Es gehört hier zwar nicht wirklich hinein, mir ist's allerdings ein Bedürfnis, (ebenfalls verspätet) würdevoll den Hut für Harry Rowohlt zu lüpfen - scheint kein gutes Jahr für Sprachvirtuosen zu sein.
Wie dem auch sei: ich arbeite mich gerade wieder durch die Romane der Stadtwache, und abseits der irritierenden Momentaufnahme, dass Vetinari und ein momentan amtierendes Regierungsoberhaupt womöglich eine geometrische Figur teilen*, ist mir beim erneuten Durchlesen noch einmal bewusst geworden, wie sehr ich den Erstling "Guards! Guards!" liebe. Interessanterweise scheinen die Meinungen bei Scheibenwelt-Enthusiasten in dieser Hinsicht weit auseinander zu gehen. Was mir an GG auch und nachgerade im Vergleich zu späteren Büchern so gelungen scheint, ist der eher indirekte Zugriff auf politische Belange einerseits und die sprühende Humanität andererseits.
Es darf, denke ich, als ausgemacht gelten, dass die Romane der Stadtwache in ihrer Essenz die politischsten Romane Pratchetts sind. Das hängt zum einen mit dem Schauplatz zusammen (Ankh-Morpork als größte und diversifizierteste Stadt der Scheibenwelt), zum anderen mit der entsprechenden Spiegelung dieser Verhältnisse bei der Truppe, und zu guter Letzt an Sam Vimes, der entschiedene Ansichten über die Natur des Menschen und dessen Streben in der Gesellschaft hat. In diesem Spannungsfeld werden etliche Themen beleuchtet: Republikanische Staatsformen contra Royalismus, allgemeine Korrumpierbarkeit durch Macht, Vorurteile gegenüber Minderheiten, Standesdünkel bis in eugenische Untiefen hinein, Kriegstreiberei/Zunutzemachen (vermeintlich) patriotischer Propaganda usw. usf. Wie wir ja im Laufe der letzten Seiten schon herausgestellt haben, ist Pratchett im zunehmenden Alter dabei nicht milder, sondern schärfer geworden. Teils mangelt es schmerzlich an Subtilität, stattdessen kommen plakative, teils schon missionarische Aussagen zustande, die schrill auf irgendein Unrecht hinweisen.
GG nun ist werkgeschichtlich an früher Stelle, und in einer interessanten Übergangs- oder "Sattelzeit" (Koselleck) verhaftet. Es ist einerseits nicht mehr krampfhaft in der zotigen Aufarbeitung resp. Dekonstruierung von althergebrachten Fantasy-Klischees à la Fritz Leiber verhaftet, andererseits hat sich auch noch nicht die scharfe satirische Stimme der späteren Werke manifestiert. Hinzu kommt, dass Pratchett zu diesem Zeitpunkt noch selbst nicht wusste, dass die Stadtwache sich zu einer seiner wirkmächtigsten Reihen mausern sollte - entsprechend liegt der Fokus auch nicht auf Vimes, sondern auf Carrot, durch dessen Augen wir Ankh-Morpork erfahren. Dann und wann hallt das Echo des ganz frühen Pratchetts noch nach (s. den ganzen Klamauk um die Chance von eins zu einer Million), tendentiell besetzt GG allerdings ein Graufeld.
Das kommt nach meinem Dafürhalten der Darstellung der conditio humana ungemein zugute. Es wird zwar in aller Offenheit kommentiert, dass der Mensch bei sich ändernder Großwetterlage von der Standhaftigkeit eines Schilfrohrs im Sturme ist, doch geschieht diese Schilderung nicht ohne Sympathie zu den so entlarvten Subjekten. Freilich ist es für sich genommen erschütternd, mit welcher Beschwingtheit Überzeugungen über Bord geworfen werden, auf der anderen Seite zeigt sich allerdings der ausgemachte Pragmatismus der Bewohner A.-M.s: man hatte schon schlimmere Regenten als ein garstiges Schuppenviech, und überhaupt wäre das eine passable Zurschaustellung der eigenen Stärke. Der Leser ertappt sich selbst dabei, dass auch er beschrieben wird, eben als echtes menschliches Wesen mit all seinen inneren Konflikten und Abwägungen zwischen Ideologien und Komfortabilitäten. Zwar wird die Stoßrichtung ersichtlich, doch liegt genügend Verständnis für die zugrundeliegende Situation vor, als dass man sich nicht belehrt fühlte.
Daran mangelt es mir dann in späteren Werken doch ein wenig. In "Jingo" z.B. werden Lord Rust und seine Mitputschisten wie törichte Idioten dargestellt, die von antiquierten Ehrvorstellungen zehren und bereitwillig Massaker auf allen Seiten in Kauf nehmen, um dies durchzusetzen. Damit soll nicht gesagt werden, dass solches Verhalten eo ipso unrealistisch oder undenkbar wäre, doch bleibt die Motivation vergleichsweise plump. Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sind schwer entwirrbare Knäuel geflochten worden, die pragmatische, ehrbezogene, genealogische wie religiöse Motive gleichermaßen enthielten, teils als Zeremoniell, teils als formale Bekundung des Machtanspruchs, teils aus echter Überzeugung. Solche Karikaturen von erzählerischen Stolpersteinen wie eben Lord Rust (richtiggehende Antagonisten sind das ja nun beileibe nicht) sind insofern etwas betrüblich, als man weiß, dass Pratchett durchaus in der Lage ist, Tiefe auch bei Widersachern herzustellen.
Das sind selbstverständlich nur relative Bemerkungen, mir gefallen auch die späteren Romane (abseits der allerletzten) ausgezeichnet, mir schien eine Ehrenrettung GGs allerdings angemessen. Was sagen die Herrschaften dazu?
*Übrigens keine Raute, bedeutete es doch, dass Daumen und Zeigefinger von derselben Länge wären.**
**Hierbei handelt es sich um eine humorlose Adnote von demselben Menschenschlag, dessen Gehörgang erfolglos beim Klang von "Indominus Rex" versucht, die Morphologie des Worts in "Indomitus Rex" umzuformen, wie es sich gehört.***
***Gleichwohl es eine herrliche marxistische Pointe darstellt, dass der grundbesitzlose König - in Raserei versetzt - schwächlichen postheroischen Menschlein aufzeigt, wo der kreidezeitliche Hammer hängt.