Ich bin selbst Turnierorganisator und Gelegenheitsspieler. Wenn ich allerdings spiele, dann durchaus mit und auch sehr gerne gegen ausgemaxte Listen. Deshalb würde ich mich nicht als B&B Spieler bezeichnen, auch wenn ich an eher wenigen Turnieren teilnehmen.
Du hast ja jetzt eine ganze Menge an Punkten genannt, deshalb versuche ich das ganze erst einmal ein bisschen zu Gliedern, damit ich auch auf alles eingehen kann.
1. Ballancing für Turniere und nicht für B&B:
Meines erachtens nach und das konnte ich bisher auch bei anderen Spielen, nicht nur bei Warhammer 40k, feststellen, funktioniert Ballancing nur von oben nach unten. Bitte an der Stelle nicht falsch verstehen. Das ist hier ist jetzt kein Apell gemäß dem Motto Turnierspieler sind besser als B&B Spieler oder umgekehrt. Ich stelle an der Stelle aber durchaus die These auf, dass auf Turnieren Warhammer 40k auf einem harten, kompetitiven Level gespielt wird. Dementsprechend wird aus den Regeln und aus der Armee das Maximum dessen rausgeholt, was möglich ist. Gleichzeitig kann erwartet werden, dass der jeweilige Gegenspieler dasselbe macht. Ich gehe weiterhin davon aus, dass über die Zeit hinweg erfolgreiche Turnierspieler auch eine entsprechende Erfahrung in dem Spiel bekommen haben und somit auch das Maximum an spielerischen Möglichkeiten aus der eigenen Armee herausholen können (was ein B&B Spieler selbstverständlich auch kann, wenn er nur lange genug spielt.). Wenn es auf diesem Level zu Unausgeglichenheiten kommt oder eine bestimmte Fraktion, ein bestimmtes Datasheet (jedoch niemals ein Spieler) über die Maßen dominiert oder in einer Art und Weise genutzt wird, die so niemals vorgesehen war, dann besteht ein Ballancing Problem, an dem gearbeitet werden muss. Damit ein solcher Tatbestand allerdings festgestellt werden kann, bedarf es einer ausreichenden Menge an in sich konsistenten Daten. Diese Daten können aus den oben genannten Gründen eben am Besten auf Turnieren gewonnen werden. Würde man anstatt dessen auf B&B Niveau ein Ballancing betreiben, wären die Daten inkonsistent, da die Spieler hier weder aus den Regeln, noch aus den Armeen und häufig wahrscheinlich auch nicht spielerisch das Beste rausholen, was möglich ist. Außerdem müsste immer die Frage gestellt werden, wo hört B&B auf und fängt Turnierniveau an. Gerade da wird es vermutlich so viele Antworten wie Spieler geben. Demnach muss Ballancing meiner Meinung nach zwingend auf Turnierniveau betrieben werden. Was auch nicht schlecht ist. Denn ein Ballancing am Maximum bleibt in vielen Fällen auch dann bestehen, auch wenn man nicht am Maximum spielt (auch das ist völlig ohne Wertung gemeint). Wenn ihr also Matched Play Spiele absolviert, dann profitiert auch eure Spielergruppe vom Ballancing, auch wenn ihr auf keinem Turnier spielt.
2. Living Rulebook
Der große Unterschied zwischen dem aktuellen Living Rulebook und der Verfahrensweise vorheriger Editionen liegt meines Erachtens nach in drei entscheidenden Punkten:
a) Die Anpassungen erfolgen jetzt schneller als früher. Ganz offensichtliche Formulierungsfehler werden sehr schnell ausgemerzt und selbst akute Ballancingprobleme werden sehr schnell angegangen. Ballancing- und andere größere Probleme aber auch Neuerungen, die das Spiel beleben, werden dann in einem größeren Abstand, immer noch aber innerhalb eines Jahres behandelt.
b) Es wird sich aktive Gedanken um die Bepunktung der Modelle gemacht und diese kann sich auch mehr als einmal ändern.
c) Die Spieler werden mit eingebunden und können ihre Erfahrungen aus den Spielen weitergeben.
In allen anderen Editionen von 40k, die ich bisher gespielt habe, hat es immer wieder Regelanpassungen und Klarstellungen gegeben. Das ist keine Besonderheit des Living Rulebooks. Auch in der 7. - 4. Edition (mit letzterer bin ich in das Hobby eingestiegen, von älteren weiß ich leider nichts zu berichten) gab es FAQs und Errata, sowohl vom Grundregelwerk als auch zu den einzelnen Codizes und im Falle der 7. auch noch zu allen Dataslates, Kampagnenbüchern und Supplements. Nur ist die Reaktionsgeschwindigkeit hier immens geringer gewesen. Oft hat es Jahre gedauert, bis offensichtliche Probleme gelöst wurden, geschweige denn dass ein Ballancing betrieben worden wäre. Punkteänderungen haben erst mit erscheinen eines neuen Codizes stattgefunden. Und das sehr zum Missfallen der Spieler. War ein Codex schlecht, hatte man für die nächsten Jahre bzw. häufig für die gesamte Edition gelitten. Worauf ich hinaus will ist, es hat sich in diesem Aspekt nichts in der Vorgehensweise, sondern in der Reaktionsgeschwindigkeit geändert. Sehr zum Vorteil der Spielerschafft. Dieser Aspekt umfasst den zweiten Punkte meiner Aufzählung. Auch Punkte wurden schon früher angepasst, aber eben im Codexerscheinungsturnus, sprich viel, viel langsamer als heute. Auch hier bleibt der Grundsatz gleich nur die Geschwindigkeit wurde erhöht, was meiner Meinung nach ein Mehrgewinn für Warhammer 40k ist.
Die einzig wirklich große Neuerung ist, dass nun auch die Spielerschafft mit einbezogen wird. Da kann ich jetzt nicht erkennen, wo hier ein Nachteil liegen soll. Wenn ich hier übrigens von Spielerschafft spreche, beziehe ich da auch die B&B Spieler mit ein. Auch diese können ihre Fragen und Probleme an GW Richten, nicht nur die Turnierspieler.
3. Turnierspiele sind anders strukturiert.
Ist der Unterschied denn wirklich so groß? Das ist eine ernstgemeinte Frage. Wie gesagt spiele ich gerne mit harten Listen gegen harte Listen. Ich habe aber auch schon im Freundeskreis mit fluffigeren Listen gespielt. Dann haben wir auch bestimmte Szenarien nachgestellt oder eine erzählerische Kampagne ins Laufen gebracht. Einmal abgesehen davon, dass der Härtegrad der Listen ein anderer ist, kann ich jetzt aber keinen so großen Unterschied sehen. Auf eine Punktgröße haben wir uns im Spielerkreis auch immer geeinigt. Meistens lag die irgendwo zwischen 1000 und 2000 Punkten, in ganz wenigen Ausnahmen auch mal bei 3000 Punkten, wenn wir mal ein ganzes Wochenende Zeit hatten. Mit wievielen Punkten spielt ihr denn so in eurer Spielergruppe?
Bei uns haben wir uns aber auch immer mit der Anzahl der Datasheets an den Vorschlägen von GW orientiert. Da kann ich jetzt auch keinen großen Unterschied zwischen B&B und Turnierspielen sehen. Das gleiche gilt auch für die Missionen. Gerade in den Kampagnen, die wir gespielt haben, haben wir dann natürlich auch eigene Missionen gebaut und nach denen gespielt. Wenn es aber einzelne Funspiele waren, haben wir meist die Standardmissionen von GW genommen. Auf den Turnieren sieht das nicht anders aus. Klar mag es bei Ars Bellica und ITC nun auch noch spezielle Missionen für Turniere geben. Es wäre gerade im Falle von Ars Bellica aber auch vermessen zu glauben, dass GW diese Missionen in ihrem Ballancing berücksichtigt.
Einzig der Faktor Zeit ist hier ein großer Unterschied zwischen einem Turnierspiel und einem B&B Spiel. Das hat aber auch nichts mit dem Ballancing von GW zu tun. Denn GW geht in seinen Regeln überhaupt nicht auf den Faktor Zeit ein. Was der Grund dafür ist, dass viele Turnierreihen inzwischen eigene Hausregeln bezüglich des fairen Umgangs mit der zur Verfügung stehenden Zeit entwickelt haben.
Deshalb glaube ich, dass das Living Rulebook und auch das Ballancing von GW kein Entscheidender Faktor im Unterschied zwischen Turniermeta und B&B-Listen darstellt. Viel eher erscheint es mir, dass die Ideen der großen Turnierreihen ala TTM, AB, ITC inzwischen auch ihren Einzug in B&B Spiele gefunden haben, bzw. ein Turnierspieler mit diesen Ideen auch an die Konzeption einer B&B Liste und sogar gegebenenfalls von Missionen rangeht, so dass hier eine Interaktion zwischen Turnieren und Funspielen stattfindet, die aus der Dynamik der Spieler heraus entsteht, jedoch nicht auf die Regeln von GW zurückzuführen sind.
4. Die Masse an Regelquellen
Grundsätzlich teile ich da deine Befürchtung. Mit den ganzen Errata, FAQ, Codizes, Kampagnenbüchern und seit neuestem noch White Dwarf Artikeln (von extra Regelwerken Seitens Forgeworld ganz zu schweigen) gibt es einfach eine Menge an Regelquellen. Gerade die Veröffentlichung von neuen Regeln im White Dwarf halte ich für völlig deplatziert und langfristig dem Spiel auch schadend. Dennoch muss ich an der Stelle etwas provokant hinzufügen, war es in der vorherigen Edition viel Schlimmer. Da gab es ebenfalls die schon genannten Regelquellen und dazu noch Supplements, Dataslates und noch deutlich mehr Kampagnenbücher. Dazu überall verteilt Regeln für Formationen und Datasheets, die Teilweise einander ausschlossen oder überschrieben und teilweise nebeneinander standen. Da muss ich sagen, ist mir die 8. Edition bislang immer noch deutlich lieber. Auch wenn ich befürchte, dass es in eine ähnliche Richtung geht. Allerdings kommt in der 8. Edition noch dazu, dass man mit z.B. Battlescibe ein Werkzeug an der Hand hat, dass einem doch sehr Hilft, sich trotz der Wusts an Regelquellen eine ordentliche Armee zusammenzustellen.
5. Codexspezifische FAQs, die für alle relevante Klarstellungen enthalten
Da stimme ich dir vorbehaltlos zu. Klarstellungen, die nicht nur eine bestimmte Problematik eines Volkes behandeln, sondern eine grundsätzliche Problematik klären, gehören ins FAQ des Grundregelwerks. Wie heftig teilweise die Klarstellungen im Grundregelwerk den Klarstellungen in den Codex-FAQs widersprechen, kann man allein in den jüngsten Veränderungen der Errata und FAQs bzw. auch in der Begründung des entsprechen Beitrags auf der Warhammer Community Seite sehen. Hier können und müssen sich die FAQ Schreiber noch deutlich besser organisieren. Allerdings sei der Hinweis gestattet, dass auch das nichts mit dem Living Rulebook zu tun hat. Dieses Problem hätte und hat es in manchen Fällen auch schon in vorherigen Editionen gegeben. Als Wahlloses Beispiel sei hier Scouting und Terminatorrüstung in der 5. Edition genannt, wo es dazu drei unterschiedliche Auslegungen jeweils bei den Space Marines, Space Wolves und den Chaos Space Marines gab. Eine Einheitlich Regelung im Grundregelwerk gab es da auch nicht. Ganz zu schweigen von der 4. Edition, wo die They Shall know no Fear Regel in beinahe jedem Space Marine Orden minimale aber entscheidende Abweichungen hatte.
6. Man muss bei den Regeln Up to Date bleiben.
Ja das stimmt. Die Geschwindigkeit, mit der Probleme behoben und Klarstellungen ausgegeben werden, hat sich definitiv erhöht. Da muss sich aber jeder selbst fragen, ob er lieber eine zeitnahe Klarstellung zu einer Regel haben möchte, die sich im Extremfall als völlig broken rausstellt, oder ob er lieber mit offensichtlichen Fehlern in den Regeln leben möchte, nur um nicht so häufig FAQs zu lesen. Für beides lassen sich bestimmt gute Argumente finden, mir persönlich ist ersteres allerdings deutlich lieber.
7. Das Keywordsystem
Das Keywordsystem ist grundsätzlich ein Gutes, wenngleich GW hier auch nicht das Rad neu erfunden hat. Es funktioniert in vielen Fällen tadellos, wirft aber in bestimmten Fällen auch berechtigte Fragen auf. Ohne mich jetzt für GW einbringen zu wollen, muss ich ihnen zu Gute halten, dass sie dieses System hier zum ersten Mal eingeführt haben und es da auch zu erwarten ist, dass nicht alles Perfekt ist. Das von dir angesprochene Beispiel mit den Dämonen ist nur eins von mehreren Keywords, die mir einfallen, wo man mit wenig Aufwand deutlich bessere Ergebnisse hätte erzielen können. Nur weil es aber in bestimmten Fällen nicht ganz so gut klappt, heißt das aber nicht, dass das System insgesamt nicht funktionieren würde. Denn das ist nicht der Fall. Ich behaupte in 90% aller Fälle klappt das Keywordsystem und in den übrigen 10% muss noch Nachbesserung geleistet werden.
8. Die 8. Edition ist eine Testedition
Der Umbruch von der 7. Edition zur 8. war nicht nur bitter Notwendig gewesen, sondern auch einer der größten, wenn nicht sogar die größte Änderung, die das System Warhammer 40k seit seiner Entstehung (oder zumindest solange ich 40k spiele) durchgemacht hat. Ich habe noch keine Andere Edition erlebt, die so viele neue Elemente und Mechniken mit sich gebracht hat, wie die jüngste Auflage von Warhammer 40k. Bei dieser Fülle an Neuerungen ist die 8. Edition selbstverständlich eine Testedition. Wie kann es auch anders sein? Nicht einmal der beste Spieledesigner kann bei einem so komplexen System wie Warhammer 40k und bei so drastischen Änderungen alle Auswirkungen und Entwicklungen voraussagen. Grade deshalb schon bedarf es des Living Rulebooks um eben auch für alle das Spielerlebnis zu verbessern. Klar kann man jetzt sagen, ein unausgereiftes Spiel, spiele ich nicht, das ist es mir nicht Wert. Und das ist auch völlig in Ordnung. Man kann aber auch sagen, hey, das ist meine Chance dieses Spiel, dass ich jetzt schon solange Spiele mitzugestalten und ihm meinen Stempel aufzudrücken. Mir persönlich macht die 8. Edition sehr viel Spaß und das gerade in dem Bewusstsein, dass ich Teil einer Community bin, die die Chance hat, Warhammer 40k mitzugestalten.
Ich halte die 8. Edition nach wie vor für eine gute Edition und freue mich auch darauf wie es weiter geht. Klar habe ich auch bestimmte Kritikpunkte, die ich hier ja auch deutlich werden ließ. Doch sehe ich heute mehr denn je, dass die Kritik auch ankommt und zu echten Veränderungen führt. Gänzlich anders sehe ich hingegen die 7. Edition. Ich bin froh, dass ich die hinter mich lassen konnte und dass die Notbremse gezogen worden ist, bevor alle Spieler dem Spiel den Rücke gekehrt haben und 40k dasselbe Schicksal erlitten hat wie Warhammer Fantasy. Nichts gegen AOS, das bestimmt auch ein tolles System ist. Aber für mich ist mit Warhammer Fantasy ein Ära zu Ende gegangen. Deshalb hoffe ich, dass Warhammer 40k nicht das gleiche Schicksal erleidet. Ich glaube aber auch, dass das Living Rulebook und die Einbeziehung der Community der richtige Weg ist, um genau das zu verhindern.
So jetzt habe ich jede Menge geschrieben und ich hoffe, ich konnte auf alle deine Punkte eingehen. Wenn das mal nicht der Fall ist, war das keine böse Absicht, sondern ist nur der Menge an Argumente geschuldet, die du angebracht hast.
Gruß
ProfessorZ