Er schreckte hoch als er Unruhe in der Gruppe spürte. Er war wohl eingenickt und sein Körper hatte sich die Ruhepause geholt, die Mastersen ihn schon so lange verweigert hatte. Die Strapazen der letzten Stunden war der Korporal nicht gewohnt und das rächte sich nun langsam. Dann hörte auch er die Schritte der zurück kommenden Späher. Sobald sie in Sichtweite kamen, gaben sie Handzeichen.
Wie ein Mann erhoben sich alle restlichen Truppmitglieder und machten sich zum Abmarsch bereit. Mastersen verdrehte gequält die Augen und kämpfte sich auf die Beine. Natürlich weihte ihn niemand ein und er musste sich mal wieder selbst zusammen reimen, was gerade passierte. Wortlos folgte er den Männern in den vor ihnen liegenden Tunnel. Hatten die Späher etwa schon einen Zugang zur Toten Zone gefunden? Oder Spuren weiterer Feinde? Muran jedenfalls lies nicht erkennen, worum es sich handelte. Als sie um die nächste Ecke bogen roch Mastersen schon, was ihn erwartete. Blut. Viel Blut. Auf dem Boden sah er die Spuren einer großen Lache angetrockneten Blutes. Es wirkte fast wie ein tiefes bodenloses schwarzes Loch. Doch Muran und seine Männer traten einfach hinein und sicherten schon wieder die Umgebung. Das Blut hatte sich an dieser Stelle nur gesammelt. Seinen Ursprung hatte es jedoch weiter vorne im Tunnel. Sie folgten einfach den schwarzen Rinnsalen und gelnagten so schließlich an eine Stelle, wo zwei Haufen auf dem Boden lagen.
Mastersen durchlebte offenbar ein Déjà-vu. Wieder waren es blutig zugerichtete Leichenreste in den Uniformresten der PVS-Truppen. Die Überlebenden des ersten Hinterhalts, nach denen sie gesucht hatten. Jedenfalls hatte Mastersen immer noch heimlich gehofft auf sie zu stoßen. Allerdings lebend. Nun sah er seine letzten Felle davon schwimmen. Keiner der Männer hatte es aus Sektor Blau raus geschafft. Keiner! Und was er auch sah noch bevor es einer der Hünen mit seinen kalten Worten beschrieb, war das hier kein Kampf stattgefunden hatte. Die Männer waren einfach auf der Flucht durch Sektor Blau geirrt und hier von den Feinden gestellt worden. Diese hatten sie dann einfach nieder gemetzelt. Und sich dabei Zeit gelassen, wie die Spuren es andeuteten. Mastersen konnte in ihnen lesen wie in einem Buch und sah die grausige Szene wieder vor seinem inneren Auge. Er verfluchte sich dafür und wünschte sich gegenüber diesem Horror blind zu sein, doch er konnte nicht weg sehen. Er nahm alles in sich auf. Jedes Detail. „Sie haben sie gefoltert.“, stellte einer der Männer fest, als er die Leichen näher in Augenschein genommen hatte. Ach?!, schrie Mastersen dem Mann entgegen, der das offensichtliche verkündete. Doch er war zu deprimiert und zu erschöpft um sich jetzt mit einem der Riesen anzulegen, die offenbar noch nie Taktgefühl auf einer ihrer Missionen gebraucht hatten.
„Und warum hat man sie so zu gerichtet? Wollte der Feind Inforationen aus ihnen heraus holen?“, fragte der Korporal stattdessen. „Nein! Alles was sie wissen wollten, hätten sie jederzeit aus den Scannern und Cogitatoren ihrer Ausrüstung filtern können.“, grollte Muran. „Diese Männer wurden einfach nur so gefoltert…Einfach weil sie es konnten. Weil sie da waren.“ Mastersen horchte überrascht auf und blickte Muran erstaunt an. Nicht nur wegen des unverhofften Redeschwalls des sonst eher einsilbigen Mannes. Nein es war auch die Art wie er es gesagt hatte und wie seine Stimme geklungen hatte. Irgendwie trauernd und müde. Der PVS-Soldat bemerkte fast sofort den Stimmungswandel in der Truppe. Ihm entging auch nicht, wie Muran seine Waffe fester griff, so dass es schon leise knirschte, ganz so als würde er jemanden würgen. Erlebte er hier wieder einen der seltenen Momente mit, in denen die Killer echte Emotionen zeigten. Sergeant Muran jedenfalls schien jedenfalls grade sehr starke schmerzliche Erinnerungen zu durchleben die ihn beim Anblick der toten Soldaten eingeholt hatten. Und er war nicht der Einzige. Auch andere Truppmitglieder wirkten auf einmal viel verbissener und sehr viel kälter als zuvor. Mastersen glaubte fast eine Wolke warmen Atems vor sich zu sehen, so kalt war ihm auf einmal. Seine Überlebensinstinkte arbeiteten wieder auf Hochtouren. Jetzt würde ein einzelner Funke ausreichen und ihm würde hier alles um die Ohren fliegen. Um die Situation zu entspannen, wollte er etwas sagen, doch da schob sich schon ein düster dreinblickender Krieger vor ihn und schüttelte streng mit dem Kopf. Halt bloß deine Fresse!, war die deutliche Botschaft.
Der schmächtige Korporal hob beschwichtigend die Hände und wandte sich ab. Offenbar hatte die Truppe gerade andere Sorgen, als sich um die Belange eines in der Nahrungskette weit, weit unter ihnen stehenden Korporals einer Hinterwäldler-PVS-Hobby-Armee zu sorgen. Er tat also das Einzige, was ihm in diesem Moment am sinnvollsten erschien. Schweigend kramte er seinen Regenponcho und die Zeltplane aus seinem Rucksack. Zwei entbehrliche Sachen, die er in den Tunneln von Sektor Blau nicht brauchen würde. Damit deckte er die sterblichen Überreste der PVS-Kameraden ab und kniete sich für ein stilles Gebet hin. Dabei spürte er wieder die Blicke der anderen auf sich ruhen. Sie schwiegen ihn an. Aber nicht aus Ignoranz und Hochmut gegenüber dem PVS-Schwächling Mastersen, sondern aus Respekt für die Gefallenen.
Mastersen nickte dankbar und Muran gab wortlos das Zeichen zum Aufbruch. Ein neues Band war geknüpft worden. Der PVS-Korporal war in der Gruppe wieder einen kleinen Schritt aufgestiegen und gehörte nun etwas mehr dazu, als zuvor. Jeder wusste nun vom anderen, dass sie gegen den gemeinsamen Feind kämpften, der ihnen allen Verluste zugefügt hatte. Aber auch Mastersen hatte in den letzten Augenblicken eine persönliche Veränderung durchgemacht.
Wo vorher nur Resignation und Angst über einer vorzeitigen unnatürlichen Tod gewesen waren, glühte nun der schwache Funke von Trotz. Schnell griff der Funke auf die trockenen Reste von Hoffnungslosigkeit und Passivität über und loderte zu einem Feuer der Empörung und Wut auf. Die Feinde waren auf seine Welt gekommen und hatten den Krieg im Gepäck mitgebracht. Sie hatten das Leben aller auf dem Planeten nachhaltig verändert und erdreisteten sich nun, ihn komplett zu übernehmen. Das war ungeheuerlich. Sie gehörten hier nicht her. Sie waren nur Gäste auf seiner Welt und keiner hatte sie eingeladen. Es wurde nun höchste Zeit ihnen die Tür zu zeigen.
Mastersen steigerte sich richtig in Rage. Bebend folgte er den stillen Hünen und lies alles hinter sich, was ihn bei seinem Weg der Rache nur behindern würde. Viele ähnlich unnütze Ausrüstungsteile wie der Regenponcho und die Decke landeten auf den Boden des Ganges. Ersatzsocken, zusätzliche Kleidung, Nähzeug und die neu aufgelegte Ausgabe der „PVS-Vorschriften für und nach dem Dienst“ gesellten sich dazu. Das alles war nur totes Gewicht und war entbehrlich. Genauso wie die scheißschwere Xeno-Knarre und deren verdammt sperrige Munition. Sollte ihm wirklich die Munition ausgehen, würde sich schon eine Lösung finden. Die Elite-Krieger machten sowas hier nicht zum ersten Mal und würden schon dafür sorgen, dass er seinen Anteil an der Mission leistete. Da war sich Mastersen sicher.
Lange hielt Mastersens Superheldenmodus aber nicht an. Sicher, er wollte sich immer noch an den Feinden rächen, doch ohne das vertraute Gewicht des Rucksacks und den nervigen Gürteltaschen für den Zusatzkram, fühlte er sich nun irgendwie nackt. Die Realität holte ihn wieder ein. Sie waren unterwegs zur Toten Zone. Und da ging man nicht nackt hin, oder? Was, wenn er nun doch etwas von dem brauchte, was er vorhin so großkotzig weg geschmissen hatte? Er musste wohl komplett neben der Spur gewesen sein, als er das entschieden hatte. Aber dann schob sich ein neuer Gedanke in sein inneres Sichtfeld. Er hatte Schiss und versuchte nun sich von der Tatsache abzulenken, dass er einem Haufen Verrückter in die tote Zone folgte. Er suchte nach Ausflüchten und Gründen, um einfach die Kurve kratzen zu können. Er würde der erste Einheimische seit Urzeiten sein, der wieder einen Fuß in diesen verfluchten Landstrich setzte. Eine weitere Ungeheuerlichkeit für die Lagerfeuergeschichten. Falls er das überhaupt überleben würde. Zum Glück hatte er genug Weitsicht besessen, nicht auch auf den Cogitator zu verzichten. Um sich abzulenken, beschloss er die Daten zu aktualisieren und ihre Erlebnisse, seit dem letzten Eintrag, einzufügen.
Nach einer Weile, bemerkte er wie sich die Umgebung veränderte. Die Gänge wurden zusehends dunkler und dreckiger. Verfallen war das richtige Wort dafür, dass Mastersen durch den Kopf ging, als er die veralteten Rohre und Leitungen sah, die hier langsam vor sich hin rosteten und immer mehr verfielen. Jeder Schritt durch die Zentimeter dicke Staubschicht auf dem Boden wirbelte kleine Wölkchen auf. Die wenigen Hinweisschilder die nicht schon komplett vergilbt oder zerfleddert waren, wiesen einen altertümlichen Dialekt auf, den Mastersen nur mit Mühe entziffern konnte. [FONT="][/FONT]