Mit Augen, denen das Vermögen zu blicken abhanden gekommen war, starrte sie ihn an und schließlich sprach sie mit fremder Stimme: „Das Übel hat Wurzeln geschlagen und bald schon wird es sprießen. Mach dich bereit, Baron de Belfort, reite schnell, denn zahlreich sind die Feinde Bretonias“, dann sank sie nieder und hauchte den Namen der Stadt: „Mont-Parnasse“. Perceval hob den schlaffen Körper der Maid und legte sie behutsam auf ihr Bett. Er war sich sicher, soeben die Stimme der Herrin höchst selbst vernommen zu haben. Die Göttin hatte ihn gerufen und er würde sie nicht enttäuschen. Perceval sandte seine Herolde aus und die Ritter von Belfort standen zu ihrem Gelübde.
Balthasar griff in das Salzfass. Durch seine rauen, ölverschmierten Finger rieselten die weißen Kristalle auf den Kartoffelstampf, der vor ihm aus einer Lehmschale dampfte. Lautes Stimmgewirr brandete gegen sein Ohr, während er den Brei in sich hineinschaufelte. Als Technicus einer kurfürstlichen Batterie zu Nuln, war ihm der Lärm zum Leben geworden und er liebte den Donner der Kanonen, denn ihr Krachen kündete vom heiligen Zorn Sigmars. Nichts stimmte ihn argwöhnischer als Stille, denn Stille war für ihn der stumme Schrei des Verrats, die aalglatte Fratze der Niedertracht, die Stunde der Dolche und Ränke; Stille, das war für Balthasar die fadenscheinige Fassade, hinter der die Einflüsterungen der Chaosgötter einfältige Seelen ins Verderben stürzten.
Balthasar war stämmig, backenbärtig, mit buschigen Augenbrauen, hatte stets einen Stumpen zwischen den aufgeplatzten Lippen, war leutselig, laut und fasste sich, wenn er lachte, an das lederne Artilleristenbarett, das ihm unentwegt vom Schopf herab in die gewölbte Stirn hing. Auf dem Stoffbarett prangte ein Bronzeemblem, auf das Löwe und Waage geprägt waren und das als Fassung des schwarzen Federbusches diente.
Schwungvoll hob Balthasar seinen Zinnbecher mit Brionner Landwein, zog Zug um Zug dieses prächtige Gesöff durch seine Gurgel; dann wischte er sich mit seinem mattschwarzen Wamsärmel den feuchten Mund, richtete sich auf, rülpste lauthals und schob sich durch verschwitzte Bauernleiber hindurch zur Tür. Talgkerzen, welche von der niedrigen, rußigen Holzdecke hingen, leuchteten mühsam durch die rauchgeschwängerte Luft und erhellten den Boden nur wenig. An Balthasar vorbei zogen pickelnarbige, zumeist ausgemergelte, oft auch aufgedunsene Grimassen mit schadhaften Zähnen, allesamt aus flackerndem Halbschatten stierend. Schließlich trat Balthasar nach draußen. Der Lärm folgte ihm mit auf die Straße. Als er durch Morast, fauliges Stroh und Mist zu den Aborten stapfte, schmeckte er noch immer den üppigen Traubensaft auf seinem Gaumen. Der Mond hatte den Zenit überschritten, es musste bereits nach Mitternacht sein. Balthasar griff sich an die Hose, löste die Knöpfe und dem munteren Plätschern folgte ein Gefühl der Erleichterung.
Behutsam breitete die Nacht ihr dunkles Tuch über das Land und der Tag kehrte der alten Welt allmählich den Rücken. Am Horizont glomm von fern her noch die Sonne, ein rotgoldenes Band, das die stählernen Plattenpanzer der Ritter in warmen Schimmer tauchte. Perceval de Belfort richtete seinen Blick empor. Den Segen der Herrin erbat er, dann drehte er sich leicht im Sattel und gab seinen Männern das Zeichen. Im Nu setzten sich die Reiter in Trab. Das dumpfe Trommeln der Hufe vermengte sich mit dem Geläut der zahlreichen Kapellen Belforts, die den Rittern zur Ehre erschallten. Von ihren Liebsten hatten sie nur hastig Abschied nehmen können und schon passierten sie die letzten vorgelagerten Gehöfte. Perceval sog die torfene Luft der Landstraße durch seine Nase ein. Er spürte die Muskeln seines Hengstes kraftvoll arbeiten; er, der Baron von Belfort, war ausgezogen, die Feinde Bretonias zu richten.
Balthasar schloss die Schnalle seines Gürtels. Die Kälte des Metalls durchdrang selbst seine dicke Hornhaut. In seine Nase stieß der scharfe Gestank der Gosse. Er wandte sich um. Im matten mitternächtlichen Mondschein stapfte er zum nahen Schuppen, in dem sein Artilleriegespann untergezogen war. Unter dumpfem Ächzen schob er das Tor auf. Durch das Dunkel im Innern brach einzig das stoßweise Aufglühen der Pfeifen. Die schwarzen Uniformen der eingeteilten Schwertkämpfer waren eins geworden mit der Nacht.
„N'Abend, Herr Technicus.“ Balthasar grunzte, zog die Abdeckung etwas zurück und legte seine Hand auf das Bronzerohr. „Gib gut Obacht, Karl,“ brummte er. „Ach, so ne Großkanone, die läuft so schnell nicht weg, Herr Technicus.“ „Ein Kratzer, Karl, und die Kurfürstin wird außer sich sein. Goldbeschlagenes Zedernholz! Sie pflegt eine Beziehung.“ „Ja, ja, Geschenk für den König von Bilbali. Will sich Einfluss auf den Handelshafen sichern.“
Kurz verharrte Balthasar noch bei dem abgeprotzten Geschütz, dann griff er in seine Wamstasche und holte einen neuen Stumpen hervor. Wegen der verfluchten Langohren hatte man den beschwerlichen Landweg wählen müssen. Gefährlich, aber allemal sicherer als die bretonische Küste, welche seit geraumer Zeit nur so vor Freibeutern wimmelte. In einiger Ferne tönte eine Glocke, seltsam dumpf und geisterhaft. Balthasar zählte die Schläge. Es waren dreizehn. „Die Glöckner müssen sich vertan haben,“ so dachte er, „es ist wohl Mitternacht“. Behutsam öffnete er seine Schnupftabakschatulle und schon roch er den würzigen Duft. Ein Schrei des Entsetzens zerriss die Stille. Balthasar horchte auf und das ganze Städtchen, so schien es wenigstens, tat es ihm gleich. Alles blieb ruhig und doch knisterte die Luft förmlich vor Anspannung. Erst die seltsamen Glocken, jetzt der Schrei. Voll Schmerz und Grauen war der Ausruf gewesen. Unvermittelt peitschten heftige Sturmböen gegen den Schuppen. Eisige Kälte drang durch die Ritzen der Bretterwände. Eine finstere Ahnung legte sich auf die Gemüter und jedermann wähnte den frostigen Hauch des Schicksals in seinem Nacken. „Verdammtes Dreckspack,“ spie Balthasar aus. „Klingt, als wäre einer abgestochen worden,“ raunte Karl mit nur schlecht geheuchelter Lässigkeit. „Karl, hol die Jungs aus der Taverne! Sofort! Wenn diese Hinterwäldler meinen, sich gegenseitig die Wänste aufschlitzen zu müssen, dann stehen wir besser nicht dazwischen!“ „Jawohl, Herr Technicus.“
Kaum war Karl losgestolpert, da schrie der Nachtwächter die erste Stunde aus.
Ein höllisches Krachen ließ die Erde beben. Durch einen schmalen Schlitz in der Außenwand konnte Balthasar Flammen am Nordtor erahnen. Zwei der Musketenschützen hatten von verhüllten Ratten berichtet. Verfilzte, gerüstete Viecher auf zwei Beinen. Sie waren aus den Kloaken gekrochen und hatten sich mit rostigen Klingen auf wehrlose Stadtbewohner gestürzt. Als sie jedoch die Soldaten gesehen hatten, waren sie davongerannt. Alle Gerüchte schienen also wahr zu sein. Rattenmenschen, die plötzlich aus Tunneln und Kanälen hervorbrechen, Städte und Befestigungen in Schutt und Asche legen. Warum leugnete die imperiale Intelligenz ihre Existenz nach all den Berichten noch immer?
Musketenschützen und Schwertkämpfer drängten sich Schulter an Schulter um das Geschütz. Auf den Straßen hob wildes Geschrei und Waffengeklirr an. Vielleicht hatte die Stadtwache die Eindringlinge stellen können?
„Brecht einzelne Bretter aus der Wand. Musketen an die Schießscharten!“ befahl Balthasar. Es galt die Kanone um jeden Preis zu schützen. Sollten die Bretonen doch mit diesen Biestern ringen. Die Musketenläufe waren den vereinzelten Ratten wohl Abschreckung genug. War das Torhaus jedoch, wie Balthasar insgeheim befürchtete, bereits durchbrochen, so mochte ihnen Sigmar gnädig sein.
Weit konnte es nicht mehr sein, da war Perceval sich sicher. Trotz mitternächtlichen Dunkels, der Mond hing nur blass und greisenhaft krumm am Firmament, hatten sie dem Weg folgen können. Perceval fröstelte. Seine Haare sträubten sich. Unter den beschlagenen Hufen seines mächtigen bretonischen Rappens knirschte Kies. Schnaubend arbeiteten sich die schweren Schlachtrosse einen Hügel hinauf. Plötzlich dröhnte eine Glocke. Nicht besonders fern, aber seltsam dumpf, wie verhangen, wummerte ihr Schall. Ihr Schlagen fuhr tief ins Mark und vibrierte im Ohr. Kurz darauf zog ein Unwetter auf. Der Sturm peitschte über das Land, bauchige Wolken blähten sich und verschlangen den Mond. Über die Hügelkuppe vor ihnen schwappte eine Woge extatischer, kreischender Rufe. Es mussten Tausende sein. Perceval spürte, wie sich die Angst in ihm regte. Er ließ die Ritter halten.
Nun rief Perceval zum Gebet und die Ritter hoben empor ihre Herzen und ihre Herzen waren rein, doch schwach war ihr Wille. Da erfüllte die Herrin sie mit Mut und es entzündeten sich ihre Herzen an dem göttlichen Licht und loderten in gerechtem Zorn. Ihre Furcht aber war ihnen genommen, denn aus ihnen strahlte der Glanz der Göttin, sie hatte sie erhört und ihren Segen hatten sie empfangen. Fest entschlossen griff Perceval nach seinem Helm und seine Getreuen taten es ihm nach. Welche Ausgeburten auch immer die Erde Bretonias besudelten, sie sollten ihren Frevel auf Heller und Pfennig begleichen. Perceval legte die Lanze ein, dann gab er seinem Hengst die Sporen. Jenseits des Hügels krachte es gewaltig und ein hellgrünes Licht zuckte auf. „Für die Herrin!“ und der Hammer senkte sich auf den Amboss.
„Verflixt-verdammt“, spie Knitrig aus, während der Bote, zu Recht um das eigene Wohlergehen fürchtend, schleunigst das Weite suchte. „Wie will-kann ich Nagzahn ausstechen, wenn diese unglaublich unnützen Unbehelmten alles vereiteln-verderben?“ Seine Augen funkelten über tausende Rattenrücken hinweg und fixierten die mondbeschienene Stadt. Knitrig konnte den Verrat gleichsam mit seinen Krallen greifen, so schwer lag er in der Luft. Irgendein Intrigant hatte die Meutenbändiger gemeuchelt und nun waren ihre mutierten Riesenratten über die Warpsteinvorräte hergefallen. Es war ein Desaster. Von all den Warpblitzkanonen, die Knitrig bei Klan Skryre „geliehen“ hatte, war nur noch eine einsatzbereit. „Zweifler-Verräter an die Front,“ raunte er. Seine teuer bei Klan Eshin angeheuerten Informanten hatten ein Geschwür an Komplotten ans Licht gebracht. „Alle an die Front-nach vorne und die Leibgarde in ihren Rücken“, wiederholte er leise. Niemanden hatte er in der Reserve oder zur Bedeckung der Artillerie zurückgelassen. Denn nur, wenn alle vorne marschierten, war das gegenseitige Misstrauen der Hauptmänner die Klinge, welche ihre unablässigen Ränkespiele durchtrennte. Ihre Feigheit war es dann, die ihre abgrundtiefe Verschlagenheit in Schach hielt.
Knitrig spähte nervös um sich, dann befahl er den Angriff. Unverzüglich machte sich der vermummte Glöckner ans Werk. Grauenvoll dröhnte die Glocke zum Ruhm der gehörnten Ratte und die Armee setzte sich in Bewegung. Ein Sturm zog auf und sein Wüten vermengte sich mit quiekendem Geschrei. Knitrig erfüllte eine Woge der Genugtuung. Ihm würde es nach diesem Erfolg ein Leichtes sein, Nagzahn, den unsäglichen Dilettanten von einem Klanoberhaupt zu beseitigen. Heimlich würde er alle Fäden ziehen, die er greifen konnte. Etwas zischte durch die Luft. Knitrig stutzte. Unerwartet blieb der nächste Schlag aus und die Glocke verstummte allmählich. Der Schlegel musste abgerissen sein. Knitrig schluckte. Da hatte er wohl an der falschen Stelle gespart. Er hätte die Höllenglocke nicht selber gießen lassen sollen. Sicher waren diese zwielichtigen Warlocktechniker Agenten seiner Rivalen. Zweifler konnten das Versagen der Glocke als Ungunst der gehörnten Ratte werten, opportunistische Duckmäuser ihre Klingen unversehens gegen ihn wenden.
Einen unerträglich langen Augenblick fochten Verrat und Furcht auf Messers Schneide. Doch nichts geschah. Die Truppen marschierten weiter auf die Stadt zu. Der gehörnten Ratte sei Dank waren die Intriganten zu feige. Keiner wollte als erster seine Nagezähne in Knitrigs Fell schlagen, nicht in dem sicheren Wissen, alle Widersacher im Rücken zu haben. Knitrig keifte dem Warlocktechniker Grobheiten zu und ein grüner Strahl entfuhr unter höllischem Krachen der Warpblitzkanone. Ehe er das Tor der Stadt zerbarst, zerfetzte er noch dutzende Klanratten. Knitrig grinste selbstgefällig.
Ihre Lanzen badeten im Blut und ihre Rösser zerstampften die Leiber der elenden Kreaturen. Sie hatten den Feind überrascht, die Artillerie und Schützenstellungen im Handstreich genommen. Eine besonders große und gerüstete Ratte war mit ihrer Meute geflohen, doch das Torhaus war bereits durchbrochen und vor ihnen lag ein Heer aus pelzigen Körpern. Perceval reckte die blutbefleckte Klinge, dann preschten sie los und das Banner von Belfort knatterte in der Luft.
Feige wie sie waren, hatten die Ratten den Schuppen bisher gemieden. Keine dieser elenden Kreaturen wollte sich als erste den Pelz versengen. Doch als die Stadtwache zurückwich, wurden sie allmählich dreister. Musketen schlugen flammende Schneisen in die Rattenmenge, die jaulte und kreischte. Jemand riss Balthasar an der Schulter herum. „Herr Technicus, der Schuppen brennt! Die Scheißviecher haben ihn angesteckt“. Balthasar brüllte Befehle. Die Kanone musste gerettet werden. Schwertkämpfer stießen das Tor auf, gedeckt von Musketenschützen hackten sie sich durch die Masse. Balthasar beabsichtigte, sich den Weg zur Zitadelle freizukämpfen. Wenn noch Hoffnung bestand, dann dort.
Von allen Seiten drangen Rattenmenschen auf sie ein. Balthasar schwang seinen Kriegshammer, im Brustgurt steckte ein geladenes Pistolenpaar. Zu beiden Seiten sah er Männer fallen. Verrostete Klingen zuckten nach seinem Körper. Es stank nach verbranntem Fleisch. Balthasar duckte sich unter einem Schlag hindurch, parierte einen weiteren und hieb einer Ratte den Schädel ein. Bald geriet ihr Vorstoß ins Stocken. Nur noch vereinzelt feuerten Musketen. Immer enger scharten sich seine verbliebenen Männer um das Geschütz. Balthasar keuchte, schlug zu, setzte zurück und plötzlich spürte er etwas Hartes im Rücken. Es war die Kanone. Bis auf eine Handvoll waren alle niedergehauen. Balthasar nahm nur noch Zerrbilder wahr, Schnauzen, Rundschilde, Pelze. Aus jeder Pore ergoss sich Schweiß. Besinnungslos drosch er um sich, doch die Gegner waren nicht zu überwinden. Ohne Vorwarnung wummerte es unter ihm. Die Erde hob sich unter seinen Beinen und ein mächtiger Stoß schleuderte ihn über das Geschütz hinweg.
Das Trompetensignal hallte noch in Percevals Ohren, als die Ritter in breiter Front durch die hinteren Reihen der Rattenmenschen brachen. Verzweifelt hatten diese versucht, sich umzuformieren, doch es war nutzlos. Zwischen der Stadtmauer und den anstürmenden Schlachtrossen wurden sie zerquetscht oder trampelten sich vor Panik gegenseitig nieder. Perceval hieb nach den elenden Kreaturen. An den Flanken wandten sie sich bereits zur Flucht. Da scharte Perceval einige seiner Gefolgsleute um sich und drang in die belagerte Stadt ein, die Rattenmenschen endgültig auszumerzen. Durch das aufgebrochene Tor stieß er in die engen Gassen vor, in denen sich noch immer Rattenmeuten herumtrieben. Aus einigen Dächern schlugen meterhohe Flammen und die Hitze ergoss sich zwischen die alten Fachwerkhäuser. Perceval perlte der Schweiß von der Stirn. Mit seinem Rappen stieß er tiefer ins Herz der Stadt, bis sich plötzlich der Häuserwald lichtete und sich ein weiter Platz voller Rattenmenschen vor ihm auftat. Am anderen Ende kämpften eine Handvoll Imperiale um ihr Leben.
„Für die Herrin!“ brüllte Perceval und mit erhobenen Waffen griffen die Ritter an. Die Klingen stießen nieder, mitten in die Menge. Schilde barsten, Schnauzen brachen, Schreie dröhnten. Doch zwischen Schutt, Leichen und Fachwerkhäusern war den Rittern ihr größter Vorteil, die Beweglichkeit, genommen. Sie wurden aus dem Sattel gezogen, ihren Rössern die Knie eingeschlagen und das blutrünstige Quieken der Rattenmenschen schwoll dramatisch an. Perceval schnellte herum, drosch nach allen Seiten, sähte tödliche Streiche und wich keinen Zoll, denn ihn erfüllte die Kraft des heiligen Segens. Da tat sich der Boden vor ihm auf und eine gewaltige Explosion in der Mitte des Platzes riss hunderte Ratten von den Beinen. Die Druckwelle warf Perceval aus dem Sattel. Vom Himmel fielen Erdbrocken und Körperteile. Als Perceval sich mühsam wieder aufrichtete, marterte ein unerträglich lautes Pfeifen sein Ohr und um ihn herum erkannte er nichts als grünliche Flämmchen und dichten grauen Dunst.
Knitrig triumphierte. Mit seinen Sturmratten lief er durch dichten grauen Nebel aus dem Tunnel. Allein seiner einzigartigen Schläue war es zu verdanken, dass die Stadt nun in seiner Hand war. Als die garstigen Pferdemenschendinger die Stellungen vor der Stadt überliefen, hatte er ein taktisch brillantes Ausweichmanöver angeführt. Knitrig hatte die Hinterläufe in die Hand genommen, sich in die Tunnel zurückgezogen und war zu seinem besonders geheimen und ausgefeilten Plan B übergegangen. Immerhin galt es, seinen Widersachern nicht den geringsten Anlass zu geben, sich über sein Versagen und die anschließende Bestrafung durch den Rat, recht diebisch freuen zu können.
Bereits im Vorfeld hatte er Gänge unter der Stadt graben lassen, durch die vor der Belagerung Späher den Feind infiltrierten. Doch ihr eigentlicher Zweck war, sich mithilfe einer im Erdreich verborgenen Warpsteinbombe den Weg in die Stadt freizusprengen. Aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten einer unterirdischen Warpsteinexplosion, hatte sich Knitrig, ganz gegen seine Gewohnheit, für den konventionellen Weg entschieden. Immerhin galt es auch, sein Genie so lange wie möglich zu verbergen, um bei seinen Rivalen nicht mehr Argwohn als unbedingt nötig hervorzurufen. Doch nun hatte seine Stunde geschlagen. Knitrig spähte durch den sich lichtenden Dunst. Ein ganzer Chor Verwundeter plärrte in Agonie. Da erkannte er ein Pferdemenschending durch kleine grüne Flämmchen und Rauch auf ihn zuhalten. Knitrig zögerte. Aufmerksam beobachtete er die Szene, während ihm ein Schauer über den Rücken rieselte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Pferdemenschdinger so schnell in die Stadt vorgerückt wären.
Zehn Schritt vor seiner Leibgarde blieb der Andere stehen. „Ich fordere dich, Abschaum, zu ehrenhaftem Kampf, auf dass der Bessere obsiege“, dann streifte er seinen Handschuh ab. Knitrig duckte sich gerade rechtzeitig, sodass der Panzerhandschuh, statt ihm, einer Sturmratte die Schnauze brach. Diese quiekte jämmerlich. Eine Herausforderung hatte Knitrig gerade noch gefehlt. Keinen Augenblick zögerte er. Knitrig trat einen Schritt vor, zog seine Klinge, machte ein besonders entschlossenes Gesicht und befahl seiner Leibgarde, den irrsinnigen Pferdemenschen niederzumetzeln. Wie in aller Welt konnte dieser Tor glauben, Knitrig ließe sich von etwas so unnützem wie Ehre beeindrucken? „Sei nicht dumm“, murmelte Knitrig, „einen klugen-schlauen Plan mit Moral zu vereiteln-verderben“. Knitrig beobachtete ungeduldig, wie die Hellebarden seiner Leibgarde auf den Narr eindrangen. Eisen klirrte. Schon wankte er. Da knallte es zweimal hintereinander. Knitrig durchzuckte elender Schmerz. Im Fallen wandte er den Rumpf. Das Letzte was er erkannte, war ein Menschending, ganz in Schwarz gekleidet, in den Händen zwei Schießeisen, aus deren Läufen feiner Rauch stieg. Dann verlor Knitrig das Bewusstsein.
Perceval keuchte. Endlich hatten die Ratten von ihm gelassen. Der Tod ihres Anführers hatte sie verscheucht. Perceval saß gebeugt vor Schmerz in seinem eigenen Blut. Er würde sterben, doch die Stadt war bewahrt, verteidigt mit Schild, Schwert und Lanze. Seinen Dienst hatte Perceval geleistet. Langsam schwand ihm die Kraft. Seine Glieder erschlafften. Doch mit einem Mal erkannte er, wie weißes Licht aus dem Krater quoll. Es flutete den leichenübersäten Platz und verströmte den süßen Duft reifer Mirabellen. Sachte legte sich das Licht um seinen geschundenen Leib, zärtlich bettete es ihn auf Samt und als sich der Schleier senkte, sah er kristallklares Wasser im Sonnenlicht funkeln und gedämpftes Flüstern mischte sich unter das leise Schlagen von Rudern. Perceval drehte sich im Liegen. Er sah eine Barke. Auf ihr standen in Weiß gehüllte Frauen. Da lachte Percevals Herz, denn er wusste, die Herrin hatte ihn an ihre Seite berufen.
Balthasar griff in das Salzfass. Durch seine rauen, ölverschmierten Finger rieselten die weißen Kristalle auf den Kartoffelstampf, der vor ihm aus einer Lehmschale dampfte. Lautes Stimmgewirr brandete gegen sein Ohr, während er den Brei in sich hineinschaufelte. Als Technicus einer kurfürstlichen Batterie zu Nuln, war ihm der Lärm zum Leben geworden und er liebte den Donner der Kanonen, denn ihr Krachen kündete vom heiligen Zorn Sigmars. Nichts stimmte ihn argwöhnischer als Stille, denn Stille war für ihn der stumme Schrei des Verrats, die aalglatte Fratze der Niedertracht, die Stunde der Dolche und Ränke; Stille, das war für Balthasar die fadenscheinige Fassade, hinter der die Einflüsterungen der Chaosgötter einfältige Seelen ins Verderben stürzten.
Balthasar war stämmig, backenbärtig, mit buschigen Augenbrauen, hatte stets einen Stumpen zwischen den aufgeplatzten Lippen, war leutselig, laut und fasste sich, wenn er lachte, an das lederne Artilleristenbarett, das ihm unentwegt vom Schopf herab in die gewölbte Stirn hing. Auf dem Stoffbarett prangte ein Bronzeemblem, auf das Löwe und Waage geprägt waren und das als Fassung des schwarzen Federbusches diente.
Schwungvoll hob Balthasar seinen Zinnbecher mit Brionner Landwein, zog Zug um Zug dieses prächtige Gesöff durch seine Gurgel; dann wischte er sich mit seinem mattschwarzen Wamsärmel den feuchten Mund, richtete sich auf, rülpste lauthals und schob sich durch verschwitzte Bauernleiber hindurch zur Tür. Talgkerzen, welche von der niedrigen, rußigen Holzdecke hingen, leuchteten mühsam durch die rauchgeschwängerte Luft und erhellten den Boden nur wenig. An Balthasar vorbei zogen pickelnarbige, zumeist ausgemergelte, oft auch aufgedunsene Grimassen mit schadhaften Zähnen, allesamt aus flackerndem Halbschatten stierend. Schließlich trat Balthasar nach draußen. Der Lärm folgte ihm mit auf die Straße. Als er durch Morast, fauliges Stroh und Mist zu den Aborten stapfte, schmeckte er noch immer den üppigen Traubensaft auf seinem Gaumen. Der Mond hatte den Zenit überschritten, es musste bereits nach Mitternacht sein. Balthasar griff sich an die Hose, löste die Knöpfe und dem munteren Plätschern folgte ein Gefühl der Erleichterung.
Behutsam breitete die Nacht ihr dunkles Tuch über das Land und der Tag kehrte der alten Welt allmählich den Rücken. Am Horizont glomm von fern her noch die Sonne, ein rotgoldenes Band, das die stählernen Plattenpanzer der Ritter in warmen Schimmer tauchte. Perceval de Belfort richtete seinen Blick empor. Den Segen der Herrin erbat er, dann drehte er sich leicht im Sattel und gab seinen Männern das Zeichen. Im Nu setzten sich die Reiter in Trab. Das dumpfe Trommeln der Hufe vermengte sich mit dem Geläut der zahlreichen Kapellen Belforts, die den Rittern zur Ehre erschallten. Von ihren Liebsten hatten sie nur hastig Abschied nehmen können und schon passierten sie die letzten vorgelagerten Gehöfte. Perceval sog die torfene Luft der Landstraße durch seine Nase ein. Er spürte die Muskeln seines Hengstes kraftvoll arbeiten; er, der Baron von Belfort, war ausgezogen, die Feinde Bretonias zu richten.
Balthasar schloss die Schnalle seines Gürtels. Die Kälte des Metalls durchdrang selbst seine dicke Hornhaut. In seine Nase stieß der scharfe Gestank der Gosse. Er wandte sich um. Im matten mitternächtlichen Mondschein stapfte er zum nahen Schuppen, in dem sein Artilleriegespann untergezogen war. Unter dumpfem Ächzen schob er das Tor auf. Durch das Dunkel im Innern brach einzig das stoßweise Aufglühen der Pfeifen. Die schwarzen Uniformen der eingeteilten Schwertkämpfer waren eins geworden mit der Nacht.
„N'Abend, Herr Technicus.“ Balthasar grunzte, zog die Abdeckung etwas zurück und legte seine Hand auf das Bronzerohr. „Gib gut Obacht, Karl,“ brummte er. „Ach, so ne Großkanone, die läuft so schnell nicht weg, Herr Technicus.“ „Ein Kratzer, Karl, und die Kurfürstin wird außer sich sein. Goldbeschlagenes Zedernholz! Sie pflegt eine Beziehung.“ „Ja, ja, Geschenk für den König von Bilbali. Will sich Einfluss auf den Handelshafen sichern.“
Kurz verharrte Balthasar noch bei dem abgeprotzten Geschütz, dann griff er in seine Wamstasche und holte einen neuen Stumpen hervor. Wegen der verfluchten Langohren hatte man den beschwerlichen Landweg wählen müssen. Gefährlich, aber allemal sicherer als die bretonische Küste, welche seit geraumer Zeit nur so vor Freibeutern wimmelte. In einiger Ferne tönte eine Glocke, seltsam dumpf und geisterhaft. Balthasar zählte die Schläge. Es waren dreizehn. „Die Glöckner müssen sich vertan haben,“ so dachte er, „es ist wohl Mitternacht“. Behutsam öffnete er seine Schnupftabakschatulle und schon roch er den würzigen Duft. Ein Schrei des Entsetzens zerriss die Stille. Balthasar horchte auf und das ganze Städtchen, so schien es wenigstens, tat es ihm gleich. Alles blieb ruhig und doch knisterte die Luft förmlich vor Anspannung. Erst die seltsamen Glocken, jetzt der Schrei. Voll Schmerz und Grauen war der Ausruf gewesen. Unvermittelt peitschten heftige Sturmböen gegen den Schuppen. Eisige Kälte drang durch die Ritzen der Bretterwände. Eine finstere Ahnung legte sich auf die Gemüter und jedermann wähnte den frostigen Hauch des Schicksals in seinem Nacken. „Verdammtes Dreckspack,“ spie Balthasar aus. „Klingt, als wäre einer abgestochen worden,“ raunte Karl mit nur schlecht geheuchelter Lässigkeit. „Karl, hol die Jungs aus der Taverne! Sofort! Wenn diese Hinterwäldler meinen, sich gegenseitig die Wänste aufschlitzen zu müssen, dann stehen wir besser nicht dazwischen!“ „Jawohl, Herr Technicus.“
Kaum war Karl losgestolpert, da schrie der Nachtwächter die erste Stunde aus.
Ein höllisches Krachen ließ die Erde beben. Durch einen schmalen Schlitz in der Außenwand konnte Balthasar Flammen am Nordtor erahnen. Zwei der Musketenschützen hatten von verhüllten Ratten berichtet. Verfilzte, gerüstete Viecher auf zwei Beinen. Sie waren aus den Kloaken gekrochen und hatten sich mit rostigen Klingen auf wehrlose Stadtbewohner gestürzt. Als sie jedoch die Soldaten gesehen hatten, waren sie davongerannt. Alle Gerüchte schienen also wahr zu sein. Rattenmenschen, die plötzlich aus Tunneln und Kanälen hervorbrechen, Städte und Befestigungen in Schutt und Asche legen. Warum leugnete die imperiale Intelligenz ihre Existenz nach all den Berichten noch immer?
Musketenschützen und Schwertkämpfer drängten sich Schulter an Schulter um das Geschütz. Auf den Straßen hob wildes Geschrei und Waffengeklirr an. Vielleicht hatte die Stadtwache die Eindringlinge stellen können?
„Brecht einzelne Bretter aus der Wand. Musketen an die Schießscharten!“ befahl Balthasar. Es galt die Kanone um jeden Preis zu schützen. Sollten die Bretonen doch mit diesen Biestern ringen. Die Musketenläufe waren den vereinzelten Ratten wohl Abschreckung genug. War das Torhaus jedoch, wie Balthasar insgeheim befürchtete, bereits durchbrochen, so mochte ihnen Sigmar gnädig sein.
Weit konnte es nicht mehr sein, da war Perceval sich sicher. Trotz mitternächtlichen Dunkels, der Mond hing nur blass und greisenhaft krumm am Firmament, hatten sie dem Weg folgen können. Perceval fröstelte. Seine Haare sträubten sich. Unter den beschlagenen Hufen seines mächtigen bretonischen Rappens knirschte Kies. Schnaubend arbeiteten sich die schweren Schlachtrosse einen Hügel hinauf. Plötzlich dröhnte eine Glocke. Nicht besonders fern, aber seltsam dumpf, wie verhangen, wummerte ihr Schall. Ihr Schlagen fuhr tief ins Mark und vibrierte im Ohr. Kurz darauf zog ein Unwetter auf. Der Sturm peitschte über das Land, bauchige Wolken blähten sich und verschlangen den Mond. Über die Hügelkuppe vor ihnen schwappte eine Woge extatischer, kreischender Rufe. Es mussten Tausende sein. Perceval spürte, wie sich die Angst in ihm regte. Er ließ die Ritter halten.
Nun rief Perceval zum Gebet und die Ritter hoben empor ihre Herzen und ihre Herzen waren rein, doch schwach war ihr Wille. Da erfüllte die Herrin sie mit Mut und es entzündeten sich ihre Herzen an dem göttlichen Licht und loderten in gerechtem Zorn. Ihre Furcht aber war ihnen genommen, denn aus ihnen strahlte der Glanz der Göttin, sie hatte sie erhört und ihren Segen hatten sie empfangen. Fest entschlossen griff Perceval nach seinem Helm und seine Getreuen taten es ihm nach. Welche Ausgeburten auch immer die Erde Bretonias besudelten, sie sollten ihren Frevel auf Heller und Pfennig begleichen. Perceval legte die Lanze ein, dann gab er seinem Hengst die Sporen. Jenseits des Hügels krachte es gewaltig und ein hellgrünes Licht zuckte auf. „Für die Herrin!“ und der Hammer senkte sich auf den Amboss.
„Verflixt-verdammt“, spie Knitrig aus, während der Bote, zu Recht um das eigene Wohlergehen fürchtend, schleunigst das Weite suchte. „Wie will-kann ich Nagzahn ausstechen, wenn diese unglaublich unnützen Unbehelmten alles vereiteln-verderben?“ Seine Augen funkelten über tausende Rattenrücken hinweg und fixierten die mondbeschienene Stadt. Knitrig konnte den Verrat gleichsam mit seinen Krallen greifen, so schwer lag er in der Luft. Irgendein Intrigant hatte die Meutenbändiger gemeuchelt und nun waren ihre mutierten Riesenratten über die Warpsteinvorräte hergefallen. Es war ein Desaster. Von all den Warpblitzkanonen, die Knitrig bei Klan Skryre „geliehen“ hatte, war nur noch eine einsatzbereit. „Zweifler-Verräter an die Front,“ raunte er. Seine teuer bei Klan Eshin angeheuerten Informanten hatten ein Geschwür an Komplotten ans Licht gebracht. „Alle an die Front-nach vorne und die Leibgarde in ihren Rücken“, wiederholte er leise. Niemanden hatte er in der Reserve oder zur Bedeckung der Artillerie zurückgelassen. Denn nur, wenn alle vorne marschierten, war das gegenseitige Misstrauen der Hauptmänner die Klinge, welche ihre unablässigen Ränkespiele durchtrennte. Ihre Feigheit war es dann, die ihre abgrundtiefe Verschlagenheit in Schach hielt.
Knitrig spähte nervös um sich, dann befahl er den Angriff. Unverzüglich machte sich der vermummte Glöckner ans Werk. Grauenvoll dröhnte die Glocke zum Ruhm der gehörnten Ratte und die Armee setzte sich in Bewegung. Ein Sturm zog auf und sein Wüten vermengte sich mit quiekendem Geschrei. Knitrig erfüllte eine Woge der Genugtuung. Ihm würde es nach diesem Erfolg ein Leichtes sein, Nagzahn, den unsäglichen Dilettanten von einem Klanoberhaupt zu beseitigen. Heimlich würde er alle Fäden ziehen, die er greifen konnte. Etwas zischte durch die Luft. Knitrig stutzte. Unerwartet blieb der nächste Schlag aus und die Glocke verstummte allmählich. Der Schlegel musste abgerissen sein. Knitrig schluckte. Da hatte er wohl an der falschen Stelle gespart. Er hätte die Höllenglocke nicht selber gießen lassen sollen. Sicher waren diese zwielichtigen Warlocktechniker Agenten seiner Rivalen. Zweifler konnten das Versagen der Glocke als Ungunst der gehörnten Ratte werten, opportunistische Duckmäuser ihre Klingen unversehens gegen ihn wenden.
Einen unerträglich langen Augenblick fochten Verrat und Furcht auf Messers Schneide. Doch nichts geschah. Die Truppen marschierten weiter auf die Stadt zu. Der gehörnten Ratte sei Dank waren die Intriganten zu feige. Keiner wollte als erster seine Nagezähne in Knitrigs Fell schlagen, nicht in dem sicheren Wissen, alle Widersacher im Rücken zu haben. Knitrig keifte dem Warlocktechniker Grobheiten zu und ein grüner Strahl entfuhr unter höllischem Krachen der Warpblitzkanone. Ehe er das Tor der Stadt zerbarst, zerfetzte er noch dutzende Klanratten. Knitrig grinste selbstgefällig.
Ihre Lanzen badeten im Blut und ihre Rösser zerstampften die Leiber der elenden Kreaturen. Sie hatten den Feind überrascht, die Artillerie und Schützenstellungen im Handstreich genommen. Eine besonders große und gerüstete Ratte war mit ihrer Meute geflohen, doch das Torhaus war bereits durchbrochen und vor ihnen lag ein Heer aus pelzigen Körpern. Perceval reckte die blutbefleckte Klinge, dann preschten sie los und das Banner von Belfort knatterte in der Luft.
Feige wie sie waren, hatten die Ratten den Schuppen bisher gemieden. Keine dieser elenden Kreaturen wollte sich als erste den Pelz versengen. Doch als die Stadtwache zurückwich, wurden sie allmählich dreister. Musketen schlugen flammende Schneisen in die Rattenmenge, die jaulte und kreischte. Jemand riss Balthasar an der Schulter herum. „Herr Technicus, der Schuppen brennt! Die Scheißviecher haben ihn angesteckt“. Balthasar brüllte Befehle. Die Kanone musste gerettet werden. Schwertkämpfer stießen das Tor auf, gedeckt von Musketenschützen hackten sie sich durch die Masse. Balthasar beabsichtigte, sich den Weg zur Zitadelle freizukämpfen. Wenn noch Hoffnung bestand, dann dort.
Von allen Seiten drangen Rattenmenschen auf sie ein. Balthasar schwang seinen Kriegshammer, im Brustgurt steckte ein geladenes Pistolenpaar. Zu beiden Seiten sah er Männer fallen. Verrostete Klingen zuckten nach seinem Körper. Es stank nach verbranntem Fleisch. Balthasar duckte sich unter einem Schlag hindurch, parierte einen weiteren und hieb einer Ratte den Schädel ein. Bald geriet ihr Vorstoß ins Stocken. Nur noch vereinzelt feuerten Musketen. Immer enger scharten sich seine verbliebenen Männer um das Geschütz. Balthasar keuchte, schlug zu, setzte zurück und plötzlich spürte er etwas Hartes im Rücken. Es war die Kanone. Bis auf eine Handvoll waren alle niedergehauen. Balthasar nahm nur noch Zerrbilder wahr, Schnauzen, Rundschilde, Pelze. Aus jeder Pore ergoss sich Schweiß. Besinnungslos drosch er um sich, doch die Gegner waren nicht zu überwinden. Ohne Vorwarnung wummerte es unter ihm. Die Erde hob sich unter seinen Beinen und ein mächtiger Stoß schleuderte ihn über das Geschütz hinweg.
Das Trompetensignal hallte noch in Percevals Ohren, als die Ritter in breiter Front durch die hinteren Reihen der Rattenmenschen brachen. Verzweifelt hatten diese versucht, sich umzuformieren, doch es war nutzlos. Zwischen der Stadtmauer und den anstürmenden Schlachtrossen wurden sie zerquetscht oder trampelten sich vor Panik gegenseitig nieder. Perceval hieb nach den elenden Kreaturen. An den Flanken wandten sie sich bereits zur Flucht. Da scharte Perceval einige seiner Gefolgsleute um sich und drang in die belagerte Stadt ein, die Rattenmenschen endgültig auszumerzen. Durch das aufgebrochene Tor stieß er in die engen Gassen vor, in denen sich noch immer Rattenmeuten herumtrieben. Aus einigen Dächern schlugen meterhohe Flammen und die Hitze ergoss sich zwischen die alten Fachwerkhäuser. Perceval perlte der Schweiß von der Stirn. Mit seinem Rappen stieß er tiefer ins Herz der Stadt, bis sich plötzlich der Häuserwald lichtete und sich ein weiter Platz voller Rattenmenschen vor ihm auftat. Am anderen Ende kämpften eine Handvoll Imperiale um ihr Leben.
„Für die Herrin!“ brüllte Perceval und mit erhobenen Waffen griffen die Ritter an. Die Klingen stießen nieder, mitten in die Menge. Schilde barsten, Schnauzen brachen, Schreie dröhnten. Doch zwischen Schutt, Leichen und Fachwerkhäusern war den Rittern ihr größter Vorteil, die Beweglichkeit, genommen. Sie wurden aus dem Sattel gezogen, ihren Rössern die Knie eingeschlagen und das blutrünstige Quieken der Rattenmenschen schwoll dramatisch an. Perceval schnellte herum, drosch nach allen Seiten, sähte tödliche Streiche und wich keinen Zoll, denn ihn erfüllte die Kraft des heiligen Segens. Da tat sich der Boden vor ihm auf und eine gewaltige Explosion in der Mitte des Platzes riss hunderte Ratten von den Beinen. Die Druckwelle warf Perceval aus dem Sattel. Vom Himmel fielen Erdbrocken und Körperteile. Als Perceval sich mühsam wieder aufrichtete, marterte ein unerträglich lautes Pfeifen sein Ohr und um ihn herum erkannte er nichts als grünliche Flämmchen und dichten grauen Dunst.
Knitrig triumphierte. Mit seinen Sturmratten lief er durch dichten grauen Nebel aus dem Tunnel. Allein seiner einzigartigen Schläue war es zu verdanken, dass die Stadt nun in seiner Hand war. Als die garstigen Pferdemenschendinger die Stellungen vor der Stadt überliefen, hatte er ein taktisch brillantes Ausweichmanöver angeführt. Knitrig hatte die Hinterläufe in die Hand genommen, sich in die Tunnel zurückgezogen und war zu seinem besonders geheimen und ausgefeilten Plan B übergegangen. Immerhin galt es, seinen Widersachern nicht den geringsten Anlass zu geben, sich über sein Versagen und die anschließende Bestrafung durch den Rat, recht diebisch freuen zu können.
Bereits im Vorfeld hatte er Gänge unter der Stadt graben lassen, durch die vor der Belagerung Späher den Feind infiltrierten. Doch ihr eigentlicher Zweck war, sich mithilfe einer im Erdreich verborgenen Warpsteinbombe den Weg in die Stadt freizusprengen. Aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten einer unterirdischen Warpsteinexplosion, hatte sich Knitrig, ganz gegen seine Gewohnheit, für den konventionellen Weg entschieden. Immerhin galt es auch, sein Genie so lange wie möglich zu verbergen, um bei seinen Rivalen nicht mehr Argwohn als unbedingt nötig hervorzurufen. Doch nun hatte seine Stunde geschlagen. Knitrig spähte durch den sich lichtenden Dunst. Ein ganzer Chor Verwundeter plärrte in Agonie. Da erkannte er ein Pferdemenschending durch kleine grüne Flämmchen und Rauch auf ihn zuhalten. Knitrig zögerte. Aufmerksam beobachtete er die Szene, während ihm ein Schauer über den Rücken rieselte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Pferdemenschdinger so schnell in die Stadt vorgerückt wären.
Zehn Schritt vor seiner Leibgarde blieb der Andere stehen. „Ich fordere dich, Abschaum, zu ehrenhaftem Kampf, auf dass der Bessere obsiege“, dann streifte er seinen Handschuh ab. Knitrig duckte sich gerade rechtzeitig, sodass der Panzerhandschuh, statt ihm, einer Sturmratte die Schnauze brach. Diese quiekte jämmerlich. Eine Herausforderung hatte Knitrig gerade noch gefehlt. Keinen Augenblick zögerte er. Knitrig trat einen Schritt vor, zog seine Klinge, machte ein besonders entschlossenes Gesicht und befahl seiner Leibgarde, den irrsinnigen Pferdemenschen niederzumetzeln. Wie in aller Welt konnte dieser Tor glauben, Knitrig ließe sich von etwas so unnützem wie Ehre beeindrucken? „Sei nicht dumm“, murmelte Knitrig, „einen klugen-schlauen Plan mit Moral zu vereiteln-verderben“. Knitrig beobachtete ungeduldig, wie die Hellebarden seiner Leibgarde auf den Narr eindrangen. Eisen klirrte. Schon wankte er. Da knallte es zweimal hintereinander. Knitrig durchzuckte elender Schmerz. Im Fallen wandte er den Rumpf. Das Letzte was er erkannte, war ein Menschending, ganz in Schwarz gekleidet, in den Händen zwei Schießeisen, aus deren Läufen feiner Rauch stieg. Dann verlor Knitrig das Bewusstsein.
Perceval keuchte. Endlich hatten die Ratten von ihm gelassen. Der Tod ihres Anführers hatte sie verscheucht. Perceval saß gebeugt vor Schmerz in seinem eigenen Blut. Er würde sterben, doch die Stadt war bewahrt, verteidigt mit Schild, Schwert und Lanze. Seinen Dienst hatte Perceval geleistet. Langsam schwand ihm die Kraft. Seine Glieder erschlafften. Doch mit einem Mal erkannte er, wie weißes Licht aus dem Krater quoll. Es flutete den leichenübersäten Platz und verströmte den süßen Duft reifer Mirabellen. Sachte legte sich das Licht um seinen geschundenen Leib, zärtlich bettete es ihn auf Samt und als sich der Schleier senkte, sah er kristallklares Wasser im Sonnenlicht funkeln und gedämpftes Flüstern mischte sich unter das leise Schlagen von Rudern. Perceval drehte sich im Liegen. Er sah eine Barke. Auf ihr standen in Weiß gehüllte Frauen. Da lachte Percevals Herz, denn er wusste, die Herrin hatte ihn an ihre Seite berufen.
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