Der Tunnel vor ihnen war halb zugeschüttet mit Trümmern, die aus der Decke und den seitlichen Tunnelwänden gebrochen waren. Was diese Schäden verursacht hatte, war nicht ersichtlich. Aber sie bemerkten doch einen kleinen Spalt, den man mit ein wenig Körperkraft genug erweitern konnte, dass auch ihre Rüstungen durch passten. Borgas war froh, dass die Maschinengeister endlich wieder ihren Dienst taten, wenn auch eingeschränkt. Aber unter den gegebenen Umständen konnten er und seine Teamkammeraden, wohl nichts Besseres erwarten. Diese Umstände waren nur ein weiterer Punkt auf der Liste von Pannen, die sich ereignet hatten, seit sie in den Bunkerkomplex teleportiert waren.
Die Ankunft war ein Kapitel für sich. Borgas hatte schon unzählige Teleportationen in heiße Landezonen erlebt. Aber dieser Bunkerkomplex war alt. Sehr alt! Und sehr wahrscheinlich noch aus dem dunklen Zeitalter, als der Menschheit noch ganz andere Technologien zur Verfügung gestanden hatten. Jedenfalls bestand ein Großteil der Anlage nicht, wie gewohnt, nur aus meterdicken mit Adamantium verstärkten Beton oder Felsgestein, sondern zusätzlich noch aus Schichten unbekannter Materialien, welche Strahlung nicht nur absorbierten sondern auch reflektierten, um das Bunkerpersonal vor jeglicher Schädigung zu schützen. Das hatte zur Folge, dass der ganze Teleport nicht wie gewohnt nur einen Sekundenbruchteil dauerte, sondern diesmal erheblich länger. Borgas hatte die ganze Zeit über gespürt, wie die Techadepten mit den Einstellungen gekämpft hatten, um ihn in einem Stück durch die Bunkerwände zu bekommen. Als er dann endlich vollständig materialisiert war, hing sein Kettenschwert zur Hälfte in der Wand. Unverrückbar und nicht mehr nutzbar. Ein herber Verlust für Borgas, da er mit dieser Waffe schon seit Jahrzehnten gekämpft und gesiegt hatte. Er kannte jede Kerbe und jede kleine Macke auf dem Gehäuse. Erst vor zwei Tagen hatte er viele der abgenutzten Zähne durch neue ersetzt und die komplette Antriebseinheit optimiert, damit sie nicht mehr ganz so laut kreischte, wenn er das Kettenschwert aktivierte.
Dann hatte er festgestellt, dass von den ehemals sechs Astartes, nur noch einer anwesend war. Er. Die anderen fünf Brüder waren in alle Richtungen verstreut und kämpften mit ähnlichen Schwierigkeiten. Etliche Ausrüstungsteile hatten einen anderen Weg genommen, als ihre Besitzer. Den Primarchen sei Dank, hatte es keine wirklich wichtigen Teile wie Arme, Beine oder Köpfe erwischt. Nur durch ihre übermenschlichen Sinne hatten sie sich per Rufen und Riechen wieder gefunden. Superscharfes Gehör und ultraempfindlicher Geruchssinn ersetzten die auf einmal spinnenden oder ausgefallenen Sensoren und Spähsysteme ihrer Rüstungen. Auch andere Komponenten ihrer ansonsten so zuverlässigen Panzerungen versagten den Dienst. Borgas hatte sich wie ein Gefangener gefühlt, als auf einmal die Servounterstützung seiner Rüstung ausgeschaltet war. Natürlich konnte er sich noch bewegen und agieren, aber weit unter seinen Möglichkeiten. Er hatte sofort angenommen angegriffen worden zu sein, doch seine Sinne meldeten ihm keine unmittelbare Gefahr, was ihn verwirrte. Erst nach und nach ging ihm auf, dass es an dem Bunker lag. Eine wahrscheinlich gewollte Finesse, um eindringende Gegner zu behindern. Jedenfalls behinderte es ihn.
Nun schritten die sechs Ordenskrieger wieder komplett durch die noch unbekannte Anlage. Die Maschinegeister hatten wenigstens die wichtigsten Funktionen der Rüstungen aktivieren können und gewährleisteten wieder halbwegs passablen Schutz, gepaart mit servoverstärkter Kraft. Cerubin, von den Blut Engeln, bildete die Nachhut und trug den schweren Bolter des Teams. Mehrere Magazintaschen mit unterschiedlichster Spezialmunition hingen an Gurten über seiner Brust und waren an Oberschenkeln und Armen festgeschnallt. Der Bolter hatte die Ankunft schadlos und komplett überstanden, was Borgas zumindest als gutes Omen wertete. Die Reinheitssiegel und Waffenriten hatten diese schwere Waffe beschützt und damit dem Team einen Großteil der Feuerkraft bewahrt. Vor Cerubin schritt Rufus von den Salamandern. Ein stiller Bruder, der nie ein Wort zu viel sagte und auch sonst eher wie ein Schatten war. Die schwarze Farbe der Servorüstung verstärkte diesen Eindruck natürlich noch um ein Vielfaches und Borgas war froh, Rufus auf seiner Seite zu wissen und nicht gegen ihn kämpfen zu müssen. Der „Stille Tod“ hatte die Angewohnheit des Öfteren zu verschwinden und seine Gegner dann überraschend von der Seite zu überwältigen. Rufus trug einen kompakten Melter zusätzlich zu seiner Ausrüstung und würdigte so die Vorliebe seines Ordens für alles, was mit Hitze und Feuer zu tun hatte. Die Waffe war eine der gefährlichsten im Arsenal des Teams und Rufus war der versierteste Bruder im Umgang mit ihr. Er hatte gleich nach der Ankunft einige neue Einstellungen an den internen Mechanismen des Melters vorgenommen und ein oder zwei Komponenten stillgelegt, welche den Fluss der Ladung elektronisch steuerten und kalibrierte nun den Mündungsausstoß per Gefühl und durch Druck am Abzug. Borgas war gar nicht klar gewesen, dass man das Gehäuse einfach so öffnen und wieder schließen konnte, ohne dass der Maschinegeist erzürnt den Dienst einstellte.Und er würde sich auch nie wagen etwas an der abgesegneten Konstruktionsweise zuverändern. Aber Rufus war eben in solchen Dingen bewandert und der Orden der Salamander stellte nicht umsonst die schönsten und auch wertvollsten Exemplare dieser Waffenart her. Ulv dagegen verließ sich ganz auf seine Körperkraft, seine Axt und seine superscharfen Sinne. Die meiste Zeit trug er seinen Helm am Gürtel und setzte ihn nur auf, wenn wirklich stark giftige Angriffsstoffe und Umweltgifte drohten, ihn zu schädigen und damit kampfunfähig zu machen. Ulv war einfach nicht der Recke, der sich von einer Giftwolke ausschalten lies. Nein, da mussten es schon ganz andere Umstände sein, die ihn in die Knie zwangen und an die Seite seines Primarchen schicken würden. Der Fenriser schritt immer an der Spitze des Teams und spürte so schon viele Gegner und jede Gefahr auf, lange bevor diese die Brüder der Deathwatch angreifen konnten.
Natürlich klappte das nicht immer und manches Mal nutzte es auch nichts zu wissen, wann eine Gefahr drohte, wenn man ihr trotzdem nicht ausweichen konnte. Aber zumindest Ulv hatte heute am wenigsten Schwierigkeiten gehabt, sich an den Ausfall diverser Helmsensoriken zu gewöhnen. Auch litt seine Axt nicht unter den Störungen, da sie einfach nur aus festem Eisenholz und kaltem, scharfen Stahl bestand. Ganz anders Borgas Kettenschwert. Aber das hatte ja gleich von Anfang an in der Wand gesteckt und würde dort auch bleiben. Verdammt, er vermisste den Griff seines Schwertes und fühlte sich nicht richtig angezogen für die Schlacht, ohne das vertraute Gewicht an seiner Seite. Er würde sich schleunigst Ersatz suchen müssen.
„Kannst du irgendwas spüren, Mer Linh?“, fragte Janitius. Der Ultramarine hatte das Kommando, warum auch immer, über das Team übertragen bekommen und war somit der Ranghöchste von den sechs Astartes. Borgas neidete ihm nicht wirklich die Stellung, da Janitius unbestreitbar ein erfahrener Veteran und Held vieler Schlachten war. Er konnte das Team fraglos gut durch die einzelnen Missionen führen und unter seinem Kommando hatten sie bisher auch jeden Einsatz erfolgreich oder zumindest nicht komplett katastrophal abgeschlossen. Doch Borgas war auch ein Veteran. Und Ulvs Verdienste lasen sich gar wie eine Heldensage aus einer anderen Zeit. Cerubin hatte schon so manches Mal einen rettenden Einfall gehabt, der dem ganzen Team den Tod erspart hatte. Und Rufus...Na gut, Rufus fiel raus, da er nicht wirklich viel redete und auch nicht der Typ war, der anderen Befehle gab. Rufus war ein Macher und das mit ziemlichem Erfolg, wenn man ihn machen ließ. Aber zumindest Mer Linh, das Wunderkind, war eine echte Alternative zu Janitius. Der Krieger vom Orden der Umbra Domini war ein stetiger Quell von Überraschungen. Der noch junge Scriptor verfügte über einige äußerst seltene Talente, die in anderen Orden gar nicht zu finden waren. Bis zu seinem Ruf zur Deathwatch hatte Borgas auch noch nie etwas über diesen Orden gehört. Und auch jetzt wusste er nicht wirklich mehr über diese geheimnisvollen Space Marines und ihre überall im Imperium versteckt kreuzenden Flotten. Mer Linh war noch jung an Jahren, für einen Astartes, aber sein ganzes Gebaren, seine Aussprache des Hochgotischen und Teile seiner Ausrüstung schienen aus einer anderen Epoche des Imperiums zu kommen.das war auch schon anderen brüdern aufgefallen. Aber Mer Linh schwieg zu diesem Therma sehr wortreich und konnte sehr schnell und auch unauffällig das Thema wechseln, ohne dass es seinem Gegenüber wirklich bewusst wurde. Borgas hatte es dann einfach irgendwann aufgegeben weiter nach Mer Linhs Wurzeln zu fragen. Als Mitglied des inneren Zirkels seines Ordens wusste er, wie wichtig es war, Geheimnisse zu wahren. Wenn die Umbra Domini ihr eigenes Süppchen kochen wollten, würde Borgas sie dabei nicht weiter stören wollen.
Nein was Borgas einfach nur aus Prinzip störte, war, dass Janitius wie selbstverständlich das Kommando übernommen hatte, ohne groß vorher zu fragen oder auch nur nachzudenken, was seine zukünftigen Teammitglieder dazu meinten. Und die graue Eminenz hatte es gebilligt. Na gut, wahrscheinlich war es egal, wer das Kommando übernahm, wenn das Team für einen außenstehenden Sterblichen offensichtlich nur aus Superkriegern bestand. Da war doch einer so gut, wie der andere. Hauptsache Space Marine! Aber konnte ein Inquisitor, wie die graue Eminez, wirklich verstehen, was so zwischen den Astartes von statten ging? Wie normalerweise in den Ordensburgen die Besten der Besten gewählt wurden. Borgas grübelte über dieses Thema schon seit der ersten Mission nach und hatte bis jetzt noch nicht wirklich einen guten Grund gefunden, einen der Anderen für das Kommando vorzuschlagen. Aber vielleicht würde sich ja bei diesem Einsatz etwas finden? Mit irgendwas musste man ja seine Gedanken beschäftigen, wenn andere glaubten, für einen das Denken und Lenken übernehmen zu müssen.
„Nein.“, war die Antwort von Mer Linh. Sein Blick jedoch sagte mehr. Wenn er etwas spüren würde, wären seine Brüder sicherlich die ersten, die es erfahren würden. Mer Linhs Blick streifte seinen und Borgas zwinkerte ihm zu. Ein Lächeln leuchtete kurz in Mer Linhs Augen und verschwand wieder in den Tiefen seines geheimnisvollen Geistes. Ja, Mer Linh wäre wirklich eine Alternative. „Ich spüre übrigens auch nichts.“, knurrte Ulv. Natürlich fühlte er sich übergangen, wenn Janitius lieber einem „Hexenjungen“ traute, als der scharfen Nase eines Wolfes. Borgas zwinkerte auch ihm zu. Dieser erwiderte es nicht. Aber er knurrte auch nicht. Ein weiteres gutes Omen, wie Borgas fand.