Vorwort
Da der Thread für Band I bis III schon über 640 Einträge hat, habe ich beschlossen, für den vierten Band einen Neuen zu eröffnen. Band IV kann man auch lesen, ohne die vorherigen Teile zu kennen.
Bände I bis III in diesem Forum: http://www.gw-fanworld.net/showthread.php?t=133515
Für all jene, welche die Bände I bis III von Das Schwinden kompakt ohne die ganzen Userkommentare und Anmerkungen lesen wollen: http://www.fanfiktion.de/u/Nakago
Der vierte Band ist wieder mal gänzlich ohne Gabriel und auch Herad Tabelmann wird nicht wirklich vorkommen. Hier geht es nun primär um die Gegenspieler von Gabriel und der Konföderation des Lichtes. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, einmal Vergangenheit im Jahr 920 des Einundvierzigsten Jahrtausends mit ca. 17 Kapiteln; zum anderen die momentane Gegenwart der Geschichte, also das Jahr 996.M41 mit etwa 7 Kapiteln. Die ersten Kapitel sind schon komplett fertig und von Lektor SHOKer korrigiert. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle für seine große Mühe. :friends:
Es wird also nun jede Woche am Sonntag ein Update geben. Die ersten Ereignisse des zweiten Teiles laufen dann parallel zur letzten Handlung, bis es dann weiter geht. Es werden in diesem Band viele neue Personen eingeführt, von denen später einige noch eine größere Rolle spielen werden. Wie üblich sollte dieser Teil eigentlich sehr viel kürzer werden. Aber dann hatte ich ein paar gute Ideen und musste diese unbedingt einbauen. Das ist nun das Resultat von knapp einem halben Jahr Arbeit. Diesmal ging mir vieles leichter von der Hand als bei Band III. Noch ein Wort der Warnung, die Kapitel mit "Sioned von den 6x6x6" enthalten Material, das für weniger reife Personen durchaus verstörend wirken kann. Viel Spaß beim lesen.
Und natürlich freue ich mich nach wie vor über Feedback aller Art. :lol:
Persona Dramatis
Bewohner von Kneita III
Adel
Comtesse Lieke Cornelius, heiratet heute
Erbprinz Leutnant Anton von Solwangen, Liekes Bräutigam und zukünftiger Gemahl
Oberst a.D. Cornelius, Liekes Vater
Die Brautjungfern
Clarissa, ihre beste Freundin und Tochter der Schwester ihres Vaters.
Melinda, eine Cousine zweiten Grades,
Susanna, hat Angst vor lauten Geräuschen
Klara, etwas kräftiger gebaut und gutes Gedächtnis
Vladis, Brautjungfer
Einfache Bewohner
Amme Amelia, die Frau, welche Lieke an Mutters statt aufgezogen hat.
Sigmund Toreson, Jagdmeister derer von Solwangen, Scharfschütze, Feldwebel der Reserve
Matti, Zimmermagd, verliebt in Sigmund
Säde "Rabenkind" Ulladotir, Tochter des Wilderers Jyri
Valpuri und Vanamo Ulladotir, Zwillinge, Schwestern von Säde
Jyri Ismoson, Vater von Säde, Valpuri und Vanamo; Trunkenbold, von Sigmund als Wilderer in Notwehr erschossen
Lasse Jereson, Wirt von "Fünf Ecken"
Adel
Comtesse Lieke Cornelius, heiratet heute
Erbprinz Leutnant Anton von Solwangen, Liekes Bräutigam und zukünftiger Gemahl
Oberst a.D. Cornelius, Liekes Vater
Die Brautjungfern
Clarissa, ihre beste Freundin und Tochter der Schwester ihres Vaters.
Melinda, eine Cousine zweiten Grades,
Susanna, hat Angst vor lauten Geräuschen
Klara, etwas kräftiger gebaut und gutes Gedächtnis
Vladis, Brautjungfer
Einfache Bewohner
Amme Amelia, die Frau, welche Lieke an Mutters statt aufgezogen hat.
Sigmund Toreson, Jagdmeister derer von Solwangen, Scharfschütze, Feldwebel der Reserve
Matti, Zimmermagd, verliebt in Sigmund
Säde "Rabenkind" Ulladotir, Tochter des Wilderers Jyri
Valpuri und Vanamo Ulladotir, Zwillinge, Schwestern von Säde
Jyri Ismoson, Vater von Säde, Valpuri und Vanamo; Trunkenbold, von Sigmund als Wilderer in Notwehr erschossen
Lasse Jereson, Wirt von "Fünf Ecken"
Buch IV
Louhi, die blutbefleckte Göttin des Todes!
Teil I
Vergangenheit
Kapitel 1
Position:
Imperium
Segmentum Pacificus
Macharius Sektor
Kneita System
Planet Kneita III
Nördliche Hemisphäre
Provinz Aboratal
Landsitz der Familie Cornelius
Zeit: 2 323 920.M41
Person: Comtesse Lieke Cornelius
Lieke betrachtete sich in den blank polierten Spiegel aus aufgedampftem Silber mit dem barocken Messingrahmen aus verspielt herumflatternden, plastisch hervor gearbeiteten Cupidos. Es gefiel ihr, was sie im Spiegel sah. Das weiße, mit Spitzen besetzte, schulterfreie, seidene Brautkleid floss regelrecht über ihren Körper. Ihre jungen, straffen, festen Brüste wurden durch ein geschnürtes Korsett mit Messingschienen angehoben und betont. Ihre Taille war so eng geschnürt, dass sie kaum Luft bekam. Aber eine schmale Taille war das absolute Modeideal auf Kneita und so musste sie eben leiden, um perfekt zu sein. Ihre Wangen waren vor lauter Aufregung rosig, ihr Mund kirschrot geschminkt, ihr Teint war der von Porzellan, auch eine zwingende Mode auf diesem Planeten, wo gebräunte Haut ein Zeichen der arbeitenden Klasse war. Ihre klaren blauen Augen strahlten vor Glück und ihre sonst offen getragenen, langen goldblonden Haare waren raffiniert hochgesteckt und mit einem funkelnden Diadem gekrönt. Diese kleine Hochzeitskrone war seit Jahrhunderten im Besitz ihrer Familie, noch aus der alten Heimat Ghersom IV stammend und zeigte einen fliegenden Engel mit flammendem Schwert aus kleinen roten Edelsteinen. Um den Hals trug sie einen kleinen goldenen Aquila, dessen filigrane Flügel funkelten, da er mit vielen kleinen Diamanten besetzt war. Das Verlobungsgeschenk ihres zukünftigen Gatten, Erbprinz Anton von Solwangen.
"Comtesse Lieke, wie schön Ihr ausseht, Euer zukünftiger Gemahl ist wahrlich ein Glückspilz!", rief ihre Amme Amelia schluchzend, zwischen Freude über die äußerst gute Partie ihres Zöglings und den gleichzeitigen Schmerzes des Verlustes hin und her gerissen. Amme Amelia hatte sie großgezogen, seit ihre Mutter unpässlich war. So war jedenfalls die offizielle Begründung, unpässlich und auf Kur auf einer schönen Insel im Süden, wo es das ganze Jahr über die Sonne schien und es herrlich warm war. Wie es auf ihrer Heimatwelt Tesretiem der Fall gewesen war.
Natürlich hatte diese Geschichte nicht die dunklen Gerüchte zum verstummen gebracht, über unerklärlich Vorkommnisse, hysterische Zwischenfälle und dem endgültigen Verschwinden ihrer fremdweltlerischen Mutter. Ein Skandal, ein Geheimnis, etwas über das sich die Leute ihre Münder zerreisen konnten. Sollten sie reden, denn die Wahrheit kannten nur wenige, die eisern darüber schwiegen und das war auch gut so.
Aber heute war nicht der Tag, um über ihre Mutter und deren finsteres Schicksal nachzudenken. Heute war der Tag, an dem sie heiraten würde. Erbprinz Anton von Solwengen, dem Spross eines großen Fürstenhauses, zukünftiger Fürst von Solwangen. Genau wie sie auch gehörte er zu den Nachfahren der Offiziere des V. Ghersom, welche unter heiligen Solar Marschall Macharius und seinem dem Imperium immer treu gebliebenen General Crassus diesen Planeten dem Imperium eingliederten. Dem V. Ghersom wurde die Ehre zu Teil, für ihre glorreichen Taten im Dienste des Gottimperators mit dieser Welt belehnt zu werden. Die menschlichen Eingeborenen hatten sich auf eine feudale Ebene zurückentwickelt gehabt. Sie durften nun froh sein, dass die edlen Veteranen des V. Ghersom sich ihrer einfachen Seelen annahmen und sie in eine glorreiche Zukunft in das Imperium der Menschheit unter einem lebendigen Gottimperator führten. Allerdings hatte sich die Welt nur unwesentlich weiter entwickelt, weil direkt nach der Eingliederung dieser Welt in das Imperium es einen schlimmen Krieg zwischen den sieben Generälen des verstorbenen Macharius gab. Weil gleich alle sieben Generäle meinten, dass Erbe des Solar Marschalls einfordern zu müssen und von denen nur Generalfeldmarschall Crassus dem Imperium treu verbunden blieb. Dieser sinnlose Krieg zwischen Brüdern war eine böse Sache, welche die Ressourcen für eine glorreiche Zukunft in andere Kanäle hatte fließen lassen. Sieben Jahrzehnte hatte dieser unselige Krieg im Macharius Sektor getobt, bis auch den letzten der abgefallenen Generalfeldmarschälle seine gerechte Strafe ereilte.
Die kunstvoll handgefertigten Holzmöbel von Kneita III waren im ganzen Segmentum Pacificus in gutsituierten Haushalten äußerst gefragt. Holz war unter anderem auch das Hauptexportgut dieser Welt und auch ihre Familie besaß ausgedehnte Wälder in Richtung des Trollgebierges, in denen seit Jahrhunderten eine ausgeglichene Forstwirtschaft praktiziert wurde. Die nächste große Siedlung war die Festungsstadt Solwengen mit dem Stadtschloss, den Sägewerken, den Möbelmanufakturen, der Commercia, der Kathedrale des heiligen Crassus und dem Bahnhof der Großbahn, welche die Provinz mit der Hauptstadt und Raumhafen Zentralstadt verband.
In der großen barocken Kathedrale würde die Hochzeit zur zwölften Stunde stattfinden. Dort wartete ihr Vater, Oberst a.D. Cornelius schon. Er hatte vor Stunden gemeint, diese weibische Gehabe um ihr Hochzeitskleid und alles drum herum würde ihm den letzten Nerv rauben, und war mit dem silbern lackierten "Gnadenvoll" Wagen mit dem hochmodernen Verbrennungsmotor auf Promethiumbasis schon voraus gefahren. Im Hof des Herrenhauses, genannt "Zufriedenheit", einer verspielte Mischung aus einer feudalen Burg alter Tage und einem angemessen modernen Anwesen mit den Annehmlichkeiten der Imperialen Zivilisation stand ihre Hochzeitskutsche. Ein herrlicher Traum in Weiß, gezogen von sechs prächtigen Schimmeln. Damit würde sie vorfahren und von ihrem Vater zum Traualtar geführt werden.
Ihre fünf Brautjungfern gaben ihr Entzücken über Liekes Anblick mit überbordeten Komplimenten kund. Diese fünf jungen Frauen gehörten wie sie dem örtlichen Adel an, Nachfahrinnen des Offizierschor, die seit über fünf Jahrhunderten nur in diesen Kreisen heirateten. So war sie mit allen mehr oder weniger eng verwandt. Eine war Cousine ersten Grades, zwei des zweiten, und eine des vierten und eine des sechsten Grades. Alle waren wie sie hellhäutig, blond und blauäugig. Das war auch ein Merkmal der einheimischen Bevölkerung, die teilweise noch immer ihren schnatternden Dialekt sprach und sich einfach nicht an das wohlklingende imperiale Gotisch gewöhnen wollte.
"Ich hoffe, dass ich deinen Brautstrauß fangen werde", gab Melinda, eine Cousine zweiten Grades, ihre Hoffnung kund.
"Nein, wirf ihn mir zu, ich will dieses Jahr auch noch heiraten", forderte Clarissa aufgeregt, ihre beste Freundin und Tochter der Schwester ihres Vaters. Wobei man durchaus das "will" mit einem "muss" ersetzen konnte. Nicht jeder Adligen war es vergönnt, ihren auserwählten Liebsten zu heiraten. Und Clarissa würde niemals diese Möglichkeit haben, wie Lieke schmerzlich bewusst wurde.
"Ich werde mich mit dem Rücken zu euch stellen und dann den Strauß werfen. Wer ihn fangen will, muss dann einfach nur schnell und geschickt sein", wiegelte Lieke ab. Die anderen fünf lachten, während ihre Zofen und Amme nichts Lustiges an ihren Worten erkennen konnten.
"Schnell und geschickt", war ihr Moto auf der Schola für höhere Töchter gewesen, die sie sechs Jahre lang im Internat in der Hauptstadt Zentralstadt besucht hatten. Sie hatten sich zu sechst eine komfortable Zimmerflucht geteilt und manch unsinnigen Schabernack ausgeheckt. Der Rektorin hatten sie mit ihren Streichen und dem Unsinn, den meist Lieke ausheckte, beinahe einen Herzinfarkt beschert. Nach deren Aussage waren sie die schlimmsten Mädchen, die sie je unterrichtet hatte. Allerdings waren sie alle gute Schülerinnen, die ihr Disziplinproblem durchaus mit sehr guten Noten in allen Fächern überspielen konnten. Besonders Lieke war eine überragende Schülerin gewesen, weniger als die Bestnote ließ sie in Tränen über ihr Versagen ausbrechen. Auch war sie in vielen sportlichen Wettkämpfen als Siegerin hervorgetreten.
Noch während sie lachten, wurde ihr auf einmal ganz schwindelig. Sie hatte das Gefühl zu fallen. Aus den Augenwinkeln sah sie ein seltsames Pferd in einem buntschillernden Panzer heran galoppieren, eine rothaarige Reiterin mit einem Bogen und skandalösen Aufzug darauf, denn ihre Oberschenkel waren unschicklich entblößt. Lieke stolperte erschreckt einen Schritt zurück, konnte sich dann aber fangen.
"Was ist?", fragte ihre Freundin Susanna besorgt.
"Da war gerade…", stammelte Lieke völlig verstört und schüttelte irritiert den Kopf. Ja was eigentlich? Eine leibhaftige Reiterin in ihrem Schlafzimmer? Was für ein Unsinn! Sie war hier in ihrer persönlichen Zimmerflucht des Familienschlosses aus einem geräumigen Schlafzimmer, einem begehbaren Wandschrank mit Ankleide und Toilettenzimmer, einem ehemaligen Spielzimmer, wo immer noch ihr neues Puppenhaus stand, ihrem Studienzimmer mit ihrem Schreibtisch und einem Bücherregal und einem repräsentativen Wohnzimmer, wo sie sich mit ihren Freundinnen regelmäßig zum Tee trinken traf. Das Schlafzimmer wurde von einem geräumigen Himmelbett mit weißen Gazevorhängen dominiert. Auf einer Regelwand stapelten sich Erinnerungsstücke, die von ihrem ehemaligen, inzwischen total zerfledderten Lieblingsteddybären, über ihre Pokale in verschiedenen Wettbewerben auf der Schola für höhere Töchter stammten, bis hin zu Krimskrams, der nur für sie eine Bedeutung hatte. Das Zimmer war mit einer blau silbernen Tapete dekoriert und eine moderne elektrische Lampe mit Messinggehäuse an der Decke sorgte mit einigen Lüstern, welche Engel darstellten, die statt eines Schwertes kleine langgezogene Leuchtkörper in den Händen hielten, an den Wänden für Licht. Unter dem Fenster stand ein kleiner Spieltisch mit einem Königsmordbrett aus schwarzen und weißen Intarsien. Neben dem Bett stand ein Nachtschränkchen aus einheimischem Holz und auf einer Anrichte ein kleiner Zimmerschrein, der aus einem Triptychon aus geschnitztem Holz auf einem roten Marmorsockel bestand. Geschlossen zeigte er einen unverhüllten Engel mit vergoldetem Haar, gestützt auf ein flammendes Schwert. Oben im Bogen des Schreins war ein Aquila aus vergoldetem Messing angebracht. Öffnete man den Schrein, sah man das dreigeteilte Altarbild. Da war im Zentrum der segnende Imperator in einer goldenen Terminatorrüstung auf einer Waldlichtung zu sehen. Oben auf einer Wolke lag ein weiblicher Engel in einem blauen Kleid und blies mit dicken roten Backen eine Posaune. Auf dem rechten Flügel war in Leutnantsuniform des V. Ghersom ihr Vorfahre zu sehen. In der Hand hielt er die Urkunde für diesen Wald und den damit verbundenen Adelsbrief. Daneben stand seine Gattin, die nach allgemeiner Meinung tatsächlich etwas Ähnlichkeit mit Lieke hatte. Auf dem linken Flügel war der heilige General Crassus und Macharius in prächtigen Uniformen zu sehen. Macharius trug seinen mit Lorbeerkränzen geschmückten wuchtigen Helm aus Gold.
"Beim barmherzigen Imperator, nein!" Ihre Amme Amelia, ein Mischling zwischen den Nachfahren der einfachen Mannschaftsgraden des V. Ghersom und den Eingeborenen, machte den Aquila vor ihrer Brust. Irritiert sah Lieke sie an.
"Eure Mutter, Ihr saht gerade aus wie Eure Mutter, wenn sie ihre Anfälle hatte", hauchte ihre alte Amme so leise, dass nur Lieke es verstehen konnte. Ihre Mutter? Nein, dass durfte nicht sein. Einen kurzen Moment hatte sie das letzte Bild ihrer lebendigen Mutter vor Augen. Mit dem stoßbereiten Kampfmesser in der Hand, mit den zerzausten blonden Haaren, den groß aufgerissen, blutunterlaufenen blauen Augen in denen der Wahnsinn loderte. Ihre Schreie und ihr wahnsinniges Gebrabbel hallten in ihren Ohren immer noch nach. Nach all den Jahren hatte sie dieses Bild immer noch vor Augen. Zeit heilte eben nicht alle Wunden. Nein, sie wollte nicht wie ihre Mutter sein und schon gar nicht so enden. Niemals, lieber würde sie vorher sterben, sich wie die letzte Priesterkönigin dieses Tales in die Fluten des Flusses stürzen, der seitdem nach ihr benannt war. Hatte sie etwa auch diesen gefährlichen Wahnsinn in sich? Auf einmal war die gute Stimmung in Lieke dahin. Nein, das war nur die Aufregung, heute heiratete sie schließlich. Das hatte alles gar nichts zu bedeuten.
"Heute wird ein guter Tag werden!", verkündete sie mit fester Stimme, die keinen Widersprung duldete und versuchte mit einem bittenden Blick auf den Schrein des heiligen Gottimperators die dafür notwendige himmlische Unterstützung zu erlangen, denn er beschützte die, welche es wert waren. Und sie war eine Adlige aus uraltem Geschlecht, Nachfahrin unzähliger Generationen von Offizieren und ihren Lenden würde eine neue Generation von Offizieren entspringen. Wenn es jemand gab, der seinen Schutz verdient, dann sie. Lieke hoffte nur, dass der Imperator das auf seinem goldenen Thron sitzend auch wusste.
Position:
Imperium
Segmentum Pacificus
Macharius Sektor
Kneita System
Planet Kneita III
Nördliche Hemisphäre
Provinz Aboratal
Jagdschlösschen
Zeit: 2 323 920.M41
Person: Sigmund Toreson
Sigmund Toreson genoss die Stille in der Küche des Jagdschlösschens des Fürsten von Solwangen. Alle sonstigen Diener und Bediensteten waren schon lange vor Sonnenaufgang in die Stadt Solwangen aufgebrochen, um im Stammschloss bei den letzten Vorbereitungen zu helfen oder dort ihren freien Tag bei den Hochzeitsfeierlichkeiten zu verbringen. Immerhin heiratete heute der Erbprinz des Hauses von Solwangen.
Er saß in der Küche, welche auch als Essensraum der Bediensteten diente und sah sich grinsend den Frühstücksteller an, welche ihm die Magd Matti hinterlassen hatte. Sie hatte die kleinen Würstchen zu einem Herz geformt. Inzwischen war selbst ihm klar geworden, dass die kleine Matti ein Auge auf ihn geworfen hatte. Gestern hatte sie ihn gedrängt, einem Tanz auf der Hochzeit des Sohnes des Fürsten zuzusagen. Matti war ein hübsches kleines Ding, wenn auch ein armes. Sie war in der örtlichen Waisenschola aufgewachsen. Ihre Mutter war bei der Geburt eines weiteren Kindes gestorben, als Matti vier Jahre alt gewesen war. Ihr Vater war bei einem Arbeitsunfall fünf Jahre später umgekommen. Sturmbruch zu beseitigen war in den Wäldern eine gefährliche Arbeit. Da starben die meisten Holzfäller, selbst erfahrene, wenn das verklemmte und unter Spannung stehende Holz in eine nicht kalkulierte Richtung sprang, sobald es frei kam.
Ihm gefiel Matti, besonders da er sie ganz ausversehen – inzwischen war Sigmund klar, dass sie diese Begegnung wohl mit Absicht herbei geführt hatte – in der Waschstube außerhalb der Badezeit für Frauen nackt beim Waschen überrascht hatte. Er hatte so einen Schreck dabei bekommen, dass er sich mit voller Wucht den Kopf an dem niedrigen Türsturz angeschlagen hatte und dann über die Stufe nach hinten gestürzt war. Davon hatte er eine ziemliche Beule am Kopf bekommen und sich den Hintern geprellt. Allerdings hatte er dafür auch einen hübschen unverhüllten Körper zu sehen bekommen, was wohl ein fairer Tausch für die Schmerzen war.
Allerdings war Sigmund auch klar, dass Matti nicht direkt in ihn verliebt war, sondern eher in seine Stellung als Jagdmeister des Fürsten über viele tausend Quadratkilometer Wald und viele tausend Stücke Großwild. Bis vor kurzem hatte sein Vater Tore noch diesen Posten inne gehabt, aber inzwischen war seine Gicht so schlimm geworden, dass er sich im Spital in Solwangen befand. Heute würde er ihn auch noch besuchen. Sigmund war jetzt über Vierzig und noch immer nicht verheiratet. Er konnte nicht gut mit Frauen. Am liebsten war er allein im Wald und tat seine Arbeit, ohne von lästigem Geschnatter oder dämlichen Bemerkungen anderer Leute gestört zu werden. Die Wälder waren seine Heimat, sein Leben, seine Bestimmung und er war froh, dass er einen Posten hatte, welcher ihm dieses Leben ermöglichte. Aber auf der anderen Seite war es seine Bürgerpflicht als Untertan des Imperators, Nachkommen in die Welt zu schicken, dass sie eines Tages sein Amt erben konnten. Und Matti war eine, der man im Waisenhaus das Schnattern abgewöhnt hatte. Sie war zwar gerade mal halb so alt wie er, aber das Herz auf dem Teller zeigte ihm, dass sie ihn auch oder besser gesagt den Mann mit dieser Reputation haben wollte.
Über seine Zukunft sinnierend beendete er sein Frühstück, räumte den Tisch ab, stellte das Geschirr neben die steinerne Spüle mit der hochmodernen Hebelwasserpumpe. Dann ging er in seine kleine Wohnstube und öffnete den Waffenschrank aus gebürstetem Metall. Auf dem Schrank standen die größten und schwersten Pokale, die er im Laufe seiner Zeit gewonnen hatte. Heute würde es ein Hochzeitsschießen geben und der Hauptpreis war ein silberner Pokal; randvoll gefüllt mit goldenen Thronen, wie die Imperiale Währung hier genannt wurde. Er würde zwar etwas Platz schaffen müssen, um den neuen Pokal noch unterzubringen, aber diese Mühe machte er sich gerne. Falls er denn überhaupt gewann. Die letzten anderthalb Jahrzehnte war er sicherlich der beste Schütze im Umkreis von tausend Kilometern um Solwangen gewesen. Das war eine Tatsache, welche die vielen Pokale, Urkunden und Medaillen an den Wänden und Regalen bewiesen. Aber er wurde nicht jünger, neue Talente wuchsen heran und auf dem Fest würden auch viele Schützen aus dem Gefolge vieler Adelsfamilien von weit außerhalb sein, welche es vielleicht mit ihm aufnehmen würden konnten.
Er nahm seine Thorländer Modell 750, im Kaliber 8,25 x 67 AGSK heraus. Sie war Oberhebelrepetierer mit sechsfacher Verriegelung, zehn Schuss im entnehmbaren Kastenmagazin aus gefalztem Messing, Rückstecherabzug der auf 10 Gramm Zuggewicht eingestellt war. Das war ein Geschenk der Thorländer Gewehrmanufaktur gewesen, weil er der beste Schütze im Scharfschützenkurs der Zentralen Waffenschule des Jahres 878.M41 gewesen war. Leider war er trotz seiner überragenden Treffsicherheit nicht der Beste seines Jahrganges gewesen, sondern nur der Drittbeste, weil auch Fertigkeiten wie schnelles Schleichen und Tarnen ein wichtiges Kriterium waren. Und er war nie der Agilste und Geschickteste gewesen. Seine mangelnden Fähigkeiten im Schleichen hatten ihn den Gesamtsieg gekostet. Man hatte ihn auch gefragt, ob er nicht bei der nächsten Tributsaufstellung für die imperiale Armee dabei sein wollte, aber sein Vater hatte es ihm verboten, da er der einzige Erbe war. Seine Brüder waren früh gestorben und seine Schwester im Kindbett mit einer Totgeburt. Er selbst hätte sich gerne zwischen die Sterne aufgemacht, um für den Imperator zu kämpfen, zu töten und notfalls auch für ihn zu sterben, um sich ein Platz an seiner Tafel zu verdienen. Aber leider war ihm das Leben eines imperialen Soldaten nicht vergönnt gewesen.
Nachdem er etwas Werg, ein watteartige Masse, auf der Messingbürste seines Reinigungsstocks gezwirbelt hatte, begann Sigmund den präzisen Waffenlauf zu entölen. Der Griff war mit einem Kugellager aus Fremdweltproduktion versehen, sodass sich das Werg durch die Züge bewegen konnte und trotzdem den Griff festhalten konnte. Nachdem er diese Prozedur dreimal gemacht hatte, kam beim vierten Mal das Werg sauber wieder hinaus. Der Lauf war nun frei von Öl und den restlichen Ablagerungen. Er befestigte das Skope auf der Picardschiene und stellte die Rastung für die Höhenverschiebung um drei Klicks nach unten. Der Lauf würde die Geschosse nun einen minimalen Tick schneller durchlaufen lassen, was auf dreihundert Meter Entfernung drei Zentimeter Höhenunterschied bei den ersten dreißig Schuss machte. Er verpackte die über einen Meter lange Büchse in eine gepolsterte Tasche und stopfte zwei Schachteln Präzessionsmunition mit hinein. Vielleicht forderte ihn einer der Gecken noch zu einem Wettschießen heraus und da wollte er seine gute Munition dabei haben, die er selbst abgewogen und nachgemessen hatte. Bei solchen Wettbewerben konnte man viel Geld gegen diese arroganten Schnösel gewinnen.
Dann zog er seine gute dunkelgrüne Försteruniform für öffentliche Anlässe an und legte die Koppel mit Hirschfänger und einer brünierten hochmodernen halbautomatischen Pistole aus Fremdweltfertigung an. Zeichen seiner Würde als Jagdmeister des Fürsten und auch sein Arbeitsgerät für den Fangschuss oder Schnitt. Oder auch als Seitenwaffe, falls er einen Wilderer stellte. Die letzten Jahre hatten gute Ernten gesehen und in diesen Jahren wurde erfahrungsgemäß eher wenig gewildert. Den vorletzten hatte er vor knapp zehn Jahren erwischt und ihn den Beamten der öffentlichen Sicherheit in Solwangen übergeben. Zwanzig Jahre in den Steinbrüchen hatte das dem dummen Kerl eingebracht. Nicht das man in den Steinbrüchen so alt wurde, um wirklich zwanzig Jahre dort verbringen zu können. Den letzten Wilderer hatte er letztes Jahr gestellt und in Notwehr mit seiner Pistole erschießen müssen. Seitdem schlief er nicht mehr so gut und wachte oft schweißgebadet auf.
Als Scharfschütze war er zum Töten ausgebildet worden und er hatte auch schon Großwild erlegt. Aber einen Menschen zu töten war doch anders als auf eine Zielscheibe zu schießen. Der Wilderer Jyri Ismoson hatte noch ein paar Minuten gelebt. Blut war ihm aus dem Mund gelaufen und er hatte noch versucht, etwas zu sagen. Aber Sigmund hatte nicht verstehen können, was er mitteilen wollte. Einem Tier hätte er den Gnadenstoß gegeben, aber bei einem Menschen hatte er sich dazu nicht überwinden können. Sondern hatte neben dem tödlich Verwundeten gekniet, verzweifelt versucht die Blutung zu stoppen und für ihn gebetet. Vielleicht würde der Imperator sich ja gnädig zeigen und seine Seele trotzdem an seiner Tafel speisen lassen. Schließlich war Jyri gestorben, sein Gesicht war voller Qual verzerrt und seine Augen starr offen gewesen. Und dieses Gesicht verfolgte ihn bis tief in seine Träume. Oft redete sich Sigmund ein, dass er keine Wahl gehabt hatte, dass es eine er oder ich Entscheidung gewesen war. Aber er war auch ein passabler Pistolenschütze gewesen. Ein gezielter Schuss in die Schulter hätte Jyri vielleicht gestoppt, aber vielleicht auch nicht. In dem Moment hatte er nur die zwei Läufe der großkalibrigen Schrotflinte auf sich einschwenken gesehen. Diese Waffe hatte der Mistkerl nicht zur Jagd dabei gehabt, sondern um sich bei Entdeckung lästige Zeugen zu entledigen, da Jyri mit einem Langbogen, eine bei den einfachen Leuten des Aboratals immer noch gebräuchliche Waffe, gewildert hatte. Da hatte er in das Zentrum von Jyris Körper gezielt und abgedrückt, bevor dieser es tun konnte. Dieser Tote nagte an Sigmunds Seele und ließ ihn vieles viel schwärzer sehen als früher. Er hoffte, dass Matti ihm vielleicht diese Dunkelheit nehmen würde und ihn zurück ins Licht des Lebens ziehen könnte.
Bevor er aufbrach, lief er mit einer brennenden tragbaren Paraffinlampe in der Hand durch das ganze Schlösschen, dass eigentlich nichts mehr war als ein geräumiges Gebäude aus Holz mit einem kleinen Bankettsaal voll mit Jagdtrophäen an den Wänden, dazu ein gemütliches Raucherzimmer mit Jagdgemälden und Trophäen für die Männer, einen mit Seidentapeten ausgekleideten Saloon mit bequemen Sofa und Sesseln um einem Tisch herum gruppiert zum Tratschen für die Frauen. Ein Zimmer für die Waffen des Fürsten. Im alten Turm, das einzige erhaltene Ruinenstück der ehemaligen Burg, die hier einst gestanden hatte, war die kleine Kapelle untergebracht. Sie war schlicht und Leman Russ geweiht, dem heiligen Patron der Jagd. Auf einem Altar aus rotem Marmor von der Wüstenwelt Toth stand ein Triptychon, der auf der Außenseite der momentan geschlossenen Doppelflügel ein bärtiger Leman Russ in Begleitung zweier Wölfe gezeigt wurde. Sigmund klappte den Altar auf, der nun im Zentrum eine Elfenbeinschnitzerei des Imperators zeigte. Acht seiner Söhne waren in kleinen Figuren unter ihm verewigt. Leman Russ stand als Neunter Sohn ebenfalls als plastische Schnitzerei nun zu seiner Rechten. Auf dem linken Flügel sah man einen verhüllten Engel mit flammendem Schwert, welcher die Göttlichkeit des Imperators unterstrich, wie man ihm auf der Schola eingebläut hatte. Aus seinem Flachmann aus gebürstetem Metall goss er etwas Amasec in die Opferschale aus vergoldetem Messing vor dem Triptychon und betete zu Leman Russ und dem Imperator um eine ruhige Hand bei dem Wettbewerb heute Nachmittag. Und nach einem kurzen Zögern noch darum, dass er beim Tanz mit Matti nicht über seine eigenen Füße stolperte und unterstrich das Gebet mit dem Opfer eines weiteren Schluck Amasec in die Schale. Er verneigte sich vor dem Abbild des lebendigen Gottes der Menschheit und schloss sein Abbild nach einem weiteren Gebet.
Im rückwärtigen Bereich lagen nach unten abgesetzt die Zimmer der Bediensteten und die Küche. Im Keller gab es mehrere Vorratskammern und eine, wo das Wild sachgerecht zerlegt werden konnte. Im ersten Geschoss waren das herrschaftliche Schlafzimmer mit Ankleidezimmer und Wandschrank, auch wenn die Fürstin schon seit vielen Jahren tot war. Dann die Schlafzimmer für die Kinder und nahen Verwandten des Fürsten oder ausgesuchte Gäste. Oben im Dachstuhl waren dann die Gästezimmer für die nicht ganz so angesehenen Gäste, die im Rang unter einem Fürsten waren. Er betrat jedes Zimmer, überzeugte sich, dass nirgendwo mehr eine Glut glomm, eine Kerze brannte oder eine der Paraffinlampen noch an war; und dass die festen Fensterläden aus dickem Holz auch vor den wertvollen Glasfenstern lagen. Da er alles zu seiner Zufriedenheit vorfand, zog er seine gute Jacke an, schulterte seine Tasche mit dem Gewehr und schritt durch den Dienstbotenausgang nach draußen und verschloss die dicke Tür hinter sich.
Sofort kam die alte Sabbat auf ihn zugehechelt, der er auch ein kleines Leckerli aus der Küche zuwarf. Die alte Hündin war die Mutter aller Jagdhunde hier auf dem Schlösschen und war deshalb noch nicht eingeschläfert worden, obwohl sie nun zu alt für Nachwuchs oder einem anderen brauchbaren Zweck war. Ja, alt zu werden war kein schöner Zustand. Im Stall holte er Flotter aus seiner Box und sattelte ihn. Auch sein Pferd war alt geworden. Früher war er ein temperamentvoller Hengst gewesen, inzwischen wäre Schleicher wohl eine bessere Namenswahl. Die alte Sabbat ließ es sich nicht nehmen und trottete neben ihm her. Sie kannte den Weg, umkreiste Flotter in einem Ausbruch übermütiger Energie mehrmals und lief dann den Weg voraus. Still lagen die Wälder vor ihm. Die Bäume waren sorgfältig gepflanzt und vom Unterholz befreit. Dies war das Geld der Fürsten von Solwangen, das hier wuchs. Jahr für Jahr und das schon seit fast fünfhundert Jahren, seit Macharius diese wunderbare Welt ins Imperium zurückgeholt hatte. Auch Sigmund stammte zum Teil von den Veteranen des 5. Ghersom ab, aber auch von der Urbevölkerung. Inzwischen gab es nur noch wenige reinblütige Ureinwohner im Aboratal.
Die frische, wohlriechende Luft des Frühlings umspielte seine Nase und zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. So liebte er seine Heimat in der frischen Morgenluft, voll vom Harz der Bäume. Die frischen Triebe, die überall sprossen. Die typischen Geräusche des Waldes bildeten eine Symphonie der Ruhe. Nach wenigen hundert Metern traf der nur mäßig befestigte Weg auf die mit Kopfsteinpflaster belegte Jagdschlossalle. In Richtung Nordwesten führte sie nach Solwangen, in der anderen zu einem kleinen Ort namens Neuköhlerheim, wo sie dann in einen Feldweg überging, an einigen kleinen Weilern vorbeiführte und dann nach über fünfzig Kilometer bei Altköhlerheim endete. Dahinter lag dann nur noch Wildnis bis zum Rand des Fehlgeschlagenengebirges, wo die namensgebenden "Fehlgeschlagenen" hausten. Sabbat lief lieber neben der Straße als auf dem harten Pflaster. Nach drei Kilometer kam er an den Weiler "Fünf Ecken". Der kleine Ort mit dem gerade mal ein Dutzend Katen aus mit Lehm isolierten Holzlatten und einem großen Wirtshaus hieß so, weil die mittlere Ringstraße hier die Schlossalle traf. Außerdem ging hier noch der gut ausgebaute Feldweg "Zum Turmberg" ab.
Nur bei einer der schäbigsten Katen war Leben zu sehen. Dort wohnten Rabenkind und ihre zwei Schwestern. Rabenkind hieß eigentlich Säde Ulladotir, aber durch ihre in dieser Region äußerst seltenen schwarzen Haare, die wie das Gefieder eines Raben glänzten, und die manchmal etwas laxe Einstellung ihrer Familie zum Besitz anderer Leute hatten ihr diesen Namen eingebracht. Ihre beiden Schwestern, Valpuri und Vanamo, Zwillinge, waren wiederrum blond. Die Schwestern wuschen gerate mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen die Wäsche in einem großen Waschzuber. Damit verdienten sich die Mädchen ihren Lebensunterhalt, nachdem sie schon als Halbwaisen vor einem halben Jahr ihren Vater verloren hatten. Den Tunichtgut Jyri Ismoson, den Sigmund bei der Wilderei ertappt hatte und in Notwehr hatte erschießen müssen. Als er den Mädchen die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbracht und auch zugegeben hatte, dass er es gewesen war, hatten sie recht unbeteiligt gewirkt. Als ob sie nichts Anderes erwartet hätten. Wahrscheinlich hatten sie von den Machenschaften ihres Vaters gewusst und eine solche Nachricht eines Tages erwartet. Seitdem fühlte Sigmund sich für die Mädchen verantwortlich und unterstützte sie meist über mehrere Ecken indirekt, da er annahm, dass sie keine direkte Hilfe von dem Mann annehmen würde, der ihren Vater über den Haufen geschossen hatte.
Er grüßte die Mädchen mit dem Lüften seines Hutes und alle drei Schwestern knickste ihm höflich zu, bevor sie mit ihrer Arbeit fortfuhren. Der einzige weitere Bewohner von Fünf Ecken schaukelte auf seinem Schaukelstuhl auf der breiten Terrasse seines Gasthofes "Fünf Ecken". Diese Ortschaft war eine bequeme Tagesreise zu Fuß von Solwangen entfernt und Reisende nach Köhlerheim legten hier gerne eine Rast ein. Die meisten Reisenden waren sicherlich schon in den frühen Morgenstunden weiter gezogen, da sie noch rechtzeitig einen Platz an der öffentlichen Hochzeitstafel ergattern wollten. Der Fürst galt bei solchen Festlichkeiten als sehr spendabel und deswegen war fast die ganze Provinz nach Solwangen aufgebrochen, um der Hochzeit des Jahrzehnts beizuwohnen. Und sicherlich auch dem Fest, dem Markt und dem großen Hochzeitsschießen.
Der Wirt von Fünf Ecken war ein uralter Kauz. Schon als Sigmund noch ein Kind gewesen war, hatte der Wirt uralt ausgesehen. Lasse Jereson war sicherlich schon jenseits der Achtzig, war aber immer noch rüstig und rauchte genüsslich seine Meerschaumpfeife. Über seinen Knien hatte er eine doppelläufige Schrotflinte gelegt.
"Morgen Lasse, nicht auf der Hochzeit?", grüßte er den alten Wirt, der inzwischen als etwas verschroben galt.
"Morgen junger Mann, nein, muss hier aufpassen, Südländer sind hier in der Gegend. Trau dem Gesindel nicht", erklärte Lasse und hob grüßend seine Flinte. Wenigstens waren die beiden Hähne der Waffe nicht gespannt.
"Dann viel Spaß bei der Wacht."
"Werde ich haben, junger Mann", meinte Lasse an seiner Pfeife ziehend.
Sigmund lüftete höflich ein weiteres Mal seinen Hut und gab dann Flotter mit einem Zungenschnalzen zu verstehen, dass es weiter ging. Er ritt zur Kreuzung und bog auf einen ausgetretenen Feldweg ab, der sich zwischen mehreren Hügeln durch den Wald schlängelte. Er folgte dem Pfad bis zu einer Erhebung, die sich der Turmberg nannte. Der Name war Programm, da sich hier ein etwa fünfzig Meter hoher Turm erhob. Er lenkte Flotter bis an das Gatter unter dem Turm, stieg ab und band ihn dort fest. Der Turm bestand komplett aus Holz und eine ausgetretene Treppe wand sich nach oben. Unter der Hauptplattform gab es ein Stockwerk mit Holzwänden. Hier lebte im Sommer immer die Feuerwache. Als Junge nach der Schola und vor seinem Wehrdienst hatte er mehrere Jahre die Pflicht des Feuerwächters ausgefüllt. Es war eine ruhige Arbeit, aber eine sehr verantwortungsvolle. Holz hatte die Eigenschaft, sehr gut zu brennen, besonders im Sommer, wenn es wochenlang nicht regnete. Ein Funken konnte hunderttausende von Thronen vernichten. Deswegen gab es diese Türme, von der man viele Kilometer weit ins Land hinein sehen konnte.
Er schloss die Türe zum Turmzimmer auf. Es roch muffig in dem geräumigen Raum. Ein Bett mit einem Messinggestell und strohgefüllter Matratze stand an der Nordwand, ein Holztisch mit mehreren Stühlen in der Mitte. Es gab eine kleine mit verrußtem Messing ausgekleidete Kochnische mit einem Ofenherd. Neben dem Bett war eine Truhe, die er nun aufschloss und das schwere Skope herausnahm. Er schaffte es auf das flache Turmdach, wo im Zentrum ein runder Aufbau stand. Dort befestigte er das teure Skope auf einen Ständer. Dann öffnete er einen kleinen Verschlag im Sockel und betätigte die sogenannte Wächteruhr, indem er eine Kurbel durch drehte und einen Stift durch ein Loch mit der Nummer eins drückte. Die Kennziffer des Jagdmeisters. Es gab ein Klacken und die Zeit war nun notiert, wann er nach dem rechten sah. Es war jetzt knapp nach zehn Uhr. Die Plattform war aus glatten Brettern, die eine leichte Neigung hatten, so dass Wasser in die Regenrinne abfließen konnte, die wiederrum einen kleinen Wassertank befüllte. Es gab nichts Anstrengenderes, als Wasser die fünfzig Höhenmeter nach oben zu schaffen. An jeder Ecke ragte ein großer Trichter aus Messing heraus. Das war die Alarmsirene, wenn Feuer ausbrach oder andere Katastrophen zu melden waren.
Er gönnte sich erst einen normalen Überblick über das Abora Tal. Im Nordwesten ragte in etwa zwanzig Kilometer Entfernung die kreisförmig ummauerte Stadt Solwangen auf. In präimperialer Zeit war dies die Königinnenstadt gewesen, das Zentrum eines Reiches, das größer gewesen war als die heutige Provinz von Solwangen, für welche sie die Hauptstadt und Verwaltungszentrum war. Die aus massiven Bruchsteinen gemauerte Befestigung war mit zwölf massiven Bastionen gekrönt. Die nach den Söhnen des Imperators benannt waren, der Imperator war natürlich auch verewigt worden, dazu kam noch die Fürstenbastion und die Bastion des heiligen Crassus, dem Schutzpatron der Stadt und auch dieser Welt. Die örtliche große Kathedrale aus sorgfältig behauenen grauen Granitsteinen war ihm geweiht. Die Kathedrale war selbst von hier aus noch mit bloßem Auge zu sehen, so hoch und mächtig ragten ihre Türme in den Himmel.
Das sogenannte Schwert des Imperators, die Trasse für die Eisenbahn, durchschnitt die Landschaft wie auch die Stadt. Die vier Meter breiten Gleise verbanden Solwangen in Richtung Südosten mit der zweittausend Kilometer entfernten Zentralstadt, im Norden reichten sie bis Kaphafenstadt am Eismeer das von hier aus noch gute anderthalbtausend Kilometer entfernt lag. Schwert des Imperators wurde die Eisenbahn deshalb genannt, weil sie wie ein gerader Schwerthieb die Landschaft durchschnitt. Die Ingenieure hatten die Bahn ohne auf die natürliche Topographie Rücksicht zu nehmen, so gerade aus und mit so wenigen Steigungen wie möglich gebaut. So waren die gigantischen und behäbigen Dampflokomotiven in der Lage, mehr als hundert Waggons zu ziehen. Ganze Gebirge waren untertunnelt worden, um die Steigungen zu umgehen. Selbst kleinere Berge, wie den Ankerberg gar nicht weit von hier, hatte man komplett untertunnelt, anstatt die Schienen einfach darum herum zu legen. Im Ankerberg war der Tunnel geradezu gigantisch und man nannte ihn nicht um sonst die Höhle ohne Decke oder auch Echohöhle. Die Eisenbahn verlor sich beinahe schon darin. Vor der Höhle war ein glattes quadratisches Plateau, auf dem kaum etwas wuchs, weil der Boden sehr unfruchtbar war.
Vom Norden her kam jeden Morgen ein Zug angeschnauft, der aus zehn Passagierwagen, zehn Transportwagen für Vieh, zehn Warenwagen und den Dutzenden von Holzwaggons bestand. Holz war der Reichtum dieser Region, eigentlich des ganzen Planeten. Gegen Abend um sieben Uhr kam dann der Gegenzug aus Zentralstadt in Richtung Kaphafenstadt, der meist leere Holzwaggons zum Beladen abkuppelte und dann stoisch in Richtung Eismeer weiterschnaufte. In den letzten Tagen waren viele Passagiere ausgestiegen, geladene Gäste für die Hochzeit, da beide Familien über eine weitreichende Verwandtschaft verfügten. Inzwischen war die Stadt mit Gästen überbelegt und selbst einfache Leute hatten ihre gute Stube an Fremde vermietet. So eine Hochzeit brachte viel Geld in die Stadt.
Solwangen war durch die Eisenbahnlinie zweigeteilt. In der nordwestlichen Hälfte befanden sich der Palast des Fürsten, der umzäunte Park, seine Verwaltungsgebäude, die Commercia, die Kathedrale und auch der Administratumsturm. Auch waren hier die feinen Wohnhäuser der Händler, Beamten und Adligen. Auch die Familien der Offiziersfamilien lebten dort. Im Südosten waren die großen Mietskasernen für die Sägewerksarbeit, die Schindelmacher, die Tagelöhner. Dann das Armeleute Spital und das Siechenhaus. Das Waisenhaus stand hier ebenso wie das Schuldhaus. Auch die steinernen Gebäude der Kasernen standen hier. Normalerweise waren die meisten Häuser aus lackierten massiven Holzbrettern gebaut, die im Winter die Wärme innen und im Sommer die Hitze draußen hielten. Nur wenige Gebäude waren aus eher unpraktischen Stein gebaut, wie eben die Kaserne, wo es im Winter klamm und im Sommer stickig heiß war.
In der Kaserne waren das 32. Infanterieregiment "Solwangen" und die 2. Schwadron der 4. Ulanen kaserniert. Und der "Stolz von Solwangen" stand hier auf einem großen unterirdischen Gleis bereit. Die "Stolz von Solwangen" war ein moderner Panzerzug. Vorne und hinten war je ein Waggon mit zwei in drehbaren Kuppeln untergebrachten Tremorgeschützen. Unterstützt von einem gutem Dutzend Maschinenkanonen in seitlichen Kuppeln. In der Mitte befanden sich die Lokomotive und der große Mannschaftswagen. Zweimal im Jahr wurde der Zug bemannt und eine Übungsfahrt unternommen. Das war immer eine große Schau, die Militärkapelle spielte und nicht nur die Kinder sahen mit großen Augen diese hochmoderne technische Errungenschaft an. Es waren wahrlich fortschrittliche Zeiten, in denen er lebte.
An Solwangen floss der Königinnenfluss vom Fehlgeschlagenengebirge kommend vorbei nach Norden, ins ferne Eismeer. Wenn der Fluss ins Meer floss, war er bei Kaphafen etwa zwei Kilometer breit, behaupteten jedenfalls die Nordländer. Aber die waren dafür bekannt, dass sie gerne prahlten, sei es die Länge ihres Gemächts oder die Breite ihre Flüsse. Hier war der Fluss nur knapp einhundert Meter breit, wo er sich schäumend durch die tiefe und enge Königinnenschlucht brach. Der Fluss hieß so, weil sich die letzte Priesterkönigin des alten Reiches in die Fluten gestürzt hatte, um den Imperialen nicht in die Hände zu fallen. Ein mächtiges gemauertes Eisenbahnviadukt überspannte die tiefe Schlucht und war einer von drei Übergängen. Die anderen beiden waren aber nur aus Holz und nicht halb so eindrucksvoll wie das Viadukt. Etwas weiter im Norden gab es einen Staudamm, in dem Strom für die Stadt produziert wurde. Da war der wilde Fluss dann ziemlich hoch aufgestaut und ruhig genug, dass man darin schwimmen konnte.
Etwas nordöstlich von hier ragte in über dreißig Kilometer Entfernung der Engelsberg hoch, der geographische Mittelpunkt des kreisförmigen Tales. Das war ein Tafelberg, der von einer zerfallenen Ruine gekrönt wurde. Hier hatte einst eine Festung gestanden, welche aber im Eroberungskrieg vollständig zerstört worden war. Einer der dafür verantwortlichen Basilisken stand heute noch auf dem kreisförmigen Machariusplatz als Denkmal, wo die zwölf Straßen der Provinz zusammen trafen. Die Ruine war ein sehr beliebtes Ausflugsziel von kinderlosen Paaren, da es hieß, der Engelsberg würde die Fruchtbarkeit ungemein steigern. Es gab dort oben sogar ein kleines Gasthaus, das sich ganz auf diese Art Gäste eingestellt hatte. Die Ruinen waren weitläufig, von Büschen überwuchert und Paare fanden immer ein abgeschiedenes Örtchen, wo sie miteinander liegen konnten, wenn sie sich kein Zimmer im Gasthaus nehmen wollten oder leisten konnten. Es besonders in der Nacht dort oben zu machen, galt als höchst anregend und fruchtbarkeitsfördernd. Dummerweise waren die ungesicherten Ruinen nicht ganz ungefährlich, da es dort offene Spalten und Löcher in die tieferliegenden Kasematten und Verließe gab. Manch unvorsichtiges Liebespärchen war von dort oben nicht mehr heruntergekommen. Eine Zeitlang hieß es sogar, es würde dort spuken. Aber das Ganze hatte sich als dummer Scherz von ein paar Tunichtguten herausgestellt, die mit Laken bekleidet, rostige Ketten gerasselt hatten und mit Lampen mit gefärbtem Gehäuse unheimliche Lichter gemacht hatten. Aus Zentralstadt war extra ein Vertreter des Adeptus Arbites angereist und war gar nicht erfreut gewesen, seine Zeit mit ein paar dummen Jungendlichen verschwendet zu haben. Auf dem Machariusplatz waren die frechen Jugendlichen zur Freude der ehrlichen Leute dann ausgepeitscht worden und nur ihr adliger Stand hatte sie vor dem Steinbruch gerettet.
Als weitere Kuriosität führte ein Gleisstrang bis zu dem kleinen Dörfchen am Fuße des Berges, wobei die Schienen eigentlich sogar in den Berg hineinführten, aber der Tunnel hinein war schon lange eingestürzt und die Schienen führten auf der anderen Seite auch nicht hinaus. Das nährte das Gerücht, dass dort in uralter Zeit ein gewaltiges Tunnelsystem von den Erstsiedlern angelegt worden waren. Warum, war ein Grund für schreckliche Schauergeschichten die alles eines gemeinsam hatten, dass sie aus dunklem Aberglaube entstanden und frei erfunden waren. Die meisten handelten davon, dass bizarre Wesen dort erschaffen worden waren, unter anderem die berüchtigten "Fehlgeschlagenen". Andere sagten, dass dort Götter gezeugt werden sollten, aber sie für diesen Frevel vom Imperator in eben diese "Fehlgeschlagenen" verwandelt worden waren. Fast alle Geschichten und Versionen brachten die "Fehlgeschlagenen" mit dem Engelsberg in Verbindung.
Auf diesen Schienenstrang zum Engelsberg fuhren aber keine richtigen Lokomotiven, sondern kleine muskelbetriebene Konstruktionen mit zwei Achsen und vier Rädern. Leicht genug, um von Passagieren auch von den Gleisen gehoben zu werden. So reisten viele der Anwohner in der Nähe der Gleise um den Engelsberg oder vom Schwert des Imperators allgemein, da die großen Züge nur die Provinzhauptstädte miteinander verbanden und die Dörfer links und rechts der Trasse ignorierten. Und da die Züge nur zweimal am Tag das Gleis nutzten, hatten viele findige Leute eben ihre eigenen Gefährte gebaut. Es kam immer wieder zu schrecklichen Unfällen, wenn Sonderzüge oder Panzerzüge fuhren und die Leute nicht schnell genug von den Gleisen kamen. Ein Zug in voller Fahrt hatte einen sehr langen Bremsweg.
Rauchwolken oder andere Anomalien waren nicht auszumachen. Sigmund holte sein Pfeifchen hervor, stopfte es und zündete es mit seinem modernen verchromten Feuerzeug an, dass er während dem Aufenthalt in der Waffenschule in der Commercia von Zentralstadt gekauft hatte. Es hatte einen eingeprägten Aquila, der mit glitzernden Steinchen ausgelegt war. Die hatten da ganz moderne Sachen von Fremdwelten, wie eben Feuerzeuge, in die man Promethium hinein schütten konnte. Es war schon beeindruckend, was für wunderbare und fortschrittliche Sachen es auf anderen Imperiumswelten gab. Er nahm einen tiefen Zug und ließ genussvoll den Rauch aus seiner Nase strömen. Das tat gut. Mit der Pfeife im Mund begann er nun, mit dem Skope die umliegende Landschaft zu begutachten. Er sah die Schlossalle und noch einen Pferdewagen mit festlich gekleideten Personen, Holzfäller aus einem der weiter entfernten Dörfer. Er blickte nach Holzfällerdorf etwa fünf Kilometer im Nordosten von hier gelegen, das durch seine erhöhte Lage gerade so noch auszumachen war. Es war wie ausgestorben. Alle waren heute in Solwangen zur Hochzeit. Solwangen schien festlich geschmückt zu sein. Auf den Bastionen wehten bunte Flaggen. Viel mehr konnte er leider von hier aus auch nicht erkennen. Er suchte nun den westlichen Horizont ab und konnte "Zufriedenheit" ausmachen, das Stammschloss der Familie der Braut. Wahrscheinlich reiste sie gerade jetzt in ihrer prächtigen Kutsche ab. Tatsächlich konnte er gerade so noch eine sich bewegende Linie ausmachen, wahrscheinlich die Kutsche mit einer Ehreneskorte von Ulanen, dem Regiment ihres zukünftigen Mannes. Er wünschte dem Brautpaar von Herzen alles Gute. Eines Tages würden sie seine Brötchengeber sein.
Er schwenkte nun nach Süden, wo das Fehlgeschlagenengebirge aufragte, welches das Aboratal umschloss. An klaren Tagen, so wie heute, konnte man den Terraformer sehen, ein technisches Ding aus uralter Zeit. In der Schola hatte man ihm gelehrt, dass mit diesen Terraformern diese Welt wie Terra geformt wurde. Daher auch der Name. Aber wie und warum wusste keiner mehr. Inzwischen ragte nur noch das gewaltige trapezförmige Gehäuse aus einer witterungsbeständigen Substanz bis in den Himmel hinein. Darin hatten mächtige Maschinen gearbeitet, die aber im langen Zeitalter der Finsternis zerstört worden waren, um Rohstoffe daraus zu gewinnen. Im Norden stand sein mächtiger Zwilling, der auch nur noch seinem Innenleben beraubte Hülle war. Durch beide führte das Schwert des Imperators und hatte sie schon in uralter Zeit miteinander verbunden. In exakt gleichen Abständen ragten weitere dieser Terraformer in den Himmel, aber die konnte man von hier aus trotz ihrer gewaltigen Ausmaße nicht mehr sehen.
Sigmund wollte gerade weiterschwenken, als er den Punkt am Himmel sah. Was war das? Zuerst dachte er, es wäre einer dieser ultramodernen neumodischen Zeppeline, die einige reiche spleenige Adlige mit zu viel Geld im Südland hatten. Aber dafür war der Punkt zu schnell. War das ein Raumschiff? Manche Händler machten sich einen Spaß daraus, mit Landungsschiffen durch die Atmosphäre zu rasen und die Bevölkerung mit Wetterkapriolen zu ärgern. Es war zwar verboten, aber es gab eben viele böse Menschen auf den Fremdwelten. Das Schiff kam schnell näher und Sigmund konnte bald Details ausmachen. Es war definitiv ein menschliches Landungsschiff, da er so eine Bauart schon im Raumhafen von Zentralstadt gesehen hatte. Damit wurden die Rekruten der imperialen Armee, die als Tribut dem Imperator zwischen den Sternen dienen durften, in die Umlaufbahn geflogen, wo mächtige Schiffe sie an Bord nahmen, um sie zu Ruhm und Ehre auf den mannigfaltigen Schlachtfelder des Imperiums zu transportieren.
Aber die Kennung bestand aus seltsamen Symbolen, die ineinander überzugehen schienen. Er drehte das Skope schärfer und betrachtete mit gerunzelter Stirn diese Formen. Es war wie ein Schlag gegen die Stirn. Der Schmerz explodierte direkt in seinem Schädel und er brach zusammen. Sein ganzer Körper verkrampfte sich und er würgte sein Frühstück heraus. Die Kotzlache hatte ironischer weise etwas Herzförmiges. Es brauchte mehrere Herzschläge, bis er wieder Kontrolle über seinen Körper hatte. Fahrig tastete er nach seinem Glücksbringer, den er am Hals trug. Die runde silberne Plakette mit dem Angesicht des heiligen Crassus auf der einen und dem Aquila auf der anderen Seite hatte er zur Kommunion bekommen. Das von seiner Körperwärme warme Silber fühlte sich beruhigend in seiner Hand an.
"Heiliger Crassus! Gütiger Gottimperator! Steht mir bei!" Auf der Waffenschule hatte man ihm gelehrt, dass der Erzfeind auf seinen Fahrzeugen Symbole mit finsterer und verdorbener Macht aufmalte. Und man würde sie erkennen, wenn man sie sah, da ein wahrer Anhänger des lebendigen Gottes der Menschheit heftig auf die Symbole reagieren würde. Kopfschmerzen und sich übergeben müssen waren die typischen Reaktionen. Also bedeute das in schrecklicher Konsequenz, der Erzfeind suchte seine Heimatwelt heim! Und so langsam sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass dies kein guter Tag werden würde.
Gedanke des Tages
Die ersten zwei Abschnitte sollten einfach in die Welt von Kneita III und zwei der wichtigeren Personen des Teiles einführen. Mit Kneita wollte ich einfach mal eine etwas untypischere Welt bringen. Die Entwicklungsstufe ist wohl die mit Anfang des 20 Jahrhunderts zu vergleichen. Uralte feudale Strukturen werden durch moderne abgelöst. Mit dem Ende des ersten Kapitels dürfte wohl schon klar sein, wo sich der erste Teil des Buches hin entwickeln wird. Ich hoffe, dass es nicht zu langatmig war und das es mir gelungen ist, dass Interesse an den Figuren zu wecken.
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