Ägypten

Vovin

Tabletop-Fanatiker
06. Juni 2001
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Wieso stehen wir wieder mal auf der falschen Seite und unterstützen den Diktator mehr oder weniger offen, wenn es unsere eigenen Werte uns eigentlich uneindeutig dazu zwingen würden, die Demonstranten zu unterstützen? Wieso stellen sich Merkel und Westerwelle hin und fordern beide Seiten zum Gewaltverzicht auf, wenn das Gefälle der zur Verfügung stehenden Gewalt derart ungleich ist?

Warum ist Ägypten in den Medien relativ spärlich vertreten, wenn man es mal mit anderen großen Ereignissen vergleicht. Deutsche Nachrichtensendungen berichten nur stündlich und nicht kontinuierlich. Freitag gab es einen Brennpunkt, gestern aber nicht mehr. Hier im Fourm wird über das Dschungelcamp disutiert, aber nicht über die Proteste.
Nach meiner Einschätzung haben die Proteste das Potenzial Geschichte zu schreiben, und das in einer Größenordnung, die man mit dem Fall des eisernen Vorhangs vergleichen kann, wenn der Tahrir Platz nicht der neue Tiananmen Platz wird. Seit Jahren wird diskutiert, warum der Nahe Osten nicht dekromatiefähig ist, wie der Islam die Region im Mittelalter hält, wie westliche Marschflugkörper die einzige Möglichkeit sind, dort freie Gesellschaften zu schaffen. Und auf einmal zeigen die Bewohner Nordafrikas, dass sie ganz aus eigener Kraft demokratische Reformen erreichen wollen und können.
Warum wird die Relevanz der Geschehnisse von den Medien so dramatisch unterschätzt?
 
Mir ist ein diktatorisch regierter Staat lieber als eine tolle Demokratie. Was dabei rauskommt, hat man schon bei Irak und anderen Ländern gesehen. Das klingt auf dem Papier immer ganz gut, allerdings zeigen sich neue, demokratische Freiheiten immer mit reichlich Schattenseiten. Lieber einen Diktator, der man kontrollieren kann, als selber die Drecksarbeit erledigen und das ganze Rumgeheule abbekommen. Was ist so schlecht an Mubarak? Folter? Tut die USA als Hauptdemoktratieland doch auch. Will man den wirklich ggf. eine Extremmuslimregierung an der Macht haben? Wieviel Terror gibt es im freien Irak? Wieviel Terror gibt es in Afghanistan? Wie sieht es aus mit Pakistan? Was geht ab in Myanmar?

So viel in Kürze, meine Nudeln stehen auf dem Herd.
 
Paksiten und Myanmar sind Militärdiktaturen, dass kannst du nicht vergleichen. Zudem fördert die Diktatur, die den Menschen die Stimme verbietet, den Islamismus. Das liegt daran, dass Gespräche in Moscheen verlegt werden, die Kulturellen Zentren. Und dort ist die Gefahr am höhsten, dass Islamisten eine Stimme verliehen wird. Meinungsfreiheit und Freie Presse hingegen fördern die kritische Auseinandersetzung mit den islamistischen Faktoren. Siehe zb auch Iran.
 
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Warum wird die Relevanz der Geschehnisse von den Medien so dramatisch unterschätzt?

Nur von den deutschen Medien. Aber wer sich informieren will, tut das eh nicht mit dem Fernsehen.

Zm Thema: Ich seh es auch als große Chance. Sie muss nur ergriffen werden.
Was dabei rauskommt müssen die Ägypter wissen. Wenn sie mehrheitlich einen extrem islamischen Staar wollen, wollen sie ihn eben. Klar, aus unserer Sicht nicht toll, aber so ist nun mal eine Demokratie.

Ich persönlich zolle den Mädels und Jungs dort unten großen Respekt, was sie angefangen (und hoffentlich auch zu Ende führen) ist etwas ganz Großes.

Leider gibt es ja einige / viele Störenfriede, die die Ereignisse zum Plündern / Gefängnisausbruch usw. nützen.
Dafür können die Demosntranten leider nichts, es wird ihnen aber trotzdem angelastet. Deswegen hoffe ich dass es bald vorbei ist, bevor noch mehr sterben müssen.

Greetz Ben
 
Die letzte Revolution ist aber auch schon 30 Jahre her. Umstürze von außen sind nicht sehr erfolgreich gewesen, aber darum geht es hier ja auch nicht. Mit den Protesten hat der Westen mal gar nichts zu tun.

Und selbst wenn man denkt "Demokratische Umstürze sind nicht in unserem Sinne, weil da dann Systeme entstehen, die nicht mehr machen, was wir sagen." gibt es das dann das Recht den Völkern demokatrische Werte vorzuenthalten. Sind Menschenrechte nicht universell, sondern nur solange gültig, wie es uns dem Westen in den Kram passt.

Ich find es ziemlich zynisch, zu sagen: sollen die doch unterdrückt werden. Hauptsache es ist für uns außenpolitisch vorteilhaft.

@ Starrider: das könnte ich so unteschreiben.
Al Jazeera English berichtet mals einzige Fernsehstation umfassend. Deshalb wurden ihre Berichterstattung heute schon in Ägypten verboten.

Bei den Plünderungen gibt es Berichte, dass diese zumindets teilweise von Staatspolizisten in zivil begangen werden. Bei den Plünderungen des ägyptischen Museums ist das sogar bestätigt.
 
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Ich bin regimekonform. Ich würde mir da nen guten Posten suchen und vom System profitieren.
Willst Du einen weiteren Muslimstaat in etwa in Größe von Iran haben? Könnte alles passieren in einer Demokratie. Dann muss man wieder hin, die Pyramiden freikämpfen, um Urlaub zu machen. Öl gibt es da nur wenig, daher kein Bedarf an Demokratie.
Klingt immer toll und schön, wenn jeder machen kann, was er will (oder was die Mehrheit möchte, oder auch eben nicht die Mehrheit, je nach Wahlsystem...).aber da sind doch reichlich Schattenseiten dabei, die nicht nur die Ägypter selbst, sondern möglicherweise auch mich betreffen.
 
Ich hatte neulich schon überlegt zur Revolution in Tunesien einen Thread zu eröffnen, habe es dann aber gelassen. Ich persönlich denke, dass die Ägypter nicht allzu gute Chancen haben mit ihrer Revolution durchzukommen, in Tunesien sieht das wieder ganz anders aus. Der Grund ist der Staatsapparat an Militär und Polizei, in Ägypten prügeln sie den Aufstand nieder, in Tunesien standen Polizei und Militär auf der Seite des Volkes. Aber an sich ist es schön, dass die Menschen in Nordafrika ein eigenes Interesse haben etwas zu verändern. Ich würde erst mal abwarten wie es sich in beiden Ländern entwickelt. Wenn dort demokratische Verhältnisse Einzug halten, dann sicher nicht so wie wir es verstehen, es wird eine von der dort vorherrschenden Kultur (also auch der islamischen Prägung) gestaltete Variation der Demokratie werden.
 
Ich finde es auch sehr interessant, was für eine Art "Flächenbrand" (ich denke, so kann man es durchaus nennen) gerade im nahen Osten tobt. Angefangen hat es in Algerien und Tunesien, nun greift es auf Ägypten über und die Massenproteste im Iran sind ja auch noch gar nicht so lange her. Mal sehen, wie es weiter geht.

Grundsätzlich begrüße ich den Willen der Menschen dort zu mehr Freiheit, auch wenn das für uns im Westen nicht unbedingt nur mit Vorteilen verbunden ist. Was aber am Ende dabei heraus kommt wird man einfach sehen müssen, ich glaube, das ist im Moment noch gar nicht abschätzbar.

Warum ist Ägypten in den Medien relativ spärlich vertreten, wenn man es mal mit anderen großen Ereignissen vergleicht.

Kann ich so nicht bestätigen. Ich saß heute drei Stunden im Auto und habe öffentlich-rechtliche Radiosender gehört, da wurde immer wieder in Einschüben über den aktuellen Stand in Ägypten berichtet.
 
Die Sache ist die: da glaubt doch keiner ernsthaft das da am ende was gescheites bei rauskommt. Schon weil eine demokratische Regierung scheitern muss, bzw. niemals in der Lage sein wird die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die Probleme die die da haben sind nur sekundär mit politischen Freiheiten verbunden. Primär dämmert denen das die aufgrund ihrer Demographie hoffnungslos verarmen werden. Und daran kann keiner was ändern. Zumindest nicht kurz- oder mittelfristig.

Und letzlich bei aller Prügel für Mubarak gilt: er macht unsere Drecksarbeit. Die ganzen Muslimbrüder die in Ägypten im Grunde willkürlich weggesperrt werden möchte eigentlich keiner auf den Straßen europäscher Großstädte sehen.

Das historische Potential... naja irgendwie schon aber bestimmt nicht als Startschuss für eine positive Entwicklung. Wenn ich tippen müsste wird man diese Ereignisse in 50 oder 60 Jahren villeicht als den finalen Startschuß der neuen Völkerwanderung werten. Mal sehen ob die "Festung Europa" hält oder ob Rom mal wieder untergeht...
 
Das traurige an einer modernen Demokratie ist leider das sie nicht funktioniert, was an Koruption, wirtschaftlichen Intressen, Gier (Macht und Geld), Inkompetens liegt und jeder seinen Vorteil nur sucht.

Auch sind sogenannte "Demokratie" alle abhängig gemacht worden, meistens von der USA, und dessen Intressen spielen immer eine Rolle bei deren Politik diesen Staaten, sogar oft VOR der allgemeinen Politik des Volkes.

Damit meine ich vorallem die "Demokratien" im Nahen Osten, obwohl mir noch mehr einfallen...

Kleine Diktaturen wird es immer geben, die sorgen jedenfalls in ihrer Region für Ruhe. Auch wenn es vielleicht ungewöhnlich klingt, aber es hat auch Vorteile. Viele Staaten auf der Erde kann man nicht "demokratisieren", die wissen selber gar nicht was das ist und es wird alles nur schlimmer... es kann oft zu bürgerkriegsähnlichen Zustanden über sehr lange Zeit führen.
Es fehlt halt ein Diktator der sie alle zusammenhält,
so war es immer bei denen und wird es immer sein.
 
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Kleine Diktaturen wird es immer geben, die sorgen jedenfalls in ihrer Region für Ruhe. Auch wenn es vielleicht ungewöhnlich klingt, aber es hat auch Vorteile. Viele Staaten auf der Erde kann man nicht "demokratisieren", die wissen selber gar nicht was das ist und es wird alles nur schlimmer... es kann oft zu bürgerkriegsähnlichen Zustanden über sehr lange Zeit führen.
Es fehlt halt ein Diktator der sie alle zusammenhält,
so war es immer bei denen und wird es immer sein.

So traurig es ist, aber in diesem Falle muss ich dir wirklich mal recht geben, auch wenn jetzt alle Gutmenschen gleich wieder die Keule auspacken werden.
 
Ich schließe mich Moiterei_1984 und Grabgrub an. Es ist wirklich beeindruckend wie so Diktaturen da für Ruhe und Ordnung sorgen. Ich meine, wenn das da Demokratien wären, nicht auszudenken, dann würden die Leute wohl rebellieren, den Staatschef stürzen wollen, plündern, sich selbst anzünden, Gefangene befreien usw.
Wenigsten sind wir drei schlau genug, das zu erkennen. Bussi!
 
Unglaublich, dass dann überhaupt Demokratien entstanden sind. Auch Europa war nicht seit Ewigkeiten eine Demokratie. Und auch deutschland musste erst einmal bürgerkriegsähnliche Zustände in seiner ersten Demokratie erleben, bevor es im zweiten Anlauf klappte.

Ich verstehe nicht, wieso einige sich für so (genetisch, kulturell oder religiös) überlegen halten, dass ihre eigene Gesellschaft grundsätzlich demokratiefähig sei, andere aber für alle Zeiten nicht. Was ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Türken/Libanesen und Ägyptern/Jordaniern. Was der grundsätzliche Unterschied zwischen Weißrussen und Polen? Was der grundsätzliche unterschied zwischen Jugoslawen und Italienern. Was ist mit Spaniern vor 30 Jahren? Waren die auch grundsätzlich nicht demokratiefähig? Ich halte das für eine sehr eindimensionale Denkweise.
 
hehe 🙂

dabei liegt es in der Natur der Menschheit, schon immer gab es : Stammesfürsten & Häuptlinge, die sagten wie der Laden läuft...und er lief, so ist die Menschheit groß geworden.

Könige und Diktatoren sind dasselbe. König ist man von geburt an sozusagen und Diktatoren sorgen für ein anständiges 99,9% Wahlergebnis^^.

Einige völker sind halt noch nicht soweit.
 
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Stammesfürsten & Häuptlinge, die sagten wie der Laden läuft...und er lief, so ist die Menschheit groß geworden.

Jawoll! Einen starken Föhrer brraucht das Land!
Ach halt, stop, dein Thread in diese Richtung wurde ja gerade erst gelöscht, ich vergaß...

Einige völker sind halt noch nicht soweit.

Und wer entscheidet, wann sie soweit sind? Wenn´s nach dem Westen geht, dann verteufelt man natürlich in erster Linie einmal nach außen hin Diktaturen, koaliert aber unter der Hand mit wem es gerade opportun ist. Auf diese Weise haben "wir" bereits mehr als nur eine Geißel geschaffen, die hinterher lästig wurde. Die Taliban und Saddam sind da nur 2 prominente Beispiele.

Die Völker im Nahen Osten haben denke ich langsam die Nase voll davon, als Schachfiguren auf der Weltkarte herzuhalten und man kann es ihnen nicht verübeln. Aber man wird wie gesagt erstmal sehen müssen, was dabei heraus kommt. Es kann sein, dass gerade in Tunesien und Ägypten Geschichte geschrieben wird. Aber ob die ein Happy End nimmt, wer weiß?
 
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Jawoll! Einen starken Föhrer brraucht das Land!
Lass den Führer da raus^^
Und wer entscheidet, wann sie soweit sind?
Wieso ? Die USA hat doch entschieden den ganzen nahen Osten zu *demokratisieren*..war ja schließlich der Hauptkriegsgrund, soweit ich mich nicht täusche. Bei den Massenvernichtungswaffen waren sie ja zu blöde noch welche aus der USA schnell in den Irak zuschippern, damit sie fündig werden...also Puttin wäre das niemals passiert^^. (der war ja mal beim KGB, da weis man es richtig umzusetzt...lol^^)
 
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Warum ist Ägypten in den Medien relativ spärlich vertreten, wenn man es mal mit anderen großen Ereignissen vergleicht.
Wieso soll das Thema denn nicht prominent vertreten sein? Seit einigen Tagen sind die Unruhen in den Maghrebstaaten (mit besonderer Berücksichtigung Tunesiens und nunmehr Ägyptens) prioritär auf dem ersten Platz im Politikressort, sowohl in der FAZ als auch in der "Zeit", allerdings auch auf der Homepage von jeder anderen seriösen Zeitung, da kann von mangelnder Informationsdichte nicht die Rede sein.

Dass Tunis nun das "Danzig Afrikas" sein und werden soll, halte ich zu diesem Zeitpunkt noch für arg voreilig. Beim Aufflackern solcher Großfronten ist es verlockend, den Weltgeist am Werke zu sehen, aber ich bin noch sehr skeptisch, wie es weitergeht, sowohl, was Ägypten betrifft, als auch in Bezug auf die revolutionären Potentiale in Mauretanien, Marokko, Algerien und womöglich sogar Libyen. Sicher, die augenfällige Korruption und der Nepotismus sowie die Teufelsspirale aus hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit und sich verteuernden Nahrungsmitteln haben einen elektrisierenden politischen Effekt, aber schon Büchner wusste, dass der "Hahn der Revolution" an "Apoplexie stirbt", wenn nur das Leben einigermaßen erträglich ist.
Dass Mubarak die Lage ernst nimmt, zeigt ja schon die Ausgangssperre, die täglich stolze 16 Stunden (!) andauert. Fraglich ist aber, ob die bis auf El Baradei relativ führerlose (wehe, darauf springt einer an...<_<) "Oppositionsbewegung" (in Ermangelung eines besseren Wortes) genug konstitutive Kraft aufbringt, selbst nach einem Sturz Mubaraks das stark verfilzte und in Regungslosigkeit verwucherte Ägypten auf Vordermann zu bringen, in Tunesien geht das auch nur einigermaßen schleppend voran. Kraft bezieht Mubarak außerdem noch aus den USA, die die mäßigende Rolle Ägyptens im Nahostkonflikt zu schätzen wissen, ein echter Druck von außen wird folglich wohl eher nicht kommen. Für großangelegte Interpretationen und Visionen der Tendenz "Nordafrika wird nun demokratisch!" ist es meines Erachtens noch viel zu früh.