterte sie aus dem hohen Bett, was gar nicht so enfach war, denn ihre Glieder versanken ständig in dem Berg aus Stoff. Als sie endlich zu Boden plumpste, sah sie sich nach etwas zum anziehen um. Eine alte Frau, die wohl eine Bedienstete war und ebenfalls in diesem Habitat lebte, hatte sie am Abend gesäubert - mit klarem Wasser und herrlich duftender Seife! So sauber war sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gewesen. Dann hatte die alte Frau, Martha war ihr Name, ihr ein hauchdünnes, langes Kleidchen für die Nacht gegeben. Damt konnte sie nicht zur Arbeit erscheinen. Doch als sie sich in dem Zimmer umsah, entdeckte sie einen Stapel Kleidung auf einem Stuhl. Dieses Zimmer war so groß, wie das ganze Habitat ihrer Familie und sie hatte es für sich alleine! Das Ausmaß des Reichtums, der sie umgab war schwer zu erfassen. Schnell zog sie sich an, obwohl sie sich fragte, wie sie in einem knöchellangen Kleid mit seltsam weiten Ärmeln arbeiten sollte. Aber der Stoff fühlte sich herrlich an, als würden Engel sie küssen.

Sie hastete so schnell sie konnte aus dem Zimmer und sah sich nach Makus um. Sie konnte ihn nirgends finden. Das Habitat war so weitläufig und hatte so viele einzelne Räume, dass sie nicht sicher war, wie sie zu der Küche gelangte, in der Martha ihr etwas zu essen gegeben hatte. Zu ihrer Erleichterung fand sie die Küche jedoch trotzdem recht schnell, da sie einem köstlichen Geruch folgte. In dem Raum saß Markus an einem langen Tisch, einen vollgeladenen Teller vor sich, während Martha mit verschiedenen Gerätschaften hantierte.
Bevor Markus etwas sagen konnte, warf sich Anna vor ihm auf den Boden und sprach hastig: “Bitte vergebt meine Verspätung. Offenbar ist der Wecker kaputt.“ “Du meine Güte. Steh bitte auf Anna.”, sagte Markus amüsiert. “Es gibt gar keinen Wecker.” Du kommst gerade noch rechtzetig zum Frühstück. Hättest du noch eine weitere Stunde geschlafen, hätte ich Martha geschckt um dich zu wecken.” Anna stand verwirrt in der Küche und wusste nicht, was sie sagen sollte. “Aber… Aber die Arbeit…”, stotterte sie. In Markus' Augen blitzte der Schalk. “Du lebst jetzt bei mir. Du musst nicht mehr Arbeiten, zumindest vorerst nicht. Ich möchte, dass du zunächst lernst. Du brauchst eine anstädige Schulbildung, und es gibt noch einige andere, wichtige Dinge, die du brauchen wirst. Ich habe bereits einen Privatlehrer engagiert. Er kommt hierher und wird dich unterrichten. Am Nachmittag hole ich dich ab und wir beginnen mit meinen eigenen Lektionen.” Ein Mann kam wortlos in die Küche. Anna hatte ihn bislang noch nicht gesehen. Er eilte zu Markus, legte eine Datentafel auf den Tisch vor den Kaufmann und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Markus nickte und sagte dann in geschäftsmäßigem Ton: “Danke Gerald. Bitte Rufe so bald wie möglich im Bürgerbüro an. Ich habe eine Adoption, die so schnell wie möglich über die Bühne gehen soll. Schicke mir die nötigen Unterlagen, sobald du sie hast.” Gerade als Anna dachte, ihre Welt stünde bereits auf dem Kopf, wurde es noch verrückter.
Sie schauffelte eine Menge an Essen in sich hinein, von der ihre Familie eine Woche lang hätte leben können. Danach sollte sie in das Zimmer gehen, in dem sie geschlagen hatte. Dort erwartete sie ein älterer Mann mit kurzen, grauen Haaren und schmuckloser, aber hochwetiger Kleidung auf sie. Er stellte gerade ein seltsames Gerät auf einen Tisch, als sie eintrat. “Ah, sie müssen Madame Anna sein.”, sprach er mit wohlklingender, ruhiger Stimme und schlug das Zeichen des Aquilas zum Gruß. “Ich bin Chiron van Arden, dein neuer Lehrer. Bitte setz dich, dann fangen wir gleich an. Mir wurde gesagt, du stammst aus den unteren Ebenen der mittleren Makropole - wir haben also eine Menge Arbeit vor uns. Ich denke wir fangen zunächst mit der Sprache an. Du lebst jetzt in erleseneren Kreisen und solltest dich eloquent in Hochgotisch äußern können.“ Anna starrte ihn verständnislos an…

Einen Monat später…

“Also Anna, kannst du mir drei übergeordnete Organisationen des Imperiums nennen?” “Das Departmento Munitorum und Adeptus Ministerium und…” “Nicht ganz. Das Departmento Munitorum ist keine übergeordnete Organisation. Es ist der militärische Zweig der Verwaltung. Zuständig für die Logistik der imperialen Armee. Also ist seine übergeordnete Organisation welche?“ Anna überlegte kurz, dann antwortete sie: “Der Adeptus Administratum.” “Sehr gut Fräulein Anna. Jetzt noch eine dritte Organisation.” “Die Inquisition.” Die Gesichtszüge des Lehrers entgleisten kurz und Anna konnte die Furcht in seinen Augen sehen. Zögerlich antwortete er: “Nunja das ist vielleicht keine Organisation von der Größenordnung des Adeptus Administratum, aber die Inquisition hat keine übergeordnete Organisation über sich, nur den goldenen Thron von Terra selbst. Insofern kann man ihre Antwort gelten lassen. Ich hätte aber auch den Adeptus Mechanikum oder das Astra Militarum zählen lassen.”
Seit einem Monat hatte Anna keine andere Aufgabe, als zu lernen. Es gab jede Menge zu erlernen und sie erfreute sich an jeder Information, die sie bekam. Es war faszinierend mehr über die Welt dort draußen zu wissen, als man mit den eigenen Augen sehen und hören konnte. As Kind wurde ihr nur das nötigste an Wissen vermittelt, was sie brauchte um eine gute Bürgerin sein zu können. Chiron sprach in den höchsten Tönen von ihr, wenn Markus sich nach ihren Fortschritten erkundigte. “Sie mag ungebildet sein, aber sie ist clever und sehr wissbegierig.”, hatte sie ihn einmal sagen hören. “Um ehrlich zu sein bin ich erstaunt über die Leichtigkeit, mit der sie sich neues Wissen aneignet.“
Chiron war ein strenger, aber freundlicher Lehrer, der sie stets mit Respekt behandelte.

Die Stunden, die sie mit Markus alleine verbrachte machten ihr dagegen Angst. Gleich an ihrem ersten Tag hatte er sie eine schmale Treppe hinunter in einen kleinen Raum geführt, der mit einer schweren Stahltür verschlossen war. Im inneren gab es Regale mit alllerlei merkwürdigen Gerätschaften und Kisten. Überall waren komplizierte Symbole und Muster aufgemalt. Sie zierten die Wände, die Tür und viele der verschlossenen Kästen in den Regalen. Es gab keine Fenster, das einzige Licht stammte von den Kerzen, die Markus anzündete. “Das ist mein Refugium. Ein privater Raum, zu dem nur ich Zutritt habe. Er ist besonders gut geschützt. Innerhalb dieses Raumes können wir uns gefahrlos über deine besonderen Fähigkeiten unterhalten, Anna. Ich werde dir hier auch beibringen, wie du sie kontrollieren kannst. Aber außerhalb dieses Raumes darfst du niemals davon sprechen. Zu niemanden!” Die letzten Worte hatte er besonders eindringlich gesprochen. Anna hatte stumm genickt. Schon ihr ganzes Leben lang verbarg sie ihren Makel, es war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, zu Schweigen. Markus war mit seiner Lektion fortgefahren. “Ich habe dir bereits gesagt, dass ich wie du bin. Wir beide sind Psioniker. Wir haben die angeborene Fähigkeit, Energien aus dem Warp zu beziehen und damit diese Realität zu beeinflussen. Du weißt, was der Warp ist?“ “Dort leben die Dämonen und Raumschiffe durchqueren den Warp um schneller zu reisen.” “Richtig. Es liegt große Macht im Warp. Daher fürchtet das Imperium jeden Psioniker. Hexer, nennen sie uns. Wird diese Gabe bei einem Kind entdeckt, entführt die Inquisition es und entscheidet über sein Schicksal. Zeigt das Kind Potenzial, seine Gabe kontrollieren zu können, wird es in den Dienst einer Organisation des Imperiums gestellt. Je nach Begabung kann das die Inquisition selbst sein, oder aber der Orden der Navigatoren, oder der Astrotelepathen. Zeigt das Kind jedoch nicht schon in frühen Jahren erste Anzeichen der Beherrschung… Wird es getötet. “ Das hatte Anna zutiefst schockiert. “Du und ich, wir sind beide nicht als Kind von der Inquisition bemerkt worden und durch ihr Netz geschlüpft. Das bedeutet, dass das Imperium uns töten würde, sollte es je von unseren Fähigkeiten erfahren. Bei dir haben sie es bereits versucht. Ich bin ein reicher, einflussreicher Mann, mit hohem Ansehen. Ich habe dich von der Straße aufgelesen und an meiner Seite wird dich niemand mit der gesuchten Psionikerin aus den unteren Ebenen in Verbindung bringen. Du darfst niemanden erzählen, woher du kommst und was gestern passiert ist, verstanden?“
Anna nickte erneut. “Weißt du, warum Psioniker gefährlich sind?” Ein Kopfschütteln. “Unsere Verbindung zum Warp funktioniert in beide Richtungen. Wir können seine Energien nutzen, aber die Dämonen können dabei auch uns benutzen. Sie können besitz von uns ergreifen, oder aber die schiere Macht des Immateriums überwältigt uns und verbrennt uns innerlich. Um das zu verhindern muss jeder Psioniker lernen, sich zu schützen. Ich bringe dir als erstes bei, dich vor dem Warp abzuschmirmen. Stelle dir eine Mauer um deinen Geist und deine Seele vor, an der nicht vorbei kommt. - Diese Mauer musst du allzeit erhoben lassen, selbst im Schlaf. So können Dämonen dich nicht benutzen und andere Psioniker, wie die Inquisitoren, können nicht spüren, dass du die Gabe besitzt.” Nach stundenlangem herumsitzen mit geschlossenen Augen, während Markus ihr sagte, was sie tun und sich vorstellen sollte, hatte sie es endlch geschafft, eine passable Mauer zu errichten. Seit dem hatten sie jeden Tag weiter daran gearbeitet. Es fühlte sich noch immer falsch an ihre… Gabe, wie Markus es nannte laut auszusprechen, aber noch war kein weiterer Inquisitor erschienen, um sie zu töten. Markus sagte in diesem Raum oft schreckliche Dinge über den Imperator und das Imperium der Menschheit, so dass ihr angst und bange wurde. Gewiss war ihre Seele auf immer verdammt und vom Gott-Imperator verstoßen, aber irgendwie mochte sie Markus. Er hatte sie bei sich aufgenommen, ihr das Leben gerettet! Sie musste ihm wohl übel vertrauen. Ein weißer, mächtiger Mann wie er wusste sicher, was er tat…

Die Tage vergingen wie im Fluge und Annas Hochgotisch wurde immer besser. Sie konnte den Gesprächen um sie herum immer besser folgen und lernte auf die Art mehr, über ihren Stiefvater. Anders, als sie zunächst vermutet hatte, war er kein Mitglied der Regierung der Makropole. Er bekleidete kein öffentliches Amt, obwohl er eines haben könnte, wenn er es denn wollte. “Ich ziehe lieber nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich.“ Hatte er ihr eines Abends erklärt, als sie gemeinsam zu Abend aßen. “Ich ziehe es vor, in der zweiten Reihe zu stehen und die Fäden zu ziehen. Ich Sorge dafür, dass die Regierung macht was ich will, ohne selbst dazu zu gehören. Das lässt mir mehr… Spielraum.” Sein Geld verdiente er mit seltenen und teuren Waren, die er aus dem ganzen Imperium beschaffte.
Markus Assari hatte keine Frau und keine eigenen Kinder, trotzdem war sein großes Haus nicht still. Außer ihm und Anna lebte dort noch die Haushälterin Martha, der Assistent Gerald und der Leibwächter Sadir, ein stiller Mann, der sich in schwarz kleidete und stets mürrisch dreinblickte. Markus bestand darauf, dass Sadir Anna beibrachte zu kämpfen. Drei Mal pro Woche kam sie in den Trainingsraum im oberen Stockwerk und Sadir zeigte ihr, wie sie mit bloßen Händen Angreifer abwehren konnte. Selbst bei diesen Lektionen sprach er nur wenige Worte. Er machte die gewünschte Bewegung vor und sie machte sie nach. Wenn er mit ihrer Körperhaltung, oder einem Bewegungsablauf nicht zufrieden war, packte er sie grob und korrigierte sie. Wenn er zufrieden war, erntete sie lediglich ein knappes Nicken. Schon nach den ersten Stunden ging er dazu über, mit ihr zu Ringen. Ihr war klar, dass er sich zurück hielt, trotzdem war er grob und nach jedem Kampf ging sie humpelnd und mit blauen Flecken in das Bad um sich zu säubern.
Neben den Bewohnern gab es auch viele Besucher. Manche blieben nur kurz um Markus etwas mitzuteilen, oder seinen Rat zu erbitten, andere verbrachten viele Stunden mit Markus in dessen Arbeitszimmer im Erdgeschoss. Chiron und Martha erklärten ihr, wer die Gäste waren, wenn diese die Eingangshallle verlassen hatten. “Das ist der Arbites Primus, der oberste Gesetzeshüter. Er tauscht häufig Gefälligkeiten mit deinem Stiefvater aus.” “Das ist einer der Parlamentsabgeordneten, Gaius Maximus.” “Richterin Ford! Sie lässt sich hier nur selten Blicken. Ich glaube sie und Markus haben eine gemeinsame Vergangenheit, aber er redet nie darüber.” Anna bekam einen Eindruck davon, wie komplex das Muster war, das Markus mit seinen Fäden gewoben hatte. Es schien so, als kenne er jeden Menschen in der Makropole, der über Macht oder Wissen verfügte.

Eines Tages schlurfte Anna aus der Trainingshalle, wieder einmal grün und blau geschlagen von Sadir, als Martha einen gut aussehenden, jungen Mann in die Eingangshalle führte. “Ah, Anna liebes, geleite Stefan hier doch bitte in das Wohnzimmer, während ich Herrn Assari informiere.”
“Du bist also die neue in der Familie.“, sagte Stefan und betrachtete sie mit freundlichen, braunen Augen. Er war einen Kopf größer als sie, breitschultrig und vermutlich nur ein paar Jahre älter. Anna trug noch ihren Trainingsanzug, die verschwitzten Haare klebten an ihrem Kopf und ihr Gesicht war bestimmt noch gerötet von der Anstrengung, sich aus Sadir's Schwitzkasten zu befreien. Es war ihr peinlich in diesem Aufzug vor dem Besucher zu stehen. “Hier entlang bitte.“, sagte sie verhalten und führte ihn zu dem privaten Wohnzimmer. “Ich weiß wo es lang geht. Markus hat auch mich vor vielen Jahren adoptiert. Er hat mir viel von dir erzählt.”, sagte Stefan und zwinkerte ihr zu. Hitze breitete sich in ihr aus und sie schaute schnell weg. “Ich war eine Waise aus der Unterstadt.”, plauderte er ungezwungen weiter. “Ich war Mitglied in einer Kinderbande. Eines Tages lief ein Überfall schief und ich rannte durch die Kanalisation, mit einem Haufen Arbites-Kerlen an den Fersen. Ich dachte schon, das wäre das aus, doch Markus tauchte auf und rettete mich.” Anna wusste bereits, dass sie nicht die erste Psionikerin war, die Markus gefunden und adoptiert hatte, aber bislang war sie noch keinem von ihnen begegnet. Markus hatte gesagt, dass sie in dem gesamten Sektor unterwegs waren, verschiedenen Geschäften nachgingen und Informationen für ihn sammelten. Sie war fasziniert von diesem Steffan. Er wirkte so selbstbewusst, wie er in seiner robusten Lederjacke, der weiten Hose auf der teuren Couch saß und die Füße ausstreckte, die in schweren Kampfstiefeln steckten.
Markus kam herein und umarmte seinen Schützling innig. “Hast du es?”, fragte er ihn sogleich. “Natürlich. War ein Kinderspiel, nachdem ich erst einmal wusste, wo ich suchen musste.“, antwortete Steffan selbstgefällig und zog ein kleines Päckchen unter der Jacke hervor. “Ausgezeichnet Junge. Auf dich ist immer verlass. Nun entschuldigt mich bitte. Das hier verlangt meine sofortige Aufmerksamkeit, aber ich bin sicher, ihr beide habt euch viel zu erzählen.” Mit diesen Worten eilte Markus hinaus. Steffan begann sie sogleich auszutragen. Wo sie herkam und wie Markus sie gefunden hatte. Anna wich seinen Fragen aus und blieb bei der Geschichte, die Markus ihr für Außenstehende beigebracht hatte. Steffan erzählte jedoch ganz unbefangen von seiner Vergangenheit und scherzte mit ihr. Nach einer Weile jedoch begann Anna sich ihm zu öffnen. Immerhin war er wie sie, Markus vertraute ihm, also konnte sie das sicherlich auch. Irgendwann fragte er sie: “Was hast du für Gaben?“ “Gaben?“ “Du weißt schon. Welche Kräfte hast du?” Anna schüttelte lediglich den Kopf. “Markus übt mit dir richtig? Oft dauert es eine Weile, bis man herausfindet, worin man wirklich gut ist. Ich zum Beispiel kann elektronische Geräte beeinflussen. Ich kann einen Holoprojektor Bilder zeigen lassen, die er garnicht auf seinem Datenspeicher hat.” “Ich habe keine Gaben.”, sagte Anna verbittert. “Ich habe nur diesen Fluch, der auf mir lastet und meine Seele beschmutzt.“ Steffan sah sie grinsend an. “Ein Fluch? Du siehst für mich viel zu unschuldig aus, um verflucht zu sein. Hör nicht auf das, was die Leute sagen. Du bist mit einer Gabe geboren worden, das ist weder gut noch schlecht. Ihr Einsatz macht den Unterschied.” “Ich habe jemanden getötet. Ich wollte es nicht einmal. Er hat mich verletzt und dann ist es einfach passiert.”, flüsterte sie. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb des sicheren Raumes im Keller darüber sprach. Steffan wirkte nicht entsetzt oder angewidert. Er lächelte weiter und fragte: “Würdest du deine Fähigkeiten wieder einsetzen, um ihn zu töten, hättest du die Wahl?“ Energisch schüttelte sie den Kopf. “Siehst du. Du bist unschuldig. Kein Fluch lastet auf dir.” Dann beugte er sich vor und küsste sie. Zunächst erstarrte sie vor Schreck. Hitze wallte in ihr auf und Panik vernebelte ihre Gedanken. Doch es fühlte sich so gut an. Sie wollte, dass er sie mochte. Die Panik rückte in den Hintergrund und glückselig gab sie sich den Gefühlen in ihrem Bauch hin.

Sie erwachte am nächsten Morgen in ihrem Zimmer. Nackt unter der zerwühlten Decke räkelte sie sich glücklich. Bis sie die Kälte neben sich spürte. Sie schlug die Augen auf und stellte fest, dass sie alleine war. Das versetzte ihrem Herzen einen leichten Stich. Wo war Steffan? Hastig zog sie sich an und ging hinunter in die Küche. Martha war nicht wie sonst damit beschäftigt, Frühstück zu machen. Statt dessen saßen Markus und Steffan alleine am Esstisch und drehten sich zu ihr um, als sie eintrat. “Guten Morgen, du Schlafmütze.”, grüßte Stefan sie. “Anna, wir müssen reden. Über das, was gestern passiert ist.”, sagte Markus mit ernstem Gesicht. Sie lief rot an und setzte sich auf den freien Stuhl neben Steffan. “Vertraust du dem Jungen?”, fragte Markus kurz angebunden und deutete auf seinen Ziehsohn. “Natürlich. Ich liebe ihn und er liebt mich, egal, was du sagst, nichts kann das ändern!” Markus sah sie mitleidig an. “Liebe? Du bist noch viel zu unerfahren, um zu wissen was Liebe ist. Steffan ist der beste Beweis dafür. Er hat mir gerade erzählt, wie leicht er dich herumgekriegt hat und dass du ihm schon nach ein paar Stunden deine dunkelsten Gehemnisse anvertraut hast.” Verständnislos sah Anna ihn an. Ein Schmerz begann sich in ihrer Brust auszubreiten. “Markus hat mich damit beauftragt, dich zu verführen. Ich habe das alles auf seinen Befehl hin getan.”, sagte Steffan mit emotionsloser Stimme. Anna schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Was sie gefühlt hatte war echt gewesen! “Es stimmt Anna.“, sagte Markus sanft. “Nicht, dass ich es nicht genossen hätte.“, sagte Steffan und grinste. “Ich bedanke mich für die unvergessliche Nacht. Jetzt muss ich aber los.” Ohne ein weiteres Wort rauschte er zu Tür hinaus. Schmerz, Trauer, Wut, Enttäuschung, all das tobte in Anna. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus und brüllte Markus an: “Warum? Warum tust du mir das an?” Sie war ja so ein dummes, naives Ding gewesen! Markus sagte mit lauter, fester Stimme: “Das war eine Lektion für dich. Die wichtigste Lektion von allen. Sie musste sich schmerzhaft in dein Gedächtniss brennen, damit du sie nie wieder vergisst.“ “Was für eine Lektion soll das sein? Was ist diesen Schmerz wert?“ Markus sah ihr mit kalten Augen ins Gesicht und antwortete: “Du darfst Niemanden vertrauen! Niemals! Nicht einmal mir. Nein, schon gar nicht mir!” Schluchzend stürzte Anna aus dem Zimmer. Sie rannte in ihr eigenes Zimmer, warf sich auf das Bett und weinte bitterlich.
 

Pad5di

Aushilfspinsler
9 Januar 2020
18
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So, es geht weiter, viel Spaß beim Lesen! Wie immer sind Kommentare und Kritik sehr willkommen!

Nach einer Weile klopfte es sachte an die Tür, doch Anna reagierte nicht. Leider öffnete sich die Tür trotzdem und Markus kam herein. Sie wollte ihn nicht sehen. Sie wollte ihn nie wieder sehen und diese Scham verspüren!
“Geh weg!”, brüllte sie und rollte sich herum, so dass sie ihm den Rücken zuwandte.
“Ich bedaure diese ganze Sache, wirklich. Ich kenne deinen Schmerz. Aber deine Unschuld und deine Naivität haben dich angreifbar gemacht. Ich habe dich in aus der Welt der ehrlichen, aufrichtigen Arbeiter in die Welt der Reichen und Mächtigen gebracht. Hier sagt Niemand das, was er denkt und jeder will deine Schwächen ausnutzen. Du musst lernen, eine Maske über der Maske zu tragen, niemand darf je dein wahres Gesicht sehen.”
“Ich hasse dich.”, war das einzige, was über ihre Lippen kam.
Markus setzte sich auf die Bettkante und Anna hörte ihm an, dass er lächelte.
“Das verstehe ich. Aber glaube mir, das war zu deinem Besten. Und zu meinem. Wenn du angreifbar bist, bin ich es auch. Nächste Woche findet ein Konzert in der großen Festhalle statt. Jede wichtige Person der Stadt wird dort sein. Ich möchte, dass du mich dorthin begleitest.Ich denke, nach dem heutigen Tag bist du bereit dafür.”
Dachte er wirklich, sie würde ihm so einfach vergeben?
“Ich will dich nie wieder sehen.”, krächzte sie inbrünstig.
Als er erneut sprach, schlich sich eine stählerne Härte in seine Stimme, die sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte.
“Wir reden noch einmal darüber, wenn du dich beruhigt hast. Ich weiß, du bist sauer auf mich. Aber eines Tages wirst du es mir danken. Denkst du, ich habe dich aus reiner Herzensgüte gerettet? Ich setze mich tödlicher Gefahr aus, alleine durch die Tatsache, dass ich mit dir rede! Ich gebe dir ein behagliches Heim, Essen und Bildung, sowie eine Chance auf Rache für den Tod deiner Eltern. Dafür bist du mir etwas schuldig. Ich will, dass du eines Tages für mich arbeitest. Du sollst Teil meines Netzes werden.”
Markus erhob sich und ging zur Tür. Bevor er hinaus ging sagte er noch:
“Für heute sage ich deinen Unterricht ab. Weine dich aus, beruhige dich und morgen reden wir weiter.”

Anna hatte schon oft darüber nachgedacht, warum Markus sie gerettet hatte. Außer ihren Eltern hatte niemand in ihrem Leben ihr je ohne Eigennutzen einen Gefallen getan. Nachdem sie erfahren hatte, dass Markus schon mehrfach Psioniker aufgenommen hatte und diese nun für ihn arbeiteten, hatte sie sich schon gedacht, dass er dies auch von ihr verlangen würde. Eine Welt, in der niemand sagt, was er denkt und wo jede einzelne Person ein potenzieller Feind ist. Diese Vorstellung machte ihr Angst. Sie wollte nicht in diese Welt eintauchen. Sie wollte sich irgendwo verkriechen und vor Scham sterben! Aber Markus hatte recht, sie schuldete ihm eine Menge. Außerdem würde er sie bestimmt nicht mehr bei sich wohnen lassen, wenn sie sich weigerte, zu tun, was er verlangte…

Am nächsten Tag kam, wie gewohnt, Chiron um ihren Unterricht fort zu setzen.
“Ich hoffe, du hast den gestrigen Tag genutzt, dich zu erholen, denn wir haben heute einiges vor. Wir fangen mit den politischen Strukturen unserer Makropole an.”, sagte er gut gelaunt.
“Bitte, Herr van Arden, ich habe eine Frage.”, platzte Anna heraus.
“Nur immer raus damit.”
“Was ist ein Konzert?”
Der Lehrer wirkte einen Augenblick lang verdutzt, doch er fasste sich schnell wieder. Anna spürte kein Missfallen und auch keine Häme über ihre Unwissenheit. Chiron verströmte… Mitleid. Das Gefühl war ihr so fremd, sie brauchte einen Augenblick um es zu erkennen. Markus hatte ihr erklärt, dass es an ihren psionischen Begabungen lag, dass sie die Absichten und Gedanken ihrer Mitmenschen erahnen konnte.
“Bislang konntest du nur die Gefühle anderer empfangen, wenn sie sehr stark waren. Ich bin sicher, mit etwas Übung können wir deine emphatischen Kräfte steigern. Das ist eine äußerst nützliche Gabe.”, hatte er gesagt.
“Ein Konzert ist eine Veranstaltung, bei der die Menschen Geld zahlen um Musiker sehen und hören zu können, während diese Musik spielen. Es ist ein öffentliches, gesellschaftliches Ereignis.”
Anna runzelte verwirrt die Stirn.
“Martha hat mir Musik vorgespielt. Da waren aber keine Musiker da, es war eine Aufnahme. Wenn ich die Musik hier hören kann, warum dann Geld bezahlen um auf ein Konzert zu gehen?”
Ihr Lehrer grinste von einem Ohr zum anderen.
“Ah, du hast sehr schnell eines der beliebtesten Themen angeschnitten, die auf Konzerten erörtert werden. Es stimmt, die Musiker nehmen mit Hilfe von elektronischen Geräten ihre Musik auf, so dass man sie sich jederzeit überall anhören kann. Es gibt viele Menschen, die die Gesellschaft von Fremden meiden und sich daher mit den Aufnahmen begnügen. Aber der Klang der Musik in einem großen Saal, der dafür gebaut wurde schön zu klingen ist noch einmal deutlich besser. Zudem kann auch das beste Aufnahmegerät nicht die Emotionen der Musiker erfassen.”
Das zumindest konnte Anna gut nachvollziehen. Chiron zuckte mit den Schultern, als er sein letztes Argument nannte.
“Ich fürchte jedoch, die meisten Konzertbesucher kommen nicht wegen der Musik, sondern des Prestiges wegen. Wer ein Konzert besucht, zeigt, dass er gebildet und kultiviert ist. Deshalb gehen viele wichtige Persönlichkeiten zu diesen Veranstaltungen, was wiederum bedeutet, dass es eine ausgezeichnete Gelegenheit ist, wichtige Kontakte zu pflegen.”
Mit einem Mal verstand Anna genau, warum Markus mit ihr auf ein Konzert gehen wollte.

Anna fuhr zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Fahrzeug. Es war eine seltsam anmutende Maschine, annähernd rechteckig und mit niedrigen Türen zu beiden Seiten.
Markus, Geralt und Anna nahmen auf einer bequem gepolsterten Sitzbank im hinteren Teil des Gefährtes platz und Sadir stieg vorne ein. Von einem Servitor gesteuert setzte sich die Maschine in Bewegung und die Straßen der Makropole zogen an den Fenstern vorbei.
Anna war sehr nervös. Sie trug mehr Stoff an ihrem Körper, als sie in ihrem gesamten, vorigen Leben je besessen hatte. Martha hatte eine Ewigkeit damit verbracht, sie einzukleiden, die Haare zu einer Hochsteckfrisur drapieren und ihr Gesicht zu bemalen. Sie hatte bunte Farben im Gesicht! Anna konnte kaum glauben, dass die reichen Menschen sich auf die Haut malten um schön zu wirken. Es war unnatürlich und die dicke Schicht Schminke fühlte sich wie getrockneter Unrat an. Das Kleid, das sie trug war von einem leuchtenden Rot, wie frisches Blut. Um die Taille lag es sehr eng an, von der Hüfte abwärts jedoch bildete es eine weite Kuppel, die bis zum Boden reichte. Als wäre das noch nicht lächerlich genug, trug sie ein Drahtgestell unter dem Kleid,dass die Kuppel starr in Form hielt. Als Anna die Haushälterin gefragt hatte, wieso das Kleid ihre Brüste nach oben drückte, hatte sie gelacht und gesagt, das Sorge dafür, dass alle Männer ihr zustimmen würden, egal was sie sagte. Vielleicht verlieh das Kleid ihr ja eine besondere, psionische Fähigkeit…

“Wir sind da.”, sagte Gerald und stieg aus. Anna versuchte, ihm zu folgen, aber der steife Saum ihres Kleides war so groß, dass sie kaum durch die Tür passte. Markus stieg auf der anderen Seite des Fahrzeuges aus und half ihr.
“Danke. Ich weiß nicht, was der Sinn dieser Kleidung ist.”, sagte sie atemlos.
“Ich kann mich kaum darin bewegen, es hat keine Taschen und es würde mich nicht einmal für einer Nadel schützen.”
Markus strahlte sie an und entgegnete:
“Dieses Kleid ist nur zu einem Zweck erdacht. Frauen sollen darin schön und majestätisch und begehrenswert aussehen. Nicht dass du es nötig hättest, aber es steht dir fabelhaft.”
Anna lächelte zurück. Sie war immer noch sauer auf ihn, war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er gute Gründe für sein Handeln hatte und dass solche seelischen Grausamkeiten zu den Dingen gehörten, die sie in ihrem neuen Leben erdulden musste, so wie die vielen Widrigkeiten, die sie in ihrem alten Leben ertragen musste. Ihre Situation hatte sich immerhin um ein vielfaches Verbessert und das verdankte sie einzig und alleine Markus.
Seine Lektion hatte auf jeden Fall gefruchtet. Sie würde die Intentionen der Menschen hinterfragen. Je freundlicher und hilfsbereiter sie waren, desto misstrauischer würde sie sein.
Der Konzertsaal war eine riesige Konstruktion. Mindestens so groß, die Annas alte Fabrik, jedoch viel sauberer und schöner, mit vielen Säulen, goldenen Verzierungen und Statuen.
Alles an diesem Gebäude strahlte Reichtum, Macht und Exzesse jeder Art aus.Der Eingang wurde Männern in schicken Uniformen bewacht und Markus musste seine Eintrittskarten zeigen, bevor man sie einließ.
Im Innern gab es viel Marmor und Gold. Viele Besucher waren bereits da und standen in Grüppchen herum, redeten und lachten, nippten von schlanken Gläsern und aßen seltsame Speisen, die von eifrig umherfliegenden Servitoren gebracht wurden. Diese Servitoren waren von ganz anderer Machart, als jene, die Anna bislang kannte. Es waren weder offene Drähte noch biologische Komponenten sichtbar. Die Konstrukte sahen aus wie nackte, kindliche, geflügelte Engel mit rosigen Pausbacken. Das ganze Treiben in dieser Halle kam ihr grotesk vor.

Wie Chiron gesagt hatte, stand die Musik keinesfalls im Vordergrund dieses Abends. Eine gefühlte Ewigkeit lang folgte sie Markus auf Schritt und Tritt und verbeugte sich artig, wenn eine weitere, wichtige Persönlichkeit den Kaufmann begrüßte.
Viele erkundigten sich nach Anna. Wer sie war, wie es dazu kam, dass sie Markus begleitete und er erzählte jedes Mal die erfundene Geschichte über das Waisenkind, das er adoptiert hatte, woraufhin die Leute sie ein paar belanglose Dinge fragten. Wie sie mit der großen Veränderung zurecht kam, was sie nun vorhatte, wie ihr der Konzertsaal gefiel und ähnliches.
Sie achtete stets darauf, ihren Geist abzuschirmen, wie Markus es ihr beigebracht hatte, aber viele der Menschen hier hatten derart starke Emotionen, dass sie unweigerlich etwas davon wahrnahm, als würden die Personen starke Hitze abstrahlen. Es war ein turbulentes Auf und Ab der Gefühle. Hass, Lust, Neid, Gewaltbereitschaft, Stolz, Verzweiflung. All diese Leute schienen von irgendetwas getrieben zu sein, jedoch zeigte sich nichts davon auf ihren Gesichtern. Je stärker die Welle an Gefühlen war, die Anna erfasste, desto gelassener und freundlicher war die Person, die sich mit Markus unterhielt. Erst jetzt wurde Anna der wahre Sinn von Markus’ Lektionen und seinem Unterricht bewusst. Es herrschte Krieg und sie befand sich mitten in einem feindlichen Heerlager. Jeder hier konnte ihr enorm schaden würde es ohne zu zögern tun, wenn sie sich eine Blöße gab.

Der einzige, der sich länger mit ihr unterhielt, war ein junger Mann in ihrem Alter. Er stellte sich als Jakob vor und begleitete seinen Vater, der sich intensiv mit Markus über irgendeine Abstimmung unterhielt. Jakob sah sie auf die selbe Weise an, wie auch Stefan, als der sie verführt hatte. Die Erinnerung daran trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht, doch Jakob schien nichts davon zu bemerken.
Schließlich war es an der Zeit für die Musik und die Menge strömte in einen halbkreisförmigen Raum mit vielen Reihen von Sitzbänken. Markus entschuldigte sich und verschwand in der Menge. Er kehrte erst nach dem Konzert zurück und verlor kein Wort darüber, was er getan hatte.
Auch wenn es faszinierend gewesen war, die Musiker zu beobachten und den schönen Klängen zu lauschen, war Anna froh, endlich wieder im Fahrzeug zu sitzen und heim zu fahren.
“Du warst fantastisch Anna, ich bin stolz auf dich.”, sagte Markus.
“Ich habe doch gar nichts getan.”, entgegnete sie.
“Oh doch. Du wurdest in einen Käfig voller Raubtiere geworfen und du hast dich nicht wie Beute verhalten. Ich weiß, dass es am Anfang nicht leicht ist, aber du hast deine Sache sehr gut gemacht. Du hast Jakob kennengelernt, den Sohn Kommandeurs der planetarern Verteidigungsstreitkräfte. Was hälst du von ihm?”
Anna überlegte, dachte an das Gespräch zurück und sagte:
“Er ist freundlich und fröhlich.Aber ich glaube, er hat viel zu verbergen.”
Markus wirkte zufrieden.
“Gut.”, sagte er. “Er mag dich. Er schien sehr interessiert an dir. Du solltest ihn näher kennen lernen und in Zukunft mehr Zeit mit ihm verbringen.”
Anna verstand, was er wollte.
“Soll ich mir ein Beispiel an Stefan nehmen?”
Markus lächelte und nickte.
 
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Reaktionen: Akktok und Ixus

Akktok

Blisterschnorrer
20 März 2020
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569
1.681
Versteh mich nicht falsch, aber wenn es diese Geschichte nicht in die engere Auswahl geschafft hat, dann müssen die anderen wirklich Epische Geschichten gewesen sein.
Wobei, diese wundervolle Geschichte einen wirklich gefesselt hat. Man musste Sie einfach in eins durchlesen, da man mit Anna wirklich mitgefüllt hat.
Das gesamte Elend und die Chancenlosigkeit, mit dem sich die Mehrheit der imperialen Bürger zufriedengeben müssen, wurde sehr gut eingefangen und uns Präsentiert. Das kurze Gespräch zwischen dem Inquisitor und Anna hat einen einmal mehr gezeigt, wie Loyale Diener des Leichen-Throns von Loyalen Dienern des Leichen-Throns, in die Ketzerei getrieben wurden. Man kann verstehen und nach Vollziehen, warum Anna und die anderen handeln wie Sie halt handeln.

Ich bin wirklich froh, dass du diese Geschichte mit uns geteilt hast. Und hoffe das noch weitere dieser Art auf deiner Festplatte schlummern.
 
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Reaktionen: Pad5di

Pad5di

Aushilfspinsler
9 Januar 2020
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Vielen Dank, bei so viel Lob schwillt mir noch der Schädel :D
Man kann sich vorstellen, welche Menge an Einsendungen es an GW für den Wettbewerb gab, da war die Chance auf Erfolg von Haus aus gering. Dazu kommt, daß Einsendungen nur auf Englisch sein durften, ich musste also einen kurzen Ausschnitt der Geschichte übersetzen. Das kann ja nicht so gut sein, wie bei Muttersprachlern...

Das ganze war als Kurzgeschichte gedacht, die für sich alleine stehen kann, aber letztendlich bietet es einen guten Auftakt für einen ganzen Roman, es wird also noch mehr von mir kommen :)
Da ich in den kommenden Wochen viel Zeit zu Hause verbringen werde, werdet ihr wohl auch nicht so lange auf die Fortsetzung warten müssen, wie sonst.
 
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Reaktionen: Max Musculo

Ixus

Aushilfspinsler
2 März 2015
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@Pad5di
Falls Du sie noch nicht kennen solltest:
Hier auf der Fanworld gibt es eine Geschichte von Nakago mit dem Namen "Das Schwinden". War, glaube ich zumindest, ursprünglich auch etwas kleiner geplant und hat sich zu einem Epos mit sieben oder acht Bänden entwickelt.
Die Erwartungen an Deine Geschichte sind also hoch ... Spaß! :LOL:
Die Hauptprotagonistin ist ebenfalls ein Mädchen bzw. junge Frau, die mit den Vorstellungen und Gesetzen des Imperiums kollidiert. Mehr will ich hier nicht spoilern. Die Thematik ist meiner Meinung nach sehr gelungen dargestellt.

Falls Du selbst Spaß am Lesen hast und Dir vielleicht auch die eine oder andere Inspiration holen möchtest, ganz klar eine Empfehlung. Habe es bereits zwei Mal gelesen und werde es in ein paar Jahren bestimmt noch ein drittes Mal lesen.

Ansonsten weiter so, hat mir bis jetzt sehr gut gefallen. Normalerweise benötige ich ein paar Seiten, bis ich mit einer Geschichte warm werde. Du hattest mich bereits nach dem dritten Absatz, als klar wurde, dass Anna alles andere als "normal" ist. Gläubigen, imperatortreuen Hausmeistern quasi ohne Grund einfach die Rippen zu brechen... tststs ... Ketzerin!!! :devilish:
 
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Pad5di

Aushilfspinsler
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@Ixus
Nein diese Geschichte kenne ich noch nicht vielen Dank für den Tipp, das werde ich mal lesen!

Was Anna angeht:
Genau deswegen werden Psioniker gejagt :D
Ich denke, was es jetzt in der Geschichte braucht sind ein paar schockierende Enthüllungen und Plot-Twists.
Anna wird natürlich ihre Fähigkeiten verbessern und in ihre neue Rolle reinwachsen müssen. Als pflichtbewusste junge Frau wird sie sich ordentlich reinhängen, aber es ist absehbar, dass Markus irgendwann Dinge verlangt, die mit ihren Moralvorstellungen kollidieren. Die Frage ist, ob sie die Linie überschreitet, oder sich gegen ihren Retter stellt...
 
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Pad5di

Aushilfspinsler
9 Januar 2020
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Es tut mir sooooo Leid! Entgegen meiner Erwartung habe ich - eigentlich zum Glück - nur wenig in Kurzarbeit gehen müssen. Ich hatte mich darauf verlassen, locker genug Zeit zum schreiben zu haben, war dann aber nicht so.
Aber es ist ein schönes Gefühl, Leser zu haben, die begierig auf die Fortsetzung warten :) Deswegen habe ich mich auch ins Zeug geworfen und einige Worte auf die Tasten gehämmert. Hier gehts weiter:

Ein halbes Jahr später…

Martha meldete die Ankunft zweier Gäste. Anna, die bereits auf die Herren gewartet hatte, lief zur Eingangstür und begrüßte sie höflich.
“Herr Assari erwartet Sie bereits. Folgen sie mir bitte.”
Sie führte die beiden in das Arbeitszimmer im Erdgeschoss, in dem Markus sich um seine offiziellen Geschäfte kümmerte. Sie war sich der Blicke in ihrem Rücken bewusst, ignorierte sie jedoch geflissentlich. In ihrem schlichten, grauen Anzug, der ihre schlanke Gestalt umschloss und mit der Hochsteckfrisur, die den Blick auf ihren bleichen Nacken freigab, zog sie ständig Blicke auf sich. Noch vor einem halben Jahr hätte Anna sich gefragt, wer diese selbstbewusste, starke Geschäftsfrau sein mochte. Sie bewegte sich mit Anmut durch den Flur und hielt, sanft lächelnd, den Blicken der Männer stand, als sie ihnen die Tür zum Arbeitszimmer aufhielt. Markus saß an seinem großen, wuchtigen Schreibtisch, mit dem Rücken zu dem großen Fenster, durch das das goldene Sonnenlicht fiel. Als Anna und die Gäste eintraten, erhob er sich und kam ihnen mit schnellen Schritten entgegen.
“Lord Hochfels, Lord Falkner, ich freue mich, Sie zu sehen. Bitte, setzen sie sich doch.”
Galant führte Markus die Adligen zu den bequemen Sesseln, die in der vorderen, linken Ecke des Raumes, direkt vor einem großen Bücherregal standen. Markus bot ihnen Gläser mit Amasec an und erfreut nippten sie an dem edlen Tropfen.
“Meine Tochter Anna haben sie ja bereits kennen gelernt. Sie möchte mehr über die Tätigkeiten eines Kaufmannes erfahren und geht mir daher zur Hand. Ich brauche schließlich eine Sekretärin, die einen Überblick über meine Termine hat, sowie Protokolle und Bücher führen kann.”
Die beiden Männer wollten erstmals eine Geschäftsbeziehung zu Markus’ Netzwerk aufbauen, weshalb er sich im Vorhinein umfangreich über sie informiert hatte. Sie waren, wie die meisten reichen und mächtigen Männer der Makropole: Gierig, selbstgefällig und lüstern. Menschen wie sie neigten dazu, Frauen zu unterschätzen.Markus und seine Adoptivtochter fanden es äußerst nützlich, wenn Anna unterschätzt wurde. Daher stellte Markus sie als naives, dummes Mädchen dar, das für seinen Vater die Sekretärin spielte. In Wahrheit war sie in den letzten Monaten zu seiner rechten Hand aufgestiegen. Sie knüpfte neue Kontakte und pflegte die alten. Sie holte Erkundigungen ein, wickelte eigene Geschäfte ab und vor allem diente sie Markus als zweites Paar Augen und Ohren. Während die Männer sich in den Sesseln flätzten und den Auftrag besprachen, blieb sie hinter Markus stehen, ganz das bravem dienstbare Mädchen. Wären die Lords aufmerksamer gewesen, hätten sie bemerkt, dass Anna sie nicht eine Sekunde lang aus den Augen ließ.
“Ich freue mich auf die Herausforderung, die sie an mein Geschäft stellen.”, sagte Markus schließlich.
“Lassen sie uns über die Kosten sprechen.”
Anna kannte ihr Stichwort, trat prompt neben Markus und reichte ihm ein Holo-Pad mit den Details des Auftrages. Die drei Männer begannen zu feilschen. Lord Hochfels versuchte zunächst, sein Interesse an der gewünschten Ware herunter zu spielen. Doch Annas empathischen Kräften entging nichts. Sie erkannte, dass der Mann begierig war, geradezu versessen auf die fraglichen Objekte. Sie kratzte sich hinter dem linken Ohr. Markus, der die Bewegung aus dem Augenwinkel bemerkt haben musste, ließ sich nichts anmerken, doch er beharrte unnachgiebig auf seinem Preis und schließlich mussten die beiden Kunden ihm ein gutes Stück entgegen kommen.
Nachdem sie gegangen waren, lehnte sich Markus entspannt zurück und sagte:
“Gut gemacht Anna. Du hast mir geholfen, einen hervorragenden Preis zu erzielen. Wie konnte ich bislang nur ohne dich auskommen?”
Erfreut lächelte sie ihn an.
“Wie war dein Eindruck von ihnen?”

Diese Frage stellte er ihr inzwischen bei jedem einzelnen Geschäftspartner, mit dem er sich traf. Annas Fähigkeiten auf dem Gebiet der Empathie hatten sich rasant gesteigert. Mittlerweile konnte sie in den Menschen lesen, wie in einem offenen Buch. Sie konnte ihre psionischen Sinne ganz sachte ausstrecken um die Emotionen anderer zu empfangen, ohne dabei andere Psioniker auf sich aufmerksam zu machen.
Sie wünschte nur, ihre anderen Fähigkeiten würden sich ebenso schnell entwickeln.
Markus versuchte inzwischen täglich, ihre offensiven Kräfte zu trainieren.
“Weißt du, wie du den Kopf des Jungen, damals in der Fabrik, zerplatzen lassen konntest?”, hatte er sie eines Tages gefragt, als sie in seinem Geheimraum im Keller geübt hatten.
Anna hatte energisch den Kopf geschüttelt. Diesen grausigen Vorfall würde sie am liebsten für immer vergessen.
“Neben deiner Fähigkeit, die Gefühle andere Menschen zu erfühlen, scheinst du auch Telekinetisch veranlagt zu sein.Du bist in der Lage, mit der Kraft des Immateriums Dinge zu bewegen, ohne sie zu berühren.”
Er hatte sie aufgefordert, einen kleinen Ball in ihre Hand fliegen zu lassen. Es hatte zwei Wochen gebraucht, bis der Ball es in ihre ausgestreckte Hand schaffte. Dann wollte Markus, dass sie ihn mit dem Ball, oder anderen harmlosen Gegenständen beschoss, doch sie schaffte es einfach nicht. Egal, wie sehr sie sich anstrengte, die Geschosse wackelten lediglich hin und her, erhoben sich jedoch nicht in die Luft. Insgeheim war sie dankbar dafür. Sie hatte den verdacht, dass Markus ihre psionischen Kräfte in eine Waffe verwandeln wollte. Was würde er von ihr verlangen, wenn sie die Telekinese beherrschte?
Sie wurde bereits von Sadir im Umgang mit Pistolen, Gewehren und Kampfstäben unterwiesen. Mit den Schusswaffen machte sie nur geringe Fortschritte, aber der Kampfstab schien wie für sie gemacht zu sein. Würde Markus sie zu einer Assassine machen, wenn Sadir mit ihr zufrieden war?
Immer, wenn ihr dieser beunruhigende Gedanke kam, erinnerte sie sich daran, dass Markus ihr Rache für ihre Eltern versprochen hatte. Um Rache nehmen zu können, musste sie kämpfen…

“Also, Anna, was sagst du zu unseren neuen Geschäftspartnern?”, fragte Markus sie erneut und riss die aus ihren Gedanken.
“Sie sind selbstgefällig, alle beide. Hochfels ist ganz versessen auf die Relikte, er hat irgendeinen Plan.. Falkner hingegen ist ein Geschäftsmann, durch und durch. Er war mehr an den Kosten und den Einnahmen interessiert. Ich denke, Bilanzen sind seine Welt. Sollte der Auftrag zu kostspielig, oder zu riskant werden, wird er den Schaden begrenzen und alles abbrechen.”
Markus nickte zufrieden.
“Dann sollten wir für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich werde sogleich ein Team beauftragen, die Relikte zu besorgen.”
“Team Centauri sitzt seit einer Woche auf der faulen Haut und gibt die letzte Prämie aus. Es wird mindestens einen vollen Tag dauern, bis sie alle nüchtern und einsatzbereits sind. Team Nebulus kann in den nächsten sechs Stunden anfangen, aber sie sind erst gestern von dem Auftrag in Necromunda zurückgekehrt. Sie werden erschöpft sein.”
Anna war mittlerweile mit einem großen Teil des Netzwerkes vertraut und übernahm für Markus die Logistik, daher kannte sie diese Informationen auswendig.
Centauri und Nebulus waren zwei Gruppen von Spezialisten die jene Aufträge übernahmen die sich im Rahmen des Gesetzes bewegten - oder zumindest in dem Grauen Bereich zwischen legal und illegal.
“Dann schicke das Team Centauri. Auf den einen Tag wird es nicht ankommen, aber es muss alles glatt laufen.”
“Brauchst du mich noch? Ich wollte mich heute Abend mit Jakob treffen.”
“Nein, geh ruhig. Viel Spaß euch beiden.”

Jakob, der Sohn des Kommandeurs der planetaren Streitkräfte, war Annas Freund. Er hatte ganz offen seine romantischen Absichten kundgetan und sie regelrecht umworben Ermutigt von Markus hatte Anna sich auf den jungen Mann eingelassen. Inzwischen mochte sie ihn tatsächlich gern, doch sie war nicht Hals über Kopf in ihn verliebt. Er kannte lediglich ihr offizielles Ich, und sie wusste, dass diese Beziehung keine Zukunft haben konnte. Aber sie genoss seine Gesellschaft und ihm schien das zu reichen. Anna war froh darüber, denn sie war noch nicht bereit, sich erneut auf eine körperliche Beziehung einzulassen. Nicht nach der Erfahrung mit Stefan.
Sie zog sich rasch etwas legeres an und nahm ein Taxi zum Anwesen von Jakobs Vater. Der Kommandeur war einer der ranghöchsten Soldaten des gesamten Planeten und entstammte einer alten Familie von Offizieren. Sein Anwesen war entsprechend groß und pompös. Noch vor einem halben Jahr hatte sie über den Luxus von Markus’ Habitat gestaunt, doch gegen diesen Komplex mit Labyrinth-artigen Wintergarten, Ballsaal, Speisesaal und ähnlichem wirkte sein Zuhause geradezu bescheiden.
Anna kannte das Habitat inzwischen recht gut, da Jakob sie bereitwillig herumgeführt hatte.
Markus hatte Schwierigkeiten damit, nützliche Informationen über den Kommandeur zu finden, daher war Annas Zugang zu seinem Haus eine wertvolle Gelegenheit. Anna konnte bereits ein paar Dinge in Erfahrung bringen. Wer alles in dem Habitat lebte, mit wem der Kommandeur sich traf, hin und wieder sogar Fetzen eines vertraulichen Gespräches, die sie im Vorbeigehen erhaschte.
Erstaunlicherweise hatte sie keine starken Schuldgefühle. Sie täuschte und belog Jakob weniger, als die meisten anderen Menschen und sie hatte ihm schließlich nichts versprochen… Sie sagte sich, dass es nichts mit dem Sohn zu tun hatte, wenn der Vater zu sorglos mit sensiblen Informationen umging.
Wie sehr sie sich in den vergangenen Monaten doch verändert hatte!

Kaum war sie aus dem Taxi gestiegen, da öffnete sich auch schon die große Pforte und Jakob umarmte sie herzlich.
“Ich freue mich so, dich zu sehen.”, sagte er, während er sie durch den langen Eingangsflur führte.
Sie konnte seine Anspannung spüren. Er war wütend und trotzig, unterdrückte diese Gefühle jedoch.
“Hattest du ein Gespräch mit deinem Vater?”, riet Anna.
Jakob schnaubte verächtlich.
“Gespräch ist nicht das richtige Wort. Ich habe einen weiteren Vortrag bekommen, dass ich die Familie stolz machen und meinen Mann stehen soll. Ich fürchte, dass er irgendwann einen Posten findet, zu dem er mich versetzen kann.”
Gemäß der Familientradition hatte sein Vater dafür gesorgt, dass Jakob eine Karriere beim Militär einschlug. Zur großen Enttäuschung des Kommandeurs verspürte sein Sohn weder den Drang, den Feinden der Menschheit auf dem Schlachtfeld gegenüber zu treten, noch zeigte er das nötige Talent dafür. Jakob war schnell auf einen rein administrativen Posten versetzt worden und war vollauf zufrieden damit, Formulare aus zu füllen, Berichte zu schreiben und Budgets zu erstellen. Es war eine ewig schwärende Wunde im Geiste seines Vaters. Der einzige Sohn und Erbe war ein Schreibtischhengst, mehr daran interessiert, die Damenwelt zu beeindrucken, als daran, auf einer eiskalten, leeren Orbitalstation Wache zu schieben. Folglich hatte der Kommandeur seinen beträchtlichen Einfluss genutzt, um seinen Sohn in die imperiale Armee versetzen zu lassen. Eine solche Versetzung würde bedeuten, dass Jakob seinen Heimatplaneten verlassen und in einem fernen Sternensystem gegen abscheuliche Kreaturen kämpfen müsste. Doch Jakob verstand bestens, wie die Mühlen der Bürokratie mahlten und hatte seine Versetzung jedes Mal verhindern können… Zumindest bislang.
Tröstend legte Anna eine Hand auf seinen Arm.
“Das wird irgendwann vorbei sein. Entweder, dein Vater lernt, deine Entscheidung zu akzeptieren, oder aber du bist schon so lange auf deinem Posten, dass nicht einmal mehr sein Einfluss ausreicht, dich zu versetzen. Die Armee rekrutiert Niemanden für die Frontlinie, der seit zehn Jahren den Stempel schwingt.”
“Na dann bin ich ja beruhigt. Ich muss nur noch fünf weitere Jahre meinen Stempel schwingen. Vielleicht kann ich ja einen Schreibtischposten in der Armee bekommen. Vielleicht reicht das aus, damit mein Vater mich in Ruhe lässt.”
Anna beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft.
“Du bist ein guter Mensch, Jakob. Egal was dein Vater sagt.”
Seine Anspannung legte sich allmählich und er lächelte breiter.
“Hast du Lust, dir ein paar neue Holos anzusehen?”
“Ich hoffe, du hast nicht schon wieder eine kitschige Romanze besorgt?”, fragte Anna, ehrlich besorgt.
Jakob lachte ungezwungen und antwortete:
“Nein, keine Sorge, diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Dieser wird dir gefallen, denke ich. Es geht um einen Gelehrten, der auf der Suche nach verlorenen Reliquien alte Ruinen durchforscht.“
“Ein Gelehrter? So ein greiser Magos der zwischen verstaubten Büchern lebt?”
“Nein, dieser Gelehrte ist viel aufregender. Er ist jung und stark, er zieht hinaus in den Dschungel und erlebt Abenteuer. Er scheut nicht davor zurück, seine Fäuste einzusetzen und er trägt einen altmodischen Hut mit breiter Krempe!”
“Ich kann mir diesen Mann beim besten Willen nicht vorstellen!”
“Na dann komm, ich zeig ihn dir. Diese Holos werden dir gefallen!”

Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Anna aufbrach. Sie rief sich ein Taxi und wies den Servitor an, einen Zwischenstopp einzulegen. Nachdem das Fahrzeug um die Ecke gebogen war, griff sie in ihre Tasche und zog ein Holo-Pad hervor. Jakob war kurz vor dem Ende des letzten Holos eingeschlafen und Anna hatte die Gelegenheit genutzt, in das verwaiste Arbeitszimmer seines Vaters zu schleichen. Offen auf dem Schreibtisch hatte ein Holo-Pad gelegen. Es war ein leichtes gewesen, den Inhalt auf ihr eigenes Gerät zu kopieren. Rasch überflog sie den Inhalt und war erstaunt, dass der Kommandeur solche Dokumente einfach herumliegen ließ. Markus würde äußerst zufrieden mit ihr sein.

Das Taxi hielt an einer dunklen Straßenecke im Händlerviertel. Keine prunkvollen Villen waren hier zu sehen, sondern kleine Geschäfte, die ihre Waren in Schaufenstern anpriesen, Werkstätten voller Stahl und Rost und weiter hinten, in der Dunkelheit kaum zu erkennen, erhoben sich die Dächer einiger Lagerhäuser. Eines dieser Lagerhäuser gehörte Markus. Wobei sein Name nirgends in den Papieren auftauchte. Der offizielle Besitzer stand auf der Gehaltsliste einer Firma, die wiederum jemanden gehörte, der auf Markus’ Gehaltsliste stand. Sie war schon einmal hier gewesen, damals in Begleitung von Markus. Nun jedoch war sie alleine und nicht einmal ihr Stiefvater wusste, dass sie hier war.
Sie wies den Taxi-Servitor an, zu warten und stieg aus. Zu dieser späten Stunde herrschte Stille, nichts rührte sich. Flink und lautlos, wie ein nachtaktives Raubtier, huschte Anna von Schatten zu Schatten, wandte jeden Trick an, der ihr beigebracht worden war, um unbemerkt zu bleiben. Obwohl der Weg kurz war, brauchte sie doch wesentlich länger, als sie gedacht hatte, aber schließlich erklomm sie das Dach des Lagerhauses über eine Feuerleiter. In dem Gebäude lagerten Waren von eher geringem Wert, weshalb die Sicherheitsmaßnahmen vergleichsweise einfach waren.
Mit einem kleinen Laserbohrer schuf sie ein kleines Loch im Blechdach und kletterte in das Innere des Gebäudes. Der Mann, der das Lagerhaus betrieb, war ein kleines, unbedeutendes Rädchen im großen Getriebe von Markus’ Geschäften. Doch Anna hatte herausgefunden, dass er sehr neugierig auf seinen inoffiziellen Meister war. Tatsächlich war es ihm gelungen, eine Akte über Markus anzulegen. Anna vermutete, dass diese Akte Geheimnisse enthielt, in die ihr Stiefvater noch nicht einmal sie eingeweiht hatte. Diese einmalige Gelegenheit konnte sie sich einfach nicht entgehen lassen.
Sie betrat das Büro des Leiters und sah sich sorgfältig um. Der Schreibtisch war leer, der Aktenschrank enthielt lediglich Inventarlisten, Bestellungen und Rechnungen. Sie begann schon zu glauben, dass der Mann die Akte bei sich zu Hause verbarg, als ihr Blick auf die Wandverkleidung über dem Schreibtisch fiel. Ein kleiner Spalt tat sich dort auf und als sie hinein griff, ertastete sie einen Hohlraum dahinter. Sie bog das lose Stück Verkleidung zur Seite und erblickte eine staubige Akte dahinter. Sie grinste zufrieden.
Markus hatte sie gut unterwiesen. Vielleicht zu gut. Seine wichtigste Lektion hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. In ihrem Kopf hörte sie erneut seine Stimme, während sie sich zurück zu ihrem Taxi schlich.
“Du darfst Niemanden vertrauen! Niemals! Nicht einmal mir. Nein, schon gar nicht mir!”
 
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